The First Purge
Am erzählerischen Konzept "Prequel" konnte man ja in den letzten Jahren aus gutem Grund massive Zweifel bekommen. Der Blick auf die Vorgeschichte eines Films oder einer Franchise bietet noch wesentlich seltener künstlerischen Mehrwert als die klassische Fortsetzung, oft schlummert in ihm sogar das Potenzial, das bereits Erschaffene in Teilen wieder zu zerstören.
Ob für die kostengünstigen, in der Regel mit hoher Gewinnspanne abgekurbelten Blumhouse-Produktionen andere Regeln gelten, sei mal dahingestellt. Gerade die "Purge"-Reihe eignet sich aber bei hoher Schlagzahl (bereits vier Filme sowie eine TV-Serie) für das Prequel-Format, stellt sich bei einer solchen Grundidee doch im Grunde hauptsächliche die Frage, die ein Prequel besonders gut zu beantworten weiß: Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Dass die politische Realität dazu inzwischen mehr Antworten liefert als die Filme, ist erschreckend genug, doch gerade in der Nähe zu den in Amerika vorherrschenden politischen und sozialen Parametern liegt auch der besondere Reiz der Franchise. So abwegig ist das alles schon nicht mehr, wie der Bauch das Gehirn zu überzeugen versucht. Aus der Selbstverständlichkeit, mit der man diese abstrusen Gedanken zu akzeptieren beginnt, nährt sich dann auch der Horror, den die Filme mit grellem Irrsinn zu betonen pflegen.
"The First Purge" lebt einerseits von den inzwischen etablierten Markenzeichen der Reihe: Neonlichter in der Nacht, Masken und Anarchie. Leuchtende Hi-Tech-Kontaktlinsen werden als neues visuelles Horror-Element eingeführt, sie betonen die Greifbarkeit der Dystopie und geben dem Fan der Reihe mehr von dem, wonach er verlangt. Sein Alleinstellungsmerkmal findet dieses Prequel aber in der Darstellung der gesellschaftlichen Transformation. Der Geltungsbereich ist im Grunde nur unwesentlich offener als das Home-Invasion-Konzept des ersten Teils von 2013. Es ist schließlich nicht das gesamte Land, das an dem Testlauf teilnimmt, sondern das abgesteckte Gebiet von Staten Island. Der Fokus liegt spürbar auf einem Milieu-Ausschnitt, den auch die Macher von "The Wire" hätten vorgeben können: Afroamerikaner, die sich eingeschlossen in ihrem kleinen Mikrokosmos selbst aufzufressen beginnen... bevor eine weiße Sozialwissenschaftlerin kommt und ihre Idee einer Purge-Nacht präsentiert.
Das eigentliche Drehbuch ist im Grunde ein Zufallsgenerator ohne Zeit oder Geduld für eine nachvollziehbare Entwicklung. Wie im klassischen Milieufilm steht eine junger Hauptcharakter im Mittelpunkt, zerrissen zwischen den positiven und negativen Einflüssen seines Umfelds, die sich wie Engel und Teufel auf seinen Schultern verteilen. Umgeben von symbolischen Schauplätzen wie Schulhöfe und Straßenecken, an denen Drogen vertickt werden, oder Kirchen, in denen Schutz gesucht wird. Mittendrin ein überzeichneter Antagonist (Rotimi Paul), der dem armen Jungen wie der Leibhaftige im Nacken sitzt. Die Purge fungiert dann als fiktionaler Katalysator dessen, was sich in den Ghettos ohnehin schleichend ergeben hätte, liefert jedoch nur Chaos anstatt Klarheit. Deswegen ist die erste Hälfte auch die bessere, denn sie bemüht sich um das Aufzeigen sozialer Strukturen, wohingegen die Eskalation nur noch auf Action-Horror ausgerichtet ist.
Zur ausgereiften Gesellschaftsparabel langt das noch nicht. Aber es ist schon auffällig, dass diese Reihe selbst in ihrem vierten Teil noch zum Nachdenken über den Status Quo anregt, und das, obwohl der Rahmen nach der exzessiven Erweiterung in Teil 2 und dem Live-Kommentar zu den Präsidentschaftswahlen in Teil 3 wieder merklich eingeschrumpft wird.