The Shield (TV-Serie)
Verfasst: 14.12.2006, 21:58
The Shield
Originaltitel: The Shield
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2002 - ?
Regie: Scott Brazil, D.J. Caruso, Clark Johnson, Guy Ferland, Gary Fleder, Nick Gomez u.a.
Darsteller: Michael Chiklis, CCH Pounder, Catherine Dent, Walt Goggins, Michael Jace, Kenny Johnson, Jay Karnes, Benito Martinez, Michael Auteri, Cathy Cahlin Ryan, Autumn Chiklis, John Diehl, Liz Jemielita, Page Kennedy, Joel Rosenthal u.a.
Season I
Der böse Wolf war zu Jahren gekommen und fasste den gleißenden Entschluss, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte sich also auf und kam zu dem Schäfer, dessen Horden seiner Höhle die nächsten waren. "Schäfer", sprach er, "du nennst mich den blutgierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freilich muss ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger tut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden sein. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmütigste Tier, wenn ich satt bin."
"Wenn du satt bist? Das kann wohl sein", versetzte der Schäfer. "Aber wann bist du denn satt? Du und der Geiz werden es nie! Geh deinen Weg!"
Gotthold Ephraim Lessing: Die Geschichte des alten Wolfs. Erste Fabel
1973 war “Serpico”. Irgendwo zwischen den ersten beiden “Pate”-Epen spielte Al Pacino in Sydney Lumets Copthriller einen wider den Strom schwimmenden aufrechten Polizisten in einer Welt voller Korruption. Zusammen mit der Hauptfigur drehte Lumet gleich ein ganzes Subgenre um, erhielt dem Ermittler zwar die starke Persönlichkeit, warf dafür aber einen kritischen Blick auf das versiffte, korrumpierende Nest, das sich mit den Attributen “Law” und “Order” schmückte. Ein verzerrtes Idealbild, das sich entzerrte. Ein stiller Triumphzug des New Hollywood.
2001 war das Jahr des “Training Day”. Diesmal war es nicht das Gesellschaftsbild, das neu aufbereitet wurde, sondern die Charakterentwicklung der Identifikationsfiguren. Ethan Hawke spielte zwar einen idealistischen Jungspund in Al Pacinos Tradition, jedoch ohne dessen eigenmächtiger Handlungsweise. Da war noch jemand anders, der Hawke zum passiven Mitläufer degradierte: Denzel Washington in einer Rolle voller Ambivalenz, die ihm einen - wenn auch arg umstrittenen - Hauptdarsteller-Oscar einbrachte. Weniger der kritische Blick auf die Gesellschaft stand zu Beginn des neuen Millenniums im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Menschen in dieser Gesellschaft, als Spiegelbild von ihr, mit allen Persönlichkeitsfacetten. Menschen, die weder eindeutig als gut oder als böse einzustufen sind.
In der Essenz bleibt jedoch in beiden Fällen die gleiche Moral bestehen: Die Welt ist grau in grau und das Böse kann nicht in einer Person oder einer Institution manifestiert werden. Doch der Blick auf diese Moral hat sich eingeengt auf einige wenige Handelnde, die der Welt letztlich ihr graues Antlitz verleihen. Letztlich ein Triumph der Realisten über die Optimisten, denn zurück bleibt nurmehr ein Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber den Mechanismen unserer Gesellschaft, die neben guten Dingen notgedrungen auch Schlechtes mit sich führt.
Eine Chronologie des Copthrillers, die hier bewusst existenzielle Meilensteine ausspart. Nur um anzudeuten, wie sich der Weg bereitet hat für eine filmreife TV-Serie, die sich den im Kino geebneten Weg zu eigen macht, um die universelle Moral des Polizeifilms über den TV-Markt zu verbreiten. 2002 fand Shawn Ryans “The Shield” den Weg auf den hart umkämpften amerikanischen TV-Markt und behauptete sich mit Auszeichnungen. Die Härte des Kino-Subgenres hatten Serien wie “24" dort bereits massentauglich gemacht. Also her mit den oft wenig rühmlichen Hauptfiguren eines Polizeireviers in L.A. Es war Zeit, und jene hat Shawn Ryan vorbildlich genutzt.
Während diese höchst unterhaltsame Serie bei uns nur kurz durchs Nachtprogramm gejagt und dann total vergessen wurde, feierte sie in der Heimat große Erfolge, gewann Preise am Fließband und ging inzwischen bereits in die sechste Staffel. Sehr zögerlich sorgte Sony zuletzt in Deutschland mit unentschlossenen DVD-Releases für einen leicht ansteigenden Bekanntheitsgrad, von dem zu hoffen ist, dass seine Tendenz weiter anhält, damit sich wieder Qualität und vor allem Variabilität im deutschen TV-Programm breitmachen. Denn “The Shield” ist so etwas wie die konsequente Weiterentwicklung jener Crimesoaps um “CSI”, die weitenteils in emotionalen Brei hinüberzugleiten drohen und sich allmählich totlaufen. Die ersten dreizehn Episoden um das L.A. Precinct unter der Leitung des Latino-Captains David Aceveda (Benito Martinez) bringen frischen Wind in den Laden - mit Härte, Produktionsqualität und einer angenehmen perspektivischen Distanziertheit.
Eigentlich hatte man nach der Schwermut von Streifen wie “Dark Blue” und “Narc” gerade bei einer Ausweitung in Serienform nicht mit dieser straighten, mitunter tiefdunkelsarkastischen Inszenierungsform rechnen können und schon gar nicht mit einem derart ausgeprägten Unterhaltungswert. Da wechseln sich schwarze Credit-Screens inklusive ungeduldig wackelnder Darsteller- und Produzentennamen mit kurzen Handkameraaufnahmen von Tatorten auf. Die Tonspur läuft derweil ohne Unterbrechungen weiter, keine Musik, kein musikalisch unterlegter Vorspann. Nur Dialoge und die Geräusche der Straße. Höchste Intensität in der Imitation der Authentizität eines wirklichen Verbrechensschauplatzes, dem man beiwohnt, als sei man selbst einer der ermittelnden Beamten. Man leistet sich diesmal keine klassische Einführung der Charaktere, auf die nicht einmal “Training Day” verzichtet hatte. Unmittelbar ist man im Geschehen. In den Folgeepisoden werden keine “Was bisher geschah”-Montagen vorangestellt, sondern nach dem “Friss oder stirb”-Motto wird man jedes mal aufs Neue ins Hier und Jetzt geworfen.
“The Shield” entfernt sich bewusst vom Echtzeitszenario, behandelt verschiedene Fälle oft parallel zueinander über mehrere Monate hinweg. Die etlichen Jump Cuts werden stilistisch jedoch nicht markiert, so dass die Polizeiarbeit in einem immer währenden Fluss vonstatten geht. Beinahe wie im Zeitraffer werkelt der Cutter daran, die wichtigsten Momente zusammenzuschneiden, und zwar auf mindestens drei verschiedenen Ebenen: Die öffentliche (saubere) Polizeiarbeit, die (nicht so sauberen) Interna und das Privatleben der Figuren.
Nach einem gleichberechtigten Start entwickelt sich Glatzkopf Michael Chiklis dank des in der Tradition von Denzel Washingtons Oscar-Rolle stehenden zwielichtigen Außendienstlers Detective Vic Mackey recht schnell zum Hauptdarsteller. Chiklis, der selbst im Charakterzeichnungen betreffend krüppelhaft entwickelten “Fantastic Four” die wenigen Highlights in Sachen Charisma zeigte (kein Wunder, wo er sich doch als Einziger aus der Meute als Fan der Comicvorlage outete), zeigt kaum Mühe, den Protagonistenpart zu tragen und dem Typus, den seine Rolle bedient, mit Bravour gerecht zu werden. Mit seinem bulligen, offensiven Auftreten reißt er mit Leichtigkeit jede Szene an sich, in der er aufkreuzt. Zwar birgt die Figur in der Anlage keine neuen Eigenschaften mehr, doch erstmals ergibt sich durch das Serienformat die Gelegenheit, den in der Grauzone operierenden Vertreter des Gesetzes weiter zu charakterisieren. Denzel Washingtons Figur stieß spätestens im Finale von “Training Day” an seine Entwicklungsgrenzen, die man in Person von Chiklis nun quasi deckungsgleich fortführt und ausbaut.
Äußerst faszinierend ist nämlich die Loyalität dieses Mannes zu seinem Team beim gleichzeitigen Brechen eines Gesetzes nach dem anderen, um dem Gesetz im größeren Kontext gerecht werden zu können. In den ersten ein, zwei Folgen noch der zweifellose Sympathieträger der Show, entwickelt er mit der Zeit auch weniger liebenswerte Charakterzüge, wenn er einige Kollegen, die nicht zu seinem Team gehören, wissentlich diffamiert und für seine Zwecke rigoros manipuliert. Dann wieder ist er jedoch ein mitfühlender, selbstloser Mensch, wenn er einer befreundeten Hure ständig Geld zusteckt und versucht, sie von ihrer Drogensucht zu kurieren.
Im Gegensatz zu Washingtons Figur wirkt Vic Mackey jedoch nie wirklich falsch, sondern verfolgt lediglich seine eigenen Vorstellungen von Gesetz und Ordnung, die auch mal beinhalten, Geschäfte mit Kleinkriminellen zu machen, um dadurch an größere Fische zu gelangen.
Auf der dritten Ebene wird Chiklis’ Rolle dann Charakterentwicklung zuteil, als man seine Familie kennenlernt und mit ihr viele persönliche Probleme, die dem auf der Straße so coolen Motherfucker eine Schwäche verleihen, die der Zuschauer fortan immer im Hinterkopf behält. Erfährt man etwa vom Autismus seines Sohnes, kehrt dieses Fakt immer wieder ins Bewusstsein zurück, wenn Mackey auf der Polizeiwache lapidar nach der Familie gefragt wird.
In seinem Team, dessen zwielichtige Straßeneinsätze die Antriebsfeder der Serie sind, befinden sich überwiegend Schauspieler, die früher in Gangsterfilmen oft Kleinkriminelle gespielt haben, denen aufgrund ihrer Verschlagenheit und Unehrlichkeit sehr schnell etwas zustieß. Diese Rollenschemata behalten sie zwar als klare Untergebene des Bosses Mackey bei, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, sich diesmal untereinander hundertprozentig loyal zu verhalten. Das macht die Konstellation um Mackeys Team unheimlich interessant, denn es ist einfach mal etwas anderes, die Truppe in Abwesenheit des Chefs endlich mal keine Verschwörungstheorien entwickeln zu sehen, sondern sie selbst dann treu auf seiner Seite zu wissen. Chiklis’ Figur wiederum gewinnt dadurch zunehmend an Respekt, den er auf der Straße ebenso spürbar genießt wie bei seinen Männern.
Das eigentliche Spannungsmoment befindet sich aber zwischen Mackeys eigenständig handelnder Einheit und dem restlichen Polizeirevier. Vor allem mit Captain Aceveda kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen in dem Halbwissen um die illegalen Machenschaften des eigenwilligen Detectives, der immer genug Leute kennt, um gegen all seine Feinde, egal ob innerhalb oder außerhalb des Reviers, Druckmittel zu besitzen.
Eine ganze Garde guter Darsteller bemüht sich mit Leibeskräften, gegen Chiklis’ einnehmende Bildschirmpräsenz anzukämpfen und schafft dies zumindest szenenweise. CCH Pounder beispielsweise ist ein gut bekanntes Gesicht aus diversen anderen, oft ähnlich gelagerten TV-Serien und unzähligen TV-Filmen. Sie erfindet sich nicht neu, blieb aber selten prägnanter in Erinnerung als hier. Speziell in der Episode mit dem “Samenspender” trumpft sie auf als Verhörspezialistin, die sich traut, viel von sich selbst preiszugeben, um den vermeintlichen Täter zu überführen. Benito Martinez ist vor allem glaubwürdig als überforderter Leiter, Catherine Dent spielt eine noch unerfahrene, aber betont starke Persönlichkeit von der Sorte, wie sie in Filmen gerne als hundsgemein unfaires Opfer des Amoklaufes eines Wahnsinnigen oder einer Schießerei wird (hier jedoch ist ihr eine längere Überlebenszeit gewährt). Viele markante Darsteller versammeln sich in dem offenen Büroraum mit den rotschwarzen Bodenfliesen, das mit seiner eigenwilligen Struktur ein wenig an das Eckhaus erinnert, das die “Ghostbusters” renovierten, um sich aus einer staubigen Bruchbude eine Geisterjäger-Zentrale zu errichten. Sprich: Spontan, individuell und mit viel Wiedererkennungswert ist die Zentrale gesegnet, von der aus alle Darsteller operieren. Mittig ein großer Käfig für die Gefangenen, drum herum die Schreibtische und Verhörräume auf einem zweistöckigen Gelände.
Drehbuchtechnisch sind keine Klagen anzubringen. Die 13 Folgen wirken wie aus einem Guss, könnten ein zusammenhängendes Gesamtwerk mit immer neuen Handlungssträngen sein. Beinahe bewegt sich die erste Staffel fort wie eine Comicserie. Das betrifft immer neue, unglaubliche und spektakuläre Fälle, die sich mit zwischenmenschlichen Momenten ebenso abwechseln wie die gut verteilte, verwackelte und um Authentizität bemühte Action mit Dramen- und Comedyabschnitten.
Damit einher geht jedoch eine kleine Überraschung, denn der realistischen Aufmachung der Serie entgegen handelt es sich bei “The Shield” im Endeffekt doch um eine ziemlich übertriebene Arcade-Variante des vermeintlichen Ablaufs eines echten Alltags in einer Polizeizentrale. Zwar erstreckt sich die Handlung über Monate hinweg und Ereignisse überschlagen sich nicht so wie bei einem Tag “24", jedoch sind dennoch ständig Kinderschänder, Kidnapper, Triebtäter und Mörder zu Gast im Revier und haben unfassbare Dinge zu beichten. Schießereien und Tote sind an der Tagesordnung; Rapper erschießen sich gegenseitig aus dem fahrenden Auto heraus, berühmte Basketballspieler werden von der Polizei festgehalten, um so aktiv zum Erfolg bei Spielwetten beizutragen und vieles mehr häuft sich im Laufe einer Episode, um den Zuschauer bei Laune zu halten. Das immerhin funktioniert jedoch ausgezeichnet, und so muss man zwar in Sachen Story-Realismus Abstriche machen, das Suchtpotential erreicht aber phasenweise ähnliche Ebenen wie die wegweisende CTU-Serie mit Kiefer Sutherland, und das, obwohl auf richtige Cliffhanger meist verzichtet wird. Und wenn nicht, handelt es sich eher um “weiche” Cliffhanger.
Soundabmischung und Schnitt sind ausgesprochen stylish ausgefallen. Besonders hervorzuheben ist der geniale Einsatz des Soundtracks. Der Titeltrack selbst, nur wenige Sekunden lang, fetzt nach einem stets sehr stark ausgewalzten Intro (teilweise rund 5 Minuten) mit E-Gitarren, verzerrtem Gesang und Latino-Culture-Partikeln ziemlich ordentlich. Ansonsten werden über die Hauptlaufzeit gerne die Kulissen als Soundquelle benutzt (ein paar Gangster, die über einen Ghettoblaster Hip Hop hören oder eine Bar, in der Heavy Rock gespielt wird), bis gegen Ende ein stets verflucht gut ausgewählter Song sich über die finalen Handlungen der Protagonisten in einer jeden Episode legt und diese Handlungen bedeutungstechnisch damit herausheben.
Die erste Staffel zeigt schlussendlich in 13 Folgen eine taufrische Copserie mit unverbrauchten Darstellern, die produktionstechnisch klar in der ersten Liga spielt und in Sachen Konsequenz bei der Umsetzung derzeit konkurrenzlos auf dem Markt sein dürfte. Wirklich innovativ ist das Konzept zwar nicht, aber es setzt altbekannte Tugenden mit dem Entertainment als höchster Priorität beeindruckend um. Zwar verwundert der fehlende Realismus durch übertriebene Anhäufung von unglaublichen Vorfällen, doch dafür ist der Unterhaltungswert unerwartet hoch. Michael Chiklis ist das Highlight in einer Garde von mehr als fähigen Darstellern, die alle daran teilhaben, dass der Crime-Abend im TV soeben auf eine neue Stufe der Fernsehunterhaltung gehoben wurde.
Sony veröffentlichte die erste Staffel in einem sehr schönen Digipack mit ungewöhnlich vielen Extras. Uncut.
Originaltitel: The Shield
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2002 - ?
Regie: Scott Brazil, D.J. Caruso, Clark Johnson, Guy Ferland, Gary Fleder, Nick Gomez u.a.
Darsteller: Michael Chiklis, CCH Pounder, Catherine Dent, Walt Goggins, Michael Jace, Kenny Johnson, Jay Karnes, Benito Martinez, Michael Auteri, Cathy Cahlin Ryan, Autumn Chiklis, John Diehl, Liz Jemielita, Page Kennedy, Joel Rosenthal u.a.
Season I
Der böse Wolf war zu Jahren gekommen und fasste den gleißenden Entschluss, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte sich also auf und kam zu dem Schäfer, dessen Horden seiner Höhle die nächsten waren. "Schäfer", sprach er, "du nennst mich den blutgierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freilich muss ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger tut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden sein. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmütigste Tier, wenn ich satt bin."
"Wenn du satt bist? Das kann wohl sein", versetzte der Schäfer. "Aber wann bist du denn satt? Du und der Geiz werden es nie! Geh deinen Weg!"
Gotthold Ephraim Lessing: Die Geschichte des alten Wolfs. Erste Fabel
1973 war “Serpico”. Irgendwo zwischen den ersten beiden “Pate”-Epen spielte Al Pacino in Sydney Lumets Copthriller einen wider den Strom schwimmenden aufrechten Polizisten in einer Welt voller Korruption. Zusammen mit der Hauptfigur drehte Lumet gleich ein ganzes Subgenre um, erhielt dem Ermittler zwar die starke Persönlichkeit, warf dafür aber einen kritischen Blick auf das versiffte, korrumpierende Nest, das sich mit den Attributen “Law” und “Order” schmückte. Ein verzerrtes Idealbild, das sich entzerrte. Ein stiller Triumphzug des New Hollywood.
2001 war das Jahr des “Training Day”. Diesmal war es nicht das Gesellschaftsbild, das neu aufbereitet wurde, sondern die Charakterentwicklung der Identifikationsfiguren. Ethan Hawke spielte zwar einen idealistischen Jungspund in Al Pacinos Tradition, jedoch ohne dessen eigenmächtiger Handlungsweise. Da war noch jemand anders, der Hawke zum passiven Mitläufer degradierte: Denzel Washington in einer Rolle voller Ambivalenz, die ihm einen - wenn auch arg umstrittenen - Hauptdarsteller-Oscar einbrachte. Weniger der kritische Blick auf die Gesellschaft stand zu Beginn des neuen Millenniums im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Menschen in dieser Gesellschaft, als Spiegelbild von ihr, mit allen Persönlichkeitsfacetten. Menschen, die weder eindeutig als gut oder als böse einzustufen sind.
In der Essenz bleibt jedoch in beiden Fällen die gleiche Moral bestehen: Die Welt ist grau in grau und das Böse kann nicht in einer Person oder einer Institution manifestiert werden. Doch der Blick auf diese Moral hat sich eingeengt auf einige wenige Handelnde, die der Welt letztlich ihr graues Antlitz verleihen. Letztlich ein Triumph der Realisten über die Optimisten, denn zurück bleibt nurmehr ein Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber den Mechanismen unserer Gesellschaft, die neben guten Dingen notgedrungen auch Schlechtes mit sich führt.
Eine Chronologie des Copthrillers, die hier bewusst existenzielle Meilensteine ausspart. Nur um anzudeuten, wie sich der Weg bereitet hat für eine filmreife TV-Serie, die sich den im Kino geebneten Weg zu eigen macht, um die universelle Moral des Polizeifilms über den TV-Markt zu verbreiten. 2002 fand Shawn Ryans “The Shield” den Weg auf den hart umkämpften amerikanischen TV-Markt und behauptete sich mit Auszeichnungen. Die Härte des Kino-Subgenres hatten Serien wie “24" dort bereits massentauglich gemacht. Also her mit den oft wenig rühmlichen Hauptfiguren eines Polizeireviers in L.A. Es war Zeit, und jene hat Shawn Ryan vorbildlich genutzt.
Während diese höchst unterhaltsame Serie bei uns nur kurz durchs Nachtprogramm gejagt und dann total vergessen wurde, feierte sie in der Heimat große Erfolge, gewann Preise am Fließband und ging inzwischen bereits in die sechste Staffel. Sehr zögerlich sorgte Sony zuletzt in Deutschland mit unentschlossenen DVD-Releases für einen leicht ansteigenden Bekanntheitsgrad, von dem zu hoffen ist, dass seine Tendenz weiter anhält, damit sich wieder Qualität und vor allem Variabilität im deutschen TV-Programm breitmachen. Denn “The Shield” ist so etwas wie die konsequente Weiterentwicklung jener Crimesoaps um “CSI”, die weitenteils in emotionalen Brei hinüberzugleiten drohen und sich allmählich totlaufen. Die ersten dreizehn Episoden um das L.A. Precinct unter der Leitung des Latino-Captains David Aceveda (Benito Martinez) bringen frischen Wind in den Laden - mit Härte, Produktionsqualität und einer angenehmen perspektivischen Distanziertheit.
Eigentlich hatte man nach der Schwermut von Streifen wie “Dark Blue” und “Narc” gerade bei einer Ausweitung in Serienform nicht mit dieser straighten, mitunter tiefdunkelsarkastischen Inszenierungsform rechnen können und schon gar nicht mit einem derart ausgeprägten Unterhaltungswert. Da wechseln sich schwarze Credit-Screens inklusive ungeduldig wackelnder Darsteller- und Produzentennamen mit kurzen Handkameraaufnahmen von Tatorten auf. Die Tonspur läuft derweil ohne Unterbrechungen weiter, keine Musik, kein musikalisch unterlegter Vorspann. Nur Dialoge und die Geräusche der Straße. Höchste Intensität in der Imitation der Authentizität eines wirklichen Verbrechensschauplatzes, dem man beiwohnt, als sei man selbst einer der ermittelnden Beamten. Man leistet sich diesmal keine klassische Einführung der Charaktere, auf die nicht einmal “Training Day” verzichtet hatte. Unmittelbar ist man im Geschehen. In den Folgeepisoden werden keine “Was bisher geschah”-Montagen vorangestellt, sondern nach dem “Friss oder stirb”-Motto wird man jedes mal aufs Neue ins Hier und Jetzt geworfen.
“The Shield” entfernt sich bewusst vom Echtzeitszenario, behandelt verschiedene Fälle oft parallel zueinander über mehrere Monate hinweg. Die etlichen Jump Cuts werden stilistisch jedoch nicht markiert, so dass die Polizeiarbeit in einem immer währenden Fluss vonstatten geht. Beinahe wie im Zeitraffer werkelt der Cutter daran, die wichtigsten Momente zusammenzuschneiden, und zwar auf mindestens drei verschiedenen Ebenen: Die öffentliche (saubere) Polizeiarbeit, die (nicht so sauberen) Interna und das Privatleben der Figuren.
Nach einem gleichberechtigten Start entwickelt sich Glatzkopf Michael Chiklis dank des in der Tradition von Denzel Washingtons Oscar-Rolle stehenden zwielichtigen Außendienstlers Detective Vic Mackey recht schnell zum Hauptdarsteller. Chiklis, der selbst im Charakterzeichnungen betreffend krüppelhaft entwickelten “Fantastic Four” die wenigen Highlights in Sachen Charisma zeigte (kein Wunder, wo er sich doch als Einziger aus der Meute als Fan der Comicvorlage outete), zeigt kaum Mühe, den Protagonistenpart zu tragen und dem Typus, den seine Rolle bedient, mit Bravour gerecht zu werden. Mit seinem bulligen, offensiven Auftreten reißt er mit Leichtigkeit jede Szene an sich, in der er aufkreuzt. Zwar birgt die Figur in der Anlage keine neuen Eigenschaften mehr, doch erstmals ergibt sich durch das Serienformat die Gelegenheit, den in der Grauzone operierenden Vertreter des Gesetzes weiter zu charakterisieren. Denzel Washingtons Figur stieß spätestens im Finale von “Training Day” an seine Entwicklungsgrenzen, die man in Person von Chiklis nun quasi deckungsgleich fortführt und ausbaut.
Äußerst faszinierend ist nämlich die Loyalität dieses Mannes zu seinem Team beim gleichzeitigen Brechen eines Gesetzes nach dem anderen, um dem Gesetz im größeren Kontext gerecht werden zu können. In den ersten ein, zwei Folgen noch der zweifellose Sympathieträger der Show, entwickelt er mit der Zeit auch weniger liebenswerte Charakterzüge, wenn er einige Kollegen, die nicht zu seinem Team gehören, wissentlich diffamiert und für seine Zwecke rigoros manipuliert. Dann wieder ist er jedoch ein mitfühlender, selbstloser Mensch, wenn er einer befreundeten Hure ständig Geld zusteckt und versucht, sie von ihrer Drogensucht zu kurieren.
Im Gegensatz zu Washingtons Figur wirkt Vic Mackey jedoch nie wirklich falsch, sondern verfolgt lediglich seine eigenen Vorstellungen von Gesetz und Ordnung, die auch mal beinhalten, Geschäfte mit Kleinkriminellen zu machen, um dadurch an größere Fische zu gelangen.
Auf der dritten Ebene wird Chiklis’ Rolle dann Charakterentwicklung zuteil, als man seine Familie kennenlernt und mit ihr viele persönliche Probleme, die dem auf der Straße so coolen Motherfucker eine Schwäche verleihen, die der Zuschauer fortan immer im Hinterkopf behält. Erfährt man etwa vom Autismus seines Sohnes, kehrt dieses Fakt immer wieder ins Bewusstsein zurück, wenn Mackey auf der Polizeiwache lapidar nach der Familie gefragt wird.
In seinem Team, dessen zwielichtige Straßeneinsätze die Antriebsfeder der Serie sind, befinden sich überwiegend Schauspieler, die früher in Gangsterfilmen oft Kleinkriminelle gespielt haben, denen aufgrund ihrer Verschlagenheit und Unehrlichkeit sehr schnell etwas zustieß. Diese Rollenschemata behalten sie zwar als klare Untergebene des Bosses Mackey bei, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, sich diesmal untereinander hundertprozentig loyal zu verhalten. Das macht die Konstellation um Mackeys Team unheimlich interessant, denn es ist einfach mal etwas anderes, die Truppe in Abwesenheit des Chefs endlich mal keine Verschwörungstheorien entwickeln zu sehen, sondern sie selbst dann treu auf seiner Seite zu wissen. Chiklis’ Figur wiederum gewinnt dadurch zunehmend an Respekt, den er auf der Straße ebenso spürbar genießt wie bei seinen Männern.
Das eigentliche Spannungsmoment befindet sich aber zwischen Mackeys eigenständig handelnder Einheit und dem restlichen Polizeirevier. Vor allem mit Captain Aceveda kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen in dem Halbwissen um die illegalen Machenschaften des eigenwilligen Detectives, der immer genug Leute kennt, um gegen all seine Feinde, egal ob innerhalb oder außerhalb des Reviers, Druckmittel zu besitzen.
Eine ganze Garde guter Darsteller bemüht sich mit Leibeskräften, gegen Chiklis’ einnehmende Bildschirmpräsenz anzukämpfen und schafft dies zumindest szenenweise. CCH Pounder beispielsweise ist ein gut bekanntes Gesicht aus diversen anderen, oft ähnlich gelagerten TV-Serien und unzähligen TV-Filmen. Sie erfindet sich nicht neu, blieb aber selten prägnanter in Erinnerung als hier. Speziell in der Episode mit dem “Samenspender” trumpft sie auf als Verhörspezialistin, die sich traut, viel von sich selbst preiszugeben, um den vermeintlichen Täter zu überführen. Benito Martinez ist vor allem glaubwürdig als überforderter Leiter, Catherine Dent spielt eine noch unerfahrene, aber betont starke Persönlichkeit von der Sorte, wie sie in Filmen gerne als hundsgemein unfaires Opfer des Amoklaufes eines Wahnsinnigen oder einer Schießerei wird (hier jedoch ist ihr eine längere Überlebenszeit gewährt). Viele markante Darsteller versammeln sich in dem offenen Büroraum mit den rotschwarzen Bodenfliesen, das mit seiner eigenwilligen Struktur ein wenig an das Eckhaus erinnert, das die “Ghostbusters” renovierten, um sich aus einer staubigen Bruchbude eine Geisterjäger-Zentrale zu errichten. Sprich: Spontan, individuell und mit viel Wiedererkennungswert ist die Zentrale gesegnet, von der aus alle Darsteller operieren. Mittig ein großer Käfig für die Gefangenen, drum herum die Schreibtische und Verhörräume auf einem zweistöckigen Gelände.
Drehbuchtechnisch sind keine Klagen anzubringen. Die 13 Folgen wirken wie aus einem Guss, könnten ein zusammenhängendes Gesamtwerk mit immer neuen Handlungssträngen sein. Beinahe bewegt sich die erste Staffel fort wie eine Comicserie. Das betrifft immer neue, unglaubliche und spektakuläre Fälle, die sich mit zwischenmenschlichen Momenten ebenso abwechseln wie die gut verteilte, verwackelte und um Authentizität bemühte Action mit Dramen- und Comedyabschnitten.
Damit einher geht jedoch eine kleine Überraschung, denn der realistischen Aufmachung der Serie entgegen handelt es sich bei “The Shield” im Endeffekt doch um eine ziemlich übertriebene Arcade-Variante des vermeintlichen Ablaufs eines echten Alltags in einer Polizeizentrale. Zwar erstreckt sich die Handlung über Monate hinweg und Ereignisse überschlagen sich nicht so wie bei einem Tag “24", jedoch sind dennoch ständig Kinderschänder, Kidnapper, Triebtäter und Mörder zu Gast im Revier und haben unfassbare Dinge zu beichten. Schießereien und Tote sind an der Tagesordnung; Rapper erschießen sich gegenseitig aus dem fahrenden Auto heraus, berühmte Basketballspieler werden von der Polizei festgehalten, um so aktiv zum Erfolg bei Spielwetten beizutragen und vieles mehr häuft sich im Laufe einer Episode, um den Zuschauer bei Laune zu halten. Das immerhin funktioniert jedoch ausgezeichnet, und so muss man zwar in Sachen Story-Realismus Abstriche machen, das Suchtpotential erreicht aber phasenweise ähnliche Ebenen wie die wegweisende CTU-Serie mit Kiefer Sutherland, und das, obwohl auf richtige Cliffhanger meist verzichtet wird. Und wenn nicht, handelt es sich eher um “weiche” Cliffhanger.
Soundabmischung und Schnitt sind ausgesprochen stylish ausgefallen. Besonders hervorzuheben ist der geniale Einsatz des Soundtracks. Der Titeltrack selbst, nur wenige Sekunden lang, fetzt nach einem stets sehr stark ausgewalzten Intro (teilweise rund 5 Minuten) mit E-Gitarren, verzerrtem Gesang und Latino-Culture-Partikeln ziemlich ordentlich. Ansonsten werden über die Hauptlaufzeit gerne die Kulissen als Soundquelle benutzt (ein paar Gangster, die über einen Ghettoblaster Hip Hop hören oder eine Bar, in der Heavy Rock gespielt wird), bis gegen Ende ein stets verflucht gut ausgewählter Song sich über die finalen Handlungen der Protagonisten in einer jeden Episode legt und diese Handlungen bedeutungstechnisch damit herausheben.
Die erste Staffel zeigt schlussendlich in 13 Folgen eine taufrische Copserie mit unverbrauchten Darstellern, die produktionstechnisch klar in der ersten Liga spielt und in Sachen Konsequenz bei der Umsetzung derzeit konkurrenzlos auf dem Markt sein dürfte. Wirklich innovativ ist das Konzept zwar nicht, aber es setzt altbekannte Tugenden mit dem Entertainment als höchster Priorität beeindruckend um. Zwar verwundert der fehlende Realismus durch übertriebene Anhäufung von unglaublichen Vorfällen, doch dafür ist der Unterhaltungswert unerwartet hoch. Michael Chiklis ist das Highlight in einer Garde von mehr als fähigen Darstellern, die alle daran teilhaben, dass der Crime-Abend im TV soeben auf eine neue Stufe der Fernsehunterhaltung gehoben wurde.
Sony veröffentlichte die erste Staffel in einem sehr schönen Digipack mit ungewöhnlich vielen Extras. Uncut.