Ich lege mal im Vergleich zu den ganzen 6/10-Wertungen noch einen drauf. IMO im Vergleich zu "Split" der bessere Comeback-Film. Zwar mit weniger McAvoy-Rampensau-Potential, aber dafür gewitzter.
Nach dem Big-Budget-Flop-Hattrick bei Publikum und Kritik, "The Happening", "Die Legende von Aang" und "After Earth", versucht sich Shyamalan wieder an einem kleinen Projekt, geht in mehrerlei Hinsicht zurück zu seinen Wurzeln. Im Gegensatz zu "The Sixth Sense" und "Unbreakable" gibt es keinen Last-Minute-Twist, den man eigentlich weglassen könnte (dann aber mit wesentlich weniger interessanten Ergebnissen dastehen würde), sondern "The Visit" arbeitet auf eine notwendige Auflösung hin. Allerdings kann man - ähnlich wie bei "The Sixth Sense" - im Nachgang oder beim wiederholten Sehen überlegen, wo und wie die Lösung angeteastert wurde. Im Vergleich zum subtilen "The Sixth Sense" sind die Hinweise hier deutlich grobschlächtiger und offensichtlicher, auch wenn Shyamalan in alle Richtungen streut: Märchenmotive verweisen auf mögliche phantastische Lösungen, eine Geschichte über Aliens schließt Sci-Fi-Motive nicht aus und natürlich gibt es die Option der gänzlich rationalen Erklärung - alle drei Ansätze gab es zuvor schon in Shyamalans Schaffen.
Neben dem großen Rätsel hat "The Visit" allerdings noch zwei andere große Pluspunkte. Das eine ist der Meta-Ansatz der Doku - eigentlich ist Found Footage der falsche Begriff für den Film, da das Material eben nicht roh, nicht "gefunden", sondern von seiner intradiegetischen Regisseurin veredelt und geschnitten ist (wobei sie ja während der Handlung an den Film arbeitet, also er doch gefunden sein könnte, aber lassen wir diese Spitzfindigkeiten). Das gibt Raum für Reflexionen aufs eigene Medium - so kann ein bestimmter Musikeinsatz kurz vor Schluss einen wissenden Lacher erzeugen, wenn man während des Films halbwegs aufpasst. Der andere Pluspunkt sind die erfreulich lebensnahen Hauptfiguren. Trennungsschmerz in verschiedenen Beziehunhgskonstellationen ist das Leitmotiv des Films - sei es der Bruch der Mutter mit den Großeltern vor fünfzehn Jahren, sei es der abwesende Vater, der gerade dadurch immer noch eine bestimmende Präsenz im Leben seiner Kinder ist. Die sind erfrischend natürlich gezeichnet und sympathisch, haben Teenager-typisch ihre speziellen Faibles (Rap bzw. Dokumentarfilm) und speziellen Macken (Angst vor Keimen bzw. Ablehnung des eigenen Spiegelbilds). Dadurch berührt "The Visit" auch auf emotionaler Ebene, nicht nur als Horrorfilm.
So liegt es dann am Horrorpart, dass "The Visit" nicht ganz in der Liga von "The Sixth Sense" und "Unbreakable" mitspielt. Ein paar Scare-Sequenzen (vor allem bei der Kamera im Wohnzimmer) sitzen, die Windelszene bietet extremen Ekel ohne groß etwas zu zeigen, aber manchmal wirkt der Film etwas zurückgenommen, bei allem Irrsinn mit durchgeknallter Omit mit der Handbremse inszeniert - man mag von James Wans Geisterbahnen halten was man will, aber bei gleichem PG-13-Rating inszeniert der Mann den effektiveren Budenzauber. Aber Respekt an Deanna Dunagan: Die dreht hier ohne Scham und Rücksicht auf Verluste frei. Insofern eine sehr lohnenswerte Erfahrung, bei der ausgerechnet die Subebenen manchmal besser funktionieren als der Horror-Mainplot. Mit dem noch etwas besseren "Get Out" produzierte Blumhouse zwei Jahre später noch das perfekte Companion Piece über grusellastige Verwandschaftsbesuche der seltsamen Art.

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