Filmtagebuch: Vince
Moderator: SFI
Fahrstuhl zum Schafott
Spontanes Mitternachtskino, durchweg. Miles Davis, der den weltberühmt gewordenen Soundtrack in nur einer Nacht improvisierte. Louis Malle, ein junger Regisseur am Beginn seiner Karriere, der in seinem vollwertigen Spielfilmdebüt zwar das verbreitete Format der Romanverfilmung verfolgte, seinen Beitrag zur Novelle Vague jedoch mit schattenhafter Unangepasstheit leistete. "Fahrstuhl zum Schafott" ist eine unmögliche Geschichte, die mit konstruierten Wendungen den Kontakt zum Pulp erhält und dennoch viel realistischer scheint als das von Make-Up, Kostümen und Scheinwerferlicht abgebildete Établissement. Einige der gelieferten Bilder verschlucken den gesamten Hintergrund mit einem tiefen, satten Schwarz und hinterlassen die Figuren in reiner Isolation; insbesondere Jeanne Moreaus sehnsuchtsvolle bis verbittert-desillusionierte Ausstrahlung gewinnt dadurch enorm an Kraft, derweil ihr Pendant in einem parallelen Handlungsstrang ohne direkte Berührung wie ein Spielball des Schicksals von einem Malheur ins nächste geführt wird – und ihm doch beinahe der perfekte Mord gelingt.
Aber Perfektion, die gibt es bei Malle nicht. Immer wieder schafft er Raum für Suspense nach Hitchcock-Maß, bei dem insbesondere Timing eine wichtige Rolle spielt, doch wie um der vollkommenen Auflösung zu entgehen, bricht er die Spannung und führt eine Abzweigung ein, verkompliziert also die im Grunde so einfache Kriminalgeschichte mit Subplots und gesellschaftlichem Subtext.
Aus zeitgenössischer Perspektive muss die Konzentration auf eine Verkettung bitterer ironischer Wendungen verspielt bis naiv gewirkt haben, rückblickend muten die formellen Brüche mit dem bewährten Kino durchaus progressiv an. Inhaltlich mag "Fahrstuhl zum Schafott" gewisse Defizite aufweisen, mit seinen wendungsreichen filmischen Mitteln hat er jedoch weitere bedeutsame Werke wie Godards "Außer Atem" bereits vorweggenommen.
Abattoir
Bedeutungsvoll taucht Darren Lynn Bousmann das Gesicht seiner Hauptdarstellerin in das kaltblaue Licht der Polizeisirenen, als gerade ihre ermordete Schwester abtransportiert wird. Ähnlich bedeutungsvoll starrt sie, offensichtlich vor allem nach Aussehen und nicht zwangsläufig nach Talent gecastet, an der Kamera vorbei und sucht nach dem passenden Ausdruck für Trauer und Schock. Mit kreisenden Kamerafahrten durch diverse Zimmer hindurch und schmale Hausflure entlang soll die Geschichte mitgetragen werden. Obskure Düsterlinge in einem wie von der Restwelt abgeschnittenen Dorf schreiten wie geistlose Zombies den Hintergrund entlang, kurze Fantasy-Elemente feuern wie Musketenschüsse zwischen die fast schon theaterhafte Kulissenästhetik mit Südstaatenmotto. Die hübsche junge Dame, begleitet von der Karikatur eines Film-Noir-Detektivs, klärt die Dinge auf eigene Faust und fällt langsam aber sicher in den viel zitierten Kaninchenbau...
Man weiß, wie es gemeint ist. Und das ist gerade das Schlimme an der Sache; wenn man weiß, wie etwas gemeint ist, bedeutet das am Ende nur, dass durchschaut ist, wie die Tricks funktionieren; und dass sie genau deswegen letztlich nicht funktionieren. Gemünzt auf das Horror-Genre ist "Abattoir" ein dysfunktionales Kaleidoskop sich wandelnder Ansätze, das Jump Scares an den falschen Stellen einsetzt und den Aufbau von Atmosphäre immer wieder abwürgt. Diverse Geistererscheinungen im späteren Verlauf erweisen sich nicht als direkte Bedrohung, die auf das Opfer fixiert ist; vielmehr rennt jenes höchstens in sie hinein wie in ein Spinnennetz, so dass der höchste Suspense noch darin besteht, die klebrigen Ecken mit weisen Schritten zu meiden.
Optisch mag Bousmans Film in den letzten 20 Minuten das ein oder andere Pfund auffahren; dies ist vor allem der Comicherkunft geschuldet, welche auch die zutiefst sinnbildhafte Erörterung der Grundidee verantwortet, einen von Mord und Totschlag faszinierten Geist Zimmer sammeln zu lassen (!) und zu einem labyrinthischen Haus des Terrors zusammenzufügen. Eine hübsche Idee, die aber offensichtlich im Medium Comic besser aufgehoben ist; in Realbilder übersetzt wirken die Schauplätze des Grauens überladen und kitschig. Sie negieren sich gegenseitig und erzeugen dadurch kaum Grusel, vermitteln auch nicht überzeugend den eigentlichen Gedanken der Erzählung. Dayton Callie möchte als Filmmonster mit Zurückhaltung punkten, lässt aber den Horror des Unausgesprochenen vermissen.
Im Endeffekt wird die Verantwortung fast völlig auf die Sets, Farbfilter, Kameraperspektiven und Spezialeffekte übertragen. Das wirkt alles ein bisschen jahrmarktsmäßig: "Abattoir" ist schrill, andersartig, reicht aber nicht ins Unterbewusstsein.
Die Liebenden
Noch im Jahr seines formalästhetisch sehr beachtenswerten Debüts "Fahrstuhl zum Schafott" lässt Louis Malle seinen zweiten Film folgen und lässt diesmal das Inhaltliche über den Stil klar und deutlich triumphieren.
Die Konsequenz dieser Fokusverlagerung ist in Anbetracht des kurzen zeitlichen Abstands bemerkenswert. Noch während Malle die gesellschaftlichen Kontexte seiner Geschichte skizziert und eine räumliche Distanz zwischen einem wohlhabenden Mann und seiner absenten Ehefrau schafft, dringt er bereits tief ins emotionale Zentrum der wiederum mit Jeanne Moreau besetzten Hauptfigur ein. Während bedingungslose Liebesbeteuerungen schon in der Auftaktszene von "Fahrstuhl zum Schafott" Moreaus Lippen verließen, im Zuge der unterkühlten Kriminalgeschichte anschließend jedoch einer Paralyse wichen, gewährt Malle diesmal die vollständige Erwiderung der Gefühle durch einen Liebhaber im erotisierten Filmhöhepunkt, der ihm in Kombination mit der individualistischen Weltanschauung das Etikett des Skandalfilms einbrachte.
Gleichwohl man die Intensität der Affäre durchaus als naiv und blind interpretieren kann, sucht Malle die Ursachen in erster Linie nicht bei jenen, die derart handeln, sondern im gesellschaftlichen und sozialen Kontext; angesichts des von widernatürlichen Normen geprägten Verhaltens des Ehemanns und der High-Society-Freunde erscheint die Flucht in ein anderes Leben plötzlich als naheliegender Ausweg.
Malle nutzt den Schauplatz, ein prunkvolles Anwesen mit altem Einrichtungsstil, für ein Versteckspiel, das eigentlich gar keines ist; in gemeinsamen Szenen ist den meisten Beteiligten die Situation glasklar und dennoch wird das Offensichtliche nicht ausgesprochen, was selbst den banalsten Tischgesprächen eine ungeahnte Subversivität verleiht, wie man sie in dieser Form auch bei den frühen Filmen Ingmar Bergmans beobachten kann.
Spätestens hier hat Malle bereits seinen wichtigen Beitrag zur Novelle Vague geleistet. Seine Wirkung hallt bis heute nach.
Rache – Bound To Vengeance
Nach dem Erfolg des "I Spit On Your Grave"-Remakes und seiner Folgeteile ist Vorsicht geboten; weitere Filme dieser Art sind von Trittbrettfahrern schnell und kostengünstig abgedreht. Erblickt man jetzt ein verschmutztes, mit Blut besudeltes Mädel in zerrissener Kleidung mit einer Waffe in der Hand auf einem Cover, so ist höchste Vorsicht geboten – Schundgefahr.
Die bestätigt sich bei "Bound To Vengeance" immerhin nicht. José Manuel Cravioto liefert den etwas anderen Revenge-Thriller, auch wenn er dazu sämtliche Gesetze der Logik brechen muss. Da sich das Drehbuch gar nicht erst mit der Verschleppung und Misshandlung der Hauptfigur aufhält, sondern lieber beim Überrumpeln des Entführers und der darauf folgenden Selbstbefreiung einsteigt, könnte der Film bereits fünf Minuten später durch einen Besuch bei der Polizei wieder zu Ende sein (oder sich wie "Raum" noch mit den posttraumatischen Folgen auseinandersetzen). Nicht aber so mit diesem Mädel; es packt seinen Peiniger filmreif an die kurze Leine und reist mit ihm durch die ganze Region, um weitere verschleppte Mädchen zu befreien. Nicht, dass eine solche Befreiungsaktion unter polizeilicher Führung nicht erfolgversprechender wäre, doch ein Copthriller soll es ja nicht werden, also wird auf eigene Faust gehandelt.
Das Problem bei der ganzen Vorgehensweise ist der plötzliche Einstieg, mit dem es schlichtweg nicht möglich ist, die Hauptfigur kennenzulernen, geschweige denn den Schmerz, der ihr hinzugefügt wurde. Tina Ivlev macht ihre Sache nicht so schlecht, hat aber spürbar unter dem ausgesparten Hintergrund zu kämpfen und steht bei so mancher Aktion infolgedessen selbst in einem psychopathischen Licht.
Verdrängt man aber einfach mal die Beweggründe und die gesamte Ausgangslage, bietet "Bound To Vengeance" immerhin eine reizvolle Puzzle-Struktur, die in der üblichen Kellerproduktion nicht geboten wird. Dank der nervigen und im Gegensatz zum Restfilm durchaus klischeevollen Digicam-Zwischensequenzen (Happytime auf dem Vergnügungspark mit dem Freund) kann man sich schon ausmalen, dass im letzten Haus eine Plotwende wartet. Bis dahin kann man sich die Zeit aber immerhin mit ein paar (punktuell blutigen, aber nie voyeuristischen) Rescue Missions in mal mehr, mal weniger überraschenden Abläufen verkürzen.
Mad Men – Season 2
Die Autoren der zweiten Staffel konzentrieren sich darauf, die unter einer Fassade der Selbstverständlichkeit verborgenen Unfassbarkeiten des gesellschaftlichen Alltags mit einem trockenen Geräusch aufplatzen zu lassen: So werden die Folgen des längst zur Normalität gewordenen Alkoholismus an der nassen Hose eines Mannes sichtbar, der sich mitten am Tag in seinem Büro einpinkelt und es zunächst nicht einmal bemerkt; oder auch an der Beziehung zwischen Don und Betty Draper, bei der ein neues Auto und eine sich übergebende Ehefrau zur Pointe eines ohnehin längst brüchigen Ehelebens werden.
Zwar lässt die Serie ihre bleiche Maske der Teilnahmslosigkeit nicht fallen, so dass man in aller Öffentlichkeit weiter rauchen, saufen und in jedweder Hinsicht unter die Gürtellinie schlagen darf, doch einzelne Figuren werden durchaus mit der erschreckenden Wahrheit konfrontiert, dass sie von ihren eigenen Rollenbildern systematisch unterdrückt werden. Das gilt für die selbstsichere Bürodame ebenso wie für den leicht trotteligen Werbefachmann, der von seiner Frau dazu gedrängt wird, um eine Gehaltserhöhung und eine eigene Abteilung zu bitten.
Gott und seine Glaubensvertreter spielen in alldem eine bewusst klein gehaltene Rolle (Colin Hanks), meist als möglicher Ausweg aus dem urbanen Dschungel das Dazugehörenwollens, zu dem auch eine extra bunt inszenierte Odyssee gehört, der sich Don Draper anschließt, um seinem aufregend langweiligen Leben einmal zu entfliehen – und vielleicht auch einen Anknüpfpunkt an seine eigene Vergangenheit zu finden, die weiterhin mit kurzen, überraschenden Anekdoten aufgedeckt wird, durch welche Jon Hamms strichmündiges Spiel nur noch steinerner wirkt.
Weitere Sichtungen:
Blood Father
Prison
Spontanes Mitternachtskino, durchweg. Miles Davis, der den weltberühmt gewordenen Soundtrack in nur einer Nacht improvisierte. Louis Malle, ein junger Regisseur am Beginn seiner Karriere, der in seinem vollwertigen Spielfilmdebüt zwar das verbreitete Format der Romanverfilmung verfolgte, seinen Beitrag zur Novelle Vague jedoch mit schattenhafter Unangepasstheit leistete. "Fahrstuhl zum Schafott" ist eine unmögliche Geschichte, die mit konstruierten Wendungen den Kontakt zum Pulp erhält und dennoch viel realistischer scheint als das von Make-Up, Kostümen und Scheinwerferlicht abgebildete Établissement. Einige der gelieferten Bilder verschlucken den gesamten Hintergrund mit einem tiefen, satten Schwarz und hinterlassen die Figuren in reiner Isolation; insbesondere Jeanne Moreaus sehnsuchtsvolle bis verbittert-desillusionierte Ausstrahlung gewinnt dadurch enorm an Kraft, derweil ihr Pendant in einem parallelen Handlungsstrang ohne direkte Berührung wie ein Spielball des Schicksals von einem Malheur ins nächste geführt wird – und ihm doch beinahe der perfekte Mord gelingt.
Aber Perfektion, die gibt es bei Malle nicht. Immer wieder schafft er Raum für Suspense nach Hitchcock-Maß, bei dem insbesondere Timing eine wichtige Rolle spielt, doch wie um der vollkommenen Auflösung zu entgehen, bricht er die Spannung und führt eine Abzweigung ein, verkompliziert also die im Grunde so einfache Kriminalgeschichte mit Subplots und gesellschaftlichem Subtext.
Aus zeitgenössischer Perspektive muss die Konzentration auf eine Verkettung bitterer ironischer Wendungen verspielt bis naiv gewirkt haben, rückblickend muten die formellen Brüche mit dem bewährten Kino durchaus progressiv an. Inhaltlich mag "Fahrstuhl zum Schafott" gewisse Defizite aufweisen, mit seinen wendungsreichen filmischen Mitteln hat er jedoch weitere bedeutsame Werke wie Godards "Außer Atem" bereits vorweggenommen.
Abattoir
Bedeutungsvoll taucht Darren Lynn Bousmann das Gesicht seiner Hauptdarstellerin in das kaltblaue Licht der Polizeisirenen, als gerade ihre ermordete Schwester abtransportiert wird. Ähnlich bedeutungsvoll starrt sie, offensichtlich vor allem nach Aussehen und nicht zwangsläufig nach Talent gecastet, an der Kamera vorbei und sucht nach dem passenden Ausdruck für Trauer und Schock. Mit kreisenden Kamerafahrten durch diverse Zimmer hindurch und schmale Hausflure entlang soll die Geschichte mitgetragen werden. Obskure Düsterlinge in einem wie von der Restwelt abgeschnittenen Dorf schreiten wie geistlose Zombies den Hintergrund entlang, kurze Fantasy-Elemente feuern wie Musketenschüsse zwischen die fast schon theaterhafte Kulissenästhetik mit Südstaatenmotto. Die hübsche junge Dame, begleitet von der Karikatur eines Film-Noir-Detektivs, klärt die Dinge auf eigene Faust und fällt langsam aber sicher in den viel zitierten Kaninchenbau...
Man weiß, wie es gemeint ist. Und das ist gerade das Schlimme an der Sache; wenn man weiß, wie etwas gemeint ist, bedeutet das am Ende nur, dass durchschaut ist, wie die Tricks funktionieren; und dass sie genau deswegen letztlich nicht funktionieren. Gemünzt auf das Horror-Genre ist "Abattoir" ein dysfunktionales Kaleidoskop sich wandelnder Ansätze, das Jump Scares an den falschen Stellen einsetzt und den Aufbau von Atmosphäre immer wieder abwürgt. Diverse Geistererscheinungen im späteren Verlauf erweisen sich nicht als direkte Bedrohung, die auf das Opfer fixiert ist; vielmehr rennt jenes höchstens in sie hinein wie in ein Spinnennetz, so dass der höchste Suspense noch darin besteht, die klebrigen Ecken mit weisen Schritten zu meiden.
Optisch mag Bousmans Film in den letzten 20 Minuten das ein oder andere Pfund auffahren; dies ist vor allem der Comicherkunft geschuldet, welche auch die zutiefst sinnbildhafte Erörterung der Grundidee verantwortet, einen von Mord und Totschlag faszinierten Geist Zimmer sammeln zu lassen (!) und zu einem labyrinthischen Haus des Terrors zusammenzufügen. Eine hübsche Idee, die aber offensichtlich im Medium Comic besser aufgehoben ist; in Realbilder übersetzt wirken die Schauplätze des Grauens überladen und kitschig. Sie negieren sich gegenseitig und erzeugen dadurch kaum Grusel, vermitteln auch nicht überzeugend den eigentlichen Gedanken der Erzählung. Dayton Callie möchte als Filmmonster mit Zurückhaltung punkten, lässt aber den Horror des Unausgesprochenen vermissen.
Im Endeffekt wird die Verantwortung fast völlig auf die Sets, Farbfilter, Kameraperspektiven und Spezialeffekte übertragen. Das wirkt alles ein bisschen jahrmarktsmäßig: "Abattoir" ist schrill, andersartig, reicht aber nicht ins Unterbewusstsein.
Die Liebenden
Noch im Jahr seines formalästhetisch sehr beachtenswerten Debüts "Fahrstuhl zum Schafott" lässt Louis Malle seinen zweiten Film folgen und lässt diesmal das Inhaltliche über den Stil klar und deutlich triumphieren.
Die Konsequenz dieser Fokusverlagerung ist in Anbetracht des kurzen zeitlichen Abstands bemerkenswert. Noch während Malle die gesellschaftlichen Kontexte seiner Geschichte skizziert und eine räumliche Distanz zwischen einem wohlhabenden Mann und seiner absenten Ehefrau schafft, dringt er bereits tief ins emotionale Zentrum der wiederum mit Jeanne Moreau besetzten Hauptfigur ein. Während bedingungslose Liebesbeteuerungen schon in der Auftaktszene von "Fahrstuhl zum Schafott" Moreaus Lippen verließen, im Zuge der unterkühlten Kriminalgeschichte anschließend jedoch einer Paralyse wichen, gewährt Malle diesmal die vollständige Erwiderung der Gefühle durch einen Liebhaber im erotisierten Filmhöhepunkt, der ihm in Kombination mit der individualistischen Weltanschauung das Etikett des Skandalfilms einbrachte.
Gleichwohl man die Intensität der Affäre durchaus als naiv und blind interpretieren kann, sucht Malle die Ursachen in erster Linie nicht bei jenen, die derart handeln, sondern im gesellschaftlichen und sozialen Kontext; angesichts des von widernatürlichen Normen geprägten Verhaltens des Ehemanns und der High-Society-Freunde erscheint die Flucht in ein anderes Leben plötzlich als naheliegender Ausweg.
Malle nutzt den Schauplatz, ein prunkvolles Anwesen mit altem Einrichtungsstil, für ein Versteckspiel, das eigentlich gar keines ist; in gemeinsamen Szenen ist den meisten Beteiligten die Situation glasklar und dennoch wird das Offensichtliche nicht ausgesprochen, was selbst den banalsten Tischgesprächen eine ungeahnte Subversivität verleiht, wie man sie in dieser Form auch bei den frühen Filmen Ingmar Bergmans beobachten kann.
Spätestens hier hat Malle bereits seinen wichtigen Beitrag zur Novelle Vague geleistet. Seine Wirkung hallt bis heute nach.
Rache – Bound To Vengeance
Nach dem Erfolg des "I Spit On Your Grave"-Remakes und seiner Folgeteile ist Vorsicht geboten; weitere Filme dieser Art sind von Trittbrettfahrern schnell und kostengünstig abgedreht. Erblickt man jetzt ein verschmutztes, mit Blut besudeltes Mädel in zerrissener Kleidung mit einer Waffe in der Hand auf einem Cover, so ist höchste Vorsicht geboten – Schundgefahr.
Die bestätigt sich bei "Bound To Vengeance" immerhin nicht. José Manuel Cravioto liefert den etwas anderen Revenge-Thriller, auch wenn er dazu sämtliche Gesetze der Logik brechen muss. Da sich das Drehbuch gar nicht erst mit der Verschleppung und Misshandlung der Hauptfigur aufhält, sondern lieber beim Überrumpeln des Entführers und der darauf folgenden Selbstbefreiung einsteigt, könnte der Film bereits fünf Minuten später durch einen Besuch bei der Polizei wieder zu Ende sein (oder sich wie "Raum" noch mit den posttraumatischen Folgen auseinandersetzen). Nicht aber so mit diesem Mädel; es packt seinen Peiniger filmreif an die kurze Leine und reist mit ihm durch die ganze Region, um weitere verschleppte Mädchen zu befreien. Nicht, dass eine solche Befreiungsaktion unter polizeilicher Führung nicht erfolgversprechender wäre, doch ein Copthriller soll es ja nicht werden, also wird auf eigene Faust gehandelt.
Das Problem bei der ganzen Vorgehensweise ist der plötzliche Einstieg, mit dem es schlichtweg nicht möglich ist, die Hauptfigur kennenzulernen, geschweige denn den Schmerz, der ihr hinzugefügt wurde. Tina Ivlev macht ihre Sache nicht so schlecht, hat aber spürbar unter dem ausgesparten Hintergrund zu kämpfen und steht bei so mancher Aktion infolgedessen selbst in einem psychopathischen Licht.
Verdrängt man aber einfach mal die Beweggründe und die gesamte Ausgangslage, bietet "Bound To Vengeance" immerhin eine reizvolle Puzzle-Struktur, die in der üblichen Kellerproduktion nicht geboten wird. Dank der nervigen und im Gegensatz zum Restfilm durchaus klischeevollen Digicam-Zwischensequenzen (Happytime auf dem Vergnügungspark mit dem Freund) kann man sich schon ausmalen, dass im letzten Haus eine Plotwende wartet. Bis dahin kann man sich die Zeit aber immerhin mit ein paar (punktuell blutigen, aber nie voyeuristischen) Rescue Missions in mal mehr, mal weniger überraschenden Abläufen verkürzen.
Mad Men – Season 2
Die Autoren der zweiten Staffel konzentrieren sich darauf, die unter einer Fassade der Selbstverständlichkeit verborgenen Unfassbarkeiten des gesellschaftlichen Alltags mit einem trockenen Geräusch aufplatzen zu lassen: So werden die Folgen des längst zur Normalität gewordenen Alkoholismus an der nassen Hose eines Mannes sichtbar, der sich mitten am Tag in seinem Büro einpinkelt und es zunächst nicht einmal bemerkt; oder auch an der Beziehung zwischen Don und Betty Draper, bei der ein neues Auto und eine sich übergebende Ehefrau zur Pointe eines ohnehin längst brüchigen Ehelebens werden.
Zwar lässt die Serie ihre bleiche Maske der Teilnahmslosigkeit nicht fallen, so dass man in aller Öffentlichkeit weiter rauchen, saufen und in jedweder Hinsicht unter die Gürtellinie schlagen darf, doch einzelne Figuren werden durchaus mit der erschreckenden Wahrheit konfrontiert, dass sie von ihren eigenen Rollenbildern systematisch unterdrückt werden. Das gilt für die selbstsichere Bürodame ebenso wie für den leicht trotteligen Werbefachmann, der von seiner Frau dazu gedrängt wird, um eine Gehaltserhöhung und eine eigene Abteilung zu bitten.
Gott und seine Glaubensvertreter spielen in alldem eine bewusst klein gehaltene Rolle (Colin Hanks), meist als möglicher Ausweg aus dem urbanen Dschungel das Dazugehörenwollens, zu dem auch eine extra bunt inszenierte Odyssee gehört, der sich Don Draper anschließt, um seinem aufregend langweiligen Leben einmal zu entfliehen – und vielleicht auch einen Anknüpfpunkt an seine eigene Vergangenheit zu finden, die weiterhin mit kurzen, überraschenden Anekdoten aufgedeckt wird, durch welche Jon Hamms strichmündiges Spiel nur noch steinerner wirkt.
Weitere Sichtungen:
Blood Father
Prison
Julia's Eyes
Von toller Fotografie zu sprechen bei einem Film, der eigentlich die Perspektive einer Erblindenden einfangen möchte, mag zynisch klingen, entspricht im Fall dieser spanischen Guillermo-del-Toro-Produktion allerdings den Tatsachen. "Julia's Eyes" gehört ästhetisch klar in die Kategorie landesgleicher Horror-Thriller-Mischlinge wie "Das Waisenhaus" und "The Body", sucht Tiefe in steriler Bildsprache und dunklen Ecken und schickt reife, gefasste Frauen anstatt von labilen, kreischenden US-Girlies ins Rennen. Dazu wird ein Plot serviert, der von Anfang an unverhohlen auf Plottwists ausgelegt ist und den Weg dorthin mit wilden Verästelungen bestreitet.
Japan hat mit "The Eye" gezeigt, dass schwindendes Augenlicht für hervorragende Gruselmomente herangezogen werden kann, doch wirklich unbehaglich ist die schwindende Welt von Julia allenfalls für Julia selbst. Weichzeichner, Fokusverschiebungen und Blur-Effekte werden grundsätzlich auf einfallsreiche Weise eingesetzt, dann allerdings nur selten in vollem Umfang genutzt.
Eine gewisse Ineffektivität muss man dabei nicht nur den Horror-, sondern selbst den Thriller-Elementen unterstellen. Umständliche Ereignisketten erzeugen Ungereimtheiten und stellen den Zufall auf die Probe, damit auch die Intensität der Spannung. Der Epilog dann wiederum erscheint unangemessen kitschig in Anbetracht der emotional unterkühlten Aufmachung des Hauptfilms.
Zu empfehlen ist "Julia's Eyes" aber dennoch wegen der angenehm reifen Darstellergarde, dem sprudelnden Einfallsreichtum des Drehbuchs und des hochwertigen Handwerks.
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The Incredible Melting Man
Wäre es nicht gerade eine wandelnde Schmelzkäsepizza, die hier von ihrem Saturn-Trip zurückkehrte, so könnte "The Incredible Melting Man" durchaus eine Veteranen-Heimkehrer-Geschichte sein und "Rambo" sein seriöses Remake. Denn der Pizzamann (Alex Rebar), schon im Urzustand dank des schmucken Schnäuzers nicht gerade der hübscheste Bursche unter der Sonne, schlurft mit ganz offenbar weichgekochtem Hirn unter der wegfließenden Epidermis durch die suburbane Wildnis und trifft dabei ausnahmslos auf Menschen, die sich kreischend von ihm wegbewegen.
William Sachs zweite Regiearbeit (der legendär schlechte "Galaxina" sollte noch folgen) gerät damit zum episodischen Footwalk-Movie, dessen zusätzliche Frankenstein-Parallelen sogar ausbuchstabiert werden, wenngleich der unglaubliche Schmelzmann im Gegensatz zum elektrischen Flickenmann sogar derart abstoßend ist, dass selbst das unbedarfte kleine Mädchen von Panik ergriffen wird, als es ihm beim Versteckspiel über den Weg läuft. Freunde schlechter Filme finden auf der Trinkspielparty etappenweise Anlass, sich in einen komatösen Zustand zu versetzen, sei es beim Aufblitzen der völlig kontextfreien Tittenszene, bei den Comedy-Dialogen des alten Ehepaars im Auto oder einfach immer, wenn Schmelzmann mal wieder ein Ohr im Gebüsch verliert. Rick Baker jedenfalls musste offenbar wortwörtlich in Schichten arbeiten und hat den größten Anteil daran, dass "The Incredible Man" trotz der faserigen Dramaturgie wegen seines außergewöhnlichen Titelhelden doch irgendwie als Geheimtipp in Erinnerung geblieben ist.
True Story
Als zweiter größerer Film des Jahres 2015 über den Journalismus und seine Verpflichtung gegenüber der Wahrheit bleibt "True Story" deutlich hinter dem vielschichtigen Ensemblefilm "Spotlight" zurück, auch wenn ein direkter Vergleich natürlich aufgrund der völlig unterschiedlichen Perspektiven nicht möglich ist. Regisseur und Drehbuchautor Rupert Goold arbeitet mit einem Hauptdarstellerduo, das man instinktiv mit einer Komödie in Zusammenhang gebracht hätte. Gleichwohl haben sich beide bereits des öfteren als Charakterdarsteller profiliert, was ihnen auch in diesem Fall wieder gelingt. Insbesondere Jonah Hill nutzt den Raum, den man ihm gewährt, für eine ambitionierte Vorstellung, die sich allerdings nicht vollständig im Plot auflösen möchte. Dass Goold den Fokus auf die Kommunikationswege zwischen Hill und Franco beschränkt, ist angesichts der passablen Chemie durchaus legitim, allerdings ist das gegenseitige Zuspielen der Bälle bei weitem nicht fintenreich genug, um den Kampf um die Wahrheit von einer privaten Pokerrunde ins kollektive Bewusstsein zu befördern.
In der Folge bleibt "True Story" trotz erlesener Fotografie oft spröde und leer, löst er doch zu selten die Versprechen ein, die er mit seiner aufdeckenden Haltung gibt.
Blood Diner
Bei ihrer zügellosen "Blood Feast"-Verhackwurstung mag Jackie Kong der Masterplan auf dem Weg zum Set abhanden gekommen sein, doch weiß sie zweifellos, wie man sich zur Not auch blind durch einen Partyfilm bohrt. Spätestens im Finale rutscht ihr die Spaßkanone endgültig aus den Griffeln, denn zu diesem Zeitpunkt hat die Splatter- und Gore-Parodie längst ein chaotisches Eigenleben auf Slasher-, Zombie- und Vampirköniginnenstelzen entwickelt und König Chaos an die Regentschaft geführt.
Wenn man sprechende Gehirne mit Augen im Reagenzglas dabei genauso wenig in Frage stellt, als stamme sie aus einer "Turtles"-Trickserie, dann darf man sich zur richtigen Einstellung beglückwünschen. Der gezeigte Humor basiert auf den heiligen Regeln der kindlichen Naivität und erreicht somit nie ganz die Widerwärtigkeit der Trash-Profis von Troma, bekennt sich aber dennoch in vielerlei Hinsicht zum Schmutz. Das beginnt bei den offensichtlichen visuellen Zutaten um Innereiengematsche, sinnlose Nacktheit und Gross-Out, endet aber hier nicht. Erst die grenzdebilen Dialoge ("Man nennt mich auch Vitamin C." "Freut mich sehr, Mr. C." "Ach, nennen Sie mich ruhig Vitamin."), das bewusste Brechen filmischer Grundregeln etwa über die endlose Auswalzung einer Szene, das herzhafte Overacting (Highlight: Wenn Carl Crew seinen Truck immer wieder über einen Mann rollen lässt und die rumpelnden Bewegungen dabei sichtlich genießt) und der schon bei Herschell Gordon Lewis, jetzt aber erst recht völlig hirnrissige Plot machen "Blood Diner" zu dem Nonsens, der er ist.
Dass man seine Polungen an der passenden Stelle verlötet haben muss, um diesem stilistisch völlig in Einzelteile zerfallenden Kleinstadtquark mit seinen mitleiderregenden Puppenspielern, seinen selbstzufriedenen Burger-Mampfern, seiner Nacktaerobic-Gruppe und nicht zuletzt seinen irren Brüdern überhaupt etwas abgewinnen zu können, versteht sich von selbst. Wenn aber alle Parameter stimmen, ist "Blood Diner" gerade der Missing Link zwischen harmloser 80er-Komödie und viehischer Sauerei, nicht zuletzt vielleicht auch ein Schlüssel zum Verständnis für das mitunter gerne missverstandene Genre des Splatterfilms.
Don Jon
Alle Achtung, Joseph Gordon-Levitt ist in den ersten Zügen seines Regiedebüts schwer damit beschäftigt, sich selbst als arrogantes Arschloch zu inszenieren. Bequem macht er es sich generell nicht, auch wenn er im vermeintlich seichten Teich der RomCom fischt. Immerhin packt er mit bloßen Händen das Tabuthema Internetpornografie an, das typische Studio-Auftragsregisseure einer gängigen Heigl-Komödie nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würden. Bigotterie ist omnipräsentes Sujet in seiner Don-Juan-Variation: Da wird gepimpert und onaniert, was das Zeug hält, nur damit man anschließend in die Kirche geht und seine Sünden loswird, was in seiner steten Regelmäßigkeit zu einer Notwendigkeit wie das Duschen mutiert. Das Ave Maria wird praktischerweise mit Hantelübungen kombiniert und schon ist der Weg frei für die nächste Rotation aus Auto polieren, Kumpels treffen, Mädels abschleppen, Pornos schauen.
Die inszenatorischen Mittel sind dabei noch sehr überschaubar. Das wenig innovative Zeitraffer-Mittel wird verwendet, um aufzuzeigen, wie mechanisch der Lebensstil des Hauptfigur sich darstellt. Handwerklich verharrt Gordon-Levitt noch in den Standards und schwächt damit die Wirkung des durchaus explosiven Stoffes ab, woran auch die kurzen Schnipsel pornografischen Materials (natürlich in den halbwegs jugendfreundlichen Perspektiven) nichts ändern.
Wirklich greifbar wird der Punkt, den er zu machen versucht, erst an seiner Hauptrolle und seiner vorzüglichen Co-Darstellerin. An Scarlett Johansson nämlich, die äußerst überzeugend die egozentrische Großstadtprinzessin spielt, gewinnt der Film an Vielseitigkeit. So wie nämlich die falsche Wirklichkeit des Sexlebens durch pornografische Vorgaben kritisiert wird, die viele Menschen als "normal" betrachten, werden im Umkehrschluss ebenso die Anforderungen in Frage gestellt, die der gemeine Romantikfilm (immer für eine bescheuerte Film-im-Film-Rolle zu haben: Channing Tatum) an den modernen Mann stellt. In gewisser Weise stellt sich "Don Jon" als alternative RomCom also auch gegen seine Artverwandten.
Was Gordon-Levitt also nicht mit Regieeinfällen und auch nicht mit dem voraussehbaren Subplot um Julianne Moore (dafür hat sie auch einfach schon zu viele Rollen dieser Art gespielt) gelingt, schafft er in der intimen Darstellung der beiden zentralen Charaktere: Die Formung der Wirklichkeit durch Medien wird von beiden Seiten beleuchtet und über Johansson und Gordon-Levitt selbst auf gelungene Weise reflektiert.
Das Grauen aus der Tiefe
Etwas schwer in die Gänge kommt die Corman-Produktion um schleimige Fischmonster, die Bewohner eines idyllischen Fischerdorfes angreifen. Der Plot ist dabei so puristisch auf die reinen Attacken fokussiert, dass der Beginn einzig von seiner nasstrüben Fotografie und den reifen Gesichtern der Darsteller rund um Doug McClure zehrt. Und das ist nicht viel; eine Explosion ist zu verzeichnen, eine Auseinandersetzung mit rassistischem Hintergrund (mit dem alte Western-Beile wieder ausgegraben werden) und ein paar Monster-Vision-Shots. Das ist schon alles ganz nett, lässt aber echte Reibungen vermissen, mit denen man die Angriffe letztlich besser hätte verkaufen können; denn was verleiht schon mehr Genugtuung als zu sehen, wie ein echter Fiesling sein gerechtes Ende hinter Schwimmhäuten findet?
Andererseits hat der Purismus durchaus etwas für sich, hebt er doch das herbe Flair der Sets in den Vordergrund, das man in einer harmonischen Mischung aus US-Vorstadt- und Italo-Schmuddelhorror auf sich einwirken lassen darf. Und irgendwann geht dann ja auch richtig die Post ab; selbst heute, zu einer Zeit, da wir des Torture Porns und seiner Saat längst überdrüssig sind, wären vergewaltigende Ungeheuer, sprich die Vermengung von Sexploitation mit Phantastik, in einer etwas größeren Produktion nur schwer denkbar – was weitergedacht durchaus zu dem Schluss führen kann, dass die heutzutage fast ausschließlich im realistischen Bereich angesiedelten Grausamkeiten in ihrer Einseitigkeit entweder aus Scheinheiligkeit entstanden ist oder aus einer Vergessenheit des Wirkungsbereiches phantastischer Filme heraus.
So ist es tatsächlich ungewöhnlich, wie sehr sich einige Szenen niederen Instinkten hingeben; praktisch alle Opfer sind auffällig vollbusig und verlieren ihre ohnehin schon leichte Kleidung im Kampf unter einem zitternden Berg aus schwarzgrünen Schuppen, triefendem Schleim und struppigem Seetang – und all das letztlich nur für einen letzten prothetischen Effekt in der Schlussszene.
Ein ausladendes Finale, in dem eine ganze Stadt während eines Jahrmarkts von den kreaturen auseinandergenommen wird, versöhnt dann auch für die Ereignislosigkeit zuvor. Mit der "Jaws"-Tugend des Nichtzeigens kommt man bei einem Film dieser Machart nicht weit, insofern fällt zu diesem Zeitpunkt die richtige Entscheidung, mit den Monstern nicht mehr länger sparsam umzugehen, denn die von Maskenspezialist Rob Bottin geschaffenen Anzüge überzeugen mit künstlichen Armverlängerungen, einer undefinierbaren Körperbedeckung und ziemlich hässlichen Visagen, die von Kostüm zu Kostüm auch jeweils ein wenig unterschiedlich ausfallen (zumindest wird die Illusion erzeugt – angeblich standen beim Dreh nur drei unterschiedliche Kostüme zur Verfügung). Und ein nächtlicher Hafen vor brennendem Wasser, auf dem Menschenmassen vor Fischmonstern fliehen, sorgt für durchaus interessante Aushangfotos.
Aus heutiger Sicht erscheint die exploitative Unverhohlenheit von "Humanoids From The Deep" dankenswert ehrlich, zumal ironische Brechungen bereits stattfinden und den Scream Queens der 80er weiter den Weg bereiten. Man kann das skandalös finden oder sich einfach an den simplen Dingen des Lebens erfreuen.
Die Rache des Ungeheuers
Die schnell nachgekurbelte Fortsetzung zum "Schrecken vom Amazonas" geht den üblichen Weg vieler Monsterfilmsequels seiner Zeit und befördert die Kreatur aus dem eigenen Wohnzimmer in die Zivilisation. Knüpfen die ersten Minuten noch nahtlos an das Flair des Originals an, erfährt anschließend nicht nur das Titelmonster einen wahren Kulturschock – es ist schon ein Unterschied für die Atmosphäre, ob man den beschuppten Humanoiden durch brasilianische Gewässer oder durch das Aquarium eines Themenparks schwimmen sieht.
Letzterer ist dennoch recht fotogen mit seiner schillernden Meeresbewohnerkultur, in deren Mitte das entführte Wesen wie ein angeketteter König flucht und jede Möglichkeit zur Flucht mit List und Intelligenz in Betracht zieht. Jack Arnold nutzt die Konstellation folgerichtig für diverse Unterwasserstunts, bei denen die Hauptdarsteller John Agar und Lori Nelson, insbesondere natürlich letztere, laufend in Scheingefahr gebracht werden, wenn sie sich dem Wesen beispielsweise bei der Fütterung zu sehr nähern oder dessen Lernprozess unterschätzen.
Natürlich kommt dabei die finale Pointe von "King Kong" zum tragen und mit ihr die Grausamkeit des Menschen, alles Exotische seiner Wurzeln berauben zu müssen, um es bestaunen zu können. Parallel werden Theorien des Behaviourismus präsentiert (nettes Detail am Rande: Clint Eastwood in einem frühen Gastauftritt als Laborant) und am Versuchsobjekt demonstriert, was den kritischen Blick auf die oben genannte menschliche Eigenart noch verschärft. Nur logisch, dass sich das Blatt irgendwann wendet und die Kreatur auf Rache sinnt...
Die Fortsetzung ist solide inszeniert und hat einige beachtliche Spezialeffekte auch abseits des groß beworbenen 3D-Effekts zu bieten (als ein Mann vom Monster gegen einen Baum geschleudert wird, erinnert die Bewegung an das Wirework in chinesischen Wuxia-Filmen der 70er bis 00er Jahre) und insofern durchaus Schauwerte zu verbuchen, die eigentliche Faszination für das Fischwesen geht ins einer Gefangenschaft allerdings ein Stück weit verloren.
Weitere Sichtungen:
Hail, Caesar!
Rage – Tage der Vergeltung
Arrival
Von toller Fotografie zu sprechen bei einem Film, der eigentlich die Perspektive einer Erblindenden einfangen möchte, mag zynisch klingen, entspricht im Fall dieser spanischen Guillermo-del-Toro-Produktion allerdings den Tatsachen. "Julia's Eyes" gehört ästhetisch klar in die Kategorie landesgleicher Horror-Thriller-Mischlinge wie "Das Waisenhaus" und "The Body", sucht Tiefe in steriler Bildsprache und dunklen Ecken und schickt reife, gefasste Frauen anstatt von labilen, kreischenden US-Girlies ins Rennen. Dazu wird ein Plot serviert, der von Anfang an unverhohlen auf Plottwists ausgelegt ist und den Weg dorthin mit wilden Verästelungen bestreitet.
Japan hat mit "The Eye" gezeigt, dass schwindendes Augenlicht für hervorragende Gruselmomente herangezogen werden kann, doch wirklich unbehaglich ist die schwindende Welt von Julia allenfalls für Julia selbst. Weichzeichner, Fokusverschiebungen und Blur-Effekte werden grundsätzlich auf einfallsreiche Weise eingesetzt, dann allerdings nur selten in vollem Umfang genutzt.
Eine gewisse Ineffektivität muss man dabei nicht nur den Horror-, sondern selbst den Thriller-Elementen unterstellen. Umständliche Ereignisketten erzeugen Ungereimtheiten und stellen den Zufall auf die Probe, damit auch die Intensität der Spannung. Der Epilog dann wiederum erscheint unangemessen kitschig in Anbetracht der emotional unterkühlten Aufmachung des Hauptfilms.
Zu empfehlen ist "Julia's Eyes" aber dennoch wegen der angenehm reifen Darstellergarde, dem sprudelnden Einfallsreichtum des Drehbuchs und des hochwertigen Handwerks.
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The Incredible Melting Man
Wäre es nicht gerade eine wandelnde Schmelzkäsepizza, die hier von ihrem Saturn-Trip zurückkehrte, so könnte "The Incredible Melting Man" durchaus eine Veteranen-Heimkehrer-Geschichte sein und "Rambo" sein seriöses Remake. Denn der Pizzamann (Alex Rebar), schon im Urzustand dank des schmucken Schnäuzers nicht gerade der hübscheste Bursche unter der Sonne, schlurft mit ganz offenbar weichgekochtem Hirn unter der wegfließenden Epidermis durch die suburbane Wildnis und trifft dabei ausnahmslos auf Menschen, die sich kreischend von ihm wegbewegen.
William Sachs zweite Regiearbeit (der legendär schlechte "Galaxina" sollte noch folgen) gerät damit zum episodischen Footwalk-Movie, dessen zusätzliche Frankenstein-Parallelen sogar ausbuchstabiert werden, wenngleich der unglaubliche Schmelzmann im Gegensatz zum elektrischen Flickenmann sogar derart abstoßend ist, dass selbst das unbedarfte kleine Mädchen von Panik ergriffen wird, als es ihm beim Versteckspiel über den Weg läuft. Freunde schlechter Filme finden auf der Trinkspielparty etappenweise Anlass, sich in einen komatösen Zustand zu versetzen, sei es beim Aufblitzen der völlig kontextfreien Tittenszene, bei den Comedy-Dialogen des alten Ehepaars im Auto oder einfach immer, wenn Schmelzmann mal wieder ein Ohr im Gebüsch verliert. Rick Baker jedenfalls musste offenbar wortwörtlich in Schichten arbeiten und hat den größten Anteil daran, dass "The Incredible Man" trotz der faserigen Dramaturgie wegen seines außergewöhnlichen Titelhelden doch irgendwie als Geheimtipp in Erinnerung geblieben ist.
True Story
Als zweiter größerer Film des Jahres 2015 über den Journalismus und seine Verpflichtung gegenüber der Wahrheit bleibt "True Story" deutlich hinter dem vielschichtigen Ensemblefilm "Spotlight" zurück, auch wenn ein direkter Vergleich natürlich aufgrund der völlig unterschiedlichen Perspektiven nicht möglich ist. Regisseur und Drehbuchautor Rupert Goold arbeitet mit einem Hauptdarstellerduo, das man instinktiv mit einer Komödie in Zusammenhang gebracht hätte. Gleichwohl haben sich beide bereits des öfteren als Charakterdarsteller profiliert, was ihnen auch in diesem Fall wieder gelingt. Insbesondere Jonah Hill nutzt den Raum, den man ihm gewährt, für eine ambitionierte Vorstellung, die sich allerdings nicht vollständig im Plot auflösen möchte. Dass Goold den Fokus auf die Kommunikationswege zwischen Hill und Franco beschränkt, ist angesichts der passablen Chemie durchaus legitim, allerdings ist das gegenseitige Zuspielen der Bälle bei weitem nicht fintenreich genug, um den Kampf um die Wahrheit von einer privaten Pokerrunde ins kollektive Bewusstsein zu befördern.
In der Folge bleibt "True Story" trotz erlesener Fotografie oft spröde und leer, löst er doch zu selten die Versprechen ein, die er mit seiner aufdeckenden Haltung gibt.
Blood Diner
Bei ihrer zügellosen "Blood Feast"-Verhackwurstung mag Jackie Kong der Masterplan auf dem Weg zum Set abhanden gekommen sein, doch weiß sie zweifellos, wie man sich zur Not auch blind durch einen Partyfilm bohrt. Spätestens im Finale rutscht ihr die Spaßkanone endgültig aus den Griffeln, denn zu diesem Zeitpunkt hat die Splatter- und Gore-Parodie längst ein chaotisches Eigenleben auf Slasher-, Zombie- und Vampirköniginnenstelzen entwickelt und König Chaos an die Regentschaft geführt.
Wenn man sprechende Gehirne mit Augen im Reagenzglas dabei genauso wenig in Frage stellt, als stamme sie aus einer "Turtles"-Trickserie, dann darf man sich zur richtigen Einstellung beglückwünschen. Der gezeigte Humor basiert auf den heiligen Regeln der kindlichen Naivität und erreicht somit nie ganz die Widerwärtigkeit der Trash-Profis von Troma, bekennt sich aber dennoch in vielerlei Hinsicht zum Schmutz. Das beginnt bei den offensichtlichen visuellen Zutaten um Innereiengematsche, sinnlose Nacktheit und Gross-Out, endet aber hier nicht. Erst die grenzdebilen Dialoge ("Man nennt mich auch Vitamin C." "Freut mich sehr, Mr. C." "Ach, nennen Sie mich ruhig Vitamin."), das bewusste Brechen filmischer Grundregeln etwa über die endlose Auswalzung einer Szene, das herzhafte Overacting (Highlight: Wenn Carl Crew seinen Truck immer wieder über einen Mann rollen lässt und die rumpelnden Bewegungen dabei sichtlich genießt) und der schon bei Herschell Gordon Lewis, jetzt aber erst recht völlig hirnrissige Plot machen "Blood Diner" zu dem Nonsens, der er ist.
Dass man seine Polungen an der passenden Stelle verlötet haben muss, um diesem stilistisch völlig in Einzelteile zerfallenden Kleinstadtquark mit seinen mitleiderregenden Puppenspielern, seinen selbstzufriedenen Burger-Mampfern, seiner Nacktaerobic-Gruppe und nicht zuletzt seinen irren Brüdern überhaupt etwas abgewinnen zu können, versteht sich von selbst. Wenn aber alle Parameter stimmen, ist "Blood Diner" gerade der Missing Link zwischen harmloser 80er-Komödie und viehischer Sauerei, nicht zuletzt vielleicht auch ein Schlüssel zum Verständnis für das mitunter gerne missverstandene Genre des Splatterfilms.
Don Jon
Alle Achtung, Joseph Gordon-Levitt ist in den ersten Zügen seines Regiedebüts schwer damit beschäftigt, sich selbst als arrogantes Arschloch zu inszenieren. Bequem macht er es sich generell nicht, auch wenn er im vermeintlich seichten Teich der RomCom fischt. Immerhin packt er mit bloßen Händen das Tabuthema Internetpornografie an, das typische Studio-Auftragsregisseure einer gängigen Heigl-Komödie nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würden. Bigotterie ist omnipräsentes Sujet in seiner Don-Juan-Variation: Da wird gepimpert und onaniert, was das Zeug hält, nur damit man anschließend in die Kirche geht und seine Sünden loswird, was in seiner steten Regelmäßigkeit zu einer Notwendigkeit wie das Duschen mutiert. Das Ave Maria wird praktischerweise mit Hantelübungen kombiniert und schon ist der Weg frei für die nächste Rotation aus Auto polieren, Kumpels treffen, Mädels abschleppen, Pornos schauen.
Die inszenatorischen Mittel sind dabei noch sehr überschaubar. Das wenig innovative Zeitraffer-Mittel wird verwendet, um aufzuzeigen, wie mechanisch der Lebensstil des Hauptfigur sich darstellt. Handwerklich verharrt Gordon-Levitt noch in den Standards und schwächt damit die Wirkung des durchaus explosiven Stoffes ab, woran auch die kurzen Schnipsel pornografischen Materials (natürlich in den halbwegs jugendfreundlichen Perspektiven) nichts ändern.
Wirklich greifbar wird der Punkt, den er zu machen versucht, erst an seiner Hauptrolle und seiner vorzüglichen Co-Darstellerin. An Scarlett Johansson nämlich, die äußerst überzeugend die egozentrische Großstadtprinzessin spielt, gewinnt der Film an Vielseitigkeit. So wie nämlich die falsche Wirklichkeit des Sexlebens durch pornografische Vorgaben kritisiert wird, die viele Menschen als "normal" betrachten, werden im Umkehrschluss ebenso die Anforderungen in Frage gestellt, die der gemeine Romantikfilm (immer für eine bescheuerte Film-im-Film-Rolle zu haben: Channing Tatum) an den modernen Mann stellt. In gewisser Weise stellt sich "Don Jon" als alternative RomCom also auch gegen seine Artverwandten.
Was Gordon-Levitt also nicht mit Regieeinfällen und auch nicht mit dem voraussehbaren Subplot um Julianne Moore (dafür hat sie auch einfach schon zu viele Rollen dieser Art gespielt) gelingt, schafft er in der intimen Darstellung der beiden zentralen Charaktere: Die Formung der Wirklichkeit durch Medien wird von beiden Seiten beleuchtet und über Johansson und Gordon-Levitt selbst auf gelungene Weise reflektiert.
Das Grauen aus der Tiefe
Etwas schwer in die Gänge kommt die Corman-Produktion um schleimige Fischmonster, die Bewohner eines idyllischen Fischerdorfes angreifen. Der Plot ist dabei so puristisch auf die reinen Attacken fokussiert, dass der Beginn einzig von seiner nasstrüben Fotografie und den reifen Gesichtern der Darsteller rund um Doug McClure zehrt. Und das ist nicht viel; eine Explosion ist zu verzeichnen, eine Auseinandersetzung mit rassistischem Hintergrund (mit dem alte Western-Beile wieder ausgegraben werden) und ein paar Monster-Vision-Shots. Das ist schon alles ganz nett, lässt aber echte Reibungen vermissen, mit denen man die Angriffe letztlich besser hätte verkaufen können; denn was verleiht schon mehr Genugtuung als zu sehen, wie ein echter Fiesling sein gerechtes Ende hinter Schwimmhäuten findet?
Andererseits hat der Purismus durchaus etwas für sich, hebt er doch das herbe Flair der Sets in den Vordergrund, das man in einer harmonischen Mischung aus US-Vorstadt- und Italo-Schmuddelhorror auf sich einwirken lassen darf. Und irgendwann geht dann ja auch richtig die Post ab; selbst heute, zu einer Zeit, da wir des Torture Porns und seiner Saat längst überdrüssig sind, wären vergewaltigende Ungeheuer, sprich die Vermengung von Sexploitation mit Phantastik, in einer etwas größeren Produktion nur schwer denkbar – was weitergedacht durchaus zu dem Schluss führen kann, dass die heutzutage fast ausschließlich im realistischen Bereich angesiedelten Grausamkeiten in ihrer Einseitigkeit entweder aus Scheinheiligkeit entstanden ist oder aus einer Vergessenheit des Wirkungsbereiches phantastischer Filme heraus.
So ist es tatsächlich ungewöhnlich, wie sehr sich einige Szenen niederen Instinkten hingeben; praktisch alle Opfer sind auffällig vollbusig und verlieren ihre ohnehin schon leichte Kleidung im Kampf unter einem zitternden Berg aus schwarzgrünen Schuppen, triefendem Schleim und struppigem Seetang – und all das letztlich nur für einen letzten prothetischen Effekt in der Schlussszene.
Ein ausladendes Finale, in dem eine ganze Stadt während eines Jahrmarkts von den kreaturen auseinandergenommen wird, versöhnt dann auch für die Ereignislosigkeit zuvor. Mit der "Jaws"-Tugend des Nichtzeigens kommt man bei einem Film dieser Machart nicht weit, insofern fällt zu diesem Zeitpunkt die richtige Entscheidung, mit den Monstern nicht mehr länger sparsam umzugehen, denn die von Maskenspezialist Rob Bottin geschaffenen Anzüge überzeugen mit künstlichen Armverlängerungen, einer undefinierbaren Körperbedeckung und ziemlich hässlichen Visagen, die von Kostüm zu Kostüm auch jeweils ein wenig unterschiedlich ausfallen (zumindest wird die Illusion erzeugt – angeblich standen beim Dreh nur drei unterschiedliche Kostüme zur Verfügung). Und ein nächtlicher Hafen vor brennendem Wasser, auf dem Menschenmassen vor Fischmonstern fliehen, sorgt für durchaus interessante Aushangfotos.
Aus heutiger Sicht erscheint die exploitative Unverhohlenheit von "Humanoids From The Deep" dankenswert ehrlich, zumal ironische Brechungen bereits stattfinden und den Scream Queens der 80er weiter den Weg bereiten. Man kann das skandalös finden oder sich einfach an den simplen Dingen des Lebens erfreuen.
Die Rache des Ungeheuers
Die schnell nachgekurbelte Fortsetzung zum "Schrecken vom Amazonas" geht den üblichen Weg vieler Monsterfilmsequels seiner Zeit und befördert die Kreatur aus dem eigenen Wohnzimmer in die Zivilisation. Knüpfen die ersten Minuten noch nahtlos an das Flair des Originals an, erfährt anschließend nicht nur das Titelmonster einen wahren Kulturschock – es ist schon ein Unterschied für die Atmosphäre, ob man den beschuppten Humanoiden durch brasilianische Gewässer oder durch das Aquarium eines Themenparks schwimmen sieht.
Letzterer ist dennoch recht fotogen mit seiner schillernden Meeresbewohnerkultur, in deren Mitte das entführte Wesen wie ein angeketteter König flucht und jede Möglichkeit zur Flucht mit List und Intelligenz in Betracht zieht. Jack Arnold nutzt die Konstellation folgerichtig für diverse Unterwasserstunts, bei denen die Hauptdarsteller John Agar und Lori Nelson, insbesondere natürlich letztere, laufend in Scheingefahr gebracht werden, wenn sie sich dem Wesen beispielsweise bei der Fütterung zu sehr nähern oder dessen Lernprozess unterschätzen.
Natürlich kommt dabei die finale Pointe von "King Kong" zum tragen und mit ihr die Grausamkeit des Menschen, alles Exotische seiner Wurzeln berauben zu müssen, um es bestaunen zu können. Parallel werden Theorien des Behaviourismus präsentiert (nettes Detail am Rande: Clint Eastwood in einem frühen Gastauftritt als Laborant) und am Versuchsobjekt demonstriert, was den kritischen Blick auf die oben genannte menschliche Eigenart noch verschärft. Nur logisch, dass sich das Blatt irgendwann wendet und die Kreatur auf Rache sinnt...
Die Fortsetzung ist solide inszeniert und hat einige beachtliche Spezialeffekte auch abseits des groß beworbenen 3D-Effekts zu bieten (als ein Mann vom Monster gegen einen Baum geschleudert wird, erinnert die Bewegung an das Wirework in chinesischen Wuxia-Filmen der 70er bis 00er Jahre) und insofern durchaus Schauwerte zu verbuchen, die eigentliche Faszination für das Fischwesen geht ins einer Gefangenschaft allerdings ein Stück weit verloren.
Weitere Sichtungen:
Hail, Caesar!
Rage – Tage der Vergeltung
Arrival
Ist ein Digipak (macht für den Preis natürlich keinen Unterschied) und gehört zur Collector's Edition Reihe der ofdb, wo er thematisch ja auch durchaus hinpasst. Ist ja auch gerade erst rausgekommen, d.h. ne Amaray wird ziemlich sicher demnächst kommen.
Gebe dir natürlich Recht, so einen Film muss man nicht zwangsläufig in einer speziellen Edition haben, andererseits sind die Editionen ja immer sehr liebevoll gemacht (inkl. eigens produzierter Extras etc.). Ich mag solche Fassungen persönlich sogar gerade bei solchen vergessenen Filmen fast lieber als bei irgendwelchen aktuellen Straßenfegern.
Gebe dir natürlich Recht, so einen Film muss man nicht zwangsläufig in einer speziellen Edition haben, andererseits sind die Editionen ja immer sehr liebevoll gemacht (inkl. eigens produzierter Extras etc.). Ich mag solche Fassungen persönlich sogar gerade bei solchen vergessenen Filmen fast lieber als bei irgendwelchen aktuellen Straßenfegern.
Love
Schon von "Enter The Void" ging eine warme, melancholische Wirkung aus, die etwas Entwaffnendes verströmte. Aufgrund seiner hochexperimentellen Gestaltung trug Gaspar Noés bis dato letzter Film aber noch einen formalästhetischen Panzer. Diesen streift der Regisseur mit der langen Anlaufzeit von sieben Jahren nun ab und gibt sich bedingungslos einem großen Wort hin, das er mit einem einzigen Film gar nicht bändigen kann: Liebe.
Wer diesen Arthaus-Sexfilm unbedingt attackieren will, wird in seinem Vorhaben wohl kaum scheitern. Die Liebesgeschichte, die ausgehend von einer monogamen Beziehung vor allem polyamore Tendenzen anatomisiert und in eine Dreiecksbeziehung ableitet, liefert eine durchgehende Angriffsfläche, die ebenso lang ist wie die Laufzeit. Seinen grellen Experimentalismus rund um Stroboskoplicht, Neonfarben und vogelfreie Kameraschwenks beschränkt Noé auf ein absolutes Minimum. Mal verteilen sich die Buchstaben eines Zitates über den gesamten Bildschirm, dann wird eine Lichtquelle en detail vor die Kamera gehalten oder eine ungewöhnliche Szenenmontage ausgeführt, auch sticht beispielsweise eine Perspektive aus dem Inneren einer Vagina heraus, die penetriert wird. Insgesamt aber wird mit langen Einstellungen gearbeitet, die das Bildmaterial beruhigen, welches überwiegend in roten UV-Tönen mit reichlich Filmkorn gehalten ist. Die Sets bestehen aus kahlen Zimmern, die mit Filmpostern tapeziert sind (oder mit Kulissen aus "Enter The Void"); die Bildausschnitte liegen nahe an den Körpern, die selbst dann entblößt scheinen, wenn sie mal nicht nackt sind.
So gesehen funktioniert "Love" doch stark über das Visuelle, dies jedoch im Unsichtbaren. In dem Vorhaben, der Realität so ungefiltert wie möglich nahe zu kommen, gerät seine Intention in das gleiche Paradoxon, mit dem auch Dogma 95 per definitionem zu kämpfen hat: Durch Selbstbeschränkung wiederum eine künstlerische Stellung einzunehmen, die doch eine realitätsverfremdende Wirkung ausübt.
Wenn man sich darauf einlässt, kann "Love" insbesondere dank der intensiven Darstellung von Hauptdarstellerin Aomi Muyock dennoch eine faszinierende Erfahrung sein. Sein größtes Mißverständnis ist vermutlich, der Liebe gesamtheitlich beikommen zu wollen, dabei liefert er nur einen kleinen Teilausschnitt. Gemeinsam mit Michael Hanekes "Liebe", der sich dem gleichen Sujet aus völlig anderer Richtung annähert, kommt man der Wahrheit aber schon näher.
Der Nachtmahr
Dass sich der deutsche Genrefilm langsam aufrappelt, ist längst keine Ahnung mehr, sondern klar erkennbar. Der Allroundkünstler Achim Bornhak aka Akiz zeigt Gründe dafür auf: Sein Film, der auf nichts anderem als einer Steinskulptur basiert, macht sich auf angenehme Weise an räumlicher Statik erfahrbar. Auch wenn amerikanische Filmkultur immer noch einen großen Einfluss auf deutsche Filme jenseits von Komödien, Heimat- oder Historienfilmen nehmen, erscheint "Der Nachtmahr" angenehm in seine Wahrnehmungswelt vertieft, die er in grellrote oder kaltblaue Räume bannt.
Das hängt gerade mit der Titelfigur zusammen, die handlungsbezogen eine Manifestation des Geistes der Hauptfigur darstellt und damit das implementierte Coming-Of-Age-Drama psychologisch unterfüttert; zugleich zeigt sie im Sinne einer cineastischen Ästhetik aber auch die Wachrufung eines dreidimensionalen Schaukastenobjekts. Die schwerfälligen, künstlichen Bewegungen und die krüppelhafte Statur der Kreatur lassen die Filmrealität degeneriert erscheinen, um einige Nuancen befreit und in anderen verstärkt; als sei alles, was der Film als Medium zeigen kann, ein Zerrspiegel der Wirklichkeit.
Dementsprechend definiert sich "Der Nachtmahr" über grelle Farbgebung, einen lauten Soundtrack (der zum medialen Meta-Spiel mit filmischen Kommunikationsformen führt) und vor allem Lynch'sche Kontinuitätsbrüche, die sich in besonders starker Form in der Wahrnehmung des Wesens für Außenstehende niederschlägt. Akiz spielt hier mit jenen Filmkonventionen, die von vermeintlich Artverwandten geprägt wurden, bei denen sich die Innenwelt der unverstandenen Hauptfigur jedoch auf keiner Ebene der Umwelt öffnet.
Als Berlin-Film besteht "Der Nachtmahr" zwar hartnäckig auf der traditionellen Fortführung einer exklusiven Nische heimischer Filmproduktion und formuliert diese vielleicht etwas zu aggressiv mit vermeintlich tabubrechenden Vollangriffen auf die Perzeption aus (eine Texttafel warnt – wiederum einer Konvention gemäß – vor Nebenwirkungen der audiovisuellen Gestaltung, nur um in einem Folgesatz dazu aufzufordern, die Lautstärke möglichst weit aufzudrehen), stellt aber ansonsten Beeindruckendes auf die Beine mit einer in ihrer Apathie starken Hauptdarstellerin, ihrem klumpigen Begleiter und einem wirklich nur unerheblichen Wermutstropfen namens Ochsenknecht.
Bad Neighbors 2
Nachdem sich "Bad Neighbors" ja nach überstandenem Peinlichkeitenmarathon in den letzten fünf Minuten unter größter Anstrengung noch so etwas wie eine Botschaft über den Ernst des Lebens aus den Fingern saugte, stellt er das zwei Jahre später folgende Sequel vor allergrößte Probleme. Dieses schickt nämlich ein zutiefst unsympathisches Studentinnentrio unter Leitung von Chloë Grace Moretz vor, um den erschlafften Krieg mit Seth Rogens kleiner Spießerfamilie wieder aufzuwärmen. Zac Efron, wiederum mit allerhand Gelegenheit, sich oben herum zu erkälten, gerät im Zuge dessen zwischen die Fronten und wird vom Drehbuch als weinerliches Vehikel hin- und hergeschubst und praktischerweise mit Komplexen in der Lebensorientierung zugeschissen.
Bahn frei also für eine zutiefst infantile Erörterung von Party-Philosophien, die den zumindest ansatzweise noch funktionierenden Holzfällercharme des ersten Teils völlig vermissen lässt, auch weil Rogen mit Frau und Kind nur noch am Rande etwas zu melden haben. Und trotz dieser völlig beschränkten Griechisch-Buchstaben-Kultur, für die ein Minion die höchste Form der Kunst darstellt, quält sich "Bad Neighbors 2" zu einem an den Haaren herbeigezogenen Hirntot-Kommentar zum Erwachsenwerden: Man bekomme eben nicht immer das, was man will, ohne dafür auch mal etwas zu tun, was man nicht tun will. Oder, um es in der Bildsprache dieses vergeigten Partyfilm-Unrats auszudrücken: Willst du was im Leben erreichen, musst du dich prostituieren.
Zazie
Mit jeder dritten Regiearbeit gerät das Werk eines Regisseurs zur Serie, und im Fall von Louis Malle verrät sie seine kreative Ruhelosigkeit."Fahrstuhl zum Schafott" eröffnete mit einer stilistischen Fingerübung, mit der konservativen Inszenierung von "Die Liebenden" gelang ihm inhaltliche Revolution; in seinem ersten Farbfilm "Zazie" nun experimentiert er wild mit Stilmitteln, heftet sich regressiv an die ersten Gehversuche des Kinos und reduziert so nicht nur kinematografische Entwicklungen von der flüssigen Bewegung zur stroboskopartigen Stop-Motion, sondern zugleich eine hochkomplexe Intension auf eine banale Inhaltsangabe, die aus einem Kinderbuch stammen könnte: Die kleine Zazie besucht ihren Onkel in Paris und möchte so gerne einmal in der Metro fahren.
Jener Onkel trabt zunächst Kuriositäten murmelnd über den Pariser Bahnhof, ein wenig so wie eine Randfigur aus einem mittelmäßig skurrilen Fellini-Film. Erst als der Zug eintrifft und Fahrgäste im Fast Motion die Kabinen verlassen, wird deutlich, dass konventionelle Erzählmittel weitgehend außer Acht gelassen werden. Schnell steigert der Regisseur seinen Experimentalismus in den Exzess, verwendet radikalen Bildschnitt und manipuliert somit die Kontinuität, womit er sich ästhetisch einerseits an den Stummfilm anlehnt und andererseits den Weg bereitet für spätere Generationen von französischen Filmemachern wie Jean-Pierre Jeunet.
Inmitten der schneidenden Gebäudearchitektur von Paris, die von den hampelnden Erwachsenen als Kunst zu interpretieren versucht wird, stiehlt Catherine Demongeot als Gör mit Zahnlücke und knabenhafter Erscheinung drehbuchgemäß der Erwachsenenwelt die Show. Diese wird von Malle nahezu mit der abgeschnittenen Perspektive eines Samstagmorgen-Cartoons eingefangen, in dem man jeweils nur Knie zu Gesicht und Stimme zu Gehör vernimmt, um eine rein kindliche Perspektive rekonstruieren zu können. Langsam demontiert der Film damit den architektonischen Nonsens der adulten Kultur bis hin zu einem perspektivisch schwindelerregenden Ausflug auf den Eiffelturm, den Malle mit optischen Tricks verbiegt wie einen Eisenlöffel, den man auf den Fingerknöcheln wackeln lässt.
Um so stärker hallt der kurze Dialog zwischen Zazie und ihrer Mutter am Ende des Besuchs in der Großstadt nach. Ebenso wie die Inhaltsangabe handelt er von Banalitäten, unter Berücksichtigung der wunderlichen Bildsprache Malles jedoch zerlegt er die Welt des Rationalen jedoch in alle Einzelteile.
Ein Hologramm für den König
Ein Film voller Situationskomik, endloser Weiten und Kulturexotik. Für einen Tom Hanks ist so etwas Routine, zumal er sich gerade erst für Spielberg in "Bridge Of Spies" als Vermittler auf fremdem Terrain bewähren musste. Jede seiner Szenen scheint er mit einer Backe abzusitzen, wirkt dabei aber keinesfalls gelangweilt, sondern beweist vielmehr sein hart erarbeitetes Timing in der Beherrschung der ihm eigenen Comedy, die ihn vor allem mit Nebendarsteller Alexander Black harmonieren lässt (ein typischer Sidekick, den man sich beispielsweise an der Seite eines Tom Cruise ebenso gut vorstellen könnte) und die kombiniert mit Sarita Choudhury einen interessanten Kontrast hervorbringt. Sowohl Schauplatz als auch Plot erfrischen mit einer angenehmen Bodenständigkeit, die das Kino sonst nur noch in Nischen zu kennen scheint. Zumal es zu einem der zentralen Kniffe gehört, das Tykwer den Hauptplot mit zunehmender Laufzeit zu einer Bedeutungslosigkeit abschwächt, wenn auch leider zugunsten kitschiger Postkartenromantik mit (Lebens-)Herbstmotiv.
Das im Filmtitel versteckte Oxymoron behauptet natürlich einen Culture Clash zwischen West und Ost und vor allem zwischen Moderne und Tradition. Auf dieser rhetorischen Figur als Leitfaden beharrt Tykwer vielleicht etwas zu sehr und erklärt sie etwas unglücklich zur Leitlinie seiner Regieführung, was seinen Film trotz der fein gewobenen Spitzen in Sachen Komödie und Drama unnötig plakativ wirken lässt. Insofern ein zwiespältiges Vergnügen, dessen Unterhaltungswert zwar höher ausfällt als angenommen, dessen Nachhall dafür aber um so kürzer ausfällt.
Der Ruf der Macht
Ein paar ungewöhnliche Kameraperspektiven sollen diesem urbanen Noir-Thriller das gewisse Etwas verleihen. Ähnliches könnte man auch von der namhaften Besetzung (Hopkins, Pacino, Duhamel, Åkerman, Stiles, Lee) behaupten, nämlich sie lenke im Grunde ab von dem ungelenken, holprigen Storytelling um Verbrechen, Korruption, Affäre und Mord. Skrupellosigkeit dient als Antrieb für praktisch jede Aktion und formt all die Femme Fatales, undurchsichtigen Geschäftsmänner und geheimnisvollen Fremden. Zweck ist es offensichtlich, eine breite Streuung von Kandidaten für die Auflösung zu präsentieren, mit denen das allzu offensichtliche Rätselspiel den Zuschauer zur Whodunit-Grübelei bewegen will.
Das Ergebnis sind billige Kicks im fahlen Mondschein, der sich in den Fenstern der Großstadtapartments spiegelt – visuell nicht uninteressant, aber äußerst kurzlebig. Altbekannte Gesichter wie jene von Hopkins und Pacino begegnen uns als Masken, die Suspense versprechen und ihn nur bedingt halten. Als dtv-Ware ist das gerade noch gut aufgehoben, im Kino jedoch hätte es nichts zu suchen gehabt.
Weinberg – Die komplette Serie
"Twin Peaks" wird zwar ziemlich deutlich als Stütze beansprucht und in einigen Szenen der ersten beiden Episoden regelrecht nachgestellt, doch mit Kopiervorwürfen möchte man hier eigentlich gar nicht anfangen. Zu groß ist die Freude darüber, dass sich nicht nur der deutsche Film, sondern jetzt sogar deutsches Fernsehen aus seinem Schneckenhaus traut und Genrewerk zu fabrizieren beginnt.
Stärker als jede Lynch- oder auch Shyamalan-Parallele wiegt dann tatsächlich auch die sehr spezielle Atmosphäre deutscher Weinbaugebiete, die in diesem Sechsteiler für hervorragende Bildkompositionen genutzt wird und mit ihnen das Bild einer noch vom Christentum völlig gefangenen, vor der deutschen Großstadtwirklichkeit völlig verborgenen Subkultur zeichnet, die jede Spur unschönen Regionalkolorits großflächig wegpustet.
"Weinberg" ist also eine vom Visuellen angetriebene Produktion, deren Story-Ambitionen allerdings auch nicht außer Acht zu lassen sind. Trotz der erwähnten US-Vorbilder bemühen sich die Drehbuchautoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf darum, Krimi- und Mystery-Elemente so zu kombinieren, dass binnen etwas mehr als fünf Stunden ein gemächlicher Spannungsaufbau mit konstantem Zoom-Out auf die Geschehnisse in der Dorfgemeinschaft zu einem Finale führt, das eine Enthüllung des Whodunit mit möglichst hohem Aha-Effekt anstrebt.
Das funktioniert zufriedenstellend, wenn auch wenig innovativ. Die herausstechende Erkenntnis bleibt aber, dass man die Eigenarten deutscher Drehorte, in diesem Fall des rheinland-pfälzischen Mayschoß, endlich wieder als Möglichkeit begreift, Geschichten aus der Heimat geschmackvoll und alternativlos zu erzählen.
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South Park – Season 18
Fundraising, Ökowahn, Drohnen-Spionage, Freeware-Apps mit versteckten Kosten, moderne VR-Videospieltechnologie und Promi-Kultur stehen der 18. Staffel von "South Park" auf die Fahne geschrieben, womit sie wohl erneut die Zeichentrickserie ist, deren Finger am deutlichsten auf den Puls der Zeit auflegt. Das 10-Episoden-Format der Vorgängerstaffel wird zugleich zum Standardformat erklärt, derweil parallel das zweite Videospiel für die aktuellen Konsolengenerationen entwickelt wird.
Zu erwarten ist die gewohnte Form ätzender Kleinstadtsatire mit erneut leicht verschobenen Ablaufsregeln; derweil ein Kenny ja schon seit vielen Staffeln nicht mehr sterben muss und ein Publikumsliebling wie Chefkoch dafür sein bitterböses Ende auf ewig gefunden hat, werden inzwischen episodenübergreifend kleine Running Gags eingeflochten, die den harten Rahmen der thematisch oft autonomen Einzelgeschichten aufweichen. An der Qualität des Humors ändert das wenig, diese wird allenfalls ein wenig vereinheitlicht; absolute Rohrkrepierer finden nicht mehr statt, zu den Höhepunkten der Serie schließt allerdings ebenfalls keine der Folgen auf, auch und gerade das finale Doppel aus "#Rehash" und "#HappyHolograms" nicht.
"South Park" operiert also weiterhin auf ansprechendem Niveau und entwickelt sein Konzept fortwährend in kleinen Schritten weiter, ohne aber für neue Highlights sorgen zu können. Angesichts der geschrumpften Episodenanzahl ist das wohl das Minimum, das man hätte erwarten können.
Akte X – Season 10
Ist das nun Austesten der Marktlage oder ein hübsch kompakt geschnürtes Fanpaket zum endgültigen Abschied? Das schreiend offene Cliffhanger-Finale der Miniserie, auch Staffel 10 genannt, spricht klar für erstere Möglichkeit, denn hätte man nur noch ein letztes Mal in nostalgischen Gefühlen schwelgen wollen im Wissen, nie wieder zurückzukehren, wäre man mit dem Sechsteiler wohl anders umgegangen.
Andererseits ist der Best-Of-Faktor recht hoch anzusiedeln. Nicht nur werden allerhand beliebte Nebenfiguren reaktiviert, auch die charakteristischen Episodentypen werden allesamt reflektiert; so steht "Mulder and Scully Meet The Were-Monster" klar in Tradition der Ulk-Horrorstories mit Groschenroman-Charakter, vollgestopft mit Selbstironie und Easter Eggs; "Founder's Mutation" zielt auf die Unsichtbarkeit dessen ab, wonach insbesondere Mulder sein Leben lang gejagt hat, derweil "Home Again" mit seinen "Terminator"-Anleihen (ein von Blitzen begleiteter Müllwagen bei Nacht) das Monströse betont, die Manifestation des Fleisches aus dem Nichts und sein ebenso schnelles Verschwinden. Dann tauchen noch Lauren Ambrose und Robbie Amell in der Episode "Babylon" als Agents Einstein und Miller auf, um Mulder und Scully einen Zerrspiegel vorzuhalten, so wie auf deutlich subtilere Weise bereits einst in Staffel 8 und 9 geschehen, als Annabeth Gish und Robert Patrick das Verschwinden von David Duchovny aus dem Cast kompensieren sollten. Zur Einrahmung der Monster-Of-The-Week-lastigen Mittelepisoden dient dann die Zange aus "My Struggle" Teil 1 und 2; hier frönt Carter der Hauptmythologie der Serie und knüpft gewissermaßen die Fäden.
Gleichwohl erweisen sich ausgerechnet diese als Schwachpunkte des Comebacks. Dass hier eine mehr als 20 Jahre alte Serie wiederbelebt wird, spürt man an der längst nicht mehr zeitgemäßen Inszenierung einer Regierungsverschwörung. Die Serie scheint auf nicht ausschließlich positive Art und Weise in ihrer Zeit stehen geblieben zu sein und zollt dem technischen wie gesellschaftlichen Fortschritt der letzten beiden Dekaden allenfalls durch selbstironische Kommentare Mulders ein wenig Tribut, was die wilden Thesen des Mannes, der schon in den 90ern als Dinosaurier galt, noch absurder als ohnehin erscheinen lässt.
Was zwischen Episode 1 und 6 geschieht, lässt jedoch für eine potenzielle Zukunft hoffen, denn hier retten die Originalautoren ein Relikt des alten Fernsehens aus der Zeit vor der Goldenen TV-Ära vor dem Zerfall und liefern es wenigstens noch zur Begutachtung in ein historisches Museum, wobei es ihnen gelingt, den alten Glanz wieder zum Leben zu erwecken. Einzig die an "24" und "Homeland", somit also an den Zeitgeist anknüpfende Folge "Babylon" ist aufgrund ihrer islamophoben Tendenzen und der halbseidenen Aufarbeitung der Thematik qualitativ anzuzweifeln; die restlichen Folgen gefallen mit einer Denkweise, die es so nur von den Autoren der ersten neun Staffeln geben kann.
Duchovny und Anderson werden von der Regie ein wenig resettet und wirken bei weitem nicht mehr so vertraut mit einander wie in den letzten Zügen der Originalserie, doch dieser Schritt ist angesichts der verstrichenen Zeit nachvollziehbar, zumal man auf diese Weise wieder nahtlos an die Zankapfelei von Glauben versus Skeptizismus anknüpfen kann. Beide wachsen nun in Sachen Spielfreude nicht gerade über sich hinaus, sind aber wesentlich besser aufgelegt als in den letzten zwei, drei Staffeln und finden auch recht mühelos wieder in ihre Rollen, wenngleich dem deutschen Zuschauer die Einfindung aufgrund der nun schon dritten Mulder-Synchronstimme wesentlich schwieriger gelingt.
Etwas mehr Mühe hätte Chris Carter in die Ausarbeitung der Rahmenfolgen legen können. Hier wäre es ratsam gewesen, noch stärker auf die Veränderungen einzugehen, die sich in den letzten Jahrzehnten ergeben haben. Davon abgesehen haben die X-Akten jedoch einen Teil ihres Charmes konservieren können.
Homeland – Season 2
Spätestens jetzt muss man beide Augen zudrücken, um nicht zur Logikpolizei überlaufen. Aber wen juckt schon Logik, wenn er Spannung haben kann? Staffel 1 endete mit angehaltenem Atem und versprach eine Fortführung der erfolgreichen Suspense-Rezeptur, die Staffel 2 auch einlöst, allerdings etwas anders als gedacht. So spielt das Skript vor allem mit der Zuneigung, die zwischen den beiden zentralen Charakteren vonstatten geht und nutzt sie für ein doppelbödiges Spiel, das aus beiderlei Perspektive ziemlich gut funktioniert. Die im Zerfall begriffene Familie Brodys mag zwar augenscheinlich nur Subplots ins Leere laufen lassen (etwa jenen um Brodys Tochter und ihre Verwicklung in einen Autounfall mit Fahrerflucht), übt aber tatsächlich nachhaltig Druck auf die Hauptfigur auf und fördert somit wieder den Thrill.
Damian Lewis' wird im Zuge dessen als Schauspieler auch stärker gefordert als in der ersten Staffel und muss einige Male aus seiner verkniffenen Tarnung heraus, was er auch glaubhaft zu transportieren versteht. Claire Danes dreht weiterhin am Rad, überdrüssig wird man ihrer aber nicht – eigentlich kann man gerade von ihrem Zusammenspiel mit Mandy Patinkin nicht genug bekommen. Neu im Rennen ist Rupert Friend als kühl und emotionslos agierender Projektleiter. Er hat es noch etwas schwer, seinen Platz im Gefüge zu finden, zumal er an einigen der größten Logiklöcher beteiligt ist; man versteht aber, welche Funktion seine Figur einmal einnehmen soll.
In Sachen Xenophobie macht sich die zweite Staffel ebenso verdächtig wie die erste, doch wen das übermäßig stört, der wird es wohl ohnehin nicht bis hierhin geschafft haben. Die Autoren haben es jedenfalls verstanden, das Konzept der Auftaktstaffel zu alternieren und neue Herausforderungen einfließen zu lassen, derweil stilistisch alles beim Alten bleibt: "Homeland" ist nach wie vor spannungstechnisch eine Bank und zwingt nach den Ereignissen der letzten beiden Episoden regelrecht dazu, weiter am Ball zu bleiben.
Weitere Sichtungen:
Ratchet & Clank
Independence Day – Resurgence
Jason Bourne
The First Avenger – Civil War
Schon von "Enter The Void" ging eine warme, melancholische Wirkung aus, die etwas Entwaffnendes verströmte. Aufgrund seiner hochexperimentellen Gestaltung trug Gaspar Noés bis dato letzter Film aber noch einen formalästhetischen Panzer. Diesen streift der Regisseur mit der langen Anlaufzeit von sieben Jahren nun ab und gibt sich bedingungslos einem großen Wort hin, das er mit einem einzigen Film gar nicht bändigen kann: Liebe.
Wer diesen Arthaus-Sexfilm unbedingt attackieren will, wird in seinem Vorhaben wohl kaum scheitern. Die Liebesgeschichte, die ausgehend von einer monogamen Beziehung vor allem polyamore Tendenzen anatomisiert und in eine Dreiecksbeziehung ableitet, liefert eine durchgehende Angriffsfläche, die ebenso lang ist wie die Laufzeit. Seinen grellen Experimentalismus rund um Stroboskoplicht, Neonfarben und vogelfreie Kameraschwenks beschränkt Noé auf ein absolutes Minimum. Mal verteilen sich die Buchstaben eines Zitates über den gesamten Bildschirm, dann wird eine Lichtquelle en detail vor die Kamera gehalten oder eine ungewöhnliche Szenenmontage ausgeführt, auch sticht beispielsweise eine Perspektive aus dem Inneren einer Vagina heraus, die penetriert wird. Insgesamt aber wird mit langen Einstellungen gearbeitet, die das Bildmaterial beruhigen, welches überwiegend in roten UV-Tönen mit reichlich Filmkorn gehalten ist. Die Sets bestehen aus kahlen Zimmern, die mit Filmpostern tapeziert sind (oder mit Kulissen aus "Enter The Void"); die Bildausschnitte liegen nahe an den Körpern, die selbst dann entblößt scheinen, wenn sie mal nicht nackt sind.
So gesehen funktioniert "Love" doch stark über das Visuelle, dies jedoch im Unsichtbaren. In dem Vorhaben, der Realität so ungefiltert wie möglich nahe zu kommen, gerät seine Intention in das gleiche Paradoxon, mit dem auch Dogma 95 per definitionem zu kämpfen hat: Durch Selbstbeschränkung wiederum eine künstlerische Stellung einzunehmen, die doch eine realitätsverfremdende Wirkung ausübt.
Wenn man sich darauf einlässt, kann "Love" insbesondere dank der intensiven Darstellung von Hauptdarstellerin Aomi Muyock dennoch eine faszinierende Erfahrung sein. Sein größtes Mißverständnis ist vermutlich, der Liebe gesamtheitlich beikommen zu wollen, dabei liefert er nur einen kleinen Teilausschnitt. Gemeinsam mit Michael Hanekes "Liebe", der sich dem gleichen Sujet aus völlig anderer Richtung annähert, kommt man der Wahrheit aber schon näher.
Der Nachtmahr
Dass sich der deutsche Genrefilm langsam aufrappelt, ist längst keine Ahnung mehr, sondern klar erkennbar. Der Allroundkünstler Achim Bornhak aka Akiz zeigt Gründe dafür auf: Sein Film, der auf nichts anderem als einer Steinskulptur basiert, macht sich auf angenehme Weise an räumlicher Statik erfahrbar. Auch wenn amerikanische Filmkultur immer noch einen großen Einfluss auf deutsche Filme jenseits von Komödien, Heimat- oder Historienfilmen nehmen, erscheint "Der Nachtmahr" angenehm in seine Wahrnehmungswelt vertieft, die er in grellrote oder kaltblaue Räume bannt.
Das hängt gerade mit der Titelfigur zusammen, die handlungsbezogen eine Manifestation des Geistes der Hauptfigur darstellt und damit das implementierte Coming-Of-Age-Drama psychologisch unterfüttert; zugleich zeigt sie im Sinne einer cineastischen Ästhetik aber auch die Wachrufung eines dreidimensionalen Schaukastenobjekts. Die schwerfälligen, künstlichen Bewegungen und die krüppelhafte Statur der Kreatur lassen die Filmrealität degeneriert erscheinen, um einige Nuancen befreit und in anderen verstärkt; als sei alles, was der Film als Medium zeigen kann, ein Zerrspiegel der Wirklichkeit.
Dementsprechend definiert sich "Der Nachtmahr" über grelle Farbgebung, einen lauten Soundtrack (der zum medialen Meta-Spiel mit filmischen Kommunikationsformen führt) und vor allem Lynch'sche Kontinuitätsbrüche, die sich in besonders starker Form in der Wahrnehmung des Wesens für Außenstehende niederschlägt. Akiz spielt hier mit jenen Filmkonventionen, die von vermeintlich Artverwandten geprägt wurden, bei denen sich die Innenwelt der unverstandenen Hauptfigur jedoch auf keiner Ebene der Umwelt öffnet.
Als Berlin-Film besteht "Der Nachtmahr" zwar hartnäckig auf der traditionellen Fortführung einer exklusiven Nische heimischer Filmproduktion und formuliert diese vielleicht etwas zu aggressiv mit vermeintlich tabubrechenden Vollangriffen auf die Perzeption aus (eine Texttafel warnt – wiederum einer Konvention gemäß – vor Nebenwirkungen der audiovisuellen Gestaltung, nur um in einem Folgesatz dazu aufzufordern, die Lautstärke möglichst weit aufzudrehen), stellt aber ansonsten Beeindruckendes auf die Beine mit einer in ihrer Apathie starken Hauptdarstellerin, ihrem klumpigen Begleiter und einem wirklich nur unerheblichen Wermutstropfen namens Ochsenknecht.
Bad Neighbors 2
Nachdem sich "Bad Neighbors" ja nach überstandenem Peinlichkeitenmarathon in den letzten fünf Minuten unter größter Anstrengung noch so etwas wie eine Botschaft über den Ernst des Lebens aus den Fingern saugte, stellt er das zwei Jahre später folgende Sequel vor allergrößte Probleme. Dieses schickt nämlich ein zutiefst unsympathisches Studentinnentrio unter Leitung von Chloë Grace Moretz vor, um den erschlafften Krieg mit Seth Rogens kleiner Spießerfamilie wieder aufzuwärmen. Zac Efron, wiederum mit allerhand Gelegenheit, sich oben herum zu erkälten, gerät im Zuge dessen zwischen die Fronten und wird vom Drehbuch als weinerliches Vehikel hin- und hergeschubst und praktischerweise mit Komplexen in der Lebensorientierung zugeschissen.
Bahn frei also für eine zutiefst infantile Erörterung von Party-Philosophien, die den zumindest ansatzweise noch funktionierenden Holzfällercharme des ersten Teils völlig vermissen lässt, auch weil Rogen mit Frau und Kind nur noch am Rande etwas zu melden haben. Und trotz dieser völlig beschränkten Griechisch-Buchstaben-Kultur, für die ein Minion die höchste Form der Kunst darstellt, quält sich "Bad Neighbors 2" zu einem an den Haaren herbeigezogenen Hirntot-Kommentar zum Erwachsenwerden: Man bekomme eben nicht immer das, was man will, ohne dafür auch mal etwas zu tun, was man nicht tun will. Oder, um es in der Bildsprache dieses vergeigten Partyfilm-Unrats auszudrücken: Willst du was im Leben erreichen, musst du dich prostituieren.
Zazie
Mit jeder dritten Regiearbeit gerät das Werk eines Regisseurs zur Serie, und im Fall von Louis Malle verrät sie seine kreative Ruhelosigkeit."Fahrstuhl zum Schafott" eröffnete mit einer stilistischen Fingerübung, mit der konservativen Inszenierung von "Die Liebenden" gelang ihm inhaltliche Revolution; in seinem ersten Farbfilm "Zazie" nun experimentiert er wild mit Stilmitteln, heftet sich regressiv an die ersten Gehversuche des Kinos und reduziert so nicht nur kinematografische Entwicklungen von der flüssigen Bewegung zur stroboskopartigen Stop-Motion, sondern zugleich eine hochkomplexe Intension auf eine banale Inhaltsangabe, die aus einem Kinderbuch stammen könnte: Die kleine Zazie besucht ihren Onkel in Paris und möchte so gerne einmal in der Metro fahren.
Jener Onkel trabt zunächst Kuriositäten murmelnd über den Pariser Bahnhof, ein wenig so wie eine Randfigur aus einem mittelmäßig skurrilen Fellini-Film. Erst als der Zug eintrifft und Fahrgäste im Fast Motion die Kabinen verlassen, wird deutlich, dass konventionelle Erzählmittel weitgehend außer Acht gelassen werden. Schnell steigert der Regisseur seinen Experimentalismus in den Exzess, verwendet radikalen Bildschnitt und manipuliert somit die Kontinuität, womit er sich ästhetisch einerseits an den Stummfilm anlehnt und andererseits den Weg bereitet für spätere Generationen von französischen Filmemachern wie Jean-Pierre Jeunet.
Inmitten der schneidenden Gebäudearchitektur von Paris, die von den hampelnden Erwachsenen als Kunst zu interpretieren versucht wird, stiehlt Catherine Demongeot als Gör mit Zahnlücke und knabenhafter Erscheinung drehbuchgemäß der Erwachsenenwelt die Show. Diese wird von Malle nahezu mit der abgeschnittenen Perspektive eines Samstagmorgen-Cartoons eingefangen, in dem man jeweils nur Knie zu Gesicht und Stimme zu Gehör vernimmt, um eine rein kindliche Perspektive rekonstruieren zu können. Langsam demontiert der Film damit den architektonischen Nonsens der adulten Kultur bis hin zu einem perspektivisch schwindelerregenden Ausflug auf den Eiffelturm, den Malle mit optischen Tricks verbiegt wie einen Eisenlöffel, den man auf den Fingerknöcheln wackeln lässt.
Um so stärker hallt der kurze Dialog zwischen Zazie und ihrer Mutter am Ende des Besuchs in der Großstadt nach. Ebenso wie die Inhaltsangabe handelt er von Banalitäten, unter Berücksichtigung der wunderlichen Bildsprache Malles jedoch zerlegt er die Welt des Rationalen jedoch in alle Einzelteile.
Ein Hologramm für den König
Ein Film voller Situationskomik, endloser Weiten und Kulturexotik. Für einen Tom Hanks ist so etwas Routine, zumal er sich gerade erst für Spielberg in "Bridge Of Spies" als Vermittler auf fremdem Terrain bewähren musste. Jede seiner Szenen scheint er mit einer Backe abzusitzen, wirkt dabei aber keinesfalls gelangweilt, sondern beweist vielmehr sein hart erarbeitetes Timing in der Beherrschung der ihm eigenen Comedy, die ihn vor allem mit Nebendarsteller Alexander Black harmonieren lässt (ein typischer Sidekick, den man sich beispielsweise an der Seite eines Tom Cruise ebenso gut vorstellen könnte) und die kombiniert mit Sarita Choudhury einen interessanten Kontrast hervorbringt. Sowohl Schauplatz als auch Plot erfrischen mit einer angenehmen Bodenständigkeit, die das Kino sonst nur noch in Nischen zu kennen scheint. Zumal es zu einem der zentralen Kniffe gehört, das Tykwer den Hauptplot mit zunehmender Laufzeit zu einer Bedeutungslosigkeit abschwächt, wenn auch leider zugunsten kitschiger Postkartenromantik mit (Lebens-)Herbstmotiv.
Das im Filmtitel versteckte Oxymoron behauptet natürlich einen Culture Clash zwischen West und Ost und vor allem zwischen Moderne und Tradition. Auf dieser rhetorischen Figur als Leitfaden beharrt Tykwer vielleicht etwas zu sehr und erklärt sie etwas unglücklich zur Leitlinie seiner Regieführung, was seinen Film trotz der fein gewobenen Spitzen in Sachen Komödie und Drama unnötig plakativ wirken lässt. Insofern ein zwiespältiges Vergnügen, dessen Unterhaltungswert zwar höher ausfällt als angenommen, dessen Nachhall dafür aber um so kürzer ausfällt.
Der Ruf der Macht
Ein paar ungewöhnliche Kameraperspektiven sollen diesem urbanen Noir-Thriller das gewisse Etwas verleihen. Ähnliches könnte man auch von der namhaften Besetzung (Hopkins, Pacino, Duhamel, Åkerman, Stiles, Lee) behaupten, nämlich sie lenke im Grunde ab von dem ungelenken, holprigen Storytelling um Verbrechen, Korruption, Affäre und Mord. Skrupellosigkeit dient als Antrieb für praktisch jede Aktion und formt all die Femme Fatales, undurchsichtigen Geschäftsmänner und geheimnisvollen Fremden. Zweck ist es offensichtlich, eine breite Streuung von Kandidaten für die Auflösung zu präsentieren, mit denen das allzu offensichtliche Rätselspiel den Zuschauer zur Whodunit-Grübelei bewegen will.
Das Ergebnis sind billige Kicks im fahlen Mondschein, der sich in den Fenstern der Großstadtapartments spiegelt – visuell nicht uninteressant, aber äußerst kurzlebig. Altbekannte Gesichter wie jene von Hopkins und Pacino begegnen uns als Masken, die Suspense versprechen und ihn nur bedingt halten. Als dtv-Ware ist das gerade noch gut aufgehoben, im Kino jedoch hätte es nichts zu suchen gehabt.
Weinberg – Die komplette Serie
"Twin Peaks" wird zwar ziemlich deutlich als Stütze beansprucht und in einigen Szenen der ersten beiden Episoden regelrecht nachgestellt, doch mit Kopiervorwürfen möchte man hier eigentlich gar nicht anfangen. Zu groß ist die Freude darüber, dass sich nicht nur der deutsche Film, sondern jetzt sogar deutsches Fernsehen aus seinem Schneckenhaus traut und Genrewerk zu fabrizieren beginnt.
Stärker als jede Lynch- oder auch Shyamalan-Parallele wiegt dann tatsächlich auch die sehr spezielle Atmosphäre deutscher Weinbaugebiete, die in diesem Sechsteiler für hervorragende Bildkompositionen genutzt wird und mit ihnen das Bild einer noch vom Christentum völlig gefangenen, vor der deutschen Großstadtwirklichkeit völlig verborgenen Subkultur zeichnet, die jede Spur unschönen Regionalkolorits großflächig wegpustet.
"Weinberg" ist also eine vom Visuellen angetriebene Produktion, deren Story-Ambitionen allerdings auch nicht außer Acht zu lassen sind. Trotz der erwähnten US-Vorbilder bemühen sich die Drehbuchautoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf darum, Krimi- und Mystery-Elemente so zu kombinieren, dass binnen etwas mehr als fünf Stunden ein gemächlicher Spannungsaufbau mit konstantem Zoom-Out auf die Geschehnisse in der Dorfgemeinschaft zu einem Finale führt, das eine Enthüllung des Whodunit mit möglichst hohem Aha-Effekt anstrebt.
Das funktioniert zufriedenstellend, wenn auch wenig innovativ. Die herausstechende Erkenntnis bleibt aber, dass man die Eigenarten deutscher Drehorte, in diesem Fall des rheinland-pfälzischen Mayschoß, endlich wieder als Möglichkeit begreift, Geschichten aus der Heimat geschmackvoll und alternativlos zu erzählen.
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South Park – Season 18
Fundraising, Ökowahn, Drohnen-Spionage, Freeware-Apps mit versteckten Kosten, moderne VR-Videospieltechnologie und Promi-Kultur stehen der 18. Staffel von "South Park" auf die Fahne geschrieben, womit sie wohl erneut die Zeichentrickserie ist, deren Finger am deutlichsten auf den Puls der Zeit auflegt. Das 10-Episoden-Format der Vorgängerstaffel wird zugleich zum Standardformat erklärt, derweil parallel das zweite Videospiel für die aktuellen Konsolengenerationen entwickelt wird.
Zu erwarten ist die gewohnte Form ätzender Kleinstadtsatire mit erneut leicht verschobenen Ablaufsregeln; derweil ein Kenny ja schon seit vielen Staffeln nicht mehr sterben muss und ein Publikumsliebling wie Chefkoch dafür sein bitterböses Ende auf ewig gefunden hat, werden inzwischen episodenübergreifend kleine Running Gags eingeflochten, die den harten Rahmen der thematisch oft autonomen Einzelgeschichten aufweichen. An der Qualität des Humors ändert das wenig, diese wird allenfalls ein wenig vereinheitlicht; absolute Rohrkrepierer finden nicht mehr statt, zu den Höhepunkten der Serie schließt allerdings ebenfalls keine der Folgen auf, auch und gerade das finale Doppel aus "#Rehash" und "#HappyHolograms" nicht.
"South Park" operiert also weiterhin auf ansprechendem Niveau und entwickelt sein Konzept fortwährend in kleinen Schritten weiter, ohne aber für neue Highlights sorgen zu können. Angesichts der geschrumpften Episodenanzahl ist das wohl das Minimum, das man hätte erwarten können.
Akte X – Season 10
Ist das nun Austesten der Marktlage oder ein hübsch kompakt geschnürtes Fanpaket zum endgültigen Abschied? Das schreiend offene Cliffhanger-Finale der Miniserie, auch Staffel 10 genannt, spricht klar für erstere Möglichkeit, denn hätte man nur noch ein letztes Mal in nostalgischen Gefühlen schwelgen wollen im Wissen, nie wieder zurückzukehren, wäre man mit dem Sechsteiler wohl anders umgegangen.
Andererseits ist der Best-Of-Faktor recht hoch anzusiedeln. Nicht nur werden allerhand beliebte Nebenfiguren reaktiviert, auch die charakteristischen Episodentypen werden allesamt reflektiert; so steht "Mulder and Scully Meet The Were-Monster" klar in Tradition der Ulk-Horrorstories mit Groschenroman-Charakter, vollgestopft mit Selbstironie und Easter Eggs; "Founder's Mutation" zielt auf die Unsichtbarkeit dessen ab, wonach insbesondere Mulder sein Leben lang gejagt hat, derweil "Home Again" mit seinen "Terminator"-Anleihen (ein von Blitzen begleiteter Müllwagen bei Nacht) das Monströse betont, die Manifestation des Fleisches aus dem Nichts und sein ebenso schnelles Verschwinden. Dann tauchen noch Lauren Ambrose und Robbie Amell in der Episode "Babylon" als Agents Einstein und Miller auf, um Mulder und Scully einen Zerrspiegel vorzuhalten, so wie auf deutlich subtilere Weise bereits einst in Staffel 8 und 9 geschehen, als Annabeth Gish und Robert Patrick das Verschwinden von David Duchovny aus dem Cast kompensieren sollten. Zur Einrahmung der Monster-Of-The-Week-lastigen Mittelepisoden dient dann die Zange aus "My Struggle" Teil 1 und 2; hier frönt Carter der Hauptmythologie der Serie und knüpft gewissermaßen die Fäden.
Gleichwohl erweisen sich ausgerechnet diese als Schwachpunkte des Comebacks. Dass hier eine mehr als 20 Jahre alte Serie wiederbelebt wird, spürt man an der längst nicht mehr zeitgemäßen Inszenierung einer Regierungsverschwörung. Die Serie scheint auf nicht ausschließlich positive Art und Weise in ihrer Zeit stehen geblieben zu sein und zollt dem technischen wie gesellschaftlichen Fortschritt der letzten beiden Dekaden allenfalls durch selbstironische Kommentare Mulders ein wenig Tribut, was die wilden Thesen des Mannes, der schon in den 90ern als Dinosaurier galt, noch absurder als ohnehin erscheinen lässt.
Was zwischen Episode 1 und 6 geschieht, lässt jedoch für eine potenzielle Zukunft hoffen, denn hier retten die Originalautoren ein Relikt des alten Fernsehens aus der Zeit vor der Goldenen TV-Ära vor dem Zerfall und liefern es wenigstens noch zur Begutachtung in ein historisches Museum, wobei es ihnen gelingt, den alten Glanz wieder zum Leben zu erwecken. Einzig die an "24" und "Homeland", somit also an den Zeitgeist anknüpfende Folge "Babylon" ist aufgrund ihrer islamophoben Tendenzen und der halbseidenen Aufarbeitung der Thematik qualitativ anzuzweifeln; die restlichen Folgen gefallen mit einer Denkweise, die es so nur von den Autoren der ersten neun Staffeln geben kann.
Duchovny und Anderson werden von der Regie ein wenig resettet und wirken bei weitem nicht mehr so vertraut mit einander wie in den letzten Zügen der Originalserie, doch dieser Schritt ist angesichts der verstrichenen Zeit nachvollziehbar, zumal man auf diese Weise wieder nahtlos an die Zankapfelei von Glauben versus Skeptizismus anknüpfen kann. Beide wachsen nun in Sachen Spielfreude nicht gerade über sich hinaus, sind aber wesentlich besser aufgelegt als in den letzten zwei, drei Staffeln und finden auch recht mühelos wieder in ihre Rollen, wenngleich dem deutschen Zuschauer die Einfindung aufgrund der nun schon dritten Mulder-Synchronstimme wesentlich schwieriger gelingt.
Etwas mehr Mühe hätte Chris Carter in die Ausarbeitung der Rahmenfolgen legen können. Hier wäre es ratsam gewesen, noch stärker auf die Veränderungen einzugehen, die sich in den letzten Jahrzehnten ergeben haben. Davon abgesehen haben die X-Akten jedoch einen Teil ihres Charmes konservieren können.
Homeland – Season 2
Spätestens jetzt muss man beide Augen zudrücken, um nicht zur Logikpolizei überlaufen. Aber wen juckt schon Logik, wenn er Spannung haben kann? Staffel 1 endete mit angehaltenem Atem und versprach eine Fortführung der erfolgreichen Suspense-Rezeptur, die Staffel 2 auch einlöst, allerdings etwas anders als gedacht. So spielt das Skript vor allem mit der Zuneigung, die zwischen den beiden zentralen Charakteren vonstatten geht und nutzt sie für ein doppelbödiges Spiel, das aus beiderlei Perspektive ziemlich gut funktioniert. Die im Zerfall begriffene Familie Brodys mag zwar augenscheinlich nur Subplots ins Leere laufen lassen (etwa jenen um Brodys Tochter und ihre Verwicklung in einen Autounfall mit Fahrerflucht), übt aber tatsächlich nachhaltig Druck auf die Hauptfigur auf und fördert somit wieder den Thrill.
Damian Lewis' wird im Zuge dessen als Schauspieler auch stärker gefordert als in der ersten Staffel und muss einige Male aus seiner verkniffenen Tarnung heraus, was er auch glaubhaft zu transportieren versteht. Claire Danes dreht weiterhin am Rad, überdrüssig wird man ihrer aber nicht – eigentlich kann man gerade von ihrem Zusammenspiel mit Mandy Patinkin nicht genug bekommen. Neu im Rennen ist Rupert Friend als kühl und emotionslos agierender Projektleiter. Er hat es noch etwas schwer, seinen Platz im Gefüge zu finden, zumal er an einigen der größten Logiklöcher beteiligt ist; man versteht aber, welche Funktion seine Figur einmal einnehmen soll.
In Sachen Xenophobie macht sich die zweite Staffel ebenso verdächtig wie die erste, doch wen das übermäßig stört, der wird es wohl ohnehin nicht bis hierhin geschafft haben. Die Autoren haben es jedenfalls verstanden, das Konzept der Auftaktstaffel zu alternieren und neue Herausforderungen einfließen zu lassen, derweil stilistisch alles beim Alten bleibt: "Homeland" ist nach wie vor spannungstechnisch eine Bank und zwingt nach den Ereignissen der letzten beiden Episoden regelrecht dazu, weiter am Ball zu bleiben.
Weitere Sichtungen:
Ratchet & Clank
Independence Day – Resurgence
Jason Bourne
The First Avenger – Civil War
The Canal
Der irische Geisterfilm erweist sich im Spiel mit Psyche und Wahrnehmung als kunstvoll und außergewöhnlich genug, dass man ihm den durchschaubaren Storytwist nicht als größte Errungenschaft abnehmen muss. Ivan Kavanagh gelingen in ausgeblichenen, kühlen Bildern Eindrücke suburbaner Melancholie. Er portraitiert isolierte Orte fast so, wie ein Fotograf es tun würde; eine abseitige, mit Graffitis vollgeschmierte Toilette etwa inszeniert er als Kunstobjekt, in dem auch eine Schlüsselszene stattfindet, ebenso wie im hohen Gras vor dem titelgebenden Kanal. Auch ehrt er die Ursprünge des Kinos, indem er für Film-im-Film-Aufnahmen die Ästhetik des Stummfilms einzufangen versucht. Passend dazu breitet ein grummelnder Soundtrack seine Flügel in dem Bildmaterial aus, um sich stets zur rechten Zeit zurückzuziehen und die Stille zum schwelenden Schrei anschwellen zu lassen.
Der tief im Melodram verwurzelte Story-Ansatz ermöglicht dabei eine intensive Einfühlung in die Situation, zumal in den ersten Einstellungen geschickt mit Momenten des Misstrauens und Argwohns gespielt wird, was sich im weiteren Verlauf zunehmend in einen verschwommenen Fiebertraum verwandelt, der eine Differenzierung zwischen Einbildung und tatsächlichen Geschehnissen nicht mehr zulässt. "Ring" und Artverwandte erweisen sich dabei als Vorlage für die Modellierung der Geisterszenen, die wie Akzentuierungen in dem dargestellten Beziehungsmosaik wirken, welches bereits in seine Einzelteile zerfallen ist.
Das Setzen eigener Standards mag damit ästhetisch wie inhaltlich verhindert werden, die Collage als solche allerdings erweist sich als beeindruckend.
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The Guyver aka Mutronics
Amerikanisierter Manga-Nonsens mit dem für die Endachtziger so typischen Urban-Punk-Flair, spielend in Seitengassen, Lagerhallen und manchmal auch in den Büros der CIA – klar und deutlich ein Kind der Zeit, in der auch Filme wie "Masters Of The Universe" oder "Teenage Mutant Ninja Turtles" entstanden. Wer sich die "Gremlins" immer mal in groß gewünscht hat, bekommt hier durchaus originelle Ganzkörper-Kostüme serviert, die sich in seltenen und meist wenig mühevollen Transformationsszenen aus dem Erscheinungsbild normaler Menschen schälen (wobei das mit dem "normalen Erscheinungsbild" wenigstens bei einem Darsteller wie Michael Berryman diskussionswürdig ist). Insofern sogar fast ein Vorreiter der "Men In Black". Leider dümpelt der Plot zäh vor sich hin, was wohl dem Umstand geschuldet ist, dass man seiner Abstrusität nicht unbedingt folgen möchte und dann auch gerne mal abschaltet, bis vielleicht mal wieder der Guyver seinen biokinetischen Anzug überstreift und in den intergalaktischen Kopfjägerkrieg einstimmt. Derartiges möchte man vielleicht retrospektiv so liebhaben wie die vier maskierten Schildkröten aus der Kanalisation, doch dazu fehlen die netten Details, und handele es sich dabei auch nur ein Stück Pizza. Mark Hamills Schnäuzer indes zählt nicht als Erinnerungsstück und so verbleiben die "Mutronics" als Erinnerung, dass nicht alles automatisch zum Kult gewachsen ist, was die 80er gepflanzt haben.
Legend Of Tarzan
Handwerklich kann man Warners actionreiche Big-Budget-Produktion kaum kritisieren, noch kann man ihr vorwerfen, dass sie an der modernen Neuerzählung klassischer Fabeln, wie sie momentan im Trend liegen, teilhaben möchte. Alleine ist in Zweifel zu ziehen, dass ein "Tarzan" sich anno 2016 zur Modernisierung eignet.
Insbesondere eine mit Bedacht aufgebaute, progressive Neuerzählung wie "Planet der Affen" von 20th Century Fox, an der sich Warner mit exzessiven Primaten-Darstellungen zumindest in punkto CGI ganz offensichtlich orientiert, zeigt dem Projekt die Grenzen auf. Hier führt Unterdrückung und Ignoranz noch zum Aufstand (der Affen), dort dasselbe Verhalten zur Befreiung (des afrikanischen Volkes) – welcher der beiden Ausgänge einen wahren Kern beinhaltet und welcher bloß Augenwischerei zum Zwecke der Heldenbildung betreibt, ist für ein weitgehend aufgeklärtes Publikum inzwischen schnell identifiziert.
So drückt bei "Tarzan" der Schuh in der äußerst rückständigen Ideologie, die durch das moderne Storytelling nicht etwa ausgebügelt, sondern gar verschlimmert wird, da sie einen unübersehbaren Kontrast zwischen Form und Inhalt schafft. Selbst das Casting arbeitet mit stechenden Kontrasten, indem es markante Gesichter wie Samuel L. Jackson oder Djimon Hounsou zur Teilnahmslosigkeit verdammt und einen Christoph Waltz stattdessen steilgehen lässt. Skarsgard macht seine Sache in der Titelrolle derweil gut, ist am Ende aber nicht Produkt seiner Umwelt, sondern der beengten Perspektive auf einen Kontinent, den man vielseitiger hätte präsentieren können als über baumelnde Lianenranken, kämpfende Gorillas und hinterlistige Krokodile.
Der Bunker
Treffend, dass der Abspann vor pechschwarzem Hintergrund Kleidungsstücke und andere Requisiten in dreidimensionaler Manier wendet wie obskure Ausstellungsstücke; schließlich bündelt sich in ihnen hochkonzentriert der kleinbürgerliche Mief, der sich in Nikias Chryssos Kammerspielgroteske auf kleinstem Raum abspielt.
Doch wäre "Der Bunker" lediglich ein satirischer Abgesang auf deutsches Spießbürgertum und nähme infolgedessen dieselbe äußere Erscheinung an, um sozusagen unentdeckt unter Schafen zu verweilen, so höbe er sich nicht nennenswert von den Errungenschaften des deutschen Films der letzten zwei Jahrzehnte ab, der ja kaum etwas anderes kennt, als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Nein, wenngleich von den Tapeten zur Wohnzimmereinrichtung samt Esstisch über die Gerichte, die auf ihm serviert werden, bis zu den unzählbaren Neurosen von Mutter und Vater oder deren Bekleidung alles gellend deutsch wirkt, strahlt die Inszenierung einen nahezu kosmischen Geltungsgrad aus.
Übernatürliches greift dezent in die vielen kleinen Zirkulationen der Gewohnheit ein, aus denen der gar nicht mehr so kleine Klaus getrieben durch kindlichen Erforschungsdrang immer wieder auszubrechen versucht. Nicht umsonst lassen Rezensenten auf der Suche nach bildhaften Vergleichen Helge Schneider und David Lynch laufend aufeinanderprallen wie zwei Plastikautos in den Fäusten eines riesenhaften, fleischigen Berges von einem Kind.
Chryssos wird in der Inszenierung von Seltsamkeiten immer drastischer; Marotten verwandeln sich langsam in Psychosen, "Geschmäckle" in in eindeutige moralische Vergehen. Pit Bukowski liefert als hinzugezogener Student einen potenziellen Ausweg aus dem intrinsischen Labyrinth, wird dem Zuschauer trotz der distanzierten Haltung gegenüber dem Verhalten von Mutter und Vater allerdings laufend entrissen, wenn er sich doch auf die Spielregeln einlässt. Somit serviert Chryssos ein Darstellerquartett, das dem Wahnsinn in unterschiedlichster Ausführung anheim fällt und mit individuellen Mitteln durchweg überzeugt; ob man nun Oona von Maydell, David Scheller, Daniel Fripan oder eben Bukowski herausheben möchte, Argumente sind für jeden Darsteller in der bunt überladenen Waldhütte reichlich vorhanden.
Das ist weit mehr als die übliche deutsche Selbstbeschäftigungstherapie, deren Hauptmerkmal es ist, sich dem Rest der Welt zu verschließen; "Der Bunker" verspricht als surrende Kunstcollage ertragreichen Wahrnehmungsaustausch über landesweiten Wirkungsgrad hinaus – ganz ohne jede Anbiederung an internationale Trends.
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Lavalantula
Mike Mendez hat wohl jene Nische für sich entdeckt, die von Asylum bislang hauptsächlich mit Haien gefüllt wurde. Also noch ein paar Spinnen oben drauf und die neuerdings kultivierte Vorstellung von Trash bedient, die mit dem ursprünglichen Begriff im Grunde nicht mehr viel zu tun hat. Es genügt dem Anspruch an die liebevollen Unzulänglichkeiten wahrer Trashfilme jedenfalls nicht, um die eigene Inkompetenz zu wissen und sie mit kalkulierter Augenzwinkerei als selbstironische Stärke zu verkaufen.
Wenn Mendez also nun mit seinem zweiten Spinnenfilm in Folge schon kein Trash-Original schaffen kann, verlässt er immerhin die qualitativen Untiefen des Speis aus der Asylum-Schmiede und müht sich um ein etwas vorzeigbareres Erscheinungsbild und einen Unterhaltungslevel, der auch ohne einen Hektoliter Bier auf Reserve annehmbar ausfällt. Dass natürlich trotzdem auf die Asylum-Klientel abgezielt wird, macht nicht nur Ian Zierings Haijäger-Cameo deutlich, sondern viel vordergründiger die absurde Prämisse, die nach "Sharknado"-Muster Katastrophenfilm und Tierhorror vermischt, ohne sich dabei auch nur einen Deut um die Gesetze der Physik zu scheren. Mit vulkanischen Riesenspinnen, deren Gelenke glühen und deren chitinartiger Panzer selbst für einen Helden wie Steve Guttenberg schwer zu knacken ist, betont das Creature Design den digitalen, alienesken und ungreifbaren Charakter der Filmmonster, wie er typisch für diese Gattung Film ist und besonders untypisch für die Wiege des Monster Movies der 30er bis 80er Jahre mit seinen Masken und animatronischen Effekten.
Guttenberg tritt mit einer ganzen Armee alter Police-Academy-Kollegen gegen die Achtbeiner aus dem Rechner an und verschafft dem in L.A.s Touristenstraßen stattfindenden Lavaspektakel somit einen doppelbödigen Unterbau, der die Dienst-nach-Vorschrift-Dialoge und -Situationen immerhin angenehm auflockert. Guttenberg mit Michael Winslow, Marion Ramsey und Leslie Easterbrook auf der Leinwand wiedervereint zu sehen, ist tatsächlich so unterhaltsam, dass man sich beinahe (aber auch nur beinahe) eine Police-Academy-Neuauflage wünschen wurde (ein Wunsch, den nach "Mission in Moskau" niemand öffentlich zu äußern gewagt hätte).
Weil "Lavalantula" jene qualitativ überragt, mit denen er sich hauptsächlich misst, an etwas höher hängende Früchte wie "Arac Attack" dann aber doch wieder nicht heranreicht, steht er natürlich ein wenig zwischen den Stühlen und rangiert sich folglich im soliden Mittelfeld ein.
Tremors 5
Der fünfte Teil der ohnehin sehr oldschooligen Graboidensaga fällt anachronistischer denn je aus. Schließlich drängt er in ein Filmzeitalter, das ihm wohl nur noch wenig Verständnis für seine absonderlichen Kreaturen entgegenbringen dürfte - gerade wenn man bedenkt, welch verrückten biologischen Zyklus sich die Drehbuchautoren für die bisherigen Fortsetzungen ausgedacht haben. Bei "Arschknallern" wird ein junges Publikum jedenfalls an alles mögliche denken, nur nicht an feuerangetriebene, blinde Hühnchen, die mit Maulwurf-Riesenwürmern in Verwandtschaft stehen.
Insofern ist "Tremors – Bloodlines" 12 Jahre nach dem letzten Film als reiner Fanservice zu verstehen und auf dem dtv-Sektor gerade richtig aufgehoben, macht hier aber wiederum gar keine so schlechte Figur. Michael Gross ist wieder dabei und konnte als alter Waffennarr ja nur reifen (selbst als 85-Jähriger, der im Schaukelstuhl seine Blechbüchse umklammert und Bierdosen mit dem letzten verbliebenen Zahn öffnet, würde er einer weiteren Fortsetzung in ferner Zukunft noch einen Mehrwert bieten); Co-Star Jamie Kennedy ist für solche Filme ohnehin wie gemacht. Der Schauplatz wurde von amerikanischen Wüstenkäffern in die afrikanische Savanne verlegt, was für den Bodenbelag wohl kaum einen Unterschied machen dürfte, sondern höchstens für das überirdische Szenenbild. Und die CGI haben seit den gurkigen Teilen 3 und 4 wahre Quantensprünge gemacht. Selbst wenn "Tremors 5" natürlich nicht auf High-End-Lösungen unserer Zeit zurückgreifen kann, sehen die Graboiden und ihre freilaufenden Sprösslinge mindestens so gut aus wie Mendez'sche Spinnenschöpfungen ("Lavalantula", "Big Ass Spider!"), gleichwohl die handgemachten Effekte des Originals mit Kevin Bacon natürlich unerreicht bleiben.
Der Plot ist natürlich wieder zäh wie Schuhsohle und atmet eigentlich nur über taktische Finten und militärische Ablenkmanöver, aber das kennt man ja von der Reihe. Wer sich bei den "Raketenwürmern" schon immer halbwegs heimisch fühlte, findet sich jedenfalls auch im fünften Teil schnell wieder zurecht. Die Videothek hat wesentlich Schlimmeres zu bieten als Burt Gummers Waffenarsenal – auch wenn man irgendwie immer das Gefühl hat, Hauptzielgruppe sei kein ironisches Monster-Movie-Publikum, sondern all die anderen kleinen Burt Gummers auf der Welt...
Starry Eyes
Narrativer und zugänglicher als Nicolas Winding Refns diesjähriger Model-Horrorfilm "The Neon Demon", bewegt sich der Schauspieler-Alptraum "Starry Eyes" von 2014 auf dem gleichen Terrain und ist im emotionalen Kern, wenn auch nicht in der formellen Umsetzung, vor allem auf einer Linie mit David Lynchs "Mulholland Drive". Denn auch hier steigern sich Ehrgeiz und Willenskraft in Bilder psychosomatischer Transformationen.
Das Drehbuch begreift den Traum von Hollywood als eine Art umgekehrtes Kreuz und übersetzt es metaphorisch in die sorgfältig geplante und dann auch entsprechend umgesetzte Metapher der Wiedergeburt. Während sich Alex Essoe als junge Schauspielerin recht überzeugend dem Wahnsinn hingibt und daraufhin einem Monster optisch immer ähnlicher zu werden scheint als ihren glamourösen Idolen aus der Filmgeschichte, decken die Regisseure Kölsch und Widmeyer ihre Arbeit mit zunehmend drastischer werdenden Bildern ein, die zuerst vor düsteren Bildkompositionen, dann rabiaten Splattereffekten und schließlich auch vor übernatürlichen Bildern nicht Halt machen, während das System großer Filmproduktionen mit sektenhaften Zügen und einem klar okkulten Strich hysterisch radikal dämonisiert wird.
An mancher Stelle manövriert sich die Handlung in Sackgassen und Wie-geht's-jetzt-weiter-Momente, allerdings wird stets ein Weg in noch ausweglosere Situationen gefunden. Das Auskotzen von Maden im Zeichen der Selbstreinigung und eine Reinkarnation als haarloses Neutrum mag als zu plakativ empfunden werden können, die hohe Intensität und die vergleichsweise einfache Nachvollziehbarkeit der ursprünglichen Situation der Hauptfigur machen das aber wieder wett und lassen "Starry Eyes" zu einer gelungenen Alternative werden für all jene, denen NWR das Sujet zu verkopft anging.
The Cobbler – Der Schuhmagier
Auch wenn die Prämisse kombiniert mit dem Hauptdarsteller den schlimmsten Nonsens aller Zeiten befürchten lässt, weicht "The Cobbler" deutlich ab von dem Unfug seiner Frat-Pack-Connection rund um Kevin James & Co. Er lehnt sich lieber an den märchenhaften Charakter von Produktionen wie "Klick" oder "Bedtime Stories" an. Eine an den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreichende Rückblende mit geschmackvollen Setpieces verleiht der Handlung einen traditionellen Rahmen und damit zugleich ein gemäßigtes, weniger ausgeflipptes Erzähltempo als gewohnt.
Trotzdem sind es immer noch Schuhe mit gestaltwandlerischer Wirkung, die die Regeln bestimmen und von Fashion-Travestie über Verwechslungs-Comedy immer mal wieder an das klassische Hollywood erinnern, von "Manche mögen's heiß" über "Der verrückte Professor" bis "Tootsie" (oder, wenn man im Oeuvre der Sandler-Kollegschaft bleiben möchte, "Hot Chicks"). Die New Yorker Ladenbesitzer-Gemütlichkeit, wie man sie beispielsweise auch in der Tim-Story-Filmreihe "Barbershop" kennt, wird mit Bürgerrechtsaktivismus aufgemotzt, dem Sandler mit der ihm innewohnenden Ruhe begegnet, bevor die Phantastik in den trägen Realismus einbricht.
In keinerlei Hinsicht kann man diesen Mix als sonderlich anspruchsvoll oder auch nur gelungen bezeichnen, die Künstlerisch-wertvoll-Plakette ist nicht einmal in Reichweite; er schmerzt allerdings auch nicht ganz so sehr wie etwaige Kindskopf-Ausflüge an den See und wird selbst mit der rührseligen Schlusspointe so manchen Seufzer der Zufriedenheit ernten können, selbst bei jenen Naturen, denen die Schuh-Idee an sich eigentlich zu doof ist.
Weitere Sichtungen:
Star Wars - Rogue One
Mechanic: Resurrection
Krampus
Der irische Geisterfilm erweist sich im Spiel mit Psyche und Wahrnehmung als kunstvoll und außergewöhnlich genug, dass man ihm den durchschaubaren Storytwist nicht als größte Errungenschaft abnehmen muss. Ivan Kavanagh gelingen in ausgeblichenen, kühlen Bildern Eindrücke suburbaner Melancholie. Er portraitiert isolierte Orte fast so, wie ein Fotograf es tun würde; eine abseitige, mit Graffitis vollgeschmierte Toilette etwa inszeniert er als Kunstobjekt, in dem auch eine Schlüsselszene stattfindet, ebenso wie im hohen Gras vor dem titelgebenden Kanal. Auch ehrt er die Ursprünge des Kinos, indem er für Film-im-Film-Aufnahmen die Ästhetik des Stummfilms einzufangen versucht. Passend dazu breitet ein grummelnder Soundtrack seine Flügel in dem Bildmaterial aus, um sich stets zur rechten Zeit zurückzuziehen und die Stille zum schwelenden Schrei anschwellen zu lassen.
Der tief im Melodram verwurzelte Story-Ansatz ermöglicht dabei eine intensive Einfühlung in die Situation, zumal in den ersten Einstellungen geschickt mit Momenten des Misstrauens und Argwohns gespielt wird, was sich im weiteren Verlauf zunehmend in einen verschwommenen Fiebertraum verwandelt, der eine Differenzierung zwischen Einbildung und tatsächlichen Geschehnissen nicht mehr zulässt. "Ring" und Artverwandte erweisen sich dabei als Vorlage für die Modellierung der Geisterszenen, die wie Akzentuierungen in dem dargestellten Beziehungsmosaik wirken, welches bereits in seine Einzelteile zerfallen ist.
Das Setzen eigener Standards mag damit ästhetisch wie inhaltlich verhindert werden, die Collage als solche allerdings erweist sich als beeindruckend.
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The Guyver aka Mutronics
Amerikanisierter Manga-Nonsens mit dem für die Endachtziger so typischen Urban-Punk-Flair, spielend in Seitengassen, Lagerhallen und manchmal auch in den Büros der CIA – klar und deutlich ein Kind der Zeit, in der auch Filme wie "Masters Of The Universe" oder "Teenage Mutant Ninja Turtles" entstanden. Wer sich die "Gremlins" immer mal in groß gewünscht hat, bekommt hier durchaus originelle Ganzkörper-Kostüme serviert, die sich in seltenen und meist wenig mühevollen Transformationsszenen aus dem Erscheinungsbild normaler Menschen schälen (wobei das mit dem "normalen Erscheinungsbild" wenigstens bei einem Darsteller wie Michael Berryman diskussionswürdig ist). Insofern sogar fast ein Vorreiter der "Men In Black". Leider dümpelt der Plot zäh vor sich hin, was wohl dem Umstand geschuldet ist, dass man seiner Abstrusität nicht unbedingt folgen möchte und dann auch gerne mal abschaltet, bis vielleicht mal wieder der Guyver seinen biokinetischen Anzug überstreift und in den intergalaktischen Kopfjägerkrieg einstimmt. Derartiges möchte man vielleicht retrospektiv so liebhaben wie die vier maskierten Schildkröten aus der Kanalisation, doch dazu fehlen die netten Details, und handele es sich dabei auch nur ein Stück Pizza. Mark Hamills Schnäuzer indes zählt nicht als Erinnerungsstück und so verbleiben die "Mutronics" als Erinnerung, dass nicht alles automatisch zum Kult gewachsen ist, was die 80er gepflanzt haben.
Legend Of Tarzan
Handwerklich kann man Warners actionreiche Big-Budget-Produktion kaum kritisieren, noch kann man ihr vorwerfen, dass sie an der modernen Neuerzählung klassischer Fabeln, wie sie momentan im Trend liegen, teilhaben möchte. Alleine ist in Zweifel zu ziehen, dass ein "Tarzan" sich anno 2016 zur Modernisierung eignet.
Insbesondere eine mit Bedacht aufgebaute, progressive Neuerzählung wie "Planet der Affen" von 20th Century Fox, an der sich Warner mit exzessiven Primaten-Darstellungen zumindest in punkto CGI ganz offensichtlich orientiert, zeigt dem Projekt die Grenzen auf. Hier führt Unterdrückung und Ignoranz noch zum Aufstand (der Affen), dort dasselbe Verhalten zur Befreiung (des afrikanischen Volkes) – welcher der beiden Ausgänge einen wahren Kern beinhaltet und welcher bloß Augenwischerei zum Zwecke der Heldenbildung betreibt, ist für ein weitgehend aufgeklärtes Publikum inzwischen schnell identifiziert.
So drückt bei "Tarzan" der Schuh in der äußerst rückständigen Ideologie, die durch das moderne Storytelling nicht etwa ausgebügelt, sondern gar verschlimmert wird, da sie einen unübersehbaren Kontrast zwischen Form und Inhalt schafft. Selbst das Casting arbeitet mit stechenden Kontrasten, indem es markante Gesichter wie Samuel L. Jackson oder Djimon Hounsou zur Teilnahmslosigkeit verdammt und einen Christoph Waltz stattdessen steilgehen lässt. Skarsgard macht seine Sache in der Titelrolle derweil gut, ist am Ende aber nicht Produkt seiner Umwelt, sondern der beengten Perspektive auf einen Kontinent, den man vielseitiger hätte präsentieren können als über baumelnde Lianenranken, kämpfende Gorillas und hinterlistige Krokodile.
Der Bunker
Treffend, dass der Abspann vor pechschwarzem Hintergrund Kleidungsstücke und andere Requisiten in dreidimensionaler Manier wendet wie obskure Ausstellungsstücke; schließlich bündelt sich in ihnen hochkonzentriert der kleinbürgerliche Mief, der sich in Nikias Chryssos Kammerspielgroteske auf kleinstem Raum abspielt.
Doch wäre "Der Bunker" lediglich ein satirischer Abgesang auf deutsches Spießbürgertum und nähme infolgedessen dieselbe äußere Erscheinung an, um sozusagen unentdeckt unter Schafen zu verweilen, so höbe er sich nicht nennenswert von den Errungenschaften des deutschen Films der letzten zwei Jahrzehnte ab, der ja kaum etwas anderes kennt, als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Nein, wenngleich von den Tapeten zur Wohnzimmereinrichtung samt Esstisch über die Gerichte, die auf ihm serviert werden, bis zu den unzählbaren Neurosen von Mutter und Vater oder deren Bekleidung alles gellend deutsch wirkt, strahlt die Inszenierung einen nahezu kosmischen Geltungsgrad aus.
Übernatürliches greift dezent in die vielen kleinen Zirkulationen der Gewohnheit ein, aus denen der gar nicht mehr so kleine Klaus getrieben durch kindlichen Erforschungsdrang immer wieder auszubrechen versucht. Nicht umsonst lassen Rezensenten auf der Suche nach bildhaften Vergleichen Helge Schneider und David Lynch laufend aufeinanderprallen wie zwei Plastikautos in den Fäusten eines riesenhaften, fleischigen Berges von einem Kind.
Chryssos wird in der Inszenierung von Seltsamkeiten immer drastischer; Marotten verwandeln sich langsam in Psychosen, "Geschmäckle" in in eindeutige moralische Vergehen. Pit Bukowski liefert als hinzugezogener Student einen potenziellen Ausweg aus dem intrinsischen Labyrinth, wird dem Zuschauer trotz der distanzierten Haltung gegenüber dem Verhalten von Mutter und Vater allerdings laufend entrissen, wenn er sich doch auf die Spielregeln einlässt. Somit serviert Chryssos ein Darstellerquartett, das dem Wahnsinn in unterschiedlichster Ausführung anheim fällt und mit individuellen Mitteln durchweg überzeugt; ob man nun Oona von Maydell, David Scheller, Daniel Fripan oder eben Bukowski herausheben möchte, Argumente sind für jeden Darsteller in der bunt überladenen Waldhütte reichlich vorhanden.
Das ist weit mehr als die übliche deutsche Selbstbeschäftigungstherapie, deren Hauptmerkmal es ist, sich dem Rest der Welt zu verschließen; "Der Bunker" verspricht als surrende Kunstcollage ertragreichen Wahrnehmungsaustausch über landesweiten Wirkungsgrad hinaus – ganz ohne jede Anbiederung an internationale Trends.
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Lavalantula
Mike Mendez hat wohl jene Nische für sich entdeckt, die von Asylum bislang hauptsächlich mit Haien gefüllt wurde. Also noch ein paar Spinnen oben drauf und die neuerdings kultivierte Vorstellung von Trash bedient, die mit dem ursprünglichen Begriff im Grunde nicht mehr viel zu tun hat. Es genügt dem Anspruch an die liebevollen Unzulänglichkeiten wahrer Trashfilme jedenfalls nicht, um die eigene Inkompetenz zu wissen und sie mit kalkulierter Augenzwinkerei als selbstironische Stärke zu verkaufen.
Wenn Mendez also nun mit seinem zweiten Spinnenfilm in Folge schon kein Trash-Original schaffen kann, verlässt er immerhin die qualitativen Untiefen des Speis aus der Asylum-Schmiede und müht sich um ein etwas vorzeigbareres Erscheinungsbild und einen Unterhaltungslevel, der auch ohne einen Hektoliter Bier auf Reserve annehmbar ausfällt. Dass natürlich trotzdem auf die Asylum-Klientel abgezielt wird, macht nicht nur Ian Zierings Haijäger-Cameo deutlich, sondern viel vordergründiger die absurde Prämisse, die nach "Sharknado"-Muster Katastrophenfilm und Tierhorror vermischt, ohne sich dabei auch nur einen Deut um die Gesetze der Physik zu scheren. Mit vulkanischen Riesenspinnen, deren Gelenke glühen und deren chitinartiger Panzer selbst für einen Helden wie Steve Guttenberg schwer zu knacken ist, betont das Creature Design den digitalen, alienesken und ungreifbaren Charakter der Filmmonster, wie er typisch für diese Gattung Film ist und besonders untypisch für die Wiege des Monster Movies der 30er bis 80er Jahre mit seinen Masken und animatronischen Effekten.
Guttenberg tritt mit einer ganzen Armee alter Police-Academy-Kollegen gegen die Achtbeiner aus dem Rechner an und verschafft dem in L.A.s Touristenstraßen stattfindenden Lavaspektakel somit einen doppelbödigen Unterbau, der die Dienst-nach-Vorschrift-Dialoge und -Situationen immerhin angenehm auflockert. Guttenberg mit Michael Winslow, Marion Ramsey und Leslie Easterbrook auf der Leinwand wiedervereint zu sehen, ist tatsächlich so unterhaltsam, dass man sich beinahe (aber auch nur beinahe) eine Police-Academy-Neuauflage wünschen wurde (ein Wunsch, den nach "Mission in Moskau" niemand öffentlich zu äußern gewagt hätte).
Weil "Lavalantula" jene qualitativ überragt, mit denen er sich hauptsächlich misst, an etwas höher hängende Früchte wie "Arac Attack" dann aber doch wieder nicht heranreicht, steht er natürlich ein wenig zwischen den Stühlen und rangiert sich folglich im soliden Mittelfeld ein.
Tremors 5
Der fünfte Teil der ohnehin sehr oldschooligen Graboidensaga fällt anachronistischer denn je aus. Schließlich drängt er in ein Filmzeitalter, das ihm wohl nur noch wenig Verständnis für seine absonderlichen Kreaturen entgegenbringen dürfte - gerade wenn man bedenkt, welch verrückten biologischen Zyklus sich die Drehbuchautoren für die bisherigen Fortsetzungen ausgedacht haben. Bei "Arschknallern" wird ein junges Publikum jedenfalls an alles mögliche denken, nur nicht an feuerangetriebene, blinde Hühnchen, die mit Maulwurf-Riesenwürmern in Verwandtschaft stehen.
Insofern ist "Tremors – Bloodlines" 12 Jahre nach dem letzten Film als reiner Fanservice zu verstehen und auf dem dtv-Sektor gerade richtig aufgehoben, macht hier aber wiederum gar keine so schlechte Figur. Michael Gross ist wieder dabei und konnte als alter Waffennarr ja nur reifen (selbst als 85-Jähriger, der im Schaukelstuhl seine Blechbüchse umklammert und Bierdosen mit dem letzten verbliebenen Zahn öffnet, würde er einer weiteren Fortsetzung in ferner Zukunft noch einen Mehrwert bieten); Co-Star Jamie Kennedy ist für solche Filme ohnehin wie gemacht. Der Schauplatz wurde von amerikanischen Wüstenkäffern in die afrikanische Savanne verlegt, was für den Bodenbelag wohl kaum einen Unterschied machen dürfte, sondern höchstens für das überirdische Szenenbild. Und die CGI haben seit den gurkigen Teilen 3 und 4 wahre Quantensprünge gemacht. Selbst wenn "Tremors 5" natürlich nicht auf High-End-Lösungen unserer Zeit zurückgreifen kann, sehen die Graboiden und ihre freilaufenden Sprösslinge mindestens so gut aus wie Mendez'sche Spinnenschöpfungen ("Lavalantula", "Big Ass Spider!"), gleichwohl die handgemachten Effekte des Originals mit Kevin Bacon natürlich unerreicht bleiben.
Der Plot ist natürlich wieder zäh wie Schuhsohle und atmet eigentlich nur über taktische Finten und militärische Ablenkmanöver, aber das kennt man ja von der Reihe. Wer sich bei den "Raketenwürmern" schon immer halbwegs heimisch fühlte, findet sich jedenfalls auch im fünften Teil schnell wieder zurecht. Die Videothek hat wesentlich Schlimmeres zu bieten als Burt Gummers Waffenarsenal – auch wenn man irgendwie immer das Gefühl hat, Hauptzielgruppe sei kein ironisches Monster-Movie-Publikum, sondern all die anderen kleinen Burt Gummers auf der Welt...
Starry Eyes
Narrativer und zugänglicher als Nicolas Winding Refns diesjähriger Model-Horrorfilm "The Neon Demon", bewegt sich der Schauspieler-Alptraum "Starry Eyes" von 2014 auf dem gleichen Terrain und ist im emotionalen Kern, wenn auch nicht in der formellen Umsetzung, vor allem auf einer Linie mit David Lynchs "Mulholland Drive". Denn auch hier steigern sich Ehrgeiz und Willenskraft in Bilder psychosomatischer Transformationen.
Das Drehbuch begreift den Traum von Hollywood als eine Art umgekehrtes Kreuz und übersetzt es metaphorisch in die sorgfältig geplante und dann auch entsprechend umgesetzte Metapher der Wiedergeburt. Während sich Alex Essoe als junge Schauspielerin recht überzeugend dem Wahnsinn hingibt und daraufhin einem Monster optisch immer ähnlicher zu werden scheint als ihren glamourösen Idolen aus der Filmgeschichte, decken die Regisseure Kölsch und Widmeyer ihre Arbeit mit zunehmend drastischer werdenden Bildern ein, die zuerst vor düsteren Bildkompositionen, dann rabiaten Splattereffekten und schließlich auch vor übernatürlichen Bildern nicht Halt machen, während das System großer Filmproduktionen mit sektenhaften Zügen und einem klar okkulten Strich hysterisch radikal dämonisiert wird.
An mancher Stelle manövriert sich die Handlung in Sackgassen und Wie-geht's-jetzt-weiter-Momente, allerdings wird stets ein Weg in noch ausweglosere Situationen gefunden. Das Auskotzen von Maden im Zeichen der Selbstreinigung und eine Reinkarnation als haarloses Neutrum mag als zu plakativ empfunden werden können, die hohe Intensität und die vergleichsweise einfache Nachvollziehbarkeit der ursprünglichen Situation der Hauptfigur machen das aber wieder wett und lassen "Starry Eyes" zu einer gelungenen Alternative werden für all jene, denen NWR das Sujet zu verkopft anging.
The Cobbler – Der Schuhmagier
Auch wenn die Prämisse kombiniert mit dem Hauptdarsteller den schlimmsten Nonsens aller Zeiten befürchten lässt, weicht "The Cobbler" deutlich ab von dem Unfug seiner Frat-Pack-Connection rund um Kevin James & Co. Er lehnt sich lieber an den märchenhaften Charakter von Produktionen wie "Klick" oder "Bedtime Stories" an. Eine an den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreichende Rückblende mit geschmackvollen Setpieces verleiht der Handlung einen traditionellen Rahmen und damit zugleich ein gemäßigtes, weniger ausgeflipptes Erzähltempo als gewohnt.
Trotzdem sind es immer noch Schuhe mit gestaltwandlerischer Wirkung, die die Regeln bestimmen und von Fashion-Travestie über Verwechslungs-Comedy immer mal wieder an das klassische Hollywood erinnern, von "Manche mögen's heiß" über "Der verrückte Professor" bis "Tootsie" (oder, wenn man im Oeuvre der Sandler-Kollegschaft bleiben möchte, "Hot Chicks"). Die New Yorker Ladenbesitzer-Gemütlichkeit, wie man sie beispielsweise auch in der Tim-Story-Filmreihe "Barbershop" kennt, wird mit Bürgerrechtsaktivismus aufgemotzt, dem Sandler mit der ihm innewohnenden Ruhe begegnet, bevor die Phantastik in den trägen Realismus einbricht.
In keinerlei Hinsicht kann man diesen Mix als sonderlich anspruchsvoll oder auch nur gelungen bezeichnen, die Künstlerisch-wertvoll-Plakette ist nicht einmal in Reichweite; er schmerzt allerdings auch nicht ganz so sehr wie etwaige Kindskopf-Ausflüge an den See und wird selbst mit der rührseligen Schlusspointe so manchen Seufzer der Zufriedenheit ernten können, selbst bei jenen Naturen, denen die Schuh-Idee an sich eigentlich zu doof ist.
Weitere Sichtungen:
Star Wars - Rogue One
Mechanic: Resurrection
Krampus
We Are The Flesh
"We Are The Flesh" gehört zu jener Sorte Experimentalfilm, die einem die Betrachtung des Waldes nicht gestattet, weil zu viele Bäume die Sicht versperren. Die Undefinierbarkeiten beginnen schon in der ersten Szene, als die widerliche Zubereitung einer Flüssigkeit aus Müllresten und verkommenen Lebensmitteln zum Zwecke des Warenaustauschs hergestellt wird. Dies sind die ersten Andeutungen der Kreisläufe eines Miniaturkosmos, der fast autark abläuft; nur ein kleines Loch und eine Schiebevorrichtung aus Holz und Draht scheint die Einsiedlerhöhle mit der unsichtbaren und somit zur Postapokalypse erklärten Außenwelt zu verbinden.
Emiliano Rocha Minter setzt penetrante rote Farbfilter ein, um dem hier gezeichneten Limbus eine Aussicht auf den Eingang zu Hölle zu verschaffen. Nachte Körper vermischen sich saftig mit sexuellen Explizitheiten und nicht selten Perversionen, die als Ausdruck der Kunst stets geschützt sind durch den Kammerspielcharakter, die Dialoge, in denen psychologische Manipulation angewendet wird, und die minimalistische Resthandlung, die im Wesentlichen aus dem nagetierartigen Ausbau der Höhle besteht und Metaphern bedient. Eine endlose Spaßrutsche von Geburt zu Tod zu Wiedergeburt zeigt der mexikanische Independentfilm mit jedem gebührenden Radikalismus und behauptet die Entmaterialisierung des Geistes bei gleichzeitigem Bedeutungsgewinn des rohen Fleisches – frei nach Cronenberg.
Provokation um der Provokation willen lässt sich da also Vorwurf nicht hundertprozentig entkräften, wenngleich es wohl in der Natur der Sache liegt, dass die Provokation per se etwas Anstößiges hat und somit immer auf Ablehnung und Hohn stoßen muss, ob nun resultierend aus einem Angriff auf das sittliche Empfinden oder einem kunstbeurteilenden Snobismus heraus. "We Are The Flesh" geht aber nicht, ohne Eindruck hinterlassen zu haben, so viel steht fest. Noé Hernandez' diabolisches Grinsen liefert auch Tage später noch Phantombilder, so wie der gesamte Film überhaupt viele Standbilder in sich birgt, die sich nachhaltig ins Gehirn einbrennen. Vielleicht kann man festhalten, dass sich der junge Regisseur am Anfang seiner Karriere den Weg zum Ausdruck seiner Kunst so umständlich bahnt, dass sein Spielfilmdebüt zumindest noch nicht geeignet ist, um Prognosen über weitere Werke zu liefern; vielleicht ist bereits alles gesagt im Rahmen eines expressionistischen Gemäldes mit pastellfarbenem Hintergrund, glühenden Löchern und rosafarbenen bis roten Klecksen in konfuser Strichführung. Das interpretiere jeder, wie er will.
The Witch aka Superstition
Trotz übernatürlicher Motive gehorcht vieles in "Superstition" schon den nicht immer ganz logischen Regeln des aufkeimenden Slasherfilms, der später über die 80er herrschen würde. So ist der Täter zwar nicht hinter einer Maske verborgen, aber immerhin hinter dem Schnitt, der meist nur den flüchtigen Blick auf eine ledrig-schwarze Hand erlaubt, wenn überhaupt. Mit steter Zuverlässigkeit und flacher Spannungskurve segnet außerdem eine Figur nach der anderen aufs Explotativste das Zeitliche, wobei James W. Roberson mit den auf Kreativität bedachten Tötungsszenen keine Zeit verliert und bereits nach rund 20 Minuten drei Opfer gefunden hat, die in Final-Destination-Manier ihr überraschendes Ende finden, mal besser getrickst (Kreissäge), mal schlechter (Mikrowelle).
Die verhältnismäßig schnell feuernde Bodycount-Rate ist dann auch notwendig, damit man über die gerade anfangs spröde Regieführung hinwegsehen kann. Das augenscheinlich besessene Haus am See müsste eigentlich fotogener sein als es in diesem Film erscheint; erst später kommt die Kamera mit stimmungsvolleren Bildern um die Ecke, dem Blick abwärts in den überladenen Keller beispielsweise und auch sonst überwiegend mit Shots auf beengte Hausflure und über Treppengeländer.
Übernatürliches wird natürlich vor allem durch die nichtmenschliche, geheimnisvoll-verborgene Erscheinung der Hexe ins Spiel gebracht, wobei vor allem das Auftauchen eines unbekannten kleinen Mädchens im weißen Kleid Unbehagen bereitet, das in einer Fiebertraumszene im Gegenlicht mit Weichzeichner gefilmt sogar Grusel erzeugt.
Seine Zähne ausbeißen kann sich das gepeinigte Wesen aus dem Mittelalter an einer bunten Mischung; weder Kinder noch Alte und schon gar nicht Teenager sind vor den Attacken gefeit. Daraus resultiert konsequenterweise dann auch ein Gefühl permanenter Anspannung. Trotz der durchschaubaren Abfolge von Todesszenen: Wenn man nicht weiß, wen es trifft, wann und wodurch, kann sich selbst ein vergleichsweise billig abgekurbeltes Machwerk wie dieses aufrichtige Spannung erkaufen. Etwaige zusätzliche Versuche, Familiendynamiken in die Extremsituation einzuflechten (beispielsweise durch den Alkoholismus des Vaters) fallen dann eher gering aus, sind aber immerhin anerkennenswert.
Insofern eine dieser vergessenen Genreperlen, die sich nicht etwa durch gelungene Produktionswerte eine Wiederentdeckung verdient haben, sondern allenfalls durch ihre Beharrlichkeit und Konsequenz.
BFG – Big Friendly Giant
Selbst als das Kindermärchen, das der neue Spielberg-Film ist, wird "BFG" wohl sehr schnell altern; immerhin versucht er sich an der Animation menschlicher Wesen (selbst wenn es sich um Riesen handelt), die nach dem momentanen Stand der Technik zwar in gewisser Weise ein breites Spektrum an Emotionen vermitteln können, jedoch längst noch nicht fotorealistisch oder gar natürlich aussehen. Damit gehört er immer noch in die Phase digitalen Experimentierens, die Robert Zemeckis vor mehr als einer Dekade mit "Der Polarexpress" und "Die Legende von Beowulf" eingeleitet hatte und die auch 2016 noch längst nicht abgeschlossen scheint, sondern allenfalls ohne Aufsicht auf Perfektionierung verfeinert wurde.
Der Fantasy-Rahmen erleichtert natürlich die Akzeptanz der unvollkommenen Computeranimation, auch wenn sich niemals der Eindruck wegwischen lässt, die 12-jährige Ruby Barnhill interagiere bloß mit einer grünen Wand.
Etwas träge mutet das Erzähltempo anfangs an; das alte London bei Nacht wird mit der Abseitigkeit der ersten Harry-Potter-Verfilmungen eingefangen, liefert dabei aber immerhin einen angenehmen Gegenentwurf zum krawalldürstigen Kino unserer Zeit: Der Riese poltert nicht etwa über die gepflasterten Straßen oder lässt Wellen von Erdbeben durch die Behausungen der nachtschlafenden Bevölkerung rollen, sondern bewegt sich leisetreterisch durch Schatten und Winkel. Spielberg mag hier erzählerisch nicht von der Stelle kommen, macht aber wenigstens Gegenstrom-Kino, das bescheidenes Understatement betreibt und auf altmodischen Werten beruht, weit mehr auch als sein wegen der Abenteueranleihen ebenfalls altmodisch wirkender, jedoch temporeicherer "Tim & Struppi".
Vieles, was speziell im Mittelteil in der Welt der Riesen geschieht, vermittelt dann weiterhin den Eindruck objektgebundener Ereignislosigkeit: Das Hauptnahrungsmittel des Riesen, eine schleimig aussehende Gurkenart, wird bis zur Redundanz in Form, Farbe und Konsistenz zelebriert, und auch mit dem Auftritt der bulligen Rüpel-Antagonisten bleibt "BFG" schlichtes, reines Kinderkino mit leicht verständlichen und wenig komplexen Konflikten. Echter Witz ergibt sich nur stellenweise, ebenso wie echte Filmmagie. Das letzte Filmdrittel leistet sich dann mehr Zugeständnisse an zeitgemäßes Kino, indem es die Begegnung von Mensch und Riese mit mehr Humor anreichert und sich zum Abschluss noch eine furiose Jagdsequenz leistet, die mit wilden Kamerafahrten und fallenden Riesen einen flotten Parcours abliefert.
So ganz auf der Höhe ist "BFG" trotz der sympathischen Hauptfigur aus dem Rechner (das Mädchen fällt dann doch eher unter die Kategorie "neunmalklug") nicht. Spielberg weiß die Mittel moderner Geschichtenerzählung nicht zu nutzen und verlässt sich lieber auf Bewährtes, wohingegen die Effekte des Films ebenso nah am "State of Art" sind wie sie weit entfernt sind von der glaubwürdigen Darstellung menschenähnlicher Charaktere. Als bunt leuchtendes Kindermärchen hat er allerdings dem krawalligen Jahr 2016 den durchaus willkommenen Ruhepol beschert.
Stolz und Vorurteil und Zombies
Obacht, der Filmtitel gehört richtig interpretiert, um Enttäuschungen vorzubeugen: Keineswegs liefert Burr Steers einfach breiigen Genre-Mischmasch aus Historienschmonzette und Zombiefilm mit Trash-Potenzial. Der Titel "Stolz und Vorurteil" steht hier nicht einfach als Fallbeispiel für das, was man sich gemeinhin unter einer Jane-Austen-Verfilmung vorstellt und dann verballhornt, sondern tatsächlich für eine konkrete Neuverfilmung der genannten Vorlage – und die Zombies werden als pikantes Beiwerk hinzugemischt.
Das Verhältnis ist also tatsächlich etwa bei 2:1 für den Kostümfilm zu verorten, in dessen Abläufe das Auftreten der Untoten gar nicht so ungeschickt eingearbeitet wird. Augenzwinkernder Humor ist zwischen klebrigen Dialogen schon in den Originalen vorzufinden - ein roter Faden, den Steers einfach aufnimmt und um ein paar wohldosierte Splattereffekte und etwas Zombie-Makeup verstärkt. Das vor ungefähr eineinhalb Jahrzehnten so beliebte Martial-Arts-Crossing, mit dem insbesondere die Entwicklung starker Frauenrollen vorangetrieben werden sollte (mit teils albernen Resultaten, wie beispielsweise die "Charlie's Angels"-Verfilmungen mit offensichtlich untrainierten und in Wirework verdrehten Hollywood-Darstellerinnen zeigten), feiert hier ein kleines Comeback. Angesichts des auch im Austen-Original stattfindenden Kuhhandels um die Verheiratung lediger Töchter ergeben die Bilder tatkräftiger Frauen mit voller Bewaffnung unter schmucken Kostümen durchaus Sinn, um den mitleiderregenden Verkaufsgesprächen zwischen Müttern und interessierten Junggesellen ein Gegengewicht zu verleihen.
Die im Kern durchaus ernste Annäherung an das eigentlich alberne Sujet teilt sich die Verfilmung des Romans von Seth Grahame-Smith dabei mit der ebenfalls auf Grahame-Smith basierenden Verfilmung von "Abraham Lincoln: Vampire Hunter", der ebenso selbstverständlich ein Fantasy-Actioner war wie dieser hier eine Historienverfilmung ist; erst in der dezenten Übersteigerung wird dann deutlich, dass die Parodie Vater des Gedankens ist. Das macht "Stolz und Vorurteil und Zombies" zu einer vielleicht nicht immer perfekt pointierten, aber erstaunlich rundlaufenden Angelegenheit.
Helix – Season 1
Schöne neue Welt...
Ironisch bis zur Schädeldecke trällert das paradiesisch-tropische Thema von "Helix" in den wenigen Sekunden des Vorspanns vor sich hin, um etwas gar nicht so Schönes zu konterkarieren, das jeder der dreizehn Prologe der ersten Staffel den nachfolgenden Geschehnissen voransetzt. Die SyFy-Produktion liefert ein für TV-Serien eher ungewöhnliches Szenario, das in erster Linie auf schnellen, harten Thrill aus ist: Ein mit Kusshand von John Carpenters "The Thing" ausgeliehenes Forschungsstation-im-Eis-Szenario mit Infektionsrisiko, sprich: Zehn kleine Jägermeister mit einem ziemlich gefährlichen Trunkenbold auf einen engen Raum ohne Ausweg gesperrt.
Auch sonst erweist sich "Helix" als äußerst zitierfreudig, wenn es virale Ansteckung mit durchdrehenden Zombieartigen auf Speed verknüpft. Bedenkt man die verschlungene Architektur der Station mit all ihren langen Gängen, anonymen Schlafkajüten und Hi-Tech-Labors voller klinischer und doch so ansteckend aussehender Einrichtungsgegenstände, darf man zu Recht auf packende Momente hoffen, selbst wenn den meisten von ihnen von "Alien" bis "28 Days Later" stets der Mief des Kopierten anhaftet.
Die 13 Folgen werden trotzdem streckenweise langatmig, weil der Plot auf dem Weg zu einer recht abgehobenen Auflösung immer wieder Leerlauf offenbart, der mit oftmals banalen Dialogen nur behelfsmäßig geflickt wird. Das starke Setting (gerade bei den Außenaufnahmen gelingt den Effektkünstlern ein tolles Licht- und Farbenspiel, im Umkehrschluss wird allerdings bei der unnatürlichen Darstellung der wuchernden Viren versagt) und die Adrenalinmomente stehen damit Füllpassagen entgegen, die im besten Fall willkommene Verschanufpausen sein könnten, hier aber eher Vorspulmaterial darstellen.
Einige Subplots möchte man auch am liebsten gar nicht weiter erkunden, sondern lieber weiter gemeinsam mit Hauptdarsteller Billy Campbell der Hauptthematik frönen. Gerade die Verstrickungen rund um Dr. Hiroshi Hatake (Hiroyuki Sanada) und seinen Protegé Daniel (Meegwun Fairbrother) verwechseln hin und wieder Kitsch mit Melodram. Stark dafür Neil Napier, der gleich in den ersten Minuten des Prologs panisch durch die Gänge irren und einen Großteil der Staffel als bedrohlicher Super-Infizierter verbringen darf.
Insgesamt in vielen Details also verbesserungswürdig, überzeugt "Helix" aber mit unverbrauchtem Eis-Setting und stellt Aussicht auf eine zweite Staffel mit hohem Abwechslungsgrad.
Weitere Sichtungen:
Suicide Squad
STATISTIK 2016
Gesehene Filme: 247 (2015: 227, 2014: 297) Leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr, auch dank des flotten Starts: der 17. Februar war der erste Tag, an dem ich nicht mindestens einen Film gesehen habe.
- Davon aus 2016: 46
Gesehene Serienstaffeln: 45 Zum dritten Mal in Folge die gleiche Anzahl.
Kinobesuche: 7 (2015: 9)
"We Are The Flesh" gehört zu jener Sorte Experimentalfilm, die einem die Betrachtung des Waldes nicht gestattet, weil zu viele Bäume die Sicht versperren. Die Undefinierbarkeiten beginnen schon in der ersten Szene, als die widerliche Zubereitung einer Flüssigkeit aus Müllresten und verkommenen Lebensmitteln zum Zwecke des Warenaustauschs hergestellt wird. Dies sind die ersten Andeutungen der Kreisläufe eines Miniaturkosmos, der fast autark abläuft; nur ein kleines Loch und eine Schiebevorrichtung aus Holz und Draht scheint die Einsiedlerhöhle mit der unsichtbaren und somit zur Postapokalypse erklärten Außenwelt zu verbinden.
Emiliano Rocha Minter setzt penetrante rote Farbfilter ein, um dem hier gezeichneten Limbus eine Aussicht auf den Eingang zu Hölle zu verschaffen. Nachte Körper vermischen sich saftig mit sexuellen Explizitheiten und nicht selten Perversionen, die als Ausdruck der Kunst stets geschützt sind durch den Kammerspielcharakter, die Dialoge, in denen psychologische Manipulation angewendet wird, und die minimalistische Resthandlung, die im Wesentlichen aus dem nagetierartigen Ausbau der Höhle besteht und Metaphern bedient. Eine endlose Spaßrutsche von Geburt zu Tod zu Wiedergeburt zeigt der mexikanische Independentfilm mit jedem gebührenden Radikalismus und behauptet die Entmaterialisierung des Geistes bei gleichzeitigem Bedeutungsgewinn des rohen Fleisches – frei nach Cronenberg.
Provokation um der Provokation willen lässt sich da also Vorwurf nicht hundertprozentig entkräften, wenngleich es wohl in der Natur der Sache liegt, dass die Provokation per se etwas Anstößiges hat und somit immer auf Ablehnung und Hohn stoßen muss, ob nun resultierend aus einem Angriff auf das sittliche Empfinden oder einem kunstbeurteilenden Snobismus heraus. "We Are The Flesh" geht aber nicht, ohne Eindruck hinterlassen zu haben, so viel steht fest. Noé Hernandez' diabolisches Grinsen liefert auch Tage später noch Phantombilder, so wie der gesamte Film überhaupt viele Standbilder in sich birgt, die sich nachhaltig ins Gehirn einbrennen. Vielleicht kann man festhalten, dass sich der junge Regisseur am Anfang seiner Karriere den Weg zum Ausdruck seiner Kunst so umständlich bahnt, dass sein Spielfilmdebüt zumindest noch nicht geeignet ist, um Prognosen über weitere Werke zu liefern; vielleicht ist bereits alles gesagt im Rahmen eines expressionistischen Gemäldes mit pastellfarbenem Hintergrund, glühenden Löchern und rosafarbenen bis roten Klecksen in konfuser Strichführung. Das interpretiere jeder, wie er will.
The Witch aka Superstition
Trotz übernatürlicher Motive gehorcht vieles in "Superstition" schon den nicht immer ganz logischen Regeln des aufkeimenden Slasherfilms, der später über die 80er herrschen würde. So ist der Täter zwar nicht hinter einer Maske verborgen, aber immerhin hinter dem Schnitt, der meist nur den flüchtigen Blick auf eine ledrig-schwarze Hand erlaubt, wenn überhaupt. Mit steter Zuverlässigkeit und flacher Spannungskurve segnet außerdem eine Figur nach der anderen aufs Explotativste das Zeitliche, wobei James W. Roberson mit den auf Kreativität bedachten Tötungsszenen keine Zeit verliert und bereits nach rund 20 Minuten drei Opfer gefunden hat, die in Final-Destination-Manier ihr überraschendes Ende finden, mal besser getrickst (Kreissäge), mal schlechter (Mikrowelle).
Die verhältnismäßig schnell feuernde Bodycount-Rate ist dann auch notwendig, damit man über die gerade anfangs spröde Regieführung hinwegsehen kann. Das augenscheinlich besessene Haus am See müsste eigentlich fotogener sein als es in diesem Film erscheint; erst später kommt die Kamera mit stimmungsvolleren Bildern um die Ecke, dem Blick abwärts in den überladenen Keller beispielsweise und auch sonst überwiegend mit Shots auf beengte Hausflure und über Treppengeländer.
Übernatürliches wird natürlich vor allem durch die nichtmenschliche, geheimnisvoll-verborgene Erscheinung der Hexe ins Spiel gebracht, wobei vor allem das Auftauchen eines unbekannten kleinen Mädchens im weißen Kleid Unbehagen bereitet, das in einer Fiebertraumszene im Gegenlicht mit Weichzeichner gefilmt sogar Grusel erzeugt.
Seine Zähne ausbeißen kann sich das gepeinigte Wesen aus dem Mittelalter an einer bunten Mischung; weder Kinder noch Alte und schon gar nicht Teenager sind vor den Attacken gefeit. Daraus resultiert konsequenterweise dann auch ein Gefühl permanenter Anspannung. Trotz der durchschaubaren Abfolge von Todesszenen: Wenn man nicht weiß, wen es trifft, wann und wodurch, kann sich selbst ein vergleichsweise billig abgekurbeltes Machwerk wie dieses aufrichtige Spannung erkaufen. Etwaige zusätzliche Versuche, Familiendynamiken in die Extremsituation einzuflechten (beispielsweise durch den Alkoholismus des Vaters) fallen dann eher gering aus, sind aber immerhin anerkennenswert.
Insofern eine dieser vergessenen Genreperlen, die sich nicht etwa durch gelungene Produktionswerte eine Wiederentdeckung verdient haben, sondern allenfalls durch ihre Beharrlichkeit und Konsequenz.
BFG – Big Friendly Giant
Selbst als das Kindermärchen, das der neue Spielberg-Film ist, wird "BFG" wohl sehr schnell altern; immerhin versucht er sich an der Animation menschlicher Wesen (selbst wenn es sich um Riesen handelt), die nach dem momentanen Stand der Technik zwar in gewisser Weise ein breites Spektrum an Emotionen vermitteln können, jedoch längst noch nicht fotorealistisch oder gar natürlich aussehen. Damit gehört er immer noch in die Phase digitalen Experimentierens, die Robert Zemeckis vor mehr als einer Dekade mit "Der Polarexpress" und "Die Legende von Beowulf" eingeleitet hatte und die auch 2016 noch längst nicht abgeschlossen scheint, sondern allenfalls ohne Aufsicht auf Perfektionierung verfeinert wurde.
Der Fantasy-Rahmen erleichtert natürlich die Akzeptanz der unvollkommenen Computeranimation, auch wenn sich niemals der Eindruck wegwischen lässt, die 12-jährige Ruby Barnhill interagiere bloß mit einer grünen Wand.
Etwas träge mutet das Erzähltempo anfangs an; das alte London bei Nacht wird mit der Abseitigkeit der ersten Harry-Potter-Verfilmungen eingefangen, liefert dabei aber immerhin einen angenehmen Gegenentwurf zum krawalldürstigen Kino unserer Zeit: Der Riese poltert nicht etwa über die gepflasterten Straßen oder lässt Wellen von Erdbeben durch die Behausungen der nachtschlafenden Bevölkerung rollen, sondern bewegt sich leisetreterisch durch Schatten und Winkel. Spielberg mag hier erzählerisch nicht von der Stelle kommen, macht aber wenigstens Gegenstrom-Kino, das bescheidenes Understatement betreibt und auf altmodischen Werten beruht, weit mehr auch als sein wegen der Abenteueranleihen ebenfalls altmodisch wirkender, jedoch temporeicherer "Tim & Struppi".
Vieles, was speziell im Mittelteil in der Welt der Riesen geschieht, vermittelt dann weiterhin den Eindruck objektgebundener Ereignislosigkeit: Das Hauptnahrungsmittel des Riesen, eine schleimig aussehende Gurkenart, wird bis zur Redundanz in Form, Farbe und Konsistenz zelebriert, und auch mit dem Auftritt der bulligen Rüpel-Antagonisten bleibt "BFG" schlichtes, reines Kinderkino mit leicht verständlichen und wenig komplexen Konflikten. Echter Witz ergibt sich nur stellenweise, ebenso wie echte Filmmagie. Das letzte Filmdrittel leistet sich dann mehr Zugeständnisse an zeitgemäßes Kino, indem es die Begegnung von Mensch und Riese mit mehr Humor anreichert und sich zum Abschluss noch eine furiose Jagdsequenz leistet, die mit wilden Kamerafahrten und fallenden Riesen einen flotten Parcours abliefert.
So ganz auf der Höhe ist "BFG" trotz der sympathischen Hauptfigur aus dem Rechner (das Mädchen fällt dann doch eher unter die Kategorie "neunmalklug") nicht. Spielberg weiß die Mittel moderner Geschichtenerzählung nicht zu nutzen und verlässt sich lieber auf Bewährtes, wohingegen die Effekte des Films ebenso nah am "State of Art" sind wie sie weit entfernt sind von der glaubwürdigen Darstellung menschenähnlicher Charaktere. Als bunt leuchtendes Kindermärchen hat er allerdings dem krawalligen Jahr 2016 den durchaus willkommenen Ruhepol beschert.
Stolz und Vorurteil und Zombies
Obacht, der Filmtitel gehört richtig interpretiert, um Enttäuschungen vorzubeugen: Keineswegs liefert Burr Steers einfach breiigen Genre-Mischmasch aus Historienschmonzette und Zombiefilm mit Trash-Potenzial. Der Titel "Stolz und Vorurteil" steht hier nicht einfach als Fallbeispiel für das, was man sich gemeinhin unter einer Jane-Austen-Verfilmung vorstellt und dann verballhornt, sondern tatsächlich für eine konkrete Neuverfilmung der genannten Vorlage – und die Zombies werden als pikantes Beiwerk hinzugemischt.
Das Verhältnis ist also tatsächlich etwa bei 2:1 für den Kostümfilm zu verorten, in dessen Abläufe das Auftreten der Untoten gar nicht so ungeschickt eingearbeitet wird. Augenzwinkernder Humor ist zwischen klebrigen Dialogen schon in den Originalen vorzufinden - ein roter Faden, den Steers einfach aufnimmt und um ein paar wohldosierte Splattereffekte und etwas Zombie-Makeup verstärkt. Das vor ungefähr eineinhalb Jahrzehnten so beliebte Martial-Arts-Crossing, mit dem insbesondere die Entwicklung starker Frauenrollen vorangetrieben werden sollte (mit teils albernen Resultaten, wie beispielsweise die "Charlie's Angels"-Verfilmungen mit offensichtlich untrainierten und in Wirework verdrehten Hollywood-Darstellerinnen zeigten), feiert hier ein kleines Comeback. Angesichts des auch im Austen-Original stattfindenden Kuhhandels um die Verheiratung lediger Töchter ergeben die Bilder tatkräftiger Frauen mit voller Bewaffnung unter schmucken Kostümen durchaus Sinn, um den mitleiderregenden Verkaufsgesprächen zwischen Müttern und interessierten Junggesellen ein Gegengewicht zu verleihen.
Die im Kern durchaus ernste Annäherung an das eigentlich alberne Sujet teilt sich die Verfilmung des Romans von Seth Grahame-Smith dabei mit der ebenfalls auf Grahame-Smith basierenden Verfilmung von "Abraham Lincoln: Vampire Hunter", der ebenso selbstverständlich ein Fantasy-Actioner war wie dieser hier eine Historienverfilmung ist; erst in der dezenten Übersteigerung wird dann deutlich, dass die Parodie Vater des Gedankens ist. Das macht "Stolz und Vorurteil und Zombies" zu einer vielleicht nicht immer perfekt pointierten, aber erstaunlich rundlaufenden Angelegenheit.
Helix – Season 1
Schöne neue Welt...
Ironisch bis zur Schädeldecke trällert das paradiesisch-tropische Thema von "Helix" in den wenigen Sekunden des Vorspanns vor sich hin, um etwas gar nicht so Schönes zu konterkarieren, das jeder der dreizehn Prologe der ersten Staffel den nachfolgenden Geschehnissen voransetzt. Die SyFy-Produktion liefert ein für TV-Serien eher ungewöhnliches Szenario, das in erster Linie auf schnellen, harten Thrill aus ist: Ein mit Kusshand von John Carpenters "The Thing" ausgeliehenes Forschungsstation-im-Eis-Szenario mit Infektionsrisiko, sprich: Zehn kleine Jägermeister mit einem ziemlich gefährlichen Trunkenbold auf einen engen Raum ohne Ausweg gesperrt.
Auch sonst erweist sich "Helix" als äußerst zitierfreudig, wenn es virale Ansteckung mit durchdrehenden Zombieartigen auf Speed verknüpft. Bedenkt man die verschlungene Architektur der Station mit all ihren langen Gängen, anonymen Schlafkajüten und Hi-Tech-Labors voller klinischer und doch so ansteckend aussehender Einrichtungsgegenstände, darf man zu Recht auf packende Momente hoffen, selbst wenn den meisten von ihnen von "Alien" bis "28 Days Later" stets der Mief des Kopierten anhaftet.
Die 13 Folgen werden trotzdem streckenweise langatmig, weil der Plot auf dem Weg zu einer recht abgehobenen Auflösung immer wieder Leerlauf offenbart, der mit oftmals banalen Dialogen nur behelfsmäßig geflickt wird. Das starke Setting (gerade bei den Außenaufnahmen gelingt den Effektkünstlern ein tolles Licht- und Farbenspiel, im Umkehrschluss wird allerdings bei der unnatürlichen Darstellung der wuchernden Viren versagt) und die Adrenalinmomente stehen damit Füllpassagen entgegen, die im besten Fall willkommene Verschanufpausen sein könnten, hier aber eher Vorspulmaterial darstellen.
Einige Subplots möchte man auch am liebsten gar nicht weiter erkunden, sondern lieber weiter gemeinsam mit Hauptdarsteller Billy Campbell der Hauptthematik frönen. Gerade die Verstrickungen rund um Dr. Hiroshi Hatake (Hiroyuki Sanada) und seinen Protegé Daniel (Meegwun Fairbrother) verwechseln hin und wieder Kitsch mit Melodram. Stark dafür Neil Napier, der gleich in den ersten Minuten des Prologs panisch durch die Gänge irren und einen Großteil der Staffel als bedrohlicher Super-Infizierter verbringen darf.
Insgesamt in vielen Details also verbesserungswürdig, überzeugt "Helix" aber mit unverbrauchtem Eis-Setting und stellt Aussicht auf eine zweite Staffel mit hohem Abwechslungsgrad.
Weitere Sichtungen:
Suicide Squad
STATISTIK 2016
Gesehene Filme: 247 (2015: 227, 2014: 297) Leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr, auch dank des flotten Starts: der 17. Februar war der erste Tag, an dem ich nicht mindestens einen Film gesehen habe.
- Davon aus 2016: 46
Gesehene Serienstaffeln: 45 Zum dritten Mal in Folge die gleiche Anzahl.
Kinobesuche: 7 (2015: 9)
Die Austen-Zombies müssten wir auch im Board haben, freeman hat sie auf jeden Fall auf der Startseite besprochen.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]
Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]
Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]
Miles Ahead
Dass Miles Davis seiner Zeit in vielen Phasen der Karriere weit voraus war, ist keine leere Satzhülse, um die Größe des Jazztrompeters zu untermauern, sondern beschreibt die Unfähigkeit der Zeitzeugen, einige seiner Werke auf Anhieb richtig einzuordnen, vor allem aber den stets im Wandel begreiflichen Gedankensprung von einer Strömung zur nächsten. Dem Wesen eines Musikers mit derart progressivem und vorauseilenden Charakter ist durch die episodische Abfertigung einer Lebensphase nach der anderen nicht Genüge getan.
Don Cheadle weiß um diese Aufgabenstellung und liefert einen impressionistischen Ansatz, der für ein Regiedebüt unheimlich stilsicher erscheint. Ausgerechnet die Phase Mitte bis Ende der 70er, in der seine Figur musikalisch völlig inaktiv war, kürt der Regisseur und Hauptdarsteller zum Handlungszentrum. Er dichtet darüber hinaus auch noch einen Rolling-Stones-Redakteur hinzu (Ewan McGregor), der im Laufe des Films von der journalistischen Plage zum Freund und begleitenden Kommentatoren wird.
Aus Davis' musikalischer Inaktivität heraus entsteht schließlich das streitbare Bild eines Gangsters in einer Welt voller Drogen, Waffen und Korruption. Privatparties, in deren Hinterräumen Lines gezogen werden, gehören vielleicht noch zu den erwartbaren Szenen, nicht aber Autoverfolgungsjagden mit Schusswechseln. Ein solches Portrait bildet Person wie Musiker natürlich nur unzureichend ab, vermutlich sogar irreführend. Nachdem Cheadle die vorliegende Biografie immerhin ein Jahrzehnt lang vorbereitet hat, ist er aber zu dem logischen Schluss gekommen, dass es nicht seine Aufgabe ist, ein abdeckendes Bild zu liefern. Womöglich wäre dies Aufgabe einer Dokumentation; von „Miles Ahead“ darf man vielmehr eine Abbildung der Denkweise des Trompeters und Bandleaders erwarten.
So befasst sich der Film über seine ungewöhnliche Struktur hauptsächlich damit, welcher Geist hinter der beispiellosen Metamorphose vom Bebop und Cool Jazz, Modal Jazz und Fusion verbirgt. So lässt Cheadle den älteren Miles auf eine junge Version seiner selbst treffen und verwandelt den Besuch eines Boxkampfes so zum surrealistischen Tanz. Die 70er Jahre sehen manchmal bewusst nachgestellt aus, um in Momenten besonderer Immersion plötzlich vollständig im Filmkorn zu versinken, so als schaue man sich Originalmaterial an. Der vor allem aus den mittleren Jahren entlehnte Soundtrack konterkariert das meist inaktive Geschehen auf der Leinwand (Don Cheadle hat dennoch eigens für den Film das Spielen der Trompete gelernt und vermittelt dies durchaus gekonnt) mit fortwährender Produktivität; persönliche Dramen und Liebesdinge, aus denen Filme wie „Walk The Line“ rückblickend fast ausschließlich zu bestehen schienen, begrenzt das Drehbuch auf Fußnoten. Vielmehr fungiert eine Rolle mit unveröffentlichten Privataufnahmen fast schon wie ein McGuffin aus dem Schaffen Tarantinos, nur um letztendlich den Wendepunkt der Schaffenskrise zu markieren.
„Miles Ahead“ ist damit keine vollständige Abhandlung und kein ultimatives Portrait; der Ansatz, Miles Davis als eine Art neurotischen Gangster auf eigene Faust zu zeichnen, ist zumindest streitbar. Cheadle vor der Kamera kommt dem Original trotz ansprechender Leistung optisch auch nur bedingt nahe. Dennoch überzeugt das Regiedebüt des Schauspielers mit einer einfallsreichen Struktur und von sicherer Hand geführtem Strich.
Gänsehaut
Den erfolgreichen „Gänsehaut“-Büchern sagt man nach, sie seien leicht zugänglich und beherrschten es, sich in das Denken von Jugendlichen einzufühlen. Als Vielschreiber nutzt Autor R.L. Stine außerdem die volle Klaviatur des Monster-ABC, wie es für gewöhnlich Groschenromanen zu eigen ist, und spielt sie mit Sinn für das Ikonische aus.
Demzufolge erhält die Verfilmung den Geist der Bücher und fungiert als eine Art Sammelstelle für alles, was die Popkultur an Monstern hergibt. Kein Wunder, dass Stephen King in einer köstlichen Wutrede des Autoren (Jack Black spielt Stine herrlich knautschig als schwarz gekleideten Sonderling in Anlehnung an diverse „Neighbor-Horror-Movies“) aufs Korn genommen wird, steht er doch ebenso für das Enzyklopädische der Horrorliteratur.
Rob Lettermans Film erweist sich als durchaus charmante Special-Effects-Schau in teils magischen Bildern: Wenn die Lampen auf dem verlassenen Jahrmarkt inmitten eines Waldes angehen, spielt die visuelle Gestaltung schon all ihre Trümpfe aus. Wenn das zugehörige Riesenrad sich dann später, immer noch leuchtend, in Bewegung setzt, kommen auch noch furiose Perspektiven hinzu und eine Dynamik, die manchmal einem albernen, gleichwohl lustvollen Ballett gleicht.
Das Jugendabenteuer ergötzt sich somit in vollen Zügen an der Freude über die Vielfalt – Werwölfe in Turnhosen, Riesengottesanbeterinnen, Giftzwergarmeen (die tönerne, stop-motion-ähnliche Animation ist wahrlich hervorhebenswert), Zombies, Clowns, sprechende Marionetten und Schneemenschen in einem Film vereint zu sehen, kann ein irritierendes, aber sehr wohl auch stimmungsvolles Vergnügen sein.
Es ist ein Vorzug dieser Produktion, dass sie sich postmodernen Vorgaben des Kinos nicht beugt, in der Gefahr, einem älteren Publikum zu kindgerecht zu erscheinen (auch wenn einige Monstererscheinungen trotz einer stets ironischen Brechung für allzu junge Zuschauer zu gruselig sein mögen). Das gut aufgelegte Spiel der jugendlichen wie auch der erfahreneren Darsteller, die flotte Regie und der bekömmliche Humor machen „Gänsehaut“ schließlich zu einem schöneren Unterhaltungsfilm als erwartet.
Angry Birds
Das rein strategisch funktionierende Computerspiel lässt jeden erdenklichen Freiraum, was die Story anbelangt. „Simpsons“-Autor Jon Vitti wurde also vermutlich mit dem Wort „Angry“ in einen dunklen Keller gesperrt, um daraus mehr zu stricken als geflügeltes Arsenal und gekringelte Zielscheiben. Ans Tageslicht gelangte er mit einem Drehbuch, das in der ersten Hälfte ein CGI-Remake von Adam Sandlers „Die Wutprobe“ sein könnte, um in der zweiten Hälfte in den Artillery-Game-Modus zu wechseln und Schweine mit Vögeln zu beschießen.
Tatsächlich lässt Vitti humortechnisch viel von seinem gelben Hauptbetätigungsfeld einfließen und überzeugt dabei mit bissiger Gesellschaftsbeobachtung. Zynismus ist die wichtigste Antriebsfeder des roten Titelhelden, der von seiner naiven Umwelt regelmäßig zur Weißglut gebracht wird. Damit trifft „Angry Birds“ durchaus einen Nerv; wer selbst gerne mal über die Dummheit der großen Masse verzweifelt, die dank sozialer Netzwerke heute präsenter ist denn je, dürfte sich mit Red (im Original eingesprochen von Jason Sudeikis, im Deutschen ausnahmsweise auch mal kompetent besetzt mit einem gut aufgelegten Christoph Maria Herbst) durchaus identifizieren können.
Teil der erwähnten Dummheit ist es auch, dass ein Handlungsverlauf wie jener von „Angry Birds“ geistig schwächeren Naturen als willkommene Anti-Einwanderungsparabel dienen könnte; schließlich besucht hier durchweg feindlich gesinntes Schweinsvolk die Vogelinsel, um über Arglist und Täuschung Vogeleier zu stehlen. Deutsche werden hier Übereinstimmungen mit der deutschen Einwanderungspolitik erkennen (und je nach Standpunkt für die eigenen Zwecke umdeuten), Amerikaner die vereinfacht gehaltenen Sachverhalte ebenfalls auf ihre Umstände abbilden können. Dabei nimmt der Animationsfilm unter Rückgriff auf ein reduziertes Weltbild lediglich Stellung ein für gesunden Argwohn gegenüber Blendern und hat somit ein hervorragendes Argument gegen den Vorwurf, die Verfilmung eines derart inhaltsleeren Spiels könne nur einen inhaltsleeren Film hervorbringen.
Im Gegensatz zur großen Konkurrenz etwa von Pixar funktionieren die Charaktere ungeachtet des hohen Identifikationspotenzials aus einer Frust- und Ärger-Regung heraus jedoch kaum auf der emotionalen Ebene. Die fast nur aus Kopf, Schnabel und Augen bestehenden Figuren gelangen nicht über Cartoon-Zweidimensionalität hinaus, insbesondere, wenn sie merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag legen, die nur in Kenntnis der Spielvorlage Sinn ergeben. Als die stark an die „Minions“ angelegten Schweine schließlich unter Beschuss genommen werden, verkommt der Film endgültig zum Let's Play, das nur noch an möglichst zerstörerischer Action interessiert ist. Als sich schließlich dann wieder sämtliche Tiere in den Abspann tanzen (möglichst mit unvorteilhaften Körperrundungen und in queeren Klamotten), ist doch wieder der langweilige Konsens erreicht.
Schade, denn stärkeres Zündpotenzial bleibt „Angry Birds“ damit verwehrt. Der bissige Anfang jedoch rettet die Produktion unerwartet doch noch ins Mittelfeld.
Lights Out
Man kann der Argumentation durchaus folgen, dass David F. Sandberg mit seinem Internet-Kurzfilm alles richtig machte, was in der Langversion nun mit einer unnötigen Hintergrundgeschichte wieder aufs Spiel gesetzt wird. Immerhin brillierte „Lights Out“ in der Kurzfassung mit minimalem Aufwand und maximalem Effekt.
Gleichwohl war das Spiel mit dem Lichtschalter letztlich nur eine technische Fingerübung, die mit einem vollwertigen Filmrahmen nichts gemein hatte. Aber der Hype siegt immer, insbesondere wo das Risiko so niedrig ist wie beim Horrorfilm, der in der Regel nach der gleichen Prämisse funktioniert wie Sandbergs Shorties: Geringe Kosten mit der Aussicht auf hohen Ertrag. Also kam es zur Verfilmung mit dem Zweck, das Buch der methodologischen Kniffe des Horrorfilms um ein Kapitel zu erweitern. Eine Gestalt, die nur im Dunkeln sichtbar ist... das klingt uralt und vertraut, bekommt aber durch die Licht-an-Licht-aus-Prozedur einen völlig neuen Twist. Wie konnte der Regisseur also anders als auch die Filmfassung mit seinem populären Trick zu beginnen: Wieder ist es seine Frau Lotta Losten, die als erstes von einer hageren Gestalt im Schatten irritiert wird.
So weit bewegt sich der Regisseur noch in der Comfort Zone. Ab hier dürften die Produzenten dann reingeredet haben, Das Screenplay stammt nicht mehr von Sandberg, sondern von Eric Heisserer und driftet schon arg in den Standard typischer Haunted-Movies aus der zweiten Reihe, die sich von der Mythologie japanischer Referenzen wie „The Grudge“ beeinflusst sehen und dem Zorn eines wütenden Geistes eine traurige Hintergrundgeschichte verleihen – und somit etwas Menschliches, was durchaus ein wenig am Horrorgefühl nagt.
Ungeachtet des konventionellen Unterbaus (der nicht einmal unbedingt enttäuscht, weil man ihn bei einer derart spartanischen Vorlage auch erwartet hat) spielt Sandberg seine Stärken jedoch weiterhin im Spiel mit unterschiedlichen Lichtquellen aus. Dass in einer Szene ausgerechnet das Rotlicht einer Werbetafel zur Rettung wird, eine Signalleuchte, die in Filmen üblicherweise eher Gefahr ausstrahlt, gehört zu den gelungenen Einfällen, mit denen die Schauplätze bestückt werden. Leicht übersehbare Schattenquellen nutzt Sandberg effektiv, um vermeintlich sichere Situationen doch noch ins Bedrohliche zu verkehren. Der drohende Ausfall flackernder Lampen und Kerzen mag dabei ein altes Klischee sein, verfehlt seinen Zweck jedoch nicht.
Dass bei alldem nicht einmal besonders viele Opfer nötig sind, gehört zu den weiteren Stärken des Films. Weiterhin hebt sich der Cast mit einer zwischen Verrücktheit und Verzweiflung pendelnden Maria Bello und einer sehr starken Teresa Palmer wohltuend vom reinen No-Name-Cast hysterischer Twentysomethings ab. Die Kamera unterstützt außerdem das permanente Spiel mit Lichtquellen durch sinnvolle Kontraste.
Um beispielsweise zu den Geisterfilmen James Wans aufzuschließen, fehlen hier natürlich viele Dinge: Der visuelle Einfallsreichtum, eine originelle Geschichte, ein eigenständigeres Erscheinungsbild der Kreatur ebenso. Gemessen an den Umständen ist „Lights Out“ aber schon ein Mini-Kracher. „Annabelle 2“ wird dann wohl zur Bewährungsprobe: Sollte David Sandberg dem aktuell tot wirkenden Spin-Off-Zweig der „Conjuring“-Reihe tatsächlich noch etwas abgewinnen können, so kann er damit beweisen, dass er vielleicht mehr ist als ein One-Trick-Pony.
The Lobster
Okay, der goldene Weirdo 2016 geht dann wohl an die herzhaft-skurrile SciFi-Dystopie „The Lobster“ von „Dogtooth“-Regisseur Giorgos Lanthimos, ein hierzulande mal wieder weitgehend unentdecktes Kleinod für Freunde des Absonderlichen, das nicht nur keine Kinoauswertung erfuhr, sondern darüber hinaus hierzulande nicht einmal auf Blu-ray, sondern nur auf einer spartanisch ausgestatteten DVD veröffentlicht wurde. Man mag dies fast als Auszeichnung verstehen, denn was dermaßen konsequent vor der breiten Masse versteckt wird, muss ja fast schon von einer gewissen Grundqualität zeugen...
Der Off-Kommentar sei ja das Mittel einfallsloser Regisseure, die ihre Geschichte über die Bilder alleine nicht zu erzählen imstande sind, heißt es oft; Rachel Weisz, die erst in der zweiten Filmhälfte als Darstellerin in Erscheinung tritt, kommentiert die erste Hälfte in einer Art freudlosem Wes-Anderson-Gestus mit dermaßen trockenen Sätzen aus dem Off, dass man dahinter pure Absicht erkennen muss. So wird der offen sichtbare Inhalt eines Kleiderschranks einfach noch einmal aufgezählt, später gar ganze Sätze, die von Darstellern zuvor gesprochen wurden, erneut paraphrasiert.
Dieser so herrlich trockene Rahmen schlägt sich in der gesamten Hotelanlage nieder, die anfangs Schauplatz absurdester Minderheiten-Zurschaustellung ist und Elemente der Handlungsorte aus Andersons „Grand Budapest Hotel“ und Sorrentinos „Ewige Jugend“ miteinander verknüpft. Auch Colin Farrels niedergeschlagene Miene und sein aufgedunsener Körper sind Zeichen einer allgegenwärtigen Aura der Selbstaufgabe. Lanthimos arbeitet die mit gesellschaftlicher Akzeptanz gesegnete Perversion im restriktiven Umgang mit individuellen Lebensstilen zwar sehr metaphorisch heraus, bleibt allerdings immer relativ leicht verständlich und hält den Kontakt zu diversen Klassikern, die Liebe und Dystopie miteinander kombiniert haben. Das fiktive Element der Verwandlung in ein Tier bleibt dem Zuschauer ein Mysterium, das erwartungsgemäß nur im Off stattfindet und somit ebenso gut suggestive Masseneinbildung sein könnte; die Charaktere begegnen dieser Aussicht, die der Regisseur einer Art „kleinem Tod“ oder eben einer massiven Behinderung menschlicher Freiheiten gleichsetzt, mit einem Hauch Neugier und vor allem endloser Untröstlichkeit, die sich im Film aber oft in obskuren Humor übersetzt, wenn plötzlich allerhand exotische Tiere wie Pfauen und Flamingos als Hintergrund-Gag durch für sie ungewohntes Wald-Terrain stapfen.
In der zweiten, von einem Rebellen-Subplot dominierten Hälfte wird auf eine Verdichtung der Liebesgeschichte gedrängt und damit in Kauf genommen, dass die bis dahin so scharfe Beobachtungsgabe verloren geht. Allerdings gelingt es dem Regisseur immer wieder, in einzelnen Sequenzen die Brillanz des Einstiegs zu reaktivieren und auch beim unkonventionellen Ende ist von Verbiegung nichts zu spüren.
Filme wie „The Lobster“ hat es sicher öfter mal gegeben, ein Unikat ist er also nicht zwangsläufig; einer der stärkeren Filme des vergangenen Jahres ist es dennoch, der hier mal wieder unter Radar fliegt.
Ghostbusters – Answer The Call
Die Geisterjäger sind also zurück, wenn auch nicht in der Form, die man sich all die Jahre ausgemalt hatte. Man möchte jetzt sagen, all die hitzig geführten Kontroversen im Vorfeld habe die Mädels-Variante nicht verdient. Hat sie aber. Und das ist genau genommen das einzige große Kompliment, das man den „Ghostbusters“ anno 2016 machen kann.
Denn wenn diese Neuauflage eines nicht ist, dann stromlinienförmige Multimillionen-Dollar-Dutzendware, die so schnell konsumiert wie vergessen ist. Da bleibt schon was hängen. New York mag zwar schon wieder der Spielplatz sein, Plasma-Strudel mögen sich am Himmel bilden und Hochhäuser vor überdimensionalen Trampeltieren mit viel Trara in die Knie gehen (soviel immerhin zur Werkstreue, die sich auch noch mit dem heutigen Blockbuster-Gestus deckt), der höchst streitbare Grundton, den Paul Feig anschlägt, lässt das nicht ohne Risiko auf Kurs gebrachte Reboot aber immerhin aus der grauen Peripherie treten.
Es gibt da nur einen Haken: Der Mut rentiert sich künstlerisch nicht, denn fast nichts von dem, was man innerhalb der großzügigen 135 Minuten ausprobiert, gelingt. Erst recht nicht die ironische Umkehrung der Markenzeichen der Serie. Es wird eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass man diese, wenn überhaupt, nur oberflächlich verstanden hat. Die hintersinnige Schmutzigkeit, mit der die Original-Drehbücher von Ramis, Aykroyd und Moranis unterwandert waren, stülpt sich hier mit platten Frontalgags wenig elegant nach außen. Und wo ist der Platz für den langsamen Aufbau, die verführerische Annäherung der Geister an ihre Opfer und deren unbemerkte Isolation von der Restwelt? Verzweifelt sucht man auch nach wirklich markanten, originellen Geistererscheinungen und besonderen Szenen, in denen der Plot kurz innehält und sich völlig auf die Intimität zwischen Geist und Jäger konzentriert. Nur wenige Verweise auf die ersten beiden Teile gelingen (der Verzicht auf die ikonische Feuerwehrbehausung ist ein großes Opfer, das aber durch eine geschickte Überleitung auf eine nicht minder charakterstarke Basis über einem China-Restaurant neue Früchte trägt), viele andere verfehlen völlig den eigentlichen Punkt (Restaurant-Szene).
Dazu ein beinahe schon unverschämt blasser Bösewicht (wie eine fahle Kopie der von Peter MacNicol im zweiten Teil verkörperten Renfield-Variation, die nur diesmal als Hauptgegner herhalten muss), eine Verschlimmbesserung des Titelsongs, Spezialeffekte von sehr wechselhafter Qualität (gut sieht beispielsweise die stoffähnliche Textur des Endgegner-Buhmanns aus, die Geister-Beule am Rücken einer alten Frau allerdings könnte aber aus einem Rechner der 90er Jahre stammen) und unmotiviert aneinandergereihte Cameos, die Rick Moranis' Verzicht zur klugen Entscheidung werden lassen.
Für eine Produktion, die in jeder Kritik an ihr einen misogynen Hintergrund zu sehen glaubt, entpuppt sich ausgerechnet der Umgang mit Gender-Themen derweil als überraschend kleingeistig. Original-Sekretärin Janine wirkte nur scheinbar einfältig, übte tatsächlich aber eher Bürokraten-Ignoranz aus und zeigte damit durchaus Persönlichkeit (zumal sie sich letztlich der Geisterjäger-Chose ja auch angemessen verhielt). Ersetzt wird sie nun mit einem Mann, der offen debil ist und zu alldem auch noch von den weiblichen Geisterjägern zum Pin-Up-Nerd reduziert wird. Annie Potts' kurzes Cameo als Empfangsdame (der einzig gelungene) zeigt sogar noch einmal im Direktvergleich auf, um wie viel fortschrittlicher die 80er in diesem Punkt anmuten, zumal man damals mit Sigourney Weaver noch eine weitere starke Frau in der Hinterhand hatte. Ein solches Äquivalent fehlt in der Neuverfilmung ebenso. Stattdessen bekommt Geisterkartoffel Slimer eine Gattin mit 50er-Frisur und Lippenstift zur Seite gestellt...
Über den Humor der Hauptbesetzung kann man natürlich herzhaft streiten und gerade der entscheidet am Ende wohl über Gefallen oder Nichtgefallen des gesamten Films. Mir erschien lediglich das unberechenbare Auftreten Kate McKinnons als Gewinn, die manchmal im Drogendelirium zu verweilen scheint, dann wieder psychotische Verhaltensweisen an den Tag legt und gelegentlich mit sexuellen Avancen gegenüber ihren Kolleginnen das Publikum verwirrt (wäre Margot Robbie in „Suicide Squad“ doch mal so unberechenbar gewesen). Kristen Wiig, Melissa McCarthy und Leslie Jones (die das Rassismus-Argument um Ernie Hudsons Originalrolle mit ihrer Bahnschalter-Rolle keinen Deut ausbügelt, sondern sogar noch auf die Spitze treibt) hingegen hängen durchweg in einer Dauerschleife zwischen Sitcom- und Standup-Comedy der infantilsten Art. Das Resultat sind einfältige Kindergartenwitze, die möglicherweise auch ein Produkt des Umstands sind, dass „Ghostbusters“ ein entscheidungsschwacher Film ist, der sich alle Möglichkeiten (u.a. über Test-Screenings) offen hielt und deswegen letztlich in einem spürbar zerfaserten Story Arc aufgeht, in dem die Darsteller ohne starke Führung schlichtweg unkontrolliert steil gehen. Kein Wunder, dass die Heimkino-Datenträger vor lauter unveröffentlichter Szenen regelrecht überquellen.
Man kann das Unorthodoxe an diesem Film natürlich trotzdem schätzen; dazu gehört auch die Spielerei mit dem Bildformat, wenn bei Geistererscheinungen und Protonenstrahlern Elemente über den Bildrand ragen (das passt zum knautschig-bunten Ton der Reihe und hat trotz des anbiedernden Pop-Up-Effekts durchaus seinen Reiz, so lange man es nicht überstrapaziert). Gleichwohl kommt man nicht umhin festzustellen, dass das sehnlichst erwartete und dadurch mit Nostalgiegefühlen vorbelastete Franchise-Update nicht nur daran scheitert, dass es im wahrsten Sinne des Wortes den Geist der Originale nicht fängt. Erst recht scheitert es nicht am Gender Switch (wenn überhaupt, an der Darstellerwahl oder an der Darstellerführung). Sondern vor allem am gewöhnungsbedürftigen Humor, vielen Einfällen, die nicht zünden und einer bigotten Haltung zu schwierigen Themen wie Rassismus und Sexismus.
Hotel Transsilvanien 2
Der extrem überdrehte Humor, den Sony bei vielen CGI-Produktionen des eigenen Hauses anschlägt, ist zweifellos nicht jedermanns Sache. Bei der Fortsetzung zum extrem cartoonesken „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ hatte man die Regler beispielsweise überspannt, denn wenn aus den Augen der Charaktere schon reiner Irrsinn spricht, der selbst einem Joker die grünen Haare weiß färben würde, wird es gruselig.
„Hotel Transsilvanien 2“ bewegt sich diesbezüglich ebenfalls auf einem schmalen Grat, schließlich hatte der erste Teil schon das Herzschlagtempo eines Karnickels mit Herzrasen - und Fortsetzungen sollen ja grundsätzlich immer alles noch toppen. Ein Vorteil dieser Reihe ist ganz klar das atmosphärische Ambiente: Der knallbunte Monster-Mash im Schloss Dracula war im ersten Teil bei weitem noch nicht kreativ ausgeschöpft und wird vermutlich selbst für den schon beschlossenen dritten Teil doch Aberhunderte Möglichkeiten für Anspielungen und Running Gags übrig lassen.
Entsprechend lebendig sind die kalten Gemäuer und ihr wuselndes Innenleben wieder gestaltet. Die Animation genügt einmal mehr allerhöchsten Ansprüchen und wimmelt vor Details und schillernden Persönlichkeiten hinter Capes, Bandagen und Pudding-Epidermis. Über den eigenwilligen Animationsstil erschließt sich der Humor; Körperhaltung und Gesichtsausdrücke folgen nicht der Niedlichkeitsstrategie diverser Disney-, Pixar- und Dreamworks-Produktionen, sondern haben ihre geistigen Ursprünge im anarchischen Selbstverständnis der Nickelodeon-Cartoons. Es ist jedenfalls keine Überraschung, dass der russische Regisseur Genndy Tartakovsky auch bei „Dexter's Laboratory“ seine Finger im Spiel hatte.
Plottechnisch gibt sich „Hotel Transsilvanien“ da schon wesentlich konservativer und folgt der klassischen Generationen-Evolution. Nachdem der erste Teil sich nämlich der Vater-Tochter-Beziehung widmete, sind es jetzt Großvater und Enkel, denen sich das Drehbuch zuwendet. Wiederum geht es dabei um Toleranz; die Grundaussage hat sich nicht geändert, allenfalls die Struktur des Storyverlaufs, der im Mittelteil jeder Nebenfigur seine fünf Minuten Ruhm gibt und damit zu perlenkettenartigen Slapstick-Nummernrevue wird, was man sich aber dank der spaßigen Figuren gerade noch leisten kann; das Finale dann bringt einen neuen Twist ins Spiel und wird noch einmal ungewöhnlich düster. Zumindest bis wieder die grassierende Animationsfilm-Krankheit um sich greift, alle Figuren fröhlich in den Abspann tanzen zu lassen.
Insgesamt hält „Hotel Transsilvanien“ Tempo und Niveau seines Vorgängers und überzeugt erneut mit Referenz-Animationen, hochoriginellen Figuren bis in die Nebenrollen hinein und jede Menge Anspielungen. Emotionen und Tiefe bleiben dabei auf der Strecke, aber würde das irgendwer bei Bugs Bunny und Daffy Duck vermissen?
Banshee – Season 2
Man entschied sich also dafür, hinter der wahnwitzigen ersten Staffel ein wenig aufzuräumen. Regelrecht zahm lässt es die zweite zum Auftakt angehen; vom Scenario-of-the-Week jedenfalls ist man deutlich abgewichen, auch wenn rückblickend doch wieder viele Dinge geschehen sind und haufenweise skurrile Nebenfiguren eingeführt wurden.
Dass ein Grande Finale mit Geballer in der Kirche, Zeitlupe und melancholischen Goodbye-Chören dann wieder nicht die kompletten Ereignisse tangieren, sondern nur einen Teil der Erzählung, ist eben doch typisch Banshee, ebenso wie die gewöhnungsbedürftigen Parallelmontagen zweier oftmals völlig unterschiedlicher Handlungsstränge. Dass neuerdings auch öfter mal intime Zwiegespräche (derer gibt es einige, nicht selten von Tränen begleitet) mit den daraus resultierenden Konsequenzen und Folgehandlungen verschnitten werden, gehört dann zu jener Sorte cooler Stilmittel, die bei übermäßiger Anwendung uncool wird.
Ansonsten ist „Banshee“ aber wieder Stil pur – tolle Bild- und Farbkompositionen, unberechenbare Wutausbrüche und Alleingänge (speziell vom Hauptdarsteller, grundsätzlich ist aber jeder verdächtig), Selbstjustiz, wohin das Auge blickt (dito), besinnungsloser Sex ohne Ende (Lili Simmons mit Auszieh-Abo), reinster Rock'n'Roll – und nicht die kurzen Teaser vergessen (nach dem Abspann sitzen bleiben).
„Small Town. Big Secrets“ klingt irgendwie immer noch nach der Mystery-Idylle von „Twin Peaks“. Nach wie vor fungieren Amish-Gemeinde, Indianerstämme und Dorfpolizei als Eckpfeiler der Serie, was die falschen Eindrücke noch weiter vorantreiben kann. Dabei ist „Banshee“ selbst in gedrosselter Ausführung immer noch völlig verrückter Action-Trash mit vielen Problemen und schnellen Lösungen.
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Weitere Sichtungen:
Extraction
Teenage Mutant Ninja Turtles – Out Of The Shadows
Bastille Day
Dass Miles Davis seiner Zeit in vielen Phasen der Karriere weit voraus war, ist keine leere Satzhülse, um die Größe des Jazztrompeters zu untermauern, sondern beschreibt die Unfähigkeit der Zeitzeugen, einige seiner Werke auf Anhieb richtig einzuordnen, vor allem aber den stets im Wandel begreiflichen Gedankensprung von einer Strömung zur nächsten. Dem Wesen eines Musikers mit derart progressivem und vorauseilenden Charakter ist durch die episodische Abfertigung einer Lebensphase nach der anderen nicht Genüge getan.
Don Cheadle weiß um diese Aufgabenstellung und liefert einen impressionistischen Ansatz, der für ein Regiedebüt unheimlich stilsicher erscheint. Ausgerechnet die Phase Mitte bis Ende der 70er, in der seine Figur musikalisch völlig inaktiv war, kürt der Regisseur und Hauptdarsteller zum Handlungszentrum. Er dichtet darüber hinaus auch noch einen Rolling-Stones-Redakteur hinzu (Ewan McGregor), der im Laufe des Films von der journalistischen Plage zum Freund und begleitenden Kommentatoren wird.
Aus Davis' musikalischer Inaktivität heraus entsteht schließlich das streitbare Bild eines Gangsters in einer Welt voller Drogen, Waffen und Korruption. Privatparties, in deren Hinterräumen Lines gezogen werden, gehören vielleicht noch zu den erwartbaren Szenen, nicht aber Autoverfolgungsjagden mit Schusswechseln. Ein solches Portrait bildet Person wie Musiker natürlich nur unzureichend ab, vermutlich sogar irreführend. Nachdem Cheadle die vorliegende Biografie immerhin ein Jahrzehnt lang vorbereitet hat, ist er aber zu dem logischen Schluss gekommen, dass es nicht seine Aufgabe ist, ein abdeckendes Bild zu liefern. Womöglich wäre dies Aufgabe einer Dokumentation; von „Miles Ahead“ darf man vielmehr eine Abbildung der Denkweise des Trompeters und Bandleaders erwarten.
So befasst sich der Film über seine ungewöhnliche Struktur hauptsächlich damit, welcher Geist hinter der beispiellosen Metamorphose vom Bebop und Cool Jazz, Modal Jazz und Fusion verbirgt. So lässt Cheadle den älteren Miles auf eine junge Version seiner selbst treffen und verwandelt den Besuch eines Boxkampfes so zum surrealistischen Tanz. Die 70er Jahre sehen manchmal bewusst nachgestellt aus, um in Momenten besonderer Immersion plötzlich vollständig im Filmkorn zu versinken, so als schaue man sich Originalmaterial an. Der vor allem aus den mittleren Jahren entlehnte Soundtrack konterkariert das meist inaktive Geschehen auf der Leinwand (Don Cheadle hat dennoch eigens für den Film das Spielen der Trompete gelernt und vermittelt dies durchaus gekonnt) mit fortwährender Produktivität; persönliche Dramen und Liebesdinge, aus denen Filme wie „Walk The Line“ rückblickend fast ausschließlich zu bestehen schienen, begrenzt das Drehbuch auf Fußnoten. Vielmehr fungiert eine Rolle mit unveröffentlichten Privataufnahmen fast schon wie ein McGuffin aus dem Schaffen Tarantinos, nur um letztendlich den Wendepunkt der Schaffenskrise zu markieren.
„Miles Ahead“ ist damit keine vollständige Abhandlung und kein ultimatives Portrait; der Ansatz, Miles Davis als eine Art neurotischen Gangster auf eigene Faust zu zeichnen, ist zumindest streitbar. Cheadle vor der Kamera kommt dem Original trotz ansprechender Leistung optisch auch nur bedingt nahe. Dennoch überzeugt das Regiedebüt des Schauspielers mit einer einfallsreichen Struktur und von sicherer Hand geführtem Strich.
Gänsehaut
Den erfolgreichen „Gänsehaut“-Büchern sagt man nach, sie seien leicht zugänglich und beherrschten es, sich in das Denken von Jugendlichen einzufühlen. Als Vielschreiber nutzt Autor R.L. Stine außerdem die volle Klaviatur des Monster-ABC, wie es für gewöhnlich Groschenromanen zu eigen ist, und spielt sie mit Sinn für das Ikonische aus.
Demzufolge erhält die Verfilmung den Geist der Bücher und fungiert als eine Art Sammelstelle für alles, was die Popkultur an Monstern hergibt. Kein Wunder, dass Stephen King in einer köstlichen Wutrede des Autoren (Jack Black spielt Stine herrlich knautschig als schwarz gekleideten Sonderling in Anlehnung an diverse „Neighbor-Horror-Movies“) aufs Korn genommen wird, steht er doch ebenso für das Enzyklopädische der Horrorliteratur.
Rob Lettermans Film erweist sich als durchaus charmante Special-Effects-Schau in teils magischen Bildern: Wenn die Lampen auf dem verlassenen Jahrmarkt inmitten eines Waldes angehen, spielt die visuelle Gestaltung schon all ihre Trümpfe aus. Wenn das zugehörige Riesenrad sich dann später, immer noch leuchtend, in Bewegung setzt, kommen auch noch furiose Perspektiven hinzu und eine Dynamik, die manchmal einem albernen, gleichwohl lustvollen Ballett gleicht.
Das Jugendabenteuer ergötzt sich somit in vollen Zügen an der Freude über die Vielfalt – Werwölfe in Turnhosen, Riesengottesanbeterinnen, Giftzwergarmeen (die tönerne, stop-motion-ähnliche Animation ist wahrlich hervorhebenswert), Zombies, Clowns, sprechende Marionetten und Schneemenschen in einem Film vereint zu sehen, kann ein irritierendes, aber sehr wohl auch stimmungsvolles Vergnügen sein.
Es ist ein Vorzug dieser Produktion, dass sie sich postmodernen Vorgaben des Kinos nicht beugt, in der Gefahr, einem älteren Publikum zu kindgerecht zu erscheinen (auch wenn einige Monstererscheinungen trotz einer stets ironischen Brechung für allzu junge Zuschauer zu gruselig sein mögen). Das gut aufgelegte Spiel der jugendlichen wie auch der erfahreneren Darsteller, die flotte Regie und der bekömmliche Humor machen „Gänsehaut“ schließlich zu einem schöneren Unterhaltungsfilm als erwartet.
Angry Birds
Das rein strategisch funktionierende Computerspiel lässt jeden erdenklichen Freiraum, was die Story anbelangt. „Simpsons“-Autor Jon Vitti wurde also vermutlich mit dem Wort „Angry“ in einen dunklen Keller gesperrt, um daraus mehr zu stricken als geflügeltes Arsenal und gekringelte Zielscheiben. Ans Tageslicht gelangte er mit einem Drehbuch, das in der ersten Hälfte ein CGI-Remake von Adam Sandlers „Die Wutprobe“ sein könnte, um in der zweiten Hälfte in den Artillery-Game-Modus zu wechseln und Schweine mit Vögeln zu beschießen.
Tatsächlich lässt Vitti humortechnisch viel von seinem gelben Hauptbetätigungsfeld einfließen und überzeugt dabei mit bissiger Gesellschaftsbeobachtung. Zynismus ist die wichtigste Antriebsfeder des roten Titelhelden, der von seiner naiven Umwelt regelmäßig zur Weißglut gebracht wird. Damit trifft „Angry Birds“ durchaus einen Nerv; wer selbst gerne mal über die Dummheit der großen Masse verzweifelt, die dank sozialer Netzwerke heute präsenter ist denn je, dürfte sich mit Red (im Original eingesprochen von Jason Sudeikis, im Deutschen ausnahmsweise auch mal kompetent besetzt mit einem gut aufgelegten Christoph Maria Herbst) durchaus identifizieren können.
Teil der erwähnten Dummheit ist es auch, dass ein Handlungsverlauf wie jener von „Angry Birds“ geistig schwächeren Naturen als willkommene Anti-Einwanderungsparabel dienen könnte; schließlich besucht hier durchweg feindlich gesinntes Schweinsvolk die Vogelinsel, um über Arglist und Täuschung Vogeleier zu stehlen. Deutsche werden hier Übereinstimmungen mit der deutschen Einwanderungspolitik erkennen (und je nach Standpunkt für die eigenen Zwecke umdeuten), Amerikaner die vereinfacht gehaltenen Sachverhalte ebenfalls auf ihre Umstände abbilden können. Dabei nimmt der Animationsfilm unter Rückgriff auf ein reduziertes Weltbild lediglich Stellung ein für gesunden Argwohn gegenüber Blendern und hat somit ein hervorragendes Argument gegen den Vorwurf, die Verfilmung eines derart inhaltsleeren Spiels könne nur einen inhaltsleeren Film hervorbringen.
Im Gegensatz zur großen Konkurrenz etwa von Pixar funktionieren die Charaktere ungeachtet des hohen Identifikationspotenzials aus einer Frust- und Ärger-Regung heraus jedoch kaum auf der emotionalen Ebene. Die fast nur aus Kopf, Schnabel und Augen bestehenden Figuren gelangen nicht über Cartoon-Zweidimensionalität hinaus, insbesondere, wenn sie merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag legen, die nur in Kenntnis der Spielvorlage Sinn ergeben. Als die stark an die „Minions“ angelegten Schweine schließlich unter Beschuss genommen werden, verkommt der Film endgültig zum Let's Play, das nur noch an möglichst zerstörerischer Action interessiert ist. Als sich schließlich dann wieder sämtliche Tiere in den Abspann tanzen (möglichst mit unvorteilhaften Körperrundungen und in queeren Klamotten), ist doch wieder der langweilige Konsens erreicht.
Schade, denn stärkeres Zündpotenzial bleibt „Angry Birds“ damit verwehrt. Der bissige Anfang jedoch rettet die Produktion unerwartet doch noch ins Mittelfeld.
Lights Out
Man kann der Argumentation durchaus folgen, dass David F. Sandberg mit seinem Internet-Kurzfilm alles richtig machte, was in der Langversion nun mit einer unnötigen Hintergrundgeschichte wieder aufs Spiel gesetzt wird. Immerhin brillierte „Lights Out“ in der Kurzfassung mit minimalem Aufwand und maximalem Effekt.
Gleichwohl war das Spiel mit dem Lichtschalter letztlich nur eine technische Fingerübung, die mit einem vollwertigen Filmrahmen nichts gemein hatte. Aber der Hype siegt immer, insbesondere wo das Risiko so niedrig ist wie beim Horrorfilm, der in der Regel nach der gleichen Prämisse funktioniert wie Sandbergs Shorties: Geringe Kosten mit der Aussicht auf hohen Ertrag. Also kam es zur Verfilmung mit dem Zweck, das Buch der methodologischen Kniffe des Horrorfilms um ein Kapitel zu erweitern. Eine Gestalt, die nur im Dunkeln sichtbar ist... das klingt uralt und vertraut, bekommt aber durch die Licht-an-Licht-aus-Prozedur einen völlig neuen Twist. Wie konnte der Regisseur also anders als auch die Filmfassung mit seinem populären Trick zu beginnen: Wieder ist es seine Frau Lotta Losten, die als erstes von einer hageren Gestalt im Schatten irritiert wird.
So weit bewegt sich der Regisseur noch in der Comfort Zone. Ab hier dürften die Produzenten dann reingeredet haben, Das Screenplay stammt nicht mehr von Sandberg, sondern von Eric Heisserer und driftet schon arg in den Standard typischer Haunted-Movies aus der zweiten Reihe, die sich von der Mythologie japanischer Referenzen wie „The Grudge“ beeinflusst sehen und dem Zorn eines wütenden Geistes eine traurige Hintergrundgeschichte verleihen – und somit etwas Menschliches, was durchaus ein wenig am Horrorgefühl nagt.
Ungeachtet des konventionellen Unterbaus (der nicht einmal unbedingt enttäuscht, weil man ihn bei einer derart spartanischen Vorlage auch erwartet hat) spielt Sandberg seine Stärken jedoch weiterhin im Spiel mit unterschiedlichen Lichtquellen aus. Dass in einer Szene ausgerechnet das Rotlicht einer Werbetafel zur Rettung wird, eine Signalleuchte, die in Filmen üblicherweise eher Gefahr ausstrahlt, gehört zu den gelungenen Einfällen, mit denen die Schauplätze bestückt werden. Leicht übersehbare Schattenquellen nutzt Sandberg effektiv, um vermeintlich sichere Situationen doch noch ins Bedrohliche zu verkehren. Der drohende Ausfall flackernder Lampen und Kerzen mag dabei ein altes Klischee sein, verfehlt seinen Zweck jedoch nicht.
Dass bei alldem nicht einmal besonders viele Opfer nötig sind, gehört zu den weiteren Stärken des Films. Weiterhin hebt sich der Cast mit einer zwischen Verrücktheit und Verzweiflung pendelnden Maria Bello und einer sehr starken Teresa Palmer wohltuend vom reinen No-Name-Cast hysterischer Twentysomethings ab. Die Kamera unterstützt außerdem das permanente Spiel mit Lichtquellen durch sinnvolle Kontraste.
Um beispielsweise zu den Geisterfilmen James Wans aufzuschließen, fehlen hier natürlich viele Dinge: Der visuelle Einfallsreichtum, eine originelle Geschichte, ein eigenständigeres Erscheinungsbild der Kreatur ebenso. Gemessen an den Umständen ist „Lights Out“ aber schon ein Mini-Kracher. „Annabelle 2“ wird dann wohl zur Bewährungsprobe: Sollte David Sandberg dem aktuell tot wirkenden Spin-Off-Zweig der „Conjuring“-Reihe tatsächlich noch etwas abgewinnen können, so kann er damit beweisen, dass er vielleicht mehr ist als ein One-Trick-Pony.
The Lobster
Okay, der goldene Weirdo 2016 geht dann wohl an die herzhaft-skurrile SciFi-Dystopie „The Lobster“ von „Dogtooth“-Regisseur Giorgos Lanthimos, ein hierzulande mal wieder weitgehend unentdecktes Kleinod für Freunde des Absonderlichen, das nicht nur keine Kinoauswertung erfuhr, sondern darüber hinaus hierzulande nicht einmal auf Blu-ray, sondern nur auf einer spartanisch ausgestatteten DVD veröffentlicht wurde. Man mag dies fast als Auszeichnung verstehen, denn was dermaßen konsequent vor der breiten Masse versteckt wird, muss ja fast schon von einer gewissen Grundqualität zeugen...
Der Off-Kommentar sei ja das Mittel einfallsloser Regisseure, die ihre Geschichte über die Bilder alleine nicht zu erzählen imstande sind, heißt es oft; Rachel Weisz, die erst in der zweiten Filmhälfte als Darstellerin in Erscheinung tritt, kommentiert die erste Hälfte in einer Art freudlosem Wes-Anderson-Gestus mit dermaßen trockenen Sätzen aus dem Off, dass man dahinter pure Absicht erkennen muss. So wird der offen sichtbare Inhalt eines Kleiderschranks einfach noch einmal aufgezählt, später gar ganze Sätze, die von Darstellern zuvor gesprochen wurden, erneut paraphrasiert.
Dieser so herrlich trockene Rahmen schlägt sich in der gesamten Hotelanlage nieder, die anfangs Schauplatz absurdester Minderheiten-Zurschaustellung ist und Elemente der Handlungsorte aus Andersons „Grand Budapest Hotel“ und Sorrentinos „Ewige Jugend“ miteinander verknüpft. Auch Colin Farrels niedergeschlagene Miene und sein aufgedunsener Körper sind Zeichen einer allgegenwärtigen Aura der Selbstaufgabe. Lanthimos arbeitet die mit gesellschaftlicher Akzeptanz gesegnete Perversion im restriktiven Umgang mit individuellen Lebensstilen zwar sehr metaphorisch heraus, bleibt allerdings immer relativ leicht verständlich und hält den Kontakt zu diversen Klassikern, die Liebe und Dystopie miteinander kombiniert haben. Das fiktive Element der Verwandlung in ein Tier bleibt dem Zuschauer ein Mysterium, das erwartungsgemäß nur im Off stattfindet und somit ebenso gut suggestive Masseneinbildung sein könnte; die Charaktere begegnen dieser Aussicht, die der Regisseur einer Art „kleinem Tod“ oder eben einer massiven Behinderung menschlicher Freiheiten gleichsetzt, mit einem Hauch Neugier und vor allem endloser Untröstlichkeit, die sich im Film aber oft in obskuren Humor übersetzt, wenn plötzlich allerhand exotische Tiere wie Pfauen und Flamingos als Hintergrund-Gag durch für sie ungewohntes Wald-Terrain stapfen.
In der zweiten, von einem Rebellen-Subplot dominierten Hälfte wird auf eine Verdichtung der Liebesgeschichte gedrängt und damit in Kauf genommen, dass die bis dahin so scharfe Beobachtungsgabe verloren geht. Allerdings gelingt es dem Regisseur immer wieder, in einzelnen Sequenzen die Brillanz des Einstiegs zu reaktivieren und auch beim unkonventionellen Ende ist von Verbiegung nichts zu spüren.
Filme wie „The Lobster“ hat es sicher öfter mal gegeben, ein Unikat ist er also nicht zwangsläufig; einer der stärkeren Filme des vergangenen Jahres ist es dennoch, der hier mal wieder unter Radar fliegt.
Ghostbusters – Answer The Call
Die Geisterjäger sind also zurück, wenn auch nicht in der Form, die man sich all die Jahre ausgemalt hatte. Man möchte jetzt sagen, all die hitzig geführten Kontroversen im Vorfeld habe die Mädels-Variante nicht verdient. Hat sie aber. Und das ist genau genommen das einzige große Kompliment, das man den „Ghostbusters“ anno 2016 machen kann.
Denn wenn diese Neuauflage eines nicht ist, dann stromlinienförmige Multimillionen-Dollar-Dutzendware, die so schnell konsumiert wie vergessen ist. Da bleibt schon was hängen. New York mag zwar schon wieder der Spielplatz sein, Plasma-Strudel mögen sich am Himmel bilden und Hochhäuser vor überdimensionalen Trampeltieren mit viel Trara in die Knie gehen (soviel immerhin zur Werkstreue, die sich auch noch mit dem heutigen Blockbuster-Gestus deckt), der höchst streitbare Grundton, den Paul Feig anschlägt, lässt das nicht ohne Risiko auf Kurs gebrachte Reboot aber immerhin aus der grauen Peripherie treten.
Es gibt da nur einen Haken: Der Mut rentiert sich künstlerisch nicht, denn fast nichts von dem, was man innerhalb der großzügigen 135 Minuten ausprobiert, gelingt. Erst recht nicht die ironische Umkehrung der Markenzeichen der Serie. Es wird eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass man diese, wenn überhaupt, nur oberflächlich verstanden hat. Die hintersinnige Schmutzigkeit, mit der die Original-Drehbücher von Ramis, Aykroyd und Moranis unterwandert waren, stülpt sich hier mit platten Frontalgags wenig elegant nach außen. Und wo ist der Platz für den langsamen Aufbau, die verführerische Annäherung der Geister an ihre Opfer und deren unbemerkte Isolation von der Restwelt? Verzweifelt sucht man auch nach wirklich markanten, originellen Geistererscheinungen und besonderen Szenen, in denen der Plot kurz innehält und sich völlig auf die Intimität zwischen Geist und Jäger konzentriert. Nur wenige Verweise auf die ersten beiden Teile gelingen (der Verzicht auf die ikonische Feuerwehrbehausung ist ein großes Opfer, das aber durch eine geschickte Überleitung auf eine nicht minder charakterstarke Basis über einem China-Restaurant neue Früchte trägt), viele andere verfehlen völlig den eigentlichen Punkt (Restaurant-Szene).
Dazu ein beinahe schon unverschämt blasser Bösewicht (wie eine fahle Kopie der von Peter MacNicol im zweiten Teil verkörperten Renfield-Variation, die nur diesmal als Hauptgegner herhalten muss), eine Verschlimmbesserung des Titelsongs, Spezialeffekte von sehr wechselhafter Qualität (gut sieht beispielsweise die stoffähnliche Textur des Endgegner-Buhmanns aus, die Geister-Beule am Rücken einer alten Frau allerdings könnte aber aus einem Rechner der 90er Jahre stammen) und unmotiviert aneinandergereihte Cameos, die Rick Moranis' Verzicht zur klugen Entscheidung werden lassen.
Für eine Produktion, die in jeder Kritik an ihr einen misogynen Hintergrund zu sehen glaubt, entpuppt sich ausgerechnet der Umgang mit Gender-Themen derweil als überraschend kleingeistig. Original-Sekretärin Janine wirkte nur scheinbar einfältig, übte tatsächlich aber eher Bürokraten-Ignoranz aus und zeigte damit durchaus Persönlichkeit (zumal sie sich letztlich der Geisterjäger-Chose ja auch angemessen verhielt). Ersetzt wird sie nun mit einem Mann, der offen debil ist und zu alldem auch noch von den weiblichen Geisterjägern zum Pin-Up-Nerd reduziert wird. Annie Potts' kurzes Cameo als Empfangsdame (der einzig gelungene) zeigt sogar noch einmal im Direktvergleich auf, um wie viel fortschrittlicher die 80er in diesem Punkt anmuten, zumal man damals mit Sigourney Weaver noch eine weitere starke Frau in der Hinterhand hatte. Ein solches Äquivalent fehlt in der Neuverfilmung ebenso. Stattdessen bekommt Geisterkartoffel Slimer eine Gattin mit 50er-Frisur und Lippenstift zur Seite gestellt...
Über den Humor der Hauptbesetzung kann man natürlich herzhaft streiten und gerade der entscheidet am Ende wohl über Gefallen oder Nichtgefallen des gesamten Films. Mir erschien lediglich das unberechenbare Auftreten Kate McKinnons als Gewinn, die manchmal im Drogendelirium zu verweilen scheint, dann wieder psychotische Verhaltensweisen an den Tag legt und gelegentlich mit sexuellen Avancen gegenüber ihren Kolleginnen das Publikum verwirrt (wäre Margot Robbie in „Suicide Squad“ doch mal so unberechenbar gewesen). Kristen Wiig, Melissa McCarthy und Leslie Jones (die das Rassismus-Argument um Ernie Hudsons Originalrolle mit ihrer Bahnschalter-Rolle keinen Deut ausbügelt, sondern sogar noch auf die Spitze treibt) hingegen hängen durchweg in einer Dauerschleife zwischen Sitcom- und Standup-Comedy der infantilsten Art. Das Resultat sind einfältige Kindergartenwitze, die möglicherweise auch ein Produkt des Umstands sind, dass „Ghostbusters“ ein entscheidungsschwacher Film ist, der sich alle Möglichkeiten (u.a. über Test-Screenings) offen hielt und deswegen letztlich in einem spürbar zerfaserten Story Arc aufgeht, in dem die Darsteller ohne starke Führung schlichtweg unkontrolliert steil gehen. Kein Wunder, dass die Heimkino-Datenträger vor lauter unveröffentlichter Szenen regelrecht überquellen.
Man kann das Unorthodoxe an diesem Film natürlich trotzdem schätzen; dazu gehört auch die Spielerei mit dem Bildformat, wenn bei Geistererscheinungen und Protonenstrahlern Elemente über den Bildrand ragen (das passt zum knautschig-bunten Ton der Reihe und hat trotz des anbiedernden Pop-Up-Effekts durchaus seinen Reiz, so lange man es nicht überstrapaziert). Gleichwohl kommt man nicht umhin festzustellen, dass das sehnlichst erwartete und dadurch mit Nostalgiegefühlen vorbelastete Franchise-Update nicht nur daran scheitert, dass es im wahrsten Sinne des Wortes den Geist der Originale nicht fängt. Erst recht scheitert es nicht am Gender Switch (wenn überhaupt, an der Darstellerwahl oder an der Darstellerführung). Sondern vor allem am gewöhnungsbedürftigen Humor, vielen Einfällen, die nicht zünden und einer bigotten Haltung zu schwierigen Themen wie Rassismus und Sexismus.
Hotel Transsilvanien 2
Der extrem überdrehte Humor, den Sony bei vielen CGI-Produktionen des eigenen Hauses anschlägt, ist zweifellos nicht jedermanns Sache. Bei der Fortsetzung zum extrem cartoonesken „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ hatte man die Regler beispielsweise überspannt, denn wenn aus den Augen der Charaktere schon reiner Irrsinn spricht, der selbst einem Joker die grünen Haare weiß färben würde, wird es gruselig.
„Hotel Transsilvanien 2“ bewegt sich diesbezüglich ebenfalls auf einem schmalen Grat, schließlich hatte der erste Teil schon das Herzschlagtempo eines Karnickels mit Herzrasen - und Fortsetzungen sollen ja grundsätzlich immer alles noch toppen. Ein Vorteil dieser Reihe ist ganz klar das atmosphärische Ambiente: Der knallbunte Monster-Mash im Schloss Dracula war im ersten Teil bei weitem noch nicht kreativ ausgeschöpft und wird vermutlich selbst für den schon beschlossenen dritten Teil doch Aberhunderte Möglichkeiten für Anspielungen und Running Gags übrig lassen.
Entsprechend lebendig sind die kalten Gemäuer und ihr wuselndes Innenleben wieder gestaltet. Die Animation genügt einmal mehr allerhöchsten Ansprüchen und wimmelt vor Details und schillernden Persönlichkeiten hinter Capes, Bandagen und Pudding-Epidermis. Über den eigenwilligen Animationsstil erschließt sich der Humor; Körperhaltung und Gesichtsausdrücke folgen nicht der Niedlichkeitsstrategie diverser Disney-, Pixar- und Dreamworks-Produktionen, sondern haben ihre geistigen Ursprünge im anarchischen Selbstverständnis der Nickelodeon-Cartoons. Es ist jedenfalls keine Überraschung, dass der russische Regisseur Genndy Tartakovsky auch bei „Dexter's Laboratory“ seine Finger im Spiel hatte.
Plottechnisch gibt sich „Hotel Transsilvanien“ da schon wesentlich konservativer und folgt der klassischen Generationen-Evolution. Nachdem der erste Teil sich nämlich der Vater-Tochter-Beziehung widmete, sind es jetzt Großvater und Enkel, denen sich das Drehbuch zuwendet. Wiederum geht es dabei um Toleranz; die Grundaussage hat sich nicht geändert, allenfalls die Struktur des Storyverlaufs, der im Mittelteil jeder Nebenfigur seine fünf Minuten Ruhm gibt und damit zu perlenkettenartigen Slapstick-Nummernrevue wird, was man sich aber dank der spaßigen Figuren gerade noch leisten kann; das Finale dann bringt einen neuen Twist ins Spiel und wird noch einmal ungewöhnlich düster. Zumindest bis wieder die grassierende Animationsfilm-Krankheit um sich greift, alle Figuren fröhlich in den Abspann tanzen zu lassen.
Insgesamt hält „Hotel Transsilvanien“ Tempo und Niveau seines Vorgängers und überzeugt erneut mit Referenz-Animationen, hochoriginellen Figuren bis in die Nebenrollen hinein und jede Menge Anspielungen. Emotionen und Tiefe bleiben dabei auf der Strecke, aber würde das irgendwer bei Bugs Bunny und Daffy Duck vermissen?
Banshee – Season 2
Man entschied sich also dafür, hinter der wahnwitzigen ersten Staffel ein wenig aufzuräumen. Regelrecht zahm lässt es die zweite zum Auftakt angehen; vom Scenario-of-the-Week jedenfalls ist man deutlich abgewichen, auch wenn rückblickend doch wieder viele Dinge geschehen sind und haufenweise skurrile Nebenfiguren eingeführt wurden.
Dass ein Grande Finale mit Geballer in der Kirche, Zeitlupe und melancholischen Goodbye-Chören dann wieder nicht die kompletten Ereignisse tangieren, sondern nur einen Teil der Erzählung, ist eben doch typisch Banshee, ebenso wie die gewöhnungsbedürftigen Parallelmontagen zweier oftmals völlig unterschiedlicher Handlungsstränge. Dass neuerdings auch öfter mal intime Zwiegespräche (derer gibt es einige, nicht selten von Tränen begleitet) mit den daraus resultierenden Konsequenzen und Folgehandlungen verschnitten werden, gehört dann zu jener Sorte cooler Stilmittel, die bei übermäßiger Anwendung uncool wird.
Ansonsten ist „Banshee“ aber wieder Stil pur – tolle Bild- und Farbkompositionen, unberechenbare Wutausbrüche und Alleingänge (speziell vom Hauptdarsteller, grundsätzlich ist aber jeder verdächtig), Selbstjustiz, wohin das Auge blickt (dito), besinnungsloser Sex ohne Ende (Lili Simmons mit Auszieh-Abo), reinster Rock'n'Roll – und nicht die kurzen Teaser vergessen (nach dem Abspann sitzen bleiben).
„Small Town. Big Secrets“ klingt irgendwie immer noch nach der Mystery-Idylle von „Twin Peaks“. Nach wie vor fungieren Amish-Gemeinde, Indianerstämme und Dorfpolizei als Eckpfeiler der Serie, was die falschen Eindrücke noch weiter vorantreiben kann. Dabei ist „Banshee“ selbst in gedrosselter Ausführung immer noch völlig verrückter Action-Trash mit vielen Problemen und schnellen Lösungen.
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Weitere Sichtungen:
Extraction
Teenage Mutant Ninja Turtles – Out Of The Shadows
Bastille Day
Stefan hat von Lights Out zumindest den Kurzfilm schonmal besprochen:
http://www.liquid-love.de/forum/viewtopic.php?p=478937
In diesem Sinne:
freeman
http://www.liquid-love.de/forum/viewtopic.php?p=478937
In diesem Sinne:
freeman
Toni Erdmann
Schmerzhafte zweieinhalb Stunden lang erlaubt Maren Ade nicht, dass man sich von Hauptdarstellerin Sandra Hüller löst. Die endlose Nahdistanz lässt den beruflichen Kampf ihrer Figur Ines Conradi bei gleichzeitiger Dauerkonfrontation mit dem Vater wie einen bösen Alptraum ohne Erwachen wirken. Strukturiert ist die zwischen Aachen und Bukarest pendelnde Handlung ausschließlich über peinliche und unangenehme Situationen unter verschiedenen Rahmenbedingungen, in denen aber immer soziale Normen eine große Rolle spielen; dass ihr Vater jede ihrer Bemühungen mutwillig zerstört, die Business-Maske einer Geschäftsfrau aufrecht zu erhalten, führt zu einer permanenten Unsicherheit, die nicht mal vor dem privaten Bereich der eigenen vier Wände halt macht.
Kunstvoll verbindet die Regisseurin Kritik an kapitalistischer Denkweise und der Betrachtung von Menschen als Ressourcen mit einem vielschichtigen Entfremdungsdrama zwischen Vater und Tochter. Peter Simonischeck nimmt in der Vaterrolle mit einer Kerkeling'schen Begeisterung für Travestie allerlei Rollen an, um auf eine ungelenke, ihm eigene Art einen Zugang zur Tochter zu gewinnen. Er steht meist im Bild wie ein blauer Elefant auf dem Mond in einem surrealistischen Gemälde, wofür Ade zunehmend bildhaftere Entsprechungen findet, die mit kleinen, alltäglichen Gesten beginnen – dem Streicheln von gekräuseltem Hundefell beispielsweise, der Verkleidung als Zombie inklusive falschem Gebiss für eine Schulaufführung, dem harmlosen Gespräch über ein Furzkissen, dem Verschenken einer Käseraspel. Vermeintlich unbedeutende Szenen, deren Konsequenzen sich später zu abstrus-situativen Momenten aufblähen, die sich konsumieren lassen wie grausam schief gegangene Witze. Für seine Umgebung ergibt dieser Winfried Conradi, oder Toni Erdmann, wie er sich oft nennt, keinerlei Sinn, seine Erscheinung wird aus Höflichkeit allenfalls geduldet und mit betretenem Lächeln und einem Blick zur Seite quittiert.
Entsprechend der Entwicklung der Hauptfigur, die bedingt durch die Handlungen ihres Vaters mit der Zeit einen neuen Blick auf die Welt gewinnt, bröckelt der starren Rahmen der Geschäftsetikette langsam auf und mit ihm die formelle Disziplin des Films. Was schließlich auf der Party geschieht, kann man als Plädoyer für die Selbstentfaltung zu aufgesetzt finden, eigentlich aber inszeniert Maren Ade diese Loslösung von gesellschaftlicher Pflicht mit aller gebührenden Zurückhaltung und behält sich dabei stets den Respekt vor ihren Figuren, selbst dann noch, wenn sie voreinander völlig bloßgestellt sind. Den meisterhaft arrangierten Stein-auf-Stein-Aufbau der komplex gezeichneten Beziehung in allen Facetten, die das Gemisch aus Drama und Komödie hergibt, setzt sie hiermit nicht aufs Spiel, sondern verleiht ihm eine letzte schrille Pointe mit Knalleffekt.
Pets
New York, New York. Amerikas meistgefilmter und inzwischen wohl auch -animierter Großstadt wird mit einem Schwenk auf den von abenteuerlichen Hochhausfassaden umringten und in goldenen Herbstfarben leuchtenden Central Park ein Denkmal als Ort des harmonischen Miteinanders von Mensch und Tier gesetzt. Überall wuseln Haustiere und ihre Besitzer, die von unsichtbarer Hand (oder eben durch Leinen) zur Symbiose vereint werden. „Pets“ setzt sich nun zum Ziel, dieses Idealbild kritisch zu hinterfragen und will beleuchten, was geschieht, wenn der Besitzer für sein Tier (temporär oder dauerhaft) nicht da sein kann oder will.
In der Tat mag die Geschichte unterirdisch hausender Verstoßener bei manchem Zuschauer impulsiv ein schlechtes Gewissen auslösen und ihn gleich zum nächsten Tierheim rennen lassen (oder zumindest das eigene Tier auf der Couch endlich nochmal herzhaft knuddeln). Wirklich reflektiert oder tiefsinnig ist der Plot allerdings nicht; im Gegenteil, er lässt sich zu einer streckenweise albernen Achterbahnfahrt hinreißen, die von New Yorks Dächern über die Parks und Straßen bis in die Abflussrohre reicht.
Die treffende Beobachtungsgabe für die Verhaltensweise der geliebten Vierbeiner reicht dann auch gerade noch bis zum Ende des Trailers, wenn überhaupt; später werden tierische Eigenschaften völlig auf den Kopf gestellt oder sogar ins Reich der Legenden abgestellt. Wenn der von Natur aus scheue Hamster sich eines Stofftiers entledigt, um sich selbst in die Arme eines Jungen zu schmiegen, wird ein recht problematisches Bild von ihm gezeichnet (Stichwort Nemo-Effekt). Wenn tätowierte Schweine als Großmutter verkleidet mit einem „falschen Hasen“ im Kinderwagen durch die Straßen stolzieren, erreicht der Film sogar Cartoon-Höhen, die sich arg mit dem behavioristischen Ansatz beißen, den das Animationsstudio an anderen Stellen dazu verwendet, den Zuschauer an lieb gewonnene Eigenarten ihrer Tiere denken zu lassen.
Das befellte, gefiederte und geflügelte Arsenal besteht erwartungsgemäß (auf Grundlage von statistischen Erhebungen) aus Katzen und Hunden, weil diese eben in den Häusern und Apartments westlicher Nationen hauptsächlich vertreten sind („Cats & Dogs“ hat es vor 15 Jahren vorgemacht). Entsprechend werden hier sogar gezielt spezielle Rassen aus dem Hut gezogen. Insgesamt enttäuscht aber gerade die Charakterzeichnung: Weder Max noch sein Partner Duke zeichnen sich durch besondere Kantigkeit aus, die es für einen guten Lead benötigt. Einzig der Antagonist hat seine starken Momente als manischer Anführer einer Untergrundgruppierung, zumal er für Animationsfilmkenner ein alter Bekannter ist.
Zur Betörung des Massenpublikums hat es gereicht; hier genügt es wohl, knuddelige Tiere in ein verrücktes Abenteuer zu schicken. Wer jedoch entweder Wert legt auf einen Film, der tierisches Verhalten scharfsinnig und realistisch darstellt oder anderenfalls auf einen abgedrehten Cartoon mit bissigem Humor, wird stattdessen mit einer halbgaren Kompromisslösung abgefertigt.
Die Nackten Vampire
Die Zivilisation ist in Reichweite und doch unerreichbar. Menschen in einem Laboratorium tragen seltsame Kapuzen, die den gesamten Kopf verhüllen und somit ihre Identität; sie entnehmen einer nackten Frau, deren Kopf ebenfalls mit einer Kapuze bedeckt ist, aus ungenannten Gründen Blut. Eine Prozedur mit durchaus vertrautem Inhalt, die durch das bizarre Szenenbild jedoch ins Unkenntliche verzerrt wird. Gleiches geschieht mit der Außenansicht, in die Jean Rollin daraufhin überleitet: Eine Straße leitet einer Frau in einem Nachthemd den Weg zu einer Treppe, die sie zu einer Hochbahnunterführung bringt. Asphalt, Hauswände, Metallpfeiler und Straßenschilder. Überall Anzeichen belebter Urbanität, allein: Rollin dreht die Einstellung mitten in der Nacht und tilgt alle Zeichen von Leben aus der Szenerie, als folierte er das Stadtbild mit den Phantombildern einer verlassenen Traumwelt. Die Bodenhaftung eines gewöhnlichen Schauplatzes aus dem Alltag geht unter, angrenzend an ein vampirisches Paralleluniversum ganz ohne Fangzähne und Fledermausmäntel, das sich selbst in seiner unheimlichen Stille genügt.
Inmitten dieses irrealen Moments führt der Regisseur die Identifikationsfigur ein, einen Mann, der von den bis dato gezeigten Vorgängen ebenso wenig versteht wie der Zuschauer. Ein gotisches Schloss wird später zum Hauptschauplatz auserkoren, das im Gegensatz zur turmartigen Lokalität von „Sexual-Terror der entfesselten Vampire“ keine autarke Insel mit zirkulärer Architektur bildet, sondern durchaus einen vollmondartigen Einfluss auf die urbane Peripherie ausübt. Die Geschichte um einen Selbstmörderkult entzieht sich auf Anhieb dem Verständnis des Zuschauers (wie auch des Protagonisten) und fungiert damit als sinnbildliche Entsprechung für Rollins' kryptischen Inszenierungsstil, dem ohne ausreichende Reflektion schnell selbstzweckhafte Allüren in Sachen Ausstattung und vor allem Nacktheit vorgeworfen sind.
Im Idealfall provoziert all das einen leidenschaftlichen inneren Protest, der die relative Spannungsarmut oder Schwermut eines Rollin-Films unwirksam werden lässt. Mit Nachdruck besteht man darauf, dass die eigenen Maßstäbe für Normalität immer noch gelten, doch gerade deswegen ist man von den fremdartigen Vorgängen so fasziniert, die in Rollins zeitlos surrealem Zweitwerk ihrem eigenen Regelwerk folgend vonstatten gehen. Die puppenhafte Spielweise, mit der etwa die Castel-Zwillinge durch die vorwiegend weiß gehaltenen Gemäuer traumwandeln und dabei Fetisch-Kleidung der „Barbarella“-Strömung schautragen, brennt nachhaltiger im Gedächtnis als es jedes ikonische Zugeständnis zum Filmvampirismus könnte. Ein grinsender Mann, der am Tisch sitzt und zwei Tänzerinnen zusieht, bereitet den Weg für den lynchesken Surrealismus unserer Zeit. Gleiches gilt für den durch einen roten Vorhang symbolisierten Übergang in eine andere Bewusstseinsebene.
Es sind gerade diese lustvollen Collagen aus vermeintlich sich widersprechenden Bestandteilen, die vermutlich das gesamte Werk des Regisseurs so schwer einschätzbar machen. Obwohl sich von der Bildkomposition zum Schnitt über die Handlung bis ins träge Schauspiel hinein fast alles radikal den konventionellen Sehgewohnheiten verwehrt und obwohl sich der Film niemals zum soliden Genre-Handwerk bekennt, ja ein solches sogar vehement dementiert („Es gibt keine Vampire, es gibt nur Menschen“), strahlt „Die Nackten Vampire“ eine der Exploitation völlig zuwiderlaufende Sanftmut und Würde aus, die hauptsächlich mit seiner besonderen Ästhetik zu erklären ist.
Verräter wie wir
Eine typische Le-Carré-Verfilmung, etwas weniger spröde-erlesen vielleicht als „Dame, König, As, Spion“ und stattdessen etwas stärker auf gesetzte Dialogspannung getrimmt, nichtsdestotrotz aber zutiefst stilvoll und hauptsächlich durch seine Charaktere angetrieben. Gerade weil die Figuren oft selbst nicht genau wissen, warum sie so handeln, wie sie handeln, ergibt die Summe ihrer Taten jeweils einzigartige Persönlichkeiten. Das lässt sich natürlich vor allem an Ewan McGregors Hauptrolle ablesen, der sich als gewöhnlicher Dozent nicht ganz wider Willen in ein gefährliches Spiel verstricken lässt und trotzdem immer seinem Herzen treu bleibt, sondern auch an wilden Filmfiguren wie jener Skarsgards, der einen Mafia-Dealer weitgehend klischeefrei portraitiert oder bei Naomie Harris, deren Hautfarbe erfreulicherweise einmal nicht Gegenstand von Diskussionen sein muss. Ebenso wird Damian Lewis als harter MI6-Ermittler auch mal privat beim Kochen gezeigt.
Auf diese Weise begegnen sich die Figuren und erzeugen ein spannendes Netz an Interaktionen, mit dem das klassischerweise dem Actionthriller versprochene Sujet in einen beinah realistisch zu bezeichnenden Kontext gesetzt wird, der keine Hetzjagd konzipieren muss, um Interesse für sich zu gewinnen. Ein leichter Eindruck von Leere bleibt zurück, weil man nicht weiß, welche Lehren man aus den Ereignissen ziehen sollte, doch die Beteiligten hinterlassen mit facettenreichen Portraits durchaus nachhaltige Eindrücke und verweisen dezent auf die spezielle Signatur ihres Schöpfers, des Schriftstellers John Le Carré, ganz so wie es die Jack-Ryan-Verfilmungen in einem anderen Universum mit Tom Clancy taten.
Sherlock – Die Braut des Grauens
Der kleine Ausstecher aus dem Konzept der Serie schien ja offenbar insgesamt nur mäßig gut anzukommen. Da ich den Humor und das Episodenprinzip immer sehr mochte, das moderne London für meinen Geschmack allerdings ziemlich an der Atmosphäre nagte, kommt mir die in die Originalzeit verlegte „Braut des Grauens“ natürlich gerade recht. Zumal geschickt mit dem Hauptbogen verzahnt, überzeugt die Geschichte mit stimmungsvollen Gruselmomenten, der gewohnten Portion Holmes'schen Zynismus und einigen interessanten visuellen Spielereien. Dazu geschickte Verweise auf die Doyle-Vorlagen sowie auf die Hauptserie – hat Spaß gemacht!
Ash vs. Evil Dead – Season 2
Die über hiesige Streaming-Portale sehr flott nachgereichte zweite Staffel um Ash und seinen endlosen Kampf gegen das Böse endet ein wenig fad und definitiv so, als habe man nicht gewusst, ob es noch weitergeht – einen großen Weltuntergangs-Cliffhanger findet man diesmal jedenfalls nicht vor, sondern ein unentschlossenes und dennoch (fast) abgeschlossenes Ende, das allerdings die ganze Zeit nach Plastikblase aussieht und dessen Ausgang man nicht so recht trauen mag.
Inzwischen ist klar, dass eine dritte Staffel kommen wird. Sehr erfreulich, denn abgesehen von den letzten zehn Minuten haut die zweite Staffel nochmal einen Extralöffel Topping auf alles, was schon an der ersten so gut funktioniert hat.
Gleichwohl sind zumindest die Drehbuchschreiber von Faulheit nicht ganz freizusprechen: Nicht nur überschlagen sich die Ereignisse gerade in den letzten beiden Folgen so schnell, als wenn damit Logikfehler kaschiert werden sollen, auch gleicht der hektische Ablauf insgesamt doch sehr der Vorgängerstaffel, inklusive einer erneuten Rückkehr in die Waldhütte, damit sich die „Home Sweet Home“-Tafel an der Wand auch bezahlt macht.
Andererseits befördern die Autoren Ash mit ihrer Bequemlichkeit gewissermaßen in den endlosen Limbus von Horror, Leid, schwarzem Humor und Erlösung, der schon mit den Filmen angedeutet wurde. Campbells kettensägenhändige und boomsticktragende Schöpfung ist dazu vorbestimmt, wieder und wieder gegen endlose Heerscharen von Besessenen anzukämpfen, und der Kampf wird nur witziger, je mehr Ash zusätzlich mit natürlichen körperlichen Gebrechen zu kämpfen hat.
Von „The Walking Dead“ ist das Publikum Blut und Gekröse längst gewöhnt, stets jedoch im Rahmen eines Dramas – wo Figuren sterben, ist der Tod endgültig und man wird auf Leidempfindungen konditioniert. „Ash vs. Evil Dead“ hingegen nutzt Splatter bzw. Gore gemäß seiner Vorlage als schwarzhumorige Verrenkung mit befreiender Wirkung: Obwohl die Dämonenerscheinungen durchaus erschreckend und horrorlastig wirken können, werden sie immerzu ironisch gebrochen. Beides in hoher Dosierung wohlgemerkt: Während die dargestellte Gewalt grafisch sämtliche früher geltenden Gesetze der TV-Unterhaltung bricht, wird sie noch im gleichen Zuge ebenso konsequent der Lächerlichkeit preisgegeben.
Gerade hier setzt die zweite Staffel noch einen drauf. Pablo-Darsteller Ray Santiago muss zum Beispiel leiden wie eine Sau auf der Schlachtbank (nicht nur sein Charakter, sondern vermutlich auch er selbst direkt am Set), weicht aber nie von dem slapstickartigen Auftreten ab, das etliche Schändungen seines Körpers wieder abmildert. Dana DeLorenzo kombiniert Sexyness mit toughem Auftreten und jener Portion Selbstironie, die bei solchen Kombinationen normalerweise immer fehlt. The King himself, Mr. Bruce Campbell, setzt sogar neue Standards für die Reihe: Sein Kampf mit einer aufgeschnittenen Leiche in Episode 2 zeichnet sich durch eine dermaßen ekelerregende Choreografie aus, dass sie wohl zu ikonischen Höhenflügen ansetzen dürfte, vergleichbar mit den Instant-Classic-Momenten der Filmreihe.
Auch sonst wird ein erlesenes Gespür gezeigt für den speziellen Humor von „Evil Dead“. Ein dämonisches Auto lässt mit einfallsreichen Spezialeffekten seine Kollegin Christine wie ein in der Garage geparktes Mauerblümchen wirken, eine monströse Handpuppe Konkurrent Kermit gelb anlaufen vor Neid. Überragend auch der komplett durchgeknallte Kellerkampf gegen eine gewaltige Dämonenkreatur, die nicht nur Raimis Werk, sondern vor allem Peter Jacksons „Braindead“-Finale jeden gebührenden Respekt erweist.
So hat praktisch jede der zehn neuen Folgen diverse Highlights zu vermelden, zu denen sicherlich auch die Gastauftritte von Lee Majors und Ted Raimi gehören. Richtige Durchhänger wie kurz vor dem ausgedehnten Finale von Staffel 1 gibt es auch nicht mehr. Irrenhaus- und Zeitreiseplots, die nun an dieser Stelle platziert sind, wirken zwar immer etwas bequem, aber als Ash in verrottenden Gemäuern mit den eigenen Piepmätzen zu kommunizieren beginnt und auch hier natürlich wieder blutige Spuren hinterlässt, wird die Quintessenz der Reihe ebenso gut eingefangen wie in hässlich tapezierten Hausfluren, auf Kneipen-WCs oder im Zentrum des Bösen, der legendären Waldhütte.
Fazit? So langsam beginnt man zu glauben, dass sich das Konzept von „Ash vs Evil Dead“ noch ein paar Staffeln lang ohne Abnutzung halten könnte. Season 3 darf kommen.
,5
Weitere Sichtungen:
The Man With The Iron Fists 2
Skiptrace
Kickboxer – Die Vergeltung
The VVitch - A New-England Folktale
Central Intelligence
Schmerzhafte zweieinhalb Stunden lang erlaubt Maren Ade nicht, dass man sich von Hauptdarstellerin Sandra Hüller löst. Die endlose Nahdistanz lässt den beruflichen Kampf ihrer Figur Ines Conradi bei gleichzeitiger Dauerkonfrontation mit dem Vater wie einen bösen Alptraum ohne Erwachen wirken. Strukturiert ist die zwischen Aachen und Bukarest pendelnde Handlung ausschließlich über peinliche und unangenehme Situationen unter verschiedenen Rahmenbedingungen, in denen aber immer soziale Normen eine große Rolle spielen; dass ihr Vater jede ihrer Bemühungen mutwillig zerstört, die Business-Maske einer Geschäftsfrau aufrecht zu erhalten, führt zu einer permanenten Unsicherheit, die nicht mal vor dem privaten Bereich der eigenen vier Wände halt macht.
Kunstvoll verbindet die Regisseurin Kritik an kapitalistischer Denkweise und der Betrachtung von Menschen als Ressourcen mit einem vielschichtigen Entfremdungsdrama zwischen Vater und Tochter. Peter Simonischeck nimmt in der Vaterrolle mit einer Kerkeling'schen Begeisterung für Travestie allerlei Rollen an, um auf eine ungelenke, ihm eigene Art einen Zugang zur Tochter zu gewinnen. Er steht meist im Bild wie ein blauer Elefant auf dem Mond in einem surrealistischen Gemälde, wofür Ade zunehmend bildhaftere Entsprechungen findet, die mit kleinen, alltäglichen Gesten beginnen – dem Streicheln von gekräuseltem Hundefell beispielsweise, der Verkleidung als Zombie inklusive falschem Gebiss für eine Schulaufführung, dem harmlosen Gespräch über ein Furzkissen, dem Verschenken einer Käseraspel. Vermeintlich unbedeutende Szenen, deren Konsequenzen sich später zu abstrus-situativen Momenten aufblähen, die sich konsumieren lassen wie grausam schief gegangene Witze. Für seine Umgebung ergibt dieser Winfried Conradi, oder Toni Erdmann, wie er sich oft nennt, keinerlei Sinn, seine Erscheinung wird aus Höflichkeit allenfalls geduldet und mit betretenem Lächeln und einem Blick zur Seite quittiert.
Entsprechend der Entwicklung der Hauptfigur, die bedingt durch die Handlungen ihres Vaters mit der Zeit einen neuen Blick auf die Welt gewinnt, bröckelt der starren Rahmen der Geschäftsetikette langsam auf und mit ihm die formelle Disziplin des Films. Was schließlich auf der Party geschieht, kann man als Plädoyer für die Selbstentfaltung zu aufgesetzt finden, eigentlich aber inszeniert Maren Ade diese Loslösung von gesellschaftlicher Pflicht mit aller gebührenden Zurückhaltung und behält sich dabei stets den Respekt vor ihren Figuren, selbst dann noch, wenn sie voreinander völlig bloßgestellt sind. Den meisterhaft arrangierten Stein-auf-Stein-Aufbau der komplex gezeichneten Beziehung in allen Facetten, die das Gemisch aus Drama und Komödie hergibt, setzt sie hiermit nicht aufs Spiel, sondern verleiht ihm eine letzte schrille Pointe mit Knalleffekt.
Pets
New York, New York. Amerikas meistgefilmter und inzwischen wohl auch -animierter Großstadt wird mit einem Schwenk auf den von abenteuerlichen Hochhausfassaden umringten und in goldenen Herbstfarben leuchtenden Central Park ein Denkmal als Ort des harmonischen Miteinanders von Mensch und Tier gesetzt. Überall wuseln Haustiere und ihre Besitzer, die von unsichtbarer Hand (oder eben durch Leinen) zur Symbiose vereint werden. „Pets“ setzt sich nun zum Ziel, dieses Idealbild kritisch zu hinterfragen und will beleuchten, was geschieht, wenn der Besitzer für sein Tier (temporär oder dauerhaft) nicht da sein kann oder will.
In der Tat mag die Geschichte unterirdisch hausender Verstoßener bei manchem Zuschauer impulsiv ein schlechtes Gewissen auslösen und ihn gleich zum nächsten Tierheim rennen lassen (oder zumindest das eigene Tier auf der Couch endlich nochmal herzhaft knuddeln). Wirklich reflektiert oder tiefsinnig ist der Plot allerdings nicht; im Gegenteil, er lässt sich zu einer streckenweise albernen Achterbahnfahrt hinreißen, die von New Yorks Dächern über die Parks und Straßen bis in die Abflussrohre reicht.
Die treffende Beobachtungsgabe für die Verhaltensweise der geliebten Vierbeiner reicht dann auch gerade noch bis zum Ende des Trailers, wenn überhaupt; später werden tierische Eigenschaften völlig auf den Kopf gestellt oder sogar ins Reich der Legenden abgestellt. Wenn der von Natur aus scheue Hamster sich eines Stofftiers entledigt, um sich selbst in die Arme eines Jungen zu schmiegen, wird ein recht problematisches Bild von ihm gezeichnet (Stichwort Nemo-Effekt). Wenn tätowierte Schweine als Großmutter verkleidet mit einem „falschen Hasen“ im Kinderwagen durch die Straßen stolzieren, erreicht der Film sogar Cartoon-Höhen, die sich arg mit dem behavioristischen Ansatz beißen, den das Animationsstudio an anderen Stellen dazu verwendet, den Zuschauer an lieb gewonnene Eigenarten ihrer Tiere denken zu lassen.
Das befellte, gefiederte und geflügelte Arsenal besteht erwartungsgemäß (auf Grundlage von statistischen Erhebungen) aus Katzen und Hunden, weil diese eben in den Häusern und Apartments westlicher Nationen hauptsächlich vertreten sind („Cats & Dogs“ hat es vor 15 Jahren vorgemacht). Entsprechend werden hier sogar gezielt spezielle Rassen aus dem Hut gezogen. Insgesamt enttäuscht aber gerade die Charakterzeichnung: Weder Max noch sein Partner Duke zeichnen sich durch besondere Kantigkeit aus, die es für einen guten Lead benötigt. Einzig der Antagonist hat seine starken Momente als manischer Anführer einer Untergrundgruppierung, zumal er für Animationsfilmkenner ein alter Bekannter ist.
Zur Betörung des Massenpublikums hat es gereicht; hier genügt es wohl, knuddelige Tiere in ein verrücktes Abenteuer zu schicken. Wer jedoch entweder Wert legt auf einen Film, der tierisches Verhalten scharfsinnig und realistisch darstellt oder anderenfalls auf einen abgedrehten Cartoon mit bissigem Humor, wird stattdessen mit einer halbgaren Kompromisslösung abgefertigt.
Die Nackten Vampire
Die Zivilisation ist in Reichweite und doch unerreichbar. Menschen in einem Laboratorium tragen seltsame Kapuzen, die den gesamten Kopf verhüllen und somit ihre Identität; sie entnehmen einer nackten Frau, deren Kopf ebenfalls mit einer Kapuze bedeckt ist, aus ungenannten Gründen Blut. Eine Prozedur mit durchaus vertrautem Inhalt, die durch das bizarre Szenenbild jedoch ins Unkenntliche verzerrt wird. Gleiches geschieht mit der Außenansicht, in die Jean Rollin daraufhin überleitet: Eine Straße leitet einer Frau in einem Nachthemd den Weg zu einer Treppe, die sie zu einer Hochbahnunterführung bringt. Asphalt, Hauswände, Metallpfeiler und Straßenschilder. Überall Anzeichen belebter Urbanität, allein: Rollin dreht die Einstellung mitten in der Nacht und tilgt alle Zeichen von Leben aus der Szenerie, als folierte er das Stadtbild mit den Phantombildern einer verlassenen Traumwelt. Die Bodenhaftung eines gewöhnlichen Schauplatzes aus dem Alltag geht unter, angrenzend an ein vampirisches Paralleluniversum ganz ohne Fangzähne und Fledermausmäntel, das sich selbst in seiner unheimlichen Stille genügt.
Inmitten dieses irrealen Moments führt der Regisseur die Identifikationsfigur ein, einen Mann, der von den bis dato gezeigten Vorgängen ebenso wenig versteht wie der Zuschauer. Ein gotisches Schloss wird später zum Hauptschauplatz auserkoren, das im Gegensatz zur turmartigen Lokalität von „Sexual-Terror der entfesselten Vampire“ keine autarke Insel mit zirkulärer Architektur bildet, sondern durchaus einen vollmondartigen Einfluss auf die urbane Peripherie ausübt. Die Geschichte um einen Selbstmörderkult entzieht sich auf Anhieb dem Verständnis des Zuschauers (wie auch des Protagonisten) und fungiert damit als sinnbildliche Entsprechung für Rollins' kryptischen Inszenierungsstil, dem ohne ausreichende Reflektion schnell selbstzweckhafte Allüren in Sachen Ausstattung und vor allem Nacktheit vorgeworfen sind.
Im Idealfall provoziert all das einen leidenschaftlichen inneren Protest, der die relative Spannungsarmut oder Schwermut eines Rollin-Films unwirksam werden lässt. Mit Nachdruck besteht man darauf, dass die eigenen Maßstäbe für Normalität immer noch gelten, doch gerade deswegen ist man von den fremdartigen Vorgängen so fasziniert, die in Rollins zeitlos surrealem Zweitwerk ihrem eigenen Regelwerk folgend vonstatten gehen. Die puppenhafte Spielweise, mit der etwa die Castel-Zwillinge durch die vorwiegend weiß gehaltenen Gemäuer traumwandeln und dabei Fetisch-Kleidung der „Barbarella“-Strömung schautragen, brennt nachhaltiger im Gedächtnis als es jedes ikonische Zugeständnis zum Filmvampirismus könnte. Ein grinsender Mann, der am Tisch sitzt und zwei Tänzerinnen zusieht, bereitet den Weg für den lynchesken Surrealismus unserer Zeit. Gleiches gilt für den durch einen roten Vorhang symbolisierten Übergang in eine andere Bewusstseinsebene.
Es sind gerade diese lustvollen Collagen aus vermeintlich sich widersprechenden Bestandteilen, die vermutlich das gesamte Werk des Regisseurs so schwer einschätzbar machen. Obwohl sich von der Bildkomposition zum Schnitt über die Handlung bis ins träge Schauspiel hinein fast alles radikal den konventionellen Sehgewohnheiten verwehrt und obwohl sich der Film niemals zum soliden Genre-Handwerk bekennt, ja ein solches sogar vehement dementiert („Es gibt keine Vampire, es gibt nur Menschen“), strahlt „Die Nackten Vampire“ eine der Exploitation völlig zuwiderlaufende Sanftmut und Würde aus, die hauptsächlich mit seiner besonderen Ästhetik zu erklären ist.
Verräter wie wir
Eine typische Le-Carré-Verfilmung, etwas weniger spröde-erlesen vielleicht als „Dame, König, As, Spion“ und stattdessen etwas stärker auf gesetzte Dialogspannung getrimmt, nichtsdestotrotz aber zutiefst stilvoll und hauptsächlich durch seine Charaktere angetrieben. Gerade weil die Figuren oft selbst nicht genau wissen, warum sie so handeln, wie sie handeln, ergibt die Summe ihrer Taten jeweils einzigartige Persönlichkeiten. Das lässt sich natürlich vor allem an Ewan McGregors Hauptrolle ablesen, der sich als gewöhnlicher Dozent nicht ganz wider Willen in ein gefährliches Spiel verstricken lässt und trotzdem immer seinem Herzen treu bleibt, sondern auch an wilden Filmfiguren wie jener Skarsgards, der einen Mafia-Dealer weitgehend klischeefrei portraitiert oder bei Naomie Harris, deren Hautfarbe erfreulicherweise einmal nicht Gegenstand von Diskussionen sein muss. Ebenso wird Damian Lewis als harter MI6-Ermittler auch mal privat beim Kochen gezeigt.
Auf diese Weise begegnen sich die Figuren und erzeugen ein spannendes Netz an Interaktionen, mit dem das klassischerweise dem Actionthriller versprochene Sujet in einen beinah realistisch zu bezeichnenden Kontext gesetzt wird, der keine Hetzjagd konzipieren muss, um Interesse für sich zu gewinnen. Ein leichter Eindruck von Leere bleibt zurück, weil man nicht weiß, welche Lehren man aus den Ereignissen ziehen sollte, doch die Beteiligten hinterlassen mit facettenreichen Portraits durchaus nachhaltige Eindrücke und verweisen dezent auf die spezielle Signatur ihres Schöpfers, des Schriftstellers John Le Carré, ganz so wie es die Jack-Ryan-Verfilmungen in einem anderen Universum mit Tom Clancy taten.
Sherlock – Die Braut des Grauens
Der kleine Ausstecher aus dem Konzept der Serie schien ja offenbar insgesamt nur mäßig gut anzukommen. Da ich den Humor und das Episodenprinzip immer sehr mochte, das moderne London für meinen Geschmack allerdings ziemlich an der Atmosphäre nagte, kommt mir die in die Originalzeit verlegte „Braut des Grauens“ natürlich gerade recht. Zumal geschickt mit dem Hauptbogen verzahnt, überzeugt die Geschichte mit stimmungsvollen Gruselmomenten, der gewohnten Portion Holmes'schen Zynismus und einigen interessanten visuellen Spielereien. Dazu geschickte Verweise auf die Doyle-Vorlagen sowie auf die Hauptserie – hat Spaß gemacht!
Ash vs. Evil Dead – Season 2
Die über hiesige Streaming-Portale sehr flott nachgereichte zweite Staffel um Ash und seinen endlosen Kampf gegen das Böse endet ein wenig fad und definitiv so, als habe man nicht gewusst, ob es noch weitergeht – einen großen Weltuntergangs-Cliffhanger findet man diesmal jedenfalls nicht vor, sondern ein unentschlossenes und dennoch (fast) abgeschlossenes Ende, das allerdings die ganze Zeit nach Plastikblase aussieht und dessen Ausgang man nicht so recht trauen mag.
Inzwischen ist klar, dass eine dritte Staffel kommen wird. Sehr erfreulich, denn abgesehen von den letzten zehn Minuten haut die zweite Staffel nochmal einen Extralöffel Topping auf alles, was schon an der ersten so gut funktioniert hat.
Gleichwohl sind zumindest die Drehbuchschreiber von Faulheit nicht ganz freizusprechen: Nicht nur überschlagen sich die Ereignisse gerade in den letzten beiden Folgen so schnell, als wenn damit Logikfehler kaschiert werden sollen, auch gleicht der hektische Ablauf insgesamt doch sehr der Vorgängerstaffel, inklusive einer erneuten Rückkehr in die Waldhütte, damit sich die „Home Sweet Home“-Tafel an der Wand auch bezahlt macht.
Andererseits befördern die Autoren Ash mit ihrer Bequemlichkeit gewissermaßen in den endlosen Limbus von Horror, Leid, schwarzem Humor und Erlösung, der schon mit den Filmen angedeutet wurde. Campbells kettensägenhändige und boomsticktragende Schöpfung ist dazu vorbestimmt, wieder und wieder gegen endlose Heerscharen von Besessenen anzukämpfen, und der Kampf wird nur witziger, je mehr Ash zusätzlich mit natürlichen körperlichen Gebrechen zu kämpfen hat.
Von „The Walking Dead“ ist das Publikum Blut und Gekröse längst gewöhnt, stets jedoch im Rahmen eines Dramas – wo Figuren sterben, ist der Tod endgültig und man wird auf Leidempfindungen konditioniert. „Ash vs. Evil Dead“ hingegen nutzt Splatter bzw. Gore gemäß seiner Vorlage als schwarzhumorige Verrenkung mit befreiender Wirkung: Obwohl die Dämonenerscheinungen durchaus erschreckend und horrorlastig wirken können, werden sie immerzu ironisch gebrochen. Beides in hoher Dosierung wohlgemerkt: Während die dargestellte Gewalt grafisch sämtliche früher geltenden Gesetze der TV-Unterhaltung bricht, wird sie noch im gleichen Zuge ebenso konsequent der Lächerlichkeit preisgegeben.
Gerade hier setzt die zweite Staffel noch einen drauf. Pablo-Darsteller Ray Santiago muss zum Beispiel leiden wie eine Sau auf der Schlachtbank (nicht nur sein Charakter, sondern vermutlich auch er selbst direkt am Set), weicht aber nie von dem slapstickartigen Auftreten ab, das etliche Schändungen seines Körpers wieder abmildert. Dana DeLorenzo kombiniert Sexyness mit toughem Auftreten und jener Portion Selbstironie, die bei solchen Kombinationen normalerweise immer fehlt. The King himself, Mr. Bruce Campbell, setzt sogar neue Standards für die Reihe: Sein Kampf mit einer aufgeschnittenen Leiche in Episode 2 zeichnet sich durch eine dermaßen ekelerregende Choreografie aus, dass sie wohl zu ikonischen Höhenflügen ansetzen dürfte, vergleichbar mit den Instant-Classic-Momenten der Filmreihe.
Auch sonst wird ein erlesenes Gespür gezeigt für den speziellen Humor von „Evil Dead“. Ein dämonisches Auto lässt mit einfallsreichen Spezialeffekten seine Kollegin Christine wie ein in der Garage geparktes Mauerblümchen wirken, eine monströse Handpuppe Konkurrent Kermit gelb anlaufen vor Neid. Überragend auch der komplett durchgeknallte Kellerkampf gegen eine gewaltige Dämonenkreatur, die nicht nur Raimis Werk, sondern vor allem Peter Jacksons „Braindead“-Finale jeden gebührenden Respekt erweist.
So hat praktisch jede der zehn neuen Folgen diverse Highlights zu vermelden, zu denen sicherlich auch die Gastauftritte von Lee Majors und Ted Raimi gehören. Richtige Durchhänger wie kurz vor dem ausgedehnten Finale von Staffel 1 gibt es auch nicht mehr. Irrenhaus- und Zeitreiseplots, die nun an dieser Stelle platziert sind, wirken zwar immer etwas bequem, aber als Ash in verrottenden Gemäuern mit den eigenen Piepmätzen zu kommunizieren beginnt und auch hier natürlich wieder blutige Spuren hinterlässt, wird die Quintessenz der Reihe ebenso gut eingefangen wie in hässlich tapezierten Hausfluren, auf Kneipen-WCs oder im Zentrum des Bösen, der legendären Waldhütte.
Fazit? So langsam beginnt man zu glauben, dass sich das Konzept von „Ash vs Evil Dead“ noch ein paar Staffeln lang ohne Abnutzung halten könnte. Season 3 darf kommen.
,5
Weitere Sichtungen:
The Man With The Iron Fists 2
Skiptrace
Kickboxer – Die Vergeltung
The VVitch - A New-England Folktale
Central Intelligence
Chopping Mall
Beachtenswert: Dieser strikt nach Dezimationsprinzip vorgehende kleine B-Heuler entstand noch ein Jahr vor „RoboCop“. Mit seinen patrouillierenden Robotern auf Kettenantrieb, einer Mall als Schauplatz und vor allem der Tagline „Have A Nice Day“, die sich angesichts der Ereignisse zunehmend mit Ironie auflädt, hätte man glatt auf einen direkten Einfluss durch den Verhoeven-Kracher gewettet (es wird doch wohl hoffentlich nicht andersherum gewesen sein?).
Grundsätzlich ist „Chopping Mall“ begonnen beim albernen Titelwortspiel bis zur plastikartigen Optik der rollenden Maschinen ein typischer Wynorski und als solcher nichts weiter als ein stumpfer Genrebeitrag von vielen, der sich weder zum Zeitpunkt seiner Entstehung qualitativ besonders hervortat noch später sonderlich dazugewonnen hätte; es sind schließlich immer noch ein Haufen Dumpfbacken, die sich in einem Einkaufszentrum einschließen lassen und ausnahmsweise mal nicht von einem Serienkiller gejagt werden, sondern von einem Satz Schrauben.
Die Reihenfolge des Ablebens ergibt sich zuverlässig aus dem IQ; insofern auch hier keine Überraschungen. Spezialeffekte finden in Form eingezeichneter Laser (eine Spezialität der 80er) und der ein oder anderen blutigeren Sequenz statt, wobei ein Kopf-ab-Moment fast schon wie ein einsames Highlight dasteht.
Sehenswert wird derartige Stangenware eigentlich nur durch das originelle Setting und kleine Gimmicks (ein Poster zu Wynorskis Debüt „The Lost Empire“ an der Wand, „Attack of The Crab Monsters“ läuft im TV), weniger durch die sich unbeholfen um die eigene Achse drehende Spielzeugartillerie. Denn wo das Herumgelümmel in den Shops des verlassenen Gebäudekomplexes durchaus ein Gefühl der Gemütlichkeit erzeugt (wenn schon keines der Beklemmung), mag man die Metallzwerge trotz ihrer leuchtenden roten Visiere nicht so recht ernst nehmen. Dadurch leidet die Spannung unter einem höheren Bodycount als der Satz Figuren, der sich ein herzhaftes „Hasta La Vista“ wahrhaftig doppelt und dreifach verdient hätte. Schade, dass man die Kegel immer nur einmal abräumen kann und dass am Ende einer stehen bleibt...
Tourist Trap
Einen Ausnahmestatus behält sich David Schmoellers rasch abgefilmter Horrorthriller nicht unbedingt wegen des Handlungsortes bei, auch wenn die Mischung aus Museums- und Hotelanlage am Rand einer verlassenen Autobahnzufahrt ihre atmosphärischen Vorzüge bereithält. Schon gar nicht hat er mit der Gruppe Twen-Ager zu tun, die nach Genre-Vorschrift mit ihren Cabrios Autopannen haben, in merkwürdigen Tümpeln baden gehen und von unsichtbarer Hand jenseits der Zivilisation geleitet werden. All das bedient lediglich Klischees und bereitet zunächst einmal zweckmäßig die Ausgangslage.
Es die Art, wie tote Gegenstände zum Leben erweckt werden, mit der „Tourist Trap“ dafür sorgt, nicht in Vergessenheit zu geraten. Das meist mit Requisiten überladene Szenenbild erzeugt eine grundsätzliche Desorientierung, Schnitt und Sounddesign sorgen dann für den Rest: Wie nur wenige Puppenhorrorfilme spielt dieser mit der Wahrnehmung von Bildausschnitten und setzt das Uncanny-Valley-Prinzip ganz bewusst ein. Puppen in starren Einzelbewegungen, die durch eine stroboskopartige Montage einzelner Einstellungen in eine Art Imitation des Lebendigen geführt werden. In dieser Hinsicht ist Schmoellers Arbeit handwerklich zwar durchschaubar, nichtsdestotrotz aber ungemein effektiv. Verstärkt durch ein ausgesprochen unheimliches Puppenthema, das aus seufzendem, weiblichen Singsang zu bestehen scheint, erzeugt der Blick auf die völlig mit Mannequins verstellten Räumlichkeiten ein Gefühl permanenter Beobachtung, zumal kaum eine Puppe der anderen gleicht. Wo die eine nur die Augen gleiten lässt, scheint sich die nächste fortzubewegen; einige werfen mit Gegenständen, andere lassen den Kiefer bedrohlich nach unten klappen. Wieder andere werfen sich mit Ragdoll-Effekt auf den Zuschauer, als wären sie gestoßen worden, und doch liegt in ihrer Bewegung etwas zutiefst Absichtliches.
Das so zur perfiden Trickfalle umfunktionierte Gebäude lässt dann auch Hauptdarsteller Chuck Connors eher blass aussehen, der als zwielichtiger Museumsbesitzer natürlich von Beginn an ein Norman-Bates-Kandidat ist und sich der eher zweckmäßigen Ausgangskonstellation anpasst. Egal, denn es ist nicht das Einzeltäter-Feeling des gemeinen Slasher-Films, das „Tourist Trap“ herausstechen lässt, sondern die tausend kalten Augen aus dem Schatten, die in jedem Raum lauern.
Don't Breathe
Wie lange kannst du die Luft anhalten? Die Beantwortung dieser Frage genießt bei „Don't Breathe“ höhere Relevanz als die übliche Erkundigung danach, wie viel Blut man ertragen kann oder wie abgehärtet man gegenüber Jump Scares ist. Schon das lässt ihn in den Medien zum Ausreißer werden, insbesondere da er ausgerechnet von Fede Alvarez kommt, der sein grimmiges „Evil Dead“-Remake noch mit reichlich Blut garniert hatte, auf das er diesmal wohlweislich verzichtet.
Doch auch das angespannte Innehalten ist nur ein archaischer Reflex des Horrorfilms. Die Innovationslorbeeren sind daher vielleicht nicht ganz nachzuvollziehen, den frischen Wind gesteht man dem ungewöhnlich arrangierten Psychoduell zwischen einem blinden Veteranen und einem Einbrecher-Trio aber gerne zu, gerade in einem insgesamt schwachen Horror-Jahr wie 2016. Wenn man jedoch Spaß daran hat, Momentaufnahmen zu sezieren, ist man an der richtigen Stelle. „Don't Breathe“ wird bestimmt von Szenen, in denen Zentimeter und Dezibel zwischen Leben und Tod entscheiden. Wie bewegungslose Schachfiguren verharren die Akteure in gefrorener Pose und erwägen nächste Schritte; Alvarez kostet das Situative aus und nutzt den beengten Raum des einfach konzipierten und doch verschlungen wirkenden Hauses bis auf den letzten Winkel aus. Zusätzlich gelingt ihm auf Grundlage einer sehr geringen Anzahl von Darstellern ein kunstfertig arrangierter Spannungsbogen, dessen Wendungen stets zum richtigen Zeitpunkt als Joker gezogen werden.
Derart eng geführte Kurven führen zwangsläufig zu logischen Kompromissen; schon die mitunter recht lautstarken Auseinandersetzungen mögen je nach Geschmack mit der verlassenen Nachbarschaft nur unzureichend erklärt sein, doch dass ein argwöhnischer Blinder mit militärischer Ausbildung in seinem eigenen Haus so manches Geflüster direkt aus dem Nebenraum nicht zu vernehmen scheint, obwohl er sich bereits im Alarmzustand befindet, ist nur schwer zu erklären. Andererseits feuert Alvarez mit reichlich Gegendarstellungen, die das Gesamtbild wieder in eine glaubwürdige Richtung lenken; etwa wenn die intuitiven Bewegungen Stephen Langs andeuten, dass er jede Unebenheit seiner Behausung ganz genau kennt.
Trotz all dieser Vorzüge, trotz der wahrhaft beängstigenden Darstellung Langs und obwohl man sich bei den Einbrechern sogar um Hintergründe bemüht und ihre Motivation somit begründet, echte Hochspannung möchte nicht aufkommen. Möglicherweise liegt das daran, dass der Kniff des Seitenwechsels nicht so funktioniert wie er sollte. Das Drehbuch zerrt die Einbrecher mit Gewalt in den Empathiebereich des Mitgefühls und den Hausbesitzer daraus weg; am Ende ist einem keiner der Anwesenden so richtig geheuer und es wird nahezu egal, wer die Oberhand behält. Ab hier funktioniert der Film nur noch mechanisch über seine Regler und nicht mehr über die emotionale Komponente. Vergebenes Potenzial, bedenkt man den erfrischend unangepassten Charakter des Films ohne jedwedes Sequel-Flair. Auch wenn ein solches aufgrund des Ausgangs sowie vor allem des Box-Office-Erfolgs nun im Bereich des Möglichen liegt.
Sherlock Holmes – Die Perle der Borgia
Nach einem erfrischenden Auftakt unter 20th Century Fox, einer schwierigen Neuorientierung nach der Übernahme durch Universal und dem Aufstieg zur Hochphase mit „Das Spinnennest“ und „Die Kralle“ reguliert sich die Sherlock-Holmes-Reihe mit ihrem neunten Beitrag auf ein solides Unterhaltungsmaß und setzt auf die Vertrautheit mit Nigel Bruce und Basil Rathbone, deren Eigenarten sich dem Publikum längst eingebrannt haben.
Dass der stets wunderbar überheblich agierende Rathbone seinen Holmes einmal über die eigene Arroganz stolpern lassen würde, war fast abzusehen. Da möchte der Meisterdetektiv in all seiner Souveränität die moderne Technik bloßstellen und prompt nutzt ein Dieb die Gunst der Stunde, um eine kostbare Perle zu stehlen. Obwohl Holmes öfter mal in (meist vorgetäuschten) Momenten der Hilflosigkeit verweilte, glich er nie mehr einem begossenen Pudel; und so sehr man Rathbone auch mag, man freut sich doch diebisch über Hohn und Spott, der ihm am Szenenende zuteil wird.
Die Perle fungiert erwartungsgemäß als einfacher McGuffin für einen klassischen Heist-Plot, der zum routinierten Charakter des Films beiträgt. Andererseits wirken einige der erzählerischen Mittel durchaus fortschrittlich; so lässt die Rekonstruktion einer Schlüsselszene in ihrem sezierenden, Raum und Zeit aus dem Kontinuum hebenden Ablauf ganz besonders an Guy Ritchies Neuinterpretation denken.
Doch der Rest ist tatsächlich vor allem guter Krimi-Standard: Ein begehrtes Objekt, eine Reihe von Morden und ein paar Spitzfindigkeiten später ist man bereits beim Finale angelangt und kommt zu der Erkenntnis, dass „Die Perle der Borgia“ nicht mehr zu den allerbesten Einträgen in die Reihe gehört, gleichwohl er von den Erfahrungswerten der Vorgängerfilme profitiert und daraus einen hohen Unterhaltungswert gewinnt.
Sherlock Holmes: Das Haus des Grauens
Die erneute Rückkehr in das klassische Ambiente eines schaurigen Herrenhauses, verknüpft mit der bewährten Dezimationslogik nach Agatha Christie, hat inzwischen etwas Befremdliches an sich. Konnte man den Bezug auf die Baskerville'schen Ursprünge der Serie bei „Gespenster im Schloss“ noch verstehen, wenn nicht sogar begrüßen, gleicht das ständige Hin und Her zwischen Modernisierungs- und Traditionalisierungsversuchen nach inzwischen zehn Filmen einer Farce. Denn wie könnte „Das Haus des Schreckens“ noch mehr sein als eine blasse Variante des sechsten Films, die ganze Einstellungen aus Archiven abzupausen scheint?
Wo immer eine Gruppe „alter Freunde“ sich zu besonderen Anlässen trifft und von einer äußeren Bedrohung heimgesucht wird, hängen Genrefreunde natürlich trotzdem am Haken. Die per Eilbrief zugestellten Apfelsinenkerne bringen herzhafte Symbolik ins Spiel, während argwöhnische Augenpaare sich quer über den langen Banketttisch gegenseitig bemustern. Nicht nur aufgrund der altmodischen Dekors gelten wieder die Gesetze eines spürbar älteren Zeitfensters: Während in der Vorgängerepisode noch mit elektronisch gesteuerten Alarmsystemen gefuhrwerkt wurde, wird die viktorianische Kulisse diesmal nur durch wenige Anachronismen aus dem Gleichgewicht gebracht, was den Suspense unter Berücksichtigung der begrenzten technischen Einschüchterungsmittel durchaus verstärkt. Das macht schon Freude, auch wenn man sich die Erfüllung der ominösen Prophezeiungen etwas spannungsreicher vorgestellt hätte, denn meist verenden sie geräuschlos im Off.
Basil Rathbone und Nigel Bruce müssen dieser Konstellation nichts weiter hinzufügen als ihre Detektivsroutine; im Grunde würde die Geschichte auch ohne ihr Zutun zum Ziel gelangen. Gleichwohl kann zumindest Bruce eine bemerkenswerte Szene vorweisen, in der er bei wütendem Sturm allein in der Empfangshalle die Nerven verliert und alles auf einen Haufen schießt, was auch nur die Andeutung eines Geräuschs verursacht.
Je tiefer die Ermittlungen reichen, desto deutlicher wird allerdings, dass der Plot in recht einfachen Mustern gestrickt ist. Durchschnittlich eineinhalb Filme pro Jahr zehren eben irgendwann an der Kreativität und überlassen der Routine die Führung. Ein schleichender Prozess, der in dieser Reihe inzwischen eingesetzt hat.
Ben Hur
Am Ende zerschellt dieser Reanimationsversuch eines längst verendeten Genres aus der goldenen Zeit Hollywoods an seinem offensichtlichen Modernisierungsdrang. Körperlose Popmusik ist trotz vorangehender Nutzung traditioneller Instrumente in Marco beltramis Score der letzte akustische Reiz vor dem Abspann und steht stellvertretend für die die bekömmliche, glatte Aufbereitung der Geschichte Judah Ben Hurs, die schlussendlich nur das finale Wagenrennen im Sinn hat. Mit ihm beginnt der Film und mit ihm endet er; alles dazwischen bahnt sich nur den Weg dahin und setzt auf leichte Konflikte und Spezialeffekte, die der treibenden Handlung stoßweise ihre Richtung geben.
Der zentrale Bruderkonflikt vermag kaum zu berühren, was insofern doch überraschend kommt, als dass zumindest die Hauptrolle mit Jack Huston („Boardwalk Empire“) angenehm atypisch besetzt ist und auch Toby Kebbell als verräterischer Römer zwar optisch jedem Klischee entspricht, sich aber nicht immer zwangsläufig dementsprechend verhält.
Abgetötet wird das Emotionale aber schon in der klinischen Inszenierung. Krawallregisseur Timur Bekmambetow gewährt durchaus schöne Momente des Innehaltens (und vertieft damit unerwartet auch die Beziehung Ben Hurs zu seinen Pferden, von deren Leistung im finalen Wagenrennen immerhin sein Schicksal abhängt), durchzieht die zwei Stunden aber auch mit unnahbarem Spektakel, das einerseits dynamisch gefilmt ist, andererseits durch den Schnitt und den nicht immer ganz sauberen Einsatz von CGI seine Fühlbarkeit mindert. Die Furcht, sich auf die ungefilterte Darstellung dieser als tot geltenden Epoche einzulassen und damit eine altbackene Wahrnehmung zu riskieren, beherrscht zwar nicht nur „Ben Hur“; er aber ist es, der mit großen Mitteln versucht, die Faszination für den Sandalenfilm zu rekonstruieren.
Das Wagenrennen hält schließlich mit furiosen Kameraperspektiven vor, unter, über, hinter und neben den rollenden Kabinen alle im Trailer gegebenen Versprechen, ohne natürlich die spektakuläre Wirkung des Originals zu erreichen. Denn ganz egal, mit wie viel Aufwand die Runden im Sand gedreht werden: Das Rennen gewinnt man schon vor seinem Start.
Weitere Sichtungen:
Free State Of Jones
Das Jerico Projekt
Ice Age – Kollision voraus
Beachtenswert: Dieser strikt nach Dezimationsprinzip vorgehende kleine B-Heuler entstand noch ein Jahr vor „RoboCop“. Mit seinen patrouillierenden Robotern auf Kettenantrieb, einer Mall als Schauplatz und vor allem der Tagline „Have A Nice Day“, die sich angesichts der Ereignisse zunehmend mit Ironie auflädt, hätte man glatt auf einen direkten Einfluss durch den Verhoeven-Kracher gewettet (es wird doch wohl hoffentlich nicht andersherum gewesen sein?).
Grundsätzlich ist „Chopping Mall“ begonnen beim albernen Titelwortspiel bis zur plastikartigen Optik der rollenden Maschinen ein typischer Wynorski und als solcher nichts weiter als ein stumpfer Genrebeitrag von vielen, der sich weder zum Zeitpunkt seiner Entstehung qualitativ besonders hervortat noch später sonderlich dazugewonnen hätte; es sind schließlich immer noch ein Haufen Dumpfbacken, die sich in einem Einkaufszentrum einschließen lassen und ausnahmsweise mal nicht von einem Serienkiller gejagt werden, sondern von einem Satz Schrauben.
Die Reihenfolge des Ablebens ergibt sich zuverlässig aus dem IQ; insofern auch hier keine Überraschungen. Spezialeffekte finden in Form eingezeichneter Laser (eine Spezialität der 80er) und der ein oder anderen blutigeren Sequenz statt, wobei ein Kopf-ab-Moment fast schon wie ein einsames Highlight dasteht.
Sehenswert wird derartige Stangenware eigentlich nur durch das originelle Setting und kleine Gimmicks (ein Poster zu Wynorskis Debüt „The Lost Empire“ an der Wand, „Attack of The Crab Monsters“ läuft im TV), weniger durch die sich unbeholfen um die eigene Achse drehende Spielzeugartillerie. Denn wo das Herumgelümmel in den Shops des verlassenen Gebäudekomplexes durchaus ein Gefühl der Gemütlichkeit erzeugt (wenn schon keines der Beklemmung), mag man die Metallzwerge trotz ihrer leuchtenden roten Visiere nicht so recht ernst nehmen. Dadurch leidet die Spannung unter einem höheren Bodycount als der Satz Figuren, der sich ein herzhaftes „Hasta La Vista“ wahrhaftig doppelt und dreifach verdient hätte. Schade, dass man die Kegel immer nur einmal abräumen kann und dass am Ende einer stehen bleibt...
Tourist Trap
Einen Ausnahmestatus behält sich David Schmoellers rasch abgefilmter Horrorthriller nicht unbedingt wegen des Handlungsortes bei, auch wenn die Mischung aus Museums- und Hotelanlage am Rand einer verlassenen Autobahnzufahrt ihre atmosphärischen Vorzüge bereithält. Schon gar nicht hat er mit der Gruppe Twen-Ager zu tun, die nach Genre-Vorschrift mit ihren Cabrios Autopannen haben, in merkwürdigen Tümpeln baden gehen und von unsichtbarer Hand jenseits der Zivilisation geleitet werden. All das bedient lediglich Klischees und bereitet zunächst einmal zweckmäßig die Ausgangslage.
Es die Art, wie tote Gegenstände zum Leben erweckt werden, mit der „Tourist Trap“ dafür sorgt, nicht in Vergessenheit zu geraten. Das meist mit Requisiten überladene Szenenbild erzeugt eine grundsätzliche Desorientierung, Schnitt und Sounddesign sorgen dann für den Rest: Wie nur wenige Puppenhorrorfilme spielt dieser mit der Wahrnehmung von Bildausschnitten und setzt das Uncanny-Valley-Prinzip ganz bewusst ein. Puppen in starren Einzelbewegungen, die durch eine stroboskopartige Montage einzelner Einstellungen in eine Art Imitation des Lebendigen geführt werden. In dieser Hinsicht ist Schmoellers Arbeit handwerklich zwar durchschaubar, nichtsdestotrotz aber ungemein effektiv. Verstärkt durch ein ausgesprochen unheimliches Puppenthema, das aus seufzendem, weiblichen Singsang zu bestehen scheint, erzeugt der Blick auf die völlig mit Mannequins verstellten Räumlichkeiten ein Gefühl permanenter Beobachtung, zumal kaum eine Puppe der anderen gleicht. Wo die eine nur die Augen gleiten lässt, scheint sich die nächste fortzubewegen; einige werfen mit Gegenständen, andere lassen den Kiefer bedrohlich nach unten klappen. Wieder andere werfen sich mit Ragdoll-Effekt auf den Zuschauer, als wären sie gestoßen worden, und doch liegt in ihrer Bewegung etwas zutiefst Absichtliches.
Das so zur perfiden Trickfalle umfunktionierte Gebäude lässt dann auch Hauptdarsteller Chuck Connors eher blass aussehen, der als zwielichtiger Museumsbesitzer natürlich von Beginn an ein Norman-Bates-Kandidat ist und sich der eher zweckmäßigen Ausgangskonstellation anpasst. Egal, denn es ist nicht das Einzeltäter-Feeling des gemeinen Slasher-Films, das „Tourist Trap“ herausstechen lässt, sondern die tausend kalten Augen aus dem Schatten, die in jedem Raum lauern.
Don't Breathe
Wie lange kannst du die Luft anhalten? Die Beantwortung dieser Frage genießt bei „Don't Breathe“ höhere Relevanz als die übliche Erkundigung danach, wie viel Blut man ertragen kann oder wie abgehärtet man gegenüber Jump Scares ist. Schon das lässt ihn in den Medien zum Ausreißer werden, insbesondere da er ausgerechnet von Fede Alvarez kommt, der sein grimmiges „Evil Dead“-Remake noch mit reichlich Blut garniert hatte, auf das er diesmal wohlweislich verzichtet.
Doch auch das angespannte Innehalten ist nur ein archaischer Reflex des Horrorfilms. Die Innovationslorbeeren sind daher vielleicht nicht ganz nachzuvollziehen, den frischen Wind gesteht man dem ungewöhnlich arrangierten Psychoduell zwischen einem blinden Veteranen und einem Einbrecher-Trio aber gerne zu, gerade in einem insgesamt schwachen Horror-Jahr wie 2016. Wenn man jedoch Spaß daran hat, Momentaufnahmen zu sezieren, ist man an der richtigen Stelle. „Don't Breathe“ wird bestimmt von Szenen, in denen Zentimeter und Dezibel zwischen Leben und Tod entscheiden. Wie bewegungslose Schachfiguren verharren die Akteure in gefrorener Pose und erwägen nächste Schritte; Alvarez kostet das Situative aus und nutzt den beengten Raum des einfach konzipierten und doch verschlungen wirkenden Hauses bis auf den letzten Winkel aus. Zusätzlich gelingt ihm auf Grundlage einer sehr geringen Anzahl von Darstellern ein kunstfertig arrangierter Spannungsbogen, dessen Wendungen stets zum richtigen Zeitpunkt als Joker gezogen werden.
Derart eng geführte Kurven führen zwangsläufig zu logischen Kompromissen; schon die mitunter recht lautstarken Auseinandersetzungen mögen je nach Geschmack mit der verlassenen Nachbarschaft nur unzureichend erklärt sein, doch dass ein argwöhnischer Blinder mit militärischer Ausbildung in seinem eigenen Haus so manches Geflüster direkt aus dem Nebenraum nicht zu vernehmen scheint, obwohl er sich bereits im Alarmzustand befindet, ist nur schwer zu erklären. Andererseits feuert Alvarez mit reichlich Gegendarstellungen, die das Gesamtbild wieder in eine glaubwürdige Richtung lenken; etwa wenn die intuitiven Bewegungen Stephen Langs andeuten, dass er jede Unebenheit seiner Behausung ganz genau kennt.
Trotz all dieser Vorzüge, trotz der wahrhaft beängstigenden Darstellung Langs und obwohl man sich bei den Einbrechern sogar um Hintergründe bemüht und ihre Motivation somit begründet, echte Hochspannung möchte nicht aufkommen. Möglicherweise liegt das daran, dass der Kniff des Seitenwechsels nicht so funktioniert wie er sollte. Das Drehbuch zerrt die Einbrecher mit Gewalt in den Empathiebereich des Mitgefühls und den Hausbesitzer daraus weg; am Ende ist einem keiner der Anwesenden so richtig geheuer und es wird nahezu egal, wer die Oberhand behält. Ab hier funktioniert der Film nur noch mechanisch über seine Regler und nicht mehr über die emotionale Komponente. Vergebenes Potenzial, bedenkt man den erfrischend unangepassten Charakter des Films ohne jedwedes Sequel-Flair. Auch wenn ein solches aufgrund des Ausgangs sowie vor allem des Box-Office-Erfolgs nun im Bereich des Möglichen liegt.
Sherlock Holmes – Die Perle der Borgia
Nach einem erfrischenden Auftakt unter 20th Century Fox, einer schwierigen Neuorientierung nach der Übernahme durch Universal und dem Aufstieg zur Hochphase mit „Das Spinnennest“ und „Die Kralle“ reguliert sich die Sherlock-Holmes-Reihe mit ihrem neunten Beitrag auf ein solides Unterhaltungsmaß und setzt auf die Vertrautheit mit Nigel Bruce und Basil Rathbone, deren Eigenarten sich dem Publikum längst eingebrannt haben.
Dass der stets wunderbar überheblich agierende Rathbone seinen Holmes einmal über die eigene Arroganz stolpern lassen würde, war fast abzusehen. Da möchte der Meisterdetektiv in all seiner Souveränität die moderne Technik bloßstellen und prompt nutzt ein Dieb die Gunst der Stunde, um eine kostbare Perle zu stehlen. Obwohl Holmes öfter mal in (meist vorgetäuschten) Momenten der Hilflosigkeit verweilte, glich er nie mehr einem begossenen Pudel; und so sehr man Rathbone auch mag, man freut sich doch diebisch über Hohn und Spott, der ihm am Szenenende zuteil wird.
Die Perle fungiert erwartungsgemäß als einfacher McGuffin für einen klassischen Heist-Plot, der zum routinierten Charakter des Films beiträgt. Andererseits wirken einige der erzählerischen Mittel durchaus fortschrittlich; so lässt die Rekonstruktion einer Schlüsselszene in ihrem sezierenden, Raum und Zeit aus dem Kontinuum hebenden Ablauf ganz besonders an Guy Ritchies Neuinterpretation denken.
Doch der Rest ist tatsächlich vor allem guter Krimi-Standard: Ein begehrtes Objekt, eine Reihe von Morden und ein paar Spitzfindigkeiten später ist man bereits beim Finale angelangt und kommt zu der Erkenntnis, dass „Die Perle der Borgia“ nicht mehr zu den allerbesten Einträgen in die Reihe gehört, gleichwohl er von den Erfahrungswerten der Vorgängerfilme profitiert und daraus einen hohen Unterhaltungswert gewinnt.
Sherlock Holmes: Das Haus des Grauens
Die erneute Rückkehr in das klassische Ambiente eines schaurigen Herrenhauses, verknüpft mit der bewährten Dezimationslogik nach Agatha Christie, hat inzwischen etwas Befremdliches an sich. Konnte man den Bezug auf die Baskerville'schen Ursprünge der Serie bei „Gespenster im Schloss“ noch verstehen, wenn nicht sogar begrüßen, gleicht das ständige Hin und Her zwischen Modernisierungs- und Traditionalisierungsversuchen nach inzwischen zehn Filmen einer Farce. Denn wie könnte „Das Haus des Schreckens“ noch mehr sein als eine blasse Variante des sechsten Films, die ganze Einstellungen aus Archiven abzupausen scheint?
Wo immer eine Gruppe „alter Freunde“ sich zu besonderen Anlässen trifft und von einer äußeren Bedrohung heimgesucht wird, hängen Genrefreunde natürlich trotzdem am Haken. Die per Eilbrief zugestellten Apfelsinenkerne bringen herzhafte Symbolik ins Spiel, während argwöhnische Augenpaare sich quer über den langen Banketttisch gegenseitig bemustern. Nicht nur aufgrund der altmodischen Dekors gelten wieder die Gesetze eines spürbar älteren Zeitfensters: Während in der Vorgängerepisode noch mit elektronisch gesteuerten Alarmsystemen gefuhrwerkt wurde, wird die viktorianische Kulisse diesmal nur durch wenige Anachronismen aus dem Gleichgewicht gebracht, was den Suspense unter Berücksichtigung der begrenzten technischen Einschüchterungsmittel durchaus verstärkt. Das macht schon Freude, auch wenn man sich die Erfüllung der ominösen Prophezeiungen etwas spannungsreicher vorgestellt hätte, denn meist verenden sie geräuschlos im Off.
Basil Rathbone und Nigel Bruce müssen dieser Konstellation nichts weiter hinzufügen als ihre Detektivsroutine; im Grunde würde die Geschichte auch ohne ihr Zutun zum Ziel gelangen. Gleichwohl kann zumindest Bruce eine bemerkenswerte Szene vorweisen, in der er bei wütendem Sturm allein in der Empfangshalle die Nerven verliert und alles auf einen Haufen schießt, was auch nur die Andeutung eines Geräuschs verursacht.
Je tiefer die Ermittlungen reichen, desto deutlicher wird allerdings, dass der Plot in recht einfachen Mustern gestrickt ist. Durchschnittlich eineinhalb Filme pro Jahr zehren eben irgendwann an der Kreativität und überlassen der Routine die Führung. Ein schleichender Prozess, der in dieser Reihe inzwischen eingesetzt hat.
Ben Hur
Am Ende zerschellt dieser Reanimationsversuch eines längst verendeten Genres aus der goldenen Zeit Hollywoods an seinem offensichtlichen Modernisierungsdrang. Körperlose Popmusik ist trotz vorangehender Nutzung traditioneller Instrumente in Marco beltramis Score der letzte akustische Reiz vor dem Abspann und steht stellvertretend für die die bekömmliche, glatte Aufbereitung der Geschichte Judah Ben Hurs, die schlussendlich nur das finale Wagenrennen im Sinn hat. Mit ihm beginnt der Film und mit ihm endet er; alles dazwischen bahnt sich nur den Weg dahin und setzt auf leichte Konflikte und Spezialeffekte, die der treibenden Handlung stoßweise ihre Richtung geben.
Der zentrale Bruderkonflikt vermag kaum zu berühren, was insofern doch überraschend kommt, als dass zumindest die Hauptrolle mit Jack Huston („Boardwalk Empire“) angenehm atypisch besetzt ist und auch Toby Kebbell als verräterischer Römer zwar optisch jedem Klischee entspricht, sich aber nicht immer zwangsläufig dementsprechend verhält.
Abgetötet wird das Emotionale aber schon in der klinischen Inszenierung. Krawallregisseur Timur Bekmambetow gewährt durchaus schöne Momente des Innehaltens (und vertieft damit unerwartet auch die Beziehung Ben Hurs zu seinen Pferden, von deren Leistung im finalen Wagenrennen immerhin sein Schicksal abhängt), durchzieht die zwei Stunden aber auch mit unnahbarem Spektakel, das einerseits dynamisch gefilmt ist, andererseits durch den Schnitt und den nicht immer ganz sauberen Einsatz von CGI seine Fühlbarkeit mindert. Die Furcht, sich auf die ungefilterte Darstellung dieser als tot geltenden Epoche einzulassen und damit eine altbackene Wahrnehmung zu riskieren, beherrscht zwar nicht nur „Ben Hur“; er aber ist es, der mit großen Mitteln versucht, die Faszination für den Sandalenfilm zu rekonstruieren.
Das Wagenrennen hält schließlich mit furiosen Kameraperspektiven vor, unter, über, hinter und neben den rollenden Kabinen alle im Trailer gegebenen Versprechen, ohne natürlich die spektakuläre Wirkung des Originals zu erreichen. Denn ganz egal, mit wie viel Aufwand die Runden im Sand gedreht werden: Das Rennen gewinnt man schon vor seinem Start.
Weitere Sichtungen:
Free State Of Jones
Das Jerico Projekt
Ice Age – Kollision voraus
"Don´t breathe" hab ich mir auch schon zugelegt.
Ein Sequel soll übrigens kommen...
Ein Sequel soll übrigens kommen...
"Right now we have Don't Breathe 2 as something we really want to do", said Alvarez. "The challenge obviously is we just don't want to do the same movie again and just have 2 in it. We'll feel so embarrassed if we do that. At first our reaction when they told us was no no no no no that's Hollywood, that's the devil pushing us to do something just because we can. And then we had an idea that we got really excited about, we won't tell you what it is, it'll spoil the whole thing..."
"It's only the greatest idea for a sequel I've ever heard. I'm not kidding", said Raimi.
The pair didn't elaborate on the idea, but confessed it's perhaps not studio friendly.
"We're happy that it's kind of an anarchic as an approach to a movie," said Alvarez. "Is it what the studio would die to have right away? Who knows. Maybe"
"No, they're not going to like it at all," laughed Raimi.
"They're going to freak out when they find out," continued Alvarez, "but we're excited about that. We're probably going to start writing pretty soon. If I love it, I might direct it as well. We'll see what happens. It's exciting to see a character you want to see more out of it. At least I do. I'd love to see the blind man on the screen do some other things. What's going to happen with him in his life?"
(ign.com)
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Nochmal zu "Don't Breathe": Der von dir angesprochene "Seitenwechsel" ist mir gar nicht so stark aufgefallen. Gerade weil ja die Einbrecher schon von Anfang an als die Hauptcharaktere eingeführt werden und mit Jane Levy auch direkt eine Identifikationsperson gewählt wurde. Zudem lässt ja schon der Prolog vermuten, dass mit dem Hausbewohner etwas nicht stimmt. Von daher sehe ich diesen Punkt als weniger kritisch. Eine Zweitsichtung wird jedoch auch bei mir zeigen, inwiefern der Film seine Qualitäten auch bei Kenntnis aller Wendungen aufrecht erhalten kann.
Mit freundlichem Gruß
LivingDead
LivingDead
Nein, drehbuchtechnisch ist natürlich von Anfang an klar, dass der Alte ein durchaus fieser Möppel sein würde und die Einbrecher all das nicht verdient haben, was ihnen widerfährt. Das macht in der Synopsis des Films ja überhaupt erst den Reiz aus. Es ist dann eher eine Sache der Charakterzeichnung, dass das bei mir nicht so ganz funktioniert. Ich fühle nicht wirklich Mitleid mit den Einbrechern und nicht wirklich Hass oder zumindest Antipathie gegen den Hausbesitzer, auch wenn das Skript an gewissen Stellen genau diesen Effekt erreichen will - dies für meinen Geschmack dann manchmal zu sehr.
Backtrack
Es ist ein leichtes, „Backtrack“ in seine Bestandteile zu zerlegen. Aschfahle Gesichter in vorbeiratternden Zügen und sich unnatürlich vornüber in die persönliche Comfort Zone hineinbeugende Geistergestalten zeigen sich klar von der japanischen Geisterfilmschule inspiriert (nicht einmal so sehr von „Ring“ oder „The Grudge“, sondern eher von „The Eye“, „Mirrors“ und vielleicht „Nightmare Detective“), der psychologische Aspekt und die Drama-Anteile mit urbaner Spiegelung folgen der Sixth-Sense-Welle von Anfang des 21. Jahrhunderts und die Rückblenden, im Vergleich zum als Verdrängungsmechanismus fungierenden Großstadtsetting von ländlicher Freiheit geprägt, haben viel mit den 80ern, mit „Stand By Me“ und seiner Aufarbeitung von Jugendtraumata zu tun.
Kurz, die Produktion sät keine eigenen Pfade aus und heftet sich eher an Standards; alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen, zumal Adrien Brody als Hauptdarsteller längst nicht mehr in außergewöhnlich relevanten Filmen in Erscheinung tritt, sondern bei der Rollenauswahl eher einem Nicolas Cage zu folgen scheint.
Und doch kann man nicht behaupten, „Backtrack“ sei eine schnell abgekurbelte Kopie eines unbestimmten Referenzwerks. Seine handwerklichen und auch atmosphärischen Qualitäten erscheinen zu ausgefeilt; die Jump Scares werden sorgsam eingesetzt, wirken abwechslungsreich und sind daher meist effektiv; mit allzu offensichtlichen Twists wird nicht zu lange herumgespielt, lieber gibt man sie vorsorglich preis, wissend, dass das Gelingen des Films nicht von seiner Auflösung abhängen darf.
Es ist wichtig, dass gerade Brody als gepeinigter Psychiater das schauspielerische Gleichgewicht hält; ein trauriger Blick zu viel und schon rollt der Zuschauer angesichts der etwas klischeehaften Ausgangslage mit den Augen. Und obwohl er Szenen zu durchstehen hat, in denen er mit dem Flachmann auf einer Bahnhofsbank sein Selbstmitleid ertränkt und obwohl der Weg vorhersehbarerweise unweigerlich zurück in seine Jugend führt, beweisen sowohl Brody als auch die Regie beim Bewahren der Balance Stärken.
„Backtrack“ ist sicher kein Must See, löst an einem gemütlichen Heimkinoabend aber auch keine Verärgerung über verschwendete Zeit aus; vielleicht ist man sogar überrascht ob der Vorzüge, die man nicht erwartet hätte.
Mörderland
Da das südspanische Wattengebiet ohnehin bereits den Titel bestimmt, gibt es auch gleich im Vorspann die Marschrichtung an. Die Kamera stellt aus Vogelperspektive ihre verwinkelten Muster als Kunst aus und schwelgt im Zwielicht, das ebenso viel Ruhe vermittelt wie sie das im Lauf des Lichts Verborgene betont.
„Mörderland“ ist ein Kriminalfilm mit visuellem Antrieb, der in seiner formalen Ästhetik stecken. Die unübersehbaren Bezüge zur US-TV-Serie „True Detective“ liegen darin begründet und werden durch die Ermittlerkonstellation weiter begünstigt. Das Drehbuch wird von präzisen Handlungsabläufen bestimmt, die auch besondere Plansequenzen wie eine nächtliche Autoverfolgungsjagd beinhalten kann. Möglicherweise werden in Spanien mehrer Krimis mit ähnlich ausgefeilten Plots pro Jahr gedreht; dass dieser zu internationaler Bekanntheit gelangte, liegt an seiner Einbettung in konzeptionell außergewöhnliche Handlungsabläufe, an der virtuosen Kameraarbeit und dem effektiven Schnitt, weniger vielleicht am Plot selbst oder an den Schauspielleistungen, auch wenn diese ebenfalls wohlwollend aufgenommen wurden.
Man hat nicht das Gefühl, etwas ganz Neues zu sehen; es ist vielmehr der hohe handwerkliche Standard, den „Mörderland“ für den Kriminalfilm setzt und mit dem er ein modernes Verständnis für das alte Genre über die US-Grenzen hinaus etabliert.
Der Dämon und die Jungfrau
Schmerz als Lust und Verlangen, nicht zuletzt als Sehnsucht und Verlustbewältigung: Im Kontrast zu seiner altmodischen Machart wendet „La Frusta e il Corpo“ durchaus gewagte Methoden an, um die Psychologie seiner Hauptfigur zu formen. Dazu lässt Bava Lichter flackern, Äste peitschen und Silhouetten im Dunkel verschwinden oder aus ihm hervortreten. Die audiovisuelle Abstimmung ist auf Uneindeutigkeiten ausgelegt, von der vor allem Christopher Lee profitiert. Obgleich seine Rolle in Sekunden gemessen von vergleichsweise geringem Umfang ist, lauern Spuren seiner Präsenz in jedem Winkel des geräumigen Anwesens, das ohnehin bereits von schweren Möbeln, dunklen Ecken und fahlen Gesichtern im vorderen Eck der Mise en Scène in undurchdringlicher Schwermut versinkt.
Mit diesen einfachen, aber effektiven Mitteln erzeugt der Regisseur einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Das Drehbuch ist dabei in der Auflösung ebenso von eher einfachem Format wie die vielen Heimsuchungsszenen: Eine dramatische Wende soll als Schlusspunkt vordergründig schockieren, ebenso wie es bis zu diesem Zeitpunkt undefinierbare Geräusche im Tondesign sowie schlammige Fußspuren und kalkweiße Klauen aus der Schwärze des Bildes taten. Atmosphärisch hingegen gelingt Bava eines seiner wohl kraftvollsten Werke, das jede Sekunde seiner Laufzeit vollends nutzt.
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Dolls
Mit dem Moment, als der Wagen einer ziemlich kaputten Kleinfamilie auf der Durchreise im Schlamm stecken bleibt und im Hintergrund wie gerufen die einladende Fassade eines Anwesens zum Vorschein kommt, entpuppt sich „Dolls“ als eine Ansammlung kleiner funktionaler Konstrukte, die für sich genommen sehr gut funktionieren. Man darf folglich außergewöhnliche Puppeneffekte erwarten, die mal auf animatronischen Tricks basieren, mal auf Stop Motion; man bekommt einen Haufen stereotyper Klischeefiguren, wegen derer die 80er derzeit wieder Fans gewinnen; außerdem ist das Innere der düsteren Villa mit ihren dunklen Tapeten und geheimnisvollen Zimmern hochgradig atmosphärisch in Szene gesetzt. Jede Szene wird zu einem kurzen Sketch für sich aufgebauscht und endet wahlweise in einer komischen oder auch blutigen Pointe. Zusammenhanglos treffen die unterschiedlichsten Figuren (insgesamt sechs an der Zahl) im Heim eines dubiosen alten Ehepaars ein, jede von ihnen ganz in die persönlichen Probleme vertieft.
Aus dieser ruhelosen, von gegenseitiger Ignoranz gelenkten Zusammenkunft heraus beginnt die kleine Protagonistin mit einem jung gebliebenen Begleiter also die Flure und Zimmer zu erkunden. Dass aus den Streifzügen letztlich kaum die Magie anderer aus den Augen von Kindern gedrehter Filme strahlt, liegt auch daran, dass die im Einzelnen stimmig arrangierten Sequenzen kaum zueinander finden. Hintergründe und Motivation des alten Paars bleiben bis zum Ende im Dunkeln verborgen und die Mythologie um die winzigen Quälgeister aus Holz und Porzellan bleibt über den Abspann hinaus skizzenhaft.
Kein Wunder also, dass die Handwerkskunst in „Dolls“ weit größeres Erstaunen hervorruft als der inzwischen beinahe vergessene Film selbst. Misst man ihn nämlich an den Produktionswerten, so kann er namhafteren Miniature-Creature-Features wie „Gremlins“ durchaus das Wasser reichen...
Dirty Grandpa
Die Missachtung gesellschaftlicher Rollenbilder soll gleichermaßen empören wie unterhalten, doch „Dirty Grandpa“ ist nicht der erste Opa, der sich nicht an die Regeln hält. Mit Bad Grandpas, kleinen Arschlöchern und ihren alten Säcken, bad Weihnachtsmännern, bad Lehrerinnen, desperate Hausfrauen und jüngst auch bad Müttern ist man in bester Gesellschaft – und einfach eine Spur zu spät dran.
Das schlackernde männliche Glied tritt mal wieder als Schreckgespenst amerikanischer Prüderie auf und soll Moralaposteln eine Mischung aus Zornes- und Schamesröte ins Gesicht zaubern; möglicherweise verkennt man inzwischen aber den Erfahrungswert dieser Klientel mit derartigen Holzhammerattacken. Nicht einmal der kleine Bruder grafischer Anzüglichkeiten, das böse F-Wort, holt da noch die Kohlen aus dem Feuer: Über weite Strecken wirkt das Abenteuer eines Großvaters und seines Enkels wie bestellt und nicht abgeholt.
Es ist schließlich auch lange her, dass man Robert De Niro als Kassenmagneten engagieren konnte. Heute setzen einige Regisseure eher daran, ihn behutsam aus seinem Loch zu holen (David O. Russell bestreitet diese Aufgabe zugegebenermaßen relativ einsam), während andere ihn postwendend wieder ausschlachten. Obwohl der einstige Edelmime nach schwerem Anlauf durchaus seine Momente hat, besteht wohl kein Zweifel, dass im vorliegenden Fall eher wieder Ausschlachtung angesagt ist. Ohnehin hat die Rolle am Ende nichts schreiend Revolutionäres an sich; eine Menge Jack Byrnes („Meine Braut, ihr Vater und ich“) steckt in ihr. Zumindest war jene Figur bereits auf dem besten Wege, im Alter zum dreckigen Großvater zu werden.
Interessanter stellt sich da schon der Umgang mit Zac Efron dar. Ihm gelingt es immerhin, trotz seines Sexsymbol-Potenzials den befremdlichen Spießer fast zur Vollendung zu bringen und somit einen stolzen Kontrast zum routinierten Hauptdarsteller zu schaffen. Er ist das um den Kopf des unbeirrlichen Duracell-Hasen kreiselnde Atom und bringt die Sache gewissermaßen in Schwung, auch wenn er mit manch allzu plakativer Tabubruchszene (Aufwachen am Strand) gehörig daran zu knabbern hat, den Film nicht völlig in die tiefsten Abgründe des Niveaus absinken zu lassen. Neben ihm heben sich einige wenige Nebenfiguren hervor, insbesondere Aubrey Plaza als durchgeknallte Männerfresserin. Aber selbst das gehört längst zum ausgewiesenen Standard.
Es wird die Zeit kommen, da sind die Altersheime voll von fiesen Opas, die ihre Medizin nicht einnehmen wollen. Müssen wir befürchten, dass der Everyman in der nächsten Generation Komödie zum neuen Tabubruch wird?
The Lickerish Quartet
Ein kontrastreich geführter Pop-Art-Strich lässt diesen Erotik-Kunstfilm unnötig prätentiös wirken, zumal er ein intellektuelles Selbstverständnis verströmt, wie es für die aufblühenden 70er Jahre charakteristisch werden würde. Dem Bauchgefühl der sexuellen Revolution setzt Radley Metzger eine analytische Note entgegen: Ein aus der Form gewachsenes Familienkonstrukt um ein älteres Ehepaar und einen erwachsenen Sohn, dessen ursprüngliche Funktion längst zu einer toten Zweckgemeinschaft pervertiert ist, schaut sich in einem großen Schlosssaal über einen Projektor einen erotischen Film an; nicht etwa der Erregung wegen, sondern um den Film und die Drehumstände mechanisch zu zerlegen.
Zeitgleich beginnt die Handlung, effektiv mit der Mediendialektik zu verschmelzen, die sich im Metakontext zu entfalten beginnt. In einer Folgeszene auf einem Jahrmarkt wird das Dreigespann zufällig mit der augenscheinlichen Hauptdarstellerin des Films-im-Film konfrontiert. Ab diesem Augenblick wird das bis dahin mit scharfem Trennstrich markierte Realitätsverständnis in feine Schichten verlagert und somit einer Veränderung ausgesetzt.
Den elitären Gestus der Schlossbewohner versucht Metzger damit offensichtlich aufzubrechen, tatsächlich gelingt es ihm aber allenfalls, ihn auf sich selbst umzuleiten: Während die unbekannte Besucherin aus einer anfangs noch defensiv erscheinenden, ja situativ fast der Silhouette eines Entführungsopfers aus einem Horrorfilm gleichenden, später aber klar dominanten Situation heraus die drei Gastgeber voneinander zu isolieren beginnt und deren emotionalen Kern freizulegen beginnt, projiziert sich der gesamte Elitarismus im Regiestil.
„The Lickerish Quartet“ kann mit geschmackvollen mise-en-scènes, einfallsreichen Dekors (diese Bibliothek...) und seiner prachtvollen Kulisse jeden Cineasten problemlos um den Finger wickeln, erst recht durch seine anregende narrative Struktur; der Chic jedoch, der aus diesen Reizen spricht, hat sein Jahrzehnt nicht überdauert.
Money Monster
Für Jodie Foster ist „Money Monster“ bezüglich der Herangehensweise eine Weiterentwicklung. Anders als ihre übrigen Regiearbeiten lässt diese das Pacing über den Inhalt dominieren. Dem Sujet gemäß wird die Kapitalismuskritik nicht über Tiefgang erzeugt, sondern über die Unausweichlichkeit und Irreversibilität einer Live-Situation. Von ihr erwartet sich die Regisseurin sozusagen eine automatische Aufdeckung medial verhüllter Wahrheit.
Entsprechend führt sie George Clooney als clownesken Showmaster ein, der die Seriosität des von ihm getragenen Broker-Anzugs vor laufender Kamera ad absurdum führt. Schade, dass die Figur schon auf lustige Knöpfe drücken und wahnwitzige Tänze aufführen muss, damit unter Garantie zum Zuschauer durchringt, dass er eine Show wie „Money Monster“ nicht ernst nehmen darf – und damit er später gewisse Sympathien für jenes Individuum aufbringen kann, das sich vom kapitalistischen System übergangen fühlt und deswegen eine Live-Show kapert.
Es beginnt ein Spiel, das munter die Früchte sämtlicher Medien- und Geiselthriller in einen Topf wirft und dabei handwerklich nicht einmal eine schlechte Figur macht, auch wenn es zu den Eigenarten des Films gehört, dass man jede seiner Wendungen entweder weit voraussieht oder zumindest erahnt. Die Kombination Clooney + Roberts steht derweil für ausgedientes Starkino, das mit solchen Adrenalin-Knallteufeln neue Reputation zu erlangen versucht zu einer Zeit, da sich fast alles in großen Multiplexen über Tempo dechiffriert. Um hier mitzuhalten, ist Fosters Regie jedoch wiederum zu unspektakulär; um mit den großen Thrillern der 70er Jahre mithalten zu können, zu eindimensional.
Finding Dory
Das Ende der Fahnenstange bereits in Sichtweite, übt sich Pixar in Sachen realistische Animation inzwischen in Zurückhaltung. Das wird gerade im Direktvergleich mit dem begleitenden Kurzfilm deutlich, der mit wesentlich höherem Detailgrad realisiert wurde als der eigentliche Hauptfilm. Diesem ist eher daran gelegen, die traumartige Unterwasserwelt in ihren leuchtend bunten Farben als Reminiszenz an die Anfänge des Computeranimationsfilms zu gestalten, zu denen immerhin auch das Original „Findet Nemo“ gehört.
Als späte Fortsetzung kann man „Findet Dorie“ in einem platten Verweis auf die bewässerte Umgebung als überflüssig bezeichnen, es handelt sich aber doch um eine konsequente Fortführung des ersten Abenteuers, die nur den Anschein macht, sie kopiere lediglich deren Mechanismen; tatsächlich spart das Drehbuch mutigerweise einen Großteil der Ursprungsfiguren aus (Dorie, Nemo und Marlin selbstverständlich nicht) und führt stattdessen neue ein, unter denen ein brummiger Oktopus seines Gemüts wegen ebenso wie aufgrund der mit präzisem Comedy-Timing versehenen Fortbewegungs- und Tarnungstechniken deutlich herausragt. Auch der Titel ist völlig anders zu verstehen als das, was er auf den ersten Blick zu vermitteln scheint: Nicht etwa handelt „Findet Dorie“ davon, die Titelfigur in den Weiten des Ozeans wiederzufinden, vielmehr geht es für den vergesslichen Paletten-Doktorfisch um eine Reise in die eigenen bruchstückhaften Erinnerungen und somit in die eigene Identität.
Aus einem eher uninspirierten Filmbeginn heraus schält sich so bald ein ambitioniertes Abenteuer, das lustvoll mit Filmreminiszenzen jongliert und in Sachen Drehbuch unerwarteten Entdeckergeist versprüht, der den Rückgriff auf alte Markenzeichen nur selten nötig hat. Hier und da wird mal der berühmte Walgesang angestimmt oder im Schildkröten-Track mitgereist, weder aber benötigt man eine Rückkehr alter Fressfeinde (nicht einmal, wenn sie das Cover des ersten Teils geziert haben), noch drängt man einen Nemo oder einen Marlin diesmal dazu, mehr zu sein als begleitende Nebenfiguren. Das sorgt für ein unaufdringliches und ungezwungenes Sehgefühl und lässt die Hidden Scene um so erfreulicher werden.
Natürlich ist „Findet Dorie“ nicht so hintersinnig und allegorisch wie ein „Zoomania“, als Fortsetzung eines waschechten Animationsfilmsrelikts muss er dies jedoch auch gar nicht; da reicht es schon, mit genug Fingerspitzengefühl einen guten Nachschlag zu servieren und die Fallen des Selbstplagiats geschickt zu umgehen. Zumindest dies kann man Pixar zusprechen.
Vikings – Season 3
Mit jeder Staffel steigen die Ambitionen des Wikingervolkes, das dem Tode gemeinhin oft mit Gleichgültigkeit begegnet und gerade dadurch Schrecken beim Feind verbreitet. Doch die Serie zeichnet kein Bild dummer Bauern, die sich blind in die gegnerischen Schwerter werfen und auf ihre Überzahl vertrauen. Die Taktiken werden gewiefter, die Ziele größer. Als die dritte Staffel in ihre achte Episode einbiegt, steht man vor den Toren von Paris, eine von Mauern und Wällen geschützte Großstadt, die definitiv zur anspruchsvollsten Aufgabe für Ragnar Lodbrok und sein Gefolge anwächst. In Sachen Aufwand und Choreografie schließt diese Folge zu den legendären Schlachtenepisoden von „Game Of Thrones“ auf.
Konflikte sucht die Serie allerdings weniger im Umgang mit dem Feind, der sich diesmal als echter Knackpunkt erweist und mit seiner völlig unterschiedlichen kulturellen Denkweise erfolgreiche Abwehrstrategien zu entwickeln imstande ist, sondern vielmehr in den eigenen Reihen. Die Erziehung der Kinder, gerade angesichts der hohen Kriegsverluste ein wichtiges Thema, wird zu einem der Knackpunkte; ein anderer ist das Verhältnis der Wikinger zum Christentum. Beide Aspekte werden in persönliche Fehden übertragen, die sich bedeutend auf den Zustand der Hauptfigur auswirken. Travis Fimmel darf seinen Charakter langsam in den Wahnsinn überführen, so sehr, dass er gegen Ende der Staffel seinem Vertrauten Floki zu ähneln beginnt.
Kurz wagt sich das Skript mit einem Gastauftritt von Kevin Durand sogar in die Mythologie, die bis dato hauptsächlich den Auftritten des blinden Sehers vorbehalten war. Ihre stilisierte visuelle Linie muss die Serie deswegen nicht verraten: Die Farbgebung beschränkt sich auf ein Spektrum aus Blau-, Grün- und Brauntönen, der Kontrast bleibt aufgedreht, das stets schwarze Wasser ohne jede Transparenz. Mit dem französischen Königsstand wird eine Palette neuer Kostüme und Waffen eingeführt, die das Ambiente auf eine edlere Stufe erheben; die eher bescheidene Denkweise der Nordmänner aus der ersten Staffel scheint einer längst vergangenen Epoche anzugehören. In nur 29 Folgen ist es „Vikings“ tatsächlich gelungen, einen vollständigen Paradigmenwechsel im Vorgehen der Krieger, Brandschatzer und Landräuber einzuleiten. Sie bleibt damit eine der wichtigsten noch laufenden Serien über eines der faszinierendsten Völker, die jemals im Fernsehen portraitiert wurden.
Fargo – Season 2
Andere Zeit, anderes Setting, gleicher Schlag: Nach der überragenden ersten Staffel „Fargo“ bleibt auch die zweite dem skurrilen Ton treu, der einstmals von den Coens vorgegeben wurde. Etwas weniger Schnee muss man in Kauf nehmen, ebenso wie einen praktisch komplett ausgetauschten Cast. Was man aber angesichts der Leistungen von Billy Bob Thornton, Colin Hanks und Allison Tolman als schweren Verlust auffassen müsste, machen Kirsten Dunst, Jesse Plemons, Patrick Wilson, Bokeem Woodbine, Zahn McClarnon und viele andere mit gewohnt schrulligen Charakteren wett.
Man könnte anfangs dem Eindruck erliegen, trotz oder gerade wegen der völlig neu aufgerollten Story mit vollständigem Figurentausch werde die Rezeptur der ersten Staffel einfach wiederholt; nicht nur zeigt sich aber später, dass durchaus eine gewisse Kontinuität über Anknüpfpunkte vorhanden ist, auch erzeugt das immer verrückter werdende Agieren der Handlungsträger einen sehr eigenen Sog. Die Ausgangskonstellation mag für den von Martin Freeman gespielten Versicherungsvertreter ähnlich gewesen sein wie nun für das von Dunst und Plemons gespielte Friseurs-Metzger-Pärchen, ebenso folgt der kausale Handlungsablauf genauso den physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Kugelstoßpendels oder einer Murmelbahn, doch schnell wächst die Akzeptanz für die neuen Figuren und man möchte ihnen Raum geben, sich frei entfalten zu können.
Mit Referenzen an das Coen'sche Gesamtwerk wird wieder nicht gespart; die exzellente Kameraarbeit fängt mit hohem Aufwand überwältigende Landschaften und liebevoll ausgestattete Interieurs ein; die Regie (wiederum in Form von Doppelepisoden bewerkstelligt) genügt höchsten Kinoansprüchen, was ganz ausdrücklich vor allem die Dialogregie inkludiert.
Eine spezielle Erscheinung mag dem Publikum zu sehr „over the top“ erscheinen, weil es die Regeln amerikanischer Kleinstadt-Krimis durchstößt; vielleicht benötigt eine Erzählung wie „Fargo“ aber hin und wieder eine solche Meta-Betrachtung, ums ich seiner lustvollen Konstruiertheit bewusst zu werden.
Weitere Sichtungen:
Lethal Warrior
The Purge – Election Year
The Green Room
In A Valley Of Violence
Es ist ein leichtes, „Backtrack“ in seine Bestandteile zu zerlegen. Aschfahle Gesichter in vorbeiratternden Zügen und sich unnatürlich vornüber in die persönliche Comfort Zone hineinbeugende Geistergestalten zeigen sich klar von der japanischen Geisterfilmschule inspiriert (nicht einmal so sehr von „Ring“ oder „The Grudge“, sondern eher von „The Eye“, „Mirrors“ und vielleicht „Nightmare Detective“), der psychologische Aspekt und die Drama-Anteile mit urbaner Spiegelung folgen der Sixth-Sense-Welle von Anfang des 21. Jahrhunderts und die Rückblenden, im Vergleich zum als Verdrängungsmechanismus fungierenden Großstadtsetting von ländlicher Freiheit geprägt, haben viel mit den 80ern, mit „Stand By Me“ und seiner Aufarbeitung von Jugendtraumata zu tun.
Kurz, die Produktion sät keine eigenen Pfade aus und heftet sich eher an Standards; alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen, zumal Adrien Brody als Hauptdarsteller längst nicht mehr in außergewöhnlich relevanten Filmen in Erscheinung tritt, sondern bei der Rollenauswahl eher einem Nicolas Cage zu folgen scheint.
Und doch kann man nicht behaupten, „Backtrack“ sei eine schnell abgekurbelte Kopie eines unbestimmten Referenzwerks. Seine handwerklichen und auch atmosphärischen Qualitäten erscheinen zu ausgefeilt; die Jump Scares werden sorgsam eingesetzt, wirken abwechslungsreich und sind daher meist effektiv; mit allzu offensichtlichen Twists wird nicht zu lange herumgespielt, lieber gibt man sie vorsorglich preis, wissend, dass das Gelingen des Films nicht von seiner Auflösung abhängen darf.
Es ist wichtig, dass gerade Brody als gepeinigter Psychiater das schauspielerische Gleichgewicht hält; ein trauriger Blick zu viel und schon rollt der Zuschauer angesichts der etwas klischeehaften Ausgangslage mit den Augen. Und obwohl er Szenen zu durchstehen hat, in denen er mit dem Flachmann auf einer Bahnhofsbank sein Selbstmitleid ertränkt und obwohl der Weg vorhersehbarerweise unweigerlich zurück in seine Jugend führt, beweisen sowohl Brody als auch die Regie beim Bewahren der Balance Stärken.
„Backtrack“ ist sicher kein Must See, löst an einem gemütlichen Heimkinoabend aber auch keine Verärgerung über verschwendete Zeit aus; vielleicht ist man sogar überrascht ob der Vorzüge, die man nicht erwartet hätte.
Mörderland
Da das südspanische Wattengebiet ohnehin bereits den Titel bestimmt, gibt es auch gleich im Vorspann die Marschrichtung an. Die Kamera stellt aus Vogelperspektive ihre verwinkelten Muster als Kunst aus und schwelgt im Zwielicht, das ebenso viel Ruhe vermittelt wie sie das im Lauf des Lichts Verborgene betont.
„Mörderland“ ist ein Kriminalfilm mit visuellem Antrieb, der in seiner formalen Ästhetik stecken. Die unübersehbaren Bezüge zur US-TV-Serie „True Detective“ liegen darin begründet und werden durch die Ermittlerkonstellation weiter begünstigt. Das Drehbuch wird von präzisen Handlungsabläufen bestimmt, die auch besondere Plansequenzen wie eine nächtliche Autoverfolgungsjagd beinhalten kann. Möglicherweise werden in Spanien mehrer Krimis mit ähnlich ausgefeilten Plots pro Jahr gedreht; dass dieser zu internationaler Bekanntheit gelangte, liegt an seiner Einbettung in konzeptionell außergewöhnliche Handlungsabläufe, an der virtuosen Kameraarbeit und dem effektiven Schnitt, weniger vielleicht am Plot selbst oder an den Schauspielleistungen, auch wenn diese ebenfalls wohlwollend aufgenommen wurden.
Man hat nicht das Gefühl, etwas ganz Neues zu sehen; es ist vielmehr der hohe handwerkliche Standard, den „Mörderland“ für den Kriminalfilm setzt und mit dem er ein modernes Verständnis für das alte Genre über die US-Grenzen hinaus etabliert.
Der Dämon und die Jungfrau
Schmerz als Lust und Verlangen, nicht zuletzt als Sehnsucht und Verlustbewältigung: Im Kontrast zu seiner altmodischen Machart wendet „La Frusta e il Corpo“ durchaus gewagte Methoden an, um die Psychologie seiner Hauptfigur zu formen. Dazu lässt Bava Lichter flackern, Äste peitschen und Silhouetten im Dunkel verschwinden oder aus ihm hervortreten. Die audiovisuelle Abstimmung ist auf Uneindeutigkeiten ausgelegt, von der vor allem Christopher Lee profitiert. Obgleich seine Rolle in Sekunden gemessen von vergleichsweise geringem Umfang ist, lauern Spuren seiner Präsenz in jedem Winkel des geräumigen Anwesens, das ohnehin bereits von schweren Möbeln, dunklen Ecken und fahlen Gesichtern im vorderen Eck der Mise en Scène in undurchdringlicher Schwermut versinkt.
Mit diesen einfachen, aber effektiven Mitteln erzeugt der Regisseur einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Das Drehbuch ist dabei in der Auflösung ebenso von eher einfachem Format wie die vielen Heimsuchungsszenen: Eine dramatische Wende soll als Schlusspunkt vordergründig schockieren, ebenso wie es bis zu diesem Zeitpunkt undefinierbare Geräusche im Tondesign sowie schlammige Fußspuren und kalkweiße Klauen aus der Schwärze des Bildes taten. Atmosphärisch hingegen gelingt Bava eines seiner wohl kraftvollsten Werke, das jede Sekunde seiner Laufzeit vollends nutzt.
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Dolls
Mit dem Moment, als der Wagen einer ziemlich kaputten Kleinfamilie auf der Durchreise im Schlamm stecken bleibt und im Hintergrund wie gerufen die einladende Fassade eines Anwesens zum Vorschein kommt, entpuppt sich „Dolls“ als eine Ansammlung kleiner funktionaler Konstrukte, die für sich genommen sehr gut funktionieren. Man darf folglich außergewöhnliche Puppeneffekte erwarten, die mal auf animatronischen Tricks basieren, mal auf Stop Motion; man bekommt einen Haufen stereotyper Klischeefiguren, wegen derer die 80er derzeit wieder Fans gewinnen; außerdem ist das Innere der düsteren Villa mit ihren dunklen Tapeten und geheimnisvollen Zimmern hochgradig atmosphärisch in Szene gesetzt. Jede Szene wird zu einem kurzen Sketch für sich aufgebauscht und endet wahlweise in einer komischen oder auch blutigen Pointe. Zusammenhanglos treffen die unterschiedlichsten Figuren (insgesamt sechs an der Zahl) im Heim eines dubiosen alten Ehepaars ein, jede von ihnen ganz in die persönlichen Probleme vertieft.
Aus dieser ruhelosen, von gegenseitiger Ignoranz gelenkten Zusammenkunft heraus beginnt die kleine Protagonistin mit einem jung gebliebenen Begleiter also die Flure und Zimmer zu erkunden. Dass aus den Streifzügen letztlich kaum die Magie anderer aus den Augen von Kindern gedrehter Filme strahlt, liegt auch daran, dass die im Einzelnen stimmig arrangierten Sequenzen kaum zueinander finden. Hintergründe und Motivation des alten Paars bleiben bis zum Ende im Dunkeln verborgen und die Mythologie um die winzigen Quälgeister aus Holz und Porzellan bleibt über den Abspann hinaus skizzenhaft.
Kein Wunder also, dass die Handwerkskunst in „Dolls“ weit größeres Erstaunen hervorruft als der inzwischen beinahe vergessene Film selbst. Misst man ihn nämlich an den Produktionswerten, so kann er namhafteren Miniature-Creature-Features wie „Gremlins“ durchaus das Wasser reichen...
Dirty Grandpa
Die Missachtung gesellschaftlicher Rollenbilder soll gleichermaßen empören wie unterhalten, doch „Dirty Grandpa“ ist nicht der erste Opa, der sich nicht an die Regeln hält. Mit Bad Grandpas, kleinen Arschlöchern und ihren alten Säcken, bad Weihnachtsmännern, bad Lehrerinnen, desperate Hausfrauen und jüngst auch bad Müttern ist man in bester Gesellschaft – und einfach eine Spur zu spät dran.
Das schlackernde männliche Glied tritt mal wieder als Schreckgespenst amerikanischer Prüderie auf und soll Moralaposteln eine Mischung aus Zornes- und Schamesröte ins Gesicht zaubern; möglicherweise verkennt man inzwischen aber den Erfahrungswert dieser Klientel mit derartigen Holzhammerattacken. Nicht einmal der kleine Bruder grafischer Anzüglichkeiten, das böse F-Wort, holt da noch die Kohlen aus dem Feuer: Über weite Strecken wirkt das Abenteuer eines Großvaters und seines Enkels wie bestellt und nicht abgeholt.
Es ist schließlich auch lange her, dass man Robert De Niro als Kassenmagneten engagieren konnte. Heute setzen einige Regisseure eher daran, ihn behutsam aus seinem Loch zu holen (David O. Russell bestreitet diese Aufgabe zugegebenermaßen relativ einsam), während andere ihn postwendend wieder ausschlachten. Obwohl der einstige Edelmime nach schwerem Anlauf durchaus seine Momente hat, besteht wohl kein Zweifel, dass im vorliegenden Fall eher wieder Ausschlachtung angesagt ist. Ohnehin hat die Rolle am Ende nichts schreiend Revolutionäres an sich; eine Menge Jack Byrnes („Meine Braut, ihr Vater und ich“) steckt in ihr. Zumindest war jene Figur bereits auf dem besten Wege, im Alter zum dreckigen Großvater zu werden.
Interessanter stellt sich da schon der Umgang mit Zac Efron dar. Ihm gelingt es immerhin, trotz seines Sexsymbol-Potenzials den befremdlichen Spießer fast zur Vollendung zu bringen und somit einen stolzen Kontrast zum routinierten Hauptdarsteller zu schaffen. Er ist das um den Kopf des unbeirrlichen Duracell-Hasen kreiselnde Atom und bringt die Sache gewissermaßen in Schwung, auch wenn er mit manch allzu plakativer Tabubruchszene (Aufwachen am Strand) gehörig daran zu knabbern hat, den Film nicht völlig in die tiefsten Abgründe des Niveaus absinken zu lassen. Neben ihm heben sich einige wenige Nebenfiguren hervor, insbesondere Aubrey Plaza als durchgeknallte Männerfresserin. Aber selbst das gehört längst zum ausgewiesenen Standard.
Es wird die Zeit kommen, da sind die Altersheime voll von fiesen Opas, die ihre Medizin nicht einnehmen wollen. Müssen wir befürchten, dass der Everyman in der nächsten Generation Komödie zum neuen Tabubruch wird?
The Lickerish Quartet
Ein kontrastreich geführter Pop-Art-Strich lässt diesen Erotik-Kunstfilm unnötig prätentiös wirken, zumal er ein intellektuelles Selbstverständnis verströmt, wie es für die aufblühenden 70er Jahre charakteristisch werden würde. Dem Bauchgefühl der sexuellen Revolution setzt Radley Metzger eine analytische Note entgegen: Ein aus der Form gewachsenes Familienkonstrukt um ein älteres Ehepaar und einen erwachsenen Sohn, dessen ursprüngliche Funktion längst zu einer toten Zweckgemeinschaft pervertiert ist, schaut sich in einem großen Schlosssaal über einen Projektor einen erotischen Film an; nicht etwa der Erregung wegen, sondern um den Film und die Drehumstände mechanisch zu zerlegen.
Zeitgleich beginnt die Handlung, effektiv mit der Mediendialektik zu verschmelzen, die sich im Metakontext zu entfalten beginnt. In einer Folgeszene auf einem Jahrmarkt wird das Dreigespann zufällig mit der augenscheinlichen Hauptdarstellerin des Films-im-Film konfrontiert. Ab diesem Augenblick wird das bis dahin mit scharfem Trennstrich markierte Realitätsverständnis in feine Schichten verlagert und somit einer Veränderung ausgesetzt.
Den elitären Gestus der Schlossbewohner versucht Metzger damit offensichtlich aufzubrechen, tatsächlich gelingt es ihm aber allenfalls, ihn auf sich selbst umzuleiten: Während die unbekannte Besucherin aus einer anfangs noch defensiv erscheinenden, ja situativ fast der Silhouette eines Entführungsopfers aus einem Horrorfilm gleichenden, später aber klar dominanten Situation heraus die drei Gastgeber voneinander zu isolieren beginnt und deren emotionalen Kern freizulegen beginnt, projiziert sich der gesamte Elitarismus im Regiestil.
„The Lickerish Quartet“ kann mit geschmackvollen mise-en-scènes, einfallsreichen Dekors (diese Bibliothek...) und seiner prachtvollen Kulisse jeden Cineasten problemlos um den Finger wickeln, erst recht durch seine anregende narrative Struktur; der Chic jedoch, der aus diesen Reizen spricht, hat sein Jahrzehnt nicht überdauert.
Money Monster
Für Jodie Foster ist „Money Monster“ bezüglich der Herangehensweise eine Weiterentwicklung. Anders als ihre übrigen Regiearbeiten lässt diese das Pacing über den Inhalt dominieren. Dem Sujet gemäß wird die Kapitalismuskritik nicht über Tiefgang erzeugt, sondern über die Unausweichlichkeit und Irreversibilität einer Live-Situation. Von ihr erwartet sich die Regisseurin sozusagen eine automatische Aufdeckung medial verhüllter Wahrheit.
Entsprechend führt sie George Clooney als clownesken Showmaster ein, der die Seriosität des von ihm getragenen Broker-Anzugs vor laufender Kamera ad absurdum führt. Schade, dass die Figur schon auf lustige Knöpfe drücken und wahnwitzige Tänze aufführen muss, damit unter Garantie zum Zuschauer durchringt, dass er eine Show wie „Money Monster“ nicht ernst nehmen darf – und damit er später gewisse Sympathien für jenes Individuum aufbringen kann, das sich vom kapitalistischen System übergangen fühlt und deswegen eine Live-Show kapert.
Es beginnt ein Spiel, das munter die Früchte sämtlicher Medien- und Geiselthriller in einen Topf wirft und dabei handwerklich nicht einmal eine schlechte Figur macht, auch wenn es zu den Eigenarten des Films gehört, dass man jede seiner Wendungen entweder weit voraussieht oder zumindest erahnt. Die Kombination Clooney + Roberts steht derweil für ausgedientes Starkino, das mit solchen Adrenalin-Knallteufeln neue Reputation zu erlangen versucht zu einer Zeit, da sich fast alles in großen Multiplexen über Tempo dechiffriert. Um hier mitzuhalten, ist Fosters Regie jedoch wiederum zu unspektakulär; um mit den großen Thrillern der 70er Jahre mithalten zu können, zu eindimensional.
Finding Dory
Das Ende der Fahnenstange bereits in Sichtweite, übt sich Pixar in Sachen realistische Animation inzwischen in Zurückhaltung. Das wird gerade im Direktvergleich mit dem begleitenden Kurzfilm deutlich, der mit wesentlich höherem Detailgrad realisiert wurde als der eigentliche Hauptfilm. Diesem ist eher daran gelegen, die traumartige Unterwasserwelt in ihren leuchtend bunten Farben als Reminiszenz an die Anfänge des Computeranimationsfilms zu gestalten, zu denen immerhin auch das Original „Findet Nemo“ gehört.
Als späte Fortsetzung kann man „Findet Dorie“ in einem platten Verweis auf die bewässerte Umgebung als überflüssig bezeichnen, es handelt sich aber doch um eine konsequente Fortführung des ersten Abenteuers, die nur den Anschein macht, sie kopiere lediglich deren Mechanismen; tatsächlich spart das Drehbuch mutigerweise einen Großteil der Ursprungsfiguren aus (Dorie, Nemo und Marlin selbstverständlich nicht) und führt stattdessen neue ein, unter denen ein brummiger Oktopus seines Gemüts wegen ebenso wie aufgrund der mit präzisem Comedy-Timing versehenen Fortbewegungs- und Tarnungstechniken deutlich herausragt. Auch der Titel ist völlig anders zu verstehen als das, was er auf den ersten Blick zu vermitteln scheint: Nicht etwa handelt „Findet Dorie“ davon, die Titelfigur in den Weiten des Ozeans wiederzufinden, vielmehr geht es für den vergesslichen Paletten-Doktorfisch um eine Reise in die eigenen bruchstückhaften Erinnerungen und somit in die eigene Identität.
Aus einem eher uninspirierten Filmbeginn heraus schält sich so bald ein ambitioniertes Abenteuer, das lustvoll mit Filmreminiszenzen jongliert und in Sachen Drehbuch unerwarteten Entdeckergeist versprüht, der den Rückgriff auf alte Markenzeichen nur selten nötig hat. Hier und da wird mal der berühmte Walgesang angestimmt oder im Schildkröten-Track mitgereist, weder aber benötigt man eine Rückkehr alter Fressfeinde (nicht einmal, wenn sie das Cover des ersten Teils geziert haben), noch drängt man einen Nemo oder einen Marlin diesmal dazu, mehr zu sein als begleitende Nebenfiguren. Das sorgt für ein unaufdringliches und ungezwungenes Sehgefühl und lässt die Hidden Scene um so erfreulicher werden.
Natürlich ist „Findet Dorie“ nicht so hintersinnig und allegorisch wie ein „Zoomania“, als Fortsetzung eines waschechten Animationsfilmsrelikts muss er dies jedoch auch gar nicht; da reicht es schon, mit genug Fingerspitzengefühl einen guten Nachschlag zu servieren und die Fallen des Selbstplagiats geschickt zu umgehen. Zumindest dies kann man Pixar zusprechen.
Vikings – Season 3
Mit jeder Staffel steigen die Ambitionen des Wikingervolkes, das dem Tode gemeinhin oft mit Gleichgültigkeit begegnet und gerade dadurch Schrecken beim Feind verbreitet. Doch die Serie zeichnet kein Bild dummer Bauern, die sich blind in die gegnerischen Schwerter werfen und auf ihre Überzahl vertrauen. Die Taktiken werden gewiefter, die Ziele größer. Als die dritte Staffel in ihre achte Episode einbiegt, steht man vor den Toren von Paris, eine von Mauern und Wällen geschützte Großstadt, die definitiv zur anspruchsvollsten Aufgabe für Ragnar Lodbrok und sein Gefolge anwächst. In Sachen Aufwand und Choreografie schließt diese Folge zu den legendären Schlachtenepisoden von „Game Of Thrones“ auf.
Konflikte sucht die Serie allerdings weniger im Umgang mit dem Feind, der sich diesmal als echter Knackpunkt erweist und mit seiner völlig unterschiedlichen kulturellen Denkweise erfolgreiche Abwehrstrategien zu entwickeln imstande ist, sondern vielmehr in den eigenen Reihen. Die Erziehung der Kinder, gerade angesichts der hohen Kriegsverluste ein wichtiges Thema, wird zu einem der Knackpunkte; ein anderer ist das Verhältnis der Wikinger zum Christentum. Beide Aspekte werden in persönliche Fehden übertragen, die sich bedeutend auf den Zustand der Hauptfigur auswirken. Travis Fimmel darf seinen Charakter langsam in den Wahnsinn überführen, so sehr, dass er gegen Ende der Staffel seinem Vertrauten Floki zu ähneln beginnt.
Kurz wagt sich das Skript mit einem Gastauftritt von Kevin Durand sogar in die Mythologie, die bis dato hauptsächlich den Auftritten des blinden Sehers vorbehalten war. Ihre stilisierte visuelle Linie muss die Serie deswegen nicht verraten: Die Farbgebung beschränkt sich auf ein Spektrum aus Blau-, Grün- und Brauntönen, der Kontrast bleibt aufgedreht, das stets schwarze Wasser ohne jede Transparenz. Mit dem französischen Königsstand wird eine Palette neuer Kostüme und Waffen eingeführt, die das Ambiente auf eine edlere Stufe erheben; die eher bescheidene Denkweise der Nordmänner aus der ersten Staffel scheint einer längst vergangenen Epoche anzugehören. In nur 29 Folgen ist es „Vikings“ tatsächlich gelungen, einen vollständigen Paradigmenwechsel im Vorgehen der Krieger, Brandschatzer und Landräuber einzuleiten. Sie bleibt damit eine der wichtigsten noch laufenden Serien über eines der faszinierendsten Völker, die jemals im Fernsehen portraitiert wurden.
Fargo – Season 2
Andere Zeit, anderes Setting, gleicher Schlag: Nach der überragenden ersten Staffel „Fargo“ bleibt auch die zweite dem skurrilen Ton treu, der einstmals von den Coens vorgegeben wurde. Etwas weniger Schnee muss man in Kauf nehmen, ebenso wie einen praktisch komplett ausgetauschten Cast. Was man aber angesichts der Leistungen von Billy Bob Thornton, Colin Hanks und Allison Tolman als schweren Verlust auffassen müsste, machen Kirsten Dunst, Jesse Plemons, Patrick Wilson, Bokeem Woodbine, Zahn McClarnon und viele andere mit gewohnt schrulligen Charakteren wett.
Man könnte anfangs dem Eindruck erliegen, trotz oder gerade wegen der völlig neu aufgerollten Story mit vollständigem Figurentausch werde die Rezeptur der ersten Staffel einfach wiederholt; nicht nur zeigt sich aber später, dass durchaus eine gewisse Kontinuität über Anknüpfpunkte vorhanden ist, auch erzeugt das immer verrückter werdende Agieren der Handlungsträger einen sehr eigenen Sog. Die Ausgangskonstellation mag für den von Martin Freeman gespielten Versicherungsvertreter ähnlich gewesen sein wie nun für das von Dunst und Plemons gespielte Friseurs-Metzger-Pärchen, ebenso folgt der kausale Handlungsablauf genauso den physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Kugelstoßpendels oder einer Murmelbahn, doch schnell wächst die Akzeptanz für die neuen Figuren und man möchte ihnen Raum geben, sich frei entfalten zu können.
Mit Referenzen an das Coen'sche Gesamtwerk wird wieder nicht gespart; die exzellente Kameraarbeit fängt mit hohem Aufwand überwältigende Landschaften und liebevoll ausgestattete Interieurs ein; die Regie (wiederum in Form von Doppelepisoden bewerkstelligt) genügt höchsten Kinoansprüchen, was ganz ausdrücklich vor allem die Dialogregie inkludiert.
Eine spezielle Erscheinung mag dem Publikum zu sehr „over the top“ erscheinen, weil es die Regeln amerikanischer Kleinstadt-Krimis durchstößt; vielleicht benötigt eine Erzählung wie „Fargo“ aber hin und wieder eine solche Meta-Betrachtung, ums ich seiner lustvollen Konstruiertheit bewusst zu werden.
Weitere Sichtungen:
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Da muss ich dir bei vielen Filmen zustimmen. Auch "Dirty Grandpa", indem Zac Efron vor allem aus humoristischer Sicht sehr freudig aufzuspielen versteht. Ansonsten natürlich ein eher vernachlässigbares Filmchen.
Von der zweiten Staffel Fargo war ich ähnlich begeistert, evtl. sogar noch ein Stück mehr. Da fiebere ich doch tatsächlich schon der dritten Staffel entgegen.
Von der zweiten Staffel Fargo war ich ähnlich begeistert, evtl. sogar noch ein Stück mehr. Da fiebere ich doch tatsächlich schon der dritten Staffel entgegen.
Mit freundlichem Gruß
LivingDead
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