Eine unbequeme Wahrheit
Als Al Gore im Jahre 2000 bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen gegen seinen politischen Widersacher George W. Bush den Kürzeren zog, war dies ein herber Schlag für den Umweltaktivisten. Entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, setzte er jedoch seine früheren Arbeiten fort und hielt weltweit Vorträge über die Folgen und Gefahren von globaler Erwärmung. Sein famoses Bühnenprogramm, das überall ausgesprochen gute Resonanz erfuhr, wurde so auch schnell für die Filmwelt interessant. TV-Regisseur Davis Guggenheim erkannte das Potenzial in der Thematik und entschloss sich, dieses in Form eines Dokumentarfilmes ins Kino und somit einer wesentlich größeren Masse näher zu bringen. Da das pure Abfilmen einer Präsentation aber für die Lichtspielhäuser zu wenig wäre, entschied man sich dazu, gleichzeitig mit Einspielern die Hintergründe von Gore etwas zu beleuchten und einen Teil seiner Biografie zu erläutern. Ein Mix, der dem fertigen Resultat leider nicht immer gut tut.
Doch zu allererst das wohl offensichtliche: "Eine unbequeme Wahrheit" ist ein amerikanischer Film von Amerikanern für Amerikaner. Und das ist dann auch schon alles, was man vorab darüber wissen muss. Vieles, was Gore präsentiert ist natürlich arg pathetisch formuliert, dargestellt und versucht stets, eher auf emotionaler Ebene zu berühren, statt auf rationaler, immer brav mit den üblichen Streicherklängen aus Michael Brooks Soundtrack. Wer damit ein Problem hat, sollte sich diese Doku also von Vornherein lieber sparen. Doch auch, wenn dies einem weniger unangenehm auffällt, sollte man sich spätestens dann ärgern, wenn Gore und Guggenheim eindeutig übertreiben und ihre Inhalte leicht grenzwertige Formen annehmen. Dem Hurrikan Katrina, als einmaliges Phänomen, direkt eine große Aussagekraft zu verleihen, ist ähnlich gewagt, wie die These, dass weite Teile von New Orleans und New York (selbstredend auch das neue World Trade Center) bald überschwemmt werden würden, sollte die westliche Antarktis vollständig weg schmelzen. Dies mag richtig sein, wird aber wohl erst in ein paar Jahrtausenden geschehen. Und als Umweltaktivist sich selbst regelmäßig in Flugzeugen darzustellen, zeugt auch von einer etwas abstrusen Doppelmoral. Gesunder Pathos mag dem ein oder anderen ein Dorn im Auge sein, erreicht aber immerhin auch viele Menschen. Derart alarmistische Aussagen in einem fragwürdigen Kontext sind hier daher das weitaus größere Problem.
Was allerdings wirklich nervig gerät, sind die zahlreichen biografischen Abschnitte über Gores Leben. Ob sein Sohn nun bei einem Autounfall fast gestorben wäre oder seine Schwester an Lungenkrebs starb, mag für ihn entscheidend gewesen sein, wird hier aber unfassbar aufdringlich rübergebracht und verlagert den Fokus unnötig oft weg vom eigentlichen Kernthema. Und das ist schade, da dieses dann auch noch ein solch wichtiges ist. Allein wegen den wahren und wirklich erschreckenden Fakten, die man von Gore präsentiert bekommt, sollte sich jeder verpflichtet fühlen, diesen Film ein oder zweimal anzugucken. Ja, der Vorwurf, Gore würde sich mehr mit den Problemen aufhalten, als mit Lösungsansätzen, mag ein berechtigter sein und ob dem Verweis auf seine Internetseite
www.climatecrisis.net wirklich alle folgen werden, darf bezweifelt werden. Aber viele Aspekte sind einfach nicht weg zu diskutieren und sollten jeden zumindest etwas angehen und interessieren. Selbst Personen, die damit wenig anfangen können, sollten zudem relativ schnell einen Zugang finden, da Gore vorbildlich seinen Vortrag immer durch kleine Cartoons, Grafiken und ein paar amüsante Gags auflockert und so nie zu sehr den Oberlehrer raushängen lässt. Dass er dabei hin und wieder etwas stark vereinfacht, um auch wirklich jedem beim Verständnis entgegen zu kommen, ist angesichts des dramatischen Inhaltes zu verschmerzen.
Guggenheim liefert dabei freilich keine inszenatorische Höchstleistung ab, was hier aber auch nur verwunderlich gewesen wäre, denn das muss auch gar nicht sein. Viel mehr merkt man, dass "Eine unbequeme Wahrheit" dann gut funktioniert, wenn Gore vor Publikum sein Ding durchziehen kann und er mit seinem natürlichen Charisma und seiner charmanten Art unterhaltsam das ernste Thema aufbereitet. Erfreulich ist dabei, wie offensiv er tatsächlich auch gegen die USA austeilt und dies komplett parteiunabhängig hinbekommt. Grade mit ihm als Politiker selbst, wäre es ein leichtes Gewesen, hier in arg manipulative Stellen abzurutschen, doch Guggenheim und Gore leisten diese Gradwanderung souverän und schaffen es so auch, vom Publikum wirklich ernst genommen zu werden, was enorm bedeutend ist, damit die Öko-Botschaft auch wirklich jeden Zuschauer erreicht. Natürlich fesselt das alles längst nicht so wie andere Dokumentationen und ist inhaltlich auch übertrieben trocken, wobei man diesen Vorwurf den Machern selbst weniger machen kann, eher ist es lobenswert, dass sie trotz des Wissens darum den Schritt ins Kino gewagt haben und sich nicht beirren ließen, ihre Erkenntnisse zu verbreiten. Selbst wenn sie dabei vielleicht hin und wieder den etwas naiveren Weg gewählt haben.
Fazit: Unbequeme Wahrheiten wollen die Leute nicht immer hören. Erst recht nicht, wenn man alleine für die Erklärung der Probleme mit umfangreichen Zahlen, Schaubildern und Grafiken aufwarten muss, um überhaupt irgendwie den Überblick zu behalten. Dass Guggenheim daher nicht unbedingt die unterhaltsamsten 90 Minuten des Genres „Dokumentationsfilm“ abgeliefert hat, ist klar. Genauso, dass er wohl bewanderte Geographen eher langweilen, als erhellen dürfte. Und ob man den Umweltschutz zwingend mit dem Kampf gegen die Apartheid oder der Unterdrückung des Kommunismus gleichsetzen muss, sollte man an anderer Stelle diskutieren. Fakt ist, "Eine unbequeme Wahrheit" liefert dem Laien ein paar interessante und aufklärende Informationen über ein immer wichtiger werdendes Thema, dass allein ob seiner globalen Auswirkungen niemandem ernsthaft egal sein sollte, auch wenn der übliche amerikanische Stil zurecht grade den europäischen Zuschauern immer wieder negativ auffallen sollte. Ansonsten gilt: Für den ersten leisen Wachrüttler ist dieses Werk hier genau richtig. Für alles weitere gibt es dann ja immer noch andere Programme.