Godzilla Minus One
Es gibt ihn tatsächlich: Einen "Godzilla"-Film mit wirklich interessanten menschlichen Figuren, auch wenn es bis dahin knappe 70 Jahre gedauert hat. Aber die Geschichte um die Patchwork-Familie um den Kamikaze-Piloten, die Streunerin und ihr Adoptivkind hat echte Emotionen, wenn es um Schuldgefühle, (eventuell unerwiderte) Liebe und Verantwortung geht. Die Nebencharaktere erweitern diese Konstellation, ohne dass "Godzilla Minus One" sie in den Erklärbär-Modus schalten muss. Das trägt vor allem die erste Hälfte, in der Godzilla über weite Strecken Sendepause hat. Taucht der große Grüne dann mal auf, dann findet "Godzilla Minus One" einen hervorragenden Kompromiss aus modernen CGI-Mitteln und Hommage an die Gummianzug-Zeiten - so wie auch die nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelte Geschichte mit Zitaten aus Ishiro Hondas Ur-"Godzilla" aufwartet (Vince nannte ja schon Godzilla mit dem Zug im Maul, was ein beliebtes Plakat- und Cover-Motiv des Erstlings ist).
Vor allem baut Takashi Yamazaki seinen Film sehr stimmig auf, lässt die Set Pieces sich nach und nach steigern. Vielleicht war es von Anfang so geplant, vielleicht war es auch eine Folge der Budgetsituation, aber oft kann gerade aus Limitationen Kreativität entstehen (um Vince' Spielberg-Gedanken aufzugreifen: Man denke an das beschränkt funktionsfähige Hai-Modell am Set von "Der weiße Hai"). In der zweiten Hälfte steht dann der Kampf gegen das neu erstarkte Monstrum im Mittelpunkt, das hier entsprechend des Urgedankens der Reihe als bedrohliche (Natur-)Gewalt, heraufbeschworen durch menschliche Hybris, inszeniert wird. So finden sich dann nur ein paar Haare in der Suppe: Gerade in Hälfte zwei hätte man "Godzilla Minus One" etwas straffen können, dem Finale hätte vielleicht etwas mehr Dynamik und etwas weniger Retro-Behäbigkeit gut getan und zum Schluss kommen dann noch ein, zwei Kitschwendungen, für die man auch jeden US-Blockbuster ausbuhen würde. Letztere dürfen aber ansonsten gern ein paar Lektionen von dem neuen Toho-"Godzilla" lernen, der eben nicht auf das Viel-hilft-viel-Prinzip setzt, sondern schickes Spektakel mit starken Figuren und einer meist sehr funktionierenden Geschichte verbindet. Der wahrscheinlich beste "Godzilla"-Film.
,5
Eine Anmerkung noch zum Review:
Vince hat geschrieben: ↑09.12.2023, 14:32
Bereits hier nehmen wir ganz und gar die Perspektive Kōichis ein, die Yamazaki geschickt verpackt wie einen surrealen Traum; denn am Ende gibt es außer ihm (und dem Zuschauer) keine Überlebenden, die berichten könnten, was in diesem ersten fatalen Zusammentreffen geschehen war. Godzilla bleibt trotz seines frühen Auftritts zunächst reiner Mythos, das Kopfgespinst eines Mannes mit posttraumatischer Belastungsstörung.
Das ist zwar eine hübsche Interpretation, sachlich aber leider falsch: Der eine Mechaniker überlebt ebenfalls und macht Koichi doch direkt Vorwürfe. Im Schlussakt geht es ja auch um das erneute Zusammentreffen der beiden.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]
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