
Originaltitel: Hsia nu / A Touch of Zen
Herstellungsland: Hongkong / Taiwan
Erscheinungsjahr: 1969 - 1971
Regie: King Hu
Darsteller: Hsu Feng, Shih Chun, Pai Ying, Tien Peng, Sit Hon, Roy Chiao, Chang Ping-yu, Cho Kin, Wang Chung-shan, Mao Tien, Chia Lu-shih, Wan Jei, Han Ying Chieh, Sammo Hung, Jackie Chan
Eine Übermittlung außerhalb jeglicher Doktrin,
die sich weder auf Worte noch auf Schriften stützt.
Ein direktes Hinweisen auf des Menschen Herz:
Wer sein eigenes Wesen schaut, ist ein Erwachter.
Buddha
King Hu war ein Ästhet. Eigens von Regisseuren wie Akira Kurosawa inspiriert, wurde er später selbst zur Inspiration für Regisseure wie John Woo, Tsui Hark, Zhang Yimou und nicht zuletzt Ang Lee. Das Wuxia-Genre würde in seinen Händen die ritterliche Poesie der chinesischen Literatur mit der Bewegung der filmischen Kampfchoreografie verschmelzen. Er würde das “Wu” (die Kampfkunst) mit dem “Xia” (die Person und ihre Eigenschaften) endgültig zusammenführen, indem er seinen Werken eine cinematografische Poesie einhauchte, eine Poesie, die sich auf die Ästhetik der Kampfchoreografien auswirkte und sie mit der menschlichen Erzählung untrennbar verbände - eine Sache, die er vor seinem Lebenswerk im Wuxia-Genre noch als unzureichend eingestuft hatte. Etwas, woran zu arbeiten wäre. “A Touch of Zen” ist diesbezüglich wohl sein unbestrittenes Meisterwerk und ein nicht ignorierbarer Meilenstein auf dem Weg hin zu wegweisenden Beiträgen der neueren Filmgeschichte, wie Ang Lees “Tiger & Dragon”.
Innerhalb des Wuxia begibt sich Hu zeitweise in die fiktive Welt des Jiang Hu (“Flüsse und Seen”), ein Exil der Außenseiter, die im Mittelpunkt stehen und hier vom Protagonisten Ku Shen Chai (Shih Jun) vertreten werden. Ein Geistlicher, fast komödienhaft angetrieben von seiner Mutter, die ihn drängt, zu heiraten und ihr endlich Enkelkinder zu schenken. Er, dem eine volle Filmhälfte von 90 Minuten zur Selbstfindung geboten wird; er, der in den letzten 90 Minuten in einen Albtraum von blutigen Kämpfen befördert wird als Mann der Wissenschaft, der keinerlei Kampferfahrung besitzt - zu bescheiden selbst für einen großen Job, der ihm Wohlstand und gesellschaftlichen Status vermachen würde. Lieber nimmt er mit seinem kleinen Dorf vorlieb und zeichnet Karikaturen von Handelsreisenden.
Wie bei Hu üblich, entpuppt sich sein Werk als Historienepos, spielt zur Zeit der Ming-Dynastie und handelt von einem Palasteunuchen, der seine Schergen losschickt, um Exilsuchende zu töten - verbunden mit einer dramatischen Liebesgeschichte, die unter Blitz und Donner besiegelt wird. Es ist das Thema des Jiang Hu, die Exilsuchenden ziehen sich zurück in eine mystische Welt aus Seen, Flüssen, Gebirgen und Bambuswäldern.
Drei Jahre hat die Fertigstellung gedauert. Das Produktionsjahr datiert offiziell von 1971, doch begann die Produktion bereits im Jahr 1969. Monate verstrichen, ehe das Fort, Schauplatz eines der großen Highlights, so weit errichtet war, wie man es im fertigen Film sieht. Die epische Laufzeit von drei Stunden, die vom Produktionsstudio bei Erstveröffentlichung auf eine Zwei-Stunden-Version heruntergekürzt wurde, wirkt in jeder Sekunde durchdacht und auf ein Endziel konzipiert, wenngleich ein auffälliger Bruch in der Mitte und ein massives Ungleichgewicht von Kampfsequenzen zugunsten der zweiten Hälfte festzumachen ist. Tatsächlich wurde an jener Stelle einst auch frei nach “Kill Bill” ein Bruch vollzogen und das Gesamtwerk zweigeteilt. Doch ist auch dies als bewusste Konzeption zu verstehen, denn zwei Welten treffen aufeinander. Ein realistischer Ansatz im Drama eines schüchternen Dorfmannes und einer jungen, verlassenen Frau (die damals 18-jährige Hsu Feng als Hui-Ching Yang) wandelt sich zwischenzeitlich zu einem phantastischen Traumgebilde mit Dämonen und Geistern, Abschnitte, die man durchaus als Inspirationsquelle für das “A Chinese Ghost Story”-Epos anerkennen kann.
Diese Einbrüche des Phantastischen in die Ordnung der realen Welt sind charakteristisch für das Genre. King Hu nutzt sie erstmals konsequent, um die Kampfchoreografien mit ihnen zu verschmelzen, sie ebenfalls in ihrer Ausführung dem Fantasy-Ansatz anzugleichen. Schon in “Die Herberge zum Drachentor” (1966) experimentierte er in diese Richtung, indem er erstmals Wirework zur Anwendung brachte und die Bewegungen der Akteure damit von ihren physikalisch den Naturgesetzen unterworfenen realistischen Möglichkeiten abzuheben. Diesmal übertrifft sich Hu mit der Inszenierung der Martial Arts selbst. Mit Hilfe von Trampolinen scheinen die Akteure durch die Wälder zu fliegen und der Schwerkraft zu trotzen, obwohl die Momente des elegischen Fliegens subtiler eingesetzt und schwerer zu erfassen sind als in der technisch noch ausgereifteren zweiten Generation um Ang Lee. Die berühmte “Bambussequenz” ist dabei weniger pompös als anzunehmen, bedenkt man, dass sie sowohl bei “Tiger & Dragon” als auch bei “House of Flying Daggers” eine Reminiszenz erfuhr. Jedoch ist sie technisch perfekt, mit ausgesprochen genialer Schnittmontage hervorragend in Szene gesetzt und durch die hinreißenden Naturaufnahmen, in denen sich Hu ein ums andere Mal genüsslich verliert, ins Unaussprechliche hinein ästhetisiert. Die Kürze der Szenen tut ihrer Wirkung keinen Abbruch. Es bleiben Bilder zurück, die für das Kino gemacht scheinen, ebenso wie für die Erinnerung, die man niemals vergessen wird. Bilder dieser Grazilität sucht man unter ihresgleichen sonst vergebens.
Die Masse der unterschiedlichen Kämpfe, die sich in der zweiten Hälfte anhäufen, schafft es immer wieder, die Motive und die choreografischen Arrangements so weit zu alternieren, dass sich die Dramaturgie bis zum letzten Kampf immer weiter aufwiegt. Die Gewichtung der aktiven Elemente auf die letzten 90 Minuten wirkt sich daher nicht einmal annähernd störend aus.
Dabei weiß auch die erste Hälfte mit konkurrenzloser Bildästhetik zu begeistern. Endlose Blumenfelder, alte Tempel und Dorfhütten mittendrin, Kunstrelikte der Ming-Dynastie und ein episch gefilmter Himmel. Shih Jun begibt sich oft inmitten dieser Bilder auf ausschweifende Erkundungen, denen man böswillig Straffungsmöglichkeiten unterstellen könnte. Allerdings würde jegliche Kürzung den Flow im Gesamten verzerren. Die absichtlich ausgesprochen kurz gehaltene Szene des Treffens von Ku Shen Chai und Yang Hui-Chin bezieht ihre Wirkung gerade durch den Kontrast der langgezogenen Alleingänge des Ku Shen Chai zur unter Blitz und Donner hektisch geschnittenen Zusammenkunft zwischen beiden.
Darüber hinaus nimmt sich King Hu auch deswegen so viel Zeit, weil ihm daran gelegen ist, im Sinne des Themas die Sinneseindrücke der Protagonisten authentisch wiederzugeben. Dazu sollte eine kurze Einführung in die Inhalte der Zen-Lehre gegeben werden.
Zen ist eine Unterform des Buddhismus, die stark daoistisch geprägt ist. Der Daoismus lehrt das Wesen des Lebens und die Verpflichtung des Menschen, sich den Naturgesetzen gemäß zu verhalten. Sinnbild dieser Lehre ist das Wasser, dessen flexible Form den Charakter des Lebens wiedergeben soll. Wasser spielte in “Tiger & Dragon”, aber auch in diversen Tai Chi-Filmen, eine stärkere Rolle als lebensspendendes und lebenssymbolisches Element.
Zen ist darauf aufbauend eine mystische Lehre, die grundlegende Erfahrungen über die Praxis vermitteln soll. Im Grunde genommen darf Zen nicht einmal als Lehre aufgefasst werden; es ist per se eine Erfahrung, die jeder Schüler auf dem Weg zu seinem Ziel erlernen soll, wobei der Weg selbst zum Ziel wird. Im Zen-Koan steht auf die Frage, was Zen denn sei, folgendes Zitat eines Meisters geschrieben: “Das Herz des Fragenden ist Zen.” Es soll das Leben selbst sein, die Gewöhnlichkeit des Lebens selbst frei von Ich-Bezügen, temporalen oder lokalen Dimensionen, einfach die grundlegendste aller Existenzen, die Erfahrung des Einzelnen, eine Sache, die man im eigentlichen Sinne nicht lehren, allenfalls forcieren kann.
Exakt über diesen Weg bestreitet King Hu seine Regie und lässt uns teilhaben an seiner Form, dem Zuschauer Zen näherzubringen. Es gelingt ihm ausgezeichnet, uns die gleiche Erfahrung zu simulieren, die seine Protagonisten im Film erleben. Die ausgesprochen sensible Regie erlaubt es, dass wir in das Seelenleben der Darsteller hineinschauen können. Wir lesen ihre Gedanken und spüren ihre Emotionen. Das gilt für die vermeintlich “Guten” gleichermaßen wie für die “Bösen”, zwei Gruppen, die zwar in absichtlich kontrastreichen Aufeinandertreffen miteinander kollabieren, jedoch menschlich keineswegs derart eindimensional gezeichnet sind. Durch den ausgefeilten Regiestil wird auch den Gegenspielern eine Charakterkomplexität zuteil, die man in ähnlichen Martial Arts-Filmen vergeblich sucht.
Die Gruppe von Shaolin, die sich wie Geister durch den Film bewegen und mühelos, ja übermenschlich die Schläge ihrer Gegner neutralisieren, verbreiten auf symbolischem Wege die Ethik des Zen. Die Mönche symbolisieren Menschen, die am Ende ihres eigenen Weges angelangt sind und nun die Bereitschaft erlangt haben, anderen Menschen in altruistischen Absichten zu helfen und damit in einem universellen Zusammenhang ein Gleichgewicht zu erstellen. Sie sind damit eine irrealistische, metaphysische Komponente, die dem Gesamtwerk seine Endnote gibt. Hieraus kann die Intention abgelesen werden, vielleicht auch eine subversive, gesellschaftsgerichtete Absicht.
Wann immer jemand gerade einen modernen Martial Arts-Film gesehen hat, täte er gut daran, im Anschluss einen Gedanken an King Hus Meisterstück zu verschwenden, und sei es auch nur ein kurzer. “A Touch of Zen” ist die inkarnierte Ästhetik der Cinematografie, es ist die Erfahrung der Natürlichkeit und die Poesie des Wuxia. Stilprägend für eine ganze Folgegeneration, schafft es der Regisseur, ein dreistündiges Historienepos über das China der Ming-Dynastie abzuliefern, das keine Sekunde verschwendet und stattdessen einen gewaltigen Bildersturm entfesselt, der sanft beginnt und nach 90 Minuten immer stärker an Dynamik zulegt. Mit seinen glaubwürdigen Charakteren gleitet Hu immer wieder vom Realismus in den Mystizismus des Exils aus Seen, Steinen und Bambuswäldern. Eine unvergessliche Reise in die Selbstfindung.

Ergänzung für die Äktschnproleten: Jackie Chan ist zwar nicht direkt zu erblicken, hat allerdings als 14-Jähriger in der Produktion schon einen Job als Stuntman abbekommen. Sammo Hung hat einen Auftritt als Schwertkämpfer, der als “fat guy” bezeichnet wird.
Die britische DVD ist leider eine kleine Enttäuschung: Schwaches Bild, schwacher Ton, Zwangsuntertitel, starre Menüs und praktisch wertlose Extras. Aber zumindest uncut. In Deutschland gibt es den Film gar nicht zu kaufen, im Free TV lief er zuletzt auch vor über zehn Jahren... Hier wäre mal eine Veränderung wünschenswert.