[Review] Westbam - Die Macht der Nacht

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gelini71
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[Review] Westbam - Die Macht der Nacht

Beitrag von gelini71 » 27.01.2019, 10:13

Westbam – Die Macht der Nacht

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Verlag: Ullstein
ISBN: 978-3548376455
Seitenanzahl: 313
Angebotene Formate: Gebunden / Taschenbuch / E-Book

Ein DJ erinnert sich – kurzweilig, interessant und wirklich gut

Westbam wurde zusammen mit seinem Kollegen Sven Väth bereits in der zweiten Hälfte der 80iger Jahre ein Popstar – also zu einer Zeit als DJs in der allgemeinen Wahrnehmung die etwas seltsamen Typen waren die in der dunklen Ecke einer Disco für ein paar Freibier die Platten auflegen durften. Bereits 1985 schrieb Westbam den Text „Was ist Recordart ?“ wo er den DJ als Entertainer und Künstler definierte der mit Hilfe zweier Plattenspieler, einem Mischpult, seinen Platten und seinem Handwerklichen Können an einem jeden Abend was neues und einzigartiges erschaffen tut. Zum Veröffentlichungszeitpunkt wurde Westbam für diesen Text belächelt – heute wissen wir das er da bereits die DJ Kultur der 90iger vorwegnahm die bis heute gültig ist. 1987 dann gründet er mit einigen Partnern Low Spirit, eines der ersten Deutschen Indielabels nur für Dance und Discomusik. Mit dem hochkochen von House und Techno Ende der 80iger / Anfang der 90iger kam schließlich seine große Stunde. Er war Mitorganisator der Love Parade, er war Miterfinder und Organisator der Mayday und wurde dank des neuen TV Senders VIVA eines der Gesichter für den Kommerziellen Erfolg des neuen Sounds. Er war gern gesehener Gast bei diversen Talkshows, weil Westbam ein recht kluger Kopf ist und vor allen Dingen reden konnte. Er erschuf mit dem kurzen Begriff „Die Ravende Gesellschaft“ dann auch gleich das Motto für die Spaßgesellschaft in den 90igern.

Ohne Frage – Maximilian Lenz (so sein bürgerlicher Name) ist durchaus ein Visionär und Pioneer. Doch eines wurde er nie – Kult. Während seine gleichaltrigen DJ Kollegen wie Tanith, Sven Väth oder DJ Hell als Altmeister diesen Kultstatus besitzen ist bei Westbam dieser nicht vorhanden, mehr noch – für viele der ersten und zweiten Technogeneration ist Westbam schon sowas wie eine Hassfigur. Und daran ist er sicherlich nicht ganz unschuldig: seine enge Verflechtung mit Loveparade und Mayday (die laut diesem Buch eher durch Zufall entstand) die Beispielhaft für den Sell-out der Szene steht. Seine Musikalisch eher belanglosen Plattten in den 90igern oder das er (Indirekt) für zwei der schlimmsten Kommerziell erfolgreichen Technotracks verantwortlich war: sowohl Marushas „Somewhere over the Rainbow“ als auch Mark Ohs „Tears don´t lie“ erschienen auf seinem Label Low Spirit. Das er technisch einer der versiertesten DJs hier im Lande ist hilft da dann auch nicht, für viele ist Westbam einfach ein No-Go.

In diesem Buch erinnert sich Westbam an frühere Zeiten: Kindheit in Münster bei Hippieeltern und Antiautoritären Erziehung, die Entdeckung der Marschmusik als Musikalisch prägendes Erlebnis (damit begründet er seine Liebe zur 4/4 Bassdrum), dann als Teenager war er einer von zwei Punks die Münster hatte, 1982 mit 17 dann Umzug nach Berlin und die Entdeckung des Nachtlebens mit all seinen Facetten. Schließlich erste DJ Gigs (mit geliehenen Platten – er hatte schlichtweg kein Geld für eigene), erste Erfolge und auch Misserfolge (leere Tanzfläche weil keiner seinen Sound verstand) und schließlich ein Teil einer der größten Musikrevolutionen die sich schon Jahre vorher ganz langsam ankündigte, inklusive viel Geld das er in jener Zeit verdiente.

Das alles macht Westbam in einem äußerst lockeren Plauderton – wer Interviews mit ihm kennt der wird wissen das Westbam ohne Probleme ziemlich Intellektuelle Antworten geben kann (schließlich hat er Schopenhauer, Kant und Marx gelesen und zitiert daraus auch gerne mal). Doch davon hier nicht die Spur – es erinnert eher an ein lockeres Gespräch unter Freunden wo er halt von früher erzählt.

So ist das ganzen auch eher ein Anekdotenbuch als eine Biografie geworden. Man erfährt zwar einiges von Westbam und was er über diverse Dinge denkt – doch hauptsächlich geht es um diverse Ereignisse und Höhepunkte in seinem Leben und ist weniger ein Seelenstriptease. Die Zeitspanne die es abdeckt ist recht groß (von Mitte der 70iger bis hin zur Gegenwart), die Zeitsprünge oftmals recht grob, vor allen gegen Ende wo es im Eilschritt vorwärts geht und das Imperium das er aufgebaut hat langsam zerbricht (Rechte an Love Parade und Mayday verkauft, Low Spirit wird geschlossen, die Trennung von seinem langjährigen Produktionspartner Klaus Jankuhn – das alles wird leider in nur wenigen Sätzen abgehandelt und nicht vertieft). Westbam bildet eher das Lebensgefühl ab als jetzt Detailgenau diverse Dinge aus dem Nähkästchen zu erzählen.

Aber keine Panik – es gibt genug Insiderstories zu lesen. Drogentrips mit Mark Spoon im Backstagebereich werden öfters erwähnt, überhaupt scheint er sich mit Mark Spoon recht gut verstanden zu haben taucht dieser öfters auf. Das Thema Drogen wird allgemein auch öfters erwähnt, Westbam war kein Kostverächter und hat sich so einiges reingezogen. Man erfährt warum die Frontpage damals Pleite ging (es waren eine Vielzahl von Faktoren die aber alle offensichtlich mit dem Besitzer Jürgen Laarman und seinem Charakter zusammenhingen) oder wie es war mit Marusha in einer Techno-WG zu leben (sie soll einen Putzfimmel gehabt haben der ihn eher etwas nervte).
Westbam bleibt aber generell ein Netter, schmutzige Wäsche oder ähnliches gibt es nicht. Er erwähnt zwar das er den ein oder anderen Kollegen nicht so persönlich mag, geht aber idR nicht näher darauf ein – man hatte einfach keinen Draht zueinander und gut ist, kein nachtreten oder ähnliches.

Überrascht hat mich das er nicht in dem im Moment angesagten Modus verfällt und alles aus Berlin über den grünen Klee lobt und gleichzeitig Frankfurt am Main verteufelt (Stichwort: Berlin-Frankfurt Feindschaft). Es ist eher das Gegenteil der Fall, er gibt unumwunden zu das die Frankfurter in Sachen Geschäft alles Richtig gemacht haben während in Berlin vieles falsch lief. Auch für Sven Väth mit seiner Harthouse Idee findet er viele lobende Worte. Einzig eine Spitze gegen die Clubszene in Frankfurt kann er sich nicht verkneifen, sowohl das Omen wie auch das Dorian Gray sind für ihn Orte die er nicht mir Nightlife verbindet, seiner Meinung nach hätten beide Läden in Berlin keine Chance gehabt.

Natürlich erklärt viel sein Tun und Schaffen, manchmal sind es regelrechte Rechtfertigungen...aber eine richtig gute Begründung für das Veröffentlichen von „Tears don´t lie“ gibt es hier auch nicht, eher läßt er durchblicken das er den Track gar nicht so mochte und es eher ums Geschäft ging. Wenn es um Musikproduktionen geht dann wirft Westbam gerne mit Verkaufszahlen um sich, so nach den Motto „war sehr Erfolgreich, also muß es auch gut gewesen sein“. Das er seinerzeit „Somewhere over the Rainbow“ veröffentlicht hat begründet er mit der Person Marusha die er einfach „erfrischend“ fand (das sie zudem die Freundin seines Bruders war hat sicherlich auch geholfen :wink:).

Nach der Lektüre dieses Buches habe ich ein ganz anderes Bild von Westbam. Für mich ist er nicht mehr dieser Kommerztyp mit einigen schlechten Musikproduktionen sondern ein ganz normaler Mensch der wie ich elektronische Tanzmusik mag. Natürlich macht der Teil des Buches am meisten Spaß wo Personen und Ereignisse auftauchen die man auch selber so oder ähnlich auch erlebt hat. Der Spirit, die Energie und die Euphorie die damals Anfang der 90iger vorherrschte kommt sehr gut rüber und im Nachhinein betrachtet hat er bei vielem was er so schreibt durchaus recht...auch wenn man sich als Leser sicher ist das die vielen hier abgedruckten Dialoge in Wirklichkeit wohl anders abliefen :lol: (Merke: Die Erinnerung ist ein böser Betrüger). Das es jetzt nicht sehr persönlich ist hat mich jetzt gar nicht gestört, er war halt schon immer ein Mensch der sein Privatleben eben privat gehalten hat und das sollte man akzeptieren.

„Die Macht der Nacht“ ist einfach ein schönes unterhaltsames Buch über eine spannende und prägende Zeit, leider gegen Ende hin etwas gehetzt aber durch die lockere Schreibe schön wegzulesen. Am Ende war ich dann doch traurig als ich bei der letzten Seite angelangt war, gerne hätte ich noch mehr von Westbams Erinnerungen gelesen. Und Danke dafür das ich nun endlich weiß das Typen wie ich in der Szene "Recordsharks" genannt werden :lol:
:liquid9:

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Re: [Review] Westbam - Die Macht der Nacht

Beitrag von SFI » 27.01.2019, 15:57

Spannend zu lesen, danke. Ja und ich bin froh der Frankfurter Szene angehört zu haben, das was ich bei der Jahrtausendwende in Berlin zu Gesicht bekam, war nicht meins. Paramount Park 4 ever. :lol:
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Re: [Review] Westbam - Die Macht der Nacht

Beitrag von gelini71 » 27.01.2019, 16:47

Berlin war anders als FFM, im Grunde waren die Szenen nicht vergleichbar. Berlin war roher, dreckiger, direkter - den Ruf das FFM eher eine Schicki-Micki-Stadt ist stimmt allerdings leider auch. Berlin hatte halt damals das Glück durch die Wende den ganzen Ostteil zu bekommen mit seinen abgefahrenen Locations die bis heute Legendenstatus haben.
In Berlin wird gefeiert und in FFM gearbeitet hat man damals immer gesagt, was so auch stimmt.
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Re: [Review] Westbam - Die Macht der Nacht

Beitrag von SFI » 28.01.2019, 07:58

Schicki-Micki-Stadt
Absolut!!!
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