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Dragon Hero

Verfasst: 16.11.2006, 20:19
von Vince
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Originaltitel: Long quan / Dragon Fist
Herstellungsland: Hongkong
Erscheinungsjahr: 1979
Regie: Lo Wei
Darsteller: Jackie Chan, Nora Miao, James Tien u.a.

Aber Hallo, Herr Wei! Es wird ja richtig grau in grau! Man weiß ja bald gar nicht mehr, wer hier der Gute ist und wer der Böse... mag so kurz vor Ende des ausgiebigen Regieführens plötzlich der Wunsch nach komplexer Charakterzeichnung aufgekommen sein?

Dabei fängt alles an wie immer. Ein böser Mensch mit langem Bart, den er schön friemeln und zwirbeln kann, stellt sich vor die Schule seines Rivalen und behauptet großkotzig, er sei der beste Kämpfer, und sein Gegner habe den gerade bei einem Turnier gewonnenen Schild nicht verdient. Der Gegenspieler lässt sich provozieren und stellt sich trotz der flehentlichen Bitte seines Schülers (Jackie Chan), es nicht zu tun, der Herausforderung - und verliert. Und zwar den Kampf und sein Leben. Vorher kann er seinem Schüler aber noch ins Ohr hauchen, er möge sich bitte um Frau und Tochter seines Meisters kümmern, und im Gegenzug schwört der Schüler bittere Rache.

Es soll also schon wieder soweit sein, denkt man sich - im folgenden, so die Überzeugung des erfahrenen Konsumenten, wird es zuhauf Trainingsszenen mit Jackie Chan geben, der anfangs noch ziemlich mies kämpft, aber immer besser wird und im unvermeidlichen Finale über sich hinauswächst.

Doch dann reist der wackere Held mit besagter Frau und Tochter des Opfers im Gepäck einige Zeit später zu dem bösen Menschen mit dem langen Bart, und was ist passiert? Der Kerl hat sich als Zeichen der Reue ein Bein abgeschnitten und ein güld’nes Schild angefertigt. Den bitteren Endkampf voller Rache können wir uns abschminken. Und genau ab hier wird es interessant.

Denn auf einmal ist die ganze Schwarzweißmalerei über den Haufen geworfen. Aus dem anfänglichen Bösewicht macht Lo Wei mir nichts, dir nichts einen Sympathieträger, dem man zu allermindest Mitleid schenken wird, zumal sich seine Frau wegen der bösen Taten das Leben genommen hat und in ihrem Abschiedsbrief schrieb, sie hoffe, ihr Mann möge fortan gerecht seinen Mitmenschen gegenüber werden. Gesagt, getan - Charakter wurde geändert und der Genrefan erlebt seine erste unerwartete Variable. Überraschung!

Doch es kommt noch besser. Plötzlich ist da nämlich noch eine dritte Partei, die heimische Rivalenbande des Mannes mit dem abgeschnittenen Bein. Die streut neue Zweifel, nutzt Gefühle, um Verwirrung zu stiften und die ungeliebte Konkurrenz ein für allemal aus dem Weg zu räumen. Und plötzlich ist unser braver Jackie Chan Mitglied einer Truppe, die nicht gerade als Sympathieträger der Geschichte dargestellt wird. Er ist jetzt einer von den Bösen, und er kam dorthin über seine guten Absichten. Das ist weit mehr Charakterkomplexität, als man sich von einem Lo Wei bis dorthin erhoffen konnte.

Natürlich bleiben die Motive der Figuren trotz allem platt und ihre Handlungen werden psychologisch kein Stück weit ergründet. Am Ende stellt sich einer der Baddies hin und schreit vollmundig, dass er der große Houdini war, der Maulwurf, der alles geplant hat. Sehet mein Werk und unterwerfet euch. Alles wird detailgenau erklärt - anstatt einfach den Überraschungsmoment zu nutzen und alle aus dem Weg zu räumen, werden die Guten über die Pläne aufgeklärt. So ähnlich läuft das die ganze Zeit, aber immerhin, zumindest im Drehbuch hat man sich ein bisschen was dabei gedacht, um sich nicht dem durchgenudelten Schüler-wird-zum-Meister-Werdegang beugen zu müssen. Ein wenig mehr ist diesmal dabei, und das hat gar Auswirkungen auf die schauspielerischen Leistungen.

So stellt Jackie Chan unter Beweis, kein besonders guter Schauspieler zu sein, aber dass er überhaupt den Versuch unternimmt, ist schon etwas. Mit einem talentierteren Schauspieler wäre da emotional sogar noch einiges herauszuholen gewesen, denn die Figur steht zwischen allen Stühlen und ist seine Loyalität betreffend hin- und hergerissen. Durch glaubwürdige Schauspielerei hätte die fehlende psychologische Tiefe der Charaktere kompensiert werden können und “Dragon Hero” wäre ein richtig guter Film geworden.

Ohne Chan hätten allerdings auch die Kämpfe anders ausgesehen, und “anders” heißt in diesem Fall definitiv “schlechter”. Die Kampfeinlagen halten sich von der Menge her in Grenzen, werden aber stets zur rechten Zeit gezündet, und wenn, dann so richtig. Beinahe edel wirkt der Hauptdarsteller in seinem langen Gewand, erhaben steht er da und wartet die ersten Attacken seiner meist überzähligen Gegner ab. Und dann gibt’s Handkantenschläge in Formvollendung. Punktgenau stoppt die Handplatte vor der Brust des Gegners, blitzschnell ist sie plötzlich wieder ganz woanders und schultert das verdutzte Gegenüber. Es folgen Rollen, Drehungen, Angriff, Abwehr, Konter, und das in einem Wahnsinnstempo bereits in der Filmmitte. Was auf der Leinwand geschieht, wenn man beim Endkampf angelangt ist, mag man gar nicht aussprechen. Messingschlagstöcke schlagen aufeinander, dass ein verschrobener Takt entsteht, wirbeln um den sich drehenden Kopf des Kontrahenten und sind am Ende wieder in der Hand des Anderen angelangt. Die Schritte sind so perfekt und ausgeklügelt wie die polymetrische Exaktheit der Prog-Metalband Meshuggah und ebenso schnell. Das lässt den Schluss zu, dass Chan schon hier seinen Faible für punktgenaue Choreografien ausgelebt hat und dafür sorgte, dass jeder Take sass, auch wenn die Szene hundert- oder tausendmal wiederholt werden würde. Und unbrutal ist das Ganze auch nicht, denn in der ungeschnittenen Fassung sind (kleinere) Blutfontänen und extreme Gewalt an der Tagesordnung.

Fazit. Lo Wei beginnt sehr konservativ mit den üblichen Anfeindungen zweier Rivalen, wechselt dann aber recht schnell zu einem ambitionierten Martial Arts-Drama mit undurchsichtigen Charakteren, auch wenn denen die psychologische Reife abgeht. Jackie Chan ist als Schauspieler in der Hauptrolle fehlbesetzt (wie so oft unter Lo Wei), reißt aber alles mit seiner einnehmenden Präsenz und den unglaublich schnellen und harten Kampfeinlagen raus. Das macht in der Summe mit Sicherheit keinen richtig guten Film, denn für einen solchen sind zwar die Ansätze da, nicht jedoch die Konsequenz. Halbwegs ambitioniert und streckenweise sehenswert ist “Dragon Hero” aber doch.
:liquid6:

Bislang waren alle deutschen Fassungen geschnitten (zB. die schwarze "Masterpiece Edition"), bis Splendid Ende Oktober 2005 endlich ein Einsehen hatte und eine Uncut-Fassung auf den Markt brachte, die auf FSK16 heruntergestuft wurde. Auf dem Cover steht "Neue ungeschnittene Fassung" (s.o.).

Verfasst: 16.11.2006, 21:21
von Sir Jay
den hab ich auf VHS in einer 77min Fassung :lol:

gute, harte fights, adé

ewig her dass ich den gesehen habe, und dank der rießigen kürzungen fand ich ihn doch sehr unterdurchschnittlich, an die von dir im review erwähnte charakterkomplexität kann ich mich daher gar nicht erinnern, jedenfalls hab ich lust bekommen den nochmal zu gucken xD

und zur fehlbesetzung:
chan selber meinte, dass Bruce Lee die rolle viel besser gespielt hätte.
doch weil chan mitspielte, zeigten verleiher erst gar keine Interesse, den Film auf den Markt zu bringen, "Snake in the eagles shadow" sei dank, wurde der film später doch noch veröffentlicht 8-)

Re: Dragon Hero

Verfasst: 17.11.2006, 08:43
von kami
Vince hat geschrieben:Ein böser Mensch mit langem Bart, den er schön friemeln und zwirbeln kann
Was genau kann ich mir denn darunter vorstellen? :D

Re: Dragon Hero

Verfasst: 17.11.2006, 10:29
von Carcass77
kami hat geschrieben:
Vince hat geschrieben:Ein böser Mensch mit langem Bart, den er schön friemeln und zwirbeln kann
Was genau kann ich mir denn darunter vorstellen? :D
-> Kill Bill Vol. 2 :wink:

@Vince: Gewohnte gutes Review. Ich glaube , dass ich nie zum Jackie-Fan werden kann, trotz seiner unglaublichen Martial Arts-Künste. Und der Plot scheint ja trotz dieses Twists recht flach zu sein...

Re: Dragon Hero

Verfasst: 17.11.2006, 12:10
von Vince
Carcass77 hat geschrieben:
kami hat geschrieben:
Vince hat geschrieben:Ein böser Mensch mit langem Bart, den er schön friemeln und zwirbeln kann
Was genau kann ich mir denn darunter vorstellen? :D
-> Kill Bill Vol. 2 :wink:
Genau. :lol:
So ein klassischer Stereotyp halt, der in diesen Filmen in 85 Prozent der Fälle auftaucht...
@Vince: Gewohnte gutes Review. Ich glaube , dass ich nie zum Jackie-Fan werden kann, trotz seiner unglaublichen Martial Arts-Künste. Und der Plot scheint ja trotz dieses Twists recht flach zu sein...
Danke! Ich bin ja schon verwundert, zu diesem Schinken überhaupt Feedback zu bekommen neben den Jackietreuen Kommentaren von Sir Jay. :wink:

Ein richtiger Twist ist das übrigens nicht. Es ist einfach nur fast schon erschreckend, dass die Figuren aus ihren Schablonen ausbrechen, was sie bei Lo Wei nicht immer tun.

@Sir Jay: Ein guter Schauspieler war Bruce Lee ja in seiner ihm gebliebenen Zeit auch nicht...

Re: Dragon Hero

Verfasst: 17.11.2006, 14:51
von Sir Jay
Vince hat geschrieben:
Ein richtiger Twist ist das übrigens nicht. Es ist einfach nur fast schon erschreckend, dass die Figuren aus ihren Schablonen ausbrechen, was sie bei Lo Wei nicht immer tun.
ich glaube das ich keine lo wei spezialität, sondern eher eine "chinesischer Kung fu film der 60er/70er"-Spezialität ôô

und bruce lee wäre immerhin für ernste rollen besser geeignet ôô
da vermisst man wenigstens keine comedy einlagen im gegensatz zu chan