[Konzert] Neal Morse Band - Rockhal (Lux) 04.04.2017

Eindrücke, Klangchecks aktueller aber auch älterer Scheiben im Review. Dazu Musik DVDs und Konzertberichte.

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[Konzert] Neal Morse Band - Rockhal (Lux) 04.04.2017

Beitrag von gelini71 » 08.04.2017, 17:33

Eine Doppelreview von gelini71 und Hannibal

Jawohl: eine Doppelreview für das gleiche Konzert - das kommt halt raus wenn zwei Musikbegeisterte irgendwie die Köpfe mal kurz zusammenstecken :lol: (wenn auch nur virtuell)
Dabei haben wir uns Witzigerweise am Konzertort gar nicht gesprochen sondern nur aus der Ferne mal kurz gesehen – was im Nachhinein zwar Ärgerlich aber nicht mehr zu ändern ist.
Hier also nun die zwei Reviews, beide höchst Unterschiedlich vom Stil her. Meine ist eher ein persönlicher Erfahrungsbericht geworden mit allerlei Beiwerk während Hannibal das ganze eher sachlich nüchtern als Journalist betrachtet. Beide zusammen geben aber ein ziemlich rundes Bild von der ganzen Geschichte – finde ich zumindestens.

An dieser Stelle erst einmal ein ganz lautes und dickes „DANKE SCHÖN“ mit dicken Knutscher an Tamara Holper die so freundlich war und mir die Erlaubnis gab Ihre Konzertfotos für diese Reviews zu verwenden.

Beide Reviews entstanden übrigens unabhängig voneinander weswegen es teilweise doppelte Informationen gibt.

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Review von gelini71

Bild
Bild unter CC Lizenz
Quelle: Wikipedia
Bild wurde von mir nur verkleinert um es auf die Webseite anzupassen

Konzertort: Rockhal (Club), Esch-Sur Alzette, Luxemburg
Webseite
Datum: 04.04.2017
Beginn: 20:15 Uhr Ende: circa 22:50 Uhr

Besetzung
Neal Morse – Gesang, Gitarre, Keyboards
Eric Gillette – Gitarre, Gesang, Backing Vocals
Mike Portnoy – Schlagzeug, Gesang, Backing Vocals
Bill Hubauer – Keyboards, Gesang, Backing Vocals
Randy George – Bass, Backing Vocals

Setliste
The Similitude of a Dream Part 1
Intro
Long Day
Overture
the Dream
City of Destruction
We have got to go
Makes no Sense
Draw the Line
the Slough
Back to the City
the Ways of a Fool
So far gone
Breath of Angles

Pause – Twin Peaks Soundtrack

The Similitude of a Dream Part 2
Slave to your Mind
Shortcut to your Salvation
the Man in the Iron Gage
the Road called Home
Sloth
Freedom Song
I´m Running
the Mask
Confrontation
the Battle
Broken Sky / Long Day (Reprise)

Zugabe
Agenda
the Call

Er ist im Auftrag des Herrn unterwegs, er ist richtig gut drauf und er hat sichtbar Spaß – Neal Morse bietet unterhaltsames Rock Entertainment mit Gute Laune Garantie

Bild
Foto: Tamara Holper

Nein – an dieser Stelle lasse ich jetzt nicht die üblichen Phrasen über Neal Morse ab, also keine kleine Spitze über seinen öffentlich gezeigten Glauben zu Gott, keine Wortspiele der Marke „Morse-the-same“ oder irgendwas über „Neal Morse Musik“ oder „Trademarksound“. Wer freiwillig zu einem Konzert eines Musikers geht der hat einen guten Grund, meistens weil er entweder Fan ist und deshalb Grundsätzlich geht oder aber weil ihm das letzte, aktuelle Werk gefallen hat. Letzteres war der Grund bei mir, denn sein aktuelles Albumwerk „the Similitude of a Dream“ hat sich seit seiner Veröffentlichung im November 2016 heimlich zu einem kleinen Liebling von mir entwickelt der öfters im CD Player / auf den Plattenspieler / auf die Playlist des I-Pods landet. Ein Werk von dessen Wucht man anfangs sprichwörtlich erschlagen wird und das dann auf einmal eine richtige Sogwirkung entwickelt, schlichtweg weil es einfach richtig gut ist.

Im Vorfeld der „Road called Home Tour“ der Neal Morse Band wurde auch ganz klar vorher kommuniziert das man das gesamte Werk in voller Länge spielen werde. Da die Livequalitäten von Neal Morse und seinen Bandmitgliedern immer wieder in der Presse gelobt werden war der Wunsch von mir das ganze Live zu erleben schon vorhanden, als dann noch meine Lieblingslocation Rockhal in Esch-sur-Alzette (Luxemburg) auf den Tourplan auftauchte war für mich klar: Da mußt Du hin ! Am Dienstag den 04. April war es dann soweit.

Die Fahrt zur Rockhal war diesmal nicht ganz so easy wie bei den vorher von mir dort besuchten Konzerten weil das Verkehrsaufkommen in und um Esch ziemlich stark war – sprich: ich stand im Dauerstau des wohl üblichen Feierabendverkehrs. Zwei Stunden war ich diesmal unterwegs gewesen und bei meiner Ankunft auf dem großen Parkplatzes des Gewerbegebiets „Bevlar“ war ich dann auch etwas genervt. Als ich dann schließlich an der Rockhal ankam war da bereits eine große Schlange an wartenden Musikfans....die sich aber zum Glück (für mich) nicht als Fans von Neal Morse entpuppten sondern von der Schwedischen Metalband Ghost. Denn an diesem Abend gab es in der Rockhal ein wirklich witziges Doppelbooking – im großen Saal eben die Satanische Band Ghost und im kleinen Club daneben die Christlische Neal Morse Band. Mike Portnoy fand dies später am Abend auch ziemlich witzig als er auf diese Tatsache aufmerksam machte und Sinngemäß meinte er wäre froh das wir uns am Eingang bei der Wahl zwischen Gut oder Böse uns für das Gute entschieden hätten (wobei dies natürlich Ironisch gemeint war, denn er sagte auch das er Ghost Musikalisch durchaus mag).

Nachdem ich mich erst einmal vor dem Eingang etwas umgesehen hatte war rechts neben der große Schlange mit dunkel gekleideten Ghost Fans eine weitere, wesentlich kleinere Schlange mit Fans die Optisch eher zur Neal Morse Band paßten – vor allen deshalb weil ich dort einen Menschen mit einem Dream Theater T-Shirt erblickte. Nach etwas durchfragen und den üblichen Sprachproblemen in Luxemburg (die einen sprechen kein Deutsch, ich kein Französisch und Englisch ist irgendwie auch nicht so die goldene Mitte) die man dann mit Händen, Füßen und Gesten ausgeglichen hat war klar das die kleinere Schlange am Eingang für die Neal Morse Band war. Nun hieß es warten, zum Glück war das Wetter angenehm. Die Wartezeit vertrieben wir uns dann mit dem ablästern über die Schwarz geschminkten Ghost Fans (mittlerweile waren auch einige Deutsche Fans angekommen), ebenfalls für Erheiterung sorgten dann die Menschen die zwar zum Konzert der Neal Morse Band wollten sich aber in der Schlange für Ghost eingereiht hatten und am Eingang wieder abgewiesen wurden (beide Konzerte hatten unterschiedliche Einlasszeiten, die größere Menge bei Ghost dürfte zuerst rein).

Um 19:30 war dann Einlass der wie immer in der Rockhal komplett unaufgeregt und easy von statten ging. Das Personal dort hat wirklich die Ruhe weg, ich bin immer wieder beeindruckt wie total locker und gleichzeitig Professionell dort gearbeitet wird und das das Personal dabei auch noch freundlich zu den Gästen ist. Nach Karten- und Taschenkontrolle sowie einem Stempel auf die Hand (damit man nicht doch den „bösen Weg“ Richtung Ghost geht) ging es in den kleinen Club wo bereits die VIP Gäste waren die das teuere „Meet-and-Greed“ Ticket gekauft hatten. Der Platz direkt vorne an der Bühne war dann auch schnell voll und meine Frau und ich hatten dann etwas stark zu tun unseren Platz dort den ganzen Abend über zu verteidigen weil sowohl von recht wie auch links und auch von hinten immer wieder Leute auftauchten die unbedingt ganz nach vorne wollten. Nun wieder etwas warten, zur Untermalung lief die „Cover to Cover“ CD von Neal Morse. Beim Blick auf die Bühne fiel mir auf das überall verteilt Videokameras waren...und in der Tat, das Konzert sollte gefilmt werden wie sich etwas später herausstellte. Nun hoffe ich natürlich das dieses Konzert bald auf DVD / Blu-Ray veröffentlicht werden wird – denn das wäre ja wohl die beste Erinnerung an so einem Abend, da kommt kein selbstgedrehtes Handyvideo mit (was leider auch an diesem Abend an der Tagesordnung war, einfach nur nervig wenn man solche Menschen neben einem stehen hat).

Die Bühne war klassisch normal aufgebaut – Schlagzeug erhöht auf der linken Seite, eine Batterie Keyboards auf der rechten Seite. Bass vorne links, Gitarre rechts und in der Mitte ein Keyboard (mit Apple Laptop) sowie elektrische und akustische Gitarre für Neal Morse. Über der Bühne die mittlerweile obligatorische Leinwand für Filme, ein Gimmik das sich für diesen Abend aber als total überflüssig erweisen sollte. Punkt 20:15 Uhr wird der Saal dunkel und aus den Boxen ertönt das Orchestrale Intro mit einer Ouvertüre zu „the Similitute of a Dream“ bei dem auf der Leinwand das große Bild aus dem Innencover des Album zu sehen ist. Nachdem dies verklungen ist erscheint Neal Morse alleine auf der Bühne, die Kapuze seiner Jacke auf den Kopf gezogen und mit einer Taschenlampe in der Hand mit dem er sein Gesicht von unter her anstrahlt. Während er den ersten Song „Long Day“ singt erscheinen seine Bandkollegen allesamt auf der Bühne und mit „Overture“ geht es direkt los.

Bild
Konzertbeginn: Neal Morse mit Taschenlampe (Foto: Tamara Holper)

Direkt von der ersten Minute wird klar: da steht ein Mensch auf der Bühne der an dem was er macht einfach Riesengroßen Spaß hat. Voller Energie rennt er über die Bühne, wechselt laufend zwischen Akustischer und Elektrischer Gitarre hin und her, spielt zwischendrin Keyboards, singt natürlich dabei und nicht mal eine gerissene Gitarensaite kann ihn aufhalten – er spielt einfach cool weiter. Den Spaß den er dabei hat ist einfach unübersehbar, während der ganzen Zeit lächelt Morse über beide Backen und seine gute Laune ist einfach ansteckend. Das er dabei wirkt als wäre er selber der größte Fan seiner eigenen Musik mag man lustig finden – auf mich wirkte es Grundehrlich, ein Vollblutmusiker der einfach nur Spaß hat an dem was er macht. Das Morse in diesem Sommer 57 Jahre alt wird mag man angesichts der Power die er hier auf der Bühne an den Tag legt kaum glauben.

Auch der Rest der Band gefällt. Ich gebe zu: bis vor diesem Konzert war ich dem Phänomen Mike Portnoy immer etwas skeptisch gegenüber gestanden, ich kannte ihn bis dahin nur von Studioaufnahmen und die waren für meine Ohren zwar perfekt aber auch nichts besonderes. Jetzt im Live Kontext verstehe ich endlich was alle mit der Power von ihm meinen: Der Kerl ist einfach ein lebendes Kraftwerk hinterm Schlagzeug ! Und ein Charismatisches dazu, zusammen mit dem ebenfalls Charismatischen Morse müßen die drei anderen Mitmusiker in die zweite Reihe – was jetzt nicht negativ gemeint ist. Eric Gillette entpuppt sich als perfekter Könner an seinem Instrument und singen kann der junge Mann auch noch (zudem meinte meine Frau das er „schnuckelig“ aussieht), Bill Hubauer brillierte nicht nur an den Keyboards sondern auch am Saxophone und an der Mandoline. Die coolste Socke ist aber Bassist Randy George – der Körperlich etwas korpulente Mann steht total ruhig und ohne Hektik in seiner linken Ecke und zupft seinen Bass, nichts bringt ihn aus der Ruhe – faktisch der total Gegenpol zu Morse und Portnoy.

Bild
Eric Gillette an der Gitarre (Foto: Tamara Holper)

Die Show sind die fünf Musiker – das im Hintergrund auf der Leinwand ein kompletter Film läuft wo die Geschichte zu „Similitude of a Dream“ illustriert wird tritt dabei vollkommen in den Hintergrund. Nur manchmal achtet man auf das was auf der Leinwand zu sehen ist, einfach weil auf der Bühne selber soviel los ist. Wie schon Anfangs erwähnt – die Leinwand hätte es nicht gebraucht, Neal Morse und seiner Band zuzuhören und anzusehen reicht als Unterhaltung vollkommen aus. Die Lightshow ist ordentlich aber auch nichts besonderes, eben das Standardprogramm was man in der heutigen Zeit erwarten kann. Soundmäßig war es mir persönlich teilweise ein klein wenig zu laut, obwohl am Anfang der Show die Anlage sogar richtig Glasklar ausbalanciert war. Aber leider wurde nach einigen Minuten der Lautstärkeregler etwas hochgezogen und es wurde etwas verzerrt im Bassbereich. Trotz dieses kleinen Mankos war es vom Sound her vollkommen in Ordnung – ich hatte am Tag danach auf jeden Fall kein Ohrenklingeln wie bei so manch anderen Konzert.

Musikalisch gab es wie schon erwähnt das gesamte „Similitude of a Dream“ Album in der Live Version. Es klang Live für mich etwas rockiger / zackiger / härter / direkter als in der Studioversion. Das die fünf Musiker es sogar schafften die gesamten Rhythmuswechsel, schräge Taktarten und Tempowechsel der Musik ohne Probleme oder Stolpern rüberzubringen nötig schon einiges an Respekt ab – alle fünf auf der Bühne sind absolute Könner. Neben Morse brilliert fast jedes Mitglied der Band auch als Sänger von mindestens einen Song, lediglich Randy George beschränkt sich auf Backing Vocals.

Bild
Keyboarder Bill Hubauer (Foto: Tamara Holper)

Dem Musikalischen Konzept war es dann aber auch geschuldet das die Kommunikation mit dem Publikum eher etwas spärlich ablief – einfach weil die einzelnen Stücke fast alle Nahtlos ineinander übergehen und es kaum Pausen gab. Neben der bereits erwähnten Spitze von Portnoy gegen Ghost „mußten“ wir dann noch für Neal Morse seinen Sohn ein Geburtstagsständchen singen weil dieser an diesem Abend seinen 21. Geburtstag gefeiert hat – was Morse dann mit seinen I-Phone filmte. Zwischen beiden Blöcken des Albums gab es noch eine Pause von 15 Minuten, genau an der Stelle wo man auch bei der Studioversion die CD wechseln muß. Als Pausenmusik gab es den Soundtrack zur TV Serie „Twin Peaks“ - warum auch immer.... Der Zugabenteil am Ende des Konzerts bestand aus zwei Songs des Vorgängeralbums „the grand Experiment“: dem imo etwas albernen „Agenda“ sowie dem epischen „the Call“, andere Stücke aus dem Reichhaltigen Fundus von Neal Morse wurden nicht berücksichtigt. Um circa viertel vor Elf war die Show dann zu Ende.

Bild
Neal Morse (Foto: Tamara Holper)

Neal Morse Live und direkt zu erleben ist wirklich ein Erlebnis, der Mann hat einfach eine Präsens die man wirklich mal gesehen und erlebt haben muß. Das man hier Christlische Rockmusik zu hören bekam fiel dabei gar nicht weiter auf (wenn man die Texte ignorieren kann ist das sowieso nicht weiter relevant). Einfach nur Neal Morse dabei zuzuschauen wie er über die Bühne rennt, seine Mitmusiker und das Publikum anfeuert, in diverse kleinere Verkleidungen schlüpft (meist Brillen und Masken sowie diverse Oberteile) und einfach nur mit einem Riesenspaß und jeder Menge guter Laune seine Musik spielt ist Show genug. Wer braucht da noch Videoleinwand oder große Lightshow ? Hier ist der Musiker die Show. Ein perfekter schöner Abend...

Nach dem kauf des obligatorischen Tour-T-Shirts als Andenken ging es zurück zum Parkplatz. Nicht so schön war der große Stau beim verlassen des Geländes, weil auch Ghost kurz vorher ihr Konzert beendet hatten. Somit endete der Abend wie er began – mit einem Verkehrsstau....
:liquid9:

Selber Bilder vom Konzert habe ich wie immer nicht gemacht aber es waren wieder Profifotografen anwesend – zum einen Rockhal Stammfotograf Claude Piscitelli der ein schönes Fotoset bei Flickr hochgeladen hat sowie Simon Engelbert der seine Fotoserie bei Facebook veröffentlichte....und selbstverständlich gibt es noch die Fotos von Tamara Holper bei 5vier und hier.

Kleine Anekdote am Rande: Wie oben in der Einleitung erwähnt wäre es beinahe zu einem kleinen LL Usertreffen gekommen, denn wie gesagt war auch Hannibal anwesend. Ich fand es witzig wie sich in der Pause auf einmal unsere Blicke trafen, wir beide ein Gesicht machten nach dem Motto „den kenne ich doch von irgendwoher“ bis wir beide wohl fast gleichzeitig realisierten wer der andere ist und wir uns kurz grüßten. Leider verpassten wir uns nach dem Konzertende und so blieb uns beiden ein Gespräch leider verwehrt. Aber es wird nachgeholt...irgendwann...versprochen...und dann auch mit Beweisfoto.

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Review Hannibal

Diese Review erschien zuerst bei 5vier.de

Neal Morse in der Rockhal – Prog Rock in Missionarsstellung
Zwischen Satan-Hard-Rock, Taktsalat und A Cappella-Gänsehaut

Die kleine Rockhal, in der die „Neal Morse Band“ heute auf ihrer „The Road Called Home“-Tour gastiert, wirkt fast mickrig für derart geballtes musikalisches Know-How, was sich heute in Form des komplett präsentierten Doppel-Konzept-Albums „The Similitude of a Dream“ in Luxemburg entladen wird.

Trier / Esch-sur-Alzette. Das mit Mike Portnoy und dem unglaublich wandlungsfähigen Newcomer Eric Gillette zwei der an ihren Instrumenten besten Musiker der Welt auf die Bretter steigen, lässt sich angesichts des übersichtlichen Luxemburger Publikums kaum glauben. Mike Portnoy ist bekannt geworden als ehemaliger Schlagzeuger der Progressive Metal-Institution „Dream Theater“ und hat seit seinem Ausstieg ein buntes Portfolio an Gastauftritten und musikalischen Projekten gestartet, bei dem selbst Fans schnell den Überblick verlieren. Zur größeren Einordnung: er trommelte zwischenzeitlich bei „Avenged Sevenfold“, half bei „Stone Sour“ aus und ersetzte den verstorbenen A.J. Pero bei „Twisted Sister“, mit denen er zuletzt beim legendären Wacken Open-Air eine Headliner-Show vor rund 80.000 Zuschauern spielte.
Heute sind es deutlich weniger, aber das soll den Spaß in der kleinen Halle nicht schmälern. Die Musik von Neal Morse, mit dem Portnoy mittlerweile 18 gemeinsame Alben auf den Markt gebracht hat, ist auch nicht mit dem Party Rock der Marke „I Wanna Rock“ vergleichbar. Die 5-köpfige Band performt puren Progressiv Rock, kurz Prog Rock, eine Musikrichtung, die von ausschweifenden Kompositionen, technischen Passagen, Stil-Kreuzungen und regelrechten musikalischen Erzählungen lebt. So schrauben sich die Songs von Neal Morse auch schnell mal in zweistellige Minuten-Angaben und wechseln mit spielerischer Leichtigkeit zwischen technischer Meisterleistung, groovenden Riffs, balladesken Momenten und mehrstimmigen Höhepunkten.
Heute steht „The Similitude of a Dream“ im Vordergrund, das aktuelle Album der Band, welches erneut nicht mit Superlativen hinter dem Berg hält. Hinter dem Werk versteckt sich ein waschechtes Konzept-Doppelalbum, welches eine zusammenhängende Geschichte auf 2 CDs erzählt, die auf dem christlichen Erbauungsbuch „The Pilgrim’s Progress“ aus dem Jahre 1678 beruht. Neal Morse ist ein überzeugter Christ, der 2002 seine Hauptband „Spock’s Beard“ verließ, weil er sich von Gott zu Höherem berufen fühlte und seitdem mit seiner Solo-Truppe erfolgreich durch die Welt tourt. Wer mit der religiösen Schlagseite seiner Texte nicht klarkommt, hat heute ausnahmsweise das genaue Gegenteil gleich um die Ecke zur Auswahl: in der großen Rockhal spielen in direkter Nachbarschaft zur christlichen Prog-Show die als Päpste verkleideten Satan-Hard-Rocker „Ghost“.

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Schlagzeuger Mike Portnoy (Foto: Tamara Holper)

Während bei den Düster-Rockern noch die Vorbands lärmen, legt die Neal Morse Band ohne große Umschweife um 20.15 Uhr los. Es gilt keine Zeit zu verschwenden, schließlich beträgt die Laufzeit von „The Similitude of a Dream“ schon fast 2 Stunden. Dementsprechend geht es auch ohne Umschweife direkt mit dem Konzept-Album, was in der Fachpresse als eines der besten Prog-Releases des letzten Jahres gelobt wurde, los. Morse kommt mit Kapuze bekleidet und nur von einer kleinen Taschenlampe angeleuchtet auf die Bühne und singt die ersten Takte solo mit der orchestralen Begleitung vom Band. Das wirkt angesichts der kleinen Tour-Produktion durchaus gut gelöst und bläst den Moment, in dem die ganze Band schließlich einsetzt umso größer auf. Die illustre Kombo hinter dem stets sympathisch-missionarisch auftretenden Frontmann versteht es, trotz kleinen Locations und auch vor kleinem Publikum die Wirkung ihrer Show zu maximieren und auch ohne audiovisuelle Effektsalven von Beginn an episch in die Breite zu ziehen.

Die ersten Momente von „The Similitude of a Dream“ klingen perfekt, sound-technisch ziemlich ideal ausgesteuert und einfach nur groß. Dabei fordert die „Overture“ als erstes komplettes Stück für die Band nach dem Intro vom Band gleich die gesamte Mannschaft. Die Instrumentalnummer ist Progressive Rock in Reinkultur und peitscht den Zuhörer durch eine Takt- und Stimmungs-Achterbahn, die im Sekundentakt ihr Gesicht wechselt. Hier als Musiker den Überblick zu behalten, scheint beinahe unmöglich, doch das Quintett findet eine Ordnung im vermeintlichen Chaos und spielt zu 100% auf den Punkt. Maßgeblich daran beteiligt ist natürlich Schlagzeuger Mike Portnoy, der seine Kollegen mit beinahe schlafwandlerischer Sicherheit durch den Taktsalat manövriert, sowie Eric Gillette, der aufstrebende Stern am Gitarristen-Himmel, der wirklich jede geforderte Spielform dieses Albums mit Bravour und unglaublichem Feeling meistert. Und das sind so einige…

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Bassist Randy George (Foto: Tamara Holper)

Egal ob Heavy Rocker, gefühlvolle Ballade oder kurze Jazz-Sektionen, die Musik der Neal Morse Band könnte in ihren abenteuerlichen Stil-Kombinationen nicht abwechslungsreicher sein. Selbst kurze mehrstimmige A Cappella-Momente werden inmitten der technischen Passagen auf den Punkt genau zum Besten gegeben. Auch das Zepter des Lead-Sängers wird in der Band herumgereicht, wie ein Wanderpokal. Nicht nur Neal Morse, sondern auch Gitarrist Eric Gillette, Keyboarder Bill Hubauer und sogar Drummer Mike Portnoy übernehmen den Gesang in vereinzelten Songs und überzeugen alle auf ihre ganz eigene Weise. Besonders in Erinnerung bleibt vor allem der Gitarrist, der fast facettenreicher durch die Lieder führt, als Morse selbst.

Durch den Kontext des Konzeptalbums finden die Jungs aber auf geradezu meisterhafte Weise immer wieder zu den verschiedenen Hauptmotiven der Platte zurück, so dass die Geschichte mit zunehmender Laufzeit immer vertrauter wird und gleichzeitig immer enorm abwechslungsreich bleibt. Eine recht lange Pause im Set zwischen den zwei CDs hätte es nicht unbedingt gebraucht, lässt sich aber angesichts der spielerischen Leistung verschmerzen. Dafür tritt die Band nach dem Break fast noch gelöster auf und hat deutlich mehr Kontakt zum Publikum, dass die sympathischen Ansagen seiner Taktsalat-Helden mit viel Begeisterung aufnimmt. Bei den Songs beschränkt sich die Publikumsreaktion wie bei Progressive Rock-Konzerten üblich auf konzentriertes Zuhören, vereinzeltes verhaltenes Mitsingen und hier und da mal ein bisschen Mitklatschen. Viele Fans des Genres sind selbst Musiker und verfolgen jede Sektion der komplexen Songs mit Argus-Augen mit, dabei bieten erstaunlich viele der vertrackten Kompositionen durchaus Ohrwurm-Potenzial mit eingängigen Hooklines.

In der zweiten Hälfte fällt allerdings auch auf, dass eine etwas gerafftere Erzählung, sprich etwas weniger überflüssiges Gewicht hier und da, dem Album vielleicht noch etwas mehr Biss verliehen hätte. Mike Portnoy plädierte in der Produktionsphase übrigens für ein Konzeptalbum auf nur einer CD, während der Rest der Band ein Doppel-Album wollte. Weniger wäre in diesem Fall vielleicht sogar noch etwas mehr gewesen. Nach Ende der regulären Spielzeit, die mit deutlich über 2 Stunden schon die meisten normalen Konzerte überschreitet, lässt man es sich trotzdem nicht nehmen, noch mit einer Zugabe auf die Bühne zu kommen. Diese fällt in der Rockhal mit 2 Songs etwas kompakter aus als in vorangegangen Shows, wo es nochmal bis zu 4 Lieder im Zugabenblock zu bestaunen gab. Immerhin ist mit „The Call“ auch heute ein Longtrack dabei, der zum krönenden Abschluss nach Gänsehaut-erzeugendem A Cappella-Intro nochmal die 10-Minuten-Marke knackt. Damit stimmt man nicht unbedingt alle Fans der ersten Stunde glücklich, die sich sicherlich einen stärkeren Fokus auf älterem Material gewünscht hätten, aber die exklusive Konzentration auf „The Similitude of a Dream“ war bei dieser Tour von Anfang an beschlossene Sache.

Bild
Mike Portnoy und „Sloth“ (Foto: Tamara Holper)

Und der Scheibe, die Ende vergangenen Jahres die Prog-Welt regelrecht verzückte, kommt das radikale Konzert-Konzept zweifellos entgegen, kann sich doch nur so die zusammenhängende Geschichte mit all ihren wiederkehrenden Motiven und Höhepunkten voll und ganz entfalten. Dabei überzeugen Neal Morse und seine Jungs mit Instrumental-Skills nicht von dieser Welt und einer glasklaren Auf-den-Punkt-Performance, die durch die enorme Vielseitigkeit und ansteckende Spielfreude noch zusätzlich veredelt wird. Schade, dass die nur einem so verhältnismäßig kleinen Publikum zu Teil wird, was aber gleichzeitig die andere Seite der Prog-Rock-Medaille zeigt: derart komplexe, manchmal auch verkopfte Musik hat auf dem Massenmarkt leider keine Chance, wo Radio-Tauglichkeit und Tanzbarkeit an vorderster Front stehen.

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Beitrag von Hannibal » 10.04.2017, 13:59

Auch an der Stelle nochmal vielen Dank für das Einpflegen meines Textes...ist ja ein richtig schönes Doppel-Epos geworden :D
Besonders freut mich, dass du Portnoy's Live-Performance was abgewinnen konntest. Ich bin ja bis heute der Überzeugung, dass sein extrovertiertes Auftreten mich erst in die Prog-Richtung manövriert hat...als ich ihn das erste Mal spielen sah, war das wie Hetfield hinter'm Schlagzeug ;)

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Beitrag von gelini71 » 10.04.2017, 14:18

Der Power und dem Charisma von Portnoy kann man sich nicht entziehen :wink: Sogar meine Frau fand ihn cool und das will was heißen :lol: Ich fand schon Craig Blundell am Schlagzeug in der Steven Wilson Band ziemlichen Wahnsinn, aber das hier war noch mal eine dicke Schippe mehr :shock:
Danke auch nochmal von meiner Seite das die ganze Reviewgeschichte so flott über die Bühne ging trotz Training (meinerseits) und Job (deiner und meinerseits) :D
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Beitrag von Vince » 10.04.2017, 17:03

Ich hätte mich für die böse Seite entschieden. ;) Einfach weil ich Ghost sehr mag und sowohl Portnoy als auch Morse schon öfter mal gesehen habe (u.a. auch zusammen mitm Hanni - wäre mal wieder Zeit mit uns ;) ).

Feines Doppelreview jedenfalls! Und das wohl kürzeste Usertreffen aller Zeiten. :lol:

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Beitrag von freeman » 10.04.2017, 18:48

Eben echte Männerliebe. Da muss nix gesagt werden. Da reichen Blicke :lol:

Coole Sache! Starker Doppelschlag Männers!

In diesem Sinne:
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Beitrag von gelini71 » 11.04.2017, 08:34

Vielen Dank :D

Ob Morse im Backstagebereich versucht hat die Mitglieder von Ghost auf den rechten Weg zu lenken ? Zutrauen würde ich es ihm... :lol:
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