Was nützt es, kurz vor dem Abgrund bei 200 Sachen zu bremsen, denkt man sich wohl bei Warner. Da kann man auch gleich das Gaspedal durchdrücken und hoffen, dass man irgendwie die andere Seite der Klippe erreicht. Nach vielen gescheiterten Versuchen, ein plausibles Filmuniversum auf die Beine zu stellen, geht das Studio über „Aquaman“ nun den Weg des Himmelsfahrtkommandos mit Stinkefinger. Während Marvel gerade seinen Peak erreicht hat und trotz der obszönen Menge an Charakteren immer noch hochprofessionell seine Balance hält, gilt es bei DC, die Scherben des Scheiterns vom Boden zu sammeln und zum Weiterverkauf auf Hochglanz zu polieren. Der Wassermann, einst einer der am meisten belächelten Superhelden überhaupt, erscheint immer noch wie eine Verlegenheitswahl (aus der Sparte: Ene Mene Muh mit der Justice League). Trotz gestiegenem Coolnessfaktor durch den hawaiianischen Hauptdarsteller Jason Momoa... einen Meermann mit grün-goldener Rüstung solieren zu lassen, musste ein Spiel mit dem Feuer sein.
Und doch ist es gerade das neue Umgebungselement des Wassers, das den großen, vielleicht den einzigen Unterschied macht. Was haben wir in den letzten Jahren Großstädte zu Bruch gehen sehen... wir können sie nicht mehr zählen, die Wolkenkratzer, die in einer posttraumatischen Selbsttherapie Hollywoods seit 2001 in die Luft gejagt wurden. Liegt es da nicht mehr als nahe, einfach den Kopf unter Wasser zu tauchen, damit man von all dem Krawall in den US-Metropolen einfach nichts mehr mitbekommt? „Aquaman“ bietet so gesehen, obgleich er selbst auf seine Art Krachmacher und CGI-Konfettibombe erster Güte ist, mit seiner frischen neuen Welt einen Ausweg, der zwar nichts an der grundsätzlichen Rezeptur ändert, aber immerhin endlich mal die Art der Zubereitung alterniert. Es bleibt bei der Kartoffel, aber nach zehn Jahren Ofen-Pommes darf's dann gerne auch mal wieder etwas Frittiertes sein. Und die Unterwasserwelt funktioniert als Alternative zu New York & Co. so gut, dass sie einen Vorgeschmack auf eine potenzielle Revolution des Optischen vorwegnimmt, die der zweite „Avatar“ demnächst hätte für sich beanspruchen können - feierte der erste doch seinen Erfolg auf ähnlichen Grundsteinen.
Natürlich funktioniert das nicht einfach so, indem man sagt: So, wir machen jetzt einen auf Arielle mit Comic-Action. Was geschieht, wenn man planlos mit dem Kochen beginnt und das widerspenstige H2O nicht zu zähmen weiß, haben die Blubberblasen-Abschnitte aus „Justice League“ gezeigt. James Wan erweist sich einmal mehr als hervorragender Komponist und Weltenbauer. Er umarmt den Trash, der den überdimensionalen Seepferden, Laser-Haien und rot gefärbten Dolph Lundgrens anhaftet und setzt ihn ohne Furcht vor dem Nasswerden für ein reueloses Spektakel ein, das einem in Graustufen denkenden Neo-Comicfilm-Initiatoren wie Christopher Nolan die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste. Es ist ein Film, der seine Versprechen von nie gesehenen Orten jenseits des Meeresspiegels tatsächlich einhält, und das, obwohl so viele Comicverfilmungen zuvor sich bei dieser Frage als Lügner herausgestellt haben. Die Seifenoper, die sich hier zwischen Korallenriffen und gesunkenen Galeeren abspielt, ist schlicht und einfach zu trashig, als dass irgendjemand vor dem Jahr 2018 sie in dieser Form durchgewunken hätte. In nahtlosen Übergängen, die vogelfrei vom Meer auf italienische Dächer mit freiem Fall in die Wüste führen und im Mittelteil sogar einen Hauch von Indiana-Jones-Point-and-Click-Adventure verströmen, verknüpft Wan ein Aquarell mit dem nächsten, immer bereit, ein noch größeres Meeresungeheuer aus den Untiefen zu pfeifen und einzurahmen.
Nun wird so ein Aquarell ja nicht mit deckenden Farben gemalt, so dass jederzeit ersichtlich bleibt, dass „Aquaman“ erzählerisch keinen Deut besser funktioniert als der Murks, den Warner bisher in die Wege geleitet hat. Der mit dem Facepalm-Satz „Ich bin Aquaman“ endende Film beteiligt sich mutwillig an der fortschreitenden Verkitschung amerikanischer Comicadaptionen und senkt die Hemmschwelle dafür, dass sich Comic und Film immer weiter einem Grenzbereich nähern, der beiden Medien auf Dauer nicht guttut. Die Humoreinlagen zünden nur selten (Lunte wohl nass geworden), Black Manta ist ein eher schwach eingebauter Gegenspieler und der Bruderzwist zwischen dem Titelhelden und dem angehenden „Ocean Master“ (aalglatt: Patrick Wilson) scheint wie von Marvels Thor und Loki abgepaust. Selbst der vermeintlich ungezähmte Jason Momoa wird von den Comic-Konventionen im Drehbuch immer wieder zu klassischen Heldenposen gezwungen, die ihm eigentlich gar nicht stehen. Das ist aber alles vergessen, wenn man in einem Affenzahn durch die türkisblaue Wunderwelt braust und die eigene verzerrte Unterwasserstimme wabernd „Woooow!“ murmeln hört.
