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Jack Ketchum´s „the Lost“

Verfasst: 20.05.2008, 06:44
von StS
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Originaltitel: the Lost
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2005
Regie: Chris Sivertson
Darsteller: Marc Senter, Michael Bowen, Robin Sydney, Shay Astar, Alex Frost, Ed Lauter, Megan Hennig, Richard Riehle, Dee Wallace, Ruby Larocca, Erin Brown, ...

Trailer:
http://server1.sxsw.com/2006/film_trailers/lost.mp4

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Ganze drei Jahre hat es gedauert, bis man „the Lost“, also dem hier vorliegenden, inzwischen zu einem Festival-Liebling avancierten 2005er (Solo-)Regiedebüt von Chris Sivertson, eine reguläre, leider am Kino vorbei führende Veröffentlichung zugestand, so dass jeder geneigte Betrachter nun endlich in den Genuss dieses (u.a.) von Lucky McKee („the Woods“) produzierten Indies kommen kann. Basierend auf dem 2001er Jack Ketchum Roman gleichen Titels, wird die erschütternde Geschichte einer Person namens Ray Pye erzählt, für deren Ausgestaltung sich der Autor von dem wahren Lebens des Mörders Charles Howard Schmid Jr. inspirieren ließ, welcher aufgrund seiner anziehenden Wirkung auf das weibliche Geschlecht „the Pied Piper of Tuscon“ genannt wurde und in den 60ern drei junge Frauen tötete sowie deren Körper in der Wüste verscharrte. Eigentlich zum Tode verurteilt, wurde die Strafe nachträglich in lebenslange Haft umgewandelt, als der Staat Arizona seine Exekutionen endgültig einstellte. 1975 wurde Schmid schließlich von einem Mitgefangenen hinter Gittern erstochen. Neben Ketchum, der (wie schon bei „the Girl next Door”) nur die Basis der Story übernahm und das Drumherum in einigen Bereichen auffällig anders gestaltete (in diesem Fall in erster Linie eine Ansiedlung der Ereignisse im Jahre 1969 sowie ein höherer Bodycount), verfasste übrigens auch der Schriftsteller John Gilmore 1996 mit „Cold-Blooded“ ein ziemlich interessantes, aber eher Fakten-orientiertes Werk zu diesem Thema.

Der Film eröffnet vortrefflich – nämlich in Gestalt einer Texttafel, welche dem Zuschauer im Zuge eines einzigen Satzes den Charakter des Hauptprotagonisten punktgenau veranschaulicht: „Once upon a Time, a Boy named Ray Pye put crushed Beer-Cans in his Boots to make himself look taller.“ Unterlegt von dem jetzt richtig einsetzenden, bislang leise im Hintergrund zu hörenden (großartigen) Del Shannon Klassiker „I´m the Pied Piper“, heftet sich die auf die Stiefel eben jenes jungen Mannes (Marc Senter) fixierte Kamera nun eng an seine Versen, während er in einem Waldgebiet beschwingt eine leichte Anhöhe hinauf auf ein kleines Toilettenhäuschen zuschreitet. Kurz bevor er dieses erreicht, öffnet sich allerdings die Tür – und er sieht sich auf einmal der splitternackten Lisa (Misty Mundae...ähm, ich meine natürlich Erin Brown) gegenüber, welche ihm überrascht (aber unheimlich süß) erklärt, dass sie eigentlich davon ausgegangen war, mehr oder minder allein in der Gegend zu sein. Ein unerwarteter wie gelungener Auftakt, der automatisch Aufmerksamkeit erweckt und sichert. Infolge dessen begegnet sie einem lässigen Spruch seinerseits sehr charmant und gesellt sich flugs wieder in die Gesellschaft ihrer Bekannten Elise (Ruby Larocca), mit der sie an einem nahe gelegenen See zeltet. Ray wiederum berichtet seiner Freundin Jennifer (Shay Astar) sowie seinem besten Kumpel Timm (Alex Frost), mit denen er unweit jenes Ortes zuvor die Zeit totschlug, von seiner „Entdeckung“ und überredet sie kurz darauf, die zwei Mädels noch etwas aus dem Verborgenen heraus zu beobachten. Als sie dabei dann Zeuge werden, wie jene sich innig umarmen, gelangt der offenkundig extrem impulsive wie gestörte Ray sofort zu der Überzeugung, dass es sich bei ihnen um „abstoßende Lesben“ handeln muss – und er sie deshalb getrost töten dürfe. Unmittelbar danach verstirbt Lisa, getroffen von einem gezielten Schuss – die schwer verletzte Elise hingegen kann sich gerade noch so zur nächsten Straße schleppen, wo sie zwar relativ schnell gefunden wird, wenig später jedoch in ein tiefes Koma fällt…

Nach diesem äußerst direkten Einstieg, welcher Ray´s dominantes, gefährliches und die Leute um sich herum manipulierendes Wesen auf drastische Weise darlegt, vollzieht sich ein vierjähriger Zeitsprung hin zu jenem Tag, an dem die bis dato durch Maschinen künstlich am Leben gehaltene Elise schließlich entschläft. Die örtlichen Polizeiangehörigen, allen voran Detective Charlie Schilling (Michael Bowen) und sein inzwischen pensionierter Partner Ed Anderson (Ed Lauter), sind sich Pye´s Schuld im Prinzip ohne jegliche Zweifel bewusst – bloß können sie ihn angesichts fehlender Beweise schlichtweg nicht überführen, zumal ihm die ihrerseits eingeschüchterten Tim und Jen für die fragliche Zeit damals ein bislang unumstößliches Alibi lieferten. Ray selbst hält sich demgemäß für aus dem Schneider: Tagsüber arbeitet er für seine dominante Mutter (Helen Siff) in deren Hotel, nachts feiert er Partys, vertickt Drogen und ist hinter so ziemlich jedem BH-tragenden, in der langweiligen kleinen Stadt ansässigen Geschöpf her. Aktuell steht die neu hinzugezogene Katherine (Robin Sydney) im Zentrum seiner entsprechenden Absichten: Es ist ihre vordergründige, freigeistige, selbstsichere Art, die ihn reizt – und sie scheint ebenso Gefallen an seinem von der Norm abweichenden Auftreten zu finden. Neben dieser überwiegend körperlichen Affäre versucht er (simultan) auch seine Beziehung zu Jennifer zu halten, welche aber hinter seinem Rücken etwas mit Tim angefangen hat. Ferner wäre da noch die junge Sally (Megan Hennig) zu erwähnen, ihres Zeichens die heimliche Geliebte des mehr als dreifach so alten Eds, welche kürzlich bei Ray auf der Arbeit eine Zimmermädchen-Stelle angenommen hat und er ebenfalls ganz gern mal ins Bett bekommen möchte. Eine angespannte Lage also, die sich immer weiter zuspitzt – erst recht nachdem er Kat gegenüber, auf die Frage „What´s the worst Thing you´ve ever done?“ antwortend, die Morde zugibt. Zuerst ist sie fasziniert von dieser Beichte, doch spätestens nach einem persönlichen Schicksalsschlag hat die Verbindung zu Ray quasi ihr Verfallsdatum überschritten, worauf sie, die selbst (innerlich) an den Erinnerungen an ein düsteres Ereignis in ihrer Vergangenheit leidet, den Kontakt zu ihm abbricht. Das, in Kombination mit seiner instabilen Psyche, dem verstärkten Drogenkonsum sowie Erfahren der Wahrheit über Jen und Tim, löst etwas in ihm aus, das letztlich in einem brutalen Strudel der Gewalt mündet…

„the Lost“ ist ein ergreifender Psycho-Schocker der alten Schule: Eine in der Realität verwurzelte cineastische Tour de Force (mehr Drama als im klassischen Sinne Horror), welche mit ihren rohen, intensiven und ungeschönt präsentierten Bildern und Emotionen unweigerlich 70er Jahre Werke wie „the last House on the Left“ ins Gedächtnis zurückruft – fernab moderner „Torture Porn“- Auswüchse, bei denen die gebotene Gewalt ganz bewusst ausschweifend auf die Spitze getrieben wird und einem reinen Unterhaltungszweck dient. Es ist geradezu unmöglich, dass einen das Gesehene kalt lässt – unter anderem weil die Figuren „echt“ anmuten, man eine Verbindung zu ihnen aufzubauen vermag und ihre Leiden dadurch nachempfinden kann. Viele werden diesen Film hier gewiss als zu ruhig, ausgedehnt, unspektakulär oder Story-lastig empfinden, nicht nur da die Lauflänge fast zwei Stunden beträgt und die einzigen blutigen Momente am Anfang und am Ende vorkommen, während die Zeit dazwischen im Grunde ausschließlich den Protagonisten gewidmet ist. Jack Ketchum, der bei diesem Projekt übrigens als Executive Producer fungierte und sich ebenfalls einen Kurzauftritt (als Barkeeper) genehmigte, schuf in Form seines Romans eine düstere Charakterstudie, welche die Natur des menschlichen Bösen beleuchtet, inklusive der damit in Zusammenhang stehenden Ausprägungen und Auswirkungen auf das Umfeld dieser Person. Ketchum´s „Ungeheuer“ besitzen (meist) keine übernatürliche Komponente: Sie sind „alltägliche Leute“, nur dass in ihnen, in ihrem Geiste, irgendetwas nicht stimmt bzw richtig tickt – dass er seine Inspirationen oftmals aus wahren Begebenheiten bezieht, verleiht dem Gebotenen gar noch eine weitere Schreckenskomponente. Chris Sivertson´s kantiges Drehbuch trifft den Ton der Vorlage hervorragend – es ist leicht nachzuvollziehen, dass sich Jack mehrfach (z.B. im Rahmen des DVD-Audiokommentars) sehr zufrieden mit der Beschaffenheit dieser Adaption geäußert hat.

Ray Pye wird, genauso wie es Charles Schmid damals war, als ein unter Minderwertigkeitskomplexen leidender Narziss dargestellt, der seine ihn verunsichernden „körperliche Unzulänglichkeiten“ stets hinter einer nach außen hin geschaffenen Fassade zu verbergen versucht. Neben den erwähnten Bierdosen in den Stiefeln, um sich größer als in Wirklichkeit zu geben, trägt er Make-up (wie Mascara oder einen auf die Wange gemalten Schönheitsfleck) und pflegt er seine Haare hingebungsvoll. In einer Szene wird er genau darauf angesprochen, worauf er meint, das sei so, weil er in einer Band spiele – nur sieht man ihn nie beim Proben oder Auftreten. Man kann ihn sich im Prinzip wie eine „Emo“-Version von Joaquin Phoenix´s Johnny Cash in „Walk the Line“ vorstellen. Viele der Mädels in der Kleinstadt sehen ihn tatsächlich als eine Art „Rock Star“ an, auch weil er gern Partys mit Alkohol und Drogen schmeißt – das, im Einklang mit der klassischen „Bad Boy“-Ausstrahlung, lässt ihn so „zum Zuge“ kommen. In solchen Situationen offenbaren sich jedoch Risse in der Fassade, legen den Blick auf das darunter frei und fördern im nächsten Schritt Wut zutage. Einmal fordert er Jen dazu auf, ihn oral zu befriedigen, doch bleibt seine Erektion aus – bei Kat kommt er schon nach wenigen Sekunden zum Erguss: In beiden Fällen sagt er im Anschluss, dass ihm das ja „eigentlich nie passiert“. Zudem wird er bei einer Begegnung mit einem „erfahrenen Kriminellen“ schnell von diesem als Poser entlarvt. Um seine Schwächen zu kaschieren, manipuliert er die Leute um sich herum – versucht, sie zu dominieren bzw klein zu halten. Katherine´s selbstsicheres sowie sexuell beinahe aggressives Gebaren fasziniert ihn, weshalb er sich ihr anzuvertrauen wagt und eine eher untergeordnete Position einnimmt – ihre finale Abweisung, verbunden mit dem Gefühl des Kontrollverlusts, ist dann der sprichwörtliche Tropfen zuviel, der das Fass zum Überlaufen bringt. Zusätzlich lastet ja auch noch Schilling´s erneut intensivierter Druck auf ihm – und so mündet dieser Pfad in einer drastischen Gewaltorgie, bei der sich all sein aufgestauter Hass schlagartig entlädt…

Marc Senter („Kush”/„Cabin Fever 2”) verkörpert Ray perfekt – seine gleichermaßen creepy wie vielschichtige Performance bleibt einem noch lange über den Abspann hinaus im Gedächtnis. Er beherrscht die schwierige Rolle umfassend: Man erkennt Ray als ein vollwertiges menschliches Wesen an, nicht bloß als einen zweidimensionalen Psychopathen, kann selbst nachvollziehen, warum manche es gewiss ganz cool finden, mit ihm Zeit zu verbringen – und sorgt sich angesichts seiner labilen Charakterbeschaffenheit automatisch um die sich in seiner Nähe aufhaltenden Personen. Senter trägt das Werk bravourös, treibt den Verlauf voran, haucht jede der verschiedenen Facetten Rays (von Charme und Verunsicherung bis hin zu Verbitterung und Irrsinn) eindrucksvoll Leben ein. Exzellent – ebenso wie die wunderbar natürlich agierende Shay Astar („the Bliss“/„Hookers Inc.“) als seine physisch und psychisch missbrauchte Freundin Jennifer, welche ihrem verletzlichen Part eine herzzerreißende emotionale Tiefe verleiht. Ihren Gesichtsausdruck im Finale vergisst man nicht so schnell, das sei hiermit versprochen. Die anderen Figuren sind (von ihrer Konzeption her) weniger reichhaltig ausgefallen, erfüllen ihre jeweiligen Aufgaben allerdings ohne Aussetzer oder Beanstandungen: Robin Sydney („the Gingerdead Man“/„Wicked Lake”) ist einem zwar nie ausnehmend sympathisch, aber man vermag Ray´s Obsession nachzuvollziehen, denn ihre zur Schau gestellte Kombination aus partieller Unnahbarkeit und geballter verführerischer Sexualität kann den männlichen Verstand durchaus vernebeln und/oder in den roten Bereich drängen. Alex Frost („Elephant“) tritt passabel als weitestgehend rückradloser Tim auf – er teilt zudem eine spürbare Chemie mit Astar. Megan Henning („Yesterday was a Lie”) ist auf eine ungekünstelte Weise süß, ebenso wie die leider nur kurz zu sehenden Erin Brown („Masters of Horror: Sick Girl“) und Ruby Larocca („Spiderbabe“). Durch die Bank weg sind die Frauen Opfer Rays – und (u.a.) dank der inspirierten Casting-Entscheidungen fühlt man als Zuschauer im nötigen Maße mit ihnen. Abgerundet wird die Besetzung von guten Leistungen einiger gestandener Filmveteranen: Ed Lauter („Cujo“) und Richard Riehle („Hatchet“) treten in Nebenrollen auf, Michael Bowen („Kill Bill“) spielt den entschlossenen Cop Schilling genau richtig – und Dee Wallace´s („Critters“) starkes Cameo als Elise´s Mutter, welcher man die gravierenden Belastungen der Umstände deutlich anmerkt, nährt die unbändige Wut auf den noch immer frei im Ort herumlaufenden Mörder ihrer Tochter…

„the Lost“ markierte, nach dem in Zusammenarbeit mit Lucky McKee realisierten, unglücklicherweise bislang weiterhin unveröffentlichten Slasher „All Cheerleeders die“ (2001) sowie einem „Making Of“ für Tobe Hooper´s 2003er „Toolbox Murders“-Remake, 2005 Chris Sivertson´s Solo-Regiedebüt – gefolgt von dem allgemein schwer unterschätzten Lindsay Lohen Thriller „I know who killed me“ zwei Jahre später, in welchem etliche der hier zu sehenden Darsteller übrigens ebenfalls mit von der Partie sind bzw waren. Handwerklich sieht man dem vorliegenden Endergebnis das relativ geringe, unter einer Million Dollar bezifferte Budget kaum an – schon gar nicht in einer negativen Weise: Der zumeist eher nüchtern daherkommende visuelle Stil, welcher in Schlüsselsequenzen allerdings (zur Veranschaulichung spezieller Gemütszustände) zusätzlich um findige Schnittfolgen, diverse Kamera- und Sound-Effekte (z.B. gezielte Zooms oder ein permanentes Insekten-Summen in Ray´s Nähe), variierende Abspielgeschwindigkeiten sowie etliche das Bildmaterial verfremdende Grain-, Schmutz- und Kratzer-Elemente ergänzt wurde, überzeugt auf ganzer Linie, ohne je aufgesetzt oder erzwungen zu wirken. Dazu runden die passend ausgewählten Songs, Tim Rutili´s („30 Days of Night“) atmosphärischer Score und Zoran Popovic´s („Sin“) ungemütlich direkte, beinahe voyeuristische Kameraarbeit die düstere Angelegenheit äußerst adäquat ab. Ähnlich wie in Sivertson´s Nachfolger, nur etwas zurückhaltender ausgeprägt, schmeicheln harmonische Farbkompositionen dem Auge, wie Kat´s Vorliebe für rote Töne, Ray´s für dunkle – und als er ihr gegenüber sein Verbrechen gesteht (sprich: seine schwarze Seele offenbart), tut er dies in einem auffällig hell gestalteten Ambiente. Ähnlich interessante Gegensätze lassen sich an verschiedenen anderen Stellen ausmachen – wie im Zuge einer Masturbationsszene, bei welcher ein Schlüsselmoment des gerade im Fernsehen laufenden „Night of the Living Dead“ eingeblendet wird (was weit weniger platt ist, als man denken mag). Die Beziehung zwischen Ray und Katherine weist teils gar wahrhaft tragische Züge auf – und das nicht nur, weil beide dunkle Geheimnisse in sich tragen, die ihr Verhalten beeinflussen. Als sie das erste Mal miteinander schlafen, entschuldigt er sich im Anschluss: „I´m sorry. That was a litte fast.“ – „I´ve had faster“, erwidert sie bloß in einer schwer einzuschätzenden Tonlage…

Angesiedelt in einem fast zeitlos anmutenden Setting, wird das Tempo nach dem erschütternden Einstieg erst einmal merklich zugunsten der Darlegung aller Storyinhalte zurückgefahren. Je mehr man erfährt, je länger man diese Individuen beim Interagieren mit dieser tickenden menschlichen Zeitbombe beobachtet – desto eindringlicher prägt sich die permanent aufbauende Spannung aus, denn unabwendbar beginnt man sich große (berechtigte) Sorgen (um sie) zu machen. Bedächtig rückt das Unausweichliche näher, ohne dass man es verhindern kann – bis schließlich das Finale anbricht und die Wucht des Einstiegs noch bei weitem übertrifft. Ist die Schwelle erst einmal überschritten, ohne einer Möglichkeit der Wiederkehr, eskalieren die Dinge schlagartig – der Vorgang einer gezielten Vergeltung setzt ein, welcher all jene Frauen einbezieht, die Ray je irgendwie haben auflaufen lassen: Ausnahmslos keine der Damen ist sicher. Was uns Sivertson nun serviert, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken, ist eine verstörende, ungeschönt-realistische Form der Gewalt, welche ohne jegliche Auflockerungen auskommt und darüber hinaus erfreulicherweise nie einem plakativen Selbstzweck dient. Bereits lange im Voraus sieht man diesen exzessiven Ausbruch kommen – wie ein sich näherndes, nicht abwendbares Unwetter. Inszenatorisch wurden dabei viele Einstellungen so arrangiert, dass sich ihre volle Wirkung auf den Betrachter primär auf psychologischer Ebene entlädt, sich das von den Schreien und entsetzten Gesichtsausdrücken genährte Bild also erst im Kopf in seiner grausamen Ganzheit zusammensetzt. Obwohl die Tat nicht direkt aufgezeigt wird (was auch richtig so ist), malt einem die eigene Vorstellungskraft unweigerlich aus, was genau Ray da etwa einer schwangeren Frau antut, nachdem er zuvor von Sharon Tate´s Ermordung durch Charles Manson sprach. Jede verstreichende Sekunde steigert die Intensität schier unaufhörlich – bis plötzlich und unerwartet der Abspann einsetzt. Hilflos und benommen wird man zurückgelassen, zudem mit einer nur schwer aus dem Gedächtnis zu verbannenden Impression vorm inneren Auge sowie einer gegen echte mordende Mitbürger wie Charles Schmid gerichteten Wut im Bauch. Nicht nur demnach haben wir es hier mit einem zutiefst ungemütlichen Indie zutun, der bei jedem Zuschauer zwangsweise irgendeine Reaktionsausprägung hervorruft – in welcher Hinsicht und Wirkungsstärke genau, variiert dabei (natürlich) je nach Gemüts- bzw Charakter- beschaffenheit. Dass der Film insgesamt leicht hinter „the Girl next Door“ zurückbleibt (welcher später entstand, jedoch früher auf DVD veröffentlicht wurde), liegt vor allem an mehreren Sub-Plots, die von der Aufmerksamkeit her etwas kurz kommen (wie Ray´s Drogengeschäfte, Tim´s Beteiligung an diesen oder die Beziehung zwischen Ed und Sally) – nur hätte man die Lauflänge sonst deutlich über die 2-Stunden-Marke hinaus verlängern müssen, um sie optimal anzugehen (was mich persönlich aber nicht gestört hätte). Besonders froh bin ich darüber, dass man diese beiden genannten Jack Ketchum Adaptionen von Anfang an mit dem nötigen Talent und Fingerspitzengefühl angegangen ist – und die nächste, nämlich „Red“ (2008), scheint da erfreulicherweise nicht anders zu sein...

Zu guter Letzt möchte ich jetzt noch eine Aussage anführen, welche Sivertson in den Schluss-Credits platziert hat - und der ich mich voll und ganz anschließen kann:

„If you liked the Movie, read the Book. If you didn´t like the Movie, read the Book.“


ganz starke :liquid8:

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