"Horns" wieder immer wieder gern als Teil von Daniel Radcliffes Ich-bin-nicht-Harry-Potter-Projekt gesehen, was verständlich ist: Der talentierte Star hat erkannt, was Typecasting mit einer Person und einer Karriere machen kann. Aber "Horns" ist noch mehr als das, darunter ein weiterer Beweis, dass Alexandre Aja eine Vielfältigkeit innerhalb des Horrorgenres bzw. phantastischen Films besitzt. Die Splatterfans, die ihn vor allem für "High Tension", "The Hills Have Eyes" und "Piranha 3D" lieben, kommen nur im Showdown auf ihre Kosten, sonst ist "Horns" ein Mix aus Horrorthriller, Fantasy-Märchen und schwarzer Komödie.
Vor allem in letzterer Hinsicht punktet Ajas Film: Protagonist Ig Parrish ist nach dem Verlust seiner Geliebten vollkommen entfesselt und ungehemmt, weshalb er mit den Fähigkeiten, welche die Hörner ihm bieten, genussvoll die Stadt abreißen lässt, all jene bigotten und verlogenen Heucher enttarnt oder sie ihrer Strafe zukommen lässt. Manches davon ist pures Klischee und bisweilen etwas plump, vor allem die sensationsgeilen Reporter oder die ruhmsüchtige Kellnerin, aber Aja und Vorlagenautor Joe Hill malen da bewusst mit der groben Genrekelle, die alle Nebenfiguren bewusst in irgendwelche Sparten steckt und mit Stereotypen nicht spart, auch wenn diese manchmal etwas ausgeluscht ist.
Umso schöner ist dann die Sorgfalt und die Zärtlichkeit, die dem Protagonisten und seiner Clique zuteil wird, gerade auch bei den Rückblenden in die Vergangenheit, die einen Vibe von "Es" und "Stand By Me" haben - da hat sich Joe Hill etwas von seinem Daddy Stephen King abgeschaut. Da gibt es ein vielschichtiges Bild einer Kleinstadtkindheit, von den Hoffnungen und Träumen, aber auch von Enttäuschungen. Gleich mehrere, meist unglückliche Liebesgeschichten werden erzählt, die Motivation der Figuren, auch der negativen ist irgendwie verständlich. Dabei schreckt "Horns" auch nicht vor dramatischen Enthüllungen wie jener Szene zurück, in welcher Ig von seiner Familie erfahren muss, was diese wirklich von ihm denkt.
Als roter Faden dient dann ein Whodunit-Krimi, wenn Ig den Mörder seiner Holden finden möchte und der Kleinstadtkosmos mit seinen mehr oder minder verderbten Einwohnern genug mögliche Verdächtige präsentiert. Freilich hat man (zumindest als erfahrener Filmgucker) den wahren Täter schnell ausfinding gemacht, weshalb das Script zu einem billigen Taschenspielertrick greifen muss, um den Zuschauer (und auch Ig) wieder auf eine andere Fährte zu locken. Der Showdown wirkt dann etwas nach Schema F, überzeugt aber gleichzeitig mit seiner Konsequenz: Wer gewisse Schwellen überschreitet, der kann irgendwann nicht mehr zu normaler Menschlichkeit zurückkehren.
Insofern kann man "Horns" sicher uneben finden, doch gerade diese Verquicklung unterschiedlicher Genres, Stile und Stimmungslagen, die Aja und Drehbuchautor Keith Bunin meist ziemlich geschickt jonglieren, macht den Reiz dieses ungewöhnlichen Fantasy-Horror-Comedy-Dramas aus, welches sich zudem sehr gut in den Protagonisten und sein näheres Umfeld einfühlt, die Nebenfiguren dagegen mit groben, an eine Karikatur erinnernden Pinselstrichen zeichnet.