Liquid-Love-Bücherthread

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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von SFI » 16.09.2020, 16:04

Naja ... das ist auch nur Unterhaltungsliteratur damaliger Zeit gewesen, sozusagen die heutige Arte Doku. :lol:
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gelini71
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von gelini71 » 16.09.2020, 16:44

Mein alter Deutschlehrer hat solche "anspruchsvollen Bücher" immer als Gehrinwichse bezeichnet :lol: und meinte immer, er würde einen Simmel einem Böll vorziehen...Gleichzeitig hat er uns mit Martin Walser und Max Frisch gequält :lol: Seit dieser Zeit hasse ich diese sogenannte "anspruchsvolle Literatur".
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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deBohli
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 13.10.2020, 11:48

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Der letzte Satz
von Robert Seethaler
Robert Seethaler ist ein guter Autor, so liest man immer wieder, so hörte ich es bereits von Freunden. Doch leider fiel die Wahl für mein erstes Buch von ihm auf "Der letzte Satz" - und das war keine weise Entscheidung. Denn bei dieser Novelle über Gustav Mahler, die leider marketing- und layouttechnisch auf Romanlänge aufgeblasen wurde, wollte sich kein Gefallen einstellen.
Seethaler erzählt aus den letzten Tagen des damalig wichtigsten Komponisten und verkrampft sich dabei in eine Mischung aus sprachlichen Verunglimpfungen und sinnentleerten Leidensbeschrieben. Weder die Musik noch das Leben der Person spielen eine tragende Rolle, bloss gewisse Sorgen und Krankheiten stehen im Zentrum. Man kann eine biografische Erzählung anders angehen, das verurteile ich nicht. Leider aber wird hier nichts Spannendes erzählt, man erfährt ausser gewissen Eckdaten nichts über die Figuren und fragt sich am Schluss: Wieso nur hat Seethaler diesen Text verfasst?
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Elbwärts
von Thilo Krause
Wie fest brennt sich die Vergangenheit in unser Leben ein, wie lange hallen unsere ehemaligen Taten nach? Thilo Krause untersucht dies mit seinem Buch "Elbwärts" und vermischt damit persönliche Eckdaten mit dem Roman. Angesiedelt in der Sächsischen Schweiz, spielt der Roman zwischen Felsmassiven, Wäldern und Kleinstädten. Der Natur, oder besser gesagt der Umgebung, kommt in der Geschichte eine grosse Rolle zu und dient zur Auseinandersetzung mit dem Begriff Heimat.
Wichtige Gedanken und Fragen werden in diesem Text angesprochen, doch das Buch packte mich nie so richtig. Die Wechsel zwischen den Geschehnissen aus der Kindheit und den heutigen Begegnungen machte "Elbwärts" zwar vielschichtig, die Lamentationen des Erzählers wirkten dafür ermüdend. So fragte ich mich, ob man sein Leben nicht auf einfachere und weniger destruktive Art neu auszurichten vermag. Ob das Vergangene nicht sinnvoller abzuschliessen wäre. Bevor man mit seinen Mitmenschen auf den unvermeidbaren Knall zusteuert.
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Trudels Haus: Ein sperriges Erbe
von Stiftung Hans-Trudel-Haus Baden
Das Trudelhaus in Baden steht seit vielen Jahre für Kunstausstellungen, Gastronomie und kulturelle Anlässe - doch nicht immer war es einfach, diese Fixpunkte im Aargau weiterleben zu lassen. Davon zeugt der Jubelband "Trudels Haus - Ein sperriges Erbe", welche die Stiftung Hans-Trudel-Haus Baden zu ihrem Ende der Arbeit herausgegeben hat.
Ich selbst war zwar noch nie im Trudelhaus (welch Schmach), kenne das Gebäude aber schon länger. Dieser Bildband versammelt nebst einigen Archivaufnahmen und Ausstellungsfotos als Bildstrecke alle Ausstellungsplakat und ergänzt diese mit kurzen Text- und Infobeiträgen. Das ist für Freunde der Stiftung und Zeitzeugen natürlich ein tolles Nachschlagewerk, für alle anderen etwas zu oberflächlich. Macht aber trotzdem Lust, sich beim nächsten Aufenthalt in Baden dem Gebäude und der Kultur zu widmen.
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Kalmann
von Joachim B. Schmidt
Da schreibt ein Schweizer aus dem Graubünden einen Kriminalroman, angesiedelt in seiner Wahlheimat Island - und trifft den atmosphärischen Nagel auf den Kopf. Sprachlich einfach gehalten und dem Protagonisten und seiner geistigen Einschränkung wunderbar angepasst, lockt Joachim B. Schmidt in seine Geschichte. "Kalmann" ist vom ersten Kapital an unterhaltsam und liest sich schnell.
Ohne in Plattitüden zu verfallen, begleitet man Kalmann (selbsternannter Sheriff von Raufarhövn) durch den eher simplen Alltag, welcher durch einen Mordfall durcheinandergerüttelt wird. Witzige Dialoge, ernste Momente, eine doch überraschende Auflösung. Dieser Roman hat mich gepackt und überzeugt, auch dank der angenehm leichten Weise, wie Schmidt seine Geschichte präsentiert.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 26.10.2020, 10:42

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Angst
von Dirk Kurbjuweit
Was Dirk Kurbjuweit mit "Angst" vorgelegt hat, ist eine merkwürdige Mischung aus Inhalt und Aussage. Rein thematisch betrachtet, fand ich den Roman sehr ansprechend. Eine Familie wird von ihrem Nachbarn immer stärker in ein unsicheres Umfeld voller Anschuldigungen und Hass gezogen. Jede Bewegung und jede Tätigkeit wird zu einem Grund für Sorge und Angst, der Alltag zum Minenfeld. Inhaltliche Aspekte, die sehr interessant sind und zum Nachdenken anregen.
Doch leider wurde dies von Kurbjuweit in ein Oberschichtenumfeld eingepasst, in dem sich die bürgerliche Vorherrschaft immer wieder selbst bemitleidet, undifferenziert agiert und durch die erste Person ungefilterte Gedankengänge auf die Leserschaft loslässt. Vertreten die Figuren die Meinungen des Autoren? Soll dies eine kritische Schrift an ebensolchen Menschen sein? Ohne Position zu beziehen wirkte das Buch auf mich vor allem unsympathisch und überheblich.
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Dunkle Zahlen
von Matthias Senkel
Spielt die Reihenfolge der Kapitel eine Rolle? Eine Frage, die mich beim Lesen immer begleitet hatte. Wobei "Dunkle Zahlen" sehr faszinierend wirkt, wenn man das Buch von vorne nach hinten und nicht gemäss der Inhaltsmatrix geniesst. Einzelne Aspekte der Geschichte finden mit der Zeit zusammen, scheinbar losgelöste Erzählstränge verbinden sich über fortlaufende Jahrzehnte.
Matthias Senkel hat keinen simplen Roman vorgelegt, sondern ein Spiel mit Realität und Darstellung. Die Geschichte der Computernutzung in Russland wird mit Fakten und Fantasie dargelegt, die heutige Situation somit seziert und der technologische Fortschritt hinterfragt. Verpackt in eine Form, die sich bei der grossen russischen Literatur bedient, mit satirischen Einschüben und einer unüberschaubaren Anzahl an Figuren. Kein wirklich einfach lesbares und betörendes Buch, aber sehr faszinierend und andersartig.
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Das Jahr
von Tomas Espedal
Als grosser Liebhaber der knausgardschen Schreibkunst habe ich Bücher stark ins Herz geschlossen, die emotional von Geschehnissen aus dem Leben erzählen, bei welchen Realität und Fiktion gemischt werden. Der Norweger Tomas Espedal gehört zu den grossen Könnern dieser Schreibweise und zelebriert das bei "Das Jahr". Ein trauriges Buch über verlorene Liebe, der Suche nach dem Platz im Leben und der Hoffnung, die dunklen Zeiten gestärkt zu überstehen.
Mit ungewohntem Satz und mit vielen Bezüge zur Vergangenheit wird ein reichhaltiges Spektrum an Empfindungen und Gedanken geboten, die in der Seele Halt finden und beweisen, dass Espedal zu den grossen Verstehern der Menschheit gehört.
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Basquiat – 40th Anniversary Edition
von Hans Werner Holzwarth und Eleanor Nairne
Der Verlag Taschen ist schon lange dafür bekannt, wunderbare Monografien und Bildbände zu veröffentlichen, die nicht nur inhaltlich überzeugen, sondern sehr bezahlbar sind. Mit der Reihe zum 40. Jubiläum wird diese Tradition im kleineren Buchformat fortgesetzt, die gesammelten Werke von Basquiat gehören dazu.
Basquiat ist ein Künstler, zu dessen Werk ich bisher keinen Zugang hatte und wovon ich immer dachte, dass mich seine Bilder nicht ansprechen. Die Lektüre dieses umfassenden Werkverzeichnisses hat mir das Gegenteil bewiesen. Besonders die Gemälde aus seiner frühen und mittleren Phase sind bestechend. Mit ihrer rohen und schnellen Wirkung, mit dem Chaos und der überbordenden Präsentation. Da steckt Drang und Ohnmacht dahinter, ein kurzes Leben voller Zweifel und Fragen. Was nicht nur Faszination ausübt, sondern viel Inspiration. Ein kreatives Schaffen, das bis heute wie ein Beben wirken kann und keinesfalls langweilt.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 04.11.2020, 13:59

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In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel
von Samira El-Maawi
Der Debütroman von Samira El-Maawi behandelt ein sehr zeitgemässes und wichtiges Thema: Der strukturelle Rassismus in Europa. Angesiedelt in den Achtzigerjahren in der Schweiz, erzählt die zehnjährige Protagonistin vom Alltag mit ihrem aus "Afrika" zugewanderten Vater und ihrer Schweizer Mutter. Repetitive Sätze ermöglichen ein Gerüst voller Unsicherheiten und Fragen, Situationen erzwingen geschickt die Reflektion.
Mit Offenheit und eigens erlebter Beispiele ist die Handlung von "In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel" ein leider zu verbreitetes Beispiel betreffend Fremdenfeindlichkeit und westlicher Abgrenzung. El-Maawi will nicht belehren, sondern auf emotionaler Ebene greifbar machen. Dank der gewählten Perspektive gelingt dies gut und führt einmal mehr vor Augen, wie schrecklich wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Bloss, weil diese anderen Ritualen nachgehen oder leicht anders aussehen.
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1794
von Niklas Natt och Dag
Niklas Natt och Dag konnte mich mit seinem Roman "1793" durch die geschickte Mischung aus Krimi, Thriller und historischen Begebenheiten überzeugen. Für seine direkte Fortsetzung "1794" hat der Starautor nichts an der Rezeptur geändert, wieder begleiten wir Jean Michael Cardell durch das schmutzige und mittellose Schweden. Natürlich geht es erneut um Falschspieler, brutale Schlägereien und fälschlicherweise verurteilte Bürger.
Nach einer anfänglichen Eskapade in der sonnendurchfluteten und heissen Sklavenhändler-Kolonie Saint-Barthélemy wird das Setting bewährt und die Abgründe der dreckigen Gesellschaft stehen im Zentrum. Verkommener Adel, wiederkehrende Charaktere, drei Handlungsbögen, die sich nicht wirklich verbinden wollen. Das Buch dümpelt dahin, Natt och Dag findet wenig neuen Zündstoff und wiederholt sich. So fühlt sich der Roman wie eine rasch hingeschriebene Idee ohne Substanz an. Etwas mehr Entwicklung hätte dem Buch gut getan.
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Aus der Welt
von Karl Ove Knausgård
Karl Ove Knausgård, ich war dir schon lange verfallen. Mit der endlich erschienenen deutschen Übersetzung deines Debütromans "Aus der Welt" ist nun klar: Dein Können ist unermesslich. Wie du das komplette Dasein in Worte fassen kannst, zwischen die Buchdeckel gepackt und emotional berührend - fantastisch.
Die Geschichte um den jungen Lehrer Henrik Vankel ist vielschichtig und dient meist nur als Vehikel, um ausschweifende Gedanken zu allen Lebensbereichen und der Welt zu ermöglichen. Die Entwicklung Norwegens wird behandelt, Erziehung und Bildung, die Fragen nach Liebe und Gemeinsamkeit, unsere gesellschaftliche Zukunft und vor allem, was man im Leben überhaupt soll, muss.
In fesselnder Überschwänglichkeit werden alle Fäden aufgegriffen, verknüpft und dann wieder lose fallen gelassen. Kenner der biografischen Reihe von Knausgård erkennen viele Szenarien, Fragestellungen und Figuren, was diese mitnichten weniger aufregend macht. Denn wie immer gilt bei "Aus der Welt": Das Buch ist so genial, weil es als Reflektion zur eigenen Person funktioniert. Und mich immer wieder tief getroffen hat.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 20.11.2020, 09:09

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Der Wassertänzer
von Ta-Nehisi Coates
Die Sachliteratur von Ta-Nehisi Coates sagte mir immer sehr zu und half mir zu einer besseren Sicht auf das Schwarze Amerika von heute. Da war es nicht verwunderlich, dass ich seinem ersten Roman "Der Wassertänzer" mit viel Vorfreude entgegenschaute. Und obwohl die Geschichte um Sklaverei, Freiheit und Liebe in schöner Sprache verfasst wurde, wollte das Buch nicht zünden.
Das liegt keinesfalls am Inhalt, verwebt Coates auf einfühlsame Weise das brutale Leben der afroamerikanischen Sklaven im 19. Jahrhundert mit magischen Elementen. Der Kampf im Untergrund wird hier mit mehr als nur Intelligenz und Vorsicht geführt, Hauptfigur Hiram Walker kann mithilfe seines fotografischen Gedächtnisses die physikalischen Gesetze überwinden.
Leider wollte mein Kopf die Hürden des Romans nicht so leicht übersteigen und viele Teile des Buches zogen sich in die Länge. Es fehlte mit die Wucht und Dichte, obwohl diese schreckliche Epoche der USA sehr beeindruckend zum Leben erweckt wurde.
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Spiegel
von Liu Cixin
Wer eine perfekte Simulation unserer Welt, unserer Galaxis besitzen könnte, der hätte das Werkzeug zur totalen Überwachung in der Hand. Doch wie würde die menschliche Psyche mit diesem Druck umgehen, wie kann eine Gesellschaft diese Bedrohung aushalten?
Liu Cixin stellt in seiner Kurzgeschichte "Spiegel" spannende Fragen und garniert das SF-Geplänkel mit festen Anker in der Realität. Da sich das Geschehen aber auf nur wenigen Seiten entfalten kann, bleiben von den Fragen und Problemstellungen am Ende zu wenig Material übrig. Das Ende kommt rasch, die Lösung ist plump.
Achtung: Diese Kurzgeschichte wurde von Heyne sowohl als Einzelbändchen herausgebracht (wovon allerdings fast die Hälfte des Inhalts Leseproben für weitere Bücher ausmachen), oder in einem lohnenswerten Cixin-Sammelband.
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Erkenntnis und Schönheit: Über Wissenschaft, Literatur und Religion
by Ian McEwan
"Erkenntnis und Schönheit" versammelte eine Handvoll Vorträge und Essays von Autor Ian McEwan. Meist mit dem Zusammenspiel zwischen Literatur und Wissenschaft als Aufhänger, untersucht der Schriftsteller seine persönlichen Interessen und die globalen Entwicklungen der Menschheit. Das gestaltet sich erfreulich unaufgeregt, bietet im gleichen Zug allerdings wenig neue Erkenntnisse. Der letzte Beitrag über die Religion ist durch die inhaltlichen Abweichungen der weiteren Schriften am intensivsten, wirklich augenöffnend ist dieser trotzdem nicht.
Für Anhänger McEwans lohnt sich die Anschaffung bestimmt, belesene Personen finden in diesem kleinen Band aber zu wenig Mehrwert.
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Nach einer wahren Geschichte
von Delphine de Vigan
Hach, wie genial wäre dieser Roman, wenn Delphine de Vigan das letzte und leider etwas zu erklärerische Kapitel weggelassen hätte? Dann würde sich dieses Verwirrspiel um Identität und Wahrheit noch mysteriöser gestalten. Doch das ist eine Kritik auf sehr hohem Niveau, denn "Nach einer wahren Geschichte" ist ein fantastisch geschriebenes Buch.
Die Autorin, welche hier mit der Realität und scheinbar wahren Begebenheiten aus ihrem eigenen Leben spielt, hat einen dichten Text erschaffen, der vom ersten Satz an immer wieder neue Fallen stellt, Ausgänge anpreist und Unsicherheiten streut. Als Leser ist man gebannt, untersucht die Aussagen, demontiert das Konstrukt. Ohne es zu merken, tappt man dabei in die clevere Falle, welche die eigentlich zentrale Bedeutung aufgebaut hat. Doch vorsicht: Je weniger man vor dem Lesegenuss von diesem Roman weiss, desto besser. Also: Aufklappen und eintauchen.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 09.12.2020, 09:34

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Die Stille
von Don DeLillo
Wie oft wollen uns Verlage noch mit dem Aufdruck "Roman" in die Irre führen? Diese Novelle ist klar kein Buch, das 30 CHF kosten sollte - auch wenn man den Text auf knapp mehr als 100 Seiten aufgeblasen hat. "Die Stille" ist mehr eine Ideenskizze, noch vor dem Corona-Jahr aufgeschrieben.
Don DeLillo beschäftigt sich mit dem Gedanken, wie die Menschheit mit einer globalen Krise umgehen würde und kommt zum Schluss, dass alles sehr schnell in der überheblichen Unmöglichkeit unseres Dasein versinken würde. Ich gehe mit den Aussagen des Buches konform, fand die Ausarbeitung allerdings ungenügend. DeLillo schreibt zwar immer ansprechend, viel Stoff erhält man hier aber nicht. Und dass für diese Erstauflage einen Hinweis auf Covid-19 extra eingebaut wurde ist ein grosser Fehler.
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Elmet
von Fiona Mozley
Mit ihrem ersten Buch hat Fiona Mozley einen spannenden Roman geschrieben, der sich mit diversen Fragen wie Besitz, Familie und Erziehungsformen beschäftigt. Erzählt aus der Perspektive eines jungen Mannes, wird dargelegt, wie Konflikte in Bezug auf Wohlstand und Land schnell eskalieren können. "Elmet" lässt sich mit der Gewaltspirale Zeit, besonders zu Beginn ist der Roman mit Elementen des Naturalismus und schönen Gedanken versetzt.
Je weiter Mozley das Geschehen auf das brutale Finale zusteuert, desto stärker mutet "Elmet" leider wie ein normaler Thriller an. Die andersartige Stimmung macht handgreiflichen Auseinandersetzungen Platz, die Figuren verlieren sich in der Leere. Schön aber, dass viele Elemente und Details von alten Gruselerzählungen ihren Weg in den Inhalt fanden. Ein Debüt, dass für mich niemals so gut war, wie die Lobpreisungen auf dem Cover es vermuten liessen, aber mitreissende und packende Unterhaltung.
:liquid6:

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Die Letzten ihrer Art
von Maja Lunde
Mit dem dritten Band ihres Klimaquartetts bringt uns Maja Lunde die Welt der Wildpferde näher und zeigt das menschliche Wirken in der Evolution. Nicht nur sind wir dafür verantwortlich, dass viele Arten bereits ausgestorben sind, sondern wir versuchen gottgleich gewisse Tiere zu erhalten, zu züchten und zu retten. "Die Letzten ihrer Art" arbeitet, wie die beiden vorangegangenen Bücher, mit drei Zeitebenen und Erzählstränge. Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit dienen als Spiegel unterschiedlicher Aspekte der Gesellschaft, als Darstellung der teils fatalen Auswirkungen.
Wie immer bei Lunde liest sich das Buch sehr flüssig und schnell, die Figuren wirken real und mit genügend Tiefe versehen. Und obwohl die Pferde im Mittelpunkt stehen, wir man deren niemals überdrüssig - egal ob man früher Poster Wendy und Black Beauty an der Zimmerwand hatte oder nicht. "Die Letzten ihrer Art" ist eine Warnung, eine fesselnde Beobachtung und der Beweis, dass wir die Kontrolle schon lange verloren haben.
:liquid8:

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I will be different every time: Schwarze Frauen in Biel
von Fork Burke, Myriam Diarra und Franziska Schutzbach
"I will be different every time: Schwarze Frauen in Biel" ist nicht bloss ein weiteres Buch zur Diskussion über Rassismus in der Schweiz (wobei es davon viel zu wenige gibt). Es ist ein vielseitiger Band, gefüllt mit Portraits und Gedanken, Lebenswege und Hoffnungen. Als Gruppe erarbeitet und praktisch ohne Einflüsse weisser Personen geschrieben, mit persönlichen Aussagen und allgemeinen Beobachtungen versehen.
Es ist weniger eine Kritik an der herrschenden und unterdrückenden Struktur, sondern ein intimer Einblick in unterschiedliche Leben. Ein Buch, das mit vielen klugen Sätzen die Augen öffnet, die Vielfalt zelebriert und zeigt: Es wäre so einfach, als Einheit zu leben, als Menschheit einander zu lieben. Tun wir dies, und lesen zuerst alle dieses Buch.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 27.12.2020, 09:55

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Quichotte
von Salman Rushdie
Rushdie schrieb schon immer gerne sehr blumig, voller Metaphern und intelligtenten Doppeldeutigkeiten. Seit einigen Büchern fällt mir bei der Sprache allerdings auf, dass diese Elemente fast zu einem Selbstzweck verkommen sind. "Quichotte" fesselt und stösst zur gleichen Zeit mit Verweisen, Zitaten und popkulturellen Erinnerungen ab - die Geschichte verliert sich schnell unter einem Berg von Ideen, Figuren und Wahrheitsebenen. Ein Buch im Buch im Buch, eine Gesellschaftskritik mit vielen Bezügen zur alten Zeit und Literatur, ein brachialer Hieb in Richtung Amerika.
Schlecht ist das nicht, nur etwas zu überladen und selbstverliebt. Erstaunlicherweise fand ich die Lektüre im eigentlichen Moment sehr faszinierend, mit grösser werdender Distanz das Buch aber eher unrund und mühsam. Trotzdem: Die Seiten tragen viel Genialität in sich.
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Budäässä
von Stefanie Grob
Humorvolle Texte in Mundart, die sich mit den Schweizer Eigenheiten genauso beschäftigen, wie mit persönlichen Gedanken und Empfindungen. Stefanie Grob brachte mich mit ihren kurzen Texten immer wieder zum Lachen, trotzdem dienen diese keinesfalls bloss der Belustigung. Die Sammlung "Budäässä" hat Aussagen zu aktuellen, politischen Streitpunkten in sich, positioniert die Autorin klar und macht vor Klimawandel, Ungerechtigkeit und Feminismus nicht Halt.
Gut so, laut vorgetragene und spitz formulierte Gedanken - dafür wurden die meisten Schriften in diesem Buch ursprünglich konzipiert - sind in unserer Gesellschaft wichtiger denn je. Und in Berndeutsch gehalten machen diese noch viel mehr Freude.
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Wie ich Klavierspielen lernte
von Hanns-Josef Ortheil
Hanns-Josef Ortheil schreibt darüber, wie er als kleiner Junge seine Liebe zum Klavier und der klassischen Musik entdeckte, wie er durch seine Eltern gefördert, durch seine Lehrpersonen mit falscher Theorie geplagt und schlussendlich durch seinen Körper überlistet wurde. "Wie ich Klavierspielen lernte. Roman meiner Lehrjahre" ist niemals trocken oder einseitig, auch für Menschen, die keinen Bezug zum Instrument oder den erwähnten Komponisten wie Chopin, Liszt oder Schumann haben.
Das Buch behandelt universal die Fragen zu Talent, Leidenschaft und Erziehung, lässt die Faszination an den beschriebenen Inhalten überschwappen und beweist, dass mit der richtigen Sprache und genügend Talent über alle Aspekte des Lebens fesselnd berichtet werden kann. Für Musikinteressierte ist der autobiografische und in zwei Zeitebenen unterteilte Roman wärmstens zu empfehlen.
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Die heilige Henni der Hinterhöfe
von Tim Krohn
Tim Krohn ist ein Meister darin, seine geschriebene Sprache dem Handlungsort und -Inhalt perfekt anzupassen. Was bei der Reihe der menschlichen Regungen der typische Schweizer Vorort war und bei Vrenelis Geschichten die Alpen, das ist für "Die heilige Henni der Hinterhöfe" das Berlin der goldenen Zwanzigerjahre. Damaliger Dialekt, Schnauze und Gepflogenheiten leben auf den Seiten auf, Krohn führt die Leserschaft durch Gassen, Strassen und leuchtende Nachtlokale.
Diese Nähe zum damaligen Zeitgeschehen macht die Lektüre spassig und lässt tolle Bilder entstehen. Nur leider will die eigentliche Geschichte nicht so richtig gefallen. Zu langsam kommt die Erzählung um die etwas naive Henni in die Gänge, zu unwichtig sind die beschriebenen Erlebnisse. So ist das Buch vorbei, ohne wirklich Gewicht zu tragen. Schade, besonders da politisch brisante Entwicklungen nicht ausgeklammert wurden.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 12.01.2021, 10:45

Mein Jahr in Büchern: Hier klicken für eine statistische Aufarbeitung meines Leseverhaltens im Jahre 2020, erstellt durch mein Profil bei Goodreads.
Ja, ich bin zufrieden damit und versuche mir 2021 etwa gleichviel Bücher zu Gemüte zu führen. :D
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 03.02.2021, 07:33

Natürlich lese ich auch 2021 weiter, nur vergasse ich die Bücher hier zu posten. Machen wir einen Anfang:

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Kein Heimspiel
von Karl Ove Knausgård und Fredrik Ekelund
Ein Briefwechsel zur Fussball-WM 2014 in Brasilien? Theoretisch könnte der Inhalt nicht ferner meiner täglichen Interessen sein. Ja, einzelne Spiele habe ich natürlich im damaligen Sommer mit Freunden geschaut, eine wirkliche Auseinandersetzung mit Mannschaften, Sport und Meisterschaft fand bei mir aber nicht statt. Wie es das Leben aber so spielt, hat "Kein Heimspiel" mein liebster nordischer Autor Karl Ove Knausgård ins Leben gerufen.
Und als Fanboy lohnt es sich natürlich mehr als dreifach, in diesen gesammelten E-Mails zu versinken. 600 Seiten geschriebene Diskussion, zwischen Knausgård und seinem Freund Fredrik Ekelund, ersterer im Alltagsleben in Schweden, zweiterer mittendrin in Brasilien, dem Samba, dem lebensfreudigen Wahn. So trifft das warme und leidenschaftliche Dasein auf die introvertierte und nachdenkliche Lebensweise, Analysen auf Emotion, Fussball auf intellektuelle Konstrukte.
"Kein Heimspiel" behandelt nicht nur die Spiele, die Fussballer und die FIFA, sondern viele Aspekte des Lebens. Gleichberechtigung, Familienleben, Kultur- und Sozialgeschichte, Feminismus, Suchtverhalten, Lebensentscheidungen. Ein überbordendes Buch voller Ideen und Gedanken, ein stetes Schwanken zwischen Vernunft, Zustimmung, Ausgelassenheit und Kritik. Wahnsinn.
:liquid10:

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Der Schnupfen
von Stanisław Lem
Stanisław Lem hat mit "Der Schnupfen" ein Kriminalroman verfasst, der viele Elemente der Science Fiction in sich tragen. Und leider, was dem damaligen Zeitgeist entspricht, immer wieder mit frauen- und fremdenfeindlichen Kommentaren aufwartet. Diesen Umstand trübte das Lesevergnügend, trotzdem ist das Buch eine interessant erzählte Geschichte, die sich mit Erklärungen viel Zeit lässt.
Lem hat eine erzählerische Konstruktion geschaffen, die mit unerklärbar viele Details und Feinheiten aufwartet, die eine Parallelwelt zu den wahren Siebzigerjahren erbaut hat. So dicht an Details und technischen Punkten, dass man sich ab und an in den Finessen verliert, dem Rätsel aber trotzdem auf den Grund gehen möchte.
:liquid6:

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Chilenisches Nachtstück
von Roberto Bolaño
Mit der kurzen Erzählung "Chilenisches Nachtstück" hatte der chilenische Autor und Intellektuele Roberto Bolaño sein Leben gespiegelt. Selbst im Exil tätig und in keiner Weise Unterstützer der damaligen Landespolitik, wird der religiöse Gelehrte Sebastián Urrutia Lacroix im Buch zu einem Spielball der Mächte, ohne sich den Realitäten stellen zu wollen.
Mit seinen sarkastischen Beobachtungen um das Unvermögen, die Ebene der Kultur zu durchbrechen, hat Bolaño einen vielschichtigen Text verfasst, der vor allem mit den unsausgesprochenen Aussagen glänzt. Kunst und Politik können nicht getrennt werden, jede*r Künstler*in hat eine Verantwortung und muss diese wahrnehmen. Sonst verkommt das Leben zu einem Witz der persönlichen Antagonisten.
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Tot bist du noch lange nicht, sag mir erst wie alt du bist.
von Klaus Märkert und Myk Jung
«Tot bist du noch lange nicht, sag mir erst wie alt du bist.», klingt wie der Kinderreim, den wir damals auf dem Pausenhof fast täglich aufgezählt haben. Und der Titel ist nicht das einzige Elemente an diesem Buch, welches die Zeit zurückzudrehen scheint. Die neue Kurzgeschichtensammlung von Klaus Märkert und Myk Jung spielt mit dem gotisch-grusligen Gefühl, welches früher beim Konsum von «Horror»-Medien verspürt wurde. Die rettende Bettdecke in Griffnähe, die Vorhänge gezogen – doch wer kratzt da an der Tür?
Auf 160 Seiten bieten die beiden Autoren vor allem mehr vom Bekannten. Da kommt ein gewisser Herr Lavkraft zu Ehren, da flattern die Vampire vorbei, da wird mit Voodoo hantiert. Mord, Monster, Missgeschicke – positive und lichtdurchströmte Ausgänge gibt es bei diesen Erzählungen nicht. Die dunklen Seelen und Seiten der Menschen stehen im Zentrum, die wilden Wortkreationen und Einfälle von Klaus Märkert und Myk Jung findet man ungefiltert auf den Seiten. Das sorgt für kuriose Schöpfungen, das lässt gewisse Texte im Nichts verschwinden. Oft will das Beschriebene am Ende wenig Sinn ergeben, wie das reale Leben halt?
Wer sich gerne in der schwarzen Szene umtreibt oder schon länger mit dem Genre der bitter-absurden Literatur beschäftigt, der findet in «Tot bist du noch lange nicht, sag mir erst wie alt du bist.» genau dies. Dazugehörig natürlich die ironische Art, wie sich Autoren und Szene präsentieren, die holprige Individualität, welche teilweise mit dem Brecheisen ausgeführt wurde. Darüber kann man jauchzen oder genervt den Kopf schütteln, mich persönlich spricht eine solche Erzählweise nicht direkt an. Zu gewollt, zu erhaben auf der humoristischen Position.
Da die Texte allesamt sehr kurz sind und einige Schreib- und Setzfehler nicht behoben wurden, eignet sich der Band vor allem für den kurzen Zwischensnack. Ein Glas Rotwein, ein lecker angebratenes Stück Herz, ein paar Seiten Text. Das verhindert den Überdruss und tarnt die eher gleichförmige Stimmung auf den Seiten.
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Lied der Weite
von Kent Haruf
Warm fühlen sich die Sätze bei "Lied der Weite" an, mit grosser emotionaler Sorgfalt geschrieben und als tröstende Umarmung. Kent Haruf musste keine eloquenten Schachtelsätze verfassen, um seine Figuren zu lebendigen Charaktere zu gestalten. In diesem Roman passiert das normale Leben in der ländlichen Umgebung Amerikas. Auf den Farmen, in der Kleinstadt, in den zerrütteten Familien.
Einzelne Charaktere geraten durch gewisse Entwicklungen aneinander, lernen sich neu kennen oder müssen grossen, privaten Umwälzungen ins Auge Blicken. Das ist weder episch noch extrem, sondern menschlich und zärtlich. "Lied der Weite" fesselt so in seiner leisen Art und zaubert damit Sehnsüchte hervor.
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Leben zu verkaufen
von Yukio Mishima
uizid ist ein stetes Thema in der japanischen Kultur, mal Ausweg, mal Verzweiflung, mal letzte ehrenvolle Handlung. Im Roman "Leben zu verkaufen" von Yukio Mishima werden die möglichen Aspekte von Selbstmord mit lakonischen Betrachtungen kombiniert - die Hauptfigur Hanio bietet sein Dasein für alle möglichen Zwecke an und fürchtet sich nicht vor dem eigenen Ende.
Yukio Mishima mischt absurde Situationen und merkwürdig agierende Charaktere mit aufrüttenden Gedanken und versucht darzustellen, was passiert, wenn das eigene Leben zum Spielball anderer Menschen wird. "Leben zu verkaufen" ist als Erzählung nicht tragisch oder traurig, sondern voller Gewitztheit und gar Abenteuer, mit modernen Gedanken und weit von den restriktiven Sechzigerjahren entfernt.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 15.02.2021, 09:05

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Froschnacht
von Markus Werner
Der Frosch besetzt den Hals und erzwingt die Lebensbeichte. Steckt dahinter denn der Geist des toten Vaters? Wie auch immer, Markus Werner lässt in "Froschnacht" seine Hauptperson Franz Thalmann einen schonungslosen Bericht ablegen. Der fremdgehende Pfarrer, der mogelnde Lebensberater - die über allem schwebende Last seiner Familie. Durchzogen mit misogynen Kommentaren und einer ungeschönten Sprache ist der Roman mehr Aufzeichnung als erzählende Geschichte.
Was zum Teil wunderbar funktioniert und besonders dann, wenn der Vater von Franz die zentrale Position einnimmt und den ehemaligen Alltag in der Schweiz unverblümt darlegt, ist oft etwas wirr und unfokusiert. Trotz der Kürze hatte ich längere Zeit Mühe, Rhythmus und Vergnügen bei der Lektüre zu finden.
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Walk Through Walls: A Memoir
von Marina Abramović
"Walk Through Walls: A Memoir" könnte auch mit dem Zusatz "Beichte" veröffentlicht werden, Marina Abramović scheut sich nämlich nicht davor, die intimsten und peinlichsten Momente ihres Lebens preiszugeben. Das ist nur korrekt, zielte ihr künstlerisches Schaffen im Bereich der Performance Art immer darauf ab, den Menschen komplett rein darzustellen. Ohne Täuschung, ohne Masken, ohne falsche Absichten.
Reich bebildert und packend erzählt, schildert die Künstlerin ihr eigenes Leben von der Kindheit bis zum Jahre 2016, Hürden, Beziehungen, das stete Auf und Ab, die grössten Erfolge, die begleitenden Zweifel. Man fühlt sich Abramović während der Lektüre sehr nahe und leidet sogar mit ihr. Das ermöglicht nicht nur einen tieferen Einblick in ihre Kunst, sondern die spirituellen Hintergründe, ihre eigene Seele und die Denkesmuster, welche für solche Taten nötig sind.
Voller interessanter Überlegungen sind diese Memoiren weit mehr, als bloss ein Buch für Fans. Es ermöglicht den Blick nach innen, zu Marina und sich selbst.
:liquid8:

One In Ten Times – One Of A Million
Diverse
Es schmerzt, wissen zu müssen, dass aktuell die elfte Ausgabe des One Of A Million Festival in Baden stattfinden würde. Wenn… Aber man soll sich an den schönen Dingen im Leben erfreuen, wie zum Beispiel am Buch „One In Ten Times – One Of A Million“, welches von der Festivalleitung zum Jubiläumsjahr 2020 herausgegeben wurde. Mit dem Fokus auf der zehnten Auflage von letztem Winter wird auf typische OOAM-Art das Treiben an der Veranstaltung resümiert.
Geschriebene Texte und Fotografien halten sich im ansprechend gestalteten und auf gutem Papier gedrucktem Buch die Waage. Viel Weissraum wurde von den Gestaltern gelassen, das Werk versteht sich nicht als Enzyklopädie oder vollständige Chronik, sondern als Gefäss, welches den Festival-Geist in sich trägt. Analoge Schnappschüsse, gemacht von Freunden und Besucher*innen an den neun Tagen, mal als Collage, dann wieder als intimer Blick. Dagegen halten die digitalen Bilder von Künstler*innen, Auftritten und Gegenstände – Klarheit und technische Komponente.
Plötzlich entdeckt man Leute, mit denen man selbst an Konzerten getanzt, draussen zu einer Zigarette geplaudert oder bewundernd aus der Ferne beobachtet hat. Nur wenige Seiten dauert es, bis man sich nach Baden transportiert fühlt, zurück in den Februar 2020. Es flackern wieder die Wunderlichter von dj. flugvél og geimskip, es betört der Pop von Magic Island, es erschüttern die Bässe von Camilla Sparksss. Das Herz hüpft, die Gedanken kreisen.
Die Komplette Rezension findet ihr bei ARTNOIR.
:liquid8:

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Jenseits der Zeit
von Cixin Liu
Was für ein Abschluss für eine Trilogie. Liu Cixin geht weiter als zuvor und führt die Menschheit nicht nur an ihre Grenzen, sondern zeichnet ein ziemlich realistisches Bild der technischen Möglichkeiten. "Jenseits der Zeit" ist Science Fiction voller Wunder, Wendungen und Gefahren. Niemals hätte ich mir nach den zwei ersten Büchern eine solche Weiterentwicklung vorgestellt, die nicht nur Zeit und Raum sprengt, sondern bis zur letzten Seite packt und niemals enttäuscht. Dieses SF-Vergnügen sollte man sich nicht entgehen lassen.
:liquid10:

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Krieg im Orient: Das Scheitern des Westens
von Ulrich Tilgner
Ulrich Tilgner ist ein kluger Mensch, der sich getraut, seine Sicht der Weltlage in klaren Sätzen zu verbreiten. Das Buch "Krieg im Orient: Das Scheitern des Westens" funktioniert vor allem als Übersicht zu den schlimmen Kriegen und Entwicklungen, die der Orient seit dem Ende des 20. Jahrhunderts erleben musste. Auf den 200 Seiten ist eine tiefreichende Behandlung der Konflikte natürlich nicht möglich, trotzdem ist das Sachbuch als Informationsquelle sehr gut geeignet.
Besonders, da die Einflüsse und Massnahmen des Westens klar dargelegt werden, hebt sich die Schrift von den gängigen Quellen ab. Tilgner nennt die Übeltäter beim Namen und schönt nichts. Solche Berichterstattung sollte es vermehrt geben.
:liquid7:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 03.05.2021, 08:46

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Steve McQueen - Werke
von diverse
Ein Katalog über das Schaffen eines Künstlers, der vor allem mit Film und Video arbeitet? Ja, es funktioniert. Die Essays und Begleittexte wissen tief in das Werk von Steve McQueen einzutauchen, analysieren dessen Projekte manchmal zwar etwas zu verkopft, lösen aber vor allem die Lust aus, sich sofort in den bewegten Bildwelten McQueens zu verlieren.
Ergänzend zur Werkliste, welche alle veröffentlichten Kunst- und Spielfilme bis zum Jahre 2012 enthält, lohnt sich der Band vor allem wegen dem Interview, das mit dem Künstler geführt wurde. Dort trifft man den wachen Geist des Mannes und spürt die zerbrechliche Emotionalität, welche sich durch das Schaffen und Leben zieht.
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Cinema 66 - Mut
von diverse
Die Filmsparte des eigenen Landes betrachtet man oft mit sehr kritischen Augen, besonders in der Schweiz. Zu wenig Strahlkraft nach aussen, zu bieder, zu wenig Mut? Mit letzterer Frage beschäftigt sich das neue Schweizer Filmjahrbuch und holt damit nicht nur einen alten Streitpunkt ins Scheinwerferlicht, sondern schafft es, die Thematik breit und interessant abzubilden. Fachbeiträge, Kolumnen und Interviews versuchen, das landesweite Schaffen gebürtig zu repräsentieren und neue Facetten und Antworten zu finden.
Mit dem frischen Design und der stärkeren Fokussierung auf das Schweizer Filmschaffen ist "Cinema 66: Mut" eine sehr gelungene Ausgabe geworden, der Reihe bleibe ich mehr als gerne treu.
:liquid8:

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Boys don’t cry: Identität, Gefühl und Männlichkeit
von Jack Urwin
Bei Sachbüchern, deren Inhalt sehr wichtig ist, mir die Form aber gar nicht zusagt, hadere ich immer mit einer Wertung. Jack Urwin hat mit seinem verlängerten Essay "Boys Don't Cry" - oder "Man Up" im Original - eine Schrift verfasst, die alle Menschen auf einfache und verständliche Weise an die herrschende, toxische Männlichkei in unserer Gesellschaft heranführt. Ein Buch, das für mehr Offenheit, Gefühle und Selbstreflektion wirbt, alte Muster aufbrechen und zur Emanziaption beitragen will.
Nur leider liest sich alles sehr plump, viele Sätze sind unnötige Witzchen, die Absätze salopp aufbrechen und zeigen, wie nahbar Urwin ist - nur hemmt das den Lesefluss und liess bei mir das Gefühl wachsen, es hätten noch viel mehr Überlegungen und Informationen Platz gehabt. Zusätzlich werden viele Aussagen wiederholt, damit es wirklich alle begreifen. Ein Buch zum Einstieg, für eine wirkliche Vertiefung reicht es nicht aus.
:liquid6:

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Untenrum frei
von Margarete Stokowski
Margarete Stokowski kann schreiben, auch wenn es auf eine eher "einfache" Weise geschieht. Aber wieso eigentlich mit Fremd- und Fachwörtner um sich schmeissen und überkomplexe Satzbauten konstruieren, wenn es die Menschheit direkt und unverblühmt besser begreift? "Untenrum frei" schafft damit das Komplexe: Es verbindet wichtige Aufsätze zum Thema Sex, Feminismus, Unterdrückung und Gender in unserer Gesellschaft mit einer sehr zugänglichen und sympathischen Schreibweise. Nicht nur sind die beschriebenen Beispiele und Handlungsweisen augenöffnend, sondern immer wieder unterhaltsam und nachvollziehbar.
Mal wird man direkt angeschnauzt, dann wieder an der Hand genommen. Stokowski versteht etwas vom Erzählen und weiss, was uns Menschen helfen würde. Also liebe alle: Lest dieses Buch, reflektiert eure eigene Vergangenheit, Gegenwart und Verhaltensweise, und macht aus unserem Planeten ein Ort mit mehr Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Liebe.
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Nur Küssen ist schöner
von Rachel Gibson
Eine dumme Idee, eine Herausforderung: Sich gegenseitig aus der Grabbelkiste ein Buch zu schenken. Und da stehe ich nun, mit diesem Hausfrauenporno, der nebst sinnleerem Titel und zusammenhanglosem Titelmotiv sogar rote Herzen auf dem Schnitt aufweisen kann.
Ich weiss wie despektierlich diese Einleitung klingt. Wenn ein Roman allerdings nach wenigen Seiten mit veralteten Geschlechterrollen, Sexismus, homophoben Kommentaren, verzerrtem Patriotismus und einer Brise Misogynie aufwartet, dann hat das Buch nichts anderes verdient. Egal, wie viele Preise Autorin Rachel Gibson mit ihren Schmonzetten bereits gewinnen durfte.
Doch was schreibe ich selbst, wenn "Nur Küssen ist schöner" solche wundervollen Stellen beinhaltet:
"Er hatte sich von Insekten ernährt und in Gatorade-Flaschen gepisst."
"Ich scheisse grössere Würste als du."
"Hübsch geformte Brüste, sanft gerundete Taille. Ja, wahrscheinlich schielte sie."
"Blumen und Alk? Ist er ein Trinker oder gar schwul?"
"Ohne die Sicherheitsbarriere eines Kleidungsstücks traf sein Testosteron sie wie eine atomare Druckwelle."
"Kein Sixpack, aber auf seinen Bauchmuskeln hätte sie Trampolin springen können."
"Wieder schaukelte er mit seiner Erektion gegen sie."
"Sein Atem streifte ihre Wange, während er gleichmässig in sie hineinstiess und ihre Innenwände stimulierte."

Ich bin dann mal weg.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 05.05.2021, 19:06

Der erste letzte Tag (Sebastian Fitzek)

Was passiert, wenn ein fast schon fanatischer Thrillerautor sich an einem Roadtrip versucht? - Was anfangs als eine abgefahrene Tour des Wahnsinns beginnt, entwickelt sich mit der Zeit zu einer bewegenden Geschichte, bei der lachen und weinen so eng beieinander liegt wie im wahren Leben. Auch die philosophischen Einwürfe zeigen Fitzek von seiner menschlichsten Seite, die man sonst nur aus Interviews mit ihm kennt.

:liquid9:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 01.04.2022, 23:06

Schwiecker/ Tsokos: Die 7. Zeugin
hui, hab ich dafür lange gebraucht. Die Ausgangslage fand ich gar nicht so schlecht, die Gerichtsverhandlung in der ersten Hälfte durchaus spannend. Lag es daran, dass ich zu lange gebraucht habe und das Buch zu oft weggelegt habe? Jedenfalls empfand ich die zweite Hälfte, gerade die Szenerie außerhalb des Gerichts eher als zäh. Und auch das Ende gab jetzt nicht soviel Wow her. Auch wenn die letzten Seiten ein wenig neugierig machen, aber ob ich mich deshalb nochmal auf eine Geschichte mit diesen Charakteren, die durchaus interessant sind, einlasse..mal schauen. Von mir diesmal keine Empfehlung... :sad:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 19.06.2022, 12:08

Geburtstagsgeschenk
John Grisham - Die Wächter

Fand ich auf jeden Fall lesenswert, allerdings ist Grisham eine andere Art von Erzähler als z. B. ein Sebastian Fitzek. Das Erzähltempo kam mir eher gemächlich vor, und hin und wieder zog sich das Ganze bzw. kamen sehr viele Personen ins Spiel. Generell aber ein lesenswertes Werk über eine gemeinnützige Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, zu Unrecht verurteilte aus dem Gefängnis oder sogar aus dem Todestrakt zu holen. Krass auch, wenn man sich mal überlegt, dass die im Buch genannte Zahl der Justizirrtümer auch nur annähernd der Realität entspricht. Wie schlimm das sein muss, zu Unrecht zu sitzen für eine Tat, die ein anderer begangen hat und was da für eine Verzweiflung und auch Wut hochkommen muss....
Das Buch gibt es auch zu hören bei nbib24.de - Hierfür muss man nur Mitglied der Stadtbibliothek irgendwo in Niedersachsen sein und kann sich dort ganz easy mit seinen Mitgliedsdaten einloggen und Bücher online lesen bzw hören. DIE WÄCHTER wird gelesen von Charles Brauer übrigens
Ich würde dem Buch zwischen3,5 und 4 von 5 Sternen geben.
Schon jemand gelesen? Meinungen dazu? 😉
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von deBohli » 20.06.2022, 07:49

Das letzte Buch, welches ich von John Grisham gelesen habe, liegt wohl um die 15-18 Jahre zurück. Darum kann ich dazu leider nicht viel sagen, ausser, dass mich dieses Genre heute überhaupt nicht mehr interessiert. :wink:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von gelini71 » 20.06.2022, 14:42

ich habe hier einige Grisham Bücher im Schrank aber auch schon seit vielen Jahren keinen mehr gelesen - weil Grisham (wie jeder anderer Autor übrigens auch) die etwas doofe Angewohnheit hat jeden Buch gleich aufzubauen wodurch es für mich schnell etwas arg vorhersehbar wurde.
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 23.06.2022, 23:54

vor allem hat er eben einen eher langsamen Erzählstil...das ist dann schon echt ne Umstellung, wenn man vorher hauptsächlich S. Fitzek und sowas gelesen hat ;)
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 03.07.2022, 18:25

Kurz mal mit dem Universum plaudern

Ich freue mich immer, wenn ich Bücher entdecke, die irgendwie besonders sind und bei denen ich das Gefühl habe, am Ende etwas für mich mitnehmen zu können

"Kurz mal mit dem Universum plaudern" ist eine erfrischende Coming of Age-Story von Preston Norton und handelt von Cliff Hubbard, einem eher glücklosen, übergroßen und übergewichtigem Teenager, der sowohl ein zerrüttetes Elternhaus und die Ausbrüche seines Vaters sowie auch die Mobbingattacken der Mitschüler aushalten muss.
Zudem hat er an einem persönlichen Verlust, nämlich dem Verlust seines Bruders Shane, zu knabbern.
Doch eines Tages kommt ausgerechnet einer der arrogantesten und beliebtesten Schüler der Highschool, auf der er ist, auf ihn zu und erzählt ihm von einer Nahtoderfahrung und einer geheimnisvollen Liste, die ihm Gott höchstpersönlich aufgetragen hat. Und ausgerechnet Cliff soll ihm dabei helfen!
Viele Popkulturreferenzen, bissiger Humor und Ironie, aber auch jede Dramatik - dabei aber auch immer wieder sehr philosophische Ansätze über das Leben und was man daraus macht - ein kleines Beispiel hier:
"Wir sind alle E.T. - Wir haben uns verirrt und wollen zurück nach Hause, aber es klappt nicht. Zumindest nicht ohne Hilfe. Und da kommt Elliott ins Spiel. Jeder von uns hat einen Elliott in seinem Leben - einen Menschen, dem wir uns total verbunden fühlen. Das passiert ganz von selbst, und niemand kann so eine Verbindung trennen. Die beiden haben sich einander schließlich auch nicht ausgesucht. Der eine hat einfach eine Bruchlandung im Leben des anderen hingelegt, und wenn sie sich nicht gegenseitig helfen, kommt keiner voran.."
"...Aber zuerst musst du innehalten. Und tief durchatmen. Wir leben in einer Welt, in der alles immer sofort passieren muss, damit das Internet es uns in Echtzeit um die Ohren hauen kann, und dann machen wir uns natürlich Sorgen über den vielen Hass in unseren Newsfeeds, über die Schw...vergleiche, die manche Staaten mit ihren Atomwaffen veranstalten und überhaupt - warum sind Leute eigentlich SO VIEL GLÜCKLICHER ALS MAN SELBER, WARUM IST DEREN LEBEN SO PERFEKT? - Das kann einen echt erdrücken. Einem den Atem rauben, als würde einem jemand den Kopf unter Wasser halten. Ich mache mir Gedanken über so vieles gleichzeitig, dass ich die einfachsten Sachen nicht mehr auf die Reihe kriege, und verdammt, dabei will ich doch nur....ich würde alles tun, um das abzuschalten!"
Fazit: Ein toller Roman, eine vielschichtige Geschichte, die sowohl zum Weinen bringt als auch einen herzhaft auflachen lässt. Viele toll geschriebene Charaktere
Als Büchereinutzer in Niedersachsen kann man diese Geschichte übrigens auch über nbib24.de lesen. Einfach nur die eigenen Büchereiausweisdaten nutzen, und schon ist man drin

starke :liquid8: bis :liquid9:
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 21.07.2022, 19:26

Ursula Poznanski: Thalamus
(Thriller)

Kann man übrigens als Stadtbücherei-Mitglied in Niedersachsen problemlos und kostenlos hier hören: nbib24.de

Nach einem Motorradunfall soll sich der 17-jährige Timo im Rehabilitationszentrum Markwaldhof von seinem schweren Schädel-Hirn-Trauma erholen. Schnell stellt er fest, dass sich merkwürdige Dinge im Haus abspielen: Der Wachkomapatient, mit dem er sich das Zimmer teilt, läuft nachts herum, spricht - und droht damit, Timo zu töten, falls er anderen davon erzählt. Und allmählich entdeckt Timo an sich selbst Fähigkeiten, die neu sind: Er kann Dinge, die er nicht können dürfte und weiß Dinge, die er eigentlich gar nicht wissen dürfte...

Review
Was da eigentlich genau vor sich geht, wird gefühlt fast ein wenig zu früh enthüllt, zudem ist die Thematik nicht mehr ganz neu,
Spoiler
Show
zumal man sie im letzten Bond z. B. vorgeführt bekommen hat
wenngleich die Umsetzung doch recht originell gelang. Auch wenn es am Ende etwas heftig ausufert, ein recht fesselndes Hörerlebnis mit Jens Wawrczeck ("Die Drei ???"-Stammsprecher, "Spence" in King of Queens)
Von U. Poznanski fand ich übrigens auch die beiden Erebos-Romane ziemlich gut, würde mich über einen dritten Teil freuen
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 08.08.2022, 09:59

Arno Strobel/ Ursula Poznanski

INVISIBLE

...handelt von den eher gegensätzlichen Kommissaren Nina Salomon und Daniel Buchholz und stellt den zweiten Teil einer Reihe dar.
Nebenbei gesagt ist es das Buch mit Beteiligung von Arno Strobel (einschl. der bisher von mir gelesenen Solowerke des ehemaligen Kaufmanns), das bei mir am meisten nachhallt und mir am besten gefallen hat.
Schon die Ausgangsidee hat mir sehr gefallen. Menschen, die ohne zunächst ersichtlichen Grund jemanden töten und die sich das meist hinterher auch nicht wirklich erklären können - unheimlich und spannend, zudem fand ich es auch nicht zu explizit brutal.
Auch die Nebenhandlung hat den einen oder anderen fiesen kleinen Kniff, bei dem man schon mal schlucken kann. - Was sehr gut gelungen ist, ist die Tätersuche. - Obwohl ich mitgeraten habe und schon die eine oder andere Idee hatte, auf die man vielleicht nicht als erstes kommt, bin ich nicht drauf gekommen, wer am Ende dahintergesteckt hat. Und ich kann dazu nur sagen, gerade was das Motiv angeht, die Sache hallt richtig heftig nach. Zumindest war es bei mir so. Damit ist INVISIBLE das, was ich als besonderen Thrillertipp empfehle für die, die nicht alles an Krimis und Thrillern lesen und ein wenig wählerisch sind.
Fazit: Hat mich deutlich mehr gefesselt als der Vorgänger ANONYM und ich hoffe, dass die Reihe diese Stärke halten kann.
4,5/5 Sternen - minimale Längen, allerdings haut die Auflösung vieles raus und macht vor allem auch Angst, weil es nicht absolut unrealistisch ist, so vorzugehen...

:liquid9: etwa
Spoiler
Show
Mobbing in Extremform - jeder, der sowas in ähnlicher Form kennt, wird zumindest ein wenig Verständnis für den Täter haben, der hier späte Rache übt, zumal auch der Grund, warum sie erst so spät erfolgt, absolut rührend ist...was Angst macht ein wenig, ist die Art und Weise, wie die Leute gesteuert worden sind...Thema Datenkraken...ich denke nämlich, dass es nicht so unmöglich ist, auf zumindest ähnliche Weise jemanden zu manipulieren
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von gelini71 » 08.08.2022, 11:51

Ich war mal bei einer Lesung von Arno Strobel und da hat er auch von der Zusammenarbeit mit Ursula Poznanski erzählt - die Bücher entstanden im Ping Pong Verfahren (er wohnt ja bei Trier, sie in Wien - ging also nicht anders). Gemeinsam haben sie sich die Ausgangssituation ausgedacht und dann wurde die Kapitel nacheinander entweder von ihr oder ihm geschrieben. Die Bücher sind somit genau in 50% Anteil der jeweilige Autoren. Allerdings wollte er nicht verraten wer immer bei den Bücher angefangen hat weil man dann ja rausbekommen kann wer welches Kapitel geschrieben hat. Zudem war er Stolz das man auch nicht am Schreibstil erkennen kann wer was geschrieben hat weil das später in der Nachbearbeitung angeglichen wurde.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 08.08.2022, 15:14

Dieses Schreibprinzip kenne ich von Anthologien, bei denen mehrere Leute an einer Geschichte schreiben. Bei vielen kommen da oft sehr schräge Sachen heraus. Bei Strobel habe ich generell leider das Problem, dass er oft Versatzstücke anderer Dinge, die man kennt, drin hat, z. B. DAS RACHESPIEL hat mich krass an die Vorstadtkrokodile erinnert. Ganz krass fand ich es mit Strobels "Offline", der mich massiv an den extrem ähnlichen Roman des blinden Autoren Dieter Kleffner "Autorenstolz" erinnert hat und bei dem ich deutlich das Gefühl eines kleinen Plagiats hatte... - Generell verstehe ich aber, dass man nach hunderten von Jahren Krimigeschichte das Rad nicht immer komplett neu erfinden kann. ;) So eine Lesung war sicher interessant mal zu sehen. Bei youtube findet man ja z. B. einen Ausschnitt aus dem Live-Event zu AURIS (von Fitzek erdacht und geschrieben von Vincent Kliesch); das fand ich so intensiv, dass ich mir die Hörspiele bei audible angehört habe. Vor allem Oliver Masucci ist sowas von intensiv, richtig unberechenbar.
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 20.08.2022, 00:39

Jan Beck - Das Spiel

Schade, ein gutes Beispiel von einem Thriller, der einen starken Aufbau hat, zum Teil sehr interessante, stark emotional mitgenommene Charaktere kreiert, der aber leider im letzten Drittel irgendwie zumindest mein Interesse schwinden ließ. Und leider war das Finale irgendwie wirr und hektisch...nicht ganz meins...habs trotzdem nicht bereut..aber schade
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Re: Liquid-Love-Bücherthread

Beitrag von Cinefreak » 22.08.2022, 19:10

Poznanski/ Strobel - Fremd

Beginnt geheimnisvoll, endet aber irgendwie in einer ziemlichen 08/15-Auflösung - hatte ich auch schon mal gehört. Kann man mal hören bzw. lesen, gibt aber bessere - und ich bin ja nicht der Freund dieser offenen Enden, bei denen die Bösen immer noch Macht haben...
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