Wäre der Zuschauer es gewohnt, von Filmhandlung wenig Notiz zu nehmen und sich ganz auf die „Bildmalerei“ zu konzentrieren, bestünde Filmkunst also darin, ein konstantes Filmset zum Kunstwerk auszuformulieren - Guillermo del Toro hätte mit „Crimson Peak“ eine neue Referenz geschaffen. Was in den ersten Sequenzen trotz der hübschen Ausstattung noch an Jan de Bonts Fehlschlag „Das Geisterschloss“ denken lässt, entwickelt sich alsbald zu einem einzigartigen Idiom der Bildsprache. Die Offenheit des verschwenderisch aufgeteilten Schlosses, das Schnee und Laub Einlass in die pompöse Eingangshalle gewährt, Ton und Schlamm blutende Wände sowie wilde Schmetterlinge wühlen die Kompositionen mit befreiender Wirkung auf. Sie legen nahe, dass sich inmitten der rostroten bis dottergelben Farbgestaltung jede vorstellbare Form bilden kann. Vom Naturalismus sind wir weit entfernt; selbst die Geisterbegegnungen nimmt man nicht mit der meist wirkungsvollen Mischung aus Situationsgebundenheit („das passiert gerade tatsächlich“) und Surrealismus („das kann nicht sein“) wahr, sondern wie durch den Schleier eines Traums.
Grusel erzeugt del Toro mit seinen computergenerierten Schreckgestalten daher nicht, obwohl er einige Sequenzen genau darauf anlegt; Schauspielkino liefert er ebenfalls nicht, sondern eine wenig einfallsreiche Konstellation typischer 50er-Jahre-Leidenschaftstragödien mit einem Hauch von Grusel als Gefühlskatalysator. Der schon in „Pacific Rim“ blasse Charlie Hunnam wird endgültig transparent, Hiddleston und Wasikowska spielen ihre Typen herunter (er den moralisch zwiegespaltenen Gentleman, sie der Indie-Geist mit verschmähten Wurzeln in der Bourgeoisie) und Chastain wandelt sich immerhin einmal mehr zu einem völlig neuen Charakter, was allerdings auch nicht ganz vor der Hunnam’schen Unsichtbarkeit schützt.
Das Verwehren gegen eine eindeutige Gattungszuordnung ermöglicht allerdings gerade die Freiheiten bei der Nutzung des Schauplatzes. Kein Film um ein viktorianisches Schloss verströmt eine vergleichbare Aura wie dieses; die Kamera kombiniert Baufälligkeit mit architektonischer Pracht und erschafft so eine Akzeptanz für das Unvollkommene, sie bevorzugt Großzügiges gegenüber dem Ökonomischen. Und überhaupt stellt sie Mauerwerk vor den Menschen, der daneben agiert. Dem Schauplatz wird spürbar eine größere Bedeutung zugemessen als jenen, die ihn zeitweise bevölkern.
Hat man dies akzeptiert, darf man „Crimson Peak“ mit all seiner visuellen Pracht genießen. Dass diese Pracht längst nicht mehr für das Inhaltliche gilt, ist die weniger anziehende Seite, die zur Erkenntnis führt, dass del Toro mit den Jahren ebensoviel Substanz verloren wie Auge für das Handwerk gewonnen hat.