Shinjuku Incident - Stadt der Gewalt

Der Action Film der 80er, der 90er und heute.
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Ed Hunter
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Shinjuku Incident - Stadt der Gewalt

Beitrag von Ed Hunter » 06.11.2009, 12:35

Shinjuku Incident - Stadt der Gewalt

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Originaltitel: San suk si gin
Herstellungsland: Hongkong
Erscheinungsjahr: 2009
Regie: Derek Yee Tung-Sing
Darsteller: Jackie Chan, Chin Kar-Lok, Fan Bingbing, Yasuaki Kurata, Lam Suet, Naoto Takenaka, Ken Watanabe

2004 hatte Jackie Chan unter großem Jubel der Fangemeinde das unrühmliche Hollywoodkapitel beendet und war beginnend mit „New Police Story“ für einige Filme in die Heimat Hongkong zurückkehrt. Nach kurzem US-Rückfall mit „Rush Hour 3“ 2007 und der halbamerikanischen Produktion „The Forbidden Kingdom“ 2008 ist er in seinem neuen Film „Shinjuku Incident“, hierzulande „Stadt der Gewalt“ betitelt, wieder im asiatischen Rahmen unterwegs – und vollführt eine spektakläre stilistische Abkehr von seinem Image und bisherigen Erfolgsrezept, die noch weit über den seinerzeit als untypisch ernstes Drama herausgehobenen „New Police Story“ hinausgeht.

Anfang der 90er-Jahre: Jackie spielt einen Mann mit dem klangvollen Namen Steelhead, der zusammen mit weiteren gigantischen Schiffsladungen chinesischer Flüchtlinge auf der Suche nach seiner Verlobten illegal nach Japan immigriert, dort Anschluss an Schicksalsgenossen aus der Heimat findet und sich zunächst mit niederen Tagesjobs über Wasser hält. Als er erst einem Polizisten und dann einem hohen Yakuza das Leben rettet und seine Leute mit brutalen Gangs und Gangsterbossen in Konflikt geraten, findet sich Steelhead in den Verstrickungen des organisierten Verbrechens wieder – alsbald steigt er selbst auf in der mafiösen Unterwelt Tokios…

„Shinjuku Incident“ ist ein ganz und gar ungewöhnliches Jackie-Vehikel, das die Vergangenheit hinter sich lässt und stilistisch wohl auf lange Sicht den Weg in die Zukunft des ehemaligen Kung-Fu-Clowns weist. Freilich brachte Jackie abseits des Hollywood-Klamauks um den Millenniums-Wechsel schon immer auch ernste Seiten in seine Filme mit ein, agierte nicht nur in Actionkomödien, sondern auch Actiondramen und zeigte Ambitionen der Schauspielkunst und Düsternis erst jüngst in aller Deutlichkeit mit „New Police Story“ – doch „Shinjuku Incident“ versteht sich nicht nur als seriöses Drama ohne Comedy-Hampelei, sondern verzichtet darüber hinaus auch noch auf das doch alle Jackie-Streifen einende Martial-Arts-Element. Auf Kampfkunstakrobatik konnte man bislang noch in jedem seiner Filme bauen, unabhängig vom Drumherum – hier wird dem Zuschauer selbst die verwehrt. Obwohl sich reichlich Gelegenheit böte.

„Shinjuku Incident“ beginnt als Immigrantendrama nicht ohne humoristische Momente, das zeigt, wie sich Steelhead mit niederen Jobs herumschlägt und Anschluss findet an andere chinesische Einwanderer, beschreibt deren Leben, Leiden und Konflikte mit der stets drohend lauernden Polizei. Durch zunächst kleine, dann zunehmend größere Ausmaße annehmende Auseinandersetzungen der Protagonisten mit der örtlichen Gangsterwelt wandelt sich der Streifen schließlich auf recht schleichende und subtile Weise zur Crimestory, deren Atmosphäre sich konsequent verdüstert und Härte sich konsequent steigert, ehe er als teils beinahe epische Dimensionen annehmendes Yakuza-Drama endet, das Steelheads Aufstieg und Fall im organisierten Verbrechen portraitiert, der an seinem Versuch, das Gute in sich zu bewahren und sich den übelsten Seiten des Geschäfts zu erwehren, schließlich zugrunde geht. Obwohl der Film mit 120 Minuten eine stattliche Länge aufweist, wäre gerade im letzten Drittel, das seine Stärke aus den inneren Konflikten Steelheads bezieht, sogar noch etwas mehr Ausführlichkeit dem Eindruck zuträglich gewesen. „Shinjuku Incident“ bärge durchaus Potential für ein handfestes Epos.

Jackie Chan trägt den Film mit einer wackeren schauspielerischen Leistung und hat ebenfalls überzeugende Costars zur Seite. Der neugewonnene Ernst des ehemaligen Martial-Arts-Comedykaspers überzeugt durchweg und macht keinen unstimmigen Eindruck, lediglich in den durchaus gegebenen Actionmomenten wünscht man sich bisweilen den alten Jackie zurück: Wenn er Frauen vor Straßenschlägern rettet oder sich wild herumsäbelnder Yakuza-Horden erwehrt, wären ein paar chic choreografierte Martial-Arts-Einlagen schön und der Atmosphäre des Films auch nicht abträglich gewesen. So bleibt den Fightmomenten Highlightcharakter größtenteils verwehrt, wenn auch Regisseur Derek Yee Tung-Sing im großen Finale einige edle Zeitlupenmomente auspackt und das Hauhen und Stechen (man hantiert in der japanischen Unterwelt bevorzugt mit Schwertern) stets mit einem angemessenen Härtegrad würzt. Inszenatorich und optisch spielt „Shinjuku Incident“ ohnehin in einer hohen Liga, weiß die Atmosphäre tristen Arbeitertums genauso stimmig zu transportieren wie hippen Clublebens und klassischer Gangsterszenarien, denen ein kraftvoller Score zusätzlich zugute kommt.

Fazit: Mit „Shinjuku Incident“ distanziert sich Jackie Chan völlig vom Image des Kung-Fu-Clowns und mimt überzeugend die Hauptrolle in einem gegen Ende an epischen Dimensionen kratzenden Immigranten- und Gangsterdrama. Wer keine Actionschauwerte gewohnter Facon erwartet, wird von einem souverän inszenierten, düsteren, harten und teils emotional-dramatischen Unterweltthriller made in Hongkong, angesiedelt in Japan, überzeugt werden.

:liquid8:

Die Hongkong-DVD kommt uncut von Joy Sales / EMP. Der deutsche Erscheinungstermin ist für Anfang 2010 angekündigt.


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Vince tut seine Meinung so kund:

Wenn eine Stadt, ein Organismus, ein System Gewalt gebiert, reicht es oftmals nicht aus, das Individuum zu betrachten, das diese Gewalt ausübt. Derjenige, der schlägt, raubt und mordet, mag nur die ausführende Hand sein, im Charakter grundsätzlich vielleicht sogar herzensgut, ist aber immer noch dem Prinzip des Fressens und Gefressenwerdens untergeben. Man muss also schon die Makroebene studieren, um zu verstehen, wieso Menschen sich in bestimmten Szenarien auf bestimmte Art und Weise verhalten.

„Stadt der Gewalt“ ist ein Makrofilm. Er behandelt das japanische Szenario um die illegale Migration von Chinesen. Dabei beginnt er beim Einzelnen und geht auf das System über, und zwar nicht ohne Thesen zu stellen, wo die Rasseunruhen ihren Ursprung haben und wie sie sich zu einem Problem ihrer Größenordnung haben entwickeln können.

In den Flanken dreht Derek Yee Tung-Sing einen großen, blockbusterähnlichen Film mit den großen Bildern eines gestrandeten Passagierschiffes und den von Zeitlupen veredelten letzten Zügen, doch seine große Stärke sind die ebenso leisen wie variablen Töne in der Filmmitte: Kleine, dreckige Sets, ambivalente Charaktere, die in ihnen hausen und vor allem die Vermeidung einer cineastisch sich aufplusternden Dramaturgie vom Schlage „Infernal Affairs“. So gewinnt der Regisseur zunächst einmal Glaubwürdigkeit, denn in die Nähe von Superhelden oder Superschurken wagt sich der Film nie.

Dabei ist es ein aus künstlerischer Sicht riskantes Unterfangen, den ausführenden Produzenten Jackie Chan auch als Hauptdarsteller einzusetzen; ein Unterfangen allerdings, das hätte glücken können. Chan bringt als weltbekannter „Nice Guy“ alle Anlagen dafür mit, zu zeigen, wie das System sogar die selbstlosesten Menschen zur Gewalt führen kann. An mancher Stelle verfehlt die Besetzung tatsächlich nicht ihre Wirkung. Wenn der Hongkong-Superstar eine Szene spielt, in der er aus purer Langeweile und Wehmut Sex mit einer Prostituierten hat, beispielsweise. Oder, wenn er ganz verdutzt seinen Freund fragt: „Sind wir jetzt eine Triade?“ Szenen, in denen deutlich wird, was deutlich werden soll: Der Mensch ist als Individuum in erster Linie dem Kollektiv verpflichtet, weil er ein soziales Wesen ist. Und so passt er sich seiner Umgebung an.

Einzig Chans schauspielerische Grenzen verhindern es, dass er als Idealbesetzung bezeichnet werden kann, allerdings ist das kein ganz unwichtiger Punkt – auf Distanz betrachtet wirkt er dann doch eher wie ein Fremdkörper, wenn auch einer, der sich streckenweise mit Erfolg zu integrieren weiß.

Des Filmes größte Stärke ist zugleich auch seine größte Schwäche: So intensiv dem Zuschauer das Migrationsproblem auch bewusst gemacht wird durch die wechselnden Ansätze, die ein so vielseitiges Bild zeichnen, so sprunghaft legt sich leider auch die Handlung nieder. Nach einer Stunde ist bereits ein kompletter Film gezeigt, bevor ein zweiter folgt. Das Drehbuch ist vollgepumpt mit Ereignisketten, deren Schnelligkeit in der Abfolge so manche Wandlung absurd radikal erscheinen lassen. Dazu gehört sicherlich diejenige von Daniel Wus Figur, denn Wu droht am Ende Johnny Depps Hutmacher Konkurrenz zu machen.

Von seiner aufrüttelnden Wirkung jedoch und vor allem der objektiven, kaum direkt Stellung beziehenden Perspektive der Erzählung können viele Filme, die ähnliche Thematiken aufgreifen, nur träumen. „Stadt der Gewalt“ ist der angemessen nüchterne Versuch, gesellschaftliche Entwicklungen nachzuzeichnen – fern aller Martial Arts- oder Kino-Spirenzchen. Zweier Dinge also, für die Hauptdarsteller Jackie Chan eigentlich seit den Anfängen seiner Karriere steht, die er aber, ohne mit der Wimper zu zucken, opfert. So etwas macht man, wenn man am Taschenmessermedium Film noch mehr Funktionen entdeckt als nur die Klinge der Unterhaltung.
:liquid7: ,5
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Beitrag von Sir Jay » 06.11.2009, 16:13

mist jetzt bist du mir zuvorgekommen, dabei habe ich den film schon seit einiger zeit bei mir rum liegen nur leider noch keine zeit (und nicht die richtige stimmung) gefunden den zu gucken... :lol:
klingt aber interessant, komme nun langsam eher in stimmung ;)

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Beitrag von freeman » 09.02.2010, 08:35

Imo sehr starker Film mit kleinen Schönheitsfehlern. Storytechnisch eine nette Variante des Gewaltspiralenthemas. Ziemlich spannend aufgezogen, dehr düster und nihilistisch erzählt. Leider hier und da aber auch mit einer echten Länge versehen. Chan spielt gut, wirkt in einigen Szenen aber auch ziemlich überfordert, bzw. es nervt seine etwas unbedarfte Schauspielkunst. Im Großen und Ganzen stemmt er seine schwierige Rolle aber ziemlich gut, zumal er sich in keiner einzigen Szene auf seine Kampfsportfähigkeiten oder seine Clownereien besinnen darf. Sehr genervt hat mich Daniel Wu, was aber eher an der Anlage seiner Figur lag, die vom introvertierten Dödel zum brachial overactenden Klassenkasper verkommt und obendrein ausschaut wie Bill von Tokio Hotel. Filmisch ist der Film ganz stark. Sehr dunkel, wenig hoffnungsvoll, teils richtiggehend beklemmend und die Eingangssequenz der Menschen, die vor der Kulisse eines gesunkenen Tankers im Sand verharren, ist ganz großes Kino!
:liquid8:

In diesem Sinne:
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Beitrag von Vince » 23.03.2010, 15:30

Hab mal meine Kritik druntergepackt - für den Jackie muss ich mich ja leider immer ausd meiner Review-Lethargie reißen. ;)

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Beitrag von Sir Jay » 23.03.2010, 18:53

schön so, den habe ich gestern erst auch zu Ende geguckt, sehe den aber noch deutlich schwächer.

Hauptproblem ist Jackie Chan bzw, seine Figur, die mir irgendwie etwas zu unglaubwürdig ist. Das was der Vince da anschreibt, nämlich, dass die Figuren sich ihrem Umfeld anpassen, und somit wandeln, ist ja schon richtig, aber bei Jackies Figur fand ich das einen Tick zu krass.

Prinzipiell bringt er seinen Nice Guy Charakter zur Geltung und stürzt sich selbstlos in Gefahrensituationen um anderen zu helfen, und auch sonst achtet er die familiären Werte, gleichzeitig aber, geht er mal eben auf Rachefeldzug um einem Triadenboss die Hand ab zu hacken, oder gar ohne große Gewissensbisse Mordaufträge annimmt, und auch verübt.
Das hat alles schlicht und einfach nicht zusammen gepasst. An der Figur hätte definitiv noch gefeilt werden müssen, so finde ich sie extrem unausgegoren.

Ansonsten aber fand ich die Migrationsproblematik durchaus interessant dargestellt, und mit Chan in der Hauptrolle war das auch ein errischend reifer und erwachsener Film.
Das Ende übrigens fand ich dann wieder aber auch sehr lahm und enttäuschend...
:liquid6:

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Beitrag von Fist_of_Retro » 31.12.2013, 19:29

Shinjuku Incident (2009)

Auch wieder einer von den Filmen den ich mal billig für 4,99€ gekauft habe und bis jetzt nie angeschaut habe, bis heute da hab ich den endlich auf DVD gesehen.


Derek Yee Tung-Sing drehte hier einen klasse Thriller mit viel Dramatik, einer guten Story, etwas harte Action und einen guten Jackie Chan.

Ich fand Jackie in der Rolle als Tietou echt gut. Hier hat er gezeigt das er nicht nur seine Clown Rolle sondern auch solche Rollen spielen kann und das hat er echt gut gemacht. Kämpfe wie man es von Jackie gewohnt ist gibt es hier zwar nicht. Dafür ein paar harte Szenen wie wenn die Hände abgeschlagen werden.

Der Film ist düster, dreckig und hat mir sehr gut gefallen auf jeden Fall einer von Jackies besten Filmen der Neuzeit :liquid7:

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Beitrag von MarS » 16.01.2014, 15:56

Mensch, dass ich zu diesem Film noch nicht meinen Senf dazu gegeben habe...

Den Film habe ich mal in einem schnieken Mediabook für günstig Geld erstanden und muss sagen, dass ich nach der Sichtung ziemlich begeistert war. Die Story war gut heraus gearbeitet und das Thema hat mich auch ziemlich gepackt (obwohl ich mich bis dato nicht wirklich für Triaden interessiert haben). Der Film ist angenehm düster und bedrückend inszeniert, weshalb der fehlende Chan-Klamauk auch konsequent ist, da er hier nur störend gewirkt hätte. Die vereinzelten Härten sind gut platziert und verpassen ihre Wirkung nicht.

Für mich einer der besten Chan-Filme. :liquid8:

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Re: Shinjuku Incident - Stadt der Gewalt

Beitrag von McClane » 26.04.2021, 00:06

Habe meinen Senf auch mal auf der Hauptseite verzapft und die beiden vorhandenen Kritiken dort ebenfalls eingestellt.

„Stadt der Gewalt“ istin erster Linie als relativ radikaler Ausreißer in Jackie Chans Filmographie außergewöhnlich, da er auf die zentralen Trademarks des Kung-Fu-Clowns und Martial-Arts-Akrobaten verzichtet. Ansonsten ist er die Geschichte von Aufstieg und Fall eines Gangsters, klassisches Material eben, das durchaus gelungen aufbereitet wird, aber doch eher das Genre recht souverän mit kleinen Schnitzern bedient als ihm neue Facetten abzugewinnen.

:liquid7:

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