Ein Dank geht auch eine ehemalige Kommilitonin, die mir bei dem "fitzeligen" und arbeitsintensiven Einstieg (inhaltliche Zerpflückung des Filmes) zur Seite stand.
Tiger & Dragon
Originaltitel: Wo hu cang long
Herstellungsland: Hongkong/Taiwan/USA
Erscheinungsjahr: 2000
Regie: Ang Lee
Darsteller: Chow Yun-Fat, Michelle Yeoh, Zhang Ziyi, Chang Chen, Sihung Lung, Cheng Pei Pei, Fazeng Li, Xian Gao, Yan Hai, Deming Wang, Li Li u.a.

Einem der chinesischen Sprache mächtigen Zuschauer würde beim Abspann auffallen, dass die chinesischen Schriftzeichen für Tiger und Drachen nicht nur im Titel erscheinen. So findet sich der Begriff "Drache" im Namen der ebenso schönen und leidenschaftlichen als auch unberechenbaren jungen Filmheldin Jen (Zhang Ziyi) wieder, genau wie der "Tiger" im Schriftbild Los (Chang Chen), Jens verwildertem Geliebten, kauert. Doch dies ist nicht die ganze Wahrheit. Im Grunde lässt sich das alte chinesische Sprichwort, welches dahinter steht, auf alle handelnden Personen des Films übertragen. Jeder hat in sich den verborgenen Drachen: tiefe, zwiespältige, sehnsüchtige Gefühle, die nur darauf lauern, an die Oberfläche zu gelangen. Der Titel steht für das Geheimnisvolle, das man nicht unterschätzen soll, die Kräfte, die unter der gesellschaftlichen Realität wirken. Mein Ziel wird im Folgenden sein, zu zeigen, dass es dem Regisseur Ang Lee auf wundervolle Weise gelingt, diese "Mystik des Versteckten" mit der hohen Kunst der Martial-Arts zu verbinden.

Die Geschichte
Das Drehbuch von James Schamus, der bereits bei anderen Produktionen mit Ang Lee zusammenarbeitete, basiert auf dem fünfbändigen Roman des chinesischen Autors Wang Du Lu, der Mitte des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurde. Es zeichnet sich durch zwei Handlungsstränge aus: die junge Jen, die als Tochter des Gouverneurs Yu aus gutem Hause kommt, soll in Bejing verheiratet werden, wie es die Tradition verlangt. Was jedoch niemand weiß, sie ist von Kindesbeinen an dem Einfluss der gesetzeslosen Jadefuchs ausgesetzt, die sie mit verschiedenen Kampftechniken vertraut gemacht hat. Seit jeher träumt Jen davon frei zu sein und das Leben der Kämpfer zu führen. Diese Sehnsucht nach einem Leben jenseits von Pflichten äußert sich auch in der Beziehung zu Lo, einem Rebellen, den sie in der Wüste kennen und lieben gelernt hat, aber schließlich aufgeben muss. Hin und her gerissen zwischen ihrem Drang nach Freiheit und Selbstverwirklichung und der Verpflichtung ihrer Familie gegenüber, entscheidet sich Jen schließlich, entgegen den üblichen Konventionen der damaligen Zeit, ihr Leben zu bestreiten.
Gleichzeitig werden dem Zuschauer Yu Shu Lien und Li Mu Bai und deren ganz eigene ergreifende Geschichte vorgestellt. Beide sind genau wie Jadefuchs Kämpfer, die ihre Künste allerdings, im Gegensatz zu dieser, nicht missbrauchen. Sie sind verbunden durch ihre nie ausgesprochene Liebe zu einander, die ebenfalls Opfer der "ungeschriebenen Gesetze" dieser Epoche ist, da der Verlobte Yu Shu Liens vor Jahren sein Leben dafür gab, um den gemeinsamen Freund Li Mu Bai zu retten.
Verknüpft werden die beiden Geschichten durch den Diebstahl des sagenumwobenen "Grünen Schwertes" Li Mu Bais. Die Spur, die Yu Shu Lien aufnimmt, führt sie direkt zu Jen. Bald erkennt sie das "wahre Ich" der jungen Gouverneurstochter und den Zwiespalt derer Gefühle und bietet Jen ihre Freundschaft an. Ebenso steht Li Mu Bai jetzt vor einer Herausforderung: endlich bietet sich ihm die Gelegenheit, die Schuld gegenüber seinem Lehrmeister, der von Jadefuchs getötet wurde, zu begleichen und ihn zu rächen was bedeutet, seine Gefühle gegenüber Yu Shu Lien zurückzustecken. Dabei lernt er Jen kennen, deren Können und Willenskraft ihn stark beeindrucken. Doch auch er vermag es nicht, das jähzornige Mädchen zu bändigen und auf den wahren Weg zurück zu bringen: sie flieht kurz nach ihrer Hochzeit. Auf dieser Reise verhärten sich die Fronten noch mehr: Yu Shu Lien, die mit Li Mu Bai die Verfolgung aufgenommen hat, bekommt die Ablehnung Jens deutlich zu spüren und auch Li Mu Bai kann nur mit ansehen, wie die plötzlich auftauchende Jadefuchs Jen verschleppt. In deren Versteck kommt es schließlich zum Showdown: im Kampf zwischen Jadefuchs und Li Mu Bai ...
Im Grunde geht es hier also "nur" um zwei Liebesgeschichten, versehen mit einigen Racheelementen. Diese relativ nüchterne Aufstellung wird natürlich kaum der starken Gefühle und dem dramatischen Potential des Films gerecht, ebenso wenig ergeben sich daraus konkrete Anhaltspunkte über den Spannungsaufbau der Handlung. Dieser gleicht nämlich bei genauer Betrachtung dem Aufbau eines klassischen Dramas!

Vergleich klassisches Drama mit Tiger & Dragon
In diesem Vergleich, der bewusst fast schon stichpunktartig gehalten ist, werden einige Themen und Punkte angeschnitten, die hier noch nicht weiter ausgeführt werden, später aber erneut aufgenommen werden. Also falls Fragen aufkommen, einfach weiter lesen. ;-)
Der Exposition des Dramas entsprechen, übertragen auf den Film, die ersten 15 Minuten des Filmes. Der Zuschauer wird in Ort, Zeit und Situation eingeführt, mit den handelnden Personen vertraut gemacht: Die Kleider der auftretenden Akteure sowie die gesamte Szenerie erinnern an ein China längst vergangener Zeiten. Wir erfahren etwas über Yu Shu Liens Begleitdienst (eine Art Bodyguardservice für Handelsreisende), ihre langjährige Freundschaft zu Li Mu Bai und die Bedeutung der Meditation für einen Kämpfer, verkörpert durch eben genannten, der sich durch seine Frisur im Mandschu-Stil als Krieger ("Chang Hu") auszeichnet. Das Schwert mit dem bedeutungsvollen Namen "Grünes Schicksal" wird in die Handlung eingebracht, die es später noch maßgeblich vorantreiben wird, da es die Menschen, die es besitzen, in ein schier auswegloses Schicksal stürzt, praktisch als MacGuffin fungiert. Dem "Grünen Schwert" wird dabei eine vollkommen eigene "Sprache" zuteil, da die Soundtechniker jedes seiner Anwendungsgeräusche aus sieben bis acht Tönen zusammenmixten! Li Mu Bai, der es von seinem Lehrmeister seinerzeit erhielt, möchte es nun abgeben, denn "zu viele sind durch seine Klinge gestorben". Der symbolische Wert verschiedener Gegenstände, hier des Schwertes, das Gut und Böse vereint, wird zum Thema. Dies entspricht der chinesischen Weltauffassung. Der Zuschauer erfährt von Li Mu Bais beabsichtigten Lebenswandel und den Plänen, zuvor noch einmal das Grab seines ehrwürdigen Meisters, der von Jadefuchs ermordet wurde, zu besuchen. Schon hier findet man Andeutungen auf die besondere Beziehung zwischen Lehrmeister und Schüler, da Li Mu Bai in der Schuld steht, seinen verstorbenen Patron zu rächen. Mit Yu Shu Lien betreten wir Bejing, ein Peking mit Gauklern und Händlern - jenseits von Industrie, Autos und Hektik der heutigen Zeit. Im Gespräch zwischen Yu Shu Lien und Tie Beile, dem Hohen Rat, dem sie Li Mu Bais Schwert übergibt, klingen erstmals die unausgesprochenen Gefühle zwischen Yu und Li an, sowie die Angst, die beide diese Emotionen verleugnen lässt. Dieser Dialog ist im übrigen ein Zugeständnis an den Westen und das junge China, da man vor 300 Jahren, gerade in so unterschiedlichen Klassen, nie so frei über das Thema Liebe gesprochen hätte. An diesem Ort begegnen wir auch das erste Mal Jen, die sich bereits jetzt äußerst interessiert am "Grünen Schicksal" und dem Leben der Schwertkämpfer zeigt und erfahren, dass auch Yu Shu Lien die Kunst der Waffen beherrscht, ebenso wie die Regeln und Umstände, die dieses Leben mit sich bringt. Während dieser Szene wird bewusst auf die Rolle der Frau samt ihrer Verpflichtungen eingegangen, denn die Hochzeit ist für sie der "wichtigste Schritt im Leben", der der Braut allerdings auch die Freiheit nehmen kann. Es kommt das erste Mal der Verdacht auf, dass Jen nicht unbedingt dem Bild einer folgsamen und naiven Ehefrau entspricht. Dieser bestätigt sich noch einmal kurz vor Schluss der Exposition, wenn Jen jähzornig meint, es "wird sich (durch die Hochzeit) nichts ändern".
In der Exposition wird das einzige Mal explizit die politische Situation jener Zeit angesprochen. Die kaiserliche Welt ist von Unruhen geprägt, die Kunst des Regierens besteht darin, das Harte mit dem Sanften zu vereinigen. Es lässt sich nur erahnen, vorausgesetzt man kennt sich ein wenig in der Geschichte des Landes aus, dass wir uns im 19. Jahrhundert, den letzten ruhmreichen Jahren der altehrwürdigen Quing Dynastie befinden. Dem alten China stehen große Veränderungen bevor, eingeläutet durch den das Land überschwemmenden Opiumhandel.
Mit der gerade erwähnten Darstellung der Vielschichtigkeit des Charakters von Jen und der möglichen Gefühle zwischen Li Mu Bai und Yu Shu Lien nimmt die Spannungskurve ihren Anfang. Verknüpft werden die Handlungsfäden durch das erregende Moment: den Diebstahl des "Grünen Schicksals". Mit den einhergehenden Kämpfen wird entsprechend eines klassischen Dramas das Handlungsgeschehen beschleunigt und die Spannung gesteigert. Gleichzeitig werden letzte Details geklärt. Der Einbruch in Tie Beiles Arbeitszimmer gibt abermals einen Hinweis auf den Ort, an dem wir uns befinden. In Bejing gingen die Fenster zur damaligen Zeit nämlich nur nach oben auf. Es entspinnt sich der Handlungsfaden rund um Jadefuchs, die nicht nur Li Mu Bais Meister auf dem Gewissen hat. Die Suche nach dem Dieb, von Yu Shu Lien ausgehend, führt uns immer näher zu Jen, deren Wesen zunehmend komplexer erscheint. Die Szene, in der Jen Kalligraphie übt, geht abermals auf den historischen Rahmen ein. Das Schreiben deutet darauf hin, dass die ausführende Person gebildet ist. Anderes durften aber gerade Frauen nicht schreiben, da sie dadurch lernen sollten, Haltung zu bewahren und still zu sitzen, eben sich anpassen. Jen muss es tun, weil sie ein junges Mädchen der Mittelklasse ist. Die ersten Bilder, die man sieht, sind sehr gerade, sehr gezwungen, sehr korrekt aber als sie Yu Shu Lien ihr Können zeigt, werden die Lettern geschwungener, ungebändigter, wobei Yu sofort den Bezug zum Schwertkampf anführt. Im Gespräch ist zu erkennen, wie unterdrückt Jen wirklich ist, was unterstrichen wird von der Darstellung Jens in engen Räumen und formeller Kleidung, wenn es um ihr "normales" Leben geht.

In der ansteigenden Handlung wird auch die Beziehung zwischen Li Mu Bai und Yu Shu Lien klarer, dennoch kommt es noch nicht zum Eingeständnis der Liebe, was die Neugier des Zuschauers weiterhin beflügelt. Li Mu Bai trifft dann im Verlauf eines Kampfes auf Jadefuchs. Besonders auffallend im Verlauf dieses Kampfes und typisch für das Wuxia Genre ist, den Namen des Meisters vor dem Kampf zu nennen, das Men Hu. Dies ist eine Formalität des Kampfes, die klärt, nach welchen Regeln man kämpft und in welche Richtung man geführt wurde. Zusätzlich erfahren wir Jadefuchs Motiv gegen die Männerwelt und vor allem Li Mu Bais Meister aufzubegehren: "Dein Meister hielt nicht viel von Frauen. Er wollte mit mir schlafen, aber mir nicht die Kampfkunst beibringen. Deshalb hatte er es verdient, durch die Hand einer Frau zu sterben." In der darauffolgenden versuchten Rückgabe des Schwertes durch den Dieb an Li Mu Bai vollzieht sich ein Bruch im Genre: Normalerweise sucht ein Schüler einen Meister, nicht umgekehrt. Im folgenden Kampf zeigen sich dann Li Mu Bais unglaubliche Kampfkünste und sein edler Charakter, indem er zum einen alle Bewegungen seines Gegners vorausahnt und zum anderen, den Dieb nicht demaskiert und sich auch im Kampf zurückhält und niemals bis zum Äußersten geht.
Gesteigert wird das Konfliktpotential noch einmal durch die sich wandelnde Beziehung zwischen Jadefuchs und Jen, die sich dem Zuschauer inzwischen als Schüler von Jadefuchs und als Dieb des Schwertes zu erkennen gegeben hat. Die Schüler Meister Tradition gerät ins Wanken, da Jen besser kämpft als Jadefuchs und dieser gegenüber auch nicht ganz ehrlich war, was wiederum deren Egozentrik und Willenskraft betont. Ergänzt wird die Beschreibung von Jens Charakter durch die Wüstensequenz, in der die kämpferische, undankbare und biestige junge Frau auch Schwächen zugibt. Sie ist durchaus in der Lage, zu lieben, sich einem Mann hinzugeben, ohne sich jedoch selbst aufzugeben. Bei den Kämpfen mit Lo ist alles erlaubt: Karate, Ringkampf usw. Sie sind freie Wesen. Hier ist der Einfluss der Umgebung und der Geschichte wieder deutlich: das Diebesgut in der Höhle stammt von der Seidenstrasse, der Handelsroute zwischen China und Europa.
Des weiteren spielt in der Wüstensequenz der Fuß eine entscheidende Rolle: zum einen gilt er als behütetes Körperteil, dass Lo bei Jen, welche sich ihm hingibt, entdecken möchte. Zum anderen gibt er Auskunft über die Hintergründe jener. Sie ist Mandschu und Dame der Gesellschaft, deren Merkmal gebundene Füße sind. Doch Jen selbst trägt einfache Holzschuhe, ein Zeichen ihres Wunsches, anders zu sein. Auch die Kleidung vermischt nun mehrere Stile. Erst in der Freiheit der Wüste und mit der Liebe zu Lo, der mit ihrem Wesen umzugehen vermag, weil es dem seinen gleicht, erscheint sie wirklich glücklich. Doch auch diese Idylle wird zerstört, da die Bindung zu ihrer Familie und den damit verbundenen Konventionen sehr stark ist. Jen arrangiert sich letztendlich mit ihrer erzwungenen Hochzeit, flieht dann aber mit dem grünen Schwert. Li und Yu verfolgen sie. Hierbei wird das Thema der verleugneten Gefühle wieder in den Mittelpunkt gerückt, weil es Li Mu Bai erneut nicht wagt, seinen Gefühlen gegenüber Yu Shu Lien Ausdruck zu verleihen.
Auf ihrer Reise kommen zudem ernste Zweifel an der Entscheidung Jens auf, denn auch wenn sie frei ist und einem Leben als Schwertkämpfer nachgehen kann: sie ist allein. Dies treibt sie in die Arme ihrer Freundin Yu Shu Lien zurück. Dieser Besuch mündet in der Peripetie und dem Klimax (Höhepunkt). Jen vermutet eine Falle, die sie die Freiheit kosten könnte, die ihr so wichtig ist. Die Handlung schlägt um: Jen wendet sich gegen ihre letzten wahren Freunde Li Mu Bai und Yu Shu Lien und treibt somit auf die Katastrophe zu.
Die Verschleppung Jens durch Jadefuchs verzögert dabei in Funktion des retardierenden Moments noch einmal die Handlung, die Spannung steigt.
In der Katastrophe findet der dramatische Konflikt schließlich seine Lösung. Die heilige Meisterbeziehung wird ad absurdum geführt, da Jadefuchs ihre eigene Schülerin töten will, wobei allerdings Li Mu Bai tödlich verletzt wird. Der große Meister wird durch eine winzige Nadel getroffen. Diese Schlüsselsituation beeinflusst beide Handlungsstränge: Jen erkennt ihre Fehler und auch Li Mu Bai gesteht Yu Shu Lien, sein ganzes Leben verschwendet zu haben, da er die Stimme seines Herzens nie wirklich beachtete. Die Frage nach dem Sinn des Lebens scheint geklärt, auch wenn die betreffenden Individuen gescheitert sind.
Denn dies sind sie definitiv: auch wenn Jen vergeben wird, ihr starkes Wesen kann sich selbst nicht verzeihen. Und obwohl sie nun das Ziel ihrer Wünsche erreicht hat, ein Leben mit Lo und der Unterricht im Wudang Kloster, wählt sie den Freitod, um ihre Seele zu reinigen. Mit dieser Katharsis schließt der Film und auch der Vergleich mit einem klassischem Drama.
Ich denke, es wurde auf diese recht ausführliche Art und Weise klar, dass hinter dem scheinbar so simplen Storygerüst dieses Filmes unglaublich viel versteckt ist. Jede kleine Geste scheint mit Bedeutung aufgeladen, kleinste Details wie die Schuhe einer Figur geben Auskunft über ihren Charakter und alles erscheint zu jedem Moment absolut glaubhaft und schlüssig, was die Story selbst in kleinsten Details zu einem kleinen Meisterwerk geraten lässt. Doch bisher haben wir nur an der Oberfläche gekratzt. Tauchen wir ein in die Geheimnisse von Ang Lees Meisterwerk ...

Der geschichtliche Hintergrund
Tiger & Dragon ist definitiv ein Fantasy Film, daher spielt eine geschichtliche Unterfütterung der Story eigentlich keine allzu große Rolle. Dementsprechend findet sich im Film auch nur eine bereits erwähnte Stelle, in der offensichtlich auf die geschichtliche Situation in dem damaligen China eingegangen wird. Aus dem Gespräch zwischen Tie Beile und Gouverneur Yu (und vor allem auch aufgrund ihres Äußeren) kann man schließen, dass die Handlung von Tiger and Dragon im frühen 19. Jahrhundert spielt. Einer Zeit in der sich China im Stadium der Feudalgesellschaft unter Kaiser Ch'ein-lung (ab 1769) befand, welcher Angehöriger der Quing Dynastie war. Die Quing Dynastie war die letzte der großen Herrscher-Dynastien in China, die von 1644-1911 die Kaiser stellte. Die Quing Herrscher stammten aus der Mandschurei, sahen sich gegenüber der chinesischen Bevölkerung als privilegiert und übten starken Druck auf die Chinesen aus. So mussten sich die Untertanen ihre Köpfe halb kahl scheren lassen und einen Zopf tragen, was der Haartracht der Herrscher entsprach. Und diese Frisur findet man in Tiger und Dragon bei fast allen männlichen Hauptfiguren, abgesehen von dem rebellischen, sich sämtlichen Zwängen entziehenden Lo.
Auch wenn das Volk den verschiedensten Repressalien ausgesetzt war, gelangen der Quing Dynastie nach Unsicherheit und Misswirtschaft am Ende der vorhergehenden Ming Dynastie viele Verbesserungen in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht. So führten sie die lebensnotwendig gewordenen Bewässerungsanlagen in China ein. Beherrscht wurde das gesamte Leben von der Philosophie des Konfuzianismus, der viele zwischenmenschliche Fragen aufwarf wie: Welchen Stellenwert hat der Mensch im Universum? Was ist also der Sinn des Lebens? Und: Wie finden die Menschen eine soziale Ordnung und Harmonie? Der Einfluss des Konfuzianismus auf das politische Leben stellte sich wie folgt dar: Die Machtstellung des Kaisers war durch den Konfuzianismus vorgegeben. Man spricht hierbei vom Staatskonfuzianismus, der sich im zweiten Jahrhundert v. Chr. herausbildete. Als Sohn des Himmels nahm der Kaiser eine Mittlerrolle zwischen Himmel und Erde ein. Vom Himmel erhielt er den Auftrag, die Welt, die man als Abbild des Kosmos begriff, zu ordnen. Ordnung herrschte immer dann, wenn die Glieder der menschlichen Gesellschaft - entsprechend den Himmelskörpern - den ihnen gebührenden Platz in einer Hierarchie von Über- und Unterordnung einnahmen. Kinder waren dem Vater, Frauen den Männern, Jüngere den Älteren und die Untertanen dem Kaiser untergeordnet und zu absolutem Gehorsam verpflichtet.
Nach Konfuzius soll der Herrscher kraft seiner Tugend als Vorbild für die Menschen dienen.
Genau diese strikte Ordnung und eben auch die Unterordnung unter Zwänge ist das Element, dass sich Ang Lee aus dieser Philosophie herausgenommen hat, um seine Charaktere dagegen rebellieren zu lassen.
In dem Gespräch klingt auch an, dass das Ende der herrschenden Dynastie bevorstehe und dies hatte fatale Folgen für China: Im Inneren begann China Ende des 19 Jahrhunderts zu stagnieren. Vor allem die letzten Qing Kaiser taten wenig, China mit Reformen weiter zu entwickeln. Die vielen großen technischen Erfindungen Chinas wurden nicht weiterentwickelt. Im 19. Jahrhundert geriet China immer stärker in die imperialistische Einflusssphäre des britischen Empire und anderer westlicher Mächte. Beim damals betriebenen Tauschhandel wurde von den Engländern vor allem Opium als Zahlungsmittel für den Tee benutzt. Die Folge war eine verheerende Ausbreitung der Opiumsucht. Die chinesische Regierung versuchte dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten und vernichtete 1839 eine Jahreslieferung an Opium, was zu den Opiumkriegen (1840 und 1860) mit den übermächtigen Engländern führte. China wurde nach seiner Niederlage gezwungen, die Insel Hongkong an England abzutreten und Shanghai praktisch den europäischen Handelskompanien zu überlassen. Der wachsende westliche Einfluss ließ ganz China fast auf die Stufe eines Kolonialstaates zurückfallen. Weitere Gründe für den Niedergang der Quing Dynastie waren die Bevölkerungsexplosion und die Taiping Revolution 1851 - 1864 unter der Führung von Dr. Sun Yat-sen, die eine der bedeutendsten Volksaufstände Chinas war und hervorgerufen wurde durch die Verarmung der Bevölkerung, Überschwemmungen, Dürren und daraus resultierende Hungersnöte. Dieser Aufstand wurde nach 14 Jahren von der Regierung niedergeschlagen, gilt aber dennoch als Anfang vom Ende der Feudalherrschaft. Nach der bürgerlichen Revolution 1911 wurde die Quing Dynastie dann endgültig gestürzt und dem mehr als 2000 Jahre über China herrschenden feudalen monarchischen System mit der Gründung einer provisorischen Regierung der Republik China ein Ende gesetzt.
Damit wissen wir, wo wir Tiger and Dragon zeitlich zu verorten haben. Irgendwo zwischen Blütezeit und allmählichen Untergang der Quing Dynastie. Wenden wir uns nun dem Begriff des Martial-Arts-Genres zu. Was ist das eigentlich für ein Genre?

Martial Arts
"Ich glaube, man ist kein echter Filmemacher, bevor man nicht einen Martial-Arts-Film gedreht hat." (Ang Lee) Aber hat Ang Lee wirklich "nur" einen Martial-Arts-Film gedreht, oder hat er es geschafft, selbst dieses alte Genre mit neuen Ideen zu beleben? Deshalb soll nun zunächst eine Abhandlung über den Martial-Arts-Film erfolgen, in dem wichtige Begriffe wie Wuxia, Wudang, Daoismus, und Kung-Fu eine Rolle spielen werden. Wo sollen wir bei diesem relativ umfangreichen Thema beginnen? Nun, ein kurzer Überblick über das Wuxia-Genre, sollte einen guten Einstieg darstellen.
Die Martial-Arts-Filme werden auf chinesisch Wuxia genannt. Der Begriff Wuxia stammt eigentlich aus der Literatur: "Wuxia xiaoshuo" ist der chinesische Genrebegriff für Romane, die von kriegerischer Ritterlichkeit oder Kampfkunst handeln. Im weltweiten Fachgebrauch hat sich allerdings für den Begriff der Kampfkunst die englische Bezeichnung "Martial Arts" eingebürgert. Verallgemeinernd nutzt man heute auch die Begriffe Kung-Fu-Filme oder Eastern für Filme des Wuxia-Genres. Wuxia lässt sich in mehrere Subkategorien unterteilen: Wuxia-Filme war zuerst vornehmlich für die chinesische Form des Ritterfilms reserviert, also für Filme über Schwertkämpfer, Schlachten, Soldaten- und Reiterkämpfe, die überwiegend an historischen oder pseudohistorischen Schauplätzen spielten. Etwa Mitte der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine andere Subkategorie: der Kung-Fu-Film, der den Faustkampf, im Sinne der chinesischen Kampfkunst Wushu, in den Mittelpunkt rückte. Im Hongkong Film gehören sowohl ein großer Teil des Horror- und Fantasy Films als auch Adaptionen von Wuxia in zeitgenössischen Stunt- und Actionfilmen und im Heldenfilmgenre zu dem Wuxia-Genre.
Was macht nun das Phänomen Martial Arts aus? Was sind seine Ursprünge, Bedeutungen und Klischees und was macht seine Attraktivität für den asiatischen Film aus? Im Martial-Arts ist Wissen Macht. Die Verbreitung dieses Leitspruches hat allerdings erst die Massenkultur erlaubt, denn in Wahrheit waren in der Vergangenheit Soldaten und Krieger in China eine verpönte, niedere und nicht selten verbotene Kaste, in der die meisten der Mitglieder nicht einmal lesen konnten. Man glaubt, im Zusammenhang mit diesem Leitsatz, dass eine wie auch immer geartete Technik eines Gegners mit einer Gegentechnik gekontert oder sogar aufgehoben werden kann. Der Beherrschung einer solchen Fähigkeit geht ein hartes Studium, große Selbstdisziplin und der Aufbau eines umfangreichen, nicht selten geheimnisumwitterten Informationsapparats voraus.
So wird in Tiger & Dragon auf das Handbuch der Wudang-Kampfkunst eingegangen, nach dem zum Beispiel Li Mu Bai sein Handeln ausrichtet und welches die Grundlage für seine Ausbildung durch seinen Meister (Storch aus dem Süden) war. Hier wären wir bei einem nächsten wichtigen Begriff in Bezug auf Tiger & Dragon angekommen und wollen nun einen kleinen Exkurs zu dem Thema Wudang und dem eng damit verbundenen Begriff des Daoismus unternehmen, um dann wieder zu dem Begriff des Martial-Arts-Filmes zurückzukehren.

Exkurs: Wudang und Daoismus
Der Begriff Wudang steht für den Namen eines Berges und eines Klosters, das sich auf ebenjenem befindet. In diesem Kloster findet der Film mit dem Tode Jens sein dramatisches Ende. Das Kloster stellt auch noch heute das Zentrum daoistischer Kampfkunst dar. In Europa ist der Shaolin Tempel wesentlich bekannter, wo die Mönche eine buddhistisch orientierte Kampfkunst begründeten. An den zugrundeliegenden religiösen Auffassungen sieht man, dass Wudang und Shaolin gegensätzliche Richtungen verkörpern. Der dem Wudang zugrundeliegende Daoismus basiert auf der Arbeit chinesischer Philosophen, die im 4. und 5. Jahrhundert v. Chr. damit begannen, Gedanken und eine Lebensweise zu beschreiben, die später unter dem Namen Daoismus bekannt wurden - der Weg des Wassers. Was das heißen soll, kann man vielleicht am besten verstehen, wenn man sich den Kreislauf des Wassers vorstellt. Wasser ist ein Element, dass sich hervorragend anpassen kann, das sowohl weich und nachgiebig als auch sehr stark und kraftvoll sein kann. Es ist ständig in Bewegung. Wasser kann ruhig dahin strömen oder auch mal ausbrechen und überlaufen, nur um dann wieder zurückzuweichen. Kurz - es ist wie das Leben.
Im Mittelpunkt dieser Philosophie stand die Beziehung des Menschen zur Welt und sein vernünftiger Umgang mit der Natur. Nach daoistischer Auffassung ist es notwendig, die Winde, die Gezeiten, die Strömungen, die Jahreszeiten und das Prinzip des Lebens zu verstehen. Deshalb muss jegliches Tun in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen geschehen.
Die Grundlage dieser Philosophie bildet der Gedanke, dass in allem Bestehenden zwei entgegengesetzte Prinzipien wirksam sind, ein männliches (Yang) und ein weibliches (Yin). Oder anders ausgedrückt: dieser Philosophie liegt die Annahme zugrunde, dass das Universum aus dem Zusammenspiel von zwei sich ergänzenden und zugleich entgegengesetzten Kräften besteht, dem Maskulinen und dem Femininen, dem Festen und dem Weichen, dem Aktiven und dem Passiven, dem Licht und dem Dunkel. Eine toller Umsetzung des Yin-Yang-Prinzips findet man in den Aufeinandertreffen von Li Mu Bai und Jadefuchs. Li Mu Bai ist als Held immer weiß gewandet und entspräche bei dem Yin-Yang-Zeichen dem Yang, dem Hellen, dem Licht. Doch in keinem Film kann das Gute ohne das Böse, das Dunkle existieren. Daher ist Jadefuchs bei beiden Aufeinandertreffen schwarz gekleidet und würde somit dem Schatten, der schwarzen Seite des Symbols, dem Yin entsprechen. Und wenn man dieses Prinzip konsequent auf den Film anwendet, ist der Tod Li Mu Bais nach Jadefuchs Ableben fast schon zwingend, denn nach der Auffassung, die hinter dem Yin-Yang-Prinzip steht, sind Yin und Yang nicht voneinander trennbar. Beide gemeinsam ergeben den "Tao", den Weg. Das eine kann ohne das andere nicht existieren, sie sind untrennbar miteinander verbunden. Für die Daoisten sind Gut und Böse, Schönheit und Hässlichkeit, Liebe und Hass untrennbar miteinander verbunden. Niemals kann eine Seite die Oberhand gewinnen oder behalten.
Der Mensch erreicht die Übereinstimmung mit dem "Tao", indem er nach seiner eigenen Natur lebt und sich von allen Lehren und von allem Wissen befreit. Aus dem Tao bezieht er mystische Kräfte (Tô). Diese machen es möglich, alle weltlichen Unterschiede, sogar den Unterschied zwischen Leben und Tod, zu überwinden.
Warum nun Ang Lee ausgerechnet den Wudang-Kampfstil einsetzte, dürfte durch diese Erklärung des Daoismus offensichtlich geworden sein. Denn wie fortfolgend dargestellt wird, spielt die Emanzipation der Figuren für Lee immer eine wichtige Rolle. Und was ist in diesem Zusammenhang idealer, als eine Kampfsportart zu wählen, die auf einer religiösen Sichtweise basiert, welche den Individualismus zu einer Zeit befürwortete, als der Konfuzianismus forderte, der Einzelne habe sich der Gesellschaft unterzuordnen. Außerdem kam der Ansatz mit den mythischen Kräften, die der Kämpfer erlangen kann, wenn er seinen "Tao" beschreitet, der Darstellung der schwerelosen Kämpfe sehr entgegen. Doch dazu gleich mehr.
Wie ist die Wudang-Kampftechnik entstanden? Hierbei beruft man sich auf eine Sage über Lu Dongbin (einen von 8 Tao Göttern) und Zhang Sanfeng (einen Tao Priester), die diesen Kampfstil gemeinsam entwickelt haben sollen. Wudang gilt gemeinhin als orthodoxe Schule des Kung-Fu. Jede Handlung muss schnell und intuitiv erfolgen, weshalb Wudang-Kämpfer jede ihrer Bewegungen durch ständiges Training perfektionieren. Der Kämpfer beobachtet seinen Gegner und führt jeden seiner Schritte als Antwort auf die Schritte des Gegners aus. Der taoistische Kämpfer handelt nach der Überlebens- und nicht nach der Angriffsstrategie. Wichtigste Eigenschaften der Wudang-Kampftechnik sind:
1.Flexibilität: Der Kämpfer verkörpert einen Bambushalm - weich und gleichzeitig fest. Das bedeutet, der Daoist weicht den Angriffen geschickt aus und handelt kraftsparend, bis der Gegner seine Energie verbraucht hat und schlägt ihn dann. Man spricht auch vom Sieg ohne zu kämpfen. In einem Dialog kann Ang Lee sogar den Vergleich eines Kämpfers mit einem Bambushalm einbauen. Ansonsten findet er viele bildliche Entsprechungen dieses Prinzips. Da wäre zunächst der erste Kampf zwischen Jen und Li Mu Bai. Li Mu Bai ist während des Kampfes die Ruhe selbst. Er greift so gut wie gar nicht an und reagiert nur sparsam auf die Attacken Jens, die mit der Zeit tatsächlich nachlässig, unvorsichtig und übereilt zuschlägt und immer mehr Fehler macht. Die wohl beste bildliche Entsprechung findet man in der Szene, in der sich Li Mu Bai und Jen auf einem Bambus-Halm gegenüberstehen. Dieser biegt sich zwar vollkommen durch, bricht aber nicht und hält das Gewicht der beiden. Li Mu Bai steht auf der leicht dahinschwingenden Spitze, ruhig und besonnen und verkörpert somit das Weiche. Doch kaum bemerkt er einen Moment der Schwäche, attackiert er Jen, der Bambushalm geht sofort in seine (harte) Ausgangsstellung zurück. Ein besseres Bild für die Auffassung, dass der Kämpfer einem Bambushalm entspricht, konnte man kaum finden. Denn genau wie der Halm ist Li Mu Bai zugleich weich und fest.
In dieser Szene findet der kundige Genre-Fan eine offenkundige Hommage an einen Klassiker des Martial-Arts-Genres: "Touch Of Zen" von King Hu. In diesem Film wurde das erste mal mit scheinbar schwerelos "fliegenden" Kämpfern gearbeitet. Der Film selbst gilt als Wegbereiter für die modernen Martial-Arts-Fantasy-Filme, ohne den Streifen wie "A Chinese Ghost Story", "Peking Opera Blues", "Iron Monkey" oder "Once Upon A Time In China" nicht denkbar gewesen wären. Allerdings fand bei King Hu der Kampf IN und nicht AUF dem Wald statt! Des weiteren passen Schwertkampf und Bambus rein bildlich auch sehr gut zusammen. Denn in jedem noch so harten Schwert steckt auch immer Elastizität.
2.Leichtigkeit: Hier sei das Ching Gong erwähnt. Man spricht hierbei von dem erleuchteten Kung-Fu, wobei die Kämpfer nicht fliegen, sondern einen "Sprung ohne Gewicht" ausführen. Dies geschieht in Tiger & Dragon in so gut wie jeder Kampfszene. Von diesen gewichtlosen Sprüngen gibt es zwei Formen: eine Art Hochsprung (z.B.: Häuserwände hoch) und eine Variante, bei welcher der Körper leichter wird und nahezu zu fliegen scheint. Die Grundlage für diese Sprünge ist das Erreichen der Erleuchtung, wodurch der Kämpfer leichter wird, da sich seine Körperdichte ändert. Das innerhalb des Wudang auch mystische Kräfte eine Rolle spielen können, wurde ja bereits erwähnt.
Außerdem seien noch folgende Grundsätze erwähnt, die sich ebenfalls in fast allen Kämpfen des Filmes wiederfinden: Besonnenheit, Umkehr, Beständigkeit, Präzision.
Damit sei der Exkurs über Wudang und Daoismus abgeschlossen und wir wollen uns nun wieder den Martial-Arts zuwenden.
Exkurs Ende

Das Wuxia Genre hatte schon vor seinem filmischen Siegeszug eine lange Tradition in der chinesischen Kunst- und Literaturgeschichte hinter sich. Geschichten über den chinesischen Ritter, den 'Xia', waren für das chinesische Publikum weitaus attraktiver, als es die vergleichbare Ritterromantik für westliche Zuschauer oder Leser war. Der Xia war ein fahrender Ritter, der aus jeder Gesellschaftsschicht stammen konnte. Im Wuxia selber ging es somit um Ritterlichkeit, der das Konzept des fahrenden Ritters zu Grunde lag. Viele dieser Rittergeschichten waren literarische Erzählungen von Gelehrten, andere waren einfach mündlich übertragene Geschichten in volkstümlicher Sprache oder einfachen Versen. Im 17. Jahrhundert hatten sich diese Formen zu einem blühenden literarischen Genre entwickelt, das sich auf herumziehende Krieger(innen) bezog, welche sich durch Mut, Ehrgefühl und Kampfgeschick auszeichneten. Mit der Zeit kamen magische Elemente in dem Genre dazu. Die Helden konnte plötzlich Feuerbälle schleudern oder den bereits erwähnten gewichtlosen Sprung ausführen. Auch fanden Geschichten über Geister und Dämonen, Besuche im Totenreich, weibliche Fuchsgeister, hüpfende Vampire und Exorzismus reißenden Absatz. Eine Enzyklopädie namens "Erweiterte Aufzeichnungen aus der Taiping-Ära", die eine Sammlung von übernatürlichen Erzählungen und Rittergeschichten darstellte und um 976-983 zusammengestellt wurde, enthielt schon alle Phänomene, die bis heute für Wuxia charakteristisch sind: neben der Kampf- und Schwertkunst tauchen ganz besonders das "Auf-Dachvorsprünge-fliegen-und-auf-Mauern-laufen", das Fliegen und Verschwinden auf. Anfang des 20. Jahrhunderts traten die ersten Autoren für den Massenkonsum auf. In den 50-iger Jahren revolutionierte die bisher letzte Generation von Wuxia-Autoren das Genre. Seinen letzten großen Boom erlebte das gedruckte Genre in den neunziger Jahren auf dem Comic-Sektor, in Form der japanischen Mangas.
Das Wuxia-Genre befand sich in einem konstanten Wechselwirkungsprozess. Es wirkte auf ein Publikum ein, das zu einer Gesellschaft gehörte, welche ständigen Wandlungen unterworfen war. Diese Wandlungen wiederum nahmen Einfluss auf das Genre. In der späten Tang Dynastie kursierten Rittergeschichten in einer Bevölkerung, die sich von den damaligen Warlords zu befreien versuchte. In den Yuan und Song Epochen bestand unter einer korrupten Regierung und unter Fremdherrschaft das Verlangen nach Vertretern der Gerechtigkeit. In den Ming und Quing Epochen kämpften die Ritter auf Seiten des Gesetzes, wie es das konfuzianische Zeitalter von ihnen verlangte. Mit dem Niedergang der chinesischen Stärke im 19. Jahrhundert spiegelte sich in der Literatur das Wunschdenken einer Nation wieder und für die Neuzeit stellt Wuxia weitgehend eine Alltagsfluchtmöglichkeit dar, die auch ihren Eingang in den Film gefunden hat.
In den siebziger Jahren kamen Martial-Arts zum ersten Mal in die Nähe der Definition von "Technologie", denn Bruce Lee oder Jackie Chan verwandelten sich durch Martial-Arts in Kampfmaschinen. Bruce Lee galt gar als Verkörperung einer "totalen Waffe" und er wurde zu einer Identifikationsfigur. Den Hauptabsatzmarkt für die Kung-Fu-Filme der siebziger Jahre, die man im Westen als Eastern bezeichnete, stellten China und ethnische Randgruppen westlicher Gesellschaften dar. Anti-westliche Züge in den Bruce Lee Filmen machten ihn und seine Filme speziell in den USA bei Immigranten, Puerto Ricanern und Schwarzen beliebt. Bruce Lee war dort zu einem Idol avanciert. Seine Gesten und Kampftechniken wurden kopiert und nachgeahmt.
Bruce Lee und Martial Arts repräsentierten insbesondere für die Chinesen, die sich durch Kolonisation und Imperialismus vom Westen gedemütigt sahen, eine Art Rückgewinn ihres Ehrgefühls. Beinahe legendär ist die Stelle in "Todesgrüße aus Shanghai", als Bruce Lee das Schild mit der Aufschrift 'Zutritt für Hunde und Chinesen verboten' zerstört.
Aber Bruce Lee war beileibe nicht der einzige Kung-Fu-Star: David Chiang und Ti Lung standen ihm an Popularität in nichts nach und gelangten sogar schon vorher zu Starruhm. "Die tödlichen Zwei", so der Titel einer ihrer Filme, ist bezeichnend für ihr Schaffen, zog doch mit diesem Film die Männerfreundschaft in das Hongkong Kino ein. Die Kampfszenen in ihren Filmen wurden noch nicht durch bestimmte Kampftechniken oder einen Stil bestimmt. Im Mittelpunkt standen die Dynamik der Bewegungen sowie eine flüssige Choreographie. Ähnlich bekannt wie David Chiang und Ti Lung waren damals auch Angela Mao Yin, Alexander Fu Sheng oder Jimmy Wang Yu. Es folgte eine Ära von Filmen, in denen fast lehrfilmartig richtige chinesische Kampfstile auftraten.
Mit der amerikanischen Fernsehserie "Kung Fu" (1972 - 1975) fand der Kung-Fu-Film seinen Weg in die internationalen Wohnzimmer. David Carradine spielt den Shaolinmönch Kwai Chang Caine, der vor den kaiserlichen Häschern in die USA flieht. Für die Originalserie war eigentlich Bruce Lee vorgesehen, doch die amerikanischen Produzenten wollten keinen chinesischen Hauptdarsteller. Dafür tritt 20 Jahre später Lees Sohn Brandon in "Kung Fu - Der Film" als Caines verschollener Sohn auf. Neben ihrer Bedeutung für die Filmgeschichte beeinflussten die Filme aus Hongkong auch das kulturelle Leben der westlichen Welt. In den 70-iger Jahren gab es einen wahren Run auf Kampfsportschulen. Der Musik Hit "Kung Fu Fighting" und ein Bruce-Lee-Starschnitt in der Jugendzeitschrift "Bravo" sollen hier stellvertretend für die Kung-Fu-Hysterie in diesen Jahren stehen.

In den achtziger Jahren existierten zwei Strömungen innerhalb des Wuxia Genres. Während man in historischen Wuxia oder Fantasy Produktionen aus Hongkong häufig auf die Entstehungsgeschichte von Kung-Fu oder die Techniken des Erlernens und ihrer korrekten Ausübung trifft, wird in Adaptionen von Wuxia in zeitgenössischen Action- oder Gangsterfilmen das Wissen um martialische Techniken und Strategien sowie um zugrundeliegende gesellschaftliche Strukturen einfach vorausgesetzt. Somit setzten diese Filme Wissen voraus, mit dem nur gewisse Bevölkerungsschichten wie Sportler oder Fangruppierungen vertraut waren. Dies war ein Grund dafür, dass Martial-Arts-Filme im Westen lange nur ein relativ zweitklassiges Dasein führten. Dafür wurde 1982 durch den Film "Shaolin Temple" die Kung-Fu-Begeisterung in der Volksrepublik China, die in den 70-iger Jahren Kung-Fu als "Unfug aus der Zeit des Feudalismus" ideologisch verdammte und daher die Kung-Fu-Filme Hongkongs auch nicht beachtete, ausgelöst. Der Hauptdarsteller und chinesische Wushu-Weltmeister Jet Li wurde zum nationalen Idol in China und zu der zentralen Figur des Kung-Fu-Films. Kung-Fu wurde nun offiziell als Sport mit positiven charakterbildenden Eigenschaften eingestuft und gefördert. Selbst in den entferntesten Provinzen Chinas entstanden neue Kampfschulen. 1983 stemmt die Volksrepublik mit "Kung-Fu: Die Tochter des Meisters" ihren ersten Kung-Fu-Film in Eigenproduktion. Während in China Kung-Fu-Filme boomten, spielten sie im Hongkong der 80-iger Jahre kaum noch eine Rolle. Dennoch fanden Kung-Fu-Szenen nach wie vor Eingang in die verschiedensten Action-, Kriminal-, Geister- und Gangsterfilme. Auch die Actionfilme des Schauspielers und Regisseurs Jackie Chan wären ohne atemberaubende Kampfszenen undenkbar. Chan nutzte die Zeit, um seine frühen Kung-Fu-Komödien weit hinter sich zu lassen und statt dessen eine eigene, dynamische Körpersprache zu entwickeln, die er mit - für ein westliches Publikum teils seltsam anmutenden - Slapstickeinlagen verband.
In den 90-iger Jahren wurde Wuxia zu einem Ausdruck und Phänomen der chinesischen Massen- und Populärkultur. In der Massenkultur verstärkten die Rezipienten den Gattungscharakter von Wuxia noch, da sie zumeist ein abgeschlossenes Zielpublikum darstellten, das mit der Terminologie und allen typischen Strukturmustern vertraut war. Das Wuxia wurde zu einem Genre, mit dessen Elementen insbesondere Chinesen vertraut waren. Am wichtigsten war diese Epoche aber vor allem in Hinblick auf die Tatsache, dass der Kung-Fu-Film seine Wiedergeburt in Hongkong erlebte, denn mit dem Film "Once Upon A Time In China" erweckte Regisseur und Produzent Tsui Hark 1991 das Kung-Fu-Genre in Hongkong zu neuem Leben. Die beiden Hauptdarsteller Jet Li und Yuan Biao zeigten in dem Film, der von dem chinesischen Nationalhelden Wong-Fei-Hong erzählte, Kämpfe von atemberaubender Rasanz, die neue Maßstäbe für die nachfolgenden Filme setzten. Die Schöpfer des Filmes verbanden Kampftechniken verschiedener Stile mit Akrobatik, gewagten Stunts, aufwendigen Tricks und geschickten Schnitten. Ähnlich wie Bruce Lee ist auch Jet Li längst nicht der einzige Kung-Fu-Star seiner Zeit. Es gibt Unmengen an modernen Kung-Fu-Kämpfern, wie zum Beispiel Yu Rong Guang oder Donny Yen.
In der Folge entstanden wahre Meisterwerke des Genres wie "Jiang Hu-Magie des Schwertes", "A Chinese Ghost Story", "Iron Monkey", "Tai-Chi", "Chinese Swordsman" oder "The Blade" geschaffen von Regisseuren wie Ching Siu Tung, Ronny Yu, Yuen Woo Ping oder eben Tsui Hark, der als Regisseur und Produzent eigentlich an fast allen wichtigen Werken des 90-iger Jahre Kung-Fu-Films beteiligt war. So viel zu dem Thema Martial Arts im Film. Aber hat nun Ang Lee eigentlich einen typischen Martial-Arts-Streifen gedreht?
Ist Tiger und Dragon ein typischer Martial-Arts-Film?
Die Antwort lautet: Ja und Nein.
Ja, weil sich Ang Lee sehr an die verschiedensten Klischees des Genres gehalten hat und sich so vor dem Genre verbeugt So stellt er Figuren in den Mittelpunkt, die immer unterwegs sind und selten an einem Ort verweilen, was vor allem an Li Mu Bai offensichtlich wird, der wohl am ehesten dem Bild des fahrenden Ritters entspricht. Alle Figuren sind geübt in der Anwendung von Martial-Arts, wenn auch von verschiedenen Kampfstilen. Die Kämpfer nennen vor jedem Kampf den Namen ihres Meisters, was ein Ritual (das Men Hu) darstellt, das in fast allen Kung-Fu-Filmen vorkommt. Auch kommt es in den Kämpfen vor, dass ein Kämpfer den Stil des anderen nach ein oder zwei Griffen, Tritten genau benennen kann, was in den frühen Kung-Fu-Filmen gerne eingesetzt wurde. Auch der Einsatz von Akupressur, dass heißt die Lähmung des Gegners, indem man ihm - mit schnellen Griffen - verschiedene Nerven abklemmt, ist ein wichtiges Versatzstück in den Kung-Fu-Filmen. Häufig verwendet man in Kung-Fu-Filmen anstelle von Akupressur Akupunktur, wobei Nadeln eingesetzt werden, um verschiedene Nervenzentren zu lähmen oder anzuregen. Auch das häufige Vorkommen des Meditationsbegriffes ist eine Verbeugung vor dem Genre, denn schon in vielen anderen Kung-Fu-Filmen wurde die Macht der Meditation von den Kämpfern eingesetzt, um ihre Körper unangreifbar zu machen oder um ihren Tod herauszuzögern. Eine weitere Reminiszenz an die Martial-Arts-Filme stellt eine Szene dar, in der der Polizeiinspektor Tsai einen Pfeil mit seinen Essstäbchen fängt. Schon in anderen Filmen des Genres wurden Essstäbchen gerne als Waffe eingesetzt. Das aktuellste Beispiel dürfte der Film "Kiss Of The Dragon" sein, in dem Hongkong Superstar Jet Li einem Gegner die Stäbchen durch den Unterkiefer in den Kopf treibt. Die Prügelei in dem Gasthaus im Laufe der Emanzipationsfahrt von Jen ist die Ansammlung von Klischees überhaupt. Jeder in dem Gasthaus kann Kung-Fu. Alle sind jederzeit rauflustig. Die kleinste Beleidigung reicht als Kampfgrund. Das Vorstellen der Meister (Men Hu) wird hier geradezu zelebriert und das gesamte Restaurant wird bei dem Kampf zerstört. Hier wird das Bild, das viele im Westen von China haben, bestätigt: Jeder kann Kung-Fu und der Chinese an sich hat nichts anderes zu tun, als kämpfend herumzuhampeln. In diesen Szenen ist man geneigt zu denken, dass Ang Lee uns wegen diesem Schablonendenken auslacht. (In der Gasthausszene ist Ang Lee bei aller Perfektion übrigens ein Anschlussfehler passiert: Bei der Schlägerei stürzt eine "Brücke" in dem Gasthaus in Großeinstellung ab und schon in der nächsten Szene in dem Gasthaus ist sie wieder da, wo sie hingehört.) Als offensichtlichste Hommage an den Kung-Fu-Film der Anfangszeiten kann man die bereits erwähnte Kampfszene in dem Bambushain verstehen.
Kommen wir nun zu den Punkten, die neuen Wind in das Genre gebracht haben und eigentlich untypisch für Martial-Arts-Filme sind. Da wäre zunächst die Schüler Meister Beziehung, die den Film durchzieht. Dieses Motiv ist prägend gewesen für die alten Kung-Fu-Filme. Nur wollten in den früheren Martial-Arts-Filmen junge, unbeherrschte, eventuell ungerecht behandelte Männer einen Meister finden, der sie in einer Kampftechnik ausbildet, so dass sie sich rächen oder im Leben behaupten können. Doch Ang Lee führt dieses Prinzip ad absurdum. Ist Li Mu Bai seinem Meister offenkundig noch extrem verbunden, da er ja seinen Tod rächen will, ist er es, der Jen ausbilden will. Nicht der Schüler kommt zum Meister, sondern der Meister wünscht sich einen Schüler. Dieser Kniff ist für Martial-Arts-Filme eher ungewöhnlich. Die starke Charakterisierung der Figuren stellt auch ein Novum im Martial Arts Genre dar. So lässt sich Ang Lee fast 15 Minuten Zeit, bevor es überhaupt zu einem Kampf und dem handlungsauslösendem Ereignis kommt. In den meisten Streifen dieses Genres ist es normalerweise eher so, dass innerhalb kürzester Zeit ein bestimmtes Ereignis, das meist mit einem Kampf verbunden ist, zum Auslöser der Handlung wird. Des weiteren ist bei Wuxia Filmen der letzte Kampf der Höhepunkt und zugleich das Ende dieser Filme, aber Tiger & Dragon geht auch hier andere Wege und endet erst 15 Minuten nach dem eigentlichen Höhepunktkampf. Ungewöhnlich - und mit der starken Charakterzeichnung des Filmes eng verbunden - ist die Tatsache, dass der Bösewicht Jadefuchs kein Bösewicht im eigentlichen Sinne ist. Sie handelt aus menschlichen und nachvollziehbaren Gründen. Auch das Ende ist ziemlich ungewöhnlich. So stirbt der absolut gute Held und große Meister des Wudang-Kampfstiles durch eine winzige Nadel. Der Tod selbst und die Art des Sterbens ist für das Genre extrem ungewöhnlich. Kein Heldentod, keine Selbstopferung für einen guten Zweck. Nichts dergleichen. Und dass auch die Figur der Jen, die dem Zuschauer - trotz ihrer offensichtlichen Schwächen - während des Filmes immer mehr ans Herz wächst, ebenfalls nicht den Zustand des Glückes erreicht, den man ihr wünscht, ist alles andere als die Regel.
Kommen wir nun zu dem Punkt, der für das überwiegend männlich geprägte Genre des Kung-Fu-Filmes die größte Novität darstellt. Die Rede ist von den unglaublich starken Frauenfiguren des Filmes, die hier aus dem Schatten der sonst eher übermenschlich agierenden männlichen Kämpfer heraustreten und sich emanzipieren. Doch bevor wir auf diesen Gedanken näher eingehen, wollen wir den Mann in den Mittelpunkt rücken, der für diesen Kniff innerhalb des Genres verantwortlich zeichnet.

Der Regisseur und seine Vision
Die Rede ist natürlich von dem Regisseur Ang Lee. Er wurde am 23. Oktober 1954 in Pingtun, Taiwan geboren. 1978 siedelte er in die USA über, wo er erst an der "University of Illinois" Theaterwissenschaften studierte, bevor er einen weiteren Abschluss im Bereich Filmproduktion an der "New York University" machte. 1983 gewann er den Preis für die beste Filmerzählung beim "Golden Harvest Film Festival" in Taiwan für seinen Film "Dim Lake". Während seiner Studienzeit inszenierte Lee "Fine One", einen 45-minütigen Film, der 1985 beim "NYU Film Festival" mit den Preisen für den "Besten Regisseur" und "Besten Film" ausgezeichnet wurde. Ang Lees erster Spielfilm wurde 1992 "Pushing Hands", der den ersten Teil von Ang Lees "Father Knows Best" Trilogie bildete, welche mit "Das Hochzeitsbankett" fortgesetzt wurde und mit "Eat Drink Man Woman" ihren Abschluss fand. Insbesondere "Das Hochzeitsbankett" erlebte einen internationalen Siegeszug und wurde zu einem Kritikererfolg, der sogar Kasse machte. "Variety" bezeichnete ihn als "profitabelsten Film des Jahres" und er wurde sowohl bei den "Oscars" als auch beim "Golden Globe" in der Sparte "Bester fremdsprachiger Film" nominiert. In Taiwan erhielt "Das Hochzeitsbankett" fünf "Golden Horse Awards", einschließlich "Bester Film" und "Beste Regie". "Eat Drink Man Woman" wurde ebenfalls für einen "Oscar" und einen "Golden Globe" nominiert. 1995 inszenierte Ang Lee "Sinn und Sinnlichkeit" (Sense and Sensibility), mit Emma Thompson, Hugh Grant und Kate Winslet in den Hauptrollen, nach einem Drehbuch von Emma Thompson. Der Film wurde für sieben "Oscars" nominiert und erhielt einen in der Sparte "Bestes Drehbuch". Bei den "Golden Globes" gewann er in den Kategorien "Bestes Drehbuch" und "Bester Film". Die Jane-Austen-Adaption wurde in über hundert Listen mit den zehn besten Filmen des Jahres 1995 genannt - darunter die von den New Yorker Filmkritikern. 1996 widmete sich Ang Lee seinem ersten Film, der sich ausschließlich mit einer amerikanischen Thematik befasste: "Der Eissturm" (The Ice Storm), mit Kevin Kline, Sigourney Weaver, Christina Ricci und Joan Allen in den Hauptrollen. 1999 inszenierte Ang Lee mit "Ride With The Devil" einen Western aus der Bürgerkriegszeit. In dem Film sind unter anderem Skeet Ulrich, Tobey Maguire, Jewel, Jonathan Rhys Meyers, James Caviezel und Tom Wilkinson zu sehen. Auf Tiger & Dragon folgten dann die Comicverfilmung Hulk (die einem bewegten Comicstrip mit Ideen wie Splitscreens so nahe kam, wie kaum eine andere Comicverfilmung zuvor) und der Western Brokeback Mountain, der mit diversen Machoklischees des Westerns ein Halbes machte.
Doch hier geht es ja um Tiger & Dragon, ein Film, der verblüffend starke Frauenfiguren in den Mittelpunkt stellt. In einem Interview auf den Umstand, dass Li Mu Bai im Vergleich zu den Frauen fast schon wie ein Weichei wirken würde, befragt, gibt Lee freimütig zu: "ich bin das selber. Und ich empfinde es als Erleichterung, das zugeben zu können. Ich wurde auf eine sehr männlich-chauvinistische Art erzogen. Mein Vater war so, und meine Mutter war ein nachgiebiger Frauentyp. Ich stellte dann fest, dass ich in meinem eigenen Leben mehr auf starke Frauen stand, Frauen mit Mumm, welche für mich sorgen, die Entscheidungen treffen, sodass ich in meine Fantasien flüchten, meine Filme machen kann. Der Martial-Arts-Film ist ein sehr männliches Genre. Ich wollte dieses Genre, die patriarchalische und repressive Gesellschaft in China einmal aus weiblicher Sicht beleuchten. Das gab es vorher praktisch nicht." Diese starken Frauenrollen sind ein Markenzeichen der Filme von Ang Lee: In "Das Hochzeitsbankett" heiratet der Hauptcharakter die mittellose Künstlerin Wei-Wei, die daraufhin eine Green Card für ihren Aufenthalt in den USA erhält. Nachdem der Schwindel des Hauptdarstellers (Erklärung folgt) auffliegt, beschließt Wei-Wei ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. In einem Dialog mit der Mutter des Hauptdarstellers erfährt man dann, dass diese sich in ihrer Jugend nichts sehnlicher gewünscht hätte, als so frei zu sein, wie es nun Wei-Wei ist (die Parallelen zu den Auffassungen Jens sind unübersehbar.). In Sinn und Sinnlichkeit findet man ebenfalls solch starke Frauenfiguren. In dem Film verspricht der Erstgeborene John seinem Vater, dass er seine Stiefmutter und die drei Halbschwestern finanziell unterstützten werde, vergisst aber unter dem Einfluss seiner gierigen Gattin sein Ehrenwort und jagt das Quartett aus dem väterlichen Schloss. Damit beginnt das Elend der zweiten Gattin und deren Töchter, denn als Frauen steht ihnen im England des frühen 19. Jahrhunderts nur eine kleine Rente zu. Diese jedoch machen aus ihrer Not das Beste. Sie schaffen es, in aller Ruhe ein beschauliches Leben zu führen und das trotz finanzieller Probleme und der geringen Akzeptanz durch die Gesellschaft. Im "Eissturm" gibt es mehrere starke, weibliche Charaktere. Doch insbesondere die Figur, die Sigourney Weaver in dem Film verkörpert, ist sich ihrer Wirkung auf Männer und der daraus resultierenden Macht über ebenjene absolut bewusst und setzt sie auch ein. Einzig in "Ride With The Devil" erscheint die, von der Sängerin Jewel verkörperte, Frauenfigur seltsam blass und schwach charakterisiert, wobei man hier nicht genau weiß, ob aufgrund der schauspielerischen Leistung der Sängerin nicht vielleicht einige wichtige Szenen der Schere zum Opfer gefallen sind. Von einem Zerwürfnis zwischen Lee und Jewel war in diesem Zusammenhang häufig zu lesen. Auch in seinem Film Hulk gibt es eine Frau, die den grünen Wüterich zur Räson zu bringen vermag. Zwar bleibt Jennifer Connelly in der Rolle seltsam blass, es wird aber hier klar ersichtlich, worauf Lee hinauswill, vor allem dank starker Bilder wie einem zusammenschrumpfenden Hulk vor einer zerstörten Skyline ... ihm gegenüber das beruhigende Antlitz seiner Angebeteten. Selbst in seinem für Furore sorgenden schwulen Cowboyfilm Brokeback Mountain vermochte es Ang Lee zwei wirklich starke Frauenfiguren zu lancieren!

Kommen wir nun zu dem zweiten Motiv, das jeden Film Ang Lees durchzieht. Er selbst bezeichnet es gern als Emanzipation der Figuren. Es geht also um die "Spannungen zwischen Tradition und Selbstbehauptung, zwischen Konvention und Rebellion", um den "Weg hinaus aus alten Bindungen, die das Leben einengen"
So findet in "Das Hochzeitsbankett" am Ende des Filmes die Hauptfigur den Mut, seiner Familie die Tatsache zu beichten, dass er schwul ist: Wai Tung besitzt die amerikanische Staatsbürgerschaft und verdient gut im Immobiliengeschäft. Doch bisher hat es der gebürtige Taiwanese nicht gewagt, seinen Eltern einzugestehen, dass er mit seinem schwulen Freund Simon zusammenlebt. Um auch den letzten Wunsch der Eltern zu erfüllen, will Wai Tung eine Scheinehe mit der mittellosen Künstlerin Wei-Wei eingehen - was sich auch für diese lohnt, da ihr die Eheschließung die langersehnte Green Card verspricht. Doch als die Eltern aus Taiwan anreisen und eine standesgemäße chinesische Hochzeitsfeier organisieren, droht der Schwindel aufzufliegen. Im Verlaufe des Filmes merkt man, dass vor allem die Mutter von Wai Tung sehr geprägt ist von der Angst, dass andere schlecht über sie oder ihre Familie denken könnten und auch von dem Vater denkt man zu Beginn, dass er den gesellschaftlichen Traditionen sehr verbunden sei. Doch am Ende ist es ausgerechnet er, der seinen Sohn dazu auffordert, sich seiner Mutter gegenüber zu outen, da er seinem Sohn und dessen Geheimnis im Laufe des Filmes sehr schnell auf die Schliche gekommen ist. Als der Vater beinahe einem Herzinfarkt anheim fällt, fasst der Sohn all seinen Mut zusammen und beichtet seiner Mutter im Krankenhaus seine Neigung und macht ihr klar, dass er nur auf diese Weise glücklich werden könne.
Auch in "Sinn und Sinnlichkeit" findet man das Motiv der Emanzipation wieder. In diesem Film sind es übrigens die Männer, die entweder schon jemand anderem versprochen sind oder um des Geldes willen heiraten, weil ihnen sonst Enterbung durch die Familie droht. Nicht die Liebe ist das Maß der Dinge, sondern das finanzielle Kalkül der oberen Gesellschaftsschichten. Die Hochzeit ist nichts anderes als ein Geschäft und Hochzeiten aus Liebe kommen zwar durchaus vor, sind aber selten. Insbesondere die von Kate Winslet und Emma Thompson dargestellten Figuren der Elinor und Marianne sind es, die ihrem Herzen folgen und versuchen, gegen diese Missstände der Gesellschaft ankämpfend, ihre wahre Liebe zu finden, was ihnen dank des arg kitschigen Drehbuches auch gelingt.
Im "Eissturm" ist es vor allem der Charakter von Joan Allens Figur, die im Connecticut des Jahres 1973 versucht aus ihren Grenzen, die ihr der bürgerliche Moralkodex aufzwingt, auszubrechen. Sie will weg von ihrer Rolle als Mutter beziehungsweise Hausfrau, die nichts anderes zu tun hat, als für den Mann und die Kinder zu sorgen. Diese Befreiung geht ganz allmählich vonstatten. Zunächst meint sie in dem Diebstahl von Kosmetika einen geeigneten Weg zu finden, was aber prompt schief geht. Indem sie sich von ihrem Mann trennt und in die Arme eines anderen flüchtet, scheint sie ihr Ziel erreicht zu haben. Aber auch die anderen Frauen in dem Film sind allesamt sehr stark und lassen sich von den gesellschaftlichen Konventionen nicht einzwängen. Da wären noch die Charaktere der bereits genannten Sigourney Weaver und Christina Ricci zu erwähnen.
In dem Film "Ride With The Devil" ist es ein Schwarzer namens Holt (Jeffrey Wright), der für die Südstaaten(!!!) kämpft und so seine Freiheit erlangt. Dass Schwarze im amerikanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Südstaaten kämpften, ist übrigens geschichtlich verbürgt. Sie taten das entweder aus Loyalität zu ihrem Herren oder um den Norden näher zu kommen und dann die Gelegenheit zu nutzen, zu den Nordstaaten überzulaufen. Genauso verhält es sich in "Ride With The Devil". Über den Kampf erlangt der Charakter Jeffrey Wrights seine Freiheit, da er im Verlauf der Kämpfe immer näher an die Nordstaatengrenze gelangt. Doch der Emanzipationsansatz lässt sich auch auf die restlichen Figuren übertragen, die allesamt sehr jung sind und sich in der Phase des Lebens befinden, in der ihre Persönlichkeit am stärksten geformt / geprägt wird. Durch den Krieg werden sie zu Männern geformt, die an ihr weiteres Leben ganz andere Ansprüche stellen, als sie es vor dem Krieg getan haben. Familie und ein friedliches Leben werden wichtiger als die Abenteuerlust, die der Krieg nur zu Beginn wirklich befriedigen konnte. Auch seine Folgefilme trugen das emanzipatorische Element/das herausbrechen unterdrückter Gefühle in sich. Als ultimatives Sinnbild dafür steht der grüne Wüterich wie ein Fels in der Brandung. Und auch Brokeback Mountain bediente sich dieses Motivs und zwar anhand mehrerer Figuren. Nämlich mittels der beiden Cowboys und mittels einer der Ehefrauen der beiden unglücklich Verliebten.

Dieses Emanzipationsmotiv findet man auch in Tiger & Dragon und zwar vor allem anhand der Figur der Jen, was aus der Inhaltsangabe und dem Vergleich des Filmes mit einem Drama bereits ansatzweise hervorgegangen sein sollte. Sie ist es, die nach Freiheit strebt, sich keinen gesellschaftlichen Konventionen unterwerfen will, sich nicht vorschreiben lassen will, wen sie lieben darf und wen nicht und die genauso frei sein will wie die Rebellen der damaligen Zeit.
Zusammenfassend erscheinen folgende Stellen als wichtig, da sie die Entwicklung des Charakters von Jen aufzeigen. In ihrem ersten Auftritt ist sie bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und in einem engen Kleid gefangen. Bereits hier findet man ein Merkmal, das zeigt, dass sie anders sein will. Als Dame der Gesellschaft müsste sie gebundene Füße haben, aber Jen trägt nur Holzschuhe. Man erfährt, dass sie jemandem versprochen ist, aber auch, dass sie sich nach Freiheit und Unabhängigkeit zu sehnen scheint, was hier aber nur kurz angesprochen wird. Schon bei ihren ersten Auftritten erfahren Zuschauer mit geschultem Blick indirekt, dass sie bestimmte Kampfsportarten beherrschen muss, was für ein Mädchen gehobener Klasse und in jener Zeit sehr untypisch ist. Und zwar bläst Jen in betreffender Szene eine Kerze aus. Die Handhaltung bei diesem Vorgang ist das verräterische Element, da man daran erkennen kann, dass sie die Kampfkunst Chi Gong beherrscht. Einige Bemerkungen Jens in Hinsicht auf ihre Hochzeit zeigen deutlich, dass sie mit dem Vorgang des Verheiratetwerdens so ihre Probleme hat. Auch die Kalligraphieübung gibt uns einen Einblick in Jens rebellischen Charakter. Sollten diese Schriftzeichen eigentlich geradlinig und klar aussehen, sind sie bei Jen geschwungen und aus dem Ruder laufend, was deutlich anzeigt, dass hier ein freier Geist in einem durch gesellschaftliche Konventionen gebundenen Körper lebt. Dieser Eindruck wird immer weiter verstärkt. Jen wird ein trotziger, rauflustiger und sich nach Freiheit sehnender Charakter, der seine Ziele mit allen Mitteln durchsetzen will. Allerdings ist sie auch zu Liebe fähig, was vor allem in der Wüstensequenz deutlich wird und sie ist bereit, auch Fehler einzusehen, woran man erkennt, dass sie charakterlich mit der Zeit immer mehr reift.
Nach der Flucht vor ihrem Ehemann geht sie auf eine große Reise, um ihre neu gewonnene Freiheit zu genießen. Sie verkleidet sich hierbei als eine Art Rebell beziehungsweise als fahrender Ritter (Xia), dem Inbegriff von Freiheit und Unabhängigkeit. Sie trägt ihre Unabhängigkeit für jeden sichtbar nach außen.
Nachdem sie sich auch ihre letzten "Freunde" zum Feind gemacht hat und diese sie trotzdem nicht aufgeben, sieht sie all ihre Fehler ein, die sie gemacht hat und trifft eine sehr wichtige Entscheidung, die ihren starken Charakter nur unterstreicht und dem Zuschauer zeigt, wie stark diese junge und unscheinbare Frau doch ist. Sie wählt den Freitod, der kein Selbstopfer darstellt, sondern die endgültige Befreiung von ihren menschlichen Banden. Es ist der schlussendliche Befreiungsakt von Jen.
Man erkennt an diesen wenigen Szenen, wie sich Jen entwickelt, wie sie heranreift und sich von einem jungen, rachsüchtigen und kämpferischen Charakter zu einer Person entwickelt, die in der Lage ist wichtige Entscheidungen zu treffen, Fehler einzusehen und nicht mehr ohne jede Rücksicht auf ihre Umgebung handelt. Somit ist das Emanzipations- / Befreiungsmotiv deutlich zu erkennen.
Die Frage soll nun lauten, ob man das Befreiungsmotiv nur am Inhalt oder auch an dem Einsatz filmischer Mittel erkennen kann. Die Antwort ist ein eindeutiges "Ja". Ang Lee und seinem Kameramann gelingt es hervorragend Bilder einzufangen, die die unterdrückten Gefühle und Befreiungsbestrebungen verdeutlichen.
Zu Beginn des Filmes sieht man Jen immer nur in hochgeschlossenen und engen Kleidern, die ihren freien Geist scheinbar einzusperren scheinen. Auch sieht man sie nur in engen Räumen agieren. Sie ist die ganze Zeit eingesperrt in dem sprichwörtlichen goldenen Käfig ihrer Gemächer. Auch in den Szenen, die der Hochzeit mit ihrem verhassten Versprochenen vorangehen, ist sie gefangen in einer kleinen Sänfte. Kein Fenster zeigt die Umwelt. Auch ihr Kleid scheint sie förmlich in Ketten zu legen. Und der Blick des Zuschauers wird begrenzt durch die verwinkelten Gassen Bejings. Doch sobald Jen ihre Reise als Rebell beginnt, trägt sie weite und bequeme Sachen und die dargestellte Natur scheint fast unendlich weit zu sein. Auch bei ihren Ausflügen als Dieb des Schwertes oder bei dem ersten Kampf mit Li Mu Bai ist sie bequem gekleidet. In diesen Momenten ist sie frei.