[Konzert] Flying Colors live in Frankfurt
Moderator: gelini71
[Konzert] Flying Colors live in Frankfurt
Flying Colors - Batschkapp, Frankfurt; 11.10.2014
Wer ist eigentlich Tony? Wirklich wichtig ist das nicht, wichtig ist nur, dass die Frage, wann Tony denn endlich komme, immer wieder im richtigen Moment gestellt wird. Wir stehen in einem wenig glamorösen Hinterhof, nicht weit entfernt von einem großen Tourbus, in welchen Muskel-bepackte Silhouetten in Flutlicht-Beleuchtung Tour-Equipment verladen. Wir warten als kleines Grüppchen zusammengewürfelter Fans und hoffen darauf jemanden von der Band zu sehen bevor uns die Security von dem Privatgelände wirft...
4 Stunden vorher wartet eine Menge, deren Altersdurchschnitt weit über 30, größtenteils auch über 40 liegt vor der Halle gleich neben dem Hinterhof auf Einlass. In einer geordneten Schlange ganz ohne künstlich abgetrennte Korridore bewegt sich die Masse behäbig auf den Eingang zu, ganz untypisch für den klassischen Metalkonzert-Gänger, wo das junge Volk sich mit Lemming-hafter Präzision zuverlässig jedes noch so kleine Nadelöhr auf dem Konzertgelände raussucht um sofort mit aller Gewalt gleichzeitig durchzupreschen. Heute haben sich nur ein paar Metaller mit deutlicher Affinität zum Prog in die Batschkapp verirrt. Die Frankfurter Konzertlocation mit Tradition (schon seit über 30 Jahren) empfängt heute die weitgehenst unbekannte und dennoch in Kenner-Kreisen sehr positiv empfangene Supergroup Flying Colors, die der Prog-Papst Neal Morse um sich herum angesammelt hat. Ex-Dream-Theater-Schlagzeuger Mike Portnoy ist das wohl bekannteste Mitglied, dicht gefolgt von Gitarren-Genie und Deep-Purple-Klampfer Steve Morse. Dave LaRue am Bass ist im Gegensatz dazu nur noch Szenekennern ein Begriff und von Sänger Casey McPherson hat noch so gut wie niemand etwas gehört. Der kleine Texaner ist vor allem als Frontmann der Alternative Rock/Indie-Kombo Alpha Rev bekannt, deren Spezialgebiet schon fast intime, minimalistische Balladen sind, die sich schon eher in Songwriter-Gefilde vortasten. Damit stellt McPherson eine wahrhaft ungewöhnliche Wahl als Frontmann da gemessen an der instrumentellen Virtuosität seiner Mitmusiker, denen die Weniger-ist-mehr-Mentalität in ihren oft ausladenden Werken (Neal Morse, Dream Theater) ein Fremdwort zu sein scheint. Aber schon auf dem ersten Album funktionierte die mutige Kollaboration außerordentlich gut. Der Stilmix, der auf der auf dem Debüt noch nicht so recht wusste wohin, aber dennoch souverän frische pop-rockige Hymnen in den Prog-Rock-Himmel entließ, machte auf Anhieb Spaß. Das empfanden wohl auch die viel beschäftigten Bandmitglieder so und kamen letztes Jahr wieder im Studio zusammen um ihren zweiten Longplayer einzuspielen. Seit dem 29. September 2014 ist „Second Nature“ nun überall erhältlich, wird aber im Vergleich zum Vorgänger wesentlich sparsamer betourt. Nur 10 Shows auf dem Globus werden gespielt. Frankfurt ist die einzige Deutschland-Show. Bevor selbige losgeht, fällt uns schon im Saal ein ehrwürdiger Altrocker auf, der mit geradezu kindlicher Begeisterung auf die Band wartet. Sein Name: Willi...
2,5 Stunden später stehen wir nämlich vor einem eisernen Tor, dass uns den Zutritt auf einen gewissen Hinterhof erschwert, auf welchem wir deutlich den Tourbus der Band erkennen können. Zusammen mit einer Gruppe deutscher und polnischer Fans warten wir spaßeshalber, ob sich vielleicht was tut und wir einen der Musiker zumindest entfernt zu Gesicht bekommen. Es tut sich nicht viel, aber aus Spaß wird Ernst, denn irgendwie will jetzt niemand mehr verschwinden und damit womöglich den entscheidenden Moment verpassen. Ein Auto nähert sich, ein offensichtlicher Security-Angestellter wird von einem Batschkapp-Mitarbeiter am Tor abgeholt...beide verschwinden auf dem Hinterhof...und das Tor bleibt geöffnet. Wir stehen verdutzt davor...“Betreten verboten“-Schilder und offensichtlich laufende Wachkameras sorgen für zögernden Respekt. Das ist der Moment, in dem Willi in der Ferne mit Frau und Tochter auftaucht, schließlich neugierig am Tor stehen bleibt, ein paar Worte mit uns wechselt und dann gut gelaunt auf den Hinterhof marschiert. Seine Familie bleibt verunsichert am Tor stehen, 2 der polnischen Fans trauen sich hinterher...wir beobachten die Lage auch erstmal skeptisch aus der Entfernung. Die Überwachungskamera leuchtet, Securitys patroullieren und Willi spaziert ungestört über den gesamten Hof, bleibt am Tourbus stehen, redet mit dem Fahrer, macht Fotos. Nach kurzer Überlegung zieht es uns schließlich auch in die verbotene Zone...Augen auf!
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„Open Up Your Eyes“ ist erwartungsgemäß nicht nur Album-Opener sondern auch der epische Startschuss ins Flying Colors-Set und mit 12 Minuten 24 Sekunden der längste Song der Band. Gleich zu Beginn fällt schon auf, wie gut das chaotisch zusammengewürfelte Quintett als Einheit funktioniert. Die Spielfreude ist auf den ersten Blick bei allen ersichtlich und wird über das ganze Set getragen. Etwas befremdlich, aber eigentlich nicht weiter überraschend ist, dass der extrovertierte Mike Portnoy die anschließende Begrüßung der Batschkapp vornimmt und Sänger Casey McPherson etwas in den Hintergrund tritt. Schon bei Dream Theater war es eben Portnoy, der die konzentrierte Bühnen-Performance mit einem schier unerschöpflichen Maß an Live-Energie zusammenhielt. Bei Flying Colors ist das ganze schon wesentlich ausgewogener, denn bis auf den eher zurückhaltend agierenden Dave LaRue sind alle euphorisch bei der Sache, agieren dynamisch und nutzen jeden Zentimeter der Bühne aus. Im Gegensatz zur ersten Tour der Band im Jahr 2012 gibt es diesmal bis auf ein angespieltes Alpha Rev-Cover keine Fremdkörper aus den Solo-Karrieren der Musiker zu hören. Überraschend ist allerdings der verhältnismäßig kleine Anteil (5 vs. 9) an Songs vom Erstling, der rückblickend die höhere Hit-Dichte für sich verordnen konnte. „Second Nature“ ist wesentlich progressiver angelegt, sowohl was ausschweifende, als auch technische Arrangements angeht. Über allem schwebt dennoch eine gut konsumierbare Leichtigkeit, die beispielsweise den 12-Minüter „Open Up Your Eyes“ wie einen 7-Minüter erscheinen lässt. Nach der Drum-lastigen Begrüßung prescht die Supergroup aber erst so richtig vor und feuert mit der vollen Breitseite. „Shoulda Coulda Woulda“, garniert von einem großartigen Mini-Drumsolo im Outro, mobilisiert mit gewohnt brachialem Portnoy-Groove da gar den ein oder anderen Headbanger. Danach tritt die Band allerdings erstmal gehörig auf's Gas-Pedal. Neal Morse übernimmt das Mikro, sagt seinen persönlichen Flying-Colors-Lieblingssong an und die Feuerzeuge können ausgepackt werden...
Neal Morse bzw. sein Erbe ist es auch indirekt, was uns 2 Stunden später davon abhält, vom Hinterhof geworfen zu werden, denn Willi ist fanatischer Spock's Beard-Fan (Neal Morse' Ex-Band, in welcher immer noch sein Bruder spielt), kennt die Band und ihre Roadies persönlich und weiß, dass ein Roadie namens Tony bei der aktuellen Flying Colors-Tour mithilft. Sobald sich also ein Security nähert, ist Tony das Gesprächsthema in unser kleinen Gruppe und wann er denn endlich rauskommt. Das im Zusammenhang mit Willi's Tourbusfahrer-Chat sorgt dafür, dass die Security tatsächlich davon ausgehen, dass wir irgendwie dazugehören. Das geht etwa 20 Minuten gut, bis dann doch ein Sicherheitsbeamter kommt und uns freundlich aber bestimmt bittet jetzt zu gehen. Ausgeträumt....Willi ist enttäuscht und verabschiedet sich von allen. Wir trotten enttäuscht Richtung Ausgang und bemerken, dass die polnischen Kollegen sich in eine schattige Ecke in den Hecken zurückziehen. Wir überlegen nur kurz und tun es ihnen gleich...weiterwarten im Schatten und ja nicht auffallen, wenn wieder ein Security vorbei schleicht...
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...schleichend ist auch der Mittelteil des Flying-Colors-Set 1,5 Stunden vorher, der dank der überragenden Leistung von Casey McPherson aber kein bisschen weniger Magie versprüht als der zackige Anfang. Mehrere Balladen am Stück, die im Vergleich zu den Dream-Theater- und Neal-Morse-Pendants dank gefühlvollen, kraftvollen und ungemein einnehmenden Vocals alles andere als Lückenfüller sind. Neal Morse lässt majestätische Keyboard-Teppiche durch die Halle schweben, hebt immer wieder prophetisch die Hände und Mike Portnoy hat nebendran nur Blödsinn im Kopf. Sein Ausnahme-Status fällt aber dennoch auch in vermeintlich unspektakulären Drum-Spuren auf, welche immer wieder mit herausragender Hi-Hat-Arbeit garniert werden, ohne sich negativ in den Vordergrund zu spielen. Erwähnenswert ist auch das dreistimmig (McPherson, Morse, Portnoy) vorgetragene „One Love Forever“, dass einmal mehr offenbart mit was für vielseitigen Musikern man es hier zu tun hat. Überhaupt wird der Gesang in fast jedem Chorus durch mindestens 2-stimmige Background-Vocals ergänzt....hier sitzt jeder Ton perfekt! An der Instrumental-Front lassen sich auch nur wenige Fuck-Ups raushören...die Band spielt im Großen und Ganzen ungemein tight zusammen und behält über das gesamte Set das breite Grinsen vom Anfang bei. Nach guten 90 Minuten Spielzeit rahmt man dann schließlich die (mehr oder weniger) Hit-Single „Mask Machine“ in die beiden Longtracks „Cosmic Symphony“ und „Infinite Fire“ (Zugabe) ein, was dem Set-Fluss und der Aufmerksamkeits-Spanne der Zuschauer nicht unbedingt entgegenkommt. So streckt man das zu Ende gehende Konzert doch noch auf knappe 2 Stunden Laufzeit, verliert aber etwas von der anfänglichen Live-Energie. Dennoch geht der anwesenden Prog-Gemeinde bei den atmosphärischen Reisen durch alle Trademarks der beteiligten Musiker das Herz auf, während der ein oder andere Deep Purple-Fan sichtlich abschaltet. Das ist dann wohl der Nachteil einer derart wild zusammengewürfelten Kombo, der aber gleichzeitig auch wieder zum Vorteil wird. Hier kommen Anhänger der verschiedensten Lager zusammen, es herrscht reges Genre-übergreifendes Fachsimpeln und das alles in einer höchst angenehm, herrlich ruhigen Atmosphäre. Kein Stress, keine Drängler, keine Moshpits und knapp 2 Stunden herausragend vorgetragener, gut bekömmlicher Prog Rock. Auf seine ganz eigene Weise entwickelt sich daraus eine geradezu elektrisierende Mischung voller hymnischer Refrains, verspielter Melodien und brillianter Virtuosität...quasi the best of both worlds!
Setlist:
Open Up Your Eyes
Bombs Away
Kayla
Shoulda Coulda Woulda
The Fury of My Love
A Place in Your World
Forever in a Daze
One Love Forever
Colder Months (Alpha Rev cover)
Peaceful Harbor
The Storm
Cosmic Symphony
Mask Machine
Encore:
Infinite Fire
In der Ferne ist eine vertraute und doch so fremde Stimme zu hören. Auf der Treppe steht Mike Portnoy, unterhält sich mit 2 Roadies...mein Herz schlägt...kaum zu glauben, wie klein der Mann ist, der hinter seiner Burg so überlebensgroß erscheint. Als er die Treppe runter kommt, macht unser kleines Grüppchen aus dem Reich der Hinterhof-Schatten auf sich aufmerksam. Casey McPherson kommt auch gerade zum Tourbus, nickt uns zu und meint, er würde nur gerade seine Tasche ablegen. Gesagt, getan...Casey & Mike kommen zu uns rüber, unterhalten sich freundlich auf Small-Talk-Niveau, geben Auskunft auf Fragen, unterschreiben CDs und machen – obwohl sie sichtlich müde sind – bereitwillig Fotos mit allen. Das ganze geht vorbei wie ein Rausch...ein mehr als seltsames Erlebnis die Jungs, und insbesondere meinen Drum-Gott, direkt neben mir stehen zu haben. Er positioniert sich für's Fotos, gibt sogar noch Tipps für Belichtung. Wir stellen uns neben ihn...fehlt nur noch einer. „Casey? You coming?“ flaxt er rüber zum Stimmwunder, der noch gerade mit einem der polnischen Fans redet. Casey grinst, kommt gelaufen....Klick...und die chaotische Warte-Orgie wird nach verhältnismäßig harmlosen 2 Stunden tatsächlich mit einem Foto mit Mike Portnoy gekrönt. Bleibt nur noch eine Frage....wann kommt eigentlich Tony?
Legen....Anklicken zum Vergrößern...dary!
Wann kommt Tony... das ist echt mal dreist, aber nicht dumm. Beide Daumen hoch für die Aktion... wie auch wieder für den gesamten Konzertbericht! Genial lebhaft beschrieben wie immer, hast nix verlernt. Saucooles Foto auch! Dass Portnoy aber klein ist, hättste ja anno 2009 schon sehen müssen, als wir direkt über ihm standen und ihm auf den Kopf hätten spucken können. ;)
Jau, sagen wir mal so, wenn Mr. Portnoy hinter seinen Drums aufsteht, hat das nicht gerade diesen Effekt:
Simpsons - Tall Man In Car ;)
Edit: Wobei McPherson ja noch kleiner zu sein scheint... Half McPherson sozusagen... oder steht Portnoy vielleicht auf einem Stein? ;)
Neue Platte hab ich mir übrigens immer noch nicht angehört... muss ich bei Gelegenheit mal nachholen.
Simpsons - Tall Man In Car ;)
Edit: Wobei McPherson ja noch kleiner zu sein scheint... Half McPherson sozusagen... oder steht Portnoy vielleicht auf einem Stein? ;)
Neue Platte hab ich mir übrigens immer noch nicht angehört... muss ich bei Gelegenheit mal nachholen.
Ich sehe ihn auch eher von zwei Seiten - auf der einen halte ich ihn einfach für einen ehrlichen Typen der das was sagt / tut auch wirklich so meint (schwierig zu erklären, ich denke mal Du verstehst was ich meine). Musikalisch hat er auch einiges drauf.... aber er ist kein Steven Wilson. Wärend bei Wilson alles immer locker klingt und er es schafft die Vorbilder gekonnt neu zu interpretieren klingt es bei Morse öfters eher etwas zu gewollt, zu Zitatemäßig.
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note
Ja, er ist kein großer Innovator, das würde ich auch sagen. Aber er komponiert in schwindel-erregendem Tempo äußerst gefälligen Prog-Rock, sehr komplex arrangiert und mit einmaligen Hooklines...nur auf den Text sollte man nie achten ;) Zum Glück ist dafür bei den fliegenden Farben Mr. McPherson zuständig ;)
Ansonsten danke für's Feedback! :)
Ansonsten danke für's Feedback! :)
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