Ich geh da voll mit:
Es mag wie der Versuch eines aufstrebenden deutschen Filmemachers wirken, die Wald- und Berglandfolklore seines Heimatlandes auf dem internationalen Markt zu verbreiten und als frischen Impuls zu vermarkten. Anstatt des internationalen „Hallo“ wird dazu einfach mit einem herzlich alpinen „Kuckuck!“ gegrüßt. Dabei ist das Motiv des Kuckucks, der seine Eier in fremden Nestern ablegt, längst einer der etablierten Handgriffe des internationalen Suspense-Horrorfilms, ja in gewisser Weise sogar ein weltweiter Evergreen, wenn es um die weithin bekannte Mär des Alien-Fremdkörpers geht, der im Nest des Feindes zu voller Bösartigkeit reift.
Nach seinem hochgradig experimentellen Filmdebüt „Luz“ könnte man Tilman Singer also unterstellen, sich mit seinem nun stärker beachteten Zweitwerk „Cuckoo“ unter der Führung der angesehenen US-Indie-Schmiede Neon bewusst mit typisch deutschem Gefieder zu schmücken, um ins Rampenlicht vorzustoßen als der Deutsche, der deutsche Dinge tut. Eine schmerzhafte Kompression der reichhaltigen multikulturellen Einflüsse steht zu befürchten, die Singer bis dahin in seinen Filmen und Kurzfilmen demonstriert hatte, als er von den Reibungen zwischen deutschen, chilenischen, japanischen, amerikanischen und kolumbianischen Einflüssen erzählte.
Dazu jedoch hätte er jedoch den Kuckuck als toten Gaul tief in die Klischees reiten müssen, wie es in Hochglanzproduktionen der Marke „Orphan – Das Waisenkind“ (2009) gepflegt wird, in denen eine Brotkrumenspur von Jump Scares auf die Effekte, die Pointe, den Mindfuck, das Aha-Erlebnis ausgelegt sind.
Singer tut nichts dergleichen. Gleichwohl Studio, Produktion, Besetzung und Skript auf einen größer gewordenen Rahmen hinweisen, der üblicherweise mit Kompromissen einhergeht, bleibt die Handschrift des Regisseurs exzentrisch, störrisch, eigenwillig, fast bockig, als dulde er es nicht, irgendwelchen Erwartungen zu entsprechen.
„Cuckoo“ lebt deswegen vielmehr von seinen im besten Sinne merkwürdigen Arrangements, seiner vehementen Verweigerung von Kontextualisierung, letztlich von seiner schieren Seltsamkeit als von seinem eigentlichen Leitmotiv. Kotzende Gäste in der Empfangshalle, das Flötenspiel von Dan Stevens, einem Kuckucksschauspieler im besten Sinne (als des Deutschen mächtiger Brite in der Rolle des „Herrn König“), hyperventilierende Bildvibrationen, die im Visuellen die Akustik imitieren, nicht zuletzt das unheimliche Schattenspiel bei einer nächtlichen Verfolgungsjagd zwischen Fahrradfahrerin und joggender Gestalt aus dem Dunkeln.
Eingebettet in das undurchdringliche grüne Dickicht der Alpen, verweist Singer nicht nur auf seinen eigenen Kurzfilm „The Events at Mr. Yamamoto's Alpine Residence“ aus dem Jahr 2014, sondern deckelt auch effektiv die Furcht vor den tiefsten Winkeln des europäischen Festlands, wie sie für ein größeres Publikum vorher bereits in Filmen wie „A Cure for Wellness“ (Gore Verbinski, 2016) geschürt wurde. Es sind letztlich nicht rot leuchtende Augen und verzerrte Münder, sondern es ist die Bildsprache selbst, die den Zuschauer in stete Unsicherheit wiegt. Hunter Schafer irrt wie ein modernes Rotkäppchen durch diese Glaskugel von Filmset, den Kopfverband in der zweiten Filmhälfte tragend wie eine Heldenrüstung im Kampf gegen die Mächte des Bösen. Und Singers Stammkraft Jan Bluthardt ballert sich zwielichtig wie ein bärtiger Nebendarsteller aus einem sleazigen Italokracher oder ein Van Helsing aus einem osteuropäischen Dracula-Plagiat durch die Dunkelheit. Wie kann man das nicht lieben?
Überhaupt bleibt sich der Regisseur dahingehend treu, dass er dem Übernatürlichen einen großzügigen Platz freiräumt, um die Effekte betreffend weitgehend in Andeutungen zu verweilen. Das wurde ihm bereits als Zaudern vor dem endgültigen Bekenntnis zum B-Movie-Irrsinn ausgelegt, hätten sich einige Kritiker doch in der Entladung noch mehr Exzess gewünscht, weil ohnehin eine schrille Komik von der ersten Minute an latent in der Atmosphäre schwebt. Es sind aber vermutlich dieselben Kritiker, denen dann wiederum die endlosen Mutationen eines „The Substance“ zu viel waren.
„Cuckoo“ ist in der Schwebe zwischen Xeno-Horror und Bizarro-Experiment im Grunde ziemlich gut aufgehoben. Im Besten Sinne erinnert er an die obskuren Zwitter der 70er Jahre, die inzwischen als Kult gefeiert werden: „The Night of the Devils“ (Giorgio Ferroni, 1972), „Messiah of Evil“ (Willard Huyck & Gloria Katz, 1973), „Parasiten-Mörder“ (David Cronenberg, 1975), „Blue Sunshine“ (Jeff Lieberman, 1977) oder „Die Brut“ (David Cronenberg, 1979). Allenfalls werden am Ende ein paar Dinge zu sehr ausbuchstabiert; davon abgesehen ist „Cuckoo“ ein Film trotz seiner bekannten Kuckucksei-Prämisse ein Film wie kein Zweiter in unserer Zeitrechnung, und man muss sehr weit zurückgehen, in eine Zeit, in der Filme noch nach völlig anderen Kriterien finanziert wurden, um Vergleichbares zu finden.
