Mit seinem Zweitwerk „Wir“ bohrt Jordan Peele keinen komplett neuen Kaninchenbau an, sondern wühlt weiter in dem Loch, das er mit „Get Out“ ausgehoben hatte. Als Autor ist er noch mit denselben Gedanken beschäftigt wie vor zwei Jahren, das merkt man alleine schon an den „Face Glitches“, von denen seine Regiearbeiten durchzogen sind: Tränen, die aus strahlenden Augen laufen, grinsende Muskelkontraktionen im Gesichtsbereich, die Horror und Entsetzen im Inneren verbergen wie eine Maske aus Fleisch. Die Faszination für soziale Rollenspiele überdauert eben die Länge eines einzelnen Spielfilms, und tatsächlich hatte man auch aus der Perspektive des Zuschauers das Gefühl, der Kuchen sei mit „Get Out“ gerade erst angeschnitten worden und noch längst nicht gegessen.
Insofern fühlt sich „Wir“ trotz thematischer Überschneidungen auch nicht wie ein träges „more of the same“ an, sondern wie der Beginn einer fruchtbaren Erkundung neuen Landes, das derzeit kaum ein anderer Horror-Autor erforscht. Der stimmungsvolle Prolog, interessanterweise in Sachen Setting und Aufbau ein vorauseilender Schatten des kurz im Anschluss erschienenen „ES: Kapitel 2“, führt uns dank der brillanten Fotografie an der Hand und lässt uns die nächtlichen Impressionen eines Jahrmarkts am Strand genießen; wir müssen nichts weiter tun als der Führung zu vertrauen und uns mit einem Prickeln auf der Haut auf die mysteriöse Prämisse einlassen, die auf Rationales weitestgehend verzichtet und lieber das Unerklärliche walten lässt.
Handwerklich bleibt „Wir“ durchgehend auf dem hohen Niveau der Eröffnung. Es ist wieder ein Film, in dem sich das Grauen auf leisen Sohlen anschleicht, weil es sich aus der Normalität schält und seine Abnormalität erst schrittweise in der laufenden Transformation erhält. In den Gesichtern der stark geforderten Schauspieler reflektiert sich der Wahnsinn, wenn man nur lange genug in ihre Augen blickt; in ihrer Präsenz steckt die Bedrohung, wenn man ihre Silhouetten nur lange genug anstarrt. „Wer seid ihr“, „Was wollt ihr“, „Warum tut ihr das“ - oft gestellte Fragen von Opfern in dem vergeblichen Versuch, hinter den mentalen Vorhang ihrer Psychopathen zu blicken. Diesmal neu interpretiert aus einer äußerst rätselhaften Perspektive.
Die extreme Beklemmung seines ersten Films kann Peele jedoch nicht wieder beschwören. Das mag auch an dem eigenwilligen Konzept liegen, den Mystery-Unterbau mit Slasher-Mechanismen zu überlagern. Das Haken schlagende, spinnengleich ins Gebüsch huschende Maskenkind knüpft noch an den irritierenden Moment aus „Get Out“ an, als der Gärtner wie von der Tarantel gestochen zu spurten beginnt. Doch bereits hier greifen die nur allzu vertrauten Regeln des Invasionskinos, eine Schublade, die von Peele im Stil eines Möbelpiraten mit Messer zwischen den Zähnen gekapert wird. Spätestens beim Wasserkampf der Familienväter, einer Sprüche klopfend, der andere guttural grunzend, werden die Memoiren an Camp Crystal Lake aufgefrischt. Ein enttäuschend stumpfsinniges Werkzeug, um der angedachten Vision von „Social Horror“ seine Form zu geben.
Doch man ist lange gewillt, sich darauf einzulassen und wird mit durchaus interessanten Gedanken belohnt. Peele verfolgt auf der audiovisuellen Ebene ein verzerrtes Dualitätskonzept, das sich inhaltlich auf interessante gesellschaftliche Fragestellungen umdeuten lässt, insbesondere aus der afroamerikanischen Perspektive, aus der er inszeniert. Es geht um Gleichstellungsfragen, Klassenkämpfe, Milieuwechsel, sozialen Neid und Sich-selbst-im-Weg-stehen. Das ist eine Diskursgrundlage, die Ertrag verspricht und in Teilen liefert.
Es ist nicht einmal so, dass der Kardinalfehler aller Mystery-Filme begangen würde, am Ende eine Erklärung für jedes unerklärliche Detail zu liefern. Vieles bleibt im Dunkeln. Und dennoch lässt sich Peele dazu hinreißen, einige Methoden konservativen Genre-Handwerks zu übernehmen: Die große Enthüllungsrede etwa oder der finale Twist.
Es ist ein wenig so wie bei jenen Filmen, mit denen M. Night Shyamalan einst beim Publikum in Ungnade gefallen ist. „Wir“ hat einen Masterplan und ist zudem exquisit gefilmt, macht aber nicht immer die glücklichste Figur, wenn er sich beim grobschlächtigen Genre-Handwerk bedient. Dahingehend ist ein Ari Aster oder Robert Eggers bereits eine Stufe weiter. Peeles Vision hat aber genug Tragkraft, dass man sie gerne noch über einen dritten oder vierten Film hinaus erkunden würde.
Sehr solide