MarS hat geschrieben: ↑04.05.2021, 17:25
Ich sehe Liefers jedenfalls nicht in der rechten Ecke, ich mag mich da aber auch täuschen.
Wie ich schon schrieb: Ich sehe Liefers auch nicht in der rechten Ecke. Aber nur weil jemand links oder Mitte links ist, ist er ja nicht automatisch dagegen immun - gewollt oder ungewollt - rechte und/oder verschwörungstheoretische Narrative zu bedienen wie in diesem Fall. Wenn man sich Liefers' Erklärungen bei Illner anschaut, dann scheint ihm ja tatsächlich nur so halb bewusst gewesen zu sein, was er da sagt bzw. wie es ankommt. Aber das macht die Sache ja eben noch schwieriger und spaltender: Wenn da ein sehr prominenter Mensch,der nicht aus dem rechten Milieu kommt, da solche Sätze raushaut.
Dietrich Brüggemann habe ich beispielsweise persönlich kennengelernt, als wir vor etwa zehn Jahren als Redakteure an einem vierteljährlich erscheinenden Magazin arbeiteten. Er in Berlin, ich in Köln, aber wir haben uns dann auch persönlich bei Gelegenheiten wie Weihnachtsfeiern getroffen. Und ja, der ist in meinen Augen ein Linker, wobei ich zugeben muss, dass unser letzter Kontakt jetzt schon einige Jahre her ist. Aber wenn ich auf seinem Blog lese, dann scheint er sich da trotzdem in eine verschwörungstheoretische Weltsicht verrannt zu haben.
Attribute wie rechts, demokratiefeindlich und verschwörungstheoretisch gehen zwar oft zusammen, sind aber nicht synonym. Querdenken ist mittlerweile eine sicherlich sehr stark von rechts geprägte Bewegung (gerade mit Blick auf die Redner, die dort auftreten), aber eben nicht allein, da laufen ja auch linke Hippies und Esos mit. Verschwörungstheoretisch ist sie dagegen größtenteils. Mal ganz abgesehen davon, dass manche Narrative, etwa von "denen da oben, die die Welt kontrollieren" sowohl in stark rechten als auch stark linken Milieus verfangen, wenn auch mit unterschiedlichem Spin.
Und bei allesdichtmachen schien es ja auch so zu sein, dass viele über berufliche Kontakte mitgemacht haben - man kennt denjenigen/diejenige, der/die einen da anspricht, also kann das schon nicht schlecht sein. Kida Khodr Ramadan erzählte ja, dass er auch von Brüggemann gefragt wurde und diesen sehr schätze, aber abgelehnt habe, weil ihm das Ganze zu dubios erschien. So könnte es sein, dass eben ein paar Überzeugte bei der Aktion einen Domino-Effekt ausgelöst haben und Leute mit an Bord geholt haben, die etwas ganz anderes/harmloseres sagen wollten.
Zum Thema Maßnahmen:
Ja, es ist leidig. Ja, es wurden und werden Fehlentscheidungen getroffen. Über eine Freundin habe ich mitbekommen, dass Grundschulkinder den Lollitest auf Corona bekommen, Kita-Kinder dagegen den Abstrich - da wäre es doch sinniger, wenn die Kleinen auch den Lollitest bekämen, denn der Abstrich ist ja selbst für Erwachsene alles andere als angenehm.
Gleichzeitig muss ich bei allem zugeben, dass ich vor allem aus meiner persönlichen Situation argumentiere. Ich habe keine Kinder, also kann ich vermutlich leichter dafür votieren Schulen und Kindergärten zuzumachen, weil ich sie als Pandemietreibe sehe, während gestresste Eltern da vielleicht eine andere Position einnehmen. Ich dagegen bin für Öffnungen in Sachen Kunst und Kultur, die vielleicht jemand anderem am Hintern vorbeigehen, dessen Freizeitprogramm damit erfüllt ist, wenn er im Fernsehen Bundesliga schauen und sich dabei ein Bierchen zischen kann.
Mir persönlich erscheint es so, als würde die Politik auf allen Ebenen (nicht nur in der Regierung) eben in einem Tauziehen zwischen den Verfechtern des Gesundheitsschutzes und den Verfechtern von Erleichterungen in Sachen Wirtschaft und Soziales gefangen sein, weshalb dann am Ende halbherziges Gewurschtel dabei herumkommt. Aus meiner Sicht wäre es vermutlich besser (gewesen), einen richtig harten Shutdown für 2 bis 4 Wochen durchzuziehen und die Infektionen dann so runterzubekommen anstatt immer wieder nur die bestehenden Maßnahmen mit kleinen Justierungen zu verlängern.
Auf der anderen Seite scheint man es auch niemandem Recht machen zu können. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, dann wird immer vom Flickenteppich gesprochen. Wenn es bundesweite Regelungen gibt, dann kommen sofort die Fragen, warum Landkreis A mit Inzidenz M bei Bevölkerungszahl X genau das Gleiche tun muss wie Landkreis B mit Inzidenz N bei Bevölkerungszahl Y. Genauso wie bei jeder neuen Konferenz der eine Teil der Bevölkerungen nach härteren Maßnahmen, der andere nach mehr Öffnungen schreit.
Zumal es ja so ist, dass manche härtere Maßnahme ja vor allem deswegen kommt, damit die leichteren Maßnahmen überhaupt eingehalten werden. Da sagte Palmer ja auch bei Illner: Er hat in Tübingen eine Ausgangssperre überlegt, da sich abends immer wieder Leute in großen Gruppen zum gemeinsamen Feiern sammelten. Diese Überlegungen wären eigentlich nicht nötig gewesen, wenn sich alle an die bestehenden Regeln halten würden.
Und den Königsweg aus der Pandemie scheint bisher ja niemand gefunden zu haben. Ich halte eh nicht so viel von den ganzen Ländervergleichen, weil ja zig Variablen dazu kommen (Zustand des Gesundheitssystems, Alterstruktur der Bevölkerung, Mentalität, Besiedlungsdichte etc.), aber so wirklich gut scheint die Pandemiebekämpfung (ohne dabei gleich unser Verständnis von Demokratie auszuknipsen) nur in Neuseeland funktioniert zu haben - und die haben als Inselstaat einen Vorteil, den die meisten anderen Länder nicht haben.
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