Filmtagebuch: Vince

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Beitrag von StS » 29.08.2014, 09:34

Vince hat geschrieben:The Philosophers
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Den hatte ich ja schon im Kino gesehen - und fand ihn ein kleines Stückchen besser. Ja, der "Twist" am Ende hätte nicht sein müssen - aber irgendwie empfand ich den "Humor" im Schlussdrittel zudem noch als etwas störender (die eine Phantasie mit der "Damen-Insel" etwa). Dennoch hab ich mich passbel unterhalten gefühlt - war mal was anderes (und Sophie ist eh toll). :wink:

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Beitrag von Vince » 29.08.2014, 09:37

Ja, das war vom Ton her ein leichter Ausbrecher, aber irgendwie fand ich die Dameninselfantasie sogar angenehm auflockernd in dem Moment. Sonst ist mir da jetzt gar nicht mal sooo viel Humor aufgefallen.

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Beitrag von StS » 29.08.2014, 09:56

Vince hat geschrieben:Ja, das war vom Ton her ein leichter Ausbrecher, aber irgendwie fand ich die Dameninselfantasie sogar angenehm auflockernd in dem Moment. Sonst ist mir da jetzt gar nicht mal sooo viel Humor aufgefallen.
Naja, eher dieser "verspielte Ton", der zwar immer mal wieder durchblitzte - sich gegen Ende aber irgendwie gehäuft hat, imo (Bombe, die im Sand steckt z.B.). Hab aber eh vor, mir den demnächst mal wieder anzusehen - vielleicht empfinde ich das daheim dann etwas anders... :wink:

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Beitrag von Vince » 07.09.2014, 14:32

Mud
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Michael Shannon lieferte in “Take Shelter” einen der ganz großen Auftritte seiner Karriere. Es hat die Wirkung einer Reprise, wenn Jeff Nichols ihn für sein Folgeprojekt in einem kleinen Cameo besetzt. Damit verknüpft er seine beiden Werke gewissermaßen und verspricht eine Wiederholung der nicht auf Anhieb ersichtlichen, sondern eher im Inneren aufwühlenden, nachdenklich machenden Qualitäten.
Diesmal ist der ohnehin seit 2011 im künstlerischen Aufwind befindliche Matthew McConaughey an der Reihe. Er dankt es seinem Regisseur mit einem einmal mehr denkwürdigen Figurenentwurf und einer unfassbaren Leinwandpräsenz, die wie ein Epizentrum auf die Filmhandlung einwirkt: Nichts, kein noch so unbedeutend wirkendes Ereignis in der Südstaaten-Kleinstadt kommt umhin, von der Gegenwart des mysteriösen Vagabunden Mud auf der abgelegenen Insel Notiz zu nehmen. Alles, wovon Nichols erzählt, hat mittelbar oder unmittelbar mit der zentralen Figur zu tun, die jedoch wie ein kauziger Nebendarsteller im Grün hockt und sich vor der Öffentlichkeit versteckt.
Doch weiland der Regisseur im Zwielicht des Abends oder im ebenso zwielichtigen Tageslicht Mud und seinen Umkreis zu filmen, vergisst er nicht, den Kamerafokus immer wieder auf die Charaktere um Mud herum zu setzen, was auch zwei Jungdarsteller (Tye Sheridan, Jacob Lofland) beinhaltet, die für einen altmodischen Coming-Of-Age-Anstrich sorgen, wie man sie aus einigen Spätachtziger- und Frühneunzigerfilmen kennt. Zwischen der Ausrichtung auf die unstreibare Hauptfigur und der dennoch höchst sorgfältigen Ausarbeitung aller anderen Charaktere gewinnt „Mud“ eine langfristige Substanz, die noch weit über Filmende hinaus präsent ist, als die Schüsse und die vielleicht allzu generische Aufregung der letzten Minuten wieder längst verhallt sind.
:liquid8:

Der einzige Zeuge
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Allzu leicht hätte man den Plot zu einem schnellen Polizeitthriller oder zu einem emotionalen Gerichtsdrama verarbeiten können – es ist Peter Weir immerhin anzurechnen, dass er dieser Versuchung widerstanden hat und mit der ihm eigenen Ruhe und Langsamkeit den Lichtkegel lieber auf den Culture Clash zweier Lebensweisen richtet, die sich dadurch auszeichnen, angesichts unvereinbarer Ideologien in bewusster Trennung voneinander zu koexistieren. Leider fällt „Der einzige Zeuge“ dieser Dualität selbst etwas zu sehr anheim: Was zunächst auf urbanem Boden mit einem pikanten Mordfall seinen Anfang nimmt, verlagert sich zusehends in die Idylle der Amish, die als bewunderns- und erhaltenswert dargestellt wird. Der Fall als solcher verliert zunehmend an Bedeutung, indes Weir seinen Hauptdarsteller, dank Ford mit einem betont geradlinigen und nonkonformen Typus besetzt (besser hätte man sich allenfalls noch Clint Eastwood an Fords Stelle vorstellen können), langsam Sympathie oder zumindest tiefen Respekt für die ihm fremde Lebensweise empfinden lässt, was sich schlussendlich nur mit dem häufigsten aller Hollywood-Kniffe besiegeln lässt – der Liebe, die auch hier wie so oft im Polizeifilm aus einem protektionistischen Grundgedanken heraus gedeiht.
In der vermeintlich unkonventionellen Ausrichtung des Films spiegeln sich letztendlich also doch allerhand Stereotypen wider, inklusive der erzwungenen Konfrontation mit den zeitweise vergessenen Bösen des Spiels auf dem Amish-Hof, die eine tiefgehende Thematisierung der kulturellen Unterschiede kaum zulässt. So bleibt nur die eigenwillige, durchaus wertvolle Schwerpunktgewichtung Weirs, die allerdings letztlich doch an den gleichen Symptomen krankt wie jene Hollywood-Standardware, die Weir vermutlich umgehen wollte.
:liquid5:

The Last Days
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Menschen, die vor Angst sterben, wenn sie unter den freien Himmel gelangen – die Prämisse, eine epidemische Auslegung der Agoraphobie, ist durchaus faszinierender Mystery-Stoff, wird in dieser spanischen Produktion jedoch lediglich als Aufhänger benutzt. Das Phänomen als solches interessiert kaum; die wenigen Szenen, in denen tatsächlich Menschen – meist gegen ihren Willen – nach außen gelangen, werden mechanisch wie in einem Thriller abgehandelt und lassen eine psychologisierende Lesart vermissen.
Von Beginn an konzentrieren sich die Autorenfilmer David und Àlex Pastor eher auf den Zerfall sozialer Strukturen, was sich sogleich in der Erzähltechnik niederlegt. Einstmals im Berufsalltag konkurrierende Geschäftsleute müssen sich angesichts einer Katastrophe zusammenraufen, um zu überleben. Dies machen die Regie-Brüder über eine nicht-chronologische Handlungsabfolge besonders deutlich, wenn sich zwei Männer in einer Szene noch über den Schreibtisch bekriegen (wobei die Albernheit beruflicher Organisation deutlich gemacht wird) und gleich in der nächsten gemeinsam in der Kanalisation stehen und überlegen, was ihr nächster Zug sein wird. Sozialkritische Aspekte werden als roter Faden ausgelegt und führen letztlich zu der Frage nach dem Sinn des Lebens eines Individuums in einer hoffnungslosen Postapokalypse, eine Frage, die von Filmen wie „Children Of Men“, „Last Man On Earth“ oder „Das letzte Ufer“ zeitlos in allen Epochen immer wieder gestellt wurde. Und eine Frage nicht zuletzt, die wie so oft mit der Liebe beantwortet wird.
„The Last Days“ hält seine Spannung dank punktueller Thrill- und Action-Höhepunkte halbwegs aufrecht und ist gerade zu Beginn auch stark montiert, wirkt im Gesamtbild allerdings auch recht zerfahren, ebenso wie die unaufgeräumten Bildkompositionen und die gelbstichige Optik, die auch schon bei „Carriers“ zum Einsatz kam. Das kostet letztlich trotz zuverlässig auftretender Qualitäten die Nachhaltigkeit.
:liquid6:

12 Years A Slave
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Steve McQueen ist mit “12 Years A Slave” offensichtlich nicht an einer historischen Einordnung gelegen, sondern primär an der Nachfühl- und Erlebbarkeit eines Einzelschicksals, womit er vor allem dem Geist der Vorlage, einer Autobiografie, gerecht wird, aber bequemerweise auch die in Hollywood herrschende Nachfrage nach Emotionalität stillt, wie man unschwer am Oscargewinn erkennen kann. Politische und gesellschaftliche Kontexte lässt er allenfalls in vereinzelten Aussagen von Figuren einfließen, die Kontakt zum Weltgeschehen haben (ein wichtiger Seiteneffekt des Films, der beispielsweise den kurzen, aber nicht unwesentlichen Cameo von Brad Pitt rechtfertigt). Im Zentrum jedoch steht der kleine Hof- und Plantagen-Mikrokosmos, den ein einstmals freier Mann fortan seine autonome kleine Welt nennen muss, sowie die Herausbildung dieser schrecklichen Situation, die vor allem freie Menschen mit Leichtigkeit nachfühlen können – und freie Menschen bilden schließlich das Publikum.

McQueen hat sich trotz dieser Mainstream-Anlagen bewusst für eine gegen den Strich gebürstete Art des Filmemachens entschieden. Einerseits liefert er einen Cinemascope-Film im Stil der goldenen Hollywood-Ära, mit prachtvollen Farben und einer Verklärung der wundervollen Feld- und Sumpflandschaften Louisianas, kurz, eine einschmeichelnde Optik mit so viel Detail, dass man sich trotz der beschränkten Sets darin verlieren kann. Dann aber zerstört er die soeben errichtete Schönheit mit exploitativen Misshandlungs-Szenen, die wiederum gerade vor den prachtvollen Hintergründen doppelt schmerzhaft erscheinen. Wenn das Fleisch unter den Peitschenschlägen platzt, wendet die Kamera nicht ab, sondern hält gnadenlos ihre Position.

Die Irrationalität des gesamten Systems wird dabei deutlich herausgearbeitet und sein zwangsläufiges Scheiternmüssen essenziell auf den Punkt gebracht. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass der Film gerade bei den Sklavenhaltern eifrig Differenzierungen vornimmt. Die Charaktere der vor dem Gesetz gleichgestellten Landbesitzer, die von Michael Fassbender und Benedict Cumberbatch dargestellt werden, könnten unterschiedlicher nicht sein; der Eine sieht seine selbstzerstörerischen Tendenzen durch die gesellschaftliche Legitimation seines verachtenswerten Handelns angestachelt, der Andere fühlt sich in seiner Rolle offensichtlich nicht wohl und ist darum bemüht, sein schlechtes Gewissen durch kleine Taten zu erleichtern. Niemand jedoch scheint die Zustände in seinem tiefsten Inneren als legitim anzusehen, sondern allenfalls zu seinen eigenen Vorteilen zu nutzen.
Überraschend allerdings, dass die im Titel genannten zwölf Jahre nicht wirklich greifbar gemacht werden, was einiges an Intensität kostet. Selbst nach all den Jahren der Sklaverei spielt Chiwetel Eljofor seine Figur immer noch mit der gleichen „Wie bin ich in diese Situation geraten“-Quintessenz, die ihm bereits gleich nach seiner Entführung in Washington und seinem Aufwachen in Ketten ins Gesicht geschrieben steht. Eine Entwicklung lässt sich dann doch vielmehr an den Sklavenhaltern ausmachen; Cumberbatch und vor allem Fassbender lassen die Zeit deutlich schmerzhafter verstreichen als der eigentliche Protagonist.

Stark subjektivierte Filme sind immer manipulativ und problematisch. An diesem Umstand ändert auch ein thematisch sicher notwendiger Film wie „12 Years A Slave“ nichts. Allerdings nutzt McQueen diese Perspektive immerhin für eine aufrüttelnde und erschütternde Erfahrung; wenngleich sie mit Hollywood-Konventionen konform geht und nur einige der gesteckten Ziele erfüllen kann (diese aber dafür umso beeindruckender), hallt sie spürbar nach und stellt die Idee der Sklaverei letztlich bei aller Fokussierung auf ein einzelnes Fallbeispiel doch geschickt als ein Gesellschaftsmodell dar, das dem ursprünglichen Wesen des Menschen nach zwangsläufig scheitern muss.
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Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe
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James Garner in einer Westernkomödie, die sein Urhebergenre auf architektonische Weise parodiert. Die Goldgräberei ist dabei als Plotantrieb hervorragend gewählt, denn sie sorgt für einen Ausnahmezustand in einer kleinen Stadt. Der daraus resultierende Hühnerhaufen aus schießwütigen Revolverhelden, Schatzsuchern im Goldrausch und ausgelassenen Saloon-Gesellschaften bereitet dem lässig agierenden Hauptdarsteller die ideale Bühne. Nicht selten gerät Garner in eine Prügelei, die er aber stets geschickt umgeht; lieber steht er mit seiner Schüssel Mittagessen als Zuschauer am Rande und verfolgt das Treiben leicht amüsiert.

Angesichts der provisorischen Verhältnisse am Handlungsort ergeben sich Situationen wie aus einem Lucky-Luke-Comic: Kopflose Stadtverwalter bieten einem Fremden aufgrund einer beeindruckenden Schießvorführung aus ihrer Not heraus einen Posten als Sheriff an, inklusive Gefängnis ohne Zellengitter. Der Humor ist trocken und skizzenhaft, gleichwohl mit einem besonderen Gespür für unscheinbar wirkende Details (wie der Vorstellung eines aus Düsseldorf importierten Harmoniums), was dem Ganzen einen lebhaften Anstrich gibt. Garner fasst mit unaufgeregtem Minenspiel seine eigene Vita als Western-Darsteller zusammen und sorgt für den Ruhepol in einer Szenerie, die bei aller Überdrehtheit viel herzlicher erscheint als vergleichbare Westernparodien zur heutigen Zeit.
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Der Chaos-Dad
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Was im deutschen Verleih wie eine alte, harmlose Bill-Cosby-Komödie klingt, lässt dem Zuschauer in Aktion alle Gesichtszüge entgleisen, selbst wenn man die Variable „Sandler“ bereits mit einkalkuliert hat. Man ist von dem Mann fürs Grobschlächtige einiges gewohnt, was nicht gerade den Ansprüchen an feinen Humor entspricht; mit „Der Chaos-Dad“ macht die berüchtigte Happy-Madison-Schmiede aber ein ganz neues Fass auf.

Es ist nicht alleine der schlechte Geschmack, der Sandlers neue Schule so tiefbödig sein lässt, es ist vor allem die Psychologie seiner Figuren, bei denen es sich eigentlich durchgängig um Freaks handelt, die allen Gesetzen nachvollziehbaren situativen Verhaltens widersprechen. Wer nicht wenigstens drei amtliche Macken vorweisen kann, die mit gesundem Menschenverstand zu erklären wären, darf allenfalls als Statist in der Menschenmenge auftreten. Diese Menge wiederum bildet sehr oft ein innerfilmisches Publikum, das wie eine moderne Sitcom-Kulisse die Peinlichkeiten „Oooh“ und „Uuuh“ schreiend begleitet, derer sich vom den Haupt- bis zu den Nebendarstellern alle beteiligen (und wenn jemand aus der Kulisse Lust hat, sich zu beteiligen, ist er offenbar herzlich eingeladen).

So bildet sich um den ohnehin bereits hanebüchenen Vater-Sohn-Kern, der auf einer im Prolog eröffneten, geradezu grotesken Psychologisierung basiert, ein Sammelsurium an nutzlosen, kuriosen Charakteren. Sandler wird auf seiner zutiefst infantilen Reise begleitet von solch illustren Gestalten wie einer fetten schwarzen Big Mama an der Table-Dance-Stange, einer geilen Oma im 50er-Jahre-Badeanzug, einem rustikalen Priester (James Caan) oder, das ist dann in diesem Kabinett aus Perversionen der Normalität ausnahmsweise Realsatire, Vanilla Ice als er selbst, ein affenartiger Sidekick mit Rapper-Manierismen, die im fortgeschrittenen Alter noch alberner wirken als ohnehin schon als zu Zeiten von „Ice Ice Baby“.

Insofern zeichnet sich „Der Chaos-Dad“ allenfalls durch seine gnadenlose Konsequenz aus, die immer schon vorhandene Debilität vieler Sandler-Produktion zu einer Humorsprache auszuformulieren, die weltweit mit keiner Humorkultur mehr wirklich kompatibel ist.
:liquid2:

Das beständige Gleiten der Begierde
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Während Alain Robbe-Grillet in „Eden und danach“ noch symbolische Verknüpfungen wie Portale verwendete, um sich von einem Schauplatz zum nächsten zu schleusen, kehrt er in seinem nächsten Film unter veränderten Vorzeichen immer wieder zum Ursprung zurück - einem Mord, der sich in der Fantasie oder in der Realität abgespielt haben mag. Der Regisseur unterzieht diverse Szenen, manchmal aber auch nur einzelne Objekte (so etwa die vermeintliche Mordwaffe), einer wiederholten heuristischen Interpretationsabfrage und lässt sie immer wieder in anderem Licht erscheinen, wobei sich auch jeweils neue Handlungsmotive ergeben. Der dekonstruktivistische Erzählstil ist ähnlich wie bei David Lynch achronologisch angelegt, so dass man eher intuitiv zu einem inhaltlichen Verständnis gelangt; dem bloßen Handlungsablauf zu folgen, würde in die Irre und letztlich in eine Sackgasse führen.

Ungleich Lynch jedoch dringt Robbe-Grillet nie ins Emotionale ein, sondern betreibt eine objektivistische Dialektik, so dass man als Zuschauer stets eine gewisse Distanz bewahrt. Die spielfilmfüllende Nacktheit von Hauptdarstellerin Anicée Alvina nimmt man daher nur bedingt als erotisch wahr, vielmehr hat sie gerade im Kontrast zu den oft kalkweißen Hintergründen die visuelle Wirkung eines lebendigen Kunstwerks. Der Titel kann daher irreführend wirken, obwohl er thematisch nicht ganz unangebracht ist, da sämtliche Charaktere, egal welchen Geschlechts oder welchen Bezugs, in einen sexuellen Kontext mit der Hauptfigur gesetzt werden, die Robbe-Grillet als Verkörperung der Freiheit bezeichnet hat. Diesen auf den ersten Blick weltfremden Sachverhalt als Altherrenfantasie abzuwinken, würde allerdings den Umstand ignorieren, dass jegliche Sachinhalte einem symbolischen Zweck dienen. Dies betrifft auch sämtliche Gegenstände, die der Regisseur gerne wie abstrahierte Kunstwerke vor kahlen Flächen abfotografieren lässt.

Ein faszinierender Film für ein spezielles Publikum, der alle Vorzüge des Mediums Film in grellen Kontrasten herausstellt und das Medium so an seine Grenzen führt.
:liquid9:


Weitere Sichtungen
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Die Bestimmung - Divergence

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Beitrag von McClane » 17.09.2014, 18:44

Vince hat geschrieben:Michael Shannon lieferte in “Take Shelter” einen der ganz großen Auftritte seiner Karriere. Es hat die Wirkung einer Reprise, wenn Jeff Nichols ihn für sein Folgeprojekt in einem kleinen Cameo besetzt.
Könnte auch daran liegen, dass Michael Shannon in bisher jedem Film des Regisseurs (also auch seinem Erstling "Shotgun Stories" sowie dem kommenden "Midnight Special") innehatte. :D Scheint ja so ein Glücksbringer zu sein, ähnlich wie es bei James Gunn Nathan Fillion und Michael Rooker sind oder Bruce Campbell bei Sam Raimi.
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Beitrag von McClane » 17.09.2014, 18:50

Übrigens schöne Worte zu "12 Years a Slave", den ich ähnlich sehen würde. Ich war recht positiv davon überrascht, nachdem das Ganze nach klebrigem Gerechtigkeits-Themenkino klang (was der Film teilweise immer noch ist), aber bei aller Manipulation ist der Film doch inszenatorisch sehr gut gemacht. Diese Einstellung zu dem Film mag mancher zynisch finden, ich finde sie aber gesünder als die Schnappatmung mancher Award-Komitees, die das Ganze als total neu und revolutionär abfeierten.

Oder, wie es ein Freund von mir deutlich böser, sarkastischer und zynischer formulierte, als man ihn nach seiner Einstellung hierzu fragte: "Toller Film, der hat mir total die Augen zum Thema Sklaverei geöffnet. Das war doch nicht alles gut, was damals passiert ist."
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Beitrag von Vince » 17.09.2014, 18:51

Ist eigentlich sogar ein Thema, das mal eine Diskussion verdient hätte, warum und wodurch manche Regisseure immer wieder mit den gleichen Schauspielern planen.

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Beitrag von Vince » 27.09.2014, 08:39

Kommentar zu 12 Years a Slave hab ich ganz übersehen. Jup seh ich auch so, ist ja leider nix Neues, dem luftschnappenden Award-Komitee sollte man grundsätzlich immer mal ein paar Papiertüten spendieren. ;)


Noah
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Eine Verfilmung der biblischen Geschichte um den Bau der Arche Noah könnte unzählige Gestalten annehmen. Sie könnte die Vorlagentreue zum obersten Ziel erklären (sei es auf das Alte oder das Neue Testament bezogen), sie könnte einen meditativen Charakter annehmen oder, des Flutwellenspektakels wegen, zum Blockbuster umfunktioniert werden.
Darren Aronofsky probiert ein bisschen von allem aus, doch wie von ihm nach „The Fountain“ zu erwarten, steht in seinem Zentrum ein mythologisch-naturalistischer Ansatz. Glaubensfragen im theologischen Sinne verbannt er in den Hintergrund, was den positiven Nebeneffekt hat, dass den (unter Garantie natürlich trotzdem unvermeidlichen) Diskussionen aus dem religiösen Lager der Wind aus den Segeln genommen wird.

Aronofsky interessiert sich mehr dafür, Legendenbildung direkt erfahrbar zu machen. Er bebildert – ähnlich wie Ridley Scott im Prolog zu „Prometheus“ - eine Welt, die einerseits völlig anderen Gesetzen unterliegt als die unsere, aber dennoch ganz und gar die gleichen Ureigenschaften besitzt. In vielen Nahaufnahmen werden Grashalme, Stein und Holz, Windbewegungen und Schaumkronen auf dem Wasser gezeigt, jene Baueinheiten eben, aus denen auch unsere Realität besteht. Dadurch entstehen pantheistische Eindrücke, insbesondere, insofern Aronofsky zugleich ein psychologisches Portrait Noahs entwirft, das völlig offen lässt, ob es sich bei dem von Russell Crowe gewohnt rustikal verkörperten Familienoberhaupt tatsächlich um einen Gottgesandten handelt oder einen Mann, der schlichtweg den Verstand verloren hat, weil er die Zeichen der Natur falsch interpretierte.

Diese prinzipiell interessante Lesart schlägt allerdings um, wenn Engelwesen aus Licht und Stein den Bildschirm bevölkern und unangenehme Assoziationen zu Michael-Bay-Robotern erzeugen. Ohnehin ist der sonst so prägnante Stil Aronofskys aus Verwaschenem und Verschmutztem zum Teil überdeckt von austauschbaren Blockbuster-Konventionen, die er eigentlich gar nicht umsetzen will; anderenfalls hätte er einen Teil des Psychodramas in der zweiten Hälfte Katastrophenfilm-Gigantomanie opfern können, was jedoch nicht geschieht. So ist „Noah“ trotz der interessanten Ansätze im Detail von einer inkonsequenten Inszenierung geplagt. Bescheidenere, theaterähnlichere Produktionsumstände hätten diesem Regisseur wohl besser in die Karten gespielt.
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La Dolce Vita
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Binnen drei Stunden liefert Fellini eine Abfolge von Szenensequenzen, die zwar inhaltlich in einem klaren Zusammenhang zueinander stehen, räumlich, zeitlich und atmosphärisch aber wie clipartige Gedankenfetzen zu einem Hauptthema wirken. Immer hingegen ist die Stadt Rom und ihr weiteres Umfeld präsent, welches der Regisseur mit Liebe zum Detail ab- und nachbildet – mal an Originalschauplätzen, mal in aufwändigen Nachbildungen. In bildschirmsprengenden Panoramen werden die historischen Gebäude der Stadt eingefangen, eine nüchterne Schönheit ausstrahlend; dann wieder ragt die Innenarchitektur eines aristokratischen Schlosses hervor oder eine geschlossen wirkende Gesellschaftsszene, bei der die Geräusche von einem Tonband in einen leeren Raum ausstaffieren. Manchmal spielt die Handlung in der Nacht, mal im Morgengrauen oder am Tag, wobei die oftmals sprunghaft montierten Übergänge als traumartige Ebenenwechsel inszeniert werden (besonders gut zu beobachten bei der Auflösung der legendären Brunnensequenz).

Fellini erzeugt innerhalb dieser Montage langsam das bittere Bild einer sich selbst verschlingenden Upper-Class-Gesellschaft, die in der Wechselwirkung aus medialer Sensationsgier und egozentrischem Geltungsbedürfnis eine Spirale des Verwerflichen ankurbelt und die weißen Fassaden Roms sichtbar beschmutzt. Die Dekadenz ist allgegenwärtig, ob sie sich nun beim Baden im Blitzlicht der Paparazzi zeigt, in der römisch-phönizischen Ausgelassenheit einer Abendveranstaltung oder bei der übersteigert inszenierten Jagd nach einem Zeichen Gottes, die passenderweise in einem Regenschauer endet.

Der ausklingende italienische Neorealismus liegt wie ein trüber Schleier über allem. Fellini lässt – ganz bewusst - den Schein wieder Oberhand gewinnen und einen Übersetzer dennoch auf die Frage, ob der Neorealismus tot sei, unaufgefordert „Er lebt!“ äußern. Ein seltener Moment der wahrhaftigen Vermittlung zwischen den Figuren, die ansonsten allesamt aneinander vorbeireden und in einem Meer aus Aphorismen und losen Verknüpfungen treiben, ein Meer, das Fellini meisterhaft, wenn auch wie im Eifer des Gefechts, aus kleineren Kurzepisoden erschließt, ohne den Trugschkuss aufkommen zu lassen, man habe es mit einem Episodenfilm zu tun.
:liquid9:

Witching & Bitching
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Der Maskerade und billigen Schminke seines herausragenden, emotional-historischen Zeit- und Milieuportraits „Balada Triste de Trompeta“, der eine Art grelle, übersteigerte Neuauflage von Fellinis „La Strada“ war, behält sich Alex de la Iglesia auch in „Las Brujas de Zugarramurdi“ bei, jedoch hält er diesmal Abstand von der dort allumfassenden Nachdenklichkeit und serviert sein Horror-Comedy-Gemisch als reines Guilty Pleasure.

Wenn ein Haufen Arbeitsloser sich einfach mal aller Probleme des schnellebigen Gesellschaftslebens entledigt, Frauen, Familien und Geldsorgen hinter sich lässt und in ein –wenn auch in dieser Form unvorhergesehenes – Abenteuer geht, das zu einer Road-Movie-Groteske mit surreal ausstaffiertem Ziel ausartet, zeigt sich de la Iglesia von den gleichen Quellen inspiriert, die auch einen Rob Zombie bei „House of 1000 Corpses“ beschäftigten. Schon der Filmeinstieg über ein karnevalistisches Straßenfest, in dessen Trubel ein Banküberfall ausgeführt wird, stellt übersteigerte Realität dar, doch als der Weg der Flüchtenden in ein kleines Dorf führt, gleicht die Entwicklung zunehmend dem Fall in den Kaninchenbau – mal glotzt ein Auge durch die Öffnung eines Plumpsklo, dann steht plötzlich eine alte Frau mitten in der Nacht auf der Landstraße.

Der schließlich erfolgende Eintritt ins Hexenhaus ist wie ein Besuch in einem Gruselkabinett auf dem Jahrmarkt, unheimlich zwar, aber auf eine spielerische und nicht ernstzunehmende Weise. Und so unvorhergesehen inszenieren können eben nur die Spanier oder allenfalls noch die Franzosen. Obwohl kultisch angehauchte Feste, bei denen die Hauptgerichte selbst als Gäste eingeladen sind, grundsätzlich keine neue Erfindung sind, gelingt es de la Iglesia immer wieder, Obskuritäten aus dem Ärmel zu schütteln, bis er im Finale gleichermaßen Peter Jacksons „Braindead“ und die großen Filme Alejandro Jodorowskys huldigt. Eine energieeffiziente Fingerübung im Vergleich mit der Geschichte um den traurigen Clown, aber immerhin gespickt mit ähnlich vielen kleinen Einfällen.
:liquid6:

Toxic Avenger III
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Das Lokalgeschöpf Toxie auf Besuch im fernen Japan strickte das herrlich subversive Trash-Original schlüssig weiter und war insofern auch eine Parodie auf Sequels per se, insofern dem Regionalen die zwangsläufige Ausbreitung auf das Globale folgen musste. Obwohl der dritte Teil eigentlich nur ein Produkt des überschüssigen Drehmaterials war, das Lloyd als zu wertvoll erachtete, um es in der Schublade versauern zu lassen, verspricht der Auftakt eine weitere Entwicklung, die sich durchaus mit den postmodernen Superheldenfilmen der heutigen Zeit messen kann: Was passiert eigentlich, wenn der Held dermaßen aufgeräumt hat, dass es keine größeren Probleme mehr gibt als Omas, die beim Kartenspielen betrügen?

Kaufman und Herz lassen also einen arbeitslosen Toxic Avenger täglich beschämt in seine Müllkippe zu seiner blinden Freundin zurückkehren. Hier, wie auch später, wenn sich das Blatt wendet und der einstige Held von Tromaville zum Yuppie mutiert, hat die zweite Fortsetzung ihre besten Momente. Ron Fazio sieht unter seiner Gummimaske mit dem beweglichen Kunstauge einfach so bescheuert aus wie eh und je, erst recht, wenn er Lacoste-Poloshirts trägt und arrogant auf seine Umwelt herabschaut. Auch dass in einer Videothek wahrhaftig der Bär steppt (eine 80er-Trainingstusse mit Dauerwelle im glänzenden Body wackelt da mit den Hüften, während sie den Rücken einer VHS liest, und ein 70er-Pimp mit dreifacher weiblicher Begleitung markiert den King of the Jungle), muss heute als visionäre Satire gelesen werden, fast so, als sei sich Troma des Aussterbens des Videokultes vollkommen bewusst gewesen.

Sobald aber Apocalypse Inc. auf den Plan tritt, macht sich bemerkbar, warum der dritte Teil als schlechtester der Reihe gilt. Da kann Rick Collins als gegnerischer Fiesling im Anzug bzw. in grüner Teufelshaut noch so Tim-Curry-esk vom Leder ziehen, er ändert nichts an der langatmigen Wiederholung der Storyelemente des zweiten Teils. Insbesondere das kindisch in Prüfungen aufgeteilte Finale lässt jede subversive Kraft vermissen. „The Last Temptation Of Toxie“ hat wie jeder Teil seine Momente, es ist aber zu verstehen, dass man im vierten Teil vor allem die Gewaltschraube wieder mächtig aufdrehte und sich gar selbstironisch für Teil 2 und 3 entschuldigte.
:liquid4:

Rom – Die komplette Serie
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Die seinerzeit teuerste Serie aller Zeiten hat einen enormen Anteil an der gegenwärtigen Entwicklung der Serien-Produktionsstandards genommen. Mit der damals konkurrenzlosen Ausstattung gelingt „Rom“ vor allem die perfekte Illusion einer längst vergangenen Zeit – die Kostüme, die Gebäude, ja bis hin zum Studium der prägnanten Gestik des Ausrufers auf dem Markt ist hier alles penibel arrangiert, und man könnte meinen, das Kamerateam habe ein längst vergessenes Fleckchen römischer Erde gefunden, auf dem die Zeit stehen geblieben ist. Statuen, Büsten, Münzportraits und Gemälde werden ohne jede Artifizierung zum Leben erweckt; der durch Sandalen aufgewirbelte Staub, die Zypressen am Wegesrand, der Wein, die Säulen und prunkvollen Fassaden, die Gewänder vom einfachen Fischhändler bis zur Zenturionenrüstung, wie sie vor allem Kevin McKidd als Lucius Vorenus in allen möglichen Varianten schauträgt, sind beeindruckend greifbar, und selbst die große Senatsszene um das Attentat auf Julius Cäsar (Ciarán Hinds) am Ende der ersten Staffel hat bei weitem nicht die Distanz der stilisierten Historiengemälde aus dem 18. und 19. Jahrhundert, sondern atmet die Nahbarkeit einer Mittendrin-Szene, wie Hitchcock sie vielleicht auch gemacht hätte.

Obwohl mit dem Staffel-1-Finale das wohl bekannteste Historienereignis bereits behandelt ist, weiß sich die zweite Staffel sogar noch zu steigern, weil sie den verbliebenen Charakteren Unmengen an zusätzlichen Facetten vereint, die man zu Anfang kaum zu erahnen vermag. Das Hauptdarstellergespann Kevin McKidd und Ray Stevenson führt als roter Faden durch die komplexe Zeitgeschichte, die grundsätzlich sämtliche Gesellschaftsebenen und deren Zusammenhängen beleuchtet, anstatt sich im wesentlichen, wie später „Spartacus“, auf nur eine Perspektive zu beschränken. Gerade als die Freundschaftsgeschichte zur Mitte hin getrennte Pfade nimmt, ist der Zusammenschluss der Fäden zum Ende von ganz besonderer Qualität wie das gesamte Erzählen überhaupt. Es ist mehr als sichtbar, dass das Budget nicht bloß in Sets und Kostüme geflossen ist, sondern eben auch in qualitativ hochwertige Drehbücher, die sich vielleicht nicht immer historisch genau an die gängigen Überlieferungen halten und manchen Charakter aus dramaturgischen Gründen auch neu interpretieren, dafür aber ein packendes Epos über zwei Herrschaftsdekaden zu erzählen wissen.
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Beitrag von SFI » 27.09.2014, 08:50

Da lag ich mich meiner Noah Einschätzung doch nicht so daneben.
PFALZBOTE | DVD-Profiler

„Fate: Protects fools, little children and ships named Enterprise.“

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Beitrag von Vince » 27.09.2014, 08:52

Hattest m.E. mit vielen Punkten recht, obwohl ich mich jetzt nicht deiner 2/10 (oder so) anschließen würde, weil ganz scheiße fand ich den nicht und Psycho-Russell-Babykiller fand ich auch nicht schlecht.

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The Awakening
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Sepiafarbenes Filmkorn legt sich auf Innen- und Außenaufnahmen des Manderson House in Schottland nieder und erzeugt eine Optik wie von einer vergilbten Fotografie. Das Gebäude selbst erweist sich bereits als äußerst fotogen, und auch die von Wäldern, langen Landstraßen und Seen und Teichen bestimmte Umgebung gibt ein paar wunderschöne Motive her (insbesondere in der einleitenden Fahrt zum Schauplatz). Dieser angenehm altmodische Look gehört zu den Vorzügen von Nick Murphys Geisterdrama, das zwar auf Grafisches verzichtet und in der Ausleuchtung rein intimer Vorgänge mit geringen Mitteln eine relativ hohe Spannungsdichte erzeugt, allerdings kann die Schablone, die fünfzig Jahre zuvor mit „Bis das Blut gefriert“ gebrannt wurde, nicht abgeschüttelt werden. Um ein Beispiel zu nennen: Angesichts der Vorhersehbarkeit der sich anbahnenden Zuneigung zwischen Rebecca Hall und Dominic West erscheinen die Einfälle seitens der Regie, um diese Zuneigung anzudeuten, naiv und holprig. Auch wird der See vor dem Hauptschauplatz wiederum als Selbstspiegelungsmetapher missbraucht, und die sich am Ende entblätternden Plottwists gehören zu jener Sorte, die man auf Meilen gegen den Wind riecht, weil ihre Vorbereitung so augenfällig ist - begonnen schon mit einer der ersten Szenen überhaupt, als die Hauptfigur ihre Vergangenheit offensichtlich zu verdrängen versucht. Dass der Rahmen zu allem Überfluss ohnehin schon an „The Others“ erinnert, macht die Sache nicht besser.

Der Horror-Anteil wird durch eine stilistische Mischung aus Kinder- und Puppengrusel gewonnen; „Das Waisenhaus“ und einige der jüngeren James-Wan-Produktionen lassen grüßen. Zwar bleibt nur eine Sequenz diesbezüglich als einigermaßen gelungen in Erinnerung (die Inspektion des Puppenhauses), allerdings ist fairerweise zu sagen, dass „The Awaking“ die Fokussierung auf die leisen Zwischentöne mit Konsequenz durchzieht und somit eher den dramatischen Teil unterstreicht. Sollte man seinen Horror also eher sublim mögen anstatt in Form von hochfrequenten Jump Scares und eher an melancholisch gestalteten Einzelschicksalen interessiert sein als an Creature Designs, ist man mit „The Awakening“ dank der schönen Optik und der konstant wohlig-schaurigen Atmosphäre vielleicht gut bedient, auch wenn man besser nicht mit den Klassikern vergleichen sollte.
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Drachenkrieger
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Diese Ereignislosigkeit und das Herauszögern des großen Knalls erinnert ein bisschen an die 90er und „Jurassic Park“. Derweil sich die norwegische Produktion an ihrer Landesmythologie und der Konzeption einer völlig banalen, dadurch aber auch ungezwungen wirkenden Familienkonstruktion entlanghangelt, entsteht das typisch-lockere Gefühl eines Sunday-Afternoon-Movies, als Zuschauer selbst nichts in den Film investieren zu müssen, sondern ihn einfach bequem über sich hinweggleiten zu lassen.

Anstatt mit großen Effekten, auch wenn sich das schließlich doch entblößte Monster von CGI-Seite her sehen lassen kann, protzt Mikkel Braenne Sandernose mit der prachtvollen Landschaft, die er in herrlichen Panoramen einfängt. Allerdings setzt er sie ohne besondere Intentionen ein. Kleine Gefahrenmomente gehen etwa von einem hinterlistigen Gruppenbegleiter aus oder von einer stark bei „Lost World“ abgekupferten Wohnmobil-hängt-über-der-Schlucht“-Sequenz, jedoch sind das allesamt nur Spannungstupfer, die im lauschigen Familienkreise wohl mit heiterem Gelächter quittiert würden.

Wenn die Charaktere zudem übermütig darüber fantasieren, dass sie ob ihrer Funde demnächst zu Gast sein werden bei David Letterman, zeugt das außerdem von einer Realitätsfremde, die das gesamte Familienkonstrukt märchenartig erscheinen lassen, was die zwischenmenschlichen Probleme zu Beginn und das zaghafte Andeuten beruflichen Misserfolgs in der Irrelevanz verpuffen lässt; letztlich wird der Entdeckerdrang des sympathischen Alleinerzieher-Abenteurers ja ohnehin Familienbindendes als größten Schatz zu Tage fördern.

Ein völlig harmloses, austauschbares, zugleich aber auch irgendwie entschleunigendes Filmerlebnis.
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Frankie und seine Spießgesellen
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Nicht umsonst versucht sich das Rat Pack an einem groß angelegten Casino-Raub. In Lewis Milestones lockerer Gangster-Klamotte ist alles Inszenierung – ob Sammy Davis Jr. eine Gesangsvorstellung auf dem Bau ablegt oder sich alle Ganoven fotogen über den Plan beugen und die Hände verschwörerisch übereinanderlegen, Milestones Regie ist eine ebenso große Show wie das Milieu, in dem er dreht. Soderberghs Remake profitiert im Nachhinein sogar von der Sichtung des Originals, denn die dort vorzufindende Konstruiertheit ist gewissermaßen eine gewollte Hommage an das 1960er-Ensemblestück, dessen Pointe immerhin in eine andere, deutlich schwarzhumorigere Richtung ausschlägt. Frank Sinatra, Dean Martin & Co. lassen den großen Plan im Kleinen aufleben, sie verteilen Funktionen auf Einzelkönner, die Experten ihres jeweiligen Gebiets sind.

„Ocean’s 11“ ist Film gewordener Jazz. Die Charaktervielfalt ist das Reizvolle an der Zusammenkunft, denn sie arbeiten alle für das gleiche Ziel, um sich schließlich doch in alle Winde zu zerstreuen, weil es angesichts der Persönlichkeitsunterschiede keinen Sinn machen würde, kreuzten sich ihre Lebenswege über den Coup hinaus. Man wohnt hier einer einmaligen, magischen Sache bei. Was wohl der Hauptgrund ist, weswegen Soderberghs Fortsetzungen zwangsläufig scheitern mussten.
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Mitternachtsspitzen
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Ein hyperaktives London, ständig in Bewegung und nach dem 2. Weltkrieg immer noch mit dem Wiederaufbau beschäftigt, sorgt in David Millers dreister Hitchcock-Nummernrevue für eine hektische Kulisse des Kurzangebundenseins. Ideale Voraussetzungen, um einen Mystery-Krimi zu drehen, bei der eine Frau in Not permanent um Hilfe schreit und nur mit halbem Ohr erhört wird. In der Hauptrolle: ausgerechnet Everybody’s Darling Doris Day, die zunächst ihre teure Garderobe ebenso strahlend zur Schau trägt wie ihr patentiertes Honigkuchenlächeln, bevor sich der Terror an ihr auslässt. Das Screwball-Flair scheint sich um sie herum immer wieder ausbreiten zu wollen, doch dann kündigt Miller mit grellen Warnfarben, schrillen Soundeffekten und schrägen Kameraperspektiven stets das Unheil an, das immer wieder unvermittelt in den Alltag hereinbricht, und Day schreit hysterisch um ihr Leben. Insofern eine ungewohnte, aber nicht einmal unpassende Besetzung, wird doch hier die schöne heile Hollywood-Welt unliebsam aus den Angeln gehoben.

„Mitternachtsspitzen“ mag sich auf die Psychologie der Hauptfigur konzentrieren und, wie es auch für Hitchcock typisch wäre, bis zum Ende offen lassen, ob sie an Wahnvorstellungen leidet oder ob echte Gefahr besteht, allerdings bleibt der Film stets oberflächlich und ist an nichts anderem interessiert als an der reinen Suspense-Mechanik. Das gesellschaftliche Umfeld und situative Elemente werden ähnlich „Das Fenster zum Hof“ immer wieder in den jeweiligen Szenenklimax eingegliedert, ob nun durch Nebelmaschinen im Park, überfüllte Bushaltestationen oder durch ein Bauarbeitergerüst direkt vor dem Schlafzimmerfenster. Das Tempo ist daher hoch und ein Twist am Ende praktisch unentbehrlich, übrig bleibt jedoch wenig abseits eines visuell experimentierfreudigen, für die Entstehungszeit überdurchschnittlich aufregenden Großstadtthrillers.
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True Detective - Season 1
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Nur eine weitere Copserie? Tatorte, Spurensuche, Serienkiller? Kein Themenkomplex wurde wohl öfter Gegenstand einer Serie, der Polizistenalltag ist die Königsdisziplin des TV-Formats und somit für Innovationen kaum mehr empfänglich. Was zum Teufel veranlasste HBO also dazu, ein Projekt namens „True Detective“ in Auftrag zu geben?
Es ist wie so oft nicht das „Was“, sondern das „Wie“, das die Faszination auslöst und den Qualitätsstandard unfassbarerweise nochmals anhebt. Überhaupt ist das 8-teilige Episodenstrickwerk aufgrund seiner feingesponnenen, vollständig durchdachten Struktur eher eine bessere Art von Film geworden. Die Dramaturgie funktioniert nicht etwa episoden- sondern staffelweise – aus ebensolchen Gründen etwa wird die Handlung in den ersten sechs Folgen über Flashbacks erzählt, um in den letzten beiden Folgen einen Klimax zu setzen, der zusammengenommen einem zweistündigen Filmfinal-Spannungshighlight samt kathartischer Reflektion im Ausgang entspricht.

Der dünne Boden der Haupthandlung wird vielmehr von Dialogen bestimmt, die dank Matthew McConaugheys hochkomplexer Figur existenzialistische Diskurse erreichen, was natürlich auch dem Darsteller zugute kommt: Obwohl äußerlich eher unspektakulär in seiner Erscheinung (sieht man mal von seiner Gegenwarts-Darstellung als langhaariger, ausgemergelter Trinker ab), gelingt McConaughey eine weitere hochklassige Leistung in einer an Highlights ohnehin schon nicht armen zweiten Karrierephase. Seine Gedanken, derweil sie niemals ungefragt veräußert werden und daher auch nicht aufdringlich erscheinen, machen in ihrer Relevanz beim eigentlichen Fall nicht halt – sie sind derart universell beschrieben, dass sie sich meist auch auf das Leben als solches anwenden lassen, wodurch natürlich auch die gesamte Serie bei weitem zu mehr wird als einer einfachen Ermittlerserie, oder, in Genres gesprochen, einem gewöhnlichen Thriller.

Woody Harrelson hat wohl angesichts dessen die etwas undankbarere Rolle, ist aber tatsächlich ebenso gut oder gar noch besser als McConaughey, insofern er einen Mann spielen muss, der das darstellen soll, was man gesellschaftlich als „normal“ empfindet – einen Familienvater mit „normalen“ Bedürfnissen und einem „normalen“ Leben. Dass sich aber gerade bei solchen Menschen Abgründe hinter feinen Rissen abzeichnen, nutzt Harrelson in jeder sich ihm bietenden Gelegenheit, um feinste nuancierte Schauspielkunst unter Beweis zu stellen. Vom übrigen Cast, jede Darsteller ausgiebig auf die von ihm verkörperte Rolle angepasst, kann in Gegenwart der Two-Man-Show kaum noch gesprochen werden, wobei nur wenige Serien bis in die kleinsten Nebenrollen hinein so glaubwürdig besetzt sind.

Nicht zu unterschlagen sind auch die (alp)traumhaften Landstriche Louisianas, eimgefangen oft im verzerrten Glanz des Zwielichts, das die Grauzonen metaphorisiert, durch die sich die beiden Ermittler über einen Zeitraum von zwanzig Jahren ihren Weg bahnen.

Homogenität ist zuguterletzt dank der alleinverantwortlichen Regie Cary Fukunagas in allen Bereichen gegeben, sieht man mal von dem etwas überstilisierten Finale ab und von der auffälligen, allerdings selbst nach gängigen Kinostandards herausragenden Plansequenz in Episode 4. Staffel 2 wird es angesichts der enormen Gesamtqualität sehr schwer haben, insbesondere nach Bekanntgabe des Regisseurs und der Hauptdarsteller; allerdings hat „True Detective“ dank des Anthologieformats ja immerhin alle Freiheiten, um gar nicht erst in einen Vergleich mit der Story um die ungleichen Ermittler Cole und Hart zu geraten.
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Weitere Sichtungen:
Ninja – Pfad der Rache
Snowpiercer
Getaway

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Beitrag von Vince » 17.10.2014, 18:36

Grand Budapest Hotel
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Sollte etwa ein Hotel als Schauplatz den reisebegierigen Wes Anderson gezähmt und zum Verweilen überzeugt haben? Aber nein! Zwar stellt der Mann für das Seltsame und Sonderbare zu Beginn eine farbenträchtige Collage aus putzigen, kleinen Räumen zusammen, deren schnell aufeinanderfolgende Farbkontraste einem Drogenrausch gleichkommen und deren viele Details alle paar Sekunden zur Standbildfunktion verführen, jedoch bildet das „Grand Budapest Hotel“ lediglich den erzählerischen Rahmen für ein weiteres Road Movie, denn zu reich an Geheimnissen ist die Welt da draußen, um sich auf lediglich ein Gebäude zu beschränken.

Anderson ist an dem Punkt angekommen, da er sich narrativ zu wiederholen beginnt. Allerdings ist dieser Weg geplant, befindet sich der Regisseur doch auf dem besten Wege, das einmal Erreichte immer weiter zu perfektionieren. „Grand Budapest Hotel“ ist bis dato sein prachtvollster Film, eine unfassbar malerisch wirkende Illusion, die sich mit all ihren schrulligen Charakteren und den Miniaturkosmen von Szenenbildern der Ästhetik eines Stop-Motion-Animationsfilms annähert. Andersons Motivation liegt längst nicht mehr in revolutionären Beweggründen, sondern in der exponentiellen Ausformulierung des bereits Behaupteten. Seine These ist die, dass die Fülle eines Bildes niemals vollkommen sein kann, also nimmt er ein Panorama und setzt noch mehr Details hinein als ins vorherige.

Während die Geschichte nicht nennenswert anders erzählt wird als in einem reinen Mainstreamfilm wie „Wasser für Elefanten“ oder „Life Of Pi“, wird der Fokus weiter auf die Abstraktheit der Darstellung gelegt. Die Entwicklung liegt also darin, dass Anderson zunehmend Inhalt und Form voneinander trennt, bedenkt man, wie antiklimatisch und unfilmisch die Drehbücher seiner ersten Filme waren.

Ein Filmerlebnis wie ein Besuch in einer Miniaturstadt oder in einem englischen Garten also – voller Zierde und kleiner zirkulärer Abläufe, beruhend auf Abbildungen des Lebens, gemischt mit ein wenig Mythik und Historie.
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Anchorman 2
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Betrachtet man den Status Quo der Fernsehlandschaft mit ihren Nachrichten- und Unterhaltungsformaten, die teilweise ein rätselhaft primitives Niveau verfolgen, fragt man sich schon, wie es zu alldem kommen konnte. Die Fortsetzung zur nun schon zehn Jahre alten Kalauerparade „The Anchorman“ spinnt den in den 60ern ausgelegten Faden weiter und schildert die Entwicklung des Fernsehers vom Informationsmedium zum gesellschaftlichen Spiegel. Schlauer werden wir daraus natürlich nicht; im Gegensatz zur durchgeplanter wirkenden Politikerfehde „Die Qual der Wahl“ frönt Will Ferrell wieder der reinsten Anarchie, scheut kein noch so tiefes Anspruchslevel und lässt das Laissez-Faire-Prinzip walten.

Die Qualität dieser Fortsetzung steht und fällt also mit dem Improvisationsvermögen der Darsteller in ihren jeweiligen Szenen und bringt sehr Unterschiedliches zu Tage. Wie gewohnt scheut Ferrell nicht das Risiko, humoristische Bruchlandungen hinzulegen (die Westernparodie „Casa de mi Padre“ war beispielsweise im Gesamten eine), von denen er einige auch diesmal wieder erleidet; im Gegenzug gelingen ihm aufgrund des hohen Spontanitätsfaktors immer wieder Momente, die man so nicht schreiben oder planen kann. In jenen Situationen, in denen die Anlagen der jeweiligen Charaktere erstmalig mit anderen Charakteren konfrontiert werden, explodiert der Gagquotient geradezu – auf einer Ebene selbstverständlich, die knöcheltief angelegt ist, aber wer mal wieder einfach richtig lachen will, kommt in „Anchorman 2“ womöglich sogar noch eher auf seine Kosten als im Original. Andererseits ist das Drehbuch durchzogen von Sprüngen und Zusammenhangslosigkeiten, was sich insofern auf die Gags auswirkt, als dass sie manchmal wie autarke Sketch-Abfolgen wirken, die man problemlos heraus- oder umschneiden könnte, ohne das Gerüst zu beschädigen. Dazu gehört mit Sicherheit auch die Cameo-Parade gegen Ende, die kaum in irgendeiner Weise besonders witzig ist, sondern vielmehr durch die schier unglaubliche Anhäufig an Stars beeindruckt, die ihr kurzes Stelldichein geben. Wenn man einer Maschinenpistole etwas abgewinnen kann, die bei einer Kadenz von 100 Schuss pro Sekunde 20 Volltreffer hinlegt, ist „Anchorman 2“ aufgrund seines wahnwitzigen Humorverständnisses eine ernstzunehmende Option.
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Alexander der Grosse
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Man möchte zwar nicht sagen, dass der junge Richard Burton unter einer blonden Perücke die historische Figur Alexanders des Grossen als eine Art frühen Rockstar anlegt; dazu ist seine Darstellung zu weich und defensiv angelegt, immer zur Rechtfertigung vor dem Volk und sich selbst bereit. Allerdings bricht Robert Rossens zutiefst pathetische Inszenierung griechische Göttervorstellungen auf diese eine Person herunter, die mit „Live Fast, Die Young“-Einstellung durch ihr Leben rast und dabei immerzu den eigenen Ursprüngen zwischen Vater, Mutter und göttlicher Herkunft hinterherjagt.

Mächtige Säulen veranschaulichen derweil als imposante Kulissen die menschliche Schaffenskraft, ziervolle Rüstungen ihre Kunstfertigkeit. Insofern passt das Monumentale des Films hervorragend zu der Gleichung, das Ideal des Menschen dem Göttlichen gegenüberzustellen. Entsprechend viel Zeit wird in schwung- und bildhafte Dialoge gelegt, die allerdings immerzu darum bemüht sind, die Ideologie der griechischen Kriegsherren zu paraphrasieren und in denen sich kaum Entwicklung ablesen lässt, weder bei Alexander (gleichwohl Richard Burton ihn durchaus mit Geschick spielt), noch bei den Griechen im Ganzen oder gar den Persern. Gelegentliche Kriegsszenen, obwohl komparsentechnisch zumindest bemerkenswert, sehen dazwischen vollkommen verloren und unvermittelt aus, beinahe wie stilisierte Kapiteltafeln zwischen den verschiedenen Dialogsequenzen. Insofern besteht der Lohn der Sichtung maßgeblich in monumentalem Blabla.
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Drecksau
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Nach Harvey Keitel bzw. Nicolas Cage, beide jeweils im Original und Remake von „Bad Lieutenant“, darf nun auch James McAvoy einen kaputten Polizisten in seine Vita eintragen, dessen Geisteszustand sich auf dem Bildschirm manifestiert, ohne dass sein Umfeld davon allzu viel bemerken würde, was letztlich in einer selbstzerstörerischen Spirale mündet, die mit bitterschwarz noch zu hell umschrieben ist. In typisch britisch-blasser Grießel-Optik der Trainspotting-Schule darf der schottische Schauspieler im wahrsten Sinne die Sau rauslassen. Regisseur Jon S. Baird nutzt schmuddelige Sets in ausgeblichenen Farben und setzt sie in schnellen Schnitten zusammen, wobei er immer wieder groteske, horrorähnliche Bilder der Figuren in Form von Tieren hineinmontiert, die auf karikaturistische Weise das Wesen des jeweiligen Charakters hervorkehren, wobei die Hauptfigur sich selbst im Spiegel passenderweise stets als Schwein erkennt. Obwohl McAvoys Figur eine fatale Vergangenheit auf den Leib geschrieben wird, ist deren Aufarbeitung nur sekundär von Interesse; in erster Linie lebt „Drecksau“ von dem gesellschaftlichen Possenspiel, denn das scheinheilige, niederträchtige Verhalten der Hauptfigur gegenüber den meisten seiner Mitmenschen ist letztlich als Reaktion auf deren eigene Scheinheiligkeit zu verstehen. Baird meidet damit die Möglichkeit, gesellschaftliches Normempfinden als regulierende Macht über den irregeleiteten Polizisten zu spülen, um ihn auf den rechten Weg zu bringen. Derartiges Konformitätsdenken hat „Drecksau“ glücklicherweise nicht zu bieten, dafür aber einen frei aufspielenden Hauptdarsteller auf einem hochinteressanten, wenn auch mitunter anstrengenden Kamikazetrip mit einer knalligen Schlusspointe – und einem herzallerliebsten Zeichentrick-Epilog.
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Paranormal Activity – Die Gezeichneten
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Jetzt haben wir den Salat. Der Geist hat’s in da Hood geschafft.
Es ist zwar aller Ehren wert, dass man versucht, über die Mockumentary-Schiene ein paar Milieuklischees zu widerlegen, was streckenweise sogar gelingt. Angesichts der High-End-Küchen, Schlaf- und Wohnzimmer aus der Originalserie wirkt die plötzliche Verlagerung in einen Hispano-Trash-Wohnblock allerdings wie das unverhohlene Resultat einer Marketinganalyse.

Die komplette erste Filmhälfte ist schier überflüssig. Die wenigen Szenen subtrahiert, in denen schon mal zaghaft der Bruja-Hokuspokus angedeutet wird, wird lang und breit das Leben im Viertel geschildert, was das Hausen des Poltergeistes jedoch kaum tangiert. Besser wird es jedoch auch nicht, als man dem Treiben langsam auf die Spur kommt: Hauserkundungen wie bei „V/H/S“, handgeschriebene Bücher nach „Evil Dead“-Blaupause, mit der reinen Wiederholung bekannter Versatzstücke schießt sich der Film selbst ins Aus, obwohl er als fünfter Ableger einer sowieso schon über dem Zenit weilenden Reihe, die allenfalls einen relevanten Genrebeitrag hervorgebracht hat, diesbezüglich ohnehin schon unter besonderer Beobachtung steht.

Die Markenzeichen der Franchise indes werden weitestgehend gekappt. Installierte Hauskameras gibt’s schon alleine wegen der Schauplatzverlagerung nicht mehr. Ein direkter Vorteil ist das jedoch nicht, denn mit der Beschränkung auf die Handkamera wird man endgültig in ein Gebiet gezwängt, das seit Jahren überlaufen ist.
Immerhin wird in der letzten Szene eine beachtenswerte Plansequenz gestemmt, bei der die Steadycam temporeich durch ein belagertes Haus geführt wird und dabei allerhand Effekte und Tricks vor der Linse explodieren. Ein letztes, einsames Highlight einer Reihe, die man so langsam wirklich beerdigen sollte. Der paranormalen Wesenheit sei dennoch eine weitere nordamerikanische Adresse empfohlen: Die Kanadier, die schließen ja angeblich nicht mal ihre Haustüren ab…
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Arrested Development – Season 1 – 3
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Verzweiflung und Resignation sind wahrscheinlich die beiden Gesichtsausdrücke, die Jason Bateman vor dem Casting zu “Arrested Development“ am meisten hat proben müssen. Schließlich haben Ron Howard und Mitchell Hurwitz um ihn herum eine Familie aus Querulanten geschrieben, die dem Familienfrieden das eigene Ego jederzeit vorziehen und Hauptfigur Michael Bluth damit vor enorme Probleme stellen. Bateman funktioniert hervorragend als bemühtes, im Endeffekt aber stets schulterzuckendes Bindeglied zum Zuschauer, der das metaphorische Bluth-Schiff im Laufe der ursprünglichen drei Fox-Staffeln stetig sinken sieht. Das ist den teils kongenialen Nebendarstellern zu verdanken, darunter ein noch sehr junger Michael Cera, der von der unorthodoxen Familienstruktur nachhaltig geschädigt zu werden droht, Will Arnett, dessen Magierauftritte zu den komischsten Momenten der Serie gehören, oder David Cross, der die spektakulärsten Macken vor der Kamera ausleben darf. Gemeinsam haben alle Charaktere eine grundlegende Unzufriedenheit mit sich selbst, die sie zur Weiterentwicklung drängt, welche ihnen ironischerweise aber nicht vergönnt ist, weil sie sich dabei alle selbst im Weg stehen.

Obwohl die Plots – so sagt es schon der Name der Serie – kaum fortlaufende Handlungsbögen beinhalten, sondern im „Simpsons“-Stil mit jeder neuen Folge zum Status Quo zurückkehren, so ist dies also lediglich dem Unvermögen der Figuren zuzuschreiben, die Entwicklung tatsächlich zu vollziehen. Dieser Umstand spiegelt sich sogar im Format wieder, wenn der in anderen Serien oft obligatorische Ausblick auf die nächste Episode in diesem Fall Szenen zeigt, die tatsächlich später gar nicht mehr aufgegriffen werden, sondern vielmehr imaginäre Fortführungen von Handlungssträngen darstellen, die in der aktuellen Episode verfolgt wurden.

Dieses Konzept ist auf dem Comedy-Sektor durchaus als Alleinstellungsmerkmal zu verstehen. Die quasidokumentarische Inszenierung ist zwar bereits von „30 Rock“ & Co. bekannt, aber die Geschichten von „Arrested Development“, passenderweise von einem ironischen Off-Kommentar aus dem Munde von Serienmitschöpfer Ron Howard begleitet, werden als ein großes Scheitern von außen beurteilt. Die darin mitschwingende Distanz zum Geschehen ist in dieser Form vergleichs- und konkurrenzlos.

Eingeladene Gäste passen sich dem höchst eigenwilligen Humor der Serie scheinbar problemlos an und bieten ebenfalls denkwürdige Auftritte. Julia Louis-Dreyfus etwa hinterlässt als Blindheit vortäuschende Anwältin bleibenden Eindruck, ebenso wie Charlize Theron als zurückgebliebenes Dummchen. Scott Baio indes schindet schon alleine durch seinen prägnanten Rollennamen Eindruck: Seine Anwaltsfigur heißt tatsächlich Bob Loblaw (sprich: „Bablabla“), und wenn jene Figur dann auch noch einen Blog betreibt (den Bob Loblaw Law Blog, sprich: „Bablablablablog“), entspricht das in etwa dem Ton, der in „Arrested Development“ an der Tagesordnung ist. Gerne auch in musikalischer Begleitung von „Final Countdown“.

Ein solches Konzept kann sich schnell zu Tode reiten oder auch nie, je nach Sichtweise. Fox war nach Analyse der Zuschauerzahlen der Meinung, nach drei Staffeln den Stecker ziehen zu müssen. Inzwischen ist über Netflix bereits eine vierte Staffel nachgedreht und sogar eine fünfte bestellt worden. Neue Entwicklungen sind sicher auch hier nicht zu erwarten; wohl aber noch mehr von dem speziellen Nonsens, der das Chaos wie durch eine Abfolge von fallenden Dominosteinen auslöst. Status Quo hin oder her – nach dem um einen runden Abschluss bemühten Finale der dritten Staffel ist man immer noch daran interessiert, wie es mit Familie Bluth weitergeht.
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Weitere Sichtungen:
The Equalizer
The Devil’s Pass

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Beitrag von StS » 18.10.2014, 13:21

Vince hat geschrieben: True Detective - Season 1
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Volle Zustimmung. Großes Kino im TV.

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Beitrag von Vince » 21.10.2014, 15:19

Aussergewöhnliche Geschichten
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Drei Regisseure mit ihrerzeit bemerkenswerten Handschriften versuchten sich 1968 im Episodenfilm „Außergewöhnliche Geschichten“ daran, die Schwarze Romantik Edgar Allen Poes in Umsetzungen dreier seiner Kurgeschichten auf ihre Weise wiederzugeben: Roger Vadim („Barbarella“), Louis Malle („Fahrstuhl zum Schafott“) und Frederico Fellini („Achteinhalb“). Angenommen, die Regisseure hatten keine Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen, fällt das Ergebnis verblüffend aus: Vadim und Malle zeigen sich gegenüber Poes Stoffen ehrfürchtig, während Fellini völlig vogelwild agiert und eine wahnwitzige, abwegige und doch völlig brillante Psycho-Mediensatire abliefert, die lediglich den Kern in Poes Schaffen bewahrt, in Sachen Stimmung und Gestaltung jedoch eine totale Abkehr von den klassischen Motiven darstellt.

Vadim hatte gerade erst den psychedelischen Kostümfetisch-Kunstfilm „Barbarella“ fertiggestellt und übernahm seine Hauptdarstellerin Jane Fonda kurzum auch für die Hauptrolle der Eröffnungsepisode „Metzgerstein“, in der sie eine junge Gräfin mit Macht spielen soll, der ihr egozentrischer Lebensstil zum Verhängnis wird. Die Motive der Schwarzen Romantik sind offensichtlich: Ein Schloss als traditionelles Setpiece, Weichfilteroptik, die selbst am helllichten Tage eine Traumhaftigkeit der Handlung behauptet, ein rätselhaftes Pferd, das sich in einem zerstörten Wandteppich wiederspiegelt und eine Herrscherin, die von ihren eigenen Untaten verfolgt wird. Vadim kann der Allmacht der Poe’schen Bildsprache, die sich selbst durch fremde Hand auf fremdem Medium realisiert noch durchsetzt, allenfalls die ausgefallene Garderobe Fondas entgegensetzen, die wie schon in „Barbarella“ allerhand ausgefallener, stets luftig-leichter Kostüme schautragen und damit Erotik knistern lassen darf. Für sich genommen erfährt „Metzgerstein“ eine durchaus adäquate Umsetzung, die allerdings lediglich von den bitteren Subtexten (in Form des filmübergreifenden Off-Kommentars von Vincent Price) lebt, in denen sich das Schuldbewusstsein der Protagonistin manifestiert.

Kaum anders verfährt Malle, als er die Episode „William Wilson“ inszeniert. Die Kirche in Bergamo, deren Vorplatz und der Universitätssaal, in dem eine Sezierung an einem (übrigens dank des neuen Mediums Blu-Ray deutlich sichtbar atmenden) Toten stattfindet, verströmt gotische Atmosphäre, die Optik ist ähnlich weich und damit unwirklich wie bei Vadim und das Doppelgängerthema ist ohnehin ein typisches Motiv bei Poe und seinen Gleichgesinnten. Trotz des engagierten Alain Delon, des atmosphärischen Sets und manch interessanter Kamerafahrt bzw. Schnitt (etwa die gehetzte Egoperspektive im Parallelschnitt mit dem Fall vom Kirchturm gleich zu Beginn) muss man die Brückenepisode möglicherweise als schwächsten Beitrag der Geschichtensammlung betrachten, weil Malle gerade im Mittelteil die Zügel aus der Hand gleiten, als er Schwierigkeiten bekommt, die surreale Montage zu einem zufrieden stellenden Ende zu verknüpfen.

Dann ist Fellini an der Reihe, und er liefert das einzige, dafür aber bedingungslose Must See, einen höllischen Fiebertraum aus der Perspektive eines dem Alkohol anheim gefallenen Filmstars, der (das vom Regisseur ja bereits ausgiebig erkundete) Rom besucht, um dort sein Ende zu finden. Eigentlich war Fellini lediglich ersatzweise eingesprungen für Orson Welles, doch gerade er löst sich spektakulär von der kolportierten Stimmung klassischer Poe-Romane. Dem Sinn des Projektes wird er damit am meisten gerecht, geht es doch darum, jeweils eigene Interpretationen der Kurzgeschichten zu finden; anderenfalls hätte man einen beliebigen Handwerker auf den Regiestuhl bitten können. Terence Stamp bietet als alkoholkranker Ex-Shakespeare-Darsteller und Titelfigur „Toby Dammit“ eine nicht anders als metamorphotisch zu bezeichnende Leistung, die aus heutiger Sicht irgendwo zwischen Rutger Hauer, Rhys Ifans, Christopher Walken und Klaus Kinski angesiedelt ist – reiner Wahnsinn also. Der Regisseur lässt die Kulissen und die gesamte Peripherie dazu aus dem Blickwinkel Stamps verschwimmen. Statisten bestehen zum Teil aus Puppen oder ihre Gesichter sind reine Fotografien, ganz so wie David Lynchs es für einige Passagen aus „Inland Empire“ übernommen hat. Paparazzi erscheinen als bösartige Blitzlichter, gerade die Ankunft am Flughafen ist in ein bedrohliches Rot getaucht, das als Visualisierung der Vorhölle dienlich ist. Es ist beeindruckend, was Fellini alleine aus den Farbkompositionen herausholt, schließlich hatte er zuvor mit „Julia und die Geister“ (1965) erst einen Farbfilm gedreht. Nicht zuletzt verfügt das Abschlusskapitel über eine der beeindruckendesten Teufelsdarstellungen, die man bis dato im Film sehen konnte: Marina Yaru, die nie wieder in anderen Filmen in Erscheinung getreten ist, starrt unfassbar gruselig durch ihr blondes Haar in die Kamera, während sie – heute längst ein Klischee – ein weißes Kleid trägt und einen Ball in der Hand hält. Dass sie vom Schauspieler, den sie heimsucht, vor der Presse auch noch als „freundlich“ beschrieben wird, macht ihre Erscheinung noch verstörender.

Trotz der umwälzenden Inszenierung bleibt der Regisseur jedoch durchaus beim Thema, da der Kern seiner Geschichte das Innenleben des Protagonisten ist, der längst abgeschieden von der Umwelt agiert und die gleichen Urängste der Einsamkeit auslöst, wie Poe sie in allerlei Facetten immer wieder beschrieb.

Als Gesamtwerk ist „Außergewöhnliche Geschichten“ vielleicht zu unentschlossen zwischen Vorlagentreue und der Umsetzung eigener Visionen, zumal die dritte Episode stilistisch nicht mit den ersten beiden zu vereinbaren ist, doch selbst jene schwächeren, weil zu konservativen Beiträge haben ihren Reiz, den das Grande Finale Fellinis nur eben völlig vergessen macht.
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Die Legende der Weissen Schlange
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Kampfkunstdarstellungen in größeren chinesischen Produktionen nähern sich bei der exzessiven Verwendung von Wirework und computergenerierten Bildern ohnehin immer mehr der Fantasy an, in der x-ten Verfilmung der chinesischen Legende um die weiße Schlange werden diese Mittel immerhin mal wieder themengerecht angewandt. Zwei nymphenhafte Schlangenwesen stehen im Mittelpunkt der romantisch angelegten Handlung, als Schmuck gibt es drumherum allerhand Gestaltwandler und Dämonen, etwa solche in Form von Fledermäusen oder einer ganzen Familie aus Kleingetier, deren kunterbunte Mischung an so manche Wegbegleiter aus den „Alice im Wunderland“-Verfilmungen erinnert. Ching Siu-Tung generiert teils traumhafte Impressionen von Fluss- und Seelandschaften in den Farben eines Tageslichtwechseln, kann dabei aber zu keinem Zeitpunkt die geheimnisvolle Mystik rekonstruieren, die seinen „A Chinese Ghost Story“-Filmen zu eigen war, obwohl der Stoff es hergäbe. Eine Teilschuld daran tragen Computereffekte, die so glatt und unfertig wirken, dass sie jede Fantasie im Keim ersticken. Das betrifft auch die Liebesgeschichte, bei der man zwar an die traditionelle Vorlage gebunden war, deren Interpretation sich jedoch in Liebesfilmklischees erschöpft, durch welche die 100 Minuten Laufzeit mitunter zur Tortur werden. Jet Li ist in einer Nebenrolle zu sehen, für die es keinen Jet Li bedarft hätte, andere Darsteller jedoch hinterlassen auch keinen größeren Eindruck. Sehenswert allein wegen der schönen Farbkompositionen; in fast allen anderen Disziplinen bleibt „Die Legende der Weissen Schlange“ auslassenswert.
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King Of New York
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Walkens großer Auftritt. Ferraras selektiver Blick auf ein düsteres, dreckiges New York. Obwohl die nur 90-minütige Handlung so reduziert erscheint, die Großstadt scheinbar von einigen wenigen Gangstergruppen vollständig gelenkt wird und andere Milieus und Gesellschaftsschichten gar nicht zu existieren scheinen, ja obwohl die Erzählung erst dann einsetzt, als der große weiße Hai wieder ins Fischbecken eingelassen wird, ist „King Of New York“ ein enorm spektrenreicher Film. Die größte Faszination geht von dem Wechselspiel aus Handelspolitik und Personenkult aus, der Christopher Walken mit einer expressiven Darstellung begegnet. Als er mit seiner ungeheuren Präsenz in seiner geliebten Stadt ankommt, die Ferrara vornehmlich bei Nacht und oft in grelle Neonbeleuchtung getaucht einfängt, hat man das Gefühl, eine Uhr habe mit seiner Ankunft erst wieder zu schlagen begonnen. Die Auswirkungen seines von den eigenen Idealen besessenen Handeln schlagen spürbar weite Kreise, zuverlässig nach außen getragen durch den hochwertigen Nebencast um Laurence Fishburne, Wesley Snipes, David Caruso und Steve Buscemi. Eine packende Gangsterballade, trotz gelegentlicher dramaturgischer Schwächen.
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Alle Mörder sind schon da
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Obwohl eigentlich eine Verfilmung des Brettspiels „Cluedo“, sieht Jonathan Lynns Krimikomödie aus wie eine Neuauflage von „Eine Leiche zum Dessert“. Nicht nur Ablauf und Tempo orientieren sich an dem Klassiker mit Peter Falk und Alec Guiness, auch das Haus mitsamt seiner Räumlichkeiten weist eine unglaubliche Ähnlichkeit auf. Doch gute Rezepte soll man ja öfter nachkochen, und so bekommt man einen äußerst vielversprechenden Beginn. Ausgefallene Kameraperspektiven gewähren interessante Einblicke nicht nur in die hübsch ausstaffierten Räumlichkeiten, sondern gerne auch immer wieder in das auffällig weit ausgeschnittene Dekolleté Colleen Camps, die als Bedienung wie ein roter Hering von einem Raum in den anderen stakst und von der man selbstverständlich genau weiß, dass sie in der ein oder anderen Weise auf die falsche Fährte locken soll. Tim Curry erweist sich derweil als der perfekte Tourguide und zieht mit gewohntem Haifischgrinsen langsam die Fäden zwischen den Hausgästen.

Nachdem jedoch der erste Mord geschehen ist, verliert Jonathan Lynn langsam einige Zügel aus der Hand. Curry dreht zwar erst jetzt als von A nach B hastendes, Schlüsse ziehendes Stehaufmännchen so richtig auf und hat mit Sicherheit so manchen Lacher auf seiner Seite, ansonsten lässt der Plot Federn, wenn es darum geht, rätselhafte Andeutungen und Mystery-Puzzles in einen schlüssigen Kontext zu setzen. Entsprechend fällt auch der Aha-Effekt der drei verschiedenen Auflösungen aus, insbesondere in der DVD- bzw. TV-Fassung, in der sie alle zusammenmontiert werden und erst recht Schulterzucken auslösen.
Dennoch profitiert auch „Alle Mörder sind schon da“ von der zeitlosen Grundprämisse und dem stimmungsvollen Herrenhaus-Ambiente bei Blitz und Donner.
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Blau ist eine warme Farbe
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Keine Aussage über Homosexualität wolle Regisseur Abdellatif Kechiche mit seiner Adaption des französischen Comics „Blau ist eine warme Farbe“ treffen, sondern stattdessen einen universellen Film über Liebe und damit eingehende Emotionen wie Sehnsucht, Hass, Verlangen, Glück oder Trauer gedreht haben. Dies ist ihm trotz insgesamt ansprechender Regie nicht im gleichen Maße gelungen wie etwa einem Ang Lee mit „Brokeback Mountain“, wobei schwer zu definieren ist, ob die Vorlage Ursache dafür ist oder die Inszenierung. Tatsächlich zeichnet sich die Geschichte dadurch aus, dass sie versucht, das aufwühlende Schicksal der beiden Hauptfiguren allgemeingültig zu erzählen, schwankt aber immer wieder zwischen der offensichtlichen Hinwendung zu rein lesbischen Themen und universell nachvollziehbaren Situationen, die jedoch nicht selten mit Klischees ausgekleidet werden. So finden zwei, drei recht explizite Sexszenen in den Film, die tatsächlich in erster Linie wie ein „how to do“ für lesbischen Sex anmuten, anstatt die Unsicherheit und das Erkunden seitens der unerfahreneren Adèle in den Vordergrund zu stellen. Wenn hingegen Szenen eines Lebens geschildert werden, in denen die Vorstellung der eigenen Eltern oder des Freundeskreises ansteht, gelingt es dem Regisseur etwas besser, die spezifische Problematik zwischen diesen beiden Menschen in einen generellen Kontext zu setzen, wobei in der Beichte einer Affäre gegen Ende zum ersten Mal wirklich der Punkt erreicht ist, an dem man sich vollständig mit den Figuren identifizieren kann, gleichwohl Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos sie bemerkenswert natürlich darstellen.

Dass die offenere Emma selbstverständlich aus einem intellektuellen, freigeistigen Umfeld kommt, während die unsichere Adèle eher der Arbeiterklasse angehört und Homosexualität ebenso wenig Platz findet in der Ideologie ihrer Eltern wie das Arbeiten in künstlerischen Berufen, erscheint allzu offensichtlich kategorisiert, was seinen Beitrag dazu leisten mag, dass es lange dauert, bis man die Liebesgeschichte wirklich nachfühlen kann. Spaghetti mit Tomatensoße auf der einen und Miesmuscheln auf der anderen Seite werden so zum Sinnbild für eine kategorische Klassentrennung, die den Film die eigens postulierte Authentizität wieder zum Teil verlieren lässt.

Sonst allerdings ist dieser Adaption kein Vorwurf zu machen; selbst 180 Minuten werden spielend gefüllt, tatsächlich hätte der ein oder andere Handlungsstrang sogar noch weiter ausgebaut werden können (etwa das Verhältnis zwischen Emma und Adèles Eltern). „Blau ist eine warme Farbe“ lebt neben der Präsenz der Hauptdarstellerinnen auch von seiner klaren Optik und all den Close-Ups, die für eine gleichermaßen diskrete wie auch sinnliche Intimität sorgen.
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Lilyhammer – Season 1
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In der norwegisch-amerikanischen Koproduktion nimmt Steven Van Zandt wieder den Rollentypus auf, der ihm in sechs Staffeln „Sopranos“ so gut stand wie ein maßgeschneiderter Anzug. Dass sich Van Zandt also grundsätzlich für den Mafioso eignen würde, den es auf der Flucht vor seinen Geschäften nach Norwegen verschlägt, stand keineswegs in Frage, wohl allerdings, ob er auch eine Hauptrolle würde stemmen können.

Aber er kann. Seine dominante, einnehmende, dabei aber auch brummig-sympathische Art bestimmt den gesamten Ton der achtteiligen ersten Staffel. Er ist das Epizentrum, über das jegliche Handlung laufen muss, bevor sie abgesegnet wird. Der Vergleich zu einem Film (bzw. neuerdings auch einer Serie) wie „Fargo“, der aufgrund der kargen Schneelandschaft aufkommen könnte, erübrigt sich dadurch auch schnell. Zwar bietet „Lilyhammer“ eine Menge schräger Vögel auf und zeigt eine vom norwegischen Königshaus geprägte Kultur, die gerade aus amerikanischer Sicht befremdlich wirken muss, jedoch kann diese Kultur ihre Manierismen langfristig nicht durchsetzen, sondern wird, und darin schwingt eine Menge amerikanische Arroganz mit, von nur einem Exoten auf dem eigenen Grund durch den Melting Pot gejagt. In einem gar nicht so langsamen Handlungsablauf (schon in der ersten Episode bringt Frank Tagliano die Reise von New York nach Lillehammer hinter sich und macht sich bereits erste Freunde und Feinde) diktiert die Hauptfigur der ihr fremden Umgebung das eigene Tempo auf, und das ist von zielstrebigem Aktivismus geprägt. Vermeintliche Hürden des norwegischen Alltags, etwa der komplizierte Ablauf bei der Arbeitssuche oder der Monate beanspruchende Führerschein, sind schnell aus dem Weg geräumt, und es dauert nicht lange, da hat Tagliano seinen amerikanischen Status Quo wiederhergestellt und betreibt eine Szenebar.

Diese Ausrichtung sorgt für einen eher oberflächlich-unterhaltsamen Ansatz, allerdings fällt dieser wiederum aufgrund des prägnanten Hauptdarstellers, der traumhaften Originaldrehorte und der authentischen Nebendarsteller äußerst hochwertig aus. Der Vorspann alleine, ein typisch amerikanischer Soundtrack, der sich plötzlich, jeweils passend bebildert, in norwegische Folklore verwandelt, funktioniert wie ein Tunnel in eine weiße Idylle. Dass diese Idylle bedroht werden muss, möchte die Serie ihre Spannung bewahren, wird natürlich immer wieder Einreisen früherer Bekannter Franks aus den USA erfordern. Es bleibt noch fraglich, wie lange sich dieses Konzept halten kann; für den Moment stimmt der Unterhaltungswert trotz überhasteter, die ruhige Landschaft konterkarierender Ereignisse jedoch unbedingt.
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Treme – Season 1
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War die ultrarealistische Polizeiserie „The Wire“ noch eine gesellschaftsschichtübergreifende Baltimore-Studie, widmet sich deren Schöpfer David Simon in seinem Nachfolgeprojekt sowohl einer anderen Region, als er auch einen anderen Umfang seines Betrachtungsgegenstands wählt. „Treme“ befasst sich mit verschiedenen Gruppen von Musikern aus dem New-Orleans-Stadtteil Treme und beleuchtet das dortige, vom Wiederaufbau geprägte Leben nach dem Hurrikan Katrina.

Wieder meidet Simon dramaturgische Kniffe und ist stattdessen innerhalb des von ihm gewählten Kosmos an einem umfassenden Soziogramm interessiert, was ihn erneut zu einem konkurrenzlos authentischen, fast völlig klischeefreien Konzept führt. Die Handlung scheint wie aus dem Alltag gegriffen, was umso mehr auffällt, als dass nicht etwa Drogenschmuggel oder Abhöraktionen thematisiert werden, sondern die Vorbereitungen von Gigs, das Nachtleben oder allenfalls kleinere Konflikte mit der Polizei.

Für „Treme“ konnten wieder einige „The Wire“-Stars gewonnen werden, etwa Clarke Peters, Steve Earle oder Wendell Pierce, die völlig andere Rollen spielen; insbesondere Letzterer hinterlässt als Posauner viel Eindruck. Hinzu gesellt sich ein Kaliber wie John Goodman, der als fluchender Schriftsteller alle Markenzeichen aufgreift, die ihn groß gemacht haben, und ein überragender Steve Zahn, der wohl die Hauptrolle hätte, gäbe es so etwas bei David Simon. Unbekanntere Nebendarsteller wie Lucia Micarelli und Michiel Huisman, die ein Straßenmusikerpärchen spielen, veredeln den Cast ebenso wie ein riesiges Aufgebot an Gastmusikern.

Überhaupt ist „Treme“ für Jazzfreunde eine Oase, denn abgesehen vom intensiven New-Orleans-Flair bietet jede der meist einstündigen Episoden (nur die erste und letzte ist mit jeweils rund 80 Minuten etwas länger) ausschweifende Gigs mit großartiger Musik – was im Umkehrschluss natürlich bedeutet, dass man Jazz schon mögen sollte, wenn man sich für diese Serie interessiert.

Was nach einer Staffel eine höhere Wertung kostet, sind zu einseitige, zu verklärte Reaktionen auf die zweifellos schwierigen Lebensumstände. Die Liebe zu New Orleans ist stark, das wird in jeder Szene und vor allem von jedem einzelnen Charakter, ja von der gesamten Bevölkerung Tremes bei jeder Gelegenheit ausgedrückt. Ob Goodman nun angesichts der US-Politik im Umgang mit der Katrina-Katastrophe bei Youtube mit Schimpfwörtern um sich wirft, ob die Oberflächlichkeit des Südstaatentourismus betont wird, ob Mardi Gras den gesamten Stadtteil zum Feiern mobilisiert und keinerlei Ausnahmen zeigt – im Resultat wird niemals auch nur der geringste Zweifel offengelegt, dass die Liebe zu New Orleans bedingungslos ist.

„Treme“ ist letztlich ein Pamphlet für die Kunst und die Herausbildung einer eigenen Identität, insofern widmet sich Simon also wichtigen, seltenen und erhaltenswerten Themen. Allerdings hätte man gut daran getan, den Blick auf das Musikerviertel etwas kritischer und distanzierter zu betrachten; so bleibt trotz der herausragenden Grundqualität auf allen Ebenen ein schaler Nachgeschmack.
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The Amazing Spider-Man 2

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Beitrag von gelini71 » 21.10.2014, 19:01

"Lillyhammer" sehe ich ähnlich, ist halt eine nette Feierabend-Unterhaltungsserie. Staffel 2 ist ungefähr gleich gut, da gibt es in der letzten Folge einige nette "Sopranos" Zitate
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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McClane
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Beitrag von McClane » 22.10.2014, 07:15

Schön, dass "Arrested Development" dann schließlich doch noch bei dir gezündet hat. Ich hab mich neulich noch mit nem Kumpel unterhalten, der auch noch darauf hinwies wie geschickt immer Einzelfäden in jeder Folge ausgelegt und am Ende in der denkbar absurdesten Form zusammengeführt werden - auch ein Kniff, den die Serie fast zur Perfektion treibt.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]

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Beitrag von Vince » 01.11.2014, 10:59

Transcendence
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Christopher Nolans Kameramann Wally Pfister belebt das Bild vom Schuster und seinen Leisten neu - ein Regiedebüt hinlegend, das wegen seiner hochinteressanten Prämisse gerade noch einen Wert beibehält, der von der uninspirierten Inszenierung eingerissen zu werden droht. Offensichtliche Ratlosigkeit bestimmt den Handlungsablauf und die Themenfokussierung, wobei die Zusammenarbeit mit Nolan Früchte getragen hat, denn so gut „Transcendence“ aussieht mit all seinen Interaktionsmonitoren, Serverfarmen, die im Licht funkeln, und metallisch glänzenden Partikeln, die gen Ende durch die Luft wirbeln, so nüchtern, wenn nicht gar unbeteiligt, fällt der Erzählton aus. Das in der Breite fast schon spektakuläre Darstellerensemble verliert vor der Kamera seinen vielversprechenden Glanz, denn Pfisters trockenem Ton widerstehen sie alle nicht – insbesondere nicht Johnny Depp, der sich hier wohl kaum das geeignete Projekt ausgesucht hat, um sein Tief zu verlassen, das sich seit den ersten Fortsetzungen zu „Fluch der Karibik“ immer weiter streckt.
Von einem dem Wesen nach wirklich schlechten Film zu sprechen ist nicht einmal angemessen, vielmehr resultiert etwaige Enttäuschung aus der reizvollen Ausgangskonstellation, so dass man aus der Hüfte zu einer neuen Erfindung aufrufen möchte: Instant-Remake.
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Der Tag bricht an
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Ein Mann stolpert blutend aus der Wohnung eines anderen Mannes ins Treppenhaus, fällt die Stufen hinab und erliegt seinen Verletzungen. Das zu Anfang noch rätselhafte, klassisch arrangierte Kriminalereignis nutzt Marcel Carné als Aufhänger für eine sorgsame, gleichwohl jederzeit depressiv angelegte Rückblendenerzählung, die aufdeckt, wie es zu der Tat kommen konnte. Die nächtliche Inszenierung und die ausweglose Grundkonstellation des erzählerischen Rahmens lässt die Rückblenden, zunächst ausgeschmückt wie bei einem Romantikfilm, in einem wesentlich dunkleren Licht erscheinen als sie zu sein vorgeben. Mit jedem Puzzleteil ergibt sich eine moralisch zunehmend komplexer werdende Vorgeschichte. Die Zeit verfliegt, während Carné die Kausalitäten zurückverfolgt; das Hier und Jetzt, in dem sich Jean Gabin in seinem Apartment verbarrikadiert und dem ungeliebten Publikum auf dem anliegenden Platz seine Verzweiflung entgegenschreit, vergeht im direkten Vergleich wie in Zeitlupe. Der Filmtitel wird so zur Metapher für den nahenden Tod, der Tageszeitwechsel, der den markanten Schauplatz mit jeder Minute in ein neues Licht taucht, betont die Irreversibilität der Handlungen und unterstreicht umso mehr deren Hoffnungslosigkeit. Insofern ein zutiefst ikonischer Vertreter des Poetischen Realismus mit besonderer narrativer Dichte und Sorgfalt.
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Rigor Mortis
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Stilvoller Bilderrausch mit ausgefallenen Kameraperspektiven, sättigenden Spezialeffekten und dem Anspruch, die Klischee-Verkrustungen des Vampirfilms so flächendeckend wie irgend möglich aufzuklopfen. Ähnlich „Durst“ entpuppen sich die Relikte vampirischer Symptome als Mutationen oder Weiterentwicklungen der Klassiker um Knoblauch und Fangzähne. In der Sorgfalt um die visuelle Komposition schrumpft allerdings auch der Gruselfaktor proportional; aussterbende Relikte des 00er-Japanohorrors um „The Grudge“ (dessen Macher auch mitproduzierte) vollziehen ein paar letzte Zuckungen, allenfalls lässt sich der kalte Hauch eines Abstraktionskünstlers wie Shinya Tsukamoto („Tetsuo“, „Nightmare Detective“) noch erahnen, davon abgesehen jedoch fristet der Blutdruck binnen 100 Minuten ein recht ebenmäßiges Dasein.
Überraschend fällt das durch die VFX verknüpfte Mr.-Vampire-Tribut allenfalls in Bezug auf den Regisseur aus – dieser ist nämlich Debütant auf seinem Gebiet und eigentlich Canto-Pop-Sänger. Bei solchem Labeling würde man kaum ein so hohes Maß an Experimentiervermögen erwarten, selbst wenn „Rigor Mortis“ am Ende doch einen weniger avantgardistischen Effekt ausübt als seine Verpackung zunächst verspricht.
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Rumble Fish
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Der Kontrast zum gerade erst abgedrehten „The Outsiders“ ist markerschütternd. Widmete sich Coppola hier noch mit nostalgischem Gemüt dem dem Jugendfilm der 50er Jahre und sperrte melancholische Erinnerungen in einen farbträchtigen Rahmen, der als statische Impression besser funktionierte als auf emotionaler Ebene, geht der gleiche Regisseur mit „Rumble Fish“ dasselbe Thema von völlig anderer Warte an und endlich mit seinem Betrachtungsgegenstand auf Tuchfühlung. Das jugendliche, nach Orientierung suchende Gesicht Matt Dillons kommt in Nahen und Halbnahen stark zur Geltung und macht ihn viel präsenter als in seiner „Outsiders“-Nebenrolle; selbiges lässt sich auch über viele Nebendarsteller berichten, allen voran natürlich Mickey Rourke, Diane Lane und Dennis Hopper, aber auch Laurence Fishburne, Tom Waits oder Coppola-Neffe Nicolas Cage in einem seiner ersten Auftritte.
Den Panoramen weichen symbolimmanente Aufnahmen von vorbeiziehenden Wolken oder Uhren ohne Zeiger, die den ungreifbaren Zeitfluß veranschaulichen und die Veränderungen des Milieus, die in vielen Dialogen angedeutet werden („Gäbe es heute noch richtige Gangs, wäre ich der Anführer“). Das eindrückliche Schwarzweiß verstärkt die Authentizität des Films, seinen Mittendrin-Charakter und den zu „Outsiders“ entgegengesetzten Avantgarde- und Independent-Charakter, der nur in einigen wenigen Szenen bewusst aufgebrochen wird, etwa wenn die Kamera auf geradem Weg Matt Dillon folgt, wie er in ausgefallener Choreografie tänzelnd Diane Lane auf dem Nachhauseweg folgt. Die titelgebenden siamesischen Kampffische sind die einzigen eingefärbten Elemente im Film, was den symbolischen Charakter von „Rumble Fish“ auf die Spitze treibt und möglicherweise allzu stark auf bildhafte Interpretation drängt, was seiner expressiven Kraft jedoch nichts mehr anhaben kann.
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Der Medicus
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Eine gigantomane, weit ausholende Buchverfilmung, deren nur mäßig gelungener und vor allem bei der historischen Zuordnung oft schlampiger Bildungsanspruch zwar beachtet, aber nicht überbewertet werden sollte. Dank der opulenten Ausstattung und des epischen Erzählzeitraums eignet sich die Adaption von Philipp Stölzl immerhin endlich mal wieder für einen brauchbaren Monumentalfilm im orientalischen Ambiente. Kostüme, Soundtrack und Spannungsmechanismen lassen ohnehin eher den Eindruck oberflächlicher Unterhaltung aufkeimen, weniger einen solchen trockener Wissensvermittlung. Die frühe Erkundung der Medizin und ihr Konflikt mit der Religion werden auf reinste Abenteuerspannung heruntergebrochen, insofern auch die Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Religion und Wissenschaft gegenüber heutigen Verhältnissen betont wird. Stellan Skarsgard und Ben Kingsley spielen ihre standardisierten Rollen markant wie eh und je, Tom Payne gibt ein akzeptables, eher unauffälliges Hauptrollendebüt, auch weil er von der Opulenz der Kulisse praktisch erschlagen wird.
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Lilyhammer – Season 2
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Van Zandt ist sozusagen endgültig in der Serie angekommen. Diese würfelt weiter mit Nebendarstellern umher, schickt einige über den Jordan, andere einfach aus dem Bild, auf dass sie vielleicht später nochmal eine Rolle spielen mögen. Vielleicht auch nicht. Mögen sich die Gegebenheiten um ihn herum auch ändern, der Hauptdarsteller passt sich nicht an, macht sein Ding, bleibt stur der Fels in der Brandung. In seinen Manierismen lebt er auf, trägt seine tief hängenden Mundwinkel fast stolz zur Schau und bringt sämtliche Mafia-Oberhäupter der Filmgeschichte, inklusive seines ehemaligen Serienkollegen James Gandolfini, nicht nur in offensichtlichen Momenten der Parodie treffgenau auf den Punkt. Geschenkt die Gefahr, zur Karikatur zu verkommen: Über das norwegische Eis wackelt er unbekümmert wie der Pinguin, den Danny DeVito einst unter Tim Burton in Gotham City die Fäden ziehen ließ, rottet hinter sich vorwiegend loyale, dumme Weggefährten zusammen, ohne dabei aber die Menschlichkeit außen vor zu lassen, was vor allem aufs Konto Trond Faunas geht, der den Kleinganoven mit Herz hinter Van Zandt ungemein sympathisch anlegt.
Gegen Ende deutet die zweite Staffel an, schon früh die New-York-Karte ausspielen und eine dritte Staffel in den Vereinigten Staaten anpeilen zu wollen, doch letztlich führt der Trip nur zur weiteren Verzahnung einer omnipräsenten US-Millionenmetropole mit einem seit 1994 vergessenen Schneeloch. So wie der NY-Titelsong anfangs von einer norwegischen Band im Flamingo gespielt wird, ertönt der norwegische Part später in New York. Und, Van Zandt sei Dank, am Ende möchte man einfach noch mehr Schnee sehen.
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Beitrag von Vince » 16.11.2014, 13:19

Carrie
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Ohne Brian de Palma an der Hand traut sich Kimberly Peirce nicht auf den Weg. Von der eigentlich so intimen Perspektive des Romans ausgehend wäre ausreichend Platz gewesen, um sich mit der reißerischen 76er-Verfilmung nicht in die Quere zu kommen. Doch auch Peirces Version bittet den Zuschauer in die Rolle des mitleidigen Beobachters von außen, anstatt das komplexe Innenleben der Hauptfigur zu schildern. Und dies geschieht leider nicht ganz auf dem Qualitätslevel de Palmas. Problematisch ist vor allem die Besetzung der Hauptrolle mit Chloë Grace Moretz – an dieser klebt zwar das Siegel des Außenseiters, insofern lässt sich das Casting nachvollziehen, allerdings eher eines solchen der lässigen, imitationswürdigen Art. So stößt sie erwartungsgemäß auf Probleme, wenn sie das eingeschüchterte Mauerblümchen spielen soll. Julianne Moore derweil parodiert sich selbst und gerät ebenso wie Moretz in einen ungewollten Vergleich mit ihrem Pendant. Sollten aufgrund der handwerklich soliden, erst spät mit Effekten protzenden Umsetzung noch Zweifel an der Überflüssigkeit dieses Films bestehen: die 1:1 nachgemachte, völlig pointenfreie letzte Szene räumt sie aus dem Weg.
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The Call
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Amerikanischer geht’s nimmer: Wenn die Kamera uns durch die Notrufzentrale lotst, die von oben betrachtet einem wuselnden Ameisenhaufen gleicht, fühlt man sich in eine Werbedoku versetzt, und zum Abspann erwartet man ein Schild mit der Aufschrift „Danke an all die tapferen TelefonistInnen – ihr rettet Leben!“. Ein wissbegieriger, jedoch äußerst dümmliche Fragen stellender Azubi steht beim Rundgang über seinen zukünftigen Arbeitsplatz ganz im Dienste jenes Zuschauers mit der geringsten Aufmerksamkeitsspanne, Fragen stellend, die sich ohnehin bereits durch den Kontext erschließen, doch muss es eben wenigstens einmal ausgesprochen werden, damit Halle Berry eine pathostrunkene Antwort geben kann.
Der Schlussteil des Films ist nicht minder amerikanisch, jedoch auf eine andere, filmbezogenere Art: Abigail Breslin ist längst vom Opfer zum Final Girl mutiert und bedient alle Klischees des phantastisch angehauchten Terrorkinos, wobei ihr Halle Berrys Telefonistin nur allzu gern behilflich ist - was aus der rationalen Perspektive ihre beruflichen Kompetenzen in Frage stellt. Dazwischen liegt die Verwandlung einer realistischen Ausgangskonstellation in ein eskapistisch verstiegenes Filmkorsett, eine Mutation des Vorstellbaren in die allseits beliebte Rachephantasie, mit der Menschen gemeinhin real empfundenes Leid verarbeiten.
Effektivität lässt Brad Andersons Regiearbeit im Mittelteil nicht vermissen; zumal das Gesicht des Psychopathen nicht etwa versteckt wird, so wie es die Exposition noch andeutet, sondern sein hass- und angstzerfressenes, ansonsten aber kaum personalisiertes Antlitz nur allzu deutlich in die Kamera hält, bekommt der Zuschauer die Projektionsfläche für seine Emotionen auf dem Silbertablett serviert.
Wo der Film rein mechanisch aber funktioniert und die an „Final Call“ (2004) angelegte, dadurch etwas langweilig anmutende Prämisse mit unerwartet hartem Thrill kontert, stellt er sich bei der Zusammensetzung aus Anfangs- und Schlussteil als manipulative Chose heraus, die bald unter „ferner liefen“ abgehakt werden kann.
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Der Butler
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Amerikanische Geschichte im Zeitraffer, erzählt aus der passiven Perspektive des stillen Beobachters. Lee Daniels führt seine Regie mit viel Pathos, welches aber alleine dadurch gedrosselt wird, dass die Regierungsphasen von sieben Präsidenten mitsamt aller gesellschaftlicher Herausbildungen immer nur angerissen und kaum intensiviert werden können. Doch das müssen ohnehin andere Filme leisten; „Der Butler“ konzentriert sich darauf, kausale Zusammenhänge zwischen den einzelnen Perioden zu finden. Während er die amerikanische Geschichte seit den 50er Jahren Revue passieren lässt, arbeitet Daniels einen bemerkenswerten Standpunkt heraus, bei dem die Entscheidungen auf höchster Regierungsebene immer wie Kompromissentscheidungen anmuten, um die stärksten Brandherde zu löschen, wobei der Blick für den Rand stets ausbleibt. Diesen greift der Regisseur nun auf; dass seine Perspektive auf Tuchfühlung mit dem Zentrum der Ereignisse bleibt, jedoch einen leicht abseitigen Blick einnimmt, gehört fraglos zu den größten Stärken seiner Arbeit.
Zeitgleich portraitiert er den Butler-Beruf als feinsinniges und, wie es richtigerweise im Film heißt, subversives Handwerk. Damit wird nicht etwa nur eine Brufsgruppe, sondern zugleich ein ganzer Menschenschlag gewürdigt, der doch sonst eher selten zum Betrachtungsgegenstand von zeitgeschichtlichen Dokumenten gemacht wird. Auf Forest Whitaker ist in einem solchen Zusammenhang natürlich auch immer Verlass. So spielt er den Cecil Gaines mit unnachahmlicher Würde und Tiefe. Letztere kann der Film als Ganzes aufgrund seiner eher oberflächlichen Abhandlung der einzelnen Epochen natürlich nur bedingt aufbringen; dessen ungeachtet und trotz Pathosgefahr ist „Der Butler“ ein äußerst sehenswerter Blick auf fünf von Aktivismus geprägte Dekaden.
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Der unheimliche Gast
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Äußerst stimmungsvoll in Szene gesetzter Haunted-House-Prototyp, der aufgrund der Figurenkonstellation zunächst wie eine verquere Screwball-Komödie beginnt und die Spuren des Humors auch noch hineinträgt in die durchaus unheimlichen Gruselsequenzen. Unidentifizierbares Frauengewimmer, wie von Geisterhand ausgeblasene Kerzen, Licht- und Schattenspiel in den großräumigen Winkeln des Hauses mit Meerblick und Erzählungen von paranormalen Erscheinungen, denen man selbst nicht beiwohnte, können selbst unter Berücksichtigung der inzwischen vergangenen Jahrzehnte immer noch Gänsehaut hervorrufen, wenn man sich nur tief genug in die Handlung hineinversetzt. Ray Milland und Ruth Hussey begegnen den Geschehnissen jedoch mit der lakonisch-lapidaren Skepsis aufgeklärter Großstädter, was die Ereignisse sehr auflockert. Entgegen der sehr guten Schauspiel-, Trick- und Kameraarbeit passt der Soundtrack leider nicht immer ganz ins Bild; manch atmosphärische Einstellung verdirbt er mit der weit ausholenden Geste einer Schmonzette. Da es auch mit die Anschlusslogik nicht immer weit her bestellt ist, bleibt dem „Unheimlichen Gast“ ein echter Klassikerstatus knapp verwahrt. Für einen Geheimtipp reicht es aber unbedingt.
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Rubber
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Eine Meta-Betrachtung des Mediums Film als willkürliche Abfolge von Ereignissen, Bildkompositionen, Kameraeinstellungen und Symbolzuweisungen, getarnt als zynische Horrorgroteske mit erhöhtem Absurditätsfaktor. Eine Gruppe von Darstellern steht ebenso wie eine Gruppe von Zuschauern mit einem Bein in der Filmhandlung, mit dem anderen außerhalb als Betrachter, was eine kritische Reflexion des eigenen Sachverhalts erlaubt und damit auch Tarantinoismen, die anderenfalls aufgesetzt wirken könnten. Auch so erliegt „Rubber“ der unausweichlichen Ironie, seine Funktion als „Film über die Willkür im Film“ könnte viel zwingender sein, würde einer der Charaktere nicht genau jene Funktion in einem direkt an den Zuschauer gerichteten Referat ausführlich erläutern, wenngleich diese Szene zu den besten Momenten des Films gehört. Dann aber gelingt es Quentin Dupieux doch wieder, so viel Beliebigkeit in die Gestalt des killenden Reifens zu legen, dass schon dessen geometrische Form ein schreiender Hinweis darauf ist, dass hier lediglich Form und Funktion semiotisch miteinander zu verknüpfen sind, um primitive Genre-Anforderungen spielend zu erfüllen. Ob der Reifen nun vorwärts rollt oder rückwärts, für seine Gestalt macht es keinerlei Unterschied, und doch dreht er sich in einer Szene bedeutungsschwanger, um daraufhin einfach weiter seines Weges zu rollen.
Mit Spannung oder Thrill ist es daher nicht weit her; selbst die Akteure wollen vorzeitig ihre Zelte aufbrechen, weil sie sich der fehlenden Pointe ihres Handelns bewusst sind. Film ist eben doch nicht Leben, sondern sein spiegelverkehrtes Abbild: Jede Szene verlangt nach Bedeutung, um rechtfertigt werden zu können, doch welche Mittel angewendet werden, obliegt völlig der Willkür der Macher. Wohingegen das Leben selbst nicht der Willkür des Lebenden unterliegt, sondern ihn gnadenlos nach vorne treibt, selbst wenn ihm manchmal der Sinn zu fehlen scheint. In diesem Sinne ist „Rubber“ eine punktgenaue Dekonstruktion des Mechanismus Film und in jedem Fall, da verspricht das Plakat wohl kaum zu viel, einer der besten Killerreifenfilme, die man je sehen wird; ebenso, wie „Angriff der Killertomaten“ auf ewig einer der besten Killertomatenfilme aller Zeiten bleiben wird.
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Family Guy – Star Wars Trilogie
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Sorgfältig umgesetzte und vom animationstechnischen Aufwand her leicht über Serienstandard rangierende Parodie für Nerds, die überraschend nah an den Star-Wars-Filmen bleibt und die Gelegenheit nur bedingt für einen allgemeineren SciFi-Rundumschlag nutzt, was sich allein schon an der als Trilogie angelegten Episodenstruktur ablesen lässt, wobei jeweils eine Folge für einen Teil von George Lucas’ Ursaga steht. Die Charaktere behalten weitestgehend ihre Namen, dem Plot wird im Groben und Ganzen gefolgt, nur dass er eben nach Family-Guy-Logik ins Bizarre gedreht wird. Obwohl die Trilogie im Detail demontiert wird, wo es nur geht, ist jederzeit spürbar, mit wie viel Respekt die Macher den Filmen begegnen. Fast schon zu viel, denn es gibt Momente, die fühlen sich an wie eine einfache Nacherzählung der Saga in Zeichentrickform. Insgesamt aber wird ein akzeptables Gag-Niveau gehalten, selbst wenn so manche Nummer bequem und einfach aus dem Quahog-Repertoire übernommen wurde, um so ein noch größeres Maß an Absurdität zu überzeugen (wenn etwa ein riesiger Walker, ganz wie Peter Griffin in einigen Episoden zuvor, hinfällt und sich albernerweise minutenlang das Knie hält).
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Under The Skin
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Der deutsche Filmverleih hatte Schwierigkeiten, Jonathan Glazers lang geplante Alien-Odyssee kommerziell einzuschätzen und entschloss sich trotz der zugkräftigen Scarlett Johansson in der Hauptrolle, ihn aus dem Kino fernzuhalten. Eine traurige, gleichwohl nachvollziehbare Entscheidung, denn auch künstlerisch steht „Under The Skin“ zwischen allen Stühlen: Bestimmt handelt es sich um kein Kind des Mainstreams, nicht einmal annähernd. Aber klassisches Arthauskino passt auch irgendwie nicht so richtig.

Im Vergleich mit jüngeren Avantgarde-Streifen wie „Holy Motors“ oder „Cosmopolis“ bedient sich Glazer nämlich einer verhältnismäßig banalen Prämisse, die er auch mit einer betont klaren und offenen Bildsprache unterfüttert. Eröffnend bildet sich aus einem Lichtpunkt im Dunkel langsam eine universell kodierte Ringform, aus der schließlich eines der ausdrucksstärksten Motive der gesamten Kinogeschichte ensteht: Ein Close-Up des menschlichen Auges. Es bedient die postulierte Beobachterperspektive des Films vom Start weg und gibt einen neutralen, naturwissenschaftlichen Grundton vor. Anschließend erklingen phonetische Bruchstücke, die sich langsam zu menschlichen Kommunikationsbausteinen herausbilden. Schon hier macht Glazer klar, dass er von einer leeren Ausgangskonstellation ausgeht, die mit nichts meinenden Lauten ausgefüllt werden muss, welche erst durch den Kontext Bedeutung erlangt.

Der Kontext wird in zusammenhanglosen, mitunter abrupt abbrechenden Handlungssträngen immer wieder neu generiert. Selbst als sich zu Beginn des letzten Filmdrittels ein veränderter Ablauf im Verhalten der Alienfrau andeutet, als ein Mann intensiv um ihre Zuneigung wirbt, wird dieser Akt antiklimatisch zu einem gewissen Punkt einfach abgebrochen und nicht wieder aufgegriffen. Das Abstraktionsniveau des Plots bleibt dabei trotzdem verhalten bis gering, weil die aus dem gemeinen SciFi-Horrorkino bekannte Prämisse vom Alien-Weibchen, das Sex gegen Tod tauscht, omnipräsent und überdeutlich in der Luft hängt. Einige Dinge bleiben allerdings konstant mysteriös, weil Glazer sie bewusst nicht ausbuchstabiert. Das betrifft Storydetails wie den Mann im Motorradanzug, der dem Alien offenbar bei der Jagd hilft; aber auch elementare Fragen wie jene, ob das männerverschlingende Wesen überhaupt extraterrestrischen Ursprungs ist – eine Vermutung, die sich einzig über die Unidentifizierbarkeit gewisser Substanzen und Metamorphosen ergibt, denn das reine Verhalten der Frau ist letztlich ein Abbild irdischer Natur, die seit jeher auf Imitation, Täuschung und Überrumpelung aufgebaut ist.

Der Superrealismus des Films schlägt sich nieder in teils dokumentarisch wirkenden Aufnahmen, die sich einerseits stark mit der klinischen Leere des weißen Raums beißen, mit dem die Handlung beginnt, ihn andererseits aber schlussendlich ausfüllen. Per Funk lässt der Regisseur seine Hauptdarstellerin im Lieferwagen durch die Straßen fahren und filmt dabei auch unwissende Passanten, während sie ihren Text improvisiert. Dass es sich bei der Stadt um Glasgow handeln muss, wird deutlich, als man grünweiß gekleidete Fußballfans am Straßenrand stehen sieht. Informationen erschließen sich somit fortwährend aus der Situation.

Scarlett Johansson begegnet den Sinneseindrücken, indem sie das eingangs implementierte Bild des weit geöffneten Auges beibehält, ohne allzu viel Emotionalität zu investieren. Das Auge als „Fenster zur Seele“ bleibt weitestgehend geschlossen, vielmehr spiegelt sich wissenschaftliche Neugierde in ihrem Gesicht, das sich erst spät für primäre Emotionen zu öffnen beginnt. Auch die Alien-Perspektive zur metaperspektivischen, distanzierten Betrachtung des Lebens ist ein eher traditioneller Kniff und führt wiederum zu einer aus Avantgarde-Perspektive allzu simplen Dechiffrierung. Allerdings bietet Glazer zugleich ein einnehmendes, unvergleichliches Filmerleben, das sich aus vielen Aspekten zusammensetzt: Dem Wirken der überwältigenden Gebirgslandschaften Schottlands in der Phase kurz vor der nächtlichen Finsternis; die Spontaneität der dokumentarischen Situationen im Kontrast zur spiegelhaften Reduktion der surrealistisch arrangierten, kontur- und detailarmen Alien-Sequenzen; der ganze Oktaven und mit ihnen den beschallten Raum dehnende Soundtrack; die unterkühlte, mineralische Optik; der manchmal unverhofft auftretende Humor; die lose, repetetive Erzähltechnik im Mittelteil, dessen Einzelteile gerade angesichts der über zehn Jahre Planung erstaunlich redundant wirken und dennoch eine ganz spezielle Faszination ausüben. Und ein Superstar, der sich mehrmals nackt vor die Kamera stellt und sich damit konsequent der Körperlichkeit des Films in den Dienst stellt.

In der Balance zwischen alternativem Filmverständnis und universell begreifbaren Entitäten, wie sie in jeder Filmgattung ebenso wie in unzähligen Mustern des eigentlichen Lebens wiederzufinden sind, birgt sich die eigentliche Faszination von „Under The Skin“, der erzählerisch viele Schwächen bergen mag und dem auch kein zufrieden stellendes Ende im Sinne eines erfüllenden, schlüssigen Abschlusses gelingt, der aber mit einer besonderen Chemie betört und als Filmerlebnis faszinieren kann, die gegebenen Umstände vorausgesetzt.
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Beitrag von MarS » 17.11.2014, 09:58

"Rubber" hatte ich mir vor einiger Zeit auch mal angesehen. Der hat mich lange brennend interessiert, nur konnte ich dann doch nichts damit anfangen. Als Experiment war der ganz interessant, mir wäre das Ganze aber als Kurzfilm lieber gewesen. So wird der doch irgendwann einfach langweilig.

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Beitrag von Vince » 07.12.2014, 11:45

Freibeuter des Todes
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Der „Sir“ im Michael Caine sieht sich in diesem Spartenklassiker reinster Anarchie ausgesetzt. Peter Benchley verarbeitet im Drehbuch anfänglich Motive seines größten Erfolges, des „Weißen Hais“, die sich zu einem wilden Genrecocktail vermischen. Klamotte auf hoher See? Kaum hat man sich mit dem Gedanken abgefunden, schnappt eine Hand aus dem Wasser und sorgt für familienuntaugliche Splatter-Deko. Schnitt, britische Büroräume. Wieder Schnitt, das Innere eines eisernen Vogels, eine betäubte Sau ist auch an Bord. Und wumms, da brennt der Vogel auf dem Sandstrand und ein Spencer-Hill-Beamte hält die Hand auf, um Gebühren einzustreichen. Caines Figur ist während all dieser skurrilen Ereignisse darum bemüht, Fassung zu wahren und den Jungen, den er dabei hat, auf dem rechten Weg zu halten, denn die rasanten Wechsel zwischen Comedy-, Abenteuer-, Drama-, Thriller- und Horrorstimmung, zwischen Bürostuhl-Ursprung und Bermuda-Wahnsinn, sind doch eher magenunfreundlich arrangiert.

Als die Figur schließlich nach einem durch den berühmten Schlag auf den Hinterkopf verursachten Ohnmachtsblackout wiedererwacht, muss sie feststellen – das war nur der Anfang. Auf der titelprägenden Insel haben sich sämtliche Regeln und Gesetze in den Urlaub verabschiedet, der gefesselte Mann sieht sich einer brabbelnden und geifernden Kommune ausgesetzt, die ihre eigene Kommunikation entwirft – und die versagt sich zunächst mal Hauptfigur wie Zuschauer gleichermaßen. Das Resultat ist schmutzig-realistischer Surrealismus mit Wie-komme-ich-hier-raus-Faktor Güteklasse A, bevor irgendwann klar wird, dass es um eine Flucht nicht so gut bestellt ist.

Mit der Zeit nimmt Käptn Kapische immerhin wieder das Ruder in der Hand, derweil Michael Ritchie lange in Kontexten verweilt und so das Gefühl erzeugt, man wachse in die inzestuöse Piratengemeinde hinein. Dennoch erscheint das Tempo, mit dem der Junge dem Charme der Zahnlosen und Lumpenhaften erliegt, übermenschlich. Nachvollziehbar, dass man diesen Gemütswandel als dramaturgischen Katalysator benötigt, allerdings gehen damit unzählige Timing- und Kontinuitätsschwächen einher, die der Dramaturgie wiederum eher schaden.

Und doch hat die Posse retrospektiv ihre Vorzüge, gerade weil sie sich so vehement aller gut gemeinten Ratschläge erwehrt, spätestens wenn das Negerlein-Prinzip am Ende auf radikalste Art und Weise vereinfacht wird. Der Mief des Superflops bleibt haften, womöglich trägt der aber sogar noch zum Sehvergnügen bei?
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Superbad
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Von nur einer einzigen ereignisreichen Nacht zu erzählen, nachdenkliche, intime Töne in die Schwanz-und-Muschi-Epilepsie der Hauptfiguren zu mischen, ein wenig Phantastik, oder sagen wir Unwahrscheinlichkeit, in die Beziehung des Verlierers zum Mädchen zu legen… ja, hier wurde von den Besten des Fachs gelernt. Jonah Hill und Michael Cera geben gar prächtige Dumpfbacken ab, trotz ihrer unmenschlichen Absonderung eines von Fäkalien wahrlich ruinierten Wortschatzes erzeugen sie auf Grundlage einer allumfassenden Neugier auf das Leben eine unerklärliche Sympathie für sich, die spätestens dann gefestigt wird, wenn die Emotionen hinter den Flachlegungsplänen hervorkommt. Auch weil Christopher Mintz-Plasse im Verbund mit Bill Hader und Seth Rogen einen überdurchschnittlich witzigen Nebenplot auf die Beine stellt, hinterlässt „Superbad“, der die 70er-Jahre-Attitüden glücklicherweise nur nebenbei abspielt, einen weitaus besseren Eindruck als alle anderen Teenie-Klamotten, die in all den Jahren seit „American Pie“ abgedreht wurden.
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Mystery Men
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Damals wie heute irritiert die umständlich als Blockbuster-Ensemble-Scifi-Comedy konzipierte Produktion mit hohen production values, die gerade in Helikopteraufnahmen der futuristischen Großstadt stark an „Batman“ angelehnt ist (dessen für den Comicfilm verheerende Schumacher-Sequels ironischerweise vielleicht einen größeren Erfolg dieser Parodie verhindert haben), und verhältnismäßig zurückhaltendem, wenn nicht gar unscheinbarem Humor, trotz des hohen Aufgebots an komödienfähigen Darstellern. Heute hingegen ist das Publikum mit Superheldenfilmen im Allgemeinen und Ensemble-Comicfilmen im Speziellen endlich vertraut, was eine neue Betrachtungsweise auf den nunmehr 15 Jahre alten Streifen ermöglicht. In gewisser Weise also war „Mystery Men“ seiner Zeit voraus, wobei die Wirkung sich damals und heute am Ende doch kaum unterscheidet: Was für ein Riesenaufwand, was für eine geringe Ergiebigkeit. Stillers Humor, der auf der Demontage des Mad Max’schen Heldentypus basiert und ihn der Lächerlichkeit preisgibt, bedient allenfalls ein Nischenpublikum, wird aber mit bombastischen Kulissen, schrägen Tanzeinlagen und großen Namen erzählt. Azaria, Macy, Kinnear, Rush & Co. schaffen es aber trotzdem immer wieder, trotz oder gerade wegen ihrer albernen Kostüme und dazu passender Gags ein leises Lächeln auf das Gesicht des Zuschauers zu zaubern, möge er selbiges dann auch hinter einem Kissen verbergen.
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Hentai Kamen
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Japan, du bist unfassbar! Einen Trashkracher dieses Kalibers kann es wahrhaftig nur im Land der aufgehenden Sonne geben. Die japanische Kultur bringt mitunter gar Sonderbares zu Tage, getragene Schlüpfer aus dem Automaten beispielsweise. Die Idee allerdings, die Schlüpfer zum Aufhänger einer Superheldenparodie zu machen, ist dermaßen kirre, dass sie nur in einer Gesellschaft Früchte tragen kann, deren Aggressions- und Perversionsventilfunktion so sehr beansprucht wird wie eben in Japan.
Aber es passt wie Arsch auf Eimer! Tatsächlich schmiegt sich die zur Maske umfunktionierte Damenunterwäsche derart schmeichelnd um den Kopf des Helden, dass man glauben möchte, das kleine Stück Stoff werde endlich so benutzt wie vom Erfinder gedacht.
Ebenfrech wird in diesem Kontext „Spider-Man“ samt Vorspann, Love Story und Häuserschluchtenschwung von den Amerikanern stibitzt und völlig auf links gedreht. Alleine des absurden Outfits wegen samt „Borat“-Tanga steigt der Partyfaktor ins Unermessliche – in Sachen „spontaner Lachanfall“ ist „Hentai Kamen“ eine der effektivsten Trashkomödien der letzten Jahre. Schamesgrenzen scheinen nicht zu existieren, verarbeitet wird folglich alles, was die Fremdscham möglichst stark ansteigen lässt.
Insbesondere ist der Film ein Vollangriff auf die Homophobie, denn selten wurden (auch noch so hauchdünn verpackte) männliche Genitalien in einer Komödie exzessiver in die Kamera bzw. ins Gesicht eines beliebigen Bösewichts gehalten als hier. Zugleich wird Position bezogen für die Perversion und das Normale als eigentliche Perversion dargestellt, ohne dass dafür der Zeigefinger bemüht werden müsste.
Einer der peinlichsten Filme aller Zeiten. Oder anders formuliert: eine Riesengaudi.
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The Ox-Bow Incident
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Weniger klassischer Western als vielmehr Kammerspiel ist “The Ox-Bow Incident”, der auf amerikanische Weiten verzichtet und sein Szenenbild liebe auf eine karge Location mit einem einsamen Hügel, einem verdorrten Baum und einem Strick daran reduziert. Fern des öffentlich geltenden Rechts schafft sich ein aufgebrachter, vorschnell urteilender Pöbel seine eigene Wahrheit, in Argumentationsketten, die den großen Gerichtsklassikern von „Die zwölf Geschworenen“ bis „Wer den Wind sät“ gleichkommt. Der Held der Geschichte, und hier trennt sich der Weizen von der damals gültigen Spreu, ist gar kein solcher, denn vom Pöbel lässt er sich mundtot machen, kann seine Zweifel an der Aufknüpfaktion kaum artikulieren und schließt sich letztlich – mit Unwohlsein zwar, aber ohne durchschlagenden Protest – selbst der aufgebrachten Menge an. Die aufwühlenden, vor Unrecht strotzenden Dialoge und die drohende Umsetzung der Worte in Taten bei gleichzeitiger Ohnmacht der Gerechtigkeit hinterlässt mehr Eindruck als es heldenhafte Posen je könnten, auch wenn „The Ox-Bow Incident“ seinem schmalen Budget ganz offensichtlich Tribut zollt. Aber dafür hat man ja Kaliber wie Henry Fonda und Anthony Quinn im Cast.
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Don’t Be Afraid Of The Dark
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Opulente, schwunghafte Kamerafahrten in und um ein Herrenhaus herum, ein Laubbläser dackelt hinter der Kamera her und stäubt das Herbstlaub auf, während eine Kinderdarstellerin die neue Welt erkundet, in die ihr Vater und deren Lebensgefährtin sie verfrachtet haben. Wobei vor allem der Vater in einer gänzlich magiefreien Dimension koexistiert, in der es nur Erwachsenenprobleme gibt. Elterlicher Bezug ist also vollständig gekappt und das Mädchen vollkommen auf sich alleine gestellt.
Entsprechend driftet das Remake des gleichnamigen TV-Films aus den 70ern tief in Fantasy-Gefilde, da sich das Innenleben der kleinen Hauptdarstellerin auf der Leinwand manifestiert und sie zunächst mit den typischen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die Glaubwürdigkeit ihrer Erzählungen vor der Rationalität der Erwachsenen zu rechtfertigen. Echtes Horrorfeeling kommt trotz der urhässlichen, greisenhaft gestalteten Wichte, die im späteren Verlauf zu offensichtlich gezeigt werden, daher nur selten auf. Es geht in erster Linie um den Aufbau von Atmosphäre. Werden dann doch mal spitze Gegenstände in Körper gebohrt oder Kniegelenke in die falsche Richtung geknickt, geht immerhin ein wohliger Schauer hernieder; der Del-Toro-Produktion gelingt dennoch bloß oberflächliche Gruselunterhaltung, die niemals an die Tiefe von „Pan’s Labyrinth“ heranreicht, anderenfalls aber auch nicht ganz so belanglos wie ein „Intruders“, was sicherlich zum teil auch Katie Holmes zu verdanken ist, die ihre Klischee-Stiefmutterrolle durchaus lebendig und facettenreich anlegt und überraschenderweise gegenüber ihrem Kollegen Guy Pearce der größere Gewinn für den Film ist.
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Last Vegas
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In dieser Komödie über Alter und alte Freundschaften gibt es so viele schöne junge Frauen, als solle mit ihnen das kombinierte Alter der vier Hauptdarsteller aufgewogen werden. Sie symbolisieren die Suche nach der Jugend und schönen Zeiten der Vergangenheit innerhalb der blitzenden Neonmetropole Las Vegas, die natürlich am Ende einen übersättigenden Effekt ausübt und den Männern endlich die Ruhe gönnt, die sie nach einem solchen Trip verdienen. Passenderweise eröffnet „Last Vegas“ mit einem 50er-Jahre-Prolog, was die Dynamik innerhalb des Rentnerquartetts noch nachvollziehbarer macht. Aber ohnehin sorgen Pacino, Douglas, Freeman und Kline für eine enorme Spielfreude, was es einfach macht, dem an und für sich sinnlosen Trip zu folgen. Gute, wenngleich weniger reife Unterhaltung, als man bei diesem Cast annehmen sollte.
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South Park – Season 14
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Die realen Ereignisse, die sich aufgrund der Doppelfolge “200” und “201” ergaben, stellen unter Beweis, dass es Freigeister wie Trey Parker und Matt Stone einfach weiterhin geben muss. Comedy Central hat einerseits nachvollziehbar, andererseits mindestens fragwürdig, wenn nicht gar offensichtlich falsch gehandelt, als es die Ausstrahlung aufgrund des Blogeintrags einer muslimischen Radikalistengruppierung eigenmächtig zensierte, um Eskalationen zu vermeiden. Das Resultat in Form zensierter (US) beziehungsweise getilgter Kunst (Rest of World) findet sich nun auf den Heimkinoveröffentlichungen wieder; die einstmals 14 Episoden lange Staffel ist nur noch 12 Episoden lang. An diesem Sachstand hat sich auch Jahre nach der Erstausstrahlung nichts mehr getan.
In Sachen Aufwand wird Season 14 natürlich vom „Coon“-Dreiteiler dominiert, der im Gewand einer Superheldenposse einem filmischen Aufbau folgt und Filmstrukturen somit auch persifliert. Später würden Ausschnitte aus diesen Episoden in die Vorspänne neuerer Staffeln integriert werden.
Zu den weiteren Highlights gehört die „Catcher In The Rye“-Episode, in der die Imaginationskraft des Mediums Buch auf South-Park-Art gewürdigt wird sowie selbstverständlich die Facebook-Parodie. Zu den schwächeren Beiträgen gehört einmal mehr jene, in der Towelie die Hauptrolle spielt, oder auch die NASCAR-Episode, deren Grundidee einfach zu weit hergeholt ist.
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Ripper Street – Season 1
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Sieht man von den starken Leistungen des Hauptdarstellertrios um Matthew Macfayden, Jerome Flynn und Adam Rothenberg ab, ist die Erweckung des viktorianischen London wohl der eigentliche Grund, „Ripper Street“ einzuschalten. Natürliche, fließende Schwenks über die Pflasterstraßen Whitechapels drängen sich niemals auf, sondern erfassen fast beiläufig aberhunderte von kleinen Details, mit denen die Zeitreise in die Vergangenheit unheimlich lebendig wird.
Die Case-of-the-Week-gesteuerten Plots indes haben einige Probleme mit der Dynamik und sind von wechselhafter Qualität. Ihre Stärke liegt eher in einer zutiefst humanistischen Darstellung von Themen. Anstatt von Heldenprofilen finden sich einfache Figuren mit Fehlern in den Geschichten wieder und treffen auf soziale Ausgrenzung und tragische Einzelschicksale, die stets mit Respekt erzählt werden, jedoch auch ohne Scheu vor Brutalitäten, wie sie dem Alltag der beleuchteten Epoche entsprechen. Die Charaktere, selbst wenn ihre Fälle nicht immer packend erzählt sind, wachsen einem ans Herz, und als acht Episoden voll charakterlicher Vertiefung verstrichen sind, ist der Bezug zu ihnen gefestigt, so wie es heutzutage nicht mehr in jeder Serie selbstverständlich ist.
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Weitere Sichtungen:
The Raid 2
Die Schöne und das Biest
R.E.D. 2
Tokarev

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Beitrag von Hannibal » 08.12.2014, 09:27

Vince hat geschrieben:Last Vegas
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In dieser Komödie über Alter und alte Freundschaften gibt es so viele schöne junge Frauen, als solle mit ihnen das kombinierte Alter der vier Hauptdarsteller aufgewogen werden. Sie symbolisieren die Suche nach der Jugend und schönen Zeiten der Vergangenheit innerhalb der blitzenden Neonmetropole Las Vegas, die natürlich am Ende einen übersättigenden Effekt ausübt und den Männern endlich die Ruhe gönnt, die sie nach einem solchen Trip verdienen. Passenderweise eröffnet „Last Vegas“ mit einem 50er-Jahre-Prolog, was die Dynamik innerhalb des Rentnerquartetts noch nachvollziehbarer macht. Aber ohnehin sorgen Pacino, Douglas, Freeman und Kline für eine enorme Spielfreude, was es einfach macht, dem an und für sich sinnlosen Trip zu folgen. Gute, wenngleich weniger reife Unterhaltung, als man bei diesem Cast annehmen sollte.
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Was? Al Pacino war auch noch dabei? :D

Btw. dickes Dito zur Rubber-Kritik...das ist wirklich ein kleines Horror-Juwel!

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Beitrag von Vince » 08.12.2014, 17:08

Pacino, de Niro... es reimt sich ja fast schon, da kann man auch mal durcheinanderkommen. ;)

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Beitrag von Vince » 22.12.2014, 10:57

Frankenstein Junior
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Lärmende Brooks-Parodie auf die Schwarz-Weiß-Universal-Monsterschinken der 30er. Kulissen werden Stein für Stein rekonstruiert, die Kontraste aus der Ära des farblosen Kinos so sehr strapaziert, dass jeder Mauerstein, jede Gesichtsfalte und jeder zuckende Blitz endlos lange Schatten wirft.

Wie das eben so ist, wenn Subtilität freimütig über Bord geworfen wird und der Holzhammer das Deck befehligt: Manchmal geht der Schuss daneben, manchmal voll ins Ziel. Gene Wilder stellt den Wandel vom widerstrebenden zum bekennenden Nachfahren eines Wahnsinnig-Genialen mit riesigen, suchenden Augen dar, die dem Irrsinn fieberhaft zu folgen scheinen. Marty Feldman stiehlt ihm als Buckliger sogar die Show; sein linkisches, leisetreterisches Auftreten verleiht dem Film etwas Spontanes und Unberechenbares, mit dem die 40 Jahre lang gereiften Regeln des Genres oft ausgehebelt werden.

So entspringen die besten Szenen auch eher unerwartet sich ergebenden Situationen, in denen der eigentliche Handlungsverlauf völlig ad absurdum geführt wird. Mit größeren Problemen hadert Brooks in Sachen Erzählfluss, gelingt es ihm nach gemächlicher Einführung mit sorgfältigem Atmosphäre-Aufbau doch nicht, die Geschichte zu einem nachvollziehbaren Schluss zu bringen.
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Katzenauge
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Das titelgebende Katzenauge beschreibt die Perspektive, aus der diese King’sche Kurzgeschichtensammlung inszeniert ist, von der zwei Anteile bereits existierten und ein dritter eigens für den Film geschrieben wurde. Mit der streunenden Katze, die in einer Aneinanderkettung von Zufällen zahlreiche Gefahrensituationen durchleben muss, werden die Episoden geschickt miteinander verknüpft. Die besonders zu Beginn und Ende einer Episode eingefangene Beobachterperspektive verleiht den Stories jeweils etwas Exklusives, als gelange man durch die Sicht der Katze in Bereiche, die man sonst niemals zu Gesicht bekommen hätte.
Die Stories selbst werden der Aufmachung durchaus gerecht. Die radikale Satire auf Hilfsorganisationen „Quitters Inc.“ mag in geschriebener Form nochmals wesentlich düsterer geraten sein, zumal die harte Anonymität der „Quitters“ besser zur Geltung kommt, wenn ihnen eine bildliche Entsprechung fehlt; allerdings hat die Verfilmung den wunderbaren James Woods zu bieten, der Verzweiflung, schwarzen Humor und Unberechenbarkeit in seiner Gejagten-Rolle mühelos miteinander vereint. Der Horror der Episode beschränkt sich auf surreale Darstellungen der Entzugserscheinungen des abstinenten Rauchers. Dabei steht eine Party im Zentrum, deren Zerrbilder mit dicken Rauchschwaden, sprechenden Gemälden, wie selbstverständlich rauchenden Kindern und einem über praktisch alle Körperöffnungen rauchenden James Rebhorn den visuellen Stil eines Brian Yuzna annehmen.

„The Ledge“ hingegen übt sich in reduzierter Bildsprache und überlässt den Schrecken der eigenen Fantasie. Das Schwindelgefühl, als die Hauptfigur den schmalen Sims eines Hochhauses im obersten Stockwerk einmal umrunden muss, macht Lewis Teague schmerzhaft spürbar, und jedes Hindernis zerrt gewaltig an den Nerven (diese Taube!).

Die extra für den Film geschriebene Abschlussepisode „The General“ mit „Feuerteufel“ Drew Barrymore in der Hauptrolle ist vor allem um eine Verknüpfung mit der Rahmenhandlung bemüht und strickt drumherum ein ansprechend (heute natürlich leicht zu durchschauend) getrickstes Fantasy-Abenteuer aus Kinderperspektive, das sich vor Ray Harryhausen und auch Filmen wie „The Incredible Shrinking Man“ tief verbeugt.

Bemerkenswert an „The General“ im Speziellen wie an „Katzenauge“ im Gesamten ist die Perspektive, die der Film auf die Katze wirft: Sie wird als missverstandenes, aufgrund seiner vermeintlichen Heimtücke gemiedenes Tier portraitiert, während sie zuerst Zeuge und dann aktiv Eingreifende wird in Geschichten über das Böse, bei denen die Untaten tatsächlich aber immer von Anderen ausgehen. In „Quitters Inc.“ wird sie Opfer von Tierversuchen, in „The Ledge“ Gegenstand einer herzlosen Wette und in „The General“ sieht sie sich von einer ignorant handelnden Mutter für ihren natürlichen Jagdinstinkt geächtet, den sie in der Episode nicht einmal unbedingt (am falschen Wesen) auslebt.

So fantasiereich und spannend die einzelnen Geschichten also (bei aller Naivität) umgesetzt sein mögen: Der vielleicht größte Verdienst des Films ist es, ein aufklärendes Licht auf das titelgebende Tier zu werfen und es vor kurzsichtigen Anschuldigungen gegen die eigene Natur zu bewahren.
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Invasion vom Mars (1986)
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Tobe Hoopers Aufpolitur des 50er-Jahre-Originals, das thematisch lediglich im damaligen Strom mitschwamm und die Invasionsschwemme nutzte, betrifft vor allem den Bereich Spezialeffekte. Der Low-Budget-Charme von damals weicht 80er-typischen Stan-Winston-Gummikreaturen in rosa schimmernden, schleimig-knöchernen Behausungen.

Indes sich beide Filme in Sachen Originalität nicht in Ruhmeswogen schaukeln können, liegt ihr besonderes Gleichstellungsmerkmal in der akribisch eingehaltenen kindlichen Perspektive, die weit über das Plotdetail hinausgeht, dass der Hauptdarsteller jeweils ein Kind ist und die Erwachsenen langsam von Aliens heimgesucht werden. Wird ein idyllischer Hügel vor dem Schlafzimmerfenster des Jungen zur geometrisch ausgeklügelten Horizont-Lichtshow, so spricht Hooper damit gezielt kindliche Imaginationskraft an, die einen schlichten Torfweg mit Holzzaun zu einem Portal in eine andere Dimension umdeuten kann. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher der Junge die Verwandlung der Eltern registriert und im Erwachsenenreich auf die Suche nach Verbündeten geht, und die Mühelosigkeit, mit der ihm dies selbst im Gespräch mit hochrangigen Militärs gelingt, gehört zu den offensichtlichen Stärken in der Nachempfindung juveniler Phantastik. Das Artdesign ist kitschig-bunt, leicht trashy und gerade erschreckend genug, um Zuschauer im Alter der Hauptfigur zu schillerndem Kopfkino anzuregen, aber noch so harmlos und durchschaubar, dass Erwachsene den Charme der Effekte anerkennen müssen, insbesondere.

Karen Black durchschreitet den Film als erwachsene Hauptbezugsfigur im alarmierenden Rotlicht mit so mancher Fratze des Entsetzens, die der geistigen Verwandtschaft phantastischer Filme der 50er und 80er weiteren Nachdruck verleiht; selbiges leistet Hunter Carson mit seiner kindlichen Unerschrockenheit, die ihm ein bewusstseinserweiterndes Abenteuer wie dieses überhaupt erst ermöglicht (Szenen wie jene, als er seiner Lehrerin völlig unbedarft in die Marsmenschenbehausung folgt, wären bei einem ängstlich-passiven Kind schließlich nicht denkbar).
Ein alberner, streckenweise unfreiwillig komischer Film letzten Endes, der aber Konsequenz in der Darstellung seiner eigenwilligen Perspektive beweist. Das verlängerte Originalende setzt ihr sogar noch eine Krone auf, die der deutschen Fassung verwehrt blieb.
:liquid6:

her
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Spike Jonze reicht eine eigentlich kühl konnotierte Nahzukunftsvision, um einen der wärmsten und menschlichsten Liebesfilme der letzten Jahre abzuliefern. Scarlett Johansson (oder ihre deutsche Stammsprecherin Luise Helm) lassen einzig kraft ihrer Stimme eine komplexe Wesenheit entstehen, die alle Sehnsüchte nach Geborgenheit und Zweisamkeit explodieren lassen – und das dank Jonze nicht etwa in effekthascherischen Feuerwerken, sondern oftmals gegenteilig in einem Schwarzbild, das er immer einblendet, wenn die Geschichte eine einschneidende Zäsur erfährt. Scheinbar mühelos verknüpft der Regisseur Liebe und Erotik zu einer untrennbaren Einheit, ohne seine Hauptfigur auch nur eine Sekunde der Lächerlichkeit preiszugeben, was aufgrund der genretypischen Einzelgängerkonstellation und der optisch eigenwilligen Maske Joaquin Phoenix’ zumindest nahe lag.

Das Element der sozialen Ausgrenzung spart sich Jonze auf; er legt es sogar geradewegs darauf an, die gesellschaftliche Akzeptanz von Beziehungen zwischen Mensch und Computersystem darzulegen, die seinem Entwurf zu eigen ist. Während Theodore mit Knopf im Ohr durch die menschenvollen Straßen wandert und Selbstgespräche führt, fokussiert die Kamera immer wieder entgegenkommende Passanten, die das gleiche Verhalten zeigen, was den Sonderlingscharakter des Protagonisten abschwächt. Außerdem werden Parallelen zur Gegenwart herausgearbeitet; dass Menschen scheinbare Selbstgespräche führen, wenn sie auf den Straßen unterwegs sind, ist schließlich bereits Realität.
Obwohl sich Jonze über die gesamte Laufzeit mit der Philosophie künstlicher Intelligenz beschäftigt, konkrete Fragen nach dem Fehlen von Körperlichkeit stellt und im letzten Akt daraus weiterführende Thesen entwickelt, die zu Komplikationen in der Computer-Mensch-Beziehung führen, ist „her“ doch in erster Linie ein romantisches Märchen, das insbesondere den Bauch anspricht und nur in zweiter Linie den Kopf. Dass die Inszenierung einmal mehr mainstream-abseitig und leicht experimentell ausfällt, ohne dass man deswegen auf melancholische Leichtigkeit verzichten muss, verstärkt lediglich die Intensität, denn die von Phoenix und Johansson so greifbar transportierten Gefühle fühlen sich so nicht nach Plastik-Massenabfertigung für den Großmarkt an, wie es in der gängigen Hollywood-RomCom fast durchweg der Fall ist.
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South Park – Season 17
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Die Kürze der gerade einmal zehn Folgen langen siebzehnten Staffel ist darauf zurückzuführen, dass das seit Staffel 9 geltende 2x7-Konzept erstmals wieder aufgehoben wurde, um eine durchgängige Staffel produzieren zu können. Ein höherer Anteil an Rahm ist also nicht zwangsläufig zu erwarten; wie gewohnt gibt es den zuverlässigen Mix aus Instant Classics und Rohrkrepierern, wobei immerhin festzustellen ist, dass sich das Niveau seit der Hochphase der Serie recht stabil gehalten hat. Wiederum ist das auch wieder der Verdienst des cineastisch gehaltenen Mehrteilers, der diesmal in drei Episoden das Schaffen George R. R. Martins („Game Of Thrones“) als stilistisches Gerüst verwendet, um die epische Marketing- und Glaubensschlacht zwischen Sony und Microsoft angemessen bildfüllend in Szene setzen zu können – und gleich noch einen Schlag Werbung zu machen für das parallel gestartete South-Park-Computerspiel, das natürlich auch für XBox und Playstation veröffentlicht wurde. Da kann man nur sagen: Alle Achtung vor so viel Subversivität, da waren Meister am Werk. Was nicht zwangsläufig für alle restlichen Folgen gilt: Die Goth-Kids-Episode ist ein ebensolcher Rohrkrepierer wie die meisten Stories ohne Kyle, Stan, Cartman und Kenny, Die World-War-Z-Parodie ist mit Kanonen auf Spatzen schießen und die „Minecraft“-Imitation angesichts des ohnehin reduzierten Animationsstil der Serie eine hervorragende Idee, allerdings mit zu wenig In-Game-Anteil umgesetzt. Facebook hingegen kann man gar nicht oft genug in den Arsch treten, „Ginger Cow“ beweist, dass man sich von den terroristischen Einschüchterungen bei der Vorgängerstaffel überhaupt nicht beeindrucken lässt und auch die abschließende Kritik an Schönheitsidealen hat ordentlich Pfeffer im Arsch.
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Bates Motel – Season 2
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Nicola Peltz hat jetzt also Besseres zu tun, sich mit Robotern durch Häuserschluchten kloppen beispielsweise. Folglich verabschiedet sie sich sehr schnell aus der Handlung, wird aber prompt von Rebellengör Paloma Kwiatkowski ersetzt, damit Klein-Norman auch immer was zum Spielen hat. Die Plötzlichkeit, mit der Charaktere aus der Handlung genommen oder hineingeschrieben werden, gehört immer noch zu den gravierendesten Schwächen des künstlerisch und kommerziell riskanten, letztlich aber offenbar erfolgreichen Serienprojektes; insbesondere, weil die Figuren oftmals von vorne bis hinten unglaubwürdig sind und lediglich in der Momentaufnahme vakuumfüllende Wirkung haben, jedoch selten einen glaubwürdigen Hintergrund generieren können. Oder würde man, um ein weiteres Beispiel zu nennen, einer hübschen, leicht unsicheren und nur vordergründig toughen Frau mittleren Alters (Kathleen Robertson) eine hochrangige Position im Drogengeschäft abnehmen?

So bleibt „Bates Motel“ auch in der zweiten Staffel eine zutiefst ambivalente Serie, denn die Vorzüge sind ebenso offensichtlich wie die Schwächen: Das tolle Setting, einige starke Darsteller aus dem langfristigen Cast und ein wenigstens unterschwellig spürbarer, dumpfer Suspense aus der Leihgabe Hitchcocks sprechen klar für die Serie, zumal gerade Nebendarsteller Max Thieriot nochmal eine ganze Schippe an Qualität hinzugewonnen hat, ebenso wie Nestor Carbonell, der inzwischen ein ironisches Flackern auf die Serie wirft, ohne dabei selbst zur Witzfigur zu verkommen. Auch Hauptdarsteller Freddie Highmore gewinnt nochmal ein paar Facetten und Vera Farmiga ist brillant-nervig wie eh und je. Dazu kann man sich auf ein Wiedersehen mit Kenny Johnson („The Shield“) freuen.

Von Produzentenseite heißt es, „Bates Motel“ sei als eher kurzlebige Serie konzipiert – dann sollte man in Staffel 3 aber langsam mal anheizen, denn trotz einiger guter Ansätze ist der Anknüpfpunkt an Anthony Perkins noch nicht ganz in Sichtweite.
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Weitere Sichtungen:
WolfCop
Banshee – Season 1
Voll abgezockt
47 Ronin
Need For Speed

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Beitrag von Vince » 01.01.2015, 19:27

Das erstaunliche Leben des Walter Mitty
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Dreht man einen Film über eine außergewöhnliche, der Norm zuwiderlaufende Person, läuft man Gefahr, sie oder ihre Besonderheiten zu überstilisieren und damit zu verkitschen. Ein desaströses Beispiel der jüngeren Filmgeschichte ist David Finchers Versuch, F. Scott Fitzgeralds Kurzgeschichte über den rückwärts alternden Benjamin Button zu erzählen. Ganz entgeht auch Ben Stiller nicht der Versuchung, den ebenfalls aus einer Kurzgeschichte stammenden Walter Mitty in eine Wolke aus stiller Bewunderung zu packen. Die Figur aus der Feder James Thurber steht stellvertretend für das von der Gesellschaft überforderte Individuum, und von ihr zu erzählen bedeutet, die Aufmerksamkeit auf sie zu richten, um das System selbst entweder in Frage zu stellen oder, wenn dieses schon ein notwendiges Übel ist, wenigstens Empathie für seine Schattenseiten zu erzeugen.

Stiller aber schwächt den unangenehmen Faktor „Mitfühlkino“ dadurch ab, dass er die formellen Aspekte seines Films stark betont und Regieeinfälle regnen lässt, die die Handlung immer wieder in völlig unvorhergesehene Bahnen werfen. Die zwischen schwarzem Humor und Melodramatik pendelnde Stimmung ist damit zwar besiegelt, aber unmöglich kann man vorhersagen, was als nächstes passiert und wo ein Tagtraum mit der Wirklichkeit kollidiert.

Das bedeutet die Rettung des Films, der auf diese Weise nicht nur immer spannend bleibt, sondern auch zu atemberaubenden Bildern fähig ist, die mit allerhand Instant-Philosophie unterfüttert werden.
Damit die Kontraste zwischen grauem New Yorker Büroalltag und isländischen Traumlandschaften nicht zu radikal ausfallen, sind schon zu Beginn Karikaturen eingebaut (Adam Scott als bärtiger Karrierehai), die sich später symbolisch spiegeln (Angriff eines echten Hais); die Farbgebung schält sich nur gemächlich aus dem Grau der ersten Szenen, bis es die strahlenden, kühl-blauen Farben Islands erreicht hat. Dass „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ dennoch mitunter uneinheitlich wirkt, ist den plötzlichen Aktivitätsschüben der Figur geschuldet, die dem ruckartigen Aufwachen aus einem Traum in einen Traum hinein gleichen.
„Nur“ ein kandierter Mainstream-Film zum Nachdenken letztlich, regietechnisch aber sehr interessant umgesetzt.
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Graceland
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Ron Morales portraitiert in erster Linie die facettenreiche Kriminalität im eigenen Land, allerdings entgeht ihm trotz semidokumentarischen Looks und impulsgetriebener Handlung nicht die Poesie, die sich in den Hintergründen seiner Aufnahmen unaufdringlich wiederspiegelt. Müllkippen, Straßenränder und Rotlichtviertel bilden die Kulisse, Randgebiete jenseits des öffentlichen Lebens also, inszeniert mit dreckigen, schnellen Schwenks, vorangetrieben durch den verzweifelten Reaktionismus der Akteure – und trotzdem gelingt es dem Regisseur, etwas Malerisches aus diesen Bildern zu ziehen, die er im Kontrast zur dramatischen Geschichte in ein fast tröstliches Türkisblau taucht. Die Prämisse ist originell und zieht geschickt eine Fingerfalle um den Hauptdarsteller, der tiefer in den Sumpf aus Menschenhandel und Prostitution gerät, je mehr er strampelt, so dass die Identifikation mit dem kraftvoll aufspielenden Arnold Reyes leicht fällt.

Nur wenige Dialoge, manchmal gar kontextfrei, reichen „Graceland“, um ein komplexes Gesellschaftsbild zu zeichnen. Gerade 80 Minuten reichen aus, um anhand eines Musters ein ganzes Fass aufgeschlagen und den philippinischen Film mit Nachdruck ins Bewusstsein geschleudert zu haben. Und so zeigt sich dann auch das Ende: abrupt und konsequent.
:liquid8:

Das Gespenst von Canterville
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Bieder gefilmter Familiengruselfilm für das amerikanische Fernsehen, und bei weitem nicht die erste TV-Adaption der Oscar-Wilde-Geschichte nach der Ur-Verfilmung aus den 40ern. Patrick Stewart ist ihr größter Coup, ein angesehener Charakterdarsteller, der sich in seinen theatralisch arrangierten und offensichtlich als Besonderheit zelebrierten Auftritten wie ein Bühnenkünstler fühlen darf, dabei ein ums andere Mal allerdings in mimische Fettnäpfchen tritt,w obei er aber keine Ausnahme bildet.

Neve Campbell als sein Co-Star indes ist noch das pausbäckige, rehäugige süße Mädchen, im Jahr ihres definitiven Durchbruchs mit „Der Hexenclub“ und vor allem „Scream“. Ihre leicht unbeholfene Darstellung zwischen aufmüpfiger Tochter und von rosaroter Brille benebeltem Naivchen verhindert allerdings ihre durchaus als besonders zu bezeichnende Ausstrahlung nicht, die künftigen Ruhm versprach.
Die Geschichte entwaffnet in ihrer umwälzenden Schlichtheit und ist selbstredend als romantisches Wintermärchen für den Heiligabend zu verstehen. Sie zehrt in einigen Szenen ein wenig von Oscar Wildes Poesie, in anderen trampelt sie hingegen regelmäßig in Stupiditäten, insbesondere, was die Liebesgeschichte zwischen Campbell und Daniel Betts angeht, der ein moralisches Musterbeispiel von einem (jungen) Mann spielt; aber auch, was die seltsame, zerrüttete Beziehung zu ihrem Vater (Edward Wiley) angeht.

Effekttechnisch sind des TV-Formats wegen keine Wundertaten zu erwarten; die Geistererscheinung wirkt nur allzu physisch und wird lediglich durch Bildüberblendungen ein wenig ektoplasmisch, davon abgesehen gibt es lediglich einige wenige Trickvorrichtungen und ein, zwei einsame Kameraperspektiven, die etwas ungewöhnlicher angelegt sind – ansonsten wird das grundsätzlich hübsche Schloss als Schauplatz viel zu wenig genutzt.
:liquid3:

Ist das Leben nicht schön?
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Vielleicht der Klassiker des humanistischen Kinos schlechthin, eine leidenschaftliche Ode an das Gute im Menschen. Möglicherweise holt Capra ein wenig zu weit aus, wenn er es nicht nur dabei belässt, seine Hauptfigur über mehrere Lebensabschnitte hinweg zu begleiten, sondern darüber hinaus auch noch eine Art „kosmischen Rahmen“ verfasst, bei dem Engel ihre Finger im Spiel haben.

Wie dem auch sei, filmisch ist „Ist das Leben nicht schön“ über jeden Zweifel erhaben: Capra legt den perfekten Weihnachtsfilm hin, mit allem, was dazugehört: urbane Winterlandschaften von höchster Pracht, Momente trauter Zweisamkeit, gemütliches Beisammensein in kleinen und großen Gruppen, Liebesbekundungen und Versöhnungen, kurz, eine Bilderstrecke dessen, was man sich in vorweihnachtlicher Besinnung nur wünschen kann. Aber eben auch: Wirtschaftskrise, Sinneskrise, Pech und Schwefel, Gut-und-Böse-Dichotomien, Trauer und Verzweiflung. Die guten und schlechten Dinge, die dem Bankier geschehen, sind natürlich funktionale Vereinfachungen zur möglichst hohen Nachempfindung durch eigene Erfahrungen, doch immerhin muss man sagen, dieses Spiel beherrscht der Regisseur mühelos.

James Stewart agiert noch nicht ganz so abgeklärt und star-like wie in seinen späteren Produktionen, womit er besonders die Momente der Unsicherheit und Verzweiflung ausgesprochen überzeugend umzusetzen weiß. Auch deswegen verströmt der Film das unwirkliche Gefühl des Aufwachens aus einem schlechten Traum, noch weit über den „A Christmas Carol“-ähnlichen Abschnitt, in dem Stewart durch den Engel in eine Meta-Perspektive versetzt wird und auf ein irdisches Leben hinabblickt, in dem er selbst nie existiert hat. Das unvermeidliche Happy End wird so mit dem endgültigen Aufwachen aus der Lethargie gleichgesetzt, bei dem die Figur eine wichtige Erkenntnis über sich selbst gewinnt. Insofern atmet „Ist das Leben nicht schön“ den gleichen Geist nach wie ein „Zauberer von Oz“ oder „Alice im Wunderland“.
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Gegen alle Flaggen
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Das schrill-bunte Technicolor-Piratenabenteuer mit dem etwas gealterten Errol Flynn in der Zugrolle lässt eskapistische Träume mühelos fliegen, auch wenn nicht immer alles Gold ist, was hier glänzt, sondern manchmal auch einfach nur eines der vielen geschniegelten Kostüme. Einfach gestrickt ist die dennoch spannende Infiltrationsgeschichte, durchschaubar die wenig innovative Figurenkonstellation, die von Flynn im Verbund mit Anthony Quinn als Scheusal und Maureen O’Hara als Frau der Tat geprägt wird. Letztere steht allerdings auch sinnbildlich für das damals geltende Frauenbild: Selbst starke Frauen wie sie werden von durchdringender Unsicherheit gelenkt, während die schwächeren Exemplare Vorfahren einer Daniela Katzenberger ähneln und in einem Running Gag zum Doofchen objektisiert werden (Alice Kelley als indische Prinzessin).

Im Vergleich mit seinen früheren Filmen mag Flynn eher routiniert durch die Sets spazieren, nicht aber ohne seinen gewohnten Witz und Charme; auch physisch macht er mit 43 Jahren in den Degengefechten noch eine gute Figur. Highlight des Films sind die dynamisch arrangierten Enterszenen, bei denen ausgefallene Kameraperspektiven spannende Blicke auf die Kulissen werfen, auf denen die Darsteller im Fokus furiose Kampfeinlagen bieten, während jene im Hintergrund zum Amusement des Zuschauers fast schon eher Tanzchoreografien mit Degen abliefern. Unser momentan zeitgemäßestes Medium, die Blu-Ray, lässt den Film in neuem Glanz erstrahlen, entlarvt aber so manche Matte-Painting-Kulisse (etwa das mehrfach gezeigte Hafenpanorama) oder Details im Bereich Kostüm und Maske (z.B. die offensichtlich aufgemalten Blutstriemen nach der Auspeitschung).
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Weitere Sichtungen:
Legend Of Hercules



Damit ergibt sich für 2014 folgende Statistik:

gesehene Filme: 297
gesehene Serienstaffeln: 45

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Beitrag von MarS » 03.01.2015, 20:53

Jetzt wo ich bei dir "Katzenauge" lese fällt mir ein, dass ich den vo einiger Zeit angefangen habe und noch die letzte Episode gucken muss. Die ersten beiden Episoden waren recht ordentlich.

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Beitrag von Vince » 10.01.2015, 16:07

Und weiter gehts im neuen Jahr...

Cottage Country
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“Cottage Country” ist anders. Anders als all die Hüttengaudis, auf denen sonst kleinbudgetierte Horrordrehs stattfinden. Das zu Erwartende wird ausnahmsweise mal nicht bestätigt, sondern allenfalls als Kulisse verwendet. So ist es eben keine Teen- oder Twengruppe, die im Prolog das Häuschen am See bezieht, sondern das uncoole Brüderchen mit Stock-im-Arsch-Polokragenfrau. Eine Party findet zwar später statt, sie ist aber nicht erklärtes Ziel der Handlung, sondern ein unliebsames Randereignis, das es möglichst schnell zu beenden gilt.

Der Humor des Films erscheint anfangs ebenso steif wie die Hauptcharaktere; später weiß man, warum. Denn dies ist keine der üblichen Horrorkomödien on Demand; tief im Herzen, da ist „Cottage Country“ eine bittere Anklage an den modernen Menschen, dessen Besessenheit von zu erreichenden Lebenszielen jedwedes Gefühl in ihm getötet hat.

Malin Akerman stellt diesen unvorhergesehenen Stimmungstwist hervorragend dar, und Tyler Labine muss lediglich seine „Tucker & Dale“-Rolle variieren. Das Doug-und-Carrie-Konstrukt, das sie zu Beginn gemeinsam darstellen, verwandelt sich schnell in ein Zerrbild des typischen American Couple. Hier spielt der Film seine größten Stärken aus, stößt aber erwartungsgemäß auch vor den Kopf, weil eine völlig andere Erwartungshaltung erzeugt wird. Eine Empfehlung kann man daher gerade für jene aussprechen, die mit der Subsparte „Cabin Horror“ normalerweise auf Kriegsfuß stehen, obwohl gewisse handwerkliche Unzulänglichkeiten – eine eher fernsehfilmähnliche Bildaufteilung etwa oder unmotiviert in die Handlung integrierte Zombie-Auftritte – an diese erinnern.
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Peeping Tom
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Ein finanzielles Risiko waren “Peeping Tom” und der nur kurze Zeit später gestartete „Psycho“ sicherlich gleichermaßen, letzterer aber doch eher auf Ebene der narrativen Struktur. Sollte nur einer von beiden beim Publikum scheitern, wäre vorauszusehen gewesen, dass es „Peeping Tom“ treffen würde, denn während sich Alfred Hitchcock trotz der gewagten Herausnahme der vermeintlichen Hauptfigur zur Filmmitte immer noch mit den Regeln des Thrillers verbunden fühlte, inszeniert Michael Powell befreiter von Regeln oder dem Wunsch der Dehnung von Regeln, mit dem Ergebnis einer ungleich düstereren, regelrecht verstörenden Vision, die einem „Scare and Cheer“ keinen Raum lässt.

Begonnen bei der spektakulären Besetzung des Spanners ausgerechnet mit Sissi-Kaiser Karlheinz Böhm, ist „Peeping Tom“ darauf aus, zu schockieren, ohne es aber zu versäumen, eine Psychologisierung der kontroversen Hauptfigur vorzunehmen, mit der sich Powell praktisch in jeder einzelnen Einstellung beschäftigt. Das Eröffnungsbild zeigt ein schillernd buntes Nachtbild einer Seitengasse, und das regenbogenartige Farbenspiel erinnert augenblicklich an „Die Schwarze Narzisse“, ist aber mit dunklen Schatten und Geheimnissen durchzogen. Spätestens mit der Fadenkreuz-Egoperspektive der im Mantel verborgenen Kamera, die einer Prostituierten in ihr Zimmer folgt, ist die Identifikation des Zuschauers mit dem Film oder gar dem Protagonisten irreversibel zerstört, denn der von Powell arrangierte Voyeurismus hat eine verstohlene, niederträchtige, perverse, abtrünnige Wirkung.

Dass die Vergangenheit des vom Moment des Entsetzens besessenen Fotografen ein erklärendes Licht auf sein Verhalten gibt, kann erregte Gemüter nicht abkühlen und gar Verständnis für das Handeln erzeugen, denn die mediale Doppelbödigkeit des Films-im-Film verweist selbstreferenziell auf das eigene Werk und macht den Zuschauer ungewollt zum Komplizen in einer als extrem unangenehm empfundenen Situation, der gegenüber er sich möglicherweise als moralisch überlegen fühlt, an die er aber dennoch gefesselt ist. Mit fortlaufender Dauer verstärkt Powell die Mittel gar, mit denen er die Bindung an Böhms Charakter erhöht; eine klimatische Steigerung, die zwangsläufig in einem orgiastischen Moment resultieren muss.

Dass aufgrund dieser Struktur ein eher simples psychologisches Bild entworfen wird, das man durchaus in Frage stellen kann, soll die Wirkung des Films nicht mindern, die dank eines beängstigenden Böhm und einer abgründigen Atmosphäre jenseits greifender Regeln des gefestigten Bürgertums eine ganz besondere ist.
:liquid8: ,5

Detective Dee und das Geheimnis der Phantomflammen
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Mr. Moto, Charlie Chan oder Mr. Wong sind als Assoziation zwar schnell zugegen, wenn man sich einen Titel wie „Detective Dee“ auf der Zunge zergehen lässt, sie lassen als (meist amerikanisierte) Sherlock-Holmes-Varianten im dezenten Schwarzweiß-Rahmen aber eben nicht grüßen, wenn Tsui Hark sich des Themengebiets annimmt. Ganz im Gegenteil gleicht der Prolog diversen chinesischen Großproduktionen der letzten Jahre; von einem „kleinen“ Fall kann hier nicht die Rede sein, demzufolge auch nicht davon, dass nach 60 bis 80 Minuten bereits eine Auflösung im Raum stünde. Die riesenhafte Buddha-Statue, die den kompletten Film als Kulisse bestimmen wird, sorgt für eine anonymisierte, handschriftlose Gigantomanie, die von den zeremoniellen Abläufen auf dem Boden mit allerhand bunten Kostümen und Flaggen nur noch verstärkt wird. Von Harks einstmals so prägnantem Stil noch keine Spur.

Tritt aber einmal Andy Lau als Titelfigur auf den Plan, bessert sich die Lage. Mit ihm spannen sich auf einmal Figurennetze fester, als er den Ereignissen auf den Grund geht und langsam das wohlbekannte Gefühl entfacht, wie es all die Detektiv-Klassiker zu beschwören vermochten. Und hier findet auch Hark zu alter Stärke. Gezielt führt er seine Hauptfigur auf irrwitzige Wege an seltsamen Schauplätzen, wo kurzzeitig sogar „A Chinese Ghost Story“-Flair aufkommt, wenn etwa ein Ruderboot durch den Aufprall von Eiszapfen in absurden Bahnen in die Höhe geschleudert wird und Kontrahenten sich irgendwo zwischen Wasser und Luft bekämpfen.

Hier gewinnt der bereits aufs Abstellgleis verwiesene Filmemacher einen großen Teil seiner Reputation zurück, denn er hebt sich wohltuend von all der Wuxia-Fließbandware ab, die er mitunter selbst geliefert hat. Zwar gelingt es ihm nicht, die frischen Ansätze auf die stattlichen zwei Stunden Laufzeit auszubreiten, so dass sich doch manche Länge einschleicht, aber als Rehabilitation eignet sich das Detektivabenteuer dennoch.
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Sherlock Holmes – Die Geheimwaffe
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Universal Pictures variiert seinen Ansatz kaum und setzt Sherlock Holmes weiterhin als Instrument gegen den Nationalsozialismus ein, wobei etwaige Romanvorlagen allenfalls angedeutet und variiert werden, gegenüber den Propagandazwecken jedoch keine Priorität genießen. Nachdem „Die Stimme des Terrors“ diese neue Ausrichtung so radikal umsetzte, dass man glauben konnte, Holmes und Watson seien in ein anderes Universum katapultiert worden, wird nun eher umgekehrt der Nationalsozialismus ins Holmes-Universum befördert. Was auch bedeutet, dass Moriarty wieder mit von der Partie ist und seinen Anteil vom Kuchen im Kampf um eine McGuffin-gleich eingesetzte „Superwaffe“ haben will. Dieser wird nicht mehr von George Zucco verkörpert, sondern von Lionell Atwill, den man bislang vor allem von „Frankenstein“, „Der Wolfsmensch“ und diversen Fortsetzungen derselben kannte, der aber interessanterweise auch bereits in „Der Hund von Baskerville“ als Dr. Mortimer zugegen war.

Für die Filmqualität macht das leider kaum einen Unterschied: Zumal Moriarty eher unbeholfen als gefährlich wirkt, stehen die ersten beiden Universal-Produktionen weiterhin im Schatten der Filme aus dem Hause 20th Century Fox, die bei weitem spielfreudiger wirkten.
:liquid4:

Schmutziger Lorbeer
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Das Boxerdrama taucht tiefer in die Machenschaften des Geschäftes ein als viele seiner Artverwandten und ist in erster Linie daran interessiert, den Boxzirkus als Halsabschneider-Business zu entlarven, in dem die Boxer manipulierbare Objekte sind, die weder von Geschäftstreibenden noch vom sensationsgierigen Publikum als Menschen betrachtet werden. Zur Veranschaulichung dessen werden schwere Geschütze aufgefahren, die nach Realitätsnähe streben, um einen hohen Plausibilitätsfaktor zu erreichen: Ein ehemaliger Boxer etwa wird in einer dokumentarisch wirkenden Interview-Sequenz als Wrack dargestellt, das von der Gesellschaft nach der Karriere fallengelassen wurde; der Wunsch nach wirtschaftlicher Absicherung, „wie es auch für die Profi-Baseballer gilt“, wird mehrfach geäußert und am Ende werden Abrechnungszahlen auf den Tisch gelegt, die schockierender wirken als jeder im Ring zugefügte Cut.

Aus dieser leicht durchschaubaren Rezeptur kann man dem Film sicherlich einen Strick drehen, wenn man möchte, jedoch sprechen die starke Inszenierung und die authentische Insider-Perspektive dagegen. Man wähnt sich mitten in den Geschäften und kann deren Absurdität praktisch auf eigene Faust erkunden. Und dann ist da natürlich noch Humphrey Bogart, der hier seine letzte Rolle bestreitet. Ein coolerer Abgang ist wohl nur wenigen Darstellern vergönnt. Von seiner Krankheit bereits gezeichnet, macht er erst recht den Eindruck eines zähen Hundes, der sich zuerst gegen seine berufliche Krise wehrt und schließlich gegen einen ganzen Ring aus staatlich legalisierter Kriminalität. Gemeinsam mit Wrestler und Schauspiel-Newcomer Michael Lane bildet er das Herz des Films, dem es so gelingt, Naivität und deren Ausnutzung sichtbar zu machen.
:liquid7: ,5

Vor verschlossenen Türen
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Der spätere „Rebel Without A Cause“-Regisseur Nicholas Ray bringt die Straße in den Gerichtssaal und so Humphrey Bogart mit John Derek zusammen – einen etablierten Noir-Star also, der auch diesmal wieder in so mancher Low-Key-Silhouette ikonisiert wird, und einen gutaussehenden jungen Newcomer, der mit diesem Film seine Karriere ankurbeln konnte.

Ray eröffnet mit dem kausalen Ursprung des Geschehens, einem furios geschnittenen, kontrastreich beleuchteten Überfall, der später zu einer Anklage gegen den Straßenjungen Nick Romano (Derek) führen würde, welcher dann vor Gericht von Andrew Morton (Bogart) vertreten wird. Da die Bildaufteilung den Kopf des Täters immerzu ausblendet, bleibt man im Unklaren über die Schuld oder Unschuld Romanos. Diesen Sachverhalt nutzt das Skript aber leider kaum aus, er resultiert lediglich in einem feurig vorgetragenen, inhaltlich aber müden Schlussplädoyer Bogarts, das als solches ja bereits ein Klischee des Courtroom-Dramas ist, in diesem Fall aber auch noch eine schwache Pointe zu bieten hat, die über Allgemeinplätze nicht hinauskommt. Es fehlt ihr eine zwingende Argumentation, die man nicht einfach nur mitleidsvoll abnicken möchte, denn in seiner Grundaussage verharmlost „Knock On Any Door“ begangene Verbrechen und spricht dem Täter jegliche Verantwortung ab.
Erzählerisch bedient sich Ray über weite Strecken der Rückblendentechnik, in der die Geschehnisse aus Perspektive des Anwalts rekonstruiert werden, wobei ihm die Berichte seines Mandanten sowie eigene Erfahrungen als Grundlage dienlich sind. Die Subjektivität der Fallbetrachtung wird dadurch immerhin im Verborgenen thematisiert, nimmt allerdings auch keine zentrale Aufmerksamkeit ein, wichtiger ist dem Film das Whodunit als solches. Für diese Ansprüche fehlt dem Anfangs- und Mittelteil möglicherweise ein wenig die Spannung, allerdings wird man von der publikumsnahen Story zunehmend in den Bann gezogen, was neben dem gewohnt souveränen Bogart auch gerade an John Derek liegt, der eine entwaffnend unschuldige Aura aufträgt und die Gewahrwerdung einer Komplexität in der Aufwiegung guter Menschen und schlechter Taten anregt.
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Weitere Sichtungen:
Der Hobbit – Die Schlacht der fünf Heere
Transformers – Ära des Untergangs
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