Narco
Originaltitel: Narco
Herstellungsland: Frankreich
Erscheinungsjahr: 2004
Regie: Tristan Aurouet, Gilles Lellouche
Darsteller: Guillaume Canet, Zabou, Benoît Poelvoorde, Guillaume Gallienne, François Berléand, Jean-Pierre Cassel, Vincent Rottiers, Léa Drucker, Gilles Lellouche, Jean Claude van Damme u.a.
Egal ob Kriegsschauplätze, Straßenschlachten mit großkalibrigen Waffen oder wildeste Weltraummetzeleien ...Gustave Klopp ist ein Held. Immer ... zumindest in seinen Träumen. Denn im Reallife ist Gustave ein ziemlicher Loser. Vor allem findet er keinen Job und hängt eigentlich nur ab. Doch das ist nicht einmal sein eigenes Verschulden! Gustave bleibt nämlich nie lange in seinen Jobs, weil er Narcoleptiker ist und daher in allen möglichen und vor allem unmöglichen Situationen einfach einschläft und vor sich hin träumt. Eines Tages hält es seine Frau nicht mehr aus und sie hält ihm eine ordentliche Standpauke - nimmt sie doch Gustaves Krankheit alles andere als ernst. Mitten in der Standpauke schläft Gustave wieder ein. Als er erwacht, hat er eine Eingebung!
Er will fortan seine vor Phantasie überfließenden Träume in Comics umwandeln, ist er doch ein begnadeter Zeichner! Sein Psychiater aus seiner Selbsthilfegruppe bekommt Wind davon, sichtet einige der gezeichneten Träume und ist überwältigt. Er - selbst ein gescheiterter Künstler - würde gerne mit den Zeichnungen seine Reputation in Künstlerkreisen wieder herstellen. Also setzt er ein Killerduo auf Gustave an, das ihn bei einem Anschlag ins Koma verfrachtet. Nun schließt sich der Psychiater mit Gustaves Frau Pam kurz. Gemeinsam mit Gustaves besten Freund Lenny bereichert diese sich fortan an der Situation, verkauft sie doch über Gustaves Psychiater, der alle Bilder mit seinem Signum versieht und sie so zu "seinen" Werken macht, die Comics an einen großen Verlag und vögelt freilich nebenher auch noch Lenny. Da erwacht Gustave wieder ...
Was für ein herrlicher Film! Von Minute eins an lehnt man sich mit einem wohligen Gefühl zurück und lässt sich berieseln. Dabei ist es schwer, Narco wirklich einzuordnen, denn Narco macht einige starke Stimmungsschwankungen durch. Am besten kann man das an Gustaves Krankheit verfolgen. Zunächst kommt man aus dem Feiern nicht mehr heraus. Etwa bei der brüllkomischen Aneinanderreihung von Ereignissen aus Gustaves Jugend, in denen er in seine Schlafzustände verfallen ist. Beim ersten Kuss, beim, vorm und nach dem ersten Sex, bei flüchtigen Begegnungen oder ganz allgemein, wenn es gerade nicht passt. Freilich darf auch die Braut ihn herumtragen und nicht anders herum. Diese herrlichen Einlagen dominieren ungefähr die Hälfte des Filmes. Spätestens als Gustave sogar umkippt, als er die Asche seines Vaters in alle Winde verstreuen will, kann man eigentlich gar nicht mehr lachen, obwohl die Situation irgendwo auch herrlich absurd ist. Nur zu diesem Zeitpunkt ist einem Gustave schon so sehr ans Herz gewachsen, dass man über seinen "Makel" nicht mehr lachen kann und will. Allgemein wird der Film jetzt etwas ernster und düsterer von der Stimmung her, vor allem weil jetzt der Abschnitt beginnt, wo Gustave von allen hintergangen wird. Auch als Gustave dann wieder aufgewacht ist und seine Schlafkrankheit sogar vortäuscht, weil sie ihm aus prekären Situationen helfen kann - zum Beispiel Diskussionen mit seiner Frau - kehrt das Unbeschwerte des Einstiegs nicht mehr zurück und die Stimmung wirkt immer entrückter. Trotz dieser Stimmungsänderungen verliert der Film niemals an Tempo, Verve, Phantasie oder Witz, nur dass dieser eben immer düsterer, abstruser, auch schwärzer wird. Auch macht Narco nicht den Fehler, wie viele Komödien aus amerikanischen Landen, seine ganze Handlung in den ersten 30 Minuten zu verbraten und dann nur noch daraus zu bestehen, Konflikte zwischen den Figuren anzukurbeln. Nein, Narco hat auch am Ende noch Neues zu erzählen und behält so einen durchgängigen, immer stringenten Erzählfluss.
In erster Linie lebt Narco jedoch von seinem herrlich spleenigen Figureninterieur. Da ist zum Beispiel Gustaves Vater, der "nur" drei Laster hat: Frank Sinatra, Abhängen und Actionfilme aus den USA. Oder Gustaves Frau Pam, die am liebsten mit künstlichen Zehennägeln reich werden will. Lenny, Gustaves bester Kumpel, ist leidenschaftlicher Karateka, der mal so erfolgreich sein will wie sein Vorbild Jean Claude van Damme, mit dem er auch Zwiesprache hält und sich von ihm Tipps abholt. Von Leuten wie dem Typ, der andere Leute quälen MUSS, wenn sie rote Haare haben oder der Frau, die alles nur zur Hälfte macht, ganz zu schweigen. Inmitten dieses irren Mikrokosmos an schrägen Figuren mutet Gustave mit seinem "Problem" geradezu herrlich normal an, was seiner Figur und dem Film sehr gut steht, da er so nie zu dem Freak verkommt, der er vermutlich in gleichartigen Filmen aus God's Own Country gewesen wäre. Bei einem solchen Figurenensemble kann man als Darsteller nur gewinnen und folgerichtig bekommt man hier wirklich tolle Leistungen geboten. Hervorstechen können dabei vor allem Benoit Poelvoorde (Mann beißt Hund) als Lenny, der neben Gustave auch die meisten Witze auf sich vereinen kann und beeindruckend zwischen ernst und abstrus komisch hin und her wechselt, ohne dabei JEMALS seinen herrlich prolligen Grundcharakter zu verlieren. Zabou Breitman als Pam gefällt ebenfalls hervorragend als selbstsüchtige Ehefrau von Gustave ohne dabei ihre Figur jemals zu einem reinen Biest verkommen zu lassen - eine Gefahr, die hier von Anfang an bestand. Guillaume Canet als Gustave rockt hier einfach alles weg. Er wirkt wie eine junge Reinkarnation des Dude aus "The Big Lebowski", optisch wie auch hinsichtlich der Gestaltung seines Lebens. Das Slackerhafte bringt der junge Franzose, den man als Begleiter von Leonardo DiCaprio in The Beach kennt, auf den Punkt herüber und er überzeugt sowohl als sprichwörtlicher Penner als auch als Held seiner furiosen Tagträume. Actionfans bekommen zudem zwei wirklich schöne Auftritte von Jean Claude van Damme als Mentor von Lenny zu sehen. Der Belgier wirkt hier, als sei er eben mal vom Wake of Death Set zum Narco Set geibbelt, unterscheidet ihn doch nichts von seiner Rolle in seinem furiosen Comeback. Der gleiche Look, das gleiche Outfit und auch darstellerisch erinnert er an seine Feuertaufe. Leider ist sein Mitwirken mit insgesamt rund drei Minuten recht kurz, wirkt aber so einfach wie eine nette Dreingabe und wird nicht überstrapaziert.
Liest man im Anschluss an den Film etwas in den Abspann hinein und registriert die Dankesworte und die Menge der Leute, an die sich diese richten, kann man sich ausmalen, dass dieser Film vermutlich alles mögliche war, nur keine Big Budget Produktion. Doch dies sieht man dem Film zu keiner Sekunde an. Im Gegenteil. In den Tagträumen wirkt er wie das derzeit so angesagte, hyperenergetische Hochglanzkino französischer Prägung. Dicke Farbfilter, Aufwand, Explosionen, riesige Mündungsfeuer, die sicher gegen die Genfer Konventionen in Bezug auf Flammenwerfer verstoßen, und wirklich gelungene Spezialeffekte in der Weltraumschlacht. Der Rest des Filmes kommt in farbsatten, schönen Widescreenbildern daher und hat ebenfalls noch so manches Schmankerl an Bord wie zum Beispiel Denkblasen und dergleichen mehr. Der Soundtrack passt sich dabei dem Stimmungskaleidoskop des Filmes an: So ist er zu Beginn eher schelmisch und offensiv fröhlich, um zum Ende hin immer schwermütiger zu werden. Dabei hat er sogar die Aufgabe, Szenen vollkommen alleine zu tragen, wie zum Beispiel die Entschuldigung von Lenny an Gustave, die vollkommen wortlos abläuft ... Sehr schön.
Warum gibt's nun nach dieser Lobeshymne keine volle Punktzahl? Tja, da muss ich schwammig werden. Zum einen sagte mein Bauch: NEIN ;-) zum anderen bleibt der Oberdude immer noch der ungekrönte König. Denn Narco rüttelt zwar an seinem Thron und droht ihn mit einer netten Ausgangsidee und einem vollkommen anderen Storyverlauf sogar zu kippen, aber der Dude ist einfach doch eine andere Liga. Also: Wer "The Big Lebowski" liebt, wird Narco zumindest gern haben. Wer "The Big Lebowski" hasst, sollte hier dennoch einen Blick riskieren, zu nett ist die Geschichte ...
Die DVD von Koch Media kommt mit einer Freigabe ab 16 uncut, hat ein hervorragendes Bild und einen passablen, in den Träumen auftrumpfenden, Sound. Die Extras sind belanglos.
In diesem Sinne:
freeman
Narco
Re: Narco
Die häufigen Vergleiche des Films mit "The Big Lebowski" (auch durch die deutsche Werbekampagne in die Welt gesetzt), kann ich null verstehen. Während der Dude ein Slacker ist, der seine Faul zum Zen-artigen Lebensstil erhoben hat, mit sich im Reinen ist und durch äußere Umstände bzw. Zufall in eine Kriminalhandlung geworfen wird, ist Gus an Narkolepsie erkrankt, möchte seinen Zustand ändern und wird Teil einer Kriminalhandlung, bei der die Leute spezifisch versuchen ihn auszubooten. Okay, er trägt auch öfter Bademantel und ungepflegte lange Haare, aber dann sind Jason Bourne und Jason Vorhees auch quasi identisch, weil sie beide den gleichen Vornamen haben und beide Leute umbringen. Tatsächlich hat mich dieser Stil des magischen Realismus von der Bildsprache und den Tagträumen eher an "Die fabelhafte Welt der Amelie" erinnert, der Heldenstatus im Schlaf an die Kurzgeschichte "The Secret Life of Walter Mitty" (die ja 2013 ihre Langfilmversion erhielt).
Ansonsten ist "Narco" ein Film, der für mich in der ersten Hälfte merklich besser funktioniert als in der zweiten. Die Beschreibung von Gus' Krankheit und den daraus resultierenden Problemen ist einerseits sehr amüsant und pointiert (Montage mit den Club- und Disco-Szenen), vergisst aber andrerseits die inhärente Tragik der Figur nicht: Jeder Mal, wenn Gus sein Glück zu erreicht (z.B. den Kuss mit dem Mädchen, das er mag), dann knackt er weg. Das Figurenensemble funktioniert, auch wenn manche Ansätze etwas unterentwickelt bleiben - mit der Verbindung von Papas Actionfilmfaible und Gus' Tagträumereien hätte man noch mehr machen können. Dafür muss man den Aufwand echt loben, gerade der Kriegsfilmauftakt ist für eine Produktion dieser Kragenweite sensationell spektakulär. Actionfans können sich weiterhin an Lenny und seinem Van-Damme-Enthusiasmus ergötzen, inklusive Gastauftritt von Jean-Claude himself - einer der ersten Beweise, dass van Damme auch Selbstironie kann. Weniger schön ist es allerdings, wenn eine Anspielung auf "Double Impact" in der deutschen Synchro mit "Doppelschlag" übersetzt wird und man erst im Verlauf des Dialogs begreift, dass es eben nicht nur um eine Kampftechnik, sondern auch um den Film geht. Wäre da nicht auch ein Wortspiel mit "Geballte Ladung" gegangen?
In Hälfte zwei wird es dann schwieriger, wenn der Film dann seinen Krimiplot erzählen will und die Wirklichkeit mit einem Bondbösewicht-mit-Minderwertigskeitskomplexen-Psychiater und einem Eisläufer-Killerpaar dann fast so abstrus wie Gus' Tagträume werden. Wenn dieser dann für eine Phase des Films im Koma liegt, dann folgt ihm "Narco" gleich mit. Und das Ende mag sich sehr selbstbewusst von den typischen US-Friede-Freude-Eierkuchen-Happy-Endings absetzen (was der Film mit einem Bruch der vierten Wand nochmal betont), irgendwie antiklimaktisch und enttäuschend ist es trotzdem.
Immerhin: Die Besetzung ist mit Spielfreude dabei, die Inszenierung ist gerade für die vorhandenen Mittel echt stark und hat ein paar nette visuelle Gags wie das Bierdosen-Raumschiff. So ganz warm geworden bin ich mit "Narco" aber nicht, dafür hatte mir Hälfte zwei einfach zu viele Durchhänger.
Ansonsten ist "Narco" ein Film, der für mich in der ersten Hälfte merklich besser funktioniert als in der zweiten. Die Beschreibung von Gus' Krankheit und den daraus resultierenden Problemen ist einerseits sehr amüsant und pointiert (Montage mit den Club- und Disco-Szenen), vergisst aber andrerseits die inhärente Tragik der Figur nicht: Jeder Mal, wenn Gus sein Glück zu erreicht (z.B. den Kuss mit dem Mädchen, das er mag), dann knackt er weg. Das Figurenensemble funktioniert, auch wenn manche Ansätze etwas unterentwickelt bleiben - mit der Verbindung von Papas Actionfilmfaible und Gus' Tagträumereien hätte man noch mehr machen können. Dafür muss man den Aufwand echt loben, gerade der Kriegsfilmauftakt ist für eine Produktion dieser Kragenweite sensationell spektakulär. Actionfans können sich weiterhin an Lenny und seinem Van-Damme-Enthusiasmus ergötzen, inklusive Gastauftritt von Jean-Claude himself - einer der ersten Beweise, dass van Damme auch Selbstironie kann. Weniger schön ist es allerdings, wenn eine Anspielung auf "Double Impact" in der deutschen Synchro mit "Doppelschlag" übersetzt wird und man erst im Verlauf des Dialogs begreift, dass es eben nicht nur um eine Kampftechnik, sondern auch um den Film geht. Wäre da nicht auch ein Wortspiel mit "Geballte Ladung" gegangen?
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