Das Phantom aus dem Eis
Originaltitel: Namgeuk-ilgi aka Antarctic Journal
Herstellungsland: Südkorea
Erscheinungsjahr: 2005
Regie: Lim Pil-seong
Darsteller: Song Kang-ho, Yu Ji-tae, Kim Gyeong-ik, Park Hee-soon, Choi Deok-moon, Kang Hye-jeong u.a.
Eine südkoreanische Expedition schickt sich an, den Südpol zu bezwingen. Ihr Ziel: Der Pol der Unzugänglichkeit. Der Punkt des Südpols, der am Weitesten von allen Küstenlinien entfernt liegt. Auf dem Weg dahin machen die sechs Forscher einen überraschenden Fund in Form eines Tagebuches einer britischen Expedition, die um 1922 aufbrach, den Südpol ebenfalls zu Fuß zu bezwingen. Mit dem Auffinden des Tagebuches häufen sich die seltsamen Vorkommnisse. Visionen, seltsame Unfälle und das spurlose Verschwinden eines Expeditionsmitgliedes zehren an den Kräften der Forscher und lassen das fragile Personengefüge der ehedem befreundeten Männer nahezu implodieren. Bald ist das nächste Expeditionsmitglied tot und auf der Suche nach einem anderen Mitglied findet man dann auch noch tiefgefrorene Überreste der britischen Expeditionsgruppe. Was geht hier vor? Häufen sich hier nur seltsame Zufälle und Unfälle oder spielt der scheinbar ewig anhaltende Polartag den erschöpften Geistern der Männer einen Streich?
„Siehst du dieses Weiß? Die Menschen halten es für schön. Aber sie ahnen nicht, wie viel Blut sich unter dieser Schneedecke verbirgt.“
Wer nun dem etwas ungelenken deutschen Titel des Filmes Antarctic Journal aufsitzt, könnte ziemlich enttäuscht sein. Denn während es Regisseur Lim Pil-seong auf grandiose Weise gelingt, eine verstörende, zutiefst beunruhigende Atmosphäre aufzubauen, liefert er dem phantomhungrigen Publikum keinerlei physische Entsprechung für den Schrecken. Dieser spielt sich hier fast ausschließlich in den Köpfen der Forscher ab, die irgendwann nicht mehr zwischen Realität und Wahn zu unterscheiden vermögen. Auf Zuschauerseite baut sich so ein wohliges Gefühl der Verunsicherung auf, wie man es schon lange nicht mehr erleben durfte. Und obwohl der Film beständig am helllichten Tage spielt, schafft es der Regisseur immer wieder eindrucksvoll, ein paar hübsche Schockeffekte zu lancieren, die sich eben nicht in den üblichen Horrorklischees a la „Hand aus dem Dunkeln landet auf Schulter des Protagonisten“ erschöpfen.
Auch auf die üblichen Horroringredienzien aus Fernost a la langhaarige Mädchen und apathische Kinder wird in dem Streifen komplett verzichtet. Einzig die deutliche Konzentration auf atmosphärischen Horror verbindet Antarctic Journal mit dem aktuellen Auswurf der asiatischen Horrorschmieden.
Sehr viel Geschichte wird dabei gar nicht erzählt. Es geht von Anfang an darum, zu zeigen, wie sich die Dynamik in der Gruppe aufgrund der Gefahr von außen (die hier letztendlich eher von innen heraus kommt) verändert und wie die verschiedenen Charaktere reagieren. Und da dieser Film in dem unverbrauchtesten und schönsten Setting überhaupt spielt, nämlich dem ewigen Eis, mutiert der Psychohorror unversehens zum albtraumhaften Survivalhorror vor Traumkulisse. Dabei wird das traumhafte Setting optisch absolut überwältigend eingefangen, wobei die unendlichen Weiten, die aufgrund der transportierten Grundstimmung zugleich isolierend und ausweglos wirken, umgehend zum wichtigsten und schönsten Hauptdarsteller des Streifens mutieren.
Problematisch an der Mission Antarctic Journal ist die mit knapp zwei Stunden viel zu lange Laufzeit des Filmes. Ungefähr zur Halbzeit hat Antarctic Journal eine so bedrückende Atmosphäre installiert, dass eine weitere Steigerung fast unmöglich ist. Und folgerichtig will sich in der folgenden Stunde auch keine Verschärfung der Lage mehr einstellen. Auch echte Höhepunkte bleiben aus und abgesehen davon, dass die zunächst existentialistischen Dialoge zunehmend pseudophilosophischer werden, passiert nicht mehr viel.
Eher werden Punkte angerissen, die im weiteren Verlauf keine Rolle mehr für den Film spielen werden. So erhält das Basiscamp eine vollkommen unlogische Bildnachricht von der - wie ich aufgrund der eingesetzten Schlitten vermute - britischen Expedition und bricht zur Rettung auf, um kurz darauf spurlos von der Mattscheibe zu verschwinden. Die Veränderungen des Expeditionsleiters der Südkoreaner hängen zunehmend in der Luft und insbesondere der Versuch, die südkoreanische Gruppe mehr und mehr in die Ereignisse zu drängen, die die Briten offensichtlich vor ihnen durchmachen mussten, kommt nie zu einem befriedigenden Resultat. Das relativ offene, nichts erklärende Ende ist dann eine echte Enttäuschung und schmälert den Gesamteindruck noch einmal gewaltig.
Schauspielerisch leistet sich der Film keine Blöße. In den Hauptrollen tummelt sich die Creme de la Creme des südkoreanischen Kinos wie Kang Ho-song (Memories of Murder, The Host) oder Yu Ti-jae (Oldboy), die offensichtlich machen, dass hier mit Antarctic Journal ein weiteres Prestigeprojekt der südkoreanischen Filmfabrik anvisiert wurde. Und es wurde zu einem echten Gigantismusprojekt, dessen Kosten irgendwann explodierten und trotz minimalistischer Handlung und spektakelfreier Schauwerte auf 8 Millionen Dollar anwuchsen, was für südkoreanische Verhältnisse eine riesige Summe darstellte.
Ob man diese nun sinnvoller anlegen hätte können, wird jeder für sich selbst herausfinden müssen. Für mein Dafürhalten haben wir es hier mit einem Film zu tun, der es auf hervorragende Weise versteht, eine unterschwellig immer dichter werdende, zutiefst verstörende Atmosphäre aufzubauen, dabei ab und an aber auch ein wenig kryptisch wirkt und eine echte Auflösung schuldig bleibt. So funktioniert der Film fast noch mehr als Psychogramm von Menschen in Extremsituationen, denn als Horrorfilm. Edel bebildert und grandios gespielt hätte der Film durchaus ein klein wenig mehr Tempo bzw. eine Straffung gut vertragen können. Im Großen und Ganzen aber stilvoller Horror aus Fernost, fernab der üblichen schwarzhaarigen Mädchen mit ihren grauen Visagen ...
Die DVD von E-M-S ist mit einer FSK 16 ungeschnitten und kommt in sehr guter Bild- und Tonqualität mit gelungener Synchronisation. Leider haben sich keinerei Extras auf den Silberling verirrt ...
In diesem Sinne:
freeman
Das Phantom aus dem Eis
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