live@Rockhal, Luxemburg, 29. Februar 2012
Dream Theater ohne Mike Portnoy war bis zum August 2010 undenkbar, war der umtriebige Ausnahme-Drummer doch nicht nur an der Gründung der Band im Jahr 1985 beteiligt, sondern lenkte das über die Jahre stetig größer werdende Prog-Metal-Flagschiff in nahezu allen Belangen und stellte auch während Live-Konzerten die treibende Kraft dar, dass Massezentrum, um welches sich die Planeten drehen. Viele warfen ihm das als Egoismus vor und kritisierten ihn als egozentrischen Kontroll-Freak, der in der Live-Situation mit einnehmendem Stage-Acting die frickelnden Bandkollegen regelrecht überstrahlte.Jordan Rudess hat geschrieben:„This is not rocket science. This is not curing cancer, this is a rock band, and I think we can handle it.”
2010 dann völlig unerwartet der Ausstieg:
Ein Twitter-Post, der um die Metal-Welt ging, der ein nicht enden wollendes Drama in Gang setzte, in welchem gegenseitig beschuldigt wurde und die größte Progressive Metal-Band der Welt vor eine schier unlösbare Aufgabe stellte, nämlich den eigentlichen Star angemessen zu ersetzen.Mike Portnoy hat geschrieben:„Nach 25 Jahren habe ich mich dazu entschlossen Dream Theater zu verlassen ... die Band, welche ich gegründet, geführt und ein halbes Jahrhundert lange ehrlich geliebt habe.“
Am 29. April gab die Band dann den Nachfolger im Rahmen der mehrteiligen Youtube-Dokumentation „The Spirit carries on“, die teilweise unangenehm an aktuelle Casting-Shows erinnerte, bekannt: Mike Mangini, eine Technik-Koryphäe, die zuvor bei Annihilator, Steve Vai und beim Soloprojekt von James LaBrie auf die Kessel haute und in der Fachpresse auch aufgrund mehrerer Weltrekorde im Schnell-Schlagzeugspielen auffiel, wo er u.a. den Single Stroke-Rekord hält, bei dem er 1203 Schläge in nur einer Minute mit nur einer Hand einhämmerte.
Für die Rhythmus-Kapriolen und Hochgeschwindigkeits-Frickeleien der Prog-Könige aus New York war er also bestens gerüstet und spielte so das am 9. September 2011 erschienene, übrigens komplett ohne ihn geschriebene erste Dream Theater-Album ohne Mike Portnoy ein: „A Dramatic Turn of Events“
Von der Presse weitgehenst enorm positiv rezipiert, folgte nach einigen Festival-Auftritten im Sommer 2011 nun die Tour, bei der die neuen Songs auch live überzeugen sollten. Nachdem zunächst die USA mit vielversprechendem Support-Act „Trivium“ betourt wurde, ging es im Januar 2012 zusammen mit den Djent-Profis von Periphery nach Europa, wo die Band am 29. Februar im schönen Luxemburg halt machte.
Die Rockhal in Esch-Alzette ist das Konzertlocation-Aushängeschild im gerade mal gut 500.000 Einwohner zählenden Großherzogtum. Die Publikumskapazität von ca. 6500 Personen wird heute nicht mal ansatzweise erreicht, auch die größte Band des Genres bedient letztendlich nur eine Randsparte. Der hintere Bereich ist ab dem Mischpult mit einem schwarzen Vorhang abgetrennt, so dass die geschätzt 2000-3000 Zuschauer nicht komplett verloren in der großen Location untergehen.
Periphery legen gegen 19.30h los und stoßen mit ihrer verhältnismäßig modernen Progressive-Metal-Interpretation bei einem Großteil der Dream Theater-Fangemeinde auf taube Ohren. Die Breakdown-dominierte Djent-Suppe wirkt zu gleichförmig, zu sehr an gängige Core-Mechanismen angelehnt und zerfließt im Soundmatsch, der den Bass komplett verschluckt und auch die eingeworfenen Gitarrensoli, die zu großen Teilen aus oft zweistimmigen, durchaus spektakulären Tapping-Orgien zusammengesetzt sind. Technisch einwandfrei, aber keiner der Solo-Parts vermittelt sowas wie Seele. Wirklich beeindruckend ist da nur die Range von Sänger Spencer Sotelo, der mit spielender Leichtigkeit zwischen Schreigesang und extrem hohen Gesangsparts jongliert, es aber auch nicht schafft, das Breakdown-Gewitter mit packenden Melodien zu beleben.
Als wenig später das Equipment des Support-Acts Stück für Stück verschwindet und sich langsam die Dream Theater-Maschinerie auf der Bühne entfaltet, geht das ein oder andere Raunen durch's Publikum, insbesondere bei der mit sage und schreibe 4 Bass Drums bestückten Drum-Burg von Mike Mangini, auf dem natürlich heute besonders viele kritische Augen ruhen.

Wenig später folgt das aus “Inception” entliehene Intro “The Dream is collapsing”, dass wie der Albumtitel als auch ein Großteil der Lyrics durchaus wie eine wenig subtile Anspielung auf den gewaltigen Bruch im DT-Universum rüberkommt. Die Spannung steigt, Kehlkopf-Gesänge füllen die Halle und allen ist klar, dass “Bridges in the Sky” als Opener der aktuellen Tour auserkoren wurde. Als die Band nach dem ausführlichen Intro-Tapes des 11-Minüters schließlich die mit 3 Screens ausstaffierte Bühne entert, fällt gleich das dicke Grinsen von Gitarren-Mastermind John Petrucci auf. Und er scheint nicht der einzige zu sein, der nach der unschönen Trennung regelrecht aufblüht. Vor allem James LaBrie liefert von der ersten Minute an eine grandiose Live-Leistung ab, die man so von ihm schon viele Jahre nicht mehr gehört hat. Die hohen Töne sitzen alle auf den Punkt, er kommuniziert erstaunlich viel mit der begeisterten Rockhal und präsentiert sich seit langem nochmal als richtiger Frontmann. Keyboard-Zauberer Jordan Rudess hingegen hält sich heute mit der Spielfreude etwas zurück und Bassist John Myung frickelt sich stoisch und emotionslos wie immer durch die arhythmischen 64tel-Skalen. Und Mike Mangini spielt mit einäschernder Power und unmenschlicher Präzision wie ein junger Gott und zeigt im späteren Drum-Solo auch das ein oder andere Single-Stroke-Kunststück. Fest steht relativ schnell, dass er mit seiner eher zurückhaltenden, aber tadellosen Performance wie die Fast auf's Auge ins Dream Theater-Universum passt, im Endeffekt viel besser wie Alleinunterhalter Mike Portnoy. Nichtsdestotrotz ist die Live-Performance der Jungs um eine Attraktion ärmer, denn Petrucci kann mit einstudierten Grimassen und Rockstar-Posen nur bedingt auffangen, was nun an Entertaiment-Faktor fehlt. Schon besser funktioniert da das permanente Grinsen und als im 2 Songs umfassenden Akustik-Block sogar kurz Queen's “Crazy Little Thing Called Love” angespielt wird, als James LaBrie sich dank eines zerbrochenen Mikrofonständers kurz an seinen großen Einfluss Freddie Mercury erinnert, könnte man fast meinen, Dream Theater haben gelernt, spontan zu sein. Für einen kompletten Song zu jammen, fehlt dann aber doch die Spontanität und Improvisationsbereitschaft. In den fast 2,5 Stunden, in denen die Band 6 Lieder des aktuellen Albums, aber auch Klassiker von der “Awake”, der “Images and Words”, dem Erstling “When Dream and Day Unite”, der “Octavarium”, dem Konzept-Monster “Six Degrees of Inner Turbulence” sowie der “Scenes From a Memory” runterreißt ist eine abhanden geglaubte Spielfreude und Lockerheit zu spüren, die das Konzert auch ohne Entertaining-Magneten Mike Portnoy zu einem vollen Erfolg werden lässt. Dabei werden die neuen Songs vom Publikum ähnlich abgefeiert wie die älteren Perlen. “Outcry” fordert mit seiner ausufernden, völlig abgefahrenen Bridge nicht nur Fans, sondern auch James LaBrie, der danach scherzhaft ergänzt, dass er sich diesen verrückten Kram jede Nacht anhören muss und “Breaking All Illusions” entwickelt mit unglaublich präzisem Beginn und einer spektakulären Call-and-Response-Sektion in der Bridge Instant-Classic-Potenzial und auch bei der Single-Auskopplung “On the Backs of Angels” erweist sich das gesamte Publikum als beeindruckend textsicher...sehr zum Leidwesen meiner Mitfahrer, die einen Nachwuchs-LaBrie neben sich stehen haben, der permanent mit Dio-Lautstärke mitgröhlt. Der Großteil des Publikums übt sich natürlich lieber im analysierenden Bart-Kraulen, wozu die ausgedehnten Instrumental-Passagen mehr als einladen, aber das ist man von einem Prog-Konzert ja nicht anders gewohnt. Hin und wieder lassen sich die Massen gar zum Mitklatschen und "Hey Hey Hey"-Chören bewegen. Die gute Stimmung der Band überträgt sich also durchaus auch auf die träge Prog-Audience.

Heimlicher Höhepunkt ist schließlich unser Fan-Banner, was unser Bassist extra für John Petrucci angefertigt hat. Basierend auf einem von Fans nachsynchronisierten, selten bescheuerten Equipment-Video von John Petrucci (> http://www.youtube.com/watch?v=7sej4qZ6-Fs),von welchem wir aus Interviews wussten, dass es dem Gitarrengott bekannt ist, halten wir aus der dritten Reihe 3 Poster mit der Aufschrift „Kill Zone Mode“ in die Höhe, als Petrucci unmittelbar vor uns steht. Mit einem dicken Grinsen und Daumen nach oben quittiert er den Banner-gewordenen Insider und shreddert gleich wieder im „Killzone Mode“ weiter.

Alles in allem kann man festhalten, dass Dream Theater die Trennung von Mastermind Mike Portnoy erstaunlich gut gemeistert haben. Mit Mike Mangini hat man einen technisch mehr als kompetenten Ersatz gefunden und live funktioniert das neue Quintett fast besser zusammen, da nicht mehr nur einer die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das schadet hier und da dem Unterhaltungsfaktor, lässt das Gesamtbild aber stimmiger erscheinen, zudem insbesondere Petrucci und LaBrie unter der neuen Freiheit regelrecht aufzublühen scheinen. Da macht's dann auch ohne größere Publikumsanimationen Spaß zuzusehen, zumal die Band sogar einen Tick tighter zusammenspielt und damit technisch wie gewohnt überirdisch überragend ist.
