Liquid-Love-Bücherthread

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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 15.06.2020, 14:15

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50
von Hideo Yokoyama
Hideo Yokoyama hat es geschafft, er hat sich seinen Platz in meinem Leserherzen erschrieben. Nach dem grossartigen Roman "64" und den spannenden Kurzgeschichten "2" gibt es mit "50" nun endlich seinen Debütroman auf Deutsch zu lesen. Eine japanische Kriminalgeschichte, die sich angenehm von dem hierzulande bekannten Einheitsbrei abhebt.

Nicht nur handelt "50" von einem Mordfall eines Polizisten, sondern von Ethik, dem Gesundheitssystem und der Problematik von Demenz, den internen Machtkämpfen der Staatsapparate - und natürlich der japanischen Verhaltensweise. Ohne Schockmomente oder billige Finten bietet das Buch eine mitreissende Geschichte, die aus wechselnden Perspektiven und daher mit immer wieder neuen Argumentationen fortgeführt wird.

Toll auch, dass sich der Atrium Verlag bei der Gestaltung dieser Bücher so viel Mühe gibt. Farbiger Schnitt, geschmackvolle Motive und eine einheitliche Wirkung bei allen Veröffentlichungen zu Yokoyama.
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Recursion
von Blake Crouch
Blake Crouch hat es wieder getan: Nach "Dark Matter" hat er erneut einen SF-Thriller geschrieben, der mich nicht nur gepackt, sondern zugleich fasziniert hat. Eine Freude, welche man bei den besten Genre-Werken verspürt, die nicht nur eine packende Geschichte auftischen, sondern auf gute Art mit Wissenschaft und Physik herumspielen. "Recursion" macht dies, indem es eine Welt aufzeigt, in der man Zeitreisen ermöglicht hat. Im geheimen natürlich, und durch die Technologie, in Erinnerungen einzutauchen.

Das bietet tolle Möglichkeiten, Geschehnisse mehrschichtig und repetitiv anzulegen, Situationen auf den Kopf zu stellen und mit Figuren und Orte zu spielen. Crouch gelingt dies scheinbar mühelos, ohne komplexe Sprache oder zu verkopftes Konstrukt. Der Roman liest sich schnell und befriedigt nicht nur Nischenfans auf tolle Weise.
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Freie Sicht aufs Kino. Beiträge zur Filmkritik in der Schweiz
von Philipp Brunner, Tereza Fischer und mehr
Mit dem Essayband "Freie Sicht aufs Kino" untersuchen Autorinnen und Autoren die Geschichte der Filmkritik in der Schweiz, und deren heutige Relevanz. Mit drei nachgedruckten Texten, welche in den Neunzigerjahren diese Aufgabe zu stemmen versuchten, bietet der Band zu Beginn einen Blick zurück, um dann den heutigen Zustand der journalistischen Sparte zu erkennen.

Herausgegeben von der Zeitschrift "Filmbulletin", bietet "Freie Sicht aufs Kino" einen spannenden Überblick der Schweizer Szene, welche Problematiken, Möglichkeiten und Dimensionen aufzeigt. Als Filmliebhaber ist es für mich immer spannend, die theoretischen Aspekte der Kunstform in Betracht zu ziehen, zu der auch die kritische Reflektion des Gesehenen gehört. Dank der zugänglichen Textform ermöglicht sich bei der Lektüre eine weitreichende Verknüpfung. Konsumverhalten und Medienkritik im allgemeinen, Sehgewohnheiten und Geschmacksfragen werden verwoben.
Ein spannender Band mit viel Hintergrundwissen, der Lust auf intelligente Diskussionen über Filme und TV-Sendungen macht.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 19.06.2020, 09:07

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Goldene Jahre
von Arno Camenisch
Arno Camenisch, du bist ein Schlitzohr. Regelmässig veröffentlichst du Geschichten, meist verpackt in einem hübschen Büchlein mit etwa 100 Seiten - und bietest darin die Möglichkeit, in die leicht verschrobene Welt der Alpkantone der Schweiz einzutauchen. Reminiszenzen und ehemalige Erlebnisse der beschriebenen Personen nehmen die zentrale Rolle ein, ein entspannter Stil begleitet die Szenerien.

Diese Erzählweise hat mich zu einem Fan von dir gemacht, Arno, nun aber muss ich sagen: Bitte, spreng bald einmal dein Muster. Nach "Ustrinkata", "Der letzte Schnee" und "Herr Anselm" ist "Goldene Jahre" bereits das vierte Buch, das praktisch deckungsgleich funktioniert. Einzelne Figuren im Zentrum, Anekdoten werden hin- und hergeworfen, ein zielloser Einblick in das normale Alltagsleben. So weit so angenehm, für mich als regelmässiger Leser camenischer Bücher hat sich die Formel nun leider totgelaufen. Wer vor "Goldene Jahre" noch nichts vom Autor gelesen hat, der darf gerne ein paar Punkte aufrunden.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 28.06.2020, 18:03

SFI hat geschrieben:
05.06.2020, 16:05
Ich wundere mich ja schon häufig, warum man einen Film in der Qualität zu Ende schaut, aber ein Buch? Was hast am Ende erwartet? Eine Schatzkarte? :lol:
vielleicht hat er am Ende gehofft, das Buch zu verstehen :00000694
Sorry, der musste sein...Flugangst fand ich nicht schlecht, nicht der stärkste Fitzek und nimmt am Ende ein wenig raus um die eigentlich unlösbare Situation zu lösen...sonst fand ich den aber recht gut, hatte das Hörbuch gehört. Nbib machts möglich für lau ;)
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 26.07.2020, 14:53

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Wie der Soldat das Grammofon repariert
von Saša Stanišić
Wie war es damals in der Heimat? Anders, verwirrend, wunderschön. So scheint sich Hauptfigur Aleksandar an die Herkunft von sich und seiner Familie zu erinnern. Die Gedanken an das ehemalige Bosnien werden mit Querverweisen zum Leben in Deutschland versehen, überborden vor allem aber dann, wenn sich die Verwandten an der Erzählung beteiligen und Anekdoten wie Eigenheiten zum Besten geben.

Das Debüt von Saša Stanišić ist ein sprunghaftes Buch, ein Roman voller kleiner Episoden und blühenden Abschnitten. "Wie der Soldat das Grammofon repariert" bietet in seiner Form eine lebendig wirkende Rückschau in ein Leben aus anderer Zeit, liess zugleich aber etwas an Gesamtheit vermissen. Trotzdem, sprachlich mehr als überzeugend.
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Der dunkle Wald
von Liu Cixin
Mit dem zweiten Teil der "Die drei Sonnen"-Trilogie springt Liu Cixin einige Jahre nach vorne und präsentiert eine Weiterführung der Geschichte mit neuen Figuren und weiteren Problem. Die Trisolaris-Flotte befindet sich im Anflug, die Bedrohung wird realistischer. Obwohl noch mehrere Jahrhunderte bis zum Aufeinandertreffen zwischen Menschheit und Ausserirdischer vergehen werden, befindet sich die Erde in einem tumultartigen Zustand. Politisch, Wirtschaft und Wissenschaft werden geprüft, verändert, gefordert.

"Der dunkle Wald" bietet intelligente SF-Unterhaltung, welche mit logischen Schlussfolgerungen, tiefreichenden Problemen und durchdachten Lösungen fesselt. Vieles an diesem Roman wirkt realistisch, niemals verkommt das Buch zu einer hohlen Erzählung, immer fiebert man mit. So bleibt am Ende dieses Bandes alles anders als zuvor, so will man sofort weiterlesen.
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Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich
von David Foster Wallace
Seit dem (mehr oder minder grossen) Vergnügen von "Unendlicher Spass", ist mir David Foster Wallace ans Herz gewachsen - er war ein grosser Denker, ein fantastischer Autor. Die Sonderausgabe zum weltbekannten Essay "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich" konnte mich sogar noch stärker überzeugen, wohl auch, da hier nicht wochenlange Arbeit nötig war. Mit hübschem Einband, herrlich subtilen Zeichnungen und einer schönen Schriftsetzung ist diese Edition der Büchergilde Gutenberg für jeden Fan ein Muss.

Der Bericht über eine längere Kreuzfahrt, welche Wallace aus schriftstellerischen Gründen wirklich unternahm, zieht der Pauschalreiseindustrie auf beste Weise den Teppich unter den Füssen weg. Entlarvt den Stumpfsinn unserer Gesellschaft und bietet einen pointierten Blick auf Tourismus, Luxus und Egozentrik. Ergänzt durch die humoristischen und bösen Fussnoten, verzaubert Wallace mit jedem Satz.
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Frankissstein: A Love Story
von Jeanette Winterson
Als der Roman "Frankenstein" damals veröffentlicht wurde, liess er die Leserschaft nicht nur vor Grusel erschaudern, sondern zeigte eine neue Perspektive auf den menschlichen Körper, das Leben, das Dasein. Ein Mann brachte eine neue Person auf die Welt, die Geschlechterfrage wurde auf den Kopf gestellt.

Jeanette Winterson nimmt diese Voraussetzung für "Frankissstein" und spinnt die Gedanken in der heutigen Zeit weiter. Was bedeutet Sexualität, Geschlecht und Körperform im 21. Jahrhundert? Was unterscheidet uns von Robotern, Maschinen? Ein Roman, der wichtige Fragen und spannende Aussagen in tollen Situationen darlegt, ohne moralisch zu sein oder plakativ zu werden. Trotz dem Handlungsstrang im Sexgewerbe, trotz teilweise klischiert agierenden Personen.

Diverse Zeitebenen und Möglichkeiten verbinden sich so zu einer weitreichenden Betrachtung von unserer Wahrnehmung als Spezies - und die Autorin versucht gar in die mögliche Zukunft zu blicken.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 27.07.2020, 17:40

Dieter Kleffner - Ein Tag für Blinde, Lahme und Verrückte

Ich hatte vorher AUTORENSTOLZ gelesen von ihm, der mich nicht ganz so begeistern konnte (der ähnlich gelagerte und offenbar ein wenig von Autorenstolz inspirierte OFFLINE von Arno Strobel übrigens noch weniger), das Buch hier fand ich aber richtig gut.

Dieter Kleffner ist ein blinder Autor, den ich auch schon bei mir in der Sendung hatte und somit auch einige Leseexemplare geschickt bekommen hatte. Das Buch - wie gesagt mein zweites von ihm - las sich richtig schön, hatte spannende Charaktere und starke Momente.

:liquid9: würde ich dem etwa geben

http://www.blautor.de/vita-und-werke/di ... ueckte.htm


Arno Strobel - Offline

nette Grundidee, die ich ein wenig als geklaut empfang von Autorenstolz - wie oben beschrieben - allerdings im letzten Drittel ziemlich langatmig und viel zuviel hin und her...mit der Schwerverletzten und ihrer "Rätselaufgabe" kam noch etwas Spannung rein, letzten Endes empfand ich aber die Auflösung als eher schwach...

:liquid5: knapp vielleicht
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 02.08.2020, 09:59

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Die unsichtbare Frau
von Siri Hustvedt
Wie definiert sich ein Mensch? Von aussen her, aus den Betrachtungen und Wahrnehmungen der Mitmenschen, oder selbst, innerlich und mit den eigenen Vorstellungen? Bei Iris Vegan im Roman "Die unsichtbare Frau" passiert ersteres, die Literaturstudentin hat sich noch nicht gefunden und dient darum als Gefäss für Phantasien und Taten von Männern.

Siri Hustvedt beschreibt das Leben von Iris anhand diverser Anekdoten und Begegnungen mit Typen, die mit kleinen Zeitsprüngen getrennt werden. Formell wie immer mehr als gelungen. Man begleitet die Figur wie ein Spielball durch ihre Suche und ihre Fehltritte, was als Spiegel für die eigens erlebten Momente funktioniert, in denen man andere Menschen oder sich selber wahrzunehmen versuchte.

Wer ist man? Was sollte man sein? Schwierige Gedankengänge, die man zu selten mit Sicherheit beenden kann. Zu oft benötigt es einen Ruck von aussen, wie bei "Die unsichtbare Frau". Der intelligent geschriebene Roman endet dann, als Iris endlich eine neue Perspektive einnehmen kann und die Passivität durchstösst. Zu spät oder gerade noch im richtigen Moment? Das bleibt der Leserin und dem Leser überlassen.
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Widerfahrnis
von Bodo Kirchhoff
Verpasste Chancen im Leben können schmerzen, noch schlimmer sind falsch getroffene Entscheidungen. Daran nagt der pensionierte Kleinverleger Reither im Roman "Widerfahrnis", und lässt sich darum auf eine spontane Abenteuerfahrt mit der ehemaligen Hutverkäuferin Leonie Palm ein. Was zuerst aus Neugierde geschieht, entwickelt sich immer mehr zu einer Suche nach Vergebung, zu einer zweiten Chance, zu einer Korrektur.

Mit einer langsamen Sprache, welche sich scheinbar dem Alter der Protagonisten angepasst hat, beschreibt Bodo Kirchhoff in seiner Novelle in geschickt formulierten Sätzen und teilweise spitzbübischen Bemerkungen diesen neu gefundenen Glauben an Harmonie. Nicht ohne Fallen natürlich, nicht ohne die blauäugigen Fantasien von uns allen zu durchschauen. Ein Buch, das sich wunderbar mit den Zweifel im höheren Alter auseinandersetzt und zugleich die Welt als Ort beschreibt, den man mitgestalten und geniessen kann.
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Spring
von Ali Smith
Zu selten passiert es, dass man eine neue Autorin entdeckt, die bei keinem Buch enttäuscht. Bei Ali Smith wage ich nun sogar zu behaupten, dass ihre Romane nur noch besser werden. Der dritte Teil der Jahreszeiten-Quadrilogie, "Spring", untermauert diesen Gedanken. In ihrer unvergleichlichen und emotional wie intellektuell mitreissenden Schreibweise betrachtet sich das heutige Grossbritanien, festgefahren in alten Hassgedanken, neuen Ängsten und dem chaotischen Brexit.

Ohne politisch komplexe Strukturen einbauen zu müssen, verbindet dieser Roman genial die Leben einfacher Leute mit nationalen Verschiebungen und Verwirrungen. Somit sorgt Smith dafür, dass man beim Lesen gefordert wird, zugleich die Welt mit berührtem Herz und glasigen Augen neu erfahren darf. Einzelne Wörter bohren sich in das Herz, kurze Sätze strahlen wie Leuchtfeuer. Das Buch ist unglaublich menschlich, sozial und empathisch.

"Spring" kann natürlich losgelöst von "Autumn" und "Winter" gelesen werden, gehört thematisch aber in die Reihe und erweitert diese auf fulminante Weise. Ein aktueller und wichtiger Roman, den alle lesen sollten. Nicht nur in England.
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Drei
von Dror Mishani
"Drei" ist eine gut geschriebene, rasch zu lesende Kriminalgeschichte, welche mit einigen überraschenden Wendungen auftrumpfen kann. Ebenso ist das israelische Setting für meine Lesegewohnheiten noch unverbraucht und einzelne Gedanken zu Beziehung, Liebe und Versuchung sind spannend.

Das war es dann aber auch. Sicherlich ist Dror Mishani ein Schriftsteller, der mit diesem Roman ein toll konstruiertes und ausgeführtes Werk vorgelegt hat - den grossen Hype um das Buch kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Anfänglich komplex erscheinende Hintergründe stellen sich als eher eindimensional heraus, eine etwaige Kritik an den gesellschaftlichen Normen des Zusammenlebens werden durch die Thriller-Aspekte verhindert. Schlussendlich dreht es sich halt doch wieder "nur" um eine Verbrechensserie, bei der Frauen die Opfer darstellen.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 03.08.2020, 17:41

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Cinemaps
von A. D. Jameson und Andrew DeGraff
Mehr als gerne entschwindet der Mensch in erfundene Welten, in fantastische Realitäten. Und am besten gelingt dies, wenn eine Umgebung erschaffen wird, die logisch und erfassbar scheint. Kein Wunder also, gibt es zu vielen Filmen nicht nur Begleitmaterial, sondern Atlanten (wie etwa bei „The Lord Of The Rings“) und unzählige Fanarbeiten und Websites. Mit den „Cinemaps“ bietet der Grafiker und Illustrator Andrew DeGraff darum bestes Nerd-Material: Komplette Filme auf eine Zeichnung destilliert, mit herrlichen Details und grosser Fertigkeit.
[...]
Die komplette Kritik jetzt bei ARTNOIR.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 10.08.2020, 09:20

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Geschichte wird gemacht
von Ar/Gee Gleim, Xao Seffcheque und Edmund Labonte
Dabei sein ist alles? Doch was bedeutet dies, dabei zu sein? Steht man daneben und schaut zu, oder mischt man aktiv mit, spornt an, formt um? Ein Umbruch oder eine spezifische Szene wahrzunehmen, das geschieht meist besser in der Retrospektive, besonders wenn sich der Wandel an diversen Orten manifestiert hatte. Mit dem Fotoband „Geschichte wird gemacht“ wird dieser Perspektivenwechsel ermöglicht, bietet das Buch von Fotograf Ar/Gee Gleim die Möglichkeit, den deutschen Untergrund der Achtzigerjahre neu wahrzunehmen.

Mit Fokus auf den Ratinger Hof in Düsseldorf und den damals auftretenden Bands der frisch entstandenen Punkszene zeigt der Bildband herrlich ungeschminkte Momente. In kernigen Schwarzweissaufnahmen und oft spontan wirkend, nah am Geschehen und mit der richtigen Menge Schmuddel. Es war eine andere Welt, als sich die Jugend zu den Klängen von den Toten Hosen, Fehlbaren, Östro 430 oder Family*5 bewegten. Unmut und fehlende Perspektiven entluden sich in lauter Musik, in Experimenten und einem Gefühl, das die Provinz zur Metropole umgestaltete.

Komplette Rezension bei ARTNOIR.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 17.08.2020, 14:37

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Der Schrank
von Olga Tokarczuk
Ob sie die gesamte Welt umfassen, oder nur einen Gegenstand behandeln, die hier versammelten Kurzgeschichten von Olga Tokarczuk versprühen immer ein Gefühl von Magie und Mysterium. Das alltägliche Leben wird zu einem unberechenbaren, aber wunderschönen Abenteuer, jede Handlung zu einer Möglichkeit.
"Der Schrank" ist ein toller Einstiegspunkt in das Werk der Schriftstellerin und liest sich wunderbar leicht, ohne Tiefe zu vermissen.
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The Glass Hotel
von Emily St. John Mandel
Für mich ist es immer magisch, die Sätze von Emily St. John Mandel lesen zu können. Jedes ihrer bisher veröffentlichten Bücher gefiel mir sehr gut und berührte mich. Natürlich waren deswegen die Erwartungen gegenüber "The Glass Hotel" unglaublich hoch und konnten nicht ganz erfüllt werden. Die Geschichte um ein Ponzi-Scheme und dessen desaströse Auswirkungen auf diverse Leben und Familien ist zwar interessant, nicht aber so zwingend wie beispielsweise der Inhalt von "Station Eleven".
Mit ihrem typischen, zeitlich nicht linearen Aufbau, den Sätzen, welche hinter die Seele der Figuren schauen und einigen wiederkehrenden Motiven ist der Roman trotzdem faszinierend. Besonders darum, weil St. John Mandel in jedem Aspekt des menschlichen Daseins die pure Schönheit zu finden vermag. Ob in Schmerz und Trauer, Verlust und Hoffnungslosigkeit, alles scheint hell zu leuchten.
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Die Ambassadorin
von Sebastian Janata
Es kann schwierig sein, an den kleinen Ort zurückzukehren, in dem man aufgewachsen ist. Besonders wenn es sich um die österreichische Provinz handelt, in der Natur und Tradition regieren. Hugo Navratil muss diesen Weg allerdings auf sich nehmen, ist sein Großvater, der ihm die Jagd nähergebracht hatte, gestorben. So trifft der Wahlberliner auf die ewig gleichbleibenden Zustände des burgenländischen Dorfes, trifft alte Freunde und Feinde wieder, bemerkt die alten Muster.
Wären da nicht die zwei Frauen, welche nach der Beerdigung ziemlich energisch im Dorf nach einer alten Flinte suchen. Hugo gerät ohne sein Zutun inmitten einer alten Geschichte, bei der nicht nur sein Großvater die Finger im Spiel hatte, sondern das halbe Dorf – seit Jahrzehnten. Und plötzlich erscheint vieles in neuem Licht.
Die komplette Rezension findet ihr bei ARTNOIR.
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Willkommen im Tal der Tränen
von Noëmi Lerch
In einem regnerischen Tal auf der Alp zu arbeiten, verschwiegen und introvertiert, das wird in Bücher oft romantisiert. Bei Noëmi Lerch geschieht dies glücklicherweise nicht, hat sie es mit ihrer knappen Prosa geschafft, die dortig herrschenden Stimmungen perfekt zu transportieren. Die Gefahren wirken real, das Leben hart und der Alltag schmutzig.
Drei Mannen im Kampf gegen die Einsamkeit, gegen ihre inneren Hürden. Kurze Abschnitte, Zeitsprünge und wenige Worte für eine Aussage - die Form hat sich der Situation angepasst. Dazu passen wunderbar die Illustration des Duos Alexandra Kaufmann und Hanin Lerch, welche die Texte erweitern und fast wie eine Graphic Novel erscheinen lassen. Ein sehr schön gestaltetes Buch, das ein paar Stunden beschäftigt.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 01.09.2020, 09:26

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Glauser
von Hannes Binder
Friedrich Glausers Schriften in Bilder zu verwandeln, das drängt sich geradezu auf. Schliesslich musste sich der Schweizer Schriftsteller in seinem eigenen Leben der Entmündigung, Drogenabhängigkeit und Internierungen in psychiatrischen Anstalten stellen - was in den Bücher herauszuspüren ist. Mit den Zeichnungen von Hannes Binder werden diese Ebenen greifbar, der Wahnsinn mischt sich unter die scheinbare Banalität des Alltags.

Sieben Geschichte vereint der dicke und schwere Band "Glauser", alternierend zwischen Fließtext und Graphic Novel. Sprunghaft erzählt und immer weiter in eine Zwischenwelt abdriften. Bis sich die Personen Binder und Glauser vermischen, bis sich Zeichnungen, Worte und Ursprungstexte zu einer neuen Gestalt verbinden. Ein Sammelband, der nicht nur fasziniert und das Talent von Binder zur Schau stellt, sondern Lust auf die Romane Glausers macht.
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Handbuch für Zeitreisende
von Kathrin Passig und Aleks Scholz
Unternehmen wir eine Reise durch die Zeit, verbessern wir die Vergangenheit und helfen so der Gegenwart, erforschen wir alte Gemäuer und Traditionen. Doch Moment, das ist gar nicht so simpel, wie es in all den Bücher und Filmen immer dargestellt wird. Denn in dem Multiversum, dem Paradoxon und dem starren Lauf der Zeit verlieren sich viele Intentionen und Träume.

Gut also, gibt es endlich das "Handbuch für Zeitreisende". Kathrin Passig und Aleks Scholz bieten mit diesem Ratgeber nicht nur eine Übersicht zur allgemeinen Thematik der modernen Urlaubsart, sondern räumen mit Falschwissen und verbreiteten Missverständnissen auf. Natürlich werden die beliebtesten und bekannten Epochen und Ziele noch einmal erläutert, dazu gibt es Geheimtipps und Hinweise auf viele, gern vergessene Gefahren.
Dargelegt wird alles in einer angenehmen und zugänglichen Sprache, mit genügend Witz und Ironie. Wir sehen uns damals, oder morgen.
:liquid8:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 15.09.2020, 14:54

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Hundstage
von Walter Kempowski
Wie an warmen Tagen, oder eben diese Hundstagen, schleppt sich der Roman von Walter Kempowski dahin. Etwa die Hälfte des Buches habe ich benötigt, um in einen Lesefluss zu gelangen, um die Geschichte amüsant zu finden. Doch leider bleibt auch so am Ende eine gewisse Leere zurück, die Geschichte verpufft in dem Nichts, aus dem sie gekommen ist. Schade eigentlich, denn Kempowski weiß seine Sätze wunderbar auszuformulieren und versetzt den Geschehnissen immer wieder eine gehörige Portion Sarkasmus.
Eine gewisse Grundkomik liegt dem Alltag und den Tätigkeiten des Schrifstellers Alexander Sowtschick, welcher bei "Hundstage" die Hauptrolle innehält, zugrunde, gewisse Details lösten aber zugleich unangenehme Gefühle aus. Möchte sich der Herr nun an den jungen Mädchen vergreifen? Trägt er wirklich die nationalsozialistische Vergangenheit mit Stolz in seinem Lebenslauf herum? Facetten, die nicht nur diese Figur lebensnah gestalten und besonders in den Dialogszenen für Vergnügen sorgt. Trotzdem bleibt am Ende nicht mehr übrig, als ein lauwarmer Wind.
:liquid6:

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Miracle Creek
von Angie Kim
Alle haben etwas zu verbergen, aber wirklich alle. Darum glaubt bloß nicht, bei "Miracle Creek" sei alles so einfach zu durchschauen, oder naheliegend, wie zuerst eventuell gedacht. Denn der Gerichtsprozess um Elizabeth, die scheinbar ihren eigenen Sohn bei einem Feuer in der Sauerstoffkammer der eben diesen Therapie umkommen ließ, offenbart immer weitere Facetten der menschlichen Abgründe.
Angie Kim bietet mit ihrem ersten Roman einen Thriller, der sich um die psychologischen Aspekte von verletztem Stolz, Kinder mit gesundheitlichen Problemen und drohender Armut widmet. Falsche Vermutungen und Neid vermengen sich zu einem gefährlichen Cocktail, niemand kommt ungeschoren davon.
Was für mich leider etwas zu viel des Guten war, weniger Missmut und rote Heringe hätten die Geschichte stärker atmen lassen. Denn die eingebauten Hintergründe um Träume und Migration boten, nebst dem technischen Fixpunkt der Therapie, eine angenehme Abwechslung in diesem Genre-Werk.
:liquid7:

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Gleichheit? Welche Gleichheit?
von Amartya Sen
Für mich war es ganz passend, dass dieser Aufsatz in der Reihe "Was bedeutet das alles?" von Reclam erschienen ist. Denn beim Lesen war dies für mich die zentrale Frage. Das Essay von Amartya Sen, welches sich aus ökonomisch-philosophischer Sichtweise der Güter- und Werteverteilung widmet, war ohne Vorwissen und Grundkenntnisse der nötigen Lehren sehr schwierig nachzuvollziehen. Was auf dem Klapptext als verständlich und sehr interessant angepriesen wurde, war eine Rede für ein Fachpublikum.
Das ist nicht der Fehler des Autors und Denkers, allerdings habe ich eine etwas erklärendere Formulierung erwartet. Das Nachwort ergänzt den Text aber mit gewissen Grundlagen und Umformulierungen, welche die Gedankengänge fassbarer machen. Inhaltlich ist "Gleichheit? Welche Gleichheit?" bis heute wichtig.
:liquid6: oder fairerweise ohne Wertung.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von gelini71 » 15.09.2020, 15:53

Deine Lesegewohnheiten erinnern mich irgendwie an Marcel Reich-Ranicki :lol:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 15.09.2020, 16:10

Dann würde es mich ja wunder nehmen, was du zum Leseverhalten von meiner Freundin sagst. Sie führt bei Instagram einen Bücherblog. :wink:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von gelini71 » 16.09.2020, 05:42

kurz mal drübergeschaut - das ist ja schlimmer als dem SFI seine Reclam Heftchen :lol:
Das ist genau der Kram mit dem man mich jagen kann
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von SFI » 16.09.2020, 05:53

Naja, sie liest immerhin Belletristik. Ich weiß ja nun nicht, ob dir da meine kleinen Gelben besser gefielen! :lol:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von gelini71 » 16.09.2020, 06:00

weder noch :wink:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 16.09.2020, 07:28

gelini71 hat geschrieben:
16.09.2020, 05:42
kurz mal drübergeschaut - das ist ja schlimmer als dem SFI seine Reclam Heftchen :lol:
Das ist genau der Kram mit dem man mich jagen kann
Du meinst also, mit guter Literatur kann man dich jagen? Na, immerhin beweist du bei Musik einen offenen Geist. :lol:
Und SFI tut sich ganz klar schwerere Kost an als ich und meine Freundin zusammengerechnet.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von SFI » 16.09.2020, 16:04

Naja ... das ist auch nur Unterhaltungsliteratur damaliger Zeit gewesen, sozusagen die heutige Arte Doku. :lol:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von gelini71 » 16.09.2020, 16:44

Mein alter Deutschlehrer hat solche "anspruchsvollen Bücher" immer als Gehrinwichse bezeichnet :lol: und meinte immer, er würde einen Simmel einem Böll vorziehen...Gleichzeitig hat er uns mit Martin Walser und Max Frisch gequält :lol: Seit dieser Zeit hasse ich diese sogenannte "anspruchsvolle Literatur".
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 13.10.2020, 11:48

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Der letzte Satz
von Robert Seethaler
Robert Seethaler ist ein guter Autor, so liest man immer wieder, so hörte ich es bereits von Freunden. Doch leider fiel die Wahl für mein erstes Buch von ihm auf "Der letzte Satz" - und das war keine weise Entscheidung. Denn bei dieser Novelle über Gustav Mahler, die leider marketing- und layouttechnisch auf Romanlänge aufgeblasen wurde, wollte sich kein Gefallen einstellen.
Seethaler erzählt aus den letzten Tagen des damalig wichtigsten Komponisten und verkrampft sich dabei in eine Mischung aus sprachlichen Verunglimpfungen und sinnentleerten Leidensbeschrieben. Weder die Musik noch das Leben der Person spielen eine tragende Rolle, bloss gewisse Sorgen und Krankheiten stehen im Zentrum. Man kann eine biografische Erzählung anders angehen, das verurteile ich nicht. Leider aber wird hier nichts Spannendes erzählt, man erfährt ausser gewissen Eckdaten nichts über die Figuren und fragt sich am Schluss: Wieso nur hat Seethaler diesen Text verfasst?
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Elbwärts
von Thilo Krause
Wie fest brennt sich die Vergangenheit in unser Leben ein, wie lange hallen unsere ehemaligen Taten nach? Thilo Krause untersucht dies mit seinem Buch "Elbwärts" und vermischt damit persönliche Eckdaten mit dem Roman. Angesiedelt in der Sächsischen Schweiz, spielt der Roman zwischen Felsmassiven, Wäldern und Kleinstädten. Der Natur, oder besser gesagt der Umgebung, kommt in der Geschichte eine grosse Rolle zu und dient zur Auseinandersetzung mit dem Begriff Heimat.
Wichtige Gedanken und Fragen werden in diesem Text angesprochen, doch das Buch packte mich nie so richtig. Die Wechsel zwischen den Geschehnissen aus der Kindheit und den heutigen Begegnungen machte "Elbwärts" zwar vielschichtig, die Lamentationen des Erzählers wirkten dafür ermüdend. So fragte ich mich, ob man sein Leben nicht auf einfachere und weniger destruktive Art neu auszurichten vermag. Ob das Vergangene nicht sinnvoller abzuschliessen wäre. Bevor man mit seinen Mitmenschen auf den unvermeidbaren Knall zusteuert.
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Trudels Haus: Ein sperriges Erbe
von Stiftung Hans-Trudel-Haus Baden
Das Trudelhaus in Baden steht seit vielen Jahre für Kunstausstellungen, Gastronomie und kulturelle Anlässe - doch nicht immer war es einfach, diese Fixpunkte im Aargau weiterleben zu lassen. Davon zeugt der Jubelband "Trudels Haus - Ein sperriges Erbe", welche die Stiftung Hans-Trudel-Haus Baden zu ihrem Ende der Arbeit herausgegeben hat.
Ich selbst war zwar noch nie im Trudelhaus (welch Schmach), kenne das Gebäude aber schon länger. Dieser Bildband versammelt nebst einigen Archivaufnahmen und Ausstellungsfotos als Bildstrecke alle Ausstellungsplakat und ergänzt diese mit kurzen Text- und Infobeiträgen. Das ist für Freunde der Stiftung und Zeitzeugen natürlich ein tolles Nachschlagewerk, für alle anderen etwas zu oberflächlich. Macht aber trotzdem Lust, sich beim nächsten Aufenthalt in Baden dem Gebäude und der Kultur zu widmen.
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Kalmann
von Joachim B. Schmidt
Da schreibt ein Schweizer aus dem Graubünden einen Kriminalroman, angesiedelt in seiner Wahlheimat Island - und trifft den atmosphärischen Nagel auf den Kopf. Sprachlich einfach gehalten und dem Protagonisten und seiner geistigen Einschränkung wunderbar angepasst, lockt Joachim B. Schmidt in seine Geschichte. "Kalmann" ist vom ersten Kapital an unterhaltsam und liest sich schnell.
Ohne in Plattitüden zu verfallen, begleitet man Kalmann (selbsternannter Sheriff von Raufarhövn) durch den eher simplen Alltag, welcher durch einen Mordfall durcheinandergerüttelt wird. Witzige Dialoge, ernste Momente, eine doch überraschende Auflösung. Dieser Roman hat mich gepackt und überzeugt, auch dank der angenehm leichten Weise, wie Schmidt seine Geschichte präsentiert.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 26.10.2020, 10:42

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Angst
von Dirk Kurbjuweit
Was Dirk Kurbjuweit mit "Angst" vorgelegt hat, ist eine merkwürdige Mischung aus Inhalt und Aussage. Rein thematisch betrachtet, fand ich den Roman sehr ansprechend. Eine Familie wird von ihrem Nachbarn immer stärker in ein unsicheres Umfeld voller Anschuldigungen und Hass gezogen. Jede Bewegung und jede Tätigkeit wird zu einem Grund für Sorge und Angst, der Alltag zum Minenfeld. Inhaltliche Aspekte, die sehr interessant sind und zum Nachdenken anregen.
Doch leider wurde dies von Kurbjuweit in ein Oberschichtenumfeld eingepasst, in dem sich die bürgerliche Vorherrschaft immer wieder selbst bemitleidet, undifferenziert agiert und durch die erste Person ungefilterte Gedankengänge auf die Leserschaft loslässt. Vertreten die Figuren die Meinungen des Autoren? Soll dies eine kritische Schrift an ebensolchen Menschen sein? Ohne Position zu beziehen wirkte das Buch auf mich vor allem unsympathisch und überheblich.
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Dunkle Zahlen
von Matthias Senkel
Spielt die Reihenfolge der Kapitel eine Rolle? Eine Frage, die mich beim Lesen immer begleitet hatte. Wobei "Dunkle Zahlen" sehr faszinierend wirkt, wenn man das Buch von vorne nach hinten und nicht gemäss der Inhaltsmatrix geniesst. Einzelne Aspekte der Geschichte finden mit der Zeit zusammen, scheinbar losgelöste Erzählstränge verbinden sich über fortlaufende Jahrzehnte.
Matthias Senkel hat keinen simplen Roman vorgelegt, sondern ein Spiel mit Realität und Darstellung. Die Geschichte der Computernutzung in Russland wird mit Fakten und Fantasie dargelegt, die heutige Situation somit seziert und der technologische Fortschritt hinterfragt. Verpackt in eine Form, die sich bei der grossen russischen Literatur bedient, mit satirischen Einschüben und einer unüberschaubaren Anzahl an Figuren. Kein wirklich einfach lesbares und betörendes Buch, aber sehr faszinierend und andersartig.
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Das Jahr
von Tomas Espedal
Als grosser Liebhaber der knausgardschen Schreibkunst habe ich Bücher stark ins Herz geschlossen, die emotional von Geschehnissen aus dem Leben erzählen, bei welchen Realität und Fiktion gemischt werden. Der Norweger Tomas Espedal gehört zu den grossen Könnern dieser Schreibweise und zelebriert das bei "Das Jahr". Ein trauriges Buch über verlorene Liebe, der Suche nach dem Platz im Leben und der Hoffnung, die dunklen Zeiten gestärkt zu überstehen.
Mit ungewohntem Satz und mit vielen Bezüge zur Vergangenheit wird ein reichhaltiges Spektrum an Empfindungen und Gedanken geboten, die in der Seele Halt finden und beweisen, dass Espedal zu den grossen Verstehern der Menschheit gehört.
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Basquiat – 40th Anniversary Edition
von Hans Werner Holzwarth und Eleanor Nairne
Der Verlag Taschen ist schon lange dafür bekannt, wunderbare Monografien und Bildbände zu veröffentlichen, die nicht nur inhaltlich überzeugen, sondern sehr bezahlbar sind. Mit der Reihe zum 40. Jubiläum wird diese Tradition im kleineren Buchformat fortgesetzt, die gesammelten Werke von Basquiat gehören dazu.
Basquiat ist ein Künstler, zu dessen Werk ich bisher keinen Zugang hatte und wovon ich immer dachte, dass mich seine Bilder nicht ansprechen. Die Lektüre dieses umfassenden Werkverzeichnisses hat mir das Gegenteil bewiesen. Besonders die Gemälde aus seiner frühen und mittleren Phase sind bestechend. Mit ihrer rohen und schnellen Wirkung, mit dem Chaos und der überbordenden Präsentation. Da steckt Drang und Ohnmacht dahinter, ein kurzes Leben voller Zweifel und Fragen. Was nicht nur Faszination ausübt, sondern viel Inspiration. Ein kreatives Schaffen, das bis heute wie ein Beben wirken kann und keinesfalls langweilt.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 04.11.2020, 13:59

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In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel
von Samira El-Maawi
Der Debütroman von Samira El-Maawi behandelt ein sehr zeitgemässes und wichtiges Thema: Der strukturelle Rassismus in Europa. Angesiedelt in den Achtzigerjahren in der Schweiz, erzählt die zehnjährige Protagonistin vom Alltag mit ihrem aus "Afrika" zugewanderten Vater und ihrer Schweizer Mutter. Repetitive Sätze ermöglichen ein Gerüst voller Unsicherheiten und Fragen, Situationen erzwingen geschickt die Reflektion.
Mit Offenheit und eigens erlebter Beispiele ist die Handlung von "In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel" ein leider zu verbreitetes Beispiel betreffend Fremdenfeindlichkeit und westlicher Abgrenzung. El-Maawi will nicht belehren, sondern auf emotionaler Ebene greifbar machen. Dank der gewählten Perspektive gelingt dies gut und führt einmal mehr vor Augen, wie schrecklich wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Bloss, weil diese anderen Ritualen nachgehen oder leicht anders aussehen.
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1794
von Niklas Natt och Dag
Niklas Natt och Dag konnte mich mit seinem Roman "1793" durch die geschickte Mischung aus Krimi, Thriller und historischen Begebenheiten überzeugen. Für seine direkte Fortsetzung "1794" hat der Starautor nichts an der Rezeptur geändert, wieder begleiten wir Jean Michael Cardell durch das schmutzige und mittellose Schweden. Natürlich geht es erneut um Falschspieler, brutale Schlägereien und fälschlicherweise verurteilte Bürger.
Nach einer anfänglichen Eskapade in der sonnendurchfluteten und heissen Sklavenhändler-Kolonie Saint-Barthélemy wird das Setting bewährt und die Abgründe der dreckigen Gesellschaft stehen im Zentrum. Verkommener Adel, wiederkehrende Charaktere, drei Handlungsbögen, die sich nicht wirklich verbinden wollen. Das Buch dümpelt dahin, Natt och Dag findet wenig neuen Zündstoff und wiederholt sich. So fühlt sich der Roman wie eine rasch hingeschriebene Idee ohne Substanz an. Etwas mehr Entwicklung hätte dem Buch gut getan.
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Aus der Welt
von Karl Ove Knausgård
Karl Ove Knausgård, ich war dir schon lange verfallen. Mit der endlich erschienenen deutschen Übersetzung deines Debütromans "Aus der Welt" ist nun klar: Dein Können ist unermesslich. Wie du das komplette Dasein in Worte fassen kannst, zwischen die Buchdeckel gepackt und emotional berührend - fantastisch.
Die Geschichte um den jungen Lehrer Henrik Vankel ist vielschichtig und dient meist nur als Vehikel, um ausschweifende Gedanken zu allen Lebensbereichen und der Welt zu ermöglichen. Die Entwicklung Norwegens wird behandelt, Erziehung und Bildung, die Fragen nach Liebe und Gemeinsamkeit, unsere gesellschaftliche Zukunft und vor allem, was man im Leben überhaupt soll, muss.
In fesselnder Überschwänglichkeit werden alle Fäden aufgegriffen, verknüpft und dann wieder lose fallen gelassen. Kenner der biografischen Reihe von Knausgård erkennen viele Szenarien, Fragestellungen und Figuren, was diese mitnichten weniger aufregend macht. Denn wie immer gilt bei "Aus der Welt": Das Buch ist so genial, weil es als Reflektion zur eigenen Person funktioniert. Und mich immer wieder tief getroffen hat.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 20.11.2020, 09:09

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Der Wassertänzer
von Ta-Nehisi Coates
Die Sachliteratur von Ta-Nehisi Coates sagte mir immer sehr zu und half mir zu einer besseren Sicht auf das Schwarze Amerika von heute. Da war es nicht verwunderlich, dass ich seinem ersten Roman "Der Wassertänzer" mit viel Vorfreude entgegenschaute. Und obwohl die Geschichte um Sklaverei, Freiheit und Liebe in schöner Sprache verfasst wurde, wollte das Buch nicht zünden.
Das liegt keinesfalls am Inhalt, verwebt Coates auf einfühlsame Weise das brutale Leben der afroamerikanischen Sklaven im 19. Jahrhundert mit magischen Elementen. Der Kampf im Untergrund wird hier mit mehr als nur Intelligenz und Vorsicht geführt, Hauptfigur Hiram Walker kann mithilfe seines fotografischen Gedächtnisses die physikalischen Gesetze überwinden.
Leider wollte mein Kopf die Hürden des Romans nicht so leicht übersteigen und viele Teile des Buches zogen sich in die Länge. Es fehlte mit die Wucht und Dichte, obwohl diese schreckliche Epoche der USA sehr beeindruckend zum Leben erweckt wurde.
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Spiegel
von Liu Cixin
Wer eine perfekte Simulation unserer Welt, unserer Galaxis besitzen könnte, der hätte das Werkzeug zur totalen Überwachung in der Hand. Doch wie würde die menschliche Psyche mit diesem Druck umgehen, wie kann eine Gesellschaft diese Bedrohung aushalten?
Liu Cixin stellt in seiner Kurzgeschichte "Spiegel" spannende Fragen und garniert das SF-Geplänkel mit festen Anker in der Realität. Da sich das Geschehen aber auf nur wenigen Seiten entfalten kann, bleiben von den Fragen und Problemstellungen am Ende zu wenig Material übrig. Das Ende kommt rasch, die Lösung ist plump.
Achtung: Diese Kurzgeschichte wurde von Heyne sowohl als Einzelbändchen herausgebracht (wovon allerdings fast die Hälfte des Inhalts Leseproben für weitere Bücher ausmachen), oder in einem lohnenswerten Cixin-Sammelband.
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Erkenntnis und Schönheit: Über Wissenschaft, Literatur und Religion
by Ian McEwan
"Erkenntnis und Schönheit" versammelte eine Handvoll Vorträge und Essays von Autor Ian McEwan. Meist mit dem Zusammenspiel zwischen Literatur und Wissenschaft als Aufhänger, untersucht der Schriftsteller seine persönlichen Interessen und die globalen Entwicklungen der Menschheit. Das gestaltet sich erfreulich unaufgeregt, bietet im gleichen Zug allerdings wenig neue Erkenntnisse. Der letzte Beitrag über die Religion ist durch die inhaltlichen Abweichungen der weiteren Schriften am intensivsten, wirklich augenöffnend ist dieser trotzdem nicht.
Für Anhänger McEwans lohnt sich die Anschaffung bestimmt, belesene Personen finden in diesem kleinen Band aber zu wenig Mehrwert.
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Nach einer wahren Geschichte
von Delphine de Vigan
Hach, wie genial wäre dieser Roman, wenn Delphine de Vigan das letzte und leider etwas zu erklärerische Kapitel weggelassen hätte? Dann würde sich dieses Verwirrspiel um Identität und Wahrheit noch mysteriöser gestalten. Doch das ist eine Kritik auf sehr hohem Niveau, denn "Nach einer wahren Geschichte" ist ein fantastisch geschriebenes Buch.
Die Autorin, welche hier mit der Realität und scheinbar wahren Begebenheiten aus ihrem eigenen Leben spielt, hat einen dichten Text erschaffen, der vom ersten Satz an immer wieder neue Fallen stellt, Ausgänge anpreist und Unsicherheiten streut. Als Leser ist man gebannt, untersucht die Aussagen, demontiert das Konstrukt. Ohne es zu merken, tappt man dabei in die clevere Falle, welche die eigentlich zentrale Bedeutung aufgebaut hat. Doch vorsicht: Je weniger man vor dem Lesegenuss von diesem Roman weiss, desto besser. Also: Aufklappen und eintauchen.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 09.12.2020, 09:34

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Die Stille
von Don DeLillo
Wie oft wollen uns Verlage noch mit dem Aufdruck "Roman" in die Irre führen? Diese Novelle ist klar kein Buch, das 30 CHF kosten sollte - auch wenn man den Text auf knapp mehr als 100 Seiten aufgeblasen hat. "Die Stille" ist mehr eine Ideenskizze, noch vor dem Corona-Jahr aufgeschrieben.
Don DeLillo beschäftigt sich mit dem Gedanken, wie die Menschheit mit einer globalen Krise umgehen würde und kommt zum Schluss, dass alles sehr schnell in der überheblichen Unmöglichkeit unseres Dasein versinken würde. Ich gehe mit den Aussagen des Buches konform, fand die Ausarbeitung allerdings ungenügend. DeLillo schreibt zwar immer ansprechend, viel Stoff erhält man hier aber nicht. Und dass für diese Erstauflage einen Hinweis auf Covid-19 extra eingebaut wurde ist ein grosser Fehler.
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Elmet
von Fiona Mozley
Mit ihrem ersten Buch hat Fiona Mozley einen spannenden Roman geschrieben, der sich mit diversen Fragen wie Besitz, Familie und Erziehungsformen beschäftigt. Erzählt aus der Perspektive eines jungen Mannes, wird dargelegt, wie Konflikte in Bezug auf Wohlstand und Land schnell eskalieren können. "Elmet" lässt sich mit der Gewaltspirale Zeit, besonders zu Beginn ist der Roman mit Elementen des Naturalismus und schönen Gedanken versetzt.
Je weiter Mozley das Geschehen auf das brutale Finale zusteuert, desto stärker mutet "Elmet" leider wie ein normaler Thriller an. Die andersartige Stimmung macht handgreiflichen Auseinandersetzungen Platz, die Figuren verlieren sich in der Leere. Schön aber, dass viele Elemente und Details von alten Gruselerzählungen ihren Weg in den Inhalt fanden. Ein Debüt, dass für mich niemals so gut war, wie die Lobpreisungen auf dem Cover es vermuten liessen, aber mitreissende und packende Unterhaltung.
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Die Letzten ihrer Art
von Maja Lunde
Mit dem dritten Band ihres Klimaquartetts bringt uns Maja Lunde die Welt der Wildpferde näher und zeigt das menschliche Wirken in der Evolution. Nicht nur sind wir dafür verantwortlich, dass viele Arten bereits ausgestorben sind, sondern wir versuchen gottgleich gewisse Tiere zu erhalten, zu züchten und zu retten. "Die Letzten ihrer Art" arbeitet, wie die beiden vorangegangenen Bücher, mit drei Zeitebenen und Erzählstränge. Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit dienen als Spiegel unterschiedlicher Aspekte der Gesellschaft, als Darstellung der teils fatalen Auswirkungen.
Wie immer bei Lunde liest sich das Buch sehr flüssig und schnell, die Figuren wirken real und mit genügend Tiefe versehen. Und obwohl die Pferde im Mittelpunkt stehen, wir man deren niemals überdrüssig - egal ob man früher Poster Wendy und Black Beauty an der Zimmerwand hatte oder nicht. "Die Letzten ihrer Art" ist eine Warnung, eine fesselnde Beobachtung und der Beweis, dass wir die Kontrolle schon lange verloren haben.
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I will be different every time: Schwarze Frauen in Biel
von Fork Burke, Myriam Diarra und Franziska Schutzbach
"I will be different every time: Schwarze Frauen in Biel" ist nicht bloss ein weiteres Buch zur Diskussion über Rassismus in der Schweiz (wobei es davon viel zu wenige gibt). Es ist ein vielseitiger Band, gefüllt mit Portraits und Gedanken, Lebenswege und Hoffnungen. Als Gruppe erarbeitet und praktisch ohne Einflüsse weisser Personen geschrieben, mit persönlichen Aussagen und allgemeinen Beobachtungen versehen.
Es ist weniger eine Kritik an der herrschenden und unterdrückenden Struktur, sondern ein intimer Einblick in unterschiedliche Leben. Ein Buch, das mit vielen klugen Sätzen die Augen öffnet, die Vielfalt zelebriert und zeigt: Es wäre so einfach, als Einheit zu leben, als Menschheit einander zu lieben. Tun wir dies, und lesen zuerst alle dieses Buch.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 27.12.2020, 09:55

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Quichotte
von Salman Rushdie
Rushdie schrieb schon immer gerne sehr blumig, voller Metaphern und intelligtenten Doppeldeutigkeiten. Seit einigen Büchern fällt mir bei der Sprache allerdings auf, dass diese Elemente fast zu einem Selbstzweck verkommen sind. "Quichotte" fesselt und stösst zur gleichen Zeit mit Verweisen, Zitaten und popkulturellen Erinnerungen ab - die Geschichte verliert sich schnell unter einem Berg von Ideen, Figuren und Wahrheitsebenen. Ein Buch im Buch im Buch, eine Gesellschaftskritik mit vielen Bezügen zur alten Zeit und Literatur, ein brachialer Hieb in Richtung Amerika.
Schlecht ist das nicht, nur etwas zu überladen und selbstverliebt. Erstaunlicherweise fand ich die Lektüre im eigentlichen Moment sehr faszinierend, mit grösser werdender Distanz das Buch aber eher unrund und mühsam. Trotzdem: Die Seiten tragen viel Genialität in sich.
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Budäässä
von Stefanie Grob
Humorvolle Texte in Mundart, die sich mit den Schweizer Eigenheiten genauso beschäftigen, wie mit persönlichen Gedanken und Empfindungen. Stefanie Grob brachte mich mit ihren kurzen Texten immer wieder zum Lachen, trotzdem dienen diese keinesfalls bloss der Belustigung. Die Sammlung "Budäässä" hat Aussagen zu aktuellen, politischen Streitpunkten in sich, positioniert die Autorin klar und macht vor Klimawandel, Ungerechtigkeit und Feminismus nicht Halt.
Gut so, laut vorgetragene und spitz formulierte Gedanken - dafür wurden die meisten Schriften in diesem Buch ursprünglich konzipiert - sind in unserer Gesellschaft wichtiger denn je. Und in Berndeutsch gehalten machen diese noch viel mehr Freude.
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Wie ich Klavierspielen lernte
von Hanns-Josef Ortheil
Hanns-Josef Ortheil schreibt darüber, wie er als kleiner Junge seine Liebe zum Klavier und der klassischen Musik entdeckte, wie er durch seine Eltern gefördert, durch seine Lehrpersonen mit falscher Theorie geplagt und schlussendlich durch seinen Körper überlistet wurde. "Wie ich Klavierspielen lernte. Roman meiner Lehrjahre" ist niemals trocken oder einseitig, auch für Menschen, die keinen Bezug zum Instrument oder den erwähnten Komponisten wie Chopin, Liszt oder Schumann haben.
Das Buch behandelt universal die Fragen zu Talent, Leidenschaft und Erziehung, lässt die Faszination an den beschriebenen Inhalten überschwappen und beweist, dass mit der richtigen Sprache und genügend Talent über alle Aspekte des Lebens fesselnd berichtet werden kann. Für Musikinteressierte ist der autobiografische und in zwei Zeitebenen unterteilte Roman wärmstens zu empfehlen.
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Die heilige Henni der Hinterhöfe
von Tim Krohn
Tim Krohn ist ein Meister darin, seine geschriebene Sprache dem Handlungsort und -Inhalt perfekt anzupassen. Was bei der Reihe der menschlichen Regungen der typische Schweizer Vorort war und bei Vrenelis Geschichten die Alpen, das ist für "Die heilige Henni der Hinterhöfe" das Berlin der goldenen Zwanzigerjahre. Damaliger Dialekt, Schnauze und Gepflogenheiten leben auf den Seiten auf, Krohn führt die Leserschaft durch Gassen, Strassen und leuchtende Nachtlokale.
Diese Nähe zum damaligen Zeitgeschehen macht die Lektüre spassig und lässt tolle Bilder entstehen. Nur leider will die eigentliche Geschichte nicht so richtig gefallen. Zu langsam kommt die Erzählung um die etwas naive Henni in die Gänge, zu unwichtig sind die beschriebenen Erlebnisse. So ist das Buch vorbei, ohne wirklich Gewicht zu tragen. Schade, besonders da politisch brisante Entwicklungen nicht ausgeklammert wurden.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 12.01.2021, 10:45

Mein Jahr in Büchern: Hier klicken für eine statistische Aufarbeitung meines Leseverhaltens im Jahre 2020, erstellt durch mein Profil bei Goodreads.
Ja, ich bin zufrieden damit und versuche mir 2021 etwa gleichviel Bücher zu Gemüte zu führen. :D
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