Filmtagebuch: Vince

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Cinefreak » 17.08.2019, 14:18

Judgement Night fand ich damals sehr stark
Unser neuestes Projekt: https://open.spotify.com/show/35s3iDdkQ12ikEFT9hOoTP - Talk rund um Filme und Serien

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 17.08.2019, 15:07

Welche Masse! :shock: Phättes Dito zu Buster Scruggs und Mid90s. :cool:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 18.08.2019, 11:51

Cinefreak hat geschrieben:
17.08.2019, 14:18
Judgement Night fand ich damals sehr stark
Ist er auch noch immer, imo

ABER @ Vince: kann es sein, dass Du Peter Greene und Denis Leary durcheinandergebracht hast? :shock: :wink:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 18.08.2019, 13:23

Welche Masse! :shock: Phättes Dito zu Buster Scruggs und Mid90s. :cool:
Ach, so viel ist das gar nicht, ich hab ja immerhin auch viele Wochen nix gepostet. Eigentlich schaf ich derzeit nur recht wenig, komme vielleicht so auf 4 Filme pro Woche maximal. Oft auch nur drei. Gab mal Zeiten, da waren das sieben pro Woche.

@StS: oh, du könntest Recht haben. Die spielen ja beide im Film mit und ich finde, das sind auch so halbwegs ähnliche Typen. Ich weiß grad gar nicht mehr, wen dann Peter Greene gespielt hat, nen einfaches Gangmitglied vermutlich?

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 18.08.2019, 15:30

Vince hat geschrieben:
18.08.2019, 13:23
Welche Masse! :shock: Phättes Dito zu Buster Scruggs und Mid90s. :cool:
Ach, so viel ist das gar nicht, ich hab ja immerhin auch viele Wochen nix gepostet. Eigentlich schaf ich derzeit nur recht wenig, komme vielleicht so auf 4 Filme pro Woche maximal. Oft auch nur drei. Gab mal Zeiten, da waren das sieben pro Woche.

@StS: oh, du könntest Recht haben. Die spielen ja beide im Film mit und ich finde, das sind auch so halbwegs ähnliche Typen. Ich weiß grad gar nicht mehr, wen dann Peter Greene gespielt hat, nen einfaches Gangmitglied vermutlich?
Greene war einer aus seiner Truppe, ja. :wink:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von LivingDead » 18.08.2019, 18:45

Schon ein in der Summe heftiger Roman, den du da nieder geschrieben hast. :D

"Stalker" fand ich damals auch stark. Einer der Filme, die ich mir unbedingt nochmal geben müsste, es mir bisher aber wohl zu schwer fiel.
"Bad Times..." empfand ich ebenso. Optisch starker Film, der seine inhaltlichen Defizite aber durch ebendiese zu kaschieren versucht. Gerade im letzten Akt macht sich dies doch schmerzlich bemerkbar. Auf gewisse Weise sehenswert war der Streifen dennoch.
Und jap, "Suspiria" war stark. Das Original habe ich allerdings bis dato nicht gesehen. :oops:
"Judgment Night" finde ich auch immer noch gut. Hab den irgendwie immer ein bisschen mit Hills "Trespass" zusammen gebracht. Aber natürlich bietet sich auch der "Predator 2"-Vergleich an. Nicht nur wegen des Regisseurs.
Ansonsten Dito zum Spider-Man und Punisher.

"Buster Scruggs" und Refns Serie muss ich noch dringend nachholen.
Mit freundlichem Gruß
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von freeman » 19.08.2019, 19:42

Dachte immer, wir hätten eigentlich eine Judgement Night Review. Erstaunlich, dass nicht... "Searching" hat mir ebenfalls gut gefallen. War ja nun nicht der erste Vertreter dieser "Art Film", aber definitiv einer der spannendsten.

In diesem Sinne:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 25.08.2019, 10:52

Shaft
Bild
Mit Sonnenbrille und karierten Hosen über die Straße schlurfen, ohne sich um die heranfahrenden Autos zu kümmern... ist das noch cool oder qualifiziert das schon fürs Altersheim? Schwer zu sagen im "Shaft" der dritten Generation, der den geschmeidigen Ruf des schwarzen Dynamits nach dem Motto "Alles oder Nichts" in die Runde wirft und nicht unbedingt als Gewinner vom Tisch geht.

Aus dem straighten Actionkrimi mit zwei bockstarken Gegenspielern, mit der die Franchise vor 19 Jahren ins Eisfach geschoben wurde, ist jedenfalls eine alberne Generationenkomödie geworden, bei der die Shafts hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt sind, weil in den Reihen der Verbrecher offenbar nicht genug Gemüse nachgewachsen ist. Natürlich war schon die 2000er Ausgabe mit Samuel L. Jackson in der Blütezeit nicht vor Peinlichkeiten gefeit, wenn vom Weiß- und Schwarz- bis zum Knäckebrot die ganze Palette von Rassen- und Potenzthemen mit überdeutlichem Augenzwinkern weggesoult wurde, doch dahinter steckte immer noch ein beinharter Rassismus-Thriller, so dass auch ernsthaft-verbissen aufspielende Darsteller wie Toni Collette und Christian Bale nicht fehl am Platz wirkten, sondern den Ton des Filmes bereicherten.

Beim Shaft 2019 hingegen dauert es nur wenige Tage, da hat man glatt den kompletten Aufhänger vergessen. Man erinnert sich bald nur noch an die Kondome, die Papa Shaft seinem Sohn zum Kindergeburtstag hat schicken lassen, an kuriose Tanzduelle in der Disco und an den glänzenden Bart Jacksons, der soeben beim Sex gestört wurde. Noch dazu stellt das Drehbuch eine These auf, der Neuzugang Jessie Usher nicht standhalten kann: Coolness sei erlernbar. Aber selbst das Shaft-Intensivprogramm macht aus einem weichgespülten Bücherwurm keinen eiskalten Privatdetektiv. Der aus dem Generationenkonflikt gewonnene Humor mag auf ein sehr spezielles Publikum zugeschnitten sein und für dieses auch funktionieren. Problematisch wird es eben nur, wenn diese Art von Selbstverballhornung alles ist, was so ein Film an Reflektion zustande bringt. Trotz Roundtree (der aber auch erst sehr spät eingreift), trotz Jackson in Hochform - auch ein Shaft braucht einen anständigen Fall, um sich seine Glatze daran geschmeidig zu polieren.
:liquid4:

(Jetzt auch mit richtigem Kurzkommentar):
Cabal
Bild
Als Karneval der surrealen Masken kann Clive Barkers zweite und vorletzte Regiearbeit nach wie vor eine gewisse Faszination ausüben, zumal es eine aussterbende Handwerkskunst ist, die hier ausgestellt wird. In den ausgefallenen Kulissen eines verwilderten Gartens voller Ruinen mitsamt eines unterirdischen Labyrinths scheint die Zeit verlangsamt; die Farne wehen in leichter Bewegung im Wind, das ausgeprägte Filmkorn scheint die Physik stoppen zu wollen und die Monster rauschen wie Geister an der Kamera vorbei. Man benötigt an einigen Stellen schon eine Standbildfunktion und muss eine Bild-für-Bild-Analyse anfertigen, um jedes einzelne Kostüm zu würdigen. Das Creature- und Artdesign folgt dabei überdeutlich den großen Fußstapfen von "Hellraiser". Es ist vom Wunsch beseelt, eine unergründliche Dimension der Dunkelheit zu erschaffen, die in Bezug auf Geist, Fleisch, Lust und Schmerz nach völlig anderen Regeln ausgelegt ist als die unsere.

Gerade dies gelingt dem Autoren nach seinem vielbeachteten Regiedebüt allerdings diesmal nicht. Nachdem er das Reich der Kreaturen mit einer Kultur und sogar einem sozialen Konstrukt ausstattet, wird es nicht mehr länger von der Aura des Unergründlichen umweht. Man sieht nur noch Schauspieler unter monströsem Latex anstatt der Dämonen in Menschengestalt, die in "Hellraiser" für Alpträume sorgten. Selbst wenn die Maskenbildner zu drastischen Mitteln greifen und Haut von Muskelsträngen lösen, bleibt es am Ende eben nur eine Verkleidung. Einzig David Cronenberg und seine Scarecrow-Maske verschmelzen zu einer überzeugenden Abnormität, was auch seiner beängstigend klinischen Darstellung zu verdanken ist. Einem Film wie "Freaks" hat gerade das zu seiner Menschlichkeit verholfen; entsprechend kontraproduktiv wirkt es sich in Barkers Welt des Horrors aus.

Auch Hauptdarsteller Craig Sheffer bleibt als Grenzgänger zwischen den Dimensionen blass, zumal sich die Motivation für sein Handeln als ein reines Stereotyp entpuppt. Es bleibt also nur das stimmungsvolle Ambiente und die spektakuläre Masse an handgemachten Effekten aus der Oberklasse, wegen derer "Cabal" in gewisser Weise sehenswert geblieben ist.
:liquid6:

1922
Bild
Das "verräterische Herz" pocht diesmal nicht unter Holzdielen, sondern aus einem verschütteten Brunnen heraus, doch das anklagende Geräusch bleibt dasselbe. Risse in der Wand, wuselnde Ratten, die an die Oberfläche dringen, derartige Metaphern für das nagende Gewissen ziehen sich wie ein roter Faden durch die klassische Schauerliteratur. Stephen King hat diesem Allgemeinplatz mit seiner Novelle "1922" wohl einfach seinen eigenen Stempel aufzudrücken versucht, um sich in die Garde amerikanischer Schriftsteller einzureihen, die gerne auf Tuchfühlung mit ihren Wurzeln gehen.

Diese Grundlagen machen aus Zak Hilditchs Verfilmung automatisch eine hochgradig altmodische Angelegenheit, deren Ablauf nicht allzu schwer vorherzusagen ist. Das gilt erst recht bei dem sehr beschränkten Handlungsrahmen, der sich lediglich um 70 Hektar Land und altmodische Wertvorstellungen dreht. Was soll man da auch groß experimentieren?

Doch natürlich gehört gerade die Vorahnung zu den Haupteigenschaften des Suspense. Insofern könnte man auch sagen, dass die Vorhersehbarkeit des Drehbuchs zu seinen Stärken gehört. Gerade weil man weiß, was passieren wird, gewinnt das Unvermeidliche eine gewisse Intensität. Hinzu kommt die äußerst hochwertige Produktion: Der Kamera gelingen edle Einstellungen außerhalb und beklemmende Perspektiven innerhalb des Hauses, Thomas Jane legt sich enorm ins Zeug und Mike Patton entwirft einen grollenden Soundtrack, der das Drama bereits in den Abgrund des Horrors zieht, bevor die Schuldgefühle Unheimliches auf der Leinwand manifestieren. Vor allem Anfang und Mittelteil sind dadurch von dunklem Fatalismus durchzogen, der sich in der Einsamkeit spielend durchsetzt. Klug auch, dass dabei das begrenzte Budget im Auge behalten wird. Abgesehen von einer weniger gelungenen Einstellung, in der für Sekundenbruchteile schlecht ausgearbeitete CGI zum Einsatz kommen, beschränkt man sich auf dunkle Schatten im Flur, verfilzte Nagetiere auf dem Fußboden und ein wenig Make-Up für Heimkehrende aus dem Reich der Toten. Ein später noch hastig eingearbeiteter Subplot der Marke "Bonnie & Clyde" erscheint seltsam abseitig, was aber wiederum zur Perspektive des Familienvaters passt, aus dessen Sichtfenster heraus der Wahnsinn schließlich langsam in die Leinwand tröpfelt.

Dessen ungeachtet bleibt nicht allzu viel zurück, denn letztlich ist "1922" nichts anderes als der x-te Rückgriff auf die Werkzeuge des Edgar Allen Poe. Für die Dauer seiner Laufzeit verbreitet die King-Adaption eine beklemmende Stimmung, von der aber Minuten nach dem Abspann bereits nichts mehr zu spüren ist. Für eine Nachwirkung darüber hinaus hätte das Schicksal der Farmerfamilie vielleicht weniger nach historischem Holzschnitt und mehr nach menschlicher Tragödie aussehen müssen - obwohl gerade Thomas Jane alles in die Waagschale legt, um den Film in die letztere Richtung kippen zu lassen.
(Gute)
:liquid5:

One Cut of The Dead
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Schon wieder so ein bescheuerter Amateurfilm in Digitalkamera-Optik. Natürlich mal wieder im Found-Footage-Stil. Mit Zombies. Blau angemalt, als wolle man Tom Savini, dem Meister der Make-Up-Effekte, huldigen. Dabei winden sich bei weitem schon genug Fans in dessen Staub. Ein Wunder auch, dass das Filmteam überhaupt noch eine leerstehende Fabrikanlage gefunden hat; man sollte glauben, dass sie alle schon auf Monate ausgebucht sind. Entweder von anderen Nachwuchs-Hitchcocks, die Weißgottwas auf ihr eigenes Talent geben, oder von irgendeiner dahergelaufenen Heavy-Metal-Kapelle, die sich gerade für ihr neues Musikvideo filmen lässt. Immerhin können dann in der Drehpause alle zusammen Mittagessen gehen und den Black-Metal-Musikvideoregisseuren aus dem Wald gleich noch ein Bierchen vorbeibringen. "One Cut Of The Dead" bringt sich in Position wie so ziemlich jede Billighorrorproduktion aus aller Herren Länder: Hässliche Kulissen, schwachsinnige Dialoge, massig Anschlussfehler, eine Kameraführung, die seekrank macht, Schauspieler, die als Äquivalent für Notdurft durchgehen, kein Interesse an Dramaturgie oder Kontinuität. Und dann ist das Ganze auch noch ein Meta-Film, der die Dreharbeiten in die Handlung mit einbezieht, also auf das allseits berüchtigte Film-im-Filmgerüst herauszoomt. Da ist er wieder, jener Hauch von Postmoderne, für den der Amateurfilmer besonders anfällig ist, weil er regelrecht berauscht ist von dem bloßen Umstand, dass er hier überhaupt gerade einen Film dreht.

Als dann aber nach etwa einer halben Stunde der Abspann einsetzt, geht es endlich los. Ja, es bleibt meta und die Fähigkeiten der Filmemacher-im-Film verwandeln sich vom Neustart wachgeküsst auch nicht gerade von der Kröte in eine wunderschöne Prinzessin, aber plötzlich hat dieser Film etwas zu sagen, was andere allerhöchstens zu implizieren wussten. Im Schnitt wurde die verdammt mutige Entscheidung gefällt, das "One Cut" wirklich durchzuziehen und ewig lange darauf zu beharren, dass es sich hier um handelsüblichen Trash handelt, der von den direkt Beteiligten abgefeiert und vom Rest der Welt in der Tonne entsorgt wird. Schließlich werden nun 33% aller Zuschauer (diese Zahl ist natürlich eine reine Schätzung ohne statistische Grundlage) niemals erfahren, worum es eigentlich geht, weil sie schon beim ersten Heulkrampf des Zombie-Opfers abschalten.

Dabei ist "One Cut Of The Dead" in einer harsch gewordenen Kritiker-Kultur, in der sich jeder Kritiker nennen darf, der mal einen Film gesehen hat, von besonderer Relevanz. Es ist schließlich zum Volkssport geworden, Filme in der Luft zu zerreißen. Je härter, desto besser, müssen doch fleißig Likes geerntet und Follower an Land gezogen werden.

Indem nun die Mühe und der Einfallsreichtum direkt auf der Leinwand gezeigt werden, mit denen sogar noch ein Schundwerk wie "One Cut Of The Dead" versehen ist, gewinnt man natürlich nicht den zynischen Kritiker, der durchaus zu Recht einwirft, dass es nicht um den Aufwand geht, sondern um das Ergebnis, und dass der Einwurf "mach es doch erst einmal selbst besser" ein inhaltsleeres Totschlagargument ist. Trotzdem ist es schön, dass sich mal wieder jemand die Mühe macht, das in Schieflage geratene Verhältnis zwischen Produktion und Rezeption zu thematisieren. Wenn es dann auch noch in einer so charmanten, fast schon knuffeligen Art und Weise geschieht, um so besser. Es muss ja nicht immer gleich der Stinkefinger sein.
:liquid7:

Stranger Things / Stranger Things 2 / Stranger Things 3
Bild
"Stranger Zone" wäre ein schöner Alternativtitel gewesen, wenn man es sich recht überlegt. Schließlich liegt es in der Absicht der Duffer-Brüder, Zonen zu überschreiten. Vom Digitalen ins Analoge, vom Normalen ins Paranormale, vom Jahr 2016 ins Jahr 1983. Selbst die Buchstaben des neonrot leuchtenden, langsam von außen ins Bild gefahrenen Titels sind eine typographische Nachbildung der "Twilight Zone" und der "Dead Zone". Der Kaninchenbau ist nur einen Schritt weit entfernt; in der Asthöhle eines Baumes im angrenzenden Wald vielleicht oder auch gleich hinter der Tapete der Wohnzimmerwand. Die Figuren gleiten zwar regelrecht willenlos durch das Erlebte, durchstoßen dabei aber ungewollt harte Barrieren, als würden sie in einer Kabine mit aktiviertem Steigbügel durch eine Geisterbahn gefahren werden, während sich alle paar Meter die Szenerie komplett verwandelt. So viel zur Wahrnehmung einer Gruppe Heranwachsender; so viel zum Coming-Of-Age.

So wie sich die Felgen der BMX-Räder im Mondschein spiegeln und die Zimmer der Jugendlichen mit Postern von Mystery- und Horrorklassikern tapeziert sind, muss man sich keinerlei Hoffnung machen, dass die echten 80er Jahre wieder zum Leben erweckt werden, so wie sie damals erlebt wurden. "Stranger Things" ist vielmehr eine Schein- und Kunstwelt, gebunden an Phänomene der damaligen Popkultur. Die gesamte Ästhetik der Produktion bezieht sich auf die fiktive Filmrealität, die zu jener Zeit das Kino beherrschte. Wenn man davon ausgeht, dass es im Phantastischen Kino der 80er hauptsächlich um Eskapismus ging, könnte man also sogar behaupten, mit den 80ern im eigentlichen Sinne habe das alles gar nicht viel zu tun. Das eigentliche Monster der ersten Staffel ist also vielleicht nicht der Demogorgon, der bemerkenswerterweise - gar nicht mal so stilecht- mit dem Computer zum Leben erweckt wurde anstatt durch Animatronik und Puppeneffekte. Es ist die Serie selbst, ein perfider Gestaltwandler, der sich als etwas ausgibt, das er nicht ist.

Die Trigger funktionieren natürlich dennoch. Angehörige der Geburtenjahrgänge 70er bis frühe 80er müssten schon sehr emotionslos sein, um diese Serie nicht zumindest mit einem nervösen Zucken zu registrieren. Schließlich ist eine komplette Generation gerade durch all diese bunten Klassiker miteinander verbunden, die von den Duffers so eifrig zitiert werden. Weil die zunächst achtteilige Serie auch noch die Dramaturgie eines langen Kinofilms verfolgt, wird es wohl auch nicht viele Querein- oder Aussteiger gegeben haben; wenn man überhaupt Pausen einlegt, dann am Ende einer Staffel. Die Folgestaffeln würden das filmische Konzept dann auch fortführen; eine große "2" bzw. "3" hinter der Titeleinblendung zeugt davon, dass man sich eher als klassische Movie Franchise versteht.

So wird man also von vorne bis hinten mit Fragmenten bedient, die an das drei Jahrzehnte jüngere Ich in uns appellieren, und das mit einer analytischen Präzision, die mehr als berechnend wirkt. Der Netflix-Kunde ist hier die Art König, die von von ihren Dienern genau das bekommt, was sich in ihren Gesichtern ablesen lässt... was bekanntermaßen nicht immer zum Glück führt. Vielleicht fühlt sich das Ende der ersten Staffel deshalb so leer an, vielleicht bleibt deshalb trotz allerbester Unterhaltung ohne eine Spur von Leerlauf so wenig zurück: Was fehlt, ist das überraschende Moment, die eine schief gespielte Note oder eben der kleine Kniff, der gerade deswegen so gut passt, weil er nicht so schrecklich vorhersehbar ist.

Dabei macht gerade die erste Staffel nichts offenkundig falsch. Kinder zu den Leads zu erklären, ist eine riskante Entscheidung, die aber letztlich belohnt wird. Angetrieben von teils außergewöhnlichen Darstellern ist ihre Gruppendynamik zweifellos das Herz der Serie, wobei vor allem Finn Wolfhard, Gaten Matarazzo und natürlich Millie Bobby Brown wie Sprungfedern auf den Kreislauf der Kleinstadtkonstruktion einwirken. Dazu kommen sehr gut gecastete Erwachsenen-Darsteller wie Winona Ryder und David Harbour. All diese Figuren sind natürlich reinste Abziehbilder der Marke "Goonies" oder "Monster Squad", aber so gut wie alle Hauptfiguren wissen die Klischees sehr charmant über den Bildschirm zu geleiten. Lediglich bei den Nebenfiguren wie Nancy (Natalia Dyer) und Steven (Joe Keery) geht der Plan noch nicht ganz auf, die Schablonen zu durchbrechen und mit ungewöhnlichen Entwicklungen zu überraschen.

Die zweite Staffel ist vielleicht auch deswegen die schwächste, weil es ihr nicht gelingt, an diesem Umstand etwas zu verändern. Obgleich sie sich angeboten hätte, eine komplett neue Bedrohung auf den Plan zu bringen, begnügt sie sich lieber damit, die Mythologie der ersten Staffel nach Vorbild des "Alien"-Zyklus auszudehnen. Neue Nebenfiguren wie die jungenhafte Max (Sadie Sink) und ihr rüpelhafter Bruder Billy (Dacre Montgomery) oder der herzlich-naive Everyman Bob (Sean Astin) erweitern das Repertoire und zementieren den Eindruck, dass jetzt alles ein bisschen größer und vielfältiger wirkt. Neben dem Cast gilt das auch für das Setting, die Effekte, die Menge der Subplots und die Bedrohung, die durch einen spinnenartigen Monolithen erweitert wird. Nebenbei erkundet die mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Eleven ihre Ursprünge im Stil einer Origin-Geschichte, was die ganze Geschichte viel zu nah an den Rand aktueller Superheldenverfilmungen befördert - ein Bezug zur Jetztzeit, den man eigentlich um jeden Preis hätte verhindern müssen. Überhaupt zeigt eine letzte herzzerreißende Szene auf dem Schulball, dass es längst nicht mehr die Monster und Spezialeffekte sind, bei denen die Serie ihre Stärken ausspielt, sondern die immer noch sehr jungen Charaktere, die einem langsam ans Herz wachsen.

Es würde aber letztlich bis zur dritten Staffel dauern, bevor sich das Abziehbild von der Vorlage endlich komplett lösen würde. Nicht nur die Darsteller haben nach zwei Jahren Drehpause einen gewaltigen Schuss in die Höhe gemacht, auch die Welt, in der sie leben, hat sich extrem gewandelt. Eine große Mall wird zum Hauptschauplatz von "Stranger Things 3". Oft in Aufsicht abgefilmt, verheißt sie für die frisch gebackenen Teenager eine aufregende Zukunft, die zugleich einen Abschied von der Ungezwungenheit aus Kindheitstagen bedeutet. Selbst wenn die Serie im dritten Jahr mit einigen Charakteren eine Spur zu hysterisch umgeht (allen voran David Harbour, dessen Rolle zum lebenden HD-Männchen in Miami-Vice-Montur umgeschrieben wurde, womit er aber die Coolness eines Tom Selleck auch wieder herzhaft demontiert), weiß sie doch wieder besonders schöne Dinge mit der zentralen Gruppe anzustellen. Und diesmal funktionieren sogar die Nebenfiguren: Joe Keery hat sich längst vom Ekelpaket zum Sympathieträger gemausert, Maya Hawke kitzelt diese Eigenschaften vielleicht erst aus ihm heraus, Dacre Montgomery gibt der bis dahin deformierten Bedrohung ein menschliches Gesicht und Sadie Sink, so nervig ihre Rolle inzwischen auch angelegt ist, stellt Wunderbares mit dem Dreh- und Angelpunkt der Serie an, denn durch sie wird Millie Bobby Brown zur ganz normalen Teenagerin, die sich so irrational verhält, wie sich Mädchen in diesem Alter eben verhalten - was herrliche Szenen rund um die Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Geschlechtern zur Folge hat.

Darüber hinaus hängen die Filmzitate diesmal nicht mehr bloß an der Wand, sondern sind schlüssig in den Plot eingebettet. Die Zombies von George A. Romero, das "Ding" und die "Körperfresser" legen sich auf das Kleinstadtgebälk nieder und sorgen für die bislang schönsten Bilder der gesamten Serie, die natürlich aufgrund des anhaltenden Erfolgs inzwischen auch mehr Budget zur Verfügung hat. So fleischig-schleimig, wie die Kreatur inzwischen Menschen in sich aufsaugt, könnte man beinahe vergessen, dass die sich auflösenden Körper offensichtlich wieder nur mit dem Computer realisiert wurden. Und doch - was wären das für tolle Bilder gewesen, hätte man für das Finale im Feuerwerk eine gigantische animatronische Puppe in der Mall aufgestellt. Dann hätten die Duffer-Brüder die Herzen der Zielgruppe vielleicht ein für allemal gewonnen.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von MarS » 26.08.2019, 12:03

Nach 3 Staffeln Stranger Things bin ich doch ziemlich ernüchtert. Klar sind die Zitate gut eingearbeitet, sie sorgen aber auch dafür, dass die Serie insgesamt recht spannungsfrei bleibt. Gerade Staffel 2 und 3 zeigen fast ausschließlich schon gesehenes. An sich ist das ja nichts unübliches. Hier fühlt es sich aber so runtergespult an. Allgemein ist mir dies Serie zu viel Fanservice, wobei es aber alles nur nach 80er aussieht, es sich aber überhaupt nicht danach anfühlt. War mir alles zu sehr aufgesetzt. Insgesamt fehlt es der Serie zudem an Inhalt. Wirklich viel passiert in den 3 Staffeln ja nicht. Ein großer Vorteil ist aber, dass sich die Serie nicht zu Ernst nimmt.

Vom großen Hype ist bei mir jedenfalls nicht viel angekommen.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 26.08.2019, 17:54

Ist ja genau meine Rede. Die 7/10 drücken schon auch milde Enttäuschung aus, denn eigentlich müsste es bei diesem Stoff bei mir für 9/10 reichen, wenn richtig gut gemacht.
Allerdings finde ich halt schon, dass sich die Serie gerade jetzt in der dritten Staffel etwas von den Schablonen zu lösen beginnt.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 27.08.2019, 10:01

Obwohl wir bei der Bewertung jetzt keine Welten auseinander sind (bei mir sind es inzwischen knappe 9/10), kann ich deine/eure Einschätzung in diversen Punkten nicht teilen.

Zum einen halte ich Season 2 klar für die beste: Das "Aliens"-Style-Finale, der verstärkte Coming-of-Age-Aspekt (den ich in Season 3 dann mehr mochte als den Mainplot), die fantastische Winterballsequenz - die Staffel hat (für mich) viele Magic Moments. Auch den Bezug zu den Superhelden/Superkräften halte ich nicht für deplatziert: Bereits in den 1980ern waren "Batman"- und "Superman"-Filme Kassenschlager und die Comics wurden von den Kindern massenhaft gelesen - in Seasion 3 startet Max (die auch überhaupt nicht nervig finde) ja ihr Mentoring von Eleven über den Comicbezug.
Ich finde auch auch nicht, dass (zu) wenig passiert. Es sei denn, man geht vom reinen Verschwörungsplot aus. Denn da ist ja auch viel Zwischenmenschliches drin.

Zum anderen zur Frage der Schablonenhaftigkeit bzw. fehlenden Eighties-Atmosphäre. Ich mit Baujahr 1983 habe jetzt nur Kindheitserinnerungen an die 80er, aber ich frage mich: Wie soll das gehen, echte Eighties-Atmosphäre? Dass "Stranger Things" Fanträume bebildert, da gehe ich d'accord, aber die Erweckung vergangener Jahrzehnte durch Figuren, visuelle Codes etc. erfolgt doch vor allem über die Popkultur - Tarantino macht es doch auch nicht wirklich anders. Ich finde "Stranger Things" da schon "authentischer" als die ganzen bemühten Retro-Trash-Geschichten ("Kung Fury", "Commando Ninja" usw.), die ja das Bild vermitteln, dass jeder Film der 1980er so durchgeknallt wie "Buckaroo Banzai" oder "Lance - Stirb niemals jung" gewesen wäre. Noch näher dran sehe ich allenfalls vielleicht "House of the Devil" (aber auch der ruft die Codes eines bestimmten Subgenres ab, des Italohorrors der 1980er, nur eben gänzlich ironiefrei) und eventuell noch die "Es"-Verfilmung von 2017 (und der ist ja nicht unerheblich von "Stranger Things" beeinflusst). Ich finde es auch schön, dass die Zitate oft nicht um des Zitats willen da sind, sondern auch Bedeutung haben - z.B. wenn in einem Kino "The Stuff" läuft und ein ähnliches Monster durch die Gegend marodiert.
Auch aus den Schablonen wird ja immer mal wieder ausgebrochen:
Spoiler
Show
Da mag Season 3 tatsächlich am stärksten sein - etwa wenn die angedeutete Dork-Jock-Romanze eine ganz andere Wendung nimmt als in den Teen-Comedys der 1980er. Aber ich bin mir sicher, dass ich solche Momente auch in den vorigen Staffeln finde, ich jetzt gerade nicht mehr so parat habe.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 27.08.2019, 13:17

Als jemand, der als Kind in den 80ern in den USA gelebt hat, habe ich mich an sehr viele Dinge erinnern können, welche die Serie zeigt. Auch wenn ich genau das Jahrzehnt in Filmen per se nicht so prickend finde, da modisch und so ein Albtraum :wink: ...die Ausstattung ist schon klasse zusammengestellt worden. Ansonsten bin ich innerhalb dieser Diskussion eher bei Nils, da ich meine Wertung der bisherigen 3 Seasons auch klar oberhalb einer 7/10 sehe. Ob das nun alles "atmosphärisch dicht" ist... nunja. Aber ich hatte mein Vergnügen mit den vielen Zitaten und "Sight-Gags".

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von MarS » 27.08.2019, 15:28

Puh, nach dem vielen Gegenwind, muss ich erst mal aufräumen.

Erst mal vorweg: Stranger Things ist technisch sauber umgesetzt und wahrlich besser als viele andere Retro-(Trash)-Veröffentlichungen. Ich erwarte auch keine "echte Eighties-Atmosphäre". Ich hätte mir aber mehr Flair gewünscht. Als Beispiel sei mal The Hole von Joe Dante genannt, der das Feeling der alten Tage besser eingefangen hatte. Gerade die bekannten 80er Coming-of-Age-Filme bestachen dadurch, dass sie hochgradig sympathisch waren und das ist Stranger Things nur bedingt. Mich haben die Charaktere jedenfalls nur wenig erreicht.

Ich finde nicht, dass da zwischenmenschlich einiges passiert. Die Beziehungskisten sind bis auf wenige Wendungen und Aufplusterungen, welche teils witzig und teils zum Kopfschütteln sind, relativ geradlinig. Gerade so manche Nebengeschichte, wie die von Elfi in Staffel 2, hätte man doch besser gelassen. Wenn das sympathischer rüber gebracht worden wäre, dann wäre das aber sonst sogar ein Pluspunkt für mich. Wenn dann aber wiederum der phantastische Teil, also der Mainplot um die mehr bieten würde. In Staffel 1 war die Parallelwelt interessant, aber auch da streckte sich die Sache schon. In Staffel 2 und 3 stopft man das Ganze dann in eine Zitat- und Reminiszenz-Welt, wobei der Ansatz aus Staffel 1 weitestgehend verpufft. Und somit kommt man dann zu den Hauptschauwerten der Serie Zitate und Anspielungen auf die 80er, Fanservice pur. Ich gönne jedem seinen Spaß damit. Mich erreicht Stranger Things damit aber nur zu Teilen.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 27.08.2019, 16:16

Zum anderen zur Frage der Schablonenhaftigkeit bzw. fehlenden Eighties-Atmosphäre. Ich mit Baujahr 1983 habe jetzt nur Kindheitserinnerungen an die 80er, aber ich frage mich: Wie soll das gehen, echte Eighties-Atmosphäre? Dass "Stranger Things" Fanträume bebildert, da gehe ich d'accord, aber die Erweckung vergangener Jahrzehnte durch Figuren, visuelle Codes etc. erfolgt doch vor allem über die Popkultur - Tarantino macht es doch auch nicht wirklich anders.
Diese Fragestellung ist exakt die, auf die ich mich in meiner neulichen Mid90s Bewertung bezog. Der Streifen hat genau das geschafft, hingegen ist es ansonsten, wie du richtig erwähnst, immer nur ein reiner Zitatereigen durch zeitgenössische Gimmicks.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 27.08.2019, 17:07

@ MarS

Natürlich, wenn dich die Figuren nicht erreichen, dann kann man nichts machen. Ich kann ja auch nur meine Sicht der Dinge darlegen, denn mich persönlich hat die Mike-Eleven-Beziehung (Elfi ist vermutlich der Name in der deutschen Synchro) eben sehr angesprochen. Zählt für mich zu den Herzstücken der Serie; wenn das für einen nicht funktioniert, dann wird es schwer.
"The Hole" dagegen fand ich ganz nett, aber der hat mich nicht umgehauen, gerade als ich ihn beim zweiten Mal als Abschluss einer Joe-Dante-Retro sah.

@ SFI

"Mid90s" hab ich trotz Interesse bisher noch nicht gesehen. Aber auch hier bleibt die Frage: Was sind die echten 1990er für jemanden? Für den einen Grunge ist vielleicht das Nineties-Gefühl, für den anderen Rave - und beide haben je nach Subkultur recht. Die technischen Aspekte, die du da aufzählst, mögen das verstärken, sind jetzt aber nicht genuin Nineties. Wie gesagt: ohne den Film gesehen zu haben, nach Sichtung kann ich das besser beurteilen.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 27.08.2019, 17:13

Die zweite Staffel hängt einfach ganz massiv in der Luft und begeht dabei im Grunde all die klassischen Fehler einer typischen Fortsetzung - dasselbe nochmal in Grün, nur halt alles eine Nummer größer und actionreicher. Sie ist ja auch zeitlich wesentlich näher an der ersten Staffel als die dritte an der zweiten und das merkt man leider auch daran, dass man das Gefühl hat, alles, was in Staffel 2 gezeigt wurde, kannte man schon aus der ersten. Ich fand es gut, dass zwischen Nr. 2 und 3 fast zwei Jahre gelegen haben, denn plötzlich hat man es mit einer ganz anderen Ausgangslage zu tun. Die Probleme der Jugendlichen sind völlig neue, weil sich die Welt für sie extrem weitergedreht hat.

Das mit den Comics stört mich übrigens inhaltlich gar nicht - es geht darum, dass die Inszenierung bzw. die ganze Ästhetik wie aus einem 2017er Marvel-Streifen wirkt. Den Comic-Bezug hätte man visuell wesentlich interessanter gestalten müssen, halt näher an der eigentlichen Zeit - so wie es zB. "Professor Marston & The Wonder Women" mit den 40ern gemacht hat.

Die Ball-Szene habe ich ja ebenfalls als ein Highlight ausgemacht. Spätes Erwachen, würde ich sagen. Bis zu dieser letzten Sequenz der letzten Folge sehe ich von der Magie nicht viel.

Ansonsten: man kann die 80er nicht zurückholen, aber man kann sich ein wenig mehr Mühe dabei geben, das Ganze nicht allzu sehr wie eine extra hergerichtete Matrix aussehen zu lassen. Alleine die ganzen Poster, die da in der ersten Staffel ohne Sinn und Verstand die Wände plakatieren. Noch mehr Holzhammer geht nicht. SFI hat gerade das allerbeste Gegenbeispiel gebracht: in "Mid90s" hat man echt das Gefühl, in der Zeit zurückgefallen zu sein - obwohl auch da über T-Shirts & Co. viel vom Zeitgeist in Form von Zitaten eingebracht wird. Aber da steckt eben noch mehr dahinter. Richtig stark ausgearbeitete Charaktere, die schon gar nicht mehr wie Filmrollen wirken.

Ich mag die Kids aus Stranger Things durchaus (ganz besonders Gaten Matarazzo übrigens), aber sie werden schon so ein bisschen wie Schachfiguren über das Feld geschoben und können daher gar nicht aus ihrer Formel ausbrechen. Das wird wie gesagt erst in Staffel 3 etwas besser. So sehr ich den Stoff mag, die Produktion hat aber leider schon diesen künstlichen Glanz, der ja auch überhaupt erst dazu führt, dass die Serie so erfolgreich ist.

Diese Dinger Marke "Kung Fury" wiederum sind ja ein ganz anderes Spielfeld, bei dem es um ganz andere Dinge geht.

Und ob "ES" von "Stranger Things" beeinflusst ist... ich sag mal so, die Produzenten bei Warner Brothers haben die Zeichen der Zeit erkannt und im Fahrwasser des Erfolgs die Neuverfilmung in Auftrag gegeben, aber angesichts der Einflüsse, die "Stranger Things" aufführt, muss man da schon ganz klar von einer Huhn-oder-Ei-Situation sprechen.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 28.08.2019, 07:04

@McClane: Vince hat es in seiner Ergänzung schon formuliert und dass es unterschiedliche Subkulturnostalgier gibt, tut der Sache keinen Abbruch. In Mid90s wurde ja die Skaterszene thematisiert und dazu noch in den USA. Damit hatte ich aktiv nix zu schaffen und dennoch transportierte der Streifen MEIN damaliges Lebensgefühl. Es war als ob ich eine alte VHS Aufnahme sah.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 29.08.2019, 11:00

Für mich war in Season 2 genug Variation drin, gerade mit den kleinen Monstern, die sich anfangs wie Haustiere gebären (oder zumindest dafür gehalten werden), im Gegensatz zum Schaut-manchmal-bei-uns-vorbei-Demogorgon der ersten Season, Eleven, die nun ihre Kräfte besser kennt und nicht mehr vollkommen autistisch erscheint, das neue Level der Beziehung zwischen ihr und Mike usw. Natürlich macht Season 3 die größeren Sprünge, was der intra- wie extradiegetisch vergangenen Zeit geschuldet ist, aber ich sehe das eher graduell: Der Mindflayer war für mich jetzt auch nicht weit weg von vorigen Monstren und so ein großer Unterschied ist es für mich jetzt auch nicht, ob skrupellose US-Wissenschaftler oder Evil Russains am Dimensionsportal werkeln.
Vince hat geschrieben:
27.08.2019, 17:13
Ansonsten: man kann die 80er nicht zurückholen, aber man kann sich ein wenig mehr Mühe dabei geben, das Ganze nicht allzu sehr wie eine extra hergerichtete Matrix aussehen zu lassen. Alleine die ganzen Poster, die da in der ersten Staffel ohne Sinn und Verstand die Wände plakatieren. Noch mehr Holzhammer geht nicht.
Sowohl ich als auch meine Schwester und meine Freunde hatten in unserer Kinder- und Jugendzeit Poster in den Zimmern hängen. Und so ohne Sinn und Verstand hab ich das Ganze nicht in Erinnerung: "Tanz der Teufel" verweist auf das Böse im Wald, "The Thing" auf den Body-Horror-Aspekt, der ja vor allem in Season 2 wichtig wird usw. Zumindest waren die in Season 1, wenn ich mich richtig entsinne.
Die Feeling-Diskussion führen wir am besten weiter, wenn ich "Mid90s" gesehen hab, dann kann ich das selbst beurteilen.
Vince hat geschrieben:
27.08.2019, 17:13
Und ob "ES" von "Stranger Things" beeinflusst ist... ich sag mal so, die Produzenten bei Warner Brothers haben die Zeichen der Zeit erkannt und im Fahrwasser des Erfolgs die Neuverfilmung in Auftrag gegeben, aber angesichts der Einflüsse, die "Stranger Things" aufführt, muss man da schon ganz klar von einer Huhn-oder-Ei-Situation sprechen.
Jein. Natürlich ist "Stranger Things" das uneheliche Kind von King und Spielberg, aber manche Stilentscheidung bei der Neuauflage (Verlegung in die Eighties, Besetzung von Finn Wolfhard) kann ich mir schwer ohne "Stranger Things" vorstellen. Es macht zwar sehr viel Sinn, schließlich bringt er Leser der ersten Stunde in deren eigene Jugend (= Erscheingszeit und vermutlichen Erstkontakt mit dem Buch) zurück, aber ich weiß nicht, ob das der alleinige Gedanke war. Die Eighties ziehen halt gerade auch gut.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von MarS » 29.08.2019, 11:48

Vince hat geschrieben:
27.08.2019, 17:13
... man kann sich ein wenig mehr Mühe dabei geben, das Ganze nicht allzu sehr wie eine extra hergerichtete Matrix aussehen zu lassen.
McClane hat geschrieben:
29.08.2019, 11:00
"Tanz der Teufel" verweist auf das Böse im Wald, "The Thing" auf den Body-Horror-Aspekt ...

Die beiden Aussagen beschreiben genau mein Problem mit dem Feeling der Serie. Genau diese Verweise lassen das Ganze eben wie eine Matrix aussehen und es fühlt sich für mich alles stark nach Fanservice an. In Staffel 3 kommt dann der Body-Invasion-Aspekt hinzu. Anstatt also den eigentlich interessanten Aspekt der Parallelwelt weiter zu stricken, legt man den Fokus auf den Anstrich und schaut, was man noch nicht verwurstet hat. Das führt z.B. dazu, dass
Spoiler
Show
jetzt schon 3mal im Finale ein Portal geschlossen wurde.
Durch die Wiederholung wird es für mich nicht spannender und es zeugt auch ein wenig von Ideenlosigkeit.

Ich will die Serie nicht schlecht reden, dieser Aspekt macht für mich aber viel kaputt.

Nimmt man mal z.B. Kung Fury im Gegensatz dazu, dann hat man hier auch den Anstrich, aber stark überzeichnet, haufenweise Zitate, Anspielungen und mit The Hoff auch personell Fanservice in Reinkultur. Kung Fury hat aber eine eigene Note und lebt von einem extrem charismatischen Hauptdarsteller. Genau so etwas fehlt in Stranger Things.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 29.08.2019, 18:01

McClane hat geschrieben:
29.08.2019, 11:00
Natürlich macht Season 3 die größeren Sprünge, was der intra- wie extradiegetisch vergangenen Zeit geschuldet ist, aber ich sehe das eher graduell: Der Mindflayer war für mich jetzt auch nicht weit weg von vorigen Monstren und so ein großer Unterschied ist es für mich jetzt auch nicht, ob skrupellose US-Wissenschaftler oder Evil Russains am Dimensionsportal werkeln.
Ach, das ganze Zeug juckt mich eh nicht besonders, der Plot ist mir bei der Serie eigentlich ziemlich wumpe. Die besten Momente hat die Serie, wenn sie sich ganz auf die Hauptfiguren konzentriert und die sozialen Regeln innerhalb der Gruppe beleuchtet. Das, was drumherum passiert, ist nur ein Katalysator dafür.
Sowohl ich als auch meine Schwester und meine Freunde hatten in unserer Kinder- und Jugendzeit Poster in den Zimmern hängen.
Na klar, ich auch, aber doch nicht so, wie sie da hingen. Ich hatte auch mal Pam aus der Bravo da hängen, irgendwo eine Gunners-Flagge oder ein NBA-Wimpel, aber doch nicht alles plakatiert mit irgendwelchen Horror-Klassikern, die da in Hochglanz von der Wand lächeln. Die Poster-Auswahl ist eine klare Design-Entscheidung und als solche leider auch überdeutlich zu entlarven.
Und so ohne Sinn und Verstand hab ich das Ganze nicht in Erinnerung: "Tanz der Teufel" verweist auf das Böse im Wald, "The Thing" auf den Body-Horror-Aspekt, der ja vor allem in Season 2 wichtig wird usw. Zumindest waren die in Season 1, wenn ich mich richtig entsinne.
Eben. Rein funktionale Referenzen. Wie ich schon sagte: Holzhammer.
Jein. Natürlich ist "Stranger Things" das uneheliche Kind von King und Spielberg, aber manche Stilentscheidung bei der Neuauflage (Verlegung in die Eighties, Besetzung von Finn Wolfhard) kann ich mir schwer ohne "Stranger Things" vorstellen. Es macht zwar sehr viel Sinn, schließlich bringt er Leser der ersten Stunde in deren eigene Jugend (= Erscheingszeit und vermutlichen Erstkontakt mit dem Buch) zurück, aber ich weiß nicht, ob das der alleinige Gedanke war. Die Eighties ziehen halt gerade auch gut.
Das ist schon klar. Daher sprach ich ja auch von produktionsseitigen Einflüssen. Und Henne und Ei.

Ich kann Mars' Ausführungen daher auch teilweise unterstreichen, sehe das Ganze aber eben nicht so harsch. Wahrscheinlich weil ich wie oben ausgeführt nicht allzu viel auf den Plot bzw. Veränderungen im Plot gebe (auch ich hätte lieber ein Monster-of-the-Season gesehen, wie in meiner Kritik angeführt, kann mich letztlich aber auch mit der minimalen Variation arrangieren), solange bloß die Figuren frisch und lebendig bleiben. Und in diesem Punkt ist Staffel 3 klar die beste. Bei dem Aufbruch in die Mall (übrigens ein super Setting, das teilweise auch kongenial genutzt wird) hatte ich ein richtiges Gefühl von "Die Welt gehört uns".

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 31.08.2019, 14:55

Chaos im Netz
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Das Gesetz der Fortsetzung lautet: Expansion. Nur selten begnügt sie sich damit, die gerade Linie des Originals auf gleicher Höhe weiterzuführen. Es geht ihr darum, alles noch größer zu machen als es jemals zuvor war, und zwar in jede Himmelsrichtung hinein. Wenn Ralph also jetzt gezwungenermaßen den autonomen Spielautomaten, den er seine Heimat nennt, Richtung Internet verlässt, geschieht genau das. Ralphs Welt wird größer, komplexer und herausfordernder.

Nun könnte man ja einwerfen, dass das Konzept von "Ralph Breaks The Internet" den Grundgedanken der Reihe verwässere. Der liegt schließlich darin, hauptsächlich eine Hommage an Videospielklassiker zu sein. Dabei vermochte doch schon der erste Teil diese Rolle nur halbherzig auszufüllen. "Internet" ist nicht gerade eben ein Synonym für "Videospielsystem". Was soll Ralph, was sollen seine zuschauer also nun davon halten, wenn sich neben diversen Videospiel-Referenzen nun auch Shopping-Portale, Wissensenzyklopädien, Blogger und sonstige Online-Fundstücke in den Kanon eingliedern? Geht es dabei im engeren Sinne überhaupt noch um Videospiele?

Dabei ist das Internet ja nichts anderes als die Gegenwart und Zukunft des Videospiels, sein neues Muttermedium sozusagen, nachdem die Vernetzung längst wie ein allmächtiger Kraken um sich greift und alles an sich reißt. Die reine Gamer-Zitaterie des Vorgängers hat auch deswegen nicht funktioniert, weil Anspielungen und Insider-Gags über Einzelmomente hinaus nicht gehalten werden konnten und sich die Handlung irgendwann relativ träge den moralischen Standards um Freundschaft und Zusammenhalt ergab. Die Fortsetzung kommt nun von dem Gedanken weg, der Gamer-Kultur ein Fundament bauen zu wollen. Stattdessen wird sie als Spiegel einer Netzkultur verwendet, die sich längst über autonome Stromkreise hinweggesetzt hat. Die Annahme, zu der man im Fazit des ersten Teils gelangen konnte, ist tatsächlich wahr: Ralph hatte sein Potenzial noch längst nicht genutzt.

Die etwas unbeholfenen Versuche des Films, die Grundidee von "Toy Story" als Kickstart zu verwenden, sind bereits vergeben und vergessen, sobald Ralph und Vanellope den Stromkabel-Express Richtung Open World genommen haben. Man hat nur wenige Minuten in der detailreich zum Leben erweckten Online-Realität verbracht, da deutet sich bereits an, dass diese Fortsetzung ihr Original endlich nochmal übertreffen wird. Die Weltenbauer investieren eine enorme Mühe, die Funktionalität des Internets und ihre Auswirkungen auf die reale Welt bildhaft in Form und Bewegung zu übersetzen. Natürlich gönnt sich das Drehbuch zwischendurch auch mal Exkurse in die Emotionen der Hauptfiguren, doch angenehmerweise verkommt "Ralph Breaks the Internet" anders als sein Vorgänger nicht zu stumpfsinniger Gefühlsduselei, weil die Digitalisierung der Gesellschaft als Kernthema immer in Griffnähe bleibt - selbst dann, als sich Ralph für das Finale zu seinem eigenen Endgegner entwickelt und die übliche Megalomanie ihren Lauf nimmt.

Der Preis für diese durchaus gelungene Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Entwicklung ist im Grunde derselbe wie im wahren Leben - man muss akzeptieren, mit Werbung vollgekleistert zu werden für Konzerne, die ohnehin bereits viel zu mächtig sind. Das führt dann zu irritierenden Paradoxa wie jenem, dass an der Skyline übergroß das "Amazon"-Logo strahlt, doch sobald man sich über den Versandhändler lustig macht, besteht plötzlich nur noch eine gewisse Ähnlichkeit zu Namen und Logo. Ähnlich zwiespältig steht auch Disney dem Umgang mit sich selbst gegenüber: Einerseits wird das Disneyland-Panorama zum Eintrittstor in eine virtuelle Wunderwelt, andererseits nimmt sich das Studio mit einer Szene rund um eine Prinzessinnen-Versammlung ganz wunderbar auf die Schippe.

So oder so, "Ralph Breaks the Internet" ist weit mehr als die traurige Geschichte über eine Handvoll Videospielfiguren, die aus ihrem kaputten Automaten in die weite Welt getrieben werden. Es ist eben auch eine Geschichte über uns, die das gleiche Schicksal ereilt hat - ob wir darüber nun glücklich sind oder nicht.
:liquid7:

The Untold Story
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Rohe Gewalt hat das mit „Category III“ etikettierte Kino pauschal zu bieten. Sie ist nicht per se ein Herausstellungsmerkmal von "The Untold Story", auch wenn eine Handvoll Szenen besonders kaltblütig geraten und schwer zu ertragen sind, wenn man nicht bereits durch das hiesige Torture-Kino abgestumpft ist. Sofern man dem Kriminal-Thriller jedoch eine lang anhaltende Wirkung zugestehen möchte, findet man sie vermutlich eher in der gehetzten, linearen Erzählstruktur, die für Täter und Opfer kein Zurück ermöglicht, in der faszinierenden Portraitierung des psychopathischen Serienkillers durch Anthony Wong und natürlich in dem realen Hintergrund der Geschichte.

Ausgelöst werden die Momente der Eskalation durch Situationen, in denen zwar Emotionen aufkochen, die aber für das theatralische Hongkong-Kino alltäglich sind und ebenso gut aus einer Komödie stammen könnten: Spielsteine fliegen in die Luft, als die Spieler sich gegenseitig zu beschimpfen beginnen, Arme gestikulieren wild, als die Bedienung kündigen möchte, es wird lautstark geflucht, als der Familienfrieden am Abend gestört wird.

Dann aber übernimmt der Psychopath das Steuer. Hauptdarsteller Wong spielt ihn mit einem permanenten Ausdruck des Ekels gegenüber der Menschheit auf dem Gesicht. Die Mundwinkel stets nach unten verzogen und die Nase gerümpft, lässt er schon in den Szenen bei Tage in der Öffentlichkeit durchscheinen, welche Gedanken ihn umtreiben. Dass viele seiner Opfer schließlich als Fleischbällchen enden, ist die logische Konsequenz seiner Perspektive auf seine Mitmenschen. Der Suspense schwillt dort an, wo man ihm an der Nase ablesen kann, was er in diesem Moment am liebsten mit seinem Gegenüber anstellen würde, ohne dass man genau wüsste, wann es tatsächlich so weit ist.

Die Vertreter des Gesetzes werden einmal mehr als undisziplinierter Haufen gezeichnet, eine infantile Truppe Mannskindern und Frauen, die sich ihres eigenen Werts nicht bewusst sind. Als die Parallelmontage zwischen dem Treiben des Killers und dem Klamauk in der Polizeistation angeleiert wird, kann man sich jedenfalls nicht sicher sein, dass das Gute am Ende gewinnen wird.

Und doch scheut sich das Skript nicht, die beiden Handlungsstränge schnörkellos zusammenzuführen, noch lange bevor der Zuschauer den Abspann sieht. Man kann das ebenso konsequent wie dramaturgisch ungeschickt finden, vegetiert die Situation nach der Konfrontation zwischen Täter und Polizei doch nur noch vor sich hin. Dabei ist es gerade die letzte halbe Stunde, die den Realismus noch einmal vor Augen führt in all ihrer Ausweg- und Trostlosigkeit.
:liquid7:


Mad Men - Season 7.1 / 7.2

Bild Bild
1969. Das Ende ist da. Als die Protagonisten aus sieben Jahren Madison Avenue mit ihren Liebsten auf der heimischen Couch sitzen und live verfolgen, wie Neil Armstrong den wichtigsten Schritt seines Lebens macht, ahnen sie möglicherweise, dass ihr bisheriges Dasein ein für allemal der Vergangenheit angehört. Der lange Zeit unerschütterliche Status Quo zerbricht noch nicht vollständig; selbst mit dem allerletzten Abspann hält er Stellung. Doch das Wissen um seine Unausweichlichkeit ist nach insgesamt 92 Folgen endlich in die Wahrnehmung einer jeden einzelnen Figur eingedrungen.

Für die meisten Charaktere aus „Mad Men“ geht es daher am Ende ihres Serienlebens darum, mit sich selbst reinen Tisch zu machen. Für einige von ihnen bedeutet das vermutlich eine glückliche Zukunft, andere wiederum treten den letzten Gang in die Isolation an, der trotz gegenteiliger Bemühungen für sie vorbestimmt war.

Es ist nicht direkt ein sentimentaler Abschied, obwohl sich so manches Bild vom nahenden Sonnenuntergang im Cabrio eingeschlichen hat, das ebenso gut die Plakat-Fantasie eines Werbetexters sein könnte. Insgesamt hält sich die trockene Pose tapfer und verschiebt den Bruch der Dämme auf die Zeit nach dem Finale. Jedoch ist die letzte Metamorphose der Agentur diejenige, die tatsächlich alles verändert, egal, ob es sich dabei um berufliche oder private Entwicklungen handelt.

Man hätte möglicherweise erwartet, dass die Drehbuchautoren die Vergangenheit von Hauptfigur Don Draper in diesem Zusammenhang endgültig klären, was nicht in vollem Umfang geschieht. Letztlich besteht dazu auch keine Notwendigkeit. Viel wichtiger ist es, dass herausgearbeitet wird, wie Draper seit jeher mit seiner eigenen Identität hadert. Die Desorientierung der Figur wurde jedenfalls nie stärker herausgestellt als in der finalen Doppelstaffel. Viele Episoden beginnen wie ein luzider Traum, der die Funktion einer reinigenden Selbstanalyse einnimmt. Die Fassade aus lukrativen Werbeverträgen und beruflichem Ansehen wird eingerissen, was zwangsläufig zum Blick in den Spiegel führt, der manches Mal mit Tränen, mit einem Lächeln der Erleichterung oder auch mit einem Schulterzucken abgeschlossen wird.

Und nachdem die Mad Men über Jahre durch ein Meer aus Scheinwahrheiten getrieben sind, nachdem sie von den Erfahrungen miteinander und den gesellschaftlichen Ereignissen ihrer Zeit aber auch stark geprägt wurden, da schließt die Serie mit einem ihrer Arbeitsnachweise. Menschen unterschiedlichster Herkunft stehen gemeinsam in einer Reihe und halten das beworbene Produkt in der Hand, eine Glasflasche mit einem dunklen Getränk, das in der Sonne funkelt. Nun sind sie es, die mit ihren suggestiven Fähigkeiten Einfluss auf die Welt ausüben.
:liquid8:

Weitere Sichtungen:
Final Score
The Creeps

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 31.08.2019, 16:26

Ich glaube, ich werde hier an zwei, drei Stellen missverstanden. Deshalb vorweg: Ich habe nie behauptet, dass der Eighties-Blick von "Stranger Things" kein stark popkulturgeprägter ist. Ich finde ihn nur nicht illegitim, sondern es ist IMO auch der dominante Modus von Retrofilmen. Bis auf "Mid90s" kamen hier jetzt auch wenige schlagende Gegenbeispiele, wie es anders gemacht wird.
Vince hat geschrieben:
29.08.2019, 18:01
Na klar, ich auch, aber doch nicht so, wie sie da hingen. Ich hatte auch mal Pam aus der Bravo da hängen, irgendwo eine Gunners-Flagge oder ein NBA-Wimpel, aber doch nicht alles plakatiert mit irgendwelchen Horror-Klassikern, die da in Hochglanz von der Wand lächeln. Die Poster-Auswahl ist eine klare Design-Entscheidung und als solche leider auch überdeutlich zu entlarven.
Und so ohne Sinn und Verstand hab ich das Ganze nicht in Erinnerung: "Tanz der Teufel" verweist auf das Böse im Wald, "The Thing" auf den Body-Horror-Aspekt, der ja vor allem in Season 2 wichtig wird usw. Zumindest waren die in Season 1, wenn ich mich richtig entsinne.
Eben. Rein funktionale Referenzen. Wie ich schon sagte: Holzhammer.
Du sagtest: Ohne Sinn und Verstand. Und wenn es auf eine Metaebene verweist, dann hat es für mich schon einen Sinn. Und ich finde es auch nicht so holzhammerhaft, da sie ja nur im Hintergrund zu sehen sind (und als komplett plakatiert habe ich die Zimmer nicht in Erinnerung), jetzt nicht im Dialog noch dreimal aufgezählt werden.

Zum anderen: Ich finde es auch nicht unglaubwürdig, dass in den Kinder- und Jugendzimmern einer Dekade oft Poster von zum Klassiker gewordenen Dingen hängen. In meinem Zimmer hing nicht das Poster irgendeiner Horrorfilmreihe, sondern das zu "Scream 2" (weil ich das zur 1 häßlich fand), bei meiner Schwester nicht die Poster irgendeiner Boyband, sondern die der Backstreet Boys, bei einem Kumpel nicht das zu irgendeinem Videospiel, sondern das zu "Resident Evil". Selbst du hast ja gewissermaßen das Klischee gelebt: Bei dir hingen nicht Carmen Electra, Jenny McCarthy oder ein noch unbekannteres Pin-Up-Girl an der Wand, sondern Pam.
Auf dem Kinomarquee in Season 3 sieht man dagegen (ebenfalls durchaus realistisch) den Querschnitt der Ära: Klassiker ("Day of the Dead", "Back to the Future"), Mittelbekanntes ("Cocoon", "The Stuff") und Obskures ("D.A.R.Y.L.").

Gestern Abend habe ich übrigens "Lord of Chaos" gesehen, der nun wahrlich kein Nostalgie-Retrofilm ist. Und trotzdem, welche Filme schauen die Black-Metal-Leute? "Braindead" und "Tanz der Teufel", die ja wohl die Nummer-Eins-Nennungstitel sind, wenn es um Video-Nasty-Funsplatter geht. Bei den Plattencovern im Musikgeschäft vom Protagonisten mag es ähnlich sein, aber da bin ich nicht beschlagen genug. Ich will nur sagen: Ich halte diese filmischen Kurzschrift zur schnellen Verortung bzw. zur Verdichtung in Filmen und Serien für völlig legitim.
MarS hat geschrieben:
29.08.2019, 11:48
Das führt z.B. dazu, dass
Spoiler
Show
jetzt schon 3mal im Finale ein Portal geschlossen wurde.
Durch die Wiederholung wird es für mich nicht spannender und es zeugt auch ein wenig von Ideenlosigkeit.
Die Frage ist: Könnte die Serie denn wirklich gut über weite Strecken in der Parallelwelt spielen? Kann ich mir schwer vorstellen, da eben viele andere prägende Aspekte wie das Kleinstadt-Americana unter den Tisch fallen müssten. Ja, es mag ein gewisser Gleichklang da sein, aber ist das im Genre nicht oft so? Bei Bond wird sich höchst selten darüber beschwert, dass in der Prä-Craig-Ära am Ende fast immer eine exotische Superschurkenfestung gestürmt werden musste. Oder bei der "Stirb langsam"-Reihe:
Spoiler
Show
In vier von fünf Fällen tanen die Verbrecher monetäre Aspekte hinter vermeintlichen politischen Motiven. Und wenn etwas an den Sequels kritisiert wurde, dann selten das.
MarS hat geschrieben:
29.08.2019, 11:48
Nimmt man mal z.B. Kung Fury im Gegensatz dazu, dann hat man hier auch den Anstrich, aber stark überzeichnet, haufenweise Zitate, Anspielungen und mit The Hoff auch personell Fanservice in Reinkultur. Kung Fury hat aber eine eigene Note und lebt von einem extrem charismatischen Hauptdarsteller. Genau so etwas fehlt in Stranger Things.
Es ging jetzt nicht um den Vergleich "Stranger Things" vs. "Kung Fury", auch wenn die seltsamen Dinge bei mir schon höher in der Gunst stehen als der filmische Studentenjux. Es ging eben um die Frage nach "echter" oder "authentischer" Eighties-Atmosphäre. Denn damit hat "Kung Fury" (du sagst es ja gewissermaßen selbst) ähnlich viel zu tun wie eine Hongkong-Rolex mit einer echten Luxusuhr.

Ich will auch niemandem meine Sicht aufzwingen. Aber wenn ich ein Popkultur-Produkt sehr schätze und gewisse Aspekte einer Kritik daran ungerechtfertigt finde, dann bringe ich das zum Ausdruck.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]

Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 31.08.2019, 19:12

McClane hat geschrieben:
31.08.2019, 16:26
Bis auf "Mid90s" kamen hier jetzt auch wenige schlagende Gegenbeispiele, wie es anders gemacht wird.
Gibt ja generell auch nicht so extrem viele Retro-Filme, dass man da große Listen erstellen könnte, würde ich sagen. Aber um vielleicht mal ein ganz frühes Beispiel für die Spätachtziger-Frühneunziger-Schiene als Beispiel zu nennen: Donnie Darko. Auch hier würde ich sagen: Ganz toll ein Gefühl einer vergangenen Zeit eingefangen, und das, obwohl die Zeit damals 2001 noch nicht einmal besonders weit weg war und die fehlende Distanz eigentlich hätte problematisch sein müssen. Aber auch hier funktioniert die Zeitreise ziemlich gut, wenn auch auf eine völlig andere Art und Weise als bei "Mid90s". Aber auch andere jüngere Retro-Filme, die dann an anderer Stelle ihre Schwächen hatten, fand ich in Bezug auf das Zeitgefühl etwas authentischer: "Super Dark Times" zum Beispiel. "Summer of 84" würde ich dagegen wiederum in der Kategorie ungefähr auf einem Level mit "Stranger Things" sehen. Also auch eher etwas künstlich bzw. aufbereitet.
Du sagtest: Ohne Sinn und Verstand. Und wenn es auf eine Metaebene verweist, dann hat es für mich schon einen Sinn. Und ich finde es auch nicht so holzhammerhaft, da sie ja nur im Hintergrund zu sehen sind (und als komplett plakatiert habe ich die Zimmer nicht in Erinnerung), jetzt nicht im Dialog noch dreimal aufgezählt werden.
"Ohne Sinn und Verstand" habe ich hier eher nicht im wörtlichen Sinne gebraucht, sondern eher im Sinne von: "einfach mal drauf los". Also schon mit der Intention im Hinterkopf.
Dass die Plakate nur im Hintergrund zu sehen sind, heißt nicht, dass sie subtil sind. Ich weiß nicht, ob du schon "Chaos im Netz" gesehen hast, aber wenn da im Hintergrund zB. fett "Google" und "Amazon" auf den Wolkenkratzern stehen, würde ich das zB. auch nicht gerade als subtil bezeichnen. Ich komme hier auf "Holzhammer", weil die Poster einfach nicht zur Beschreibung der Charaktere passen. Die sitzen da in ihrem Keller, spielen Dungeons & Dragons, reden über Kinderkram und haben dann Dutzende Horrorfilmposter aufgehangen, die sie mit ziemlicher Sicherheit nicht gesehen haben? Mir kam das extrem hergerichtet vor. Die von dir aufgezählten Bezüge verstärken ja bloß den Verdacht, dass die Einrichtung hier nicht auf die Bewohner verweist, sondern auf die Filmreferenzen, die die Serie einzubauen gedenkt. Dabei bin ich der Überzeugung, der Schwenk durch ein Zimmer sollte in erster Linie etwas über die Person erzählen und nicht darüber, was die Filmemacher cool finden.
Zum anderen: Ich finde es auch nicht unglaubwürdig, dass in den Kinder- und Jugendzimmern einer Dekade oft Poster von zum Klassiker gewordenen Dingen hängen. In meinem Zimmer hing nicht das Poster irgendeiner Horrorfilmreihe, sondern das zu "Scream 2" (weil ich das zur 1 häßlich fand), bei meiner Schwester nicht die Poster irgendeiner Boyband, sondern die der Backstreet Boys, bei einem Kumpel nicht das zu irgendeinem Videospiel, sondern das zu "Resident Evil". Selbst du hast ja gewissermaßen das Klischee gelebt: Bei dir hingen nicht Carmen Electra, Jenny McCarthy oder ein noch unbekannteres Pin-Up-Girl an der Wand, sondern Pam.
Ich hätte auch nichts gesagt, wenn da halt bloß mal ein Evil-Dead-Plakat gehangen hätte und das war's dann. Das kann einem auch irgendwer geschenkt haben und man fand's einfach cool und hat's behalten. Es war die schiere Anhäufung, die der Glaubwürdigkeit den Rest gegeben hat.
Auf dem Kinomarquee in Season 3 sieht man dagegen (ebenfalls durchaus realistisch) den Querschnitt der Ära: Klassiker ("Day of the Dead", "Back to the Future"), Mittelbekanntes ("Cocoon", "The Stuff") und Obskures ("D.A.R.Y.L.").
Ja, in Staffel 3 wiederum fand ich das alles schön integriert, auch weil hier das gemeinschaftliche Erleben im Mittelpunkt stand. Die Szene im Kino, als man das Publikum dabei beobachtet, wie es zum ersten Mal "ZidZ 2" sieht, das war schon toll.
Gestern Abend habe ich übrigens "Lord of Chaos" gesehen, der nun wahrlich kein Nostalgie-Retrofilm ist. Und trotzdem, welche Filme schauen die Black-Metal-Leute? "Braindead" und "Tanz der Teufel", die ja wohl die Nummer-Eins-Nennungstitel sind, wenn es um Video-Nasty-Funsplatter geht. Bei den Plattencovern im Musikgeschäft vom Protagonisten mag es ähnlich sein, aber da bin ich nicht beschlagen genug. Ich will nur sagen: Ich halte diese filmischen Kurzschrift zur schnellen Verortung bzw. zur Verdichtung in Filmen und Serien für völlig legitim.
"Lords of Chaos" hat jetzt auch nicht gerade den Ruf, im Umgang mit Referenzen eine besonders geschickte Auswahl getroffen zu haben oder besonders authentisch gewesen zu sein. Davon abgesehen finde ich das aber auch nicht vergleichbar, denn da ging es um erwachsene Menschen, die ja bereits kulturell in gewissem Ausmaß geprägt waren, als die Handlung begann.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Sir Jay » 01.09.2019, 03:11

Vince hat geschrieben:
25.08.2019, 10:52
One Cut of The Dead
Bild
...Im Schnitt wurde die verdammt mutige Entscheidung gefällt, das "One Cut" wirklich durchzuziehen und ewig lange darauf zu beharren, dass es sich hier um handelsüblichen Trash handelt, der von den direkt Beteiligten abgefeiert und vom Rest der Welt in der Tonne entsorgt wird. Schließlich werden nun 33% aller Zuschauer (diese Zahl ist natürlich eine reine Schätzung ohne statistische Grundlage) niemals erfahren, worum es eigentlich geht, weil sie schon beim ersten Heulkrampf des Zombie-Opfers abschalten.
:liquid7:
Es scheint ja wirklich so zu sein, aber an dieser Stelle erhebe ich gerne Einspruch, weil ich ehrlich gesagt wirklich nicht verstehen kann, wie man diese erste halbe Stunde so unterschätzen kann. Natürlich, wenn sich das jetzt meine Großeltern oder Gelegenheitsfilmgucker ansehen, so wird dieser Filmeinstieg wahrscheinlich kopfschüttelnd weggezappt. Aber wenn man einigermaßen filmerfahren und -mündig ist, sollten sich in dieser Anfangssequenz eigentlich genug Anzeichen finden lassen, dass der Film nicht ganz das ist, was er vorgibt zu sein.
Spoiler
Show
Alleine schon der One Shot, der sich über die ganze Sequenz zieht, kommuniziert deutlich, dass hier Leute dahinter stecken, die sich Mühe geben. Solche ewig langen Plansequenzen sind für mich ambitioniertes Filmemachen und das wird erfahrungsgemäß nur von Leuten praktiziert, die ganz genau wissen was sie tun, und nach mehr streben, als nur dem schnellen Profit.
Die darstellerischen Leistungen, seltsamen Dialoge und generell absurden Momente sind so dermaßen offensiv dilletantisch, dass man hier nicht von unschuldigem Unvermögen sprechen kann.
Und allerspätestens, wenn blutspritzer von der POV-Linse weggewischt werden, wird klar, dass hier generell etwas nicht stimmt.
Mir wurde der Film mit genau diesem Hinweis schmackhaft verkauft: "halte die erste halbe Stunde durch, danach wirst du belohnt".

Ich rechnete eben mit wirklich einfachem, belanglosem Trash - etwa einem Asylum-Film - der in der Tat an meinem Geduldsfaden genagt hätte. Stattdessen aber wurde meine Neugierde geweckt, denn wie herkömmlicher Trash wirkte diese erste halbe Stunde zu keiner Sekunde...

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 01.09.2019, 07:59

Wie schon bei Letterboxd angedeutet, du missinterpretierst hier den ersten Absatz meiner Kritik. Mir persönlich war auch klar, dass da noch mehr kommt (ich war allerdings vorher auch informiert). Ausgangspunkt war die Überlegung, wie die erste halbe Stunde wohl auf einen "normalen" Zuschauer wirken mag, der sich eben nicht täglich mit Filmen beschäftigt. Ich schreibe da also aus deren Warte. Und ich finde, dass du hier zum einen den Amateurfilm unterschätzt - der pflegt nämlich oft (natürlich nicht immer) durchaus ein gesundes Meta-Verhältnis zu sich selbst. Zum anderen glaube ich (ohne es mit Zahlen belegen zu können), du überschätzt die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer, die heute doch nur einen Knopfdruck vom nächsten Film entfernt sind, den sie testen können. Warum also nicht nach 10 Minuten umschalten, wenn ihnen nicht passt, was sie sehen.

Denn das "Meta" als solches macht den Film in der ersten halben Stunde ja nicht gut. Man könnte also auch den Gedanken haben: Moment, ist dieses schnittlose Gerenne über Wiesen jetzt die einzige Besonderheit, mit der sich dieser Film brüsten kann? Da hab ich aber auch im Amateurbereich schon Besseres gesehen. -und zack, wird umgeschaltet.

Ich finde deswegen, dass der Film auch gerade ein Mittelfinger an jene Kritiker und Zuschauer ist, die sich Filme zu oberflächlich anschauen und mit einem vernichtenden Urteil ganz schnell sind. Ihnen soll gezeigt werden, welcher Aufwand selbst hinter so einer vermeintlich kleinen Produktion steckt. Dahinter steckt natürlich der Denkfehler, dass der Aufwand hinter den Kulissen im Grunde tatsächlich völlig egal ist, wenn das Ergebnis scheiße ist. Aber trotzdem hat der Film mit seiner Aussage eine Berechtigung, weil es wirklich inzwischen zu viele Konsumenten gibt, die überhaupt keine Vorstellung mehr davon haben, was es handwerklich, logistisch und in Bezug auf die kreative Leistung bedeutet, einen Film zu machen.

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