Filmtagebuch: deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Schwesterlein
DVD / Regie: Véronique Reymond, Stéphanie Chuat
Mit diesem Film erhoffte sich die Schweiz einen Oscar, der blieb natürlich aus. Denn, obwohl Nina Hoss und Lars Eidinger in den Hauptrollen ein famoses Spiel bieten, will die Geschichte um Geschwister, die Kämpfe im beruflichen Leben und gegen eine Krebserkrankung austragen müssen, nicht über Standardware hinauskommen. Man verliert zwar nie die Lust weiterzuschauen, hat die Thematik aber bereits oft und besser dargestellt angetroffen.
The Day Of The Jackal
BD / Regie: Fred Zinnemann
Aus einem dokumentarisch verfassten Buch wird ein wunderbarer Thriller, der sich Terror, Paranoia und politischen Spaltungen widmet. Szenisch und oft etwas abrupt erzählt, bleibt der Film immer interessant und packend, trotz der langen Laufzeit wirkt die Erzählung nicht ermüdend. Vielmehr ist es hochspannend, das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Auftragsmörder und Ermittler zu verfolgen, in einer Zeit der Technologien, die uns schon sehr entfernt vorkommen.
The Woman In The Window
Streaming, Netflix / Regie: Joe Wright
Was für eine Schande, dass Amy Adams, Gary Oldman, Julianne Moore und Jennifer Jason Leigh hier mitspielen. Der hochkarätige Cast wird auf einen Scheiterhaufen geworfen, der ein cleverer Mystery-Thriller sein möchte, eine Mischung aus «Shutter Island» und «Rear Window». Vor allem aber ist diese hübsch gefilmte Netflix-Produktion ein schlechtes Drehbuch, das alle Vorzüge nach kurzer Zeit mit stupiden Wendungen verbratet. Hochglanz ohne Tiefe und Substanz.
John Wick
Streaming, Netflix / Regie: Chad Stahelski
Mehr Stil als Inhalt, das funktioniert hier zum Glück wunderbar. Von der ersten Minute an regieren die durchkomponierten Aufnahmen, die coolen Moves und knallharten Schiessereien. Keanu Reeves passt gut in die Rolle, viel Spass macht es vor allem, Willem Dafoe, Adrianne Palicki, Lance Reddick und John Leguizamo als Nebendarsteller*innen zu beobachten. Ungewohnt für mich hingegen die Brutalität, welche der Film besonders in der zweiten Hälfte aufzeigt. Ich bin mir solch heftige Kämpfe mit Waffen und Körper nicht mehr gewohnt und musste ein paar Mal leer Schlucken.
Wasp Network
Streaming, Netflix / Regie: Olivier Assayas
Es kommt selten vor, dass mich ein Film von Assayas nicht überzeugt oder begeistert, diese historisch verbürgte Produktion über Spionage im Kuba der Neunzigerjahre will leider nicht mehr als wie eine episodenhafte Coda zu «Carlos» wirken. Schöne Bilder, eine fähige Besetzung (Penélope Cruz, Edgar Ramírez, Gael García Bernal, Ana de Armas, Wagner Moura) und kurze Momente der Genialität können die überladene und trotzdem zu distanzierte Geschichte aber nicht immer retten.
The Cured
Streaming, Netflix / Regie: David Freyne
Zombiefilme der heutigen Zeit wollen selten das gewohnte und von Produktionen wie «28 Days Later» etablierte Spielfeld verlassen. «The Cured» mit dem fähigen Elliot Page in der Hauptrolle versucht dies in der ersten Hälfte, in dem sich die Geschichte geheilten Personen widmet. Wie geht die Gesellschaft mit Virusüberlebenden um, welche grauenvolle Taten verübt haben?
Leider werden diese Fragen nicht abschliessend behandelt, viel lieber stürzt sich der Film im letzten Drittel in blutige Angriffsszenen und lässt alle Figuren in kruden Situationen aufeinanderprallen. Das verleiht dem Ganzen nicht nur einen schalen Nachgeschmack, sondern vermindert die anfängliche Freude und Eigenständigkeit stark.
Hell Night
BD / Regie: Tom DeSimone
Ein Slasher, der frische Mitglieder einer High-School-Verbindung für eine Nacht in ein grusliges Haus steckt und dortige Sagen zum Leben erwachen lässt. So weit so bekannt, weiss allein Linda Blair zu strahlen und das gotisch anmutende Kostüm- und Setdesign den Einheitsbrei etwas aufzuwerten. Mit 100 Minuten ist der Film etwa 20 zu lang geraten und ist ein dröges Vergnügen, das die Atmosphäre des spassigen Beginns nie mehr erreicht. Da gibt es eindeutig bessere Genre-Optionen aus den frühen Achtzigerjahren.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
The House That Jack Built
BD / Regie: Lars von Trier
Überheblich, infantil, pietätslos – diesem Film kann man, wie dem Grossteil des Schaffens von Lars von Trier, viele Adjektive anhängen. Klar ist auch, dass nur er so etwas drehen kann und man eine solchen filmischen Gedankengang noch nie gesehen hat. Wie «The Cell», allerdings als Einblick in das Gehirn des Regisseurs, gnadenlos und schmerzlich brutal, mit Verunglimpfungen, überhöhter Symbolik und sehr vorhersehbaren Metaebenen. Momente der Genialität (Beginn, Epilog) tauschen sich mit platten und überheblichen Szenen ab, die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn verschwimmt vollends – und natürlich dürfen die Frauen erneut bestialisch leiden. Mit mehr Feingefühl hätte es ein Meisterwerk sein können, jetzt ist es «typisches» von Trier.
Palm Springs
DVD / Regie: Max Barbakow
Als ob der Film mein Herz nicht schon lange gewonnen hätte, überzeugt die stilsichere Handhabung im letzten Drittel gar mit Songs von Genesis («The Brazilian») und Kate Bush («Cloudbusting»). Das in einer modernen Zeitschlaufen-Romantikkomödie, mit den wunderbaren Andy Samberg und Cristin Milioti in den Hauptrollen. Eine spassige Mischung, die dank dem starken Drehbuch dicht und ohne überflüssige Minute auskommt, den Genres frischen Wind einhaucht und es sogar wagt, das Ende mehrdeutig offen zu lassen. Heile Welt? Nicht hier, nur kurzzeitig bei J.K. Simmons.
Apples
Kino / Regie: Christos Nikou
Merkwürdige Filme aus Griechenland, die nächste Folge. Das Drama ist zwar weniger überzeichnet als andere Vertreter dieser Bewegung («Pity», «Suntan», «The Lobster»), bietet mit der plötzlich auftauchenden Amnesie der Landesbewohner und neuen, medizinischen Wegen, sich ein Leben zu verschaffen, ungewohnte Inhalte. Was lakonisch und leicht depressiv erzählt wird, macht sich viele Gedanken um unseren Umgang mit Identität, Lebensbestimmung und die schwierigen Aspekte wie Verlust und Trauer. Leise und klein gehalten, wunderbar fotografiert und in angenehmer Menge anachronistisch.
New Order / Neuvo Orden
Kino / Regie: Michel Franco
Eat the rich. Bite the hand that feeds. F*cking kill the rich!
Furchtlos, rasant und gnadenlos brutal – Franco zeigt in seinem actionreichen Konfliktfilm die herrschenden Wahrheiten Mexicos und lässt das eine Prozent bluten. Atemlos wird man durch die Revolution, die Gewalt und die ernüchternden Resultate gehetzt, möchte am Ende selbst Villen und Luxuskarossen anzünden und weiss, die Ungerechtigkeiten werden noch lange nicht aufhören. Lautes Kino zur richtigen Zeit, die Zündschnur lodert, das Talent ist bewiesen.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
La Gomera
DVD / Regie: Corneliu Porumboiu
Verschachtelt und nicht komplett linear in einzelnen Kapiteln erzählt, wäre «La Gomera» gerne ein sehr hipper Euro-Thriller. Da das Drehbuch der komplexen Form aber nicht gerecht wird und deswegen vor allem zu Beginn mehr Verwirrung als Spannung generiert, erreicht der Film leider nie seine Vorbilder. Die Sprachenvielfalt, wechselnde Szenerie und Darsteller*innen unterhalten trotzdem, besonders Catrinel Marlon als Vamp Gilda sticht hervor.
The Handmaiden
BD / Regie: Park Chan-wook
(Extended Cut) Fast drei Stunden im Korea der Dreissigerjahre zu verbringen, war wohl etwas zu viel für mich. Denn Park Chan-wook sollte eigentlich eine Höchstwertung bedeuten, diese erreicht «The Handmaiden» trotz wundervoller Bilder, grossartiger Schauspieler*innen und einer angenehm verzwickten Geschichte nicht ganz. Dabei zuzusehen, wie die lesbische Liebe alle unterdrückenden Machenschaften der Männer bezwingt, ist trotzdem erfreulich und packend.
Tides
Kino / Regie: Tim Fehlbaum
Von der kaputten Zukunft ohne Wasser führt uns Tim Fehlbaum in seinem zweiten Spielfilm in eine kaputte Zukunft ohne Land. «Tides» erzählt die Geschichte einer entvölkerten Erde, aufgenommen in wunderbaren Bildern, die niemals an eine Deutsch-Schweizerische Koproduktion denken lassen, sondern stimmungsvoll und ja, nass daherkommen. Da sich leider das Drehbuch dieser Qualität nicht fügen möchte, hält «Tides» nach der Hälfte nicht, was der Beginn verspricht. Klischees und bekannte Wendungen sind zentral, der Kinobesuch war trotzdem lohnen wegen Spiel und Ausstattung.
Candyman
Kino / Regie: Nia DaCosta
Etwas überladen beim Drehbuch und sich oft auf die Geschehnisse des originalen Filmes stützend, sollte die Neuerfindung von «Candyman» eigentlich nicht funktionieren. Und trotzdem passierte für mich genau dies. DaCosta transportiert die Horror-Sage in das heutige Chicago und verbindet die Geschichte mit aktuellen und keineswegs neuen Problemen von Gentrifizierung, Rassismus und gezielter Unterdrückung tieferer Gesellschaftsschichten. Durch die Tagline "Say My Name" ergeben sich sogar Verbindungen zu den BLM-Protesten.
Angesiedelt in der Kunstbranche, hantiert der Film nicht nur mit starker Symbolik, sondern findet immer wieder kreative Wege, die Szenen zu inszenieren. Ergänzt durch das vielschichtige Drehbuch über Kollektivangst und – gedächtnis, das Vermächtnis von Bevölkerungsgruppen und die Individualschuld an den Problemen, ist ein intelligenter Horrorfilm entstanden, der mit sehr gepackt hat.
Der amerikanische Freund
BD / Regie: Wim Wenders
Ein kerniger Dennis Hopper, ein junger Bruno Ganz, eine empfindsame und poetische Inszenierung. Wenders macht aus dem Kriminalroman «Ripley’s Game» von Patricia Highsmith ein feinfühliger Film, der sich ohne grosse Hast und Erklärungen auf das Innenleben seiner Figuren konzentriert. Die Aufnahmen Hamburgs lassen viel Stimmung aufkommen, die Abschnitte in der U-Bahn und dem ICE fesseln mit jedem Frame. Das, für den Regisseur eher untypische Setting wird geschickt in seinen Kosmos integriert, ganz zum Vorteil der Zuschauer.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Ja, "Der amerikanische Freund" finde ich auch gelungen. Bruno Ganz sass mal vor ein paar Jahren neben mir am Bahnhof auf einer Bank. Ein bisschen Hollywood im Dorf.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Cool, in echt durfte ich dem Mann leider nie begegnen.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
The Last Warning
BD / Regie: Paul Leni
Schall und Rauch gibt es in diesem Stummfilm zuhauf, nicht nur, weil die Kriminal- und Mysteriengeschichte in einem Theater spielt. Leute sterben, Verbrechen bleiben unaufgeklärt und dann scheinen gar Geister ihr Unwesen zu treiben. Das ist zwar nicht nachhaltig, macht aber viel Spass und überzeugt mit den inszenatorischen Kniffen Lenis. Alleinig der Einsatz der Texttafeln und die mehrfach fotografierten Sequenzen rechtfertigen die Sichtung.
Paths Of Glory
BD / Regie: Stanley Kubrick
Ein Talent auf dem Pfad zu seinen Meisterwerken. Was Kubrick mit diesem Weltkriegsdrama abgeliefert hatte, war auf bereits sehr beachtlichem Niveau und stellt unangenehme Fragen zu den Praxen des Krieges. Kirk Douglas ist ein sehr passender Hauptdarsteller, die Szenen in den Schützengräben sind eine logistische Grosstat. Ohne zu zögern kann der Film im Bereich Anti-Krieg weiterhin zu den zentralen Werken gezählt werden.
REC
BD / Regie: Jaume Balaguero, Paco Plaza
Found-Footage-Horror war wohl selten so energiereich und krachend wie in diesem spanischen Film. Es macht viel Freude, mit dem TV-Team und den Feuerwehrmännern durch die Stockwerke voller Zombies zu hasten, immer wieder von Schockmomenten aus dem Sessel gerissen zu werden und das Blut spitzen zu sehen. Warum und wieso werden nicht beantwortet und das ist gut so.
Les hommes du port
Streaming, Filmingo / Regie: Alain Tanner
Der Hafen von Genua, eine persönliche Betrachtung der dortigen Arbeiterszene und die Wandlungen der Zeit. Tanner geht in diesem kurz gehaltenen Dokumentarfilm feinfühlig mit der Situation vor Ort um und findet in Gesprächen Verbindungen zu seiner eigenen Vergangenheit. Gewerkschaftliche Aussagen und schöne Bilder, die alles auffressende Globalisierung in Lauerstellung.
The Virgin Suicides
Streaming, Disney+ / Regie: Sofia Coppola
Warum ich das Debütwerk von Frau Coppola bis heute nie gesehen hatte, wird immer ein Rätsel bleiben, war Kirsten Dunst einer meiner ersten und grössten Schwärme aus der Filmwelt. Bezaubernd ist sie als Lux noch heute, der Film sehr tragisch und nicht ohne interessante Ansätze zu den toxischen Umfeldern, die in Familien, Schulen und Nachbarschaften herrschen. Die Musik von Air und James Woods gefallen logischerweise.
Sin Señas Particulares
Streaming, Filmingo / Regie: Fernanda Valadez
Filme über die schreckliche Grenzsituation zwischen Mexico und den USA gibt es einige, so schön gefilmt wie «Sin Señas Particulares» ist aber selten einer. Die Geschichte über verschwundene Männer, der hoffnungslosen Suche nach lebenden Toten und die ewige Gewaltspirale bleibt dadurch immer faszinierend und emotional ergreifend, auch wenn das typische Schema angewandt wird.
To Live And Die In L.A.
BD / Regie: William Friedkin
1985 war ein gutes Jahr, um die Achtziger übergross darzustellen. Das dachte sich bestimmt Friedkin und stopfte alle Klischees der damaligen Zeit in diesen Actionfilm, und dann noch mehr. Das kann man grossartig finden oder etwas unsensibel, die Verfolgungsjagd über den Highway entschädigt aber für so manche, eher durchschnittliche Szene. Dafür gefällt Willem Dafoe in seiner Rolle als genial durchgeknallter Geldfälscher umso mehr.
Capone
DVD / Regie: Josh Trank
Ist Trank ein Fuchs und lieferte uns mit «Capone» ein experimenteller Blick auf die letzten Monate im Leben des gefürchteten Gangsters ab, oder ist dieser Film nach den eher unfantastischen Vier ein erneuter Griff ins Klo? Es lässt sich fast nicht sagen, möchte die Schauspieler*innen-Riege doch überzeugen, stolpert die Inszenierung aber mit jeder neuen Szene über sich selbst. Sehr merkwürdig dieses Ding.
Versus
BD / Regie: Ryuhei Kitamura
(Ultimate Versus) Wie wäre es denn, sich während zwei Stunden im Wald die Köpfe ein- und abzuschlagen? Yakuza, Samurai, Feuergefechte und Zombies – ein feuchter Traum der frühen Nullerjahre und ein Knall in der japanischen Filmszene der damaligen Zeit. DIY und bis zum Anschlag aufgedreht, viel zu lang und praktisch ohne Inhalt, dafür mit wunderbaren Gore-Momenten und einer Spur kinematografischem Wahn.
The Invisible Man’s Revenge
BD / Regie: Ford Beebe
Nachdem sich der unsichtbare Mann in den letzten filmischen Abenteuern etwas zu stark in die Komik lehnte, wird mit dem Rachefilm der düstere Beginn der Reihe wieder aufgegriffen. Zwar wollen weder Geschichte noch Effekte neues erzählen, der Hauptdarsteller bleibt gar sehr blass, eine Verbesserung zur Frau und dem Agenten findet dennoch statt.
La Vérité
BD / Regie: Henri-Georges Clouzot
Henri-Georges Clouzot schrieb das Drehbuch nicht alleine, sondern liess sich von mehreren Autor*innen unterstützen. Dabei ist ein Gerichtsdrama entstanden, das unglaublich progressiv vom freien Liebesleben einer jungen Frau (wunderbar, Brigitte Bardot) im Paris der Sechzigerjahre erzählt. Unterdrückte Freiheit, gesellschaftliche Zwänge und Misogynie werden verurteilt, die schattenreich komponierten Bilder unterstreichen die stechenden Aussagen. Ein bis heute wichtiger Film von 1960.
The Story Of Sin
BD / Regie: Walerian Borowczyk
Etwas verzettelt ist die Erzählweise schon, dafür belohnen Schauspiel, Ausstattung und Aufnahmen für eventuell zähe Momente. Die in Polen gedrehte Arbeit von Walerian Borowczyk ist eine erstaunlich feministische Perspektive auf sexuelle Ausbeutung und der weiblichen Suche nach Liebe und Rückhalt (ohne dabei viel zu zeigen, im Vergleich zu anderen Filmen des Regisseurs). Was zu Beginn noch leichtfüssig wirkt, verdüstert sich zu einem tragischen und nachdenklichen Ende.
Abbott and Costello Meet the Invisible Man
BD / Regie: Charles Lamont
So endet die Reihe der klassischen Invisible-Man-Filme also, mit einem Slapstick-Box-Abenteuer, das an vielen Enden überholt ist, aber erstaunlicherweise ab der Hälfte doch einige grosse Lacher bringt. Abbott und Costello stehen natürlich im Zentrum der Geschichte und lassen sich durch Klamauk und nette Effekte verwirren. Ein humoristischer und immer noch sehenswerter Abschluss.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Zieht der Versus objektiv heutzutage überhaupt noch? Ich erinnere mich noch so gut an den Hype, die Tin Box Preise, die cut Fassung von EMS ... als ich ihn dann Jahre später sah, konnte ich die Grütze nicht glauben.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Die "Hauptsache das Blut spritzt" Fraktion hat den gefeiert ohne Ende, ich habe glaube ich keine 30 Minuten ausgehalten
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note
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Re: Filmtagebuch: deBohli
"Versus" macht auch heute noch Sinn, wenn man sich für die Ursprünge der Extrem-Filmkultur heutiger Jahre in Japan interessiert. Die kybernetische Inszenierung ist mit all den handgemachten Effekten und rasanten Schnitten beeindruckend, die stilistischen Merkmale von Anime wurden überzeugend in die reale Umgebung transportiert. Da sich der Film gar nie an etwas mehr versucht, als ein rein optisch-blutiges Freudenwerk zu sein, funktioniert diese Mechanik. Ryuhei Kitamura wollte sich austoben und allen Anzugträger im Filmbusiness eines auswischen - das hat mehr als geklappt.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Gut, mit solchen Arthouse Argumenten gewinnt der Film natürlich an Kontur.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Ich hab den vor wenigen Wochen zum ersten Mal gesehen und bin da beim Bohli. Sicher kein überragender Film, sondern eher sowas wie eine Fingerübung für Schnitt, Kamera und Bewegung, aber filmhistorisch nichtsdestotrotz unheimlich interessant. Dieser Streifen hat mir ganz extrem vor Augen geführt, wie sich ein gewisser Schlag Film seit der Hochphase des DVD-Zeitalters entwickelt hat. Ich glaube, wenn ich ihn damals stilecht über LaserParadise gesehen hätte, hätte er mir wohl nicht so viel gegeben wie es jetzt der Fall war.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Arthouse-Sprech macht alles tiefgründiger.
Das stimmt, für die Genre-Entwicklung ist der Film ein wichtiger Pfeiler. Und es geht mir so wie dir, Vince; hätte ich damals die Tin-Box gekauft, wäre der Film wahrscheinlich nach einer Sichtung wieder aus der Sammlung geflogen.
Das stimmt, für die Genre-Entwicklung ist der Film ein wichtiger Pfeiler. Und es geht mir so wie dir, Vince; hätte ich damals die Tin-Box gekauft, wäre der Film wahrscheinlich nach einer Sichtung wieder aus der Sammlung geflogen.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Wie jedes Jahr besuchte ich auch 2021 das Fantoche Festival für Animationsfilm in Baden.
Teil 1 der geschauten Filme:
Satoshi Kon, L'illusioniste
Als ich damals an der Schwelle zum neuen Jahrtausend in die weite Welt der Manga- und Animekultur eintauchte, waren Filme wie «Perfect Blue» oder «Millennium Actress» rasch ein Begriff. Fachzeitschriften (Animania) und das Internet waren sich einig, diese Produktionen muss man gesehen haben. Für mich hat es bis zum 19. Fantoche Festival gedauert, diese Vorsätze endlich in Taten umzusetzen – dafür gleich als wunderbare Retrospektive inklusive erst vor kurzer Zeit fertiggestellter Dokumentation über Regisseur Satoshi Kon.
Mit «Satoshi Kon, L'illusioniste» wird das Leben des 2010 verstorbenen Künstlers neu beleuchtet, der Fokus liegt dabei auf seinen vier Langfilmen und der TV-Seire «Paranoia Agent». Chronologisch werden die Entstehungsgeschichten behandelt, neue Interviews mit wichtigen Personen aus der Anime-Welt (Mamoru Oshii, Megumi Hayashibara) und Regisseuren Hollywoods (Darren Aronowsky, Rodney Rothman) dürfen bekunden, welch grosser Einfluss Kon auf ihre Arbeit war. Leider aber bleibt die Dokumentation immer oberflächlich und begnügt sich mit den typischen, posthumen Lobpreisungen.
Die schwierigen Seiten Kons, sein spezielles Gebaren und seine undurchsichtige Person, werden in einigen Nebensätzen angeschnitten, ohne Tiefe zu erhalten. Das wird dem Ansatz einer umfänglichen Doku nicht gerecht und lässt die Schatten eines Illusionisten vermissen. Als Einstieg in dessen Welt gestaltet sich «Satoshi Kon, L'illusioniste» aber als guter Appetithappen und vermittelt einige interessante Fakten und Aspekte der Filme.
Tokoy Godfathers
Kino / Regie: Satochi Kon
Nachdem sich Satochi Kon mit seinen ersten beiden Filmen als Meister von erwachsenen und vielschichtigen Geschichten offenbarte, legte er mit «Tokyo Godfathers» eine bewusst leichte und humoristisch gehaltene Produktion vor. Inspiriert durch den John-Ford-Western «3 Godfathers», begleitet man drei Obdachlose durch das weihnächtliche Tokyo, auf der Such nach den Eltern eines ausgesetzten Kleinkindes.
Dieses Unterfangen stellt sich als komplex heraus, wird mit Elementen der Jesusgeschichte garniert und ist der Einstieg in das vielschichtige Wesen seiner Protagonisten. Die Stadt Tokyo wird von ihrer selten gesehenen und schmutzigen Seite gezeigt, der Sozialstaat findet sich im Visier der Kritik wieder. «Tokyo Godfathers» spielt nicht nur mit Kontrasten in der Erzählung, sondern lässt extreme Charakteranimationen auf eine realistische Umgebungsgestaltung treffen und hält während der gesamten Laufzeit die Balance zwischen Komödie und Drama auf vortreffliche Weise.
Paprika
Kino / Regie: Satochi Kon
Mit dem letzten Spielfilm von Satochi Kon, der mit nur 46 Jahren viel zu früh an Krebs starb, wurden alle Grenzen gesprengt. «Paprika» ist ein meisterhaftes Spiel um Realität, Traum und Vorstellung, eine Fantasie mit vielen Ebenen und geschickter Verschachtelung. Die Erzählung um das Gerät DC Mini, das Träume steuern und in andere Menschen einpflanzen lässt, ist Fantasy, Science-Fiction, Thriller und Krimi zugleich. Nicht nur die Charaktere im Film, sondern auch die Zuschauer*innen verlieren die Bodenhaften und lassen sich von den wechselnden Szenerien mitreissen.
Oft geschieht dies mehrmals in einer kurzen Sequenz, die Vorstellungskraft kapert die gewohnte Ordnung und sprengt alle Dimensionen. In bunten Bildern gezeichnet und mit eleganten und clever geschriebenen Steigerungen und Wiederholungen ausgestattet, ist «Paprika» ein Film voller philosophischer Aspekte, der nicht nur Kons Liebe zum Kino und Film ergründet, sondern seine Faszination mit der vielfältigen Darstellung einer einzelnen Persönlichkeit.
Sein Abschlusswerk ist bis heute ein Meilenstein des Anime und so gelungen, dass sich Christopher Nolan davon nicht nur zu «Inception» (2010) inspirieren liess, sondern gar eine ziemlich dreiste Kopie drehte.
Teil 1 der geschauten Filme:
Satoshi Kon, L'illusioniste
Als ich damals an der Schwelle zum neuen Jahrtausend in die weite Welt der Manga- und Animekultur eintauchte, waren Filme wie «Perfect Blue» oder «Millennium Actress» rasch ein Begriff. Fachzeitschriften (Animania) und das Internet waren sich einig, diese Produktionen muss man gesehen haben. Für mich hat es bis zum 19. Fantoche Festival gedauert, diese Vorsätze endlich in Taten umzusetzen – dafür gleich als wunderbare Retrospektive inklusive erst vor kurzer Zeit fertiggestellter Dokumentation über Regisseur Satoshi Kon.
Mit «Satoshi Kon, L'illusioniste» wird das Leben des 2010 verstorbenen Künstlers neu beleuchtet, der Fokus liegt dabei auf seinen vier Langfilmen und der TV-Seire «Paranoia Agent». Chronologisch werden die Entstehungsgeschichten behandelt, neue Interviews mit wichtigen Personen aus der Anime-Welt (Mamoru Oshii, Megumi Hayashibara) und Regisseuren Hollywoods (Darren Aronowsky, Rodney Rothman) dürfen bekunden, welch grosser Einfluss Kon auf ihre Arbeit war. Leider aber bleibt die Dokumentation immer oberflächlich und begnügt sich mit den typischen, posthumen Lobpreisungen.
Die schwierigen Seiten Kons, sein spezielles Gebaren und seine undurchsichtige Person, werden in einigen Nebensätzen angeschnitten, ohne Tiefe zu erhalten. Das wird dem Ansatz einer umfänglichen Doku nicht gerecht und lässt die Schatten eines Illusionisten vermissen. Als Einstieg in dessen Welt gestaltet sich «Satoshi Kon, L'illusioniste» aber als guter Appetithappen und vermittelt einige interessante Fakten und Aspekte der Filme.
Tokoy Godfathers
Kino / Regie: Satochi Kon
Nachdem sich Satochi Kon mit seinen ersten beiden Filmen als Meister von erwachsenen und vielschichtigen Geschichten offenbarte, legte er mit «Tokyo Godfathers» eine bewusst leichte und humoristisch gehaltene Produktion vor. Inspiriert durch den John-Ford-Western «3 Godfathers», begleitet man drei Obdachlose durch das weihnächtliche Tokyo, auf der Such nach den Eltern eines ausgesetzten Kleinkindes.
Dieses Unterfangen stellt sich als komplex heraus, wird mit Elementen der Jesusgeschichte garniert und ist der Einstieg in das vielschichtige Wesen seiner Protagonisten. Die Stadt Tokyo wird von ihrer selten gesehenen und schmutzigen Seite gezeigt, der Sozialstaat findet sich im Visier der Kritik wieder. «Tokyo Godfathers» spielt nicht nur mit Kontrasten in der Erzählung, sondern lässt extreme Charakteranimationen auf eine realistische Umgebungsgestaltung treffen und hält während der gesamten Laufzeit die Balance zwischen Komödie und Drama auf vortreffliche Weise.
Paprika
Kino / Regie: Satochi Kon
Mit dem letzten Spielfilm von Satochi Kon, der mit nur 46 Jahren viel zu früh an Krebs starb, wurden alle Grenzen gesprengt. «Paprika» ist ein meisterhaftes Spiel um Realität, Traum und Vorstellung, eine Fantasie mit vielen Ebenen und geschickter Verschachtelung. Die Erzählung um das Gerät DC Mini, das Träume steuern und in andere Menschen einpflanzen lässt, ist Fantasy, Science-Fiction, Thriller und Krimi zugleich. Nicht nur die Charaktere im Film, sondern auch die Zuschauer*innen verlieren die Bodenhaften und lassen sich von den wechselnden Szenerien mitreissen.
Oft geschieht dies mehrmals in einer kurzen Sequenz, die Vorstellungskraft kapert die gewohnte Ordnung und sprengt alle Dimensionen. In bunten Bildern gezeichnet und mit eleganten und clever geschriebenen Steigerungen und Wiederholungen ausgestattet, ist «Paprika» ein Film voller philosophischer Aspekte, der nicht nur Kons Liebe zum Kino und Film ergründet, sondern seine Faszination mit der vielfältigen Darstellung einer einzelnen Persönlichkeit.
Sein Abschlusswerk ist bis heute ein Meilenstein des Anime und so gelungen, dass sich Christopher Nolan davon nicht nur zu «Inception» (2010) inspirieren liess, sondern gar eine ziemlich dreiste Kopie drehte.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Fantoche Festival Teil 2:
Perfect Blue
Kino / Regie: Satochi Kon
Oft vergisst man, dass dieser Film 25 Jahre alt ist. Mit seiner ersten Regiearbeit im Bereich der Langfilme hatte Satochi Kon nicht nur das Feld des Anime wachgerüttelt, sondern bewies der gesamten Welt, dass den gezeichneten Bildern auch bei erwachsenen Themen keine Grenzen gesetzt sind. «Perfect Blue» ist eine eindringliche Mischung aus Thriller, Psychodrama und visionärem Weitblick, bis ins letzte Detail durchkomponiert und gleichermassen fesselnd wie verstörend.
Die Geschichte um das Idol Mima der Popgruppe CHAN, die sich neu der Schauspielerei widmet und es dabei mit einem mörderischen Stalker zu tun kriegt, behandelt nicht nur schwierige Aspekte wie die gesellschaftliche Gier nach Berühmtheiten, multiple Persönlichkeiten und sexistische Machenschaften im Filmbusiness, sie lässt sogar mehrere Realitäten parallel ablaufen. «Perfect Blue» ist genial geschrieben, geschnitten, verfügt über unglaubliche Sounds und verdichtet sich mit jeder Minute zu einem Ende, das wie eine Explosion wirkt. Einer der besten Filme der Neunzigerjahre und bis heute ein beeindruckendes Meisterwerk.
Nicht nur hat Kon mit diesem Film Regisseure wie David Lynch («Mulholland Drive») und Darren Aronowsky («Black Swan») inspiriert, er hat die Messlatte gleich unerreichbar hoch gesetzt.
Millennium Actress
Kino / Regie: Satochi Kon
In der Inszenierung um einiges leichter gehalten als «Perfect Blue», behandelt Satochi Kon mit seinem zweiten Film erneut das Thema der mehrfachen Realität und der Vielschichtigkeit eines Menschen. Man möchte das Gedicht «Song Of Myself» von Walt Whitman als Vergleich herbeiziehen, bei «Millennium Actress» nimmt allerdings Kons Liebe zum japanischen Kino die zentrale Stelle ein.
Als Hommage auf die Schauspielerin Setsuko Hara («Die Tochter des Samurai», «Reise nach Tokyo») angedacht, begleiten wir Chiyoko Fujiwara durch ihr Leben und Wirken, immer auf der Suche nach der grossen Liebe. Man springt mit den Figuren durch die Jahrzehnte und darf dank der genialen Schnittweise (angelehnt an «Slaughterhouse-Five» von George Roy Hill) zwischen Fiktion, Realität und Wunschvorstellung hin und herpendeln. Zwar stellenweise etwas melodramatisch in der Ausführung, dank der leidenschaftlichen Darstellung des Kinos und dem wundervollen, emanzipierten Ende ist «Millennium Actress» mehr als lohnend und sehr berührend.
Wolfwalkers
Kino / Regie: Tomm Moore, Ross Stewart
Es ist sehr löblich, dass «Wolfwalkers» am Fantoche Festival simultan via Kopfhörer auf Deutsch eingesprochen wurde. Somit erhielten Kinder die Chance, den Film ebenfalls zu geniessen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Eltern danach mit ihren Nachkommen der Geschichte gewidmet und dabei das Thema des Adultismus angesprochen haben.
Wie meist in Animationsfilmen, werden auch hier die jungen Charaktere von den erwachsenen Figuren als minderwertig behandelt und nicht ernst genommen. Das ist nicht das einzige bekannte Element an der Geschichte, die den Konflikt zwischen Siedler und Wolf, zwischen Menschheit und Natur, behandelt. Im Irland des 17. Jahrhundert angesiedelt, begleiten wir Jägerstochter Robyn und Wolfwanderlin Mebh. Zusammen versuchen die Mädchen den brodelnden Konflikt auf friedliche Weise zu lösen.
Gezeichnet in einer ästhetischen Mixtur aus Kinderbuchillustrationen und irischen Holzschnitten damaliger Zeit ist ein optisch bezaubernder Film entstanden, der mit viel Humor und Gefühl fesselt. Die emotionale und schöne Musik (Irish Folk trifft auf Popmusik) trägt das Herz durch den Film und macht die Aspekte der Politik, den Wolfsmythos und Konflikt zwischen England und Irland für alle Altersschichten greifbar.
A Silent Voice
Kino / Regie: Naoko Yamada
Aktuelle Anime-Produktionen tragen die Melodramatik offen auf der Brust. Das wurde nicht erst mit Makoto Shinkai (siehe unser Bericht zu «Weathering With You») zum weltweiten Massenphänomen, sondern hat die Wurzeln in den Manga-Vorlagen. Auf einer gezeichneten Geschichte basiert auch «A Silent Voice» von Regisseurin Naoko Yamada, ein Film, der 2016 nicht nur das Publikum, sondern auch die Kritiker und Award-Jurys begeisterte.
Die Geschichte um Mobbing, körperliche Defizite und familiäre Probleme bei Teenager versucht viele Knackpunkte der Schulzeit aufzugreifen und weiss dank der sanften und bedächtigen Erzählweise zu gefallen, wirkt zugleich aber unentschieden und überladen. Mit 130 Minuten Laufzeit ist der Film, trotz seines eigentlichen Gewichtes, zu lange und dreht sich besonders im letzten Drittel immer wieder im Kreis, ohne psychologisch tief die angesprochenen Punkte anzugehen. An Animation, Musik und Design gibt es bei «A Silent Voice» nichts zu meckern, hübsch und emotional geht es in jeder Szene zu und her. Eine wirkliche Identifikation oder gar ein Lernprozess bleibt leider aus.
La Traversee
Kino / Regie: Florence Miailhe
Nachdem ihr Dorf geplündert und niedergebrannt wurde, flüchtet Kyona mit ihren Eltern und Geschwistern Richtung Westen. Auf der Flucht wird die Familie jedoch auseinandergerissen; ab da sind sie und ihr Bruder Adriel auf sich alleine gestellt. Sie begegnen verschiedenen Menschen Iskender, der mit zwielichtigen Gestalten Handel treibt, oder der Schauspielerin Florabelle, an die sie verkauft werden und die sie zu ihren eigenen Kindern umerziehen will.
Kyona dokumentiert ihre Flucht in ihrem Zeichenbuch und porträtiert die Personen, mit denen sie Bekanntschaft schliesst. Die Regisseurin Florence Miailhe lässt den Zuschauer bei «La Traversée» im Unklaren darüber, in welchen Ländern die Geschichte spielt; Orte, Ethnien und Namen sind verfremdet. Auf diese Art steht die Flucht der beiden Kinder stellvertretend für alle Geflüchteten und lenkt den Blick auf die persönlichen Schicksale.
Zusätzlich entsteht durch die Machart – Ölmalereien auf Glasplatten – eine ureigene Wirkung, emotional und bewegungsreich. Die Bilder unterliegen einem Fluss, der je nach Situation zu einem Sog wird und die Zuschauer*innen tief in die Details und Flächen der Malereien und Zeichnungen mitnimmt.
Perfect Blue
Kino / Regie: Satochi Kon
Oft vergisst man, dass dieser Film 25 Jahre alt ist. Mit seiner ersten Regiearbeit im Bereich der Langfilme hatte Satochi Kon nicht nur das Feld des Anime wachgerüttelt, sondern bewies der gesamten Welt, dass den gezeichneten Bildern auch bei erwachsenen Themen keine Grenzen gesetzt sind. «Perfect Blue» ist eine eindringliche Mischung aus Thriller, Psychodrama und visionärem Weitblick, bis ins letzte Detail durchkomponiert und gleichermassen fesselnd wie verstörend.
Die Geschichte um das Idol Mima der Popgruppe CHAN, die sich neu der Schauspielerei widmet und es dabei mit einem mörderischen Stalker zu tun kriegt, behandelt nicht nur schwierige Aspekte wie die gesellschaftliche Gier nach Berühmtheiten, multiple Persönlichkeiten und sexistische Machenschaften im Filmbusiness, sie lässt sogar mehrere Realitäten parallel ablaufen. «Perfect Blue» ist genial geschrieben, geschnitten, verfügt über unglaubliche Sounds und verdichtet sich mit jeder Minute zu einem Ende, das wie eine Explosion wirkt. Einer der besten Filme der Neunzigerjahre und bis heute ein beeindruckendes Meisterwerk.
Nicht nur hat Kon mit diesem Film Regisseure wie David Lynch («Mulholland Drive») und Darren Aronowsky («Black Swan») inspiriert, er hat die Messlatte gleich unerreichbar hoch gesetzt.
Millennium Actress
Kino / Regie: Satochi Kon
In der Inszenierung um einiges leichter gehalten als «Perfect Blue», behandelt Satochi Kon mit seinem zweiten Film erneut das Thema der mehrfachen Realität und der Vielschichtigkeit eines Menschen. Man möchte das Gedicht «Song Of Myself» von Walt Whitman als Vergleich herbeiziehen, bei «Millennium Actress» nimmt allerdings Kons Liebe zum japanischen Kino die zentrale Stelle ein.
Als Hommage auf die Schauspielerin Setsuko Hara («Die Tochter des Samurai», «Reise nach Tokyo») angedacht, begleiten wir Chiyoko Fujiwara durch ihr Leben und Wirken, immer auf der Suche nach der grossen Liebe. Man springt mit den Figuren durch die Jahrzehnte und darf dank der genialen Schnittweise (angelehnt an «Slaughterhouse-Five» von George Roy Hill) zwischen Fiktion, Realität und Wunschvorstellung hin und herpendeln. Zwar stellenweise etwas melodramatisch in der Ausführung, dank der leidenschaftlichen Darstellung des Kinos und dem wundervollen, emanzipierten Ende ist «Millennium Actress» mehr als lohnend und sehr berührend.
Wolfwalkers
Kino / Regie: Tomm Moore, Ross Stewart
Es ist sehr löblich, dass «Wolfwalkers» am Fantoche Festival simultan via Kopfhörer auf Deutsch eingesprochen wurde. Somit erhielten Kinder die Chance, den Film ebenfalls zu geniessen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Eltern danach mit ihren Nachkommen der Geschichte gewidmet und dabei das Thema des Adultismus angesprochen haben.
Wie meist in Animationsfilmen, werden auch hier die jungen Charaktere von den erwachsenen Figuren als minderwertig behandelt und nicht ernst genommen. Das ist nicht das einzige bekannte Element an der Geschichte, die den Konflikt zwischen Siedler und Wolf, zwischen Menschheit und Natur, behandelt. Im Irland des 17. Jahrhundert angesiedelt, begleiten wir Jägerstochter Robyn und Wolfwanderlin Mebh. Zusammen versuchen die Mädchen den brodelnden Konflikt auf friedliche Weise zu lösen.
Gezeichnet in einer ästhetischen Mixtur aus Kinderbuchillustrationen und irischen Holzschnitten damaliger Zeit ist ein optisch bezaubernder Film entstanden, der mit viel Humor und Gefühl fesselt. Die emotionale und schöne Musik (Irish Folk trifft auf Popmusik) trägt das Herz durch den Film und macht die Aspekte der Politik, den Wolfsmythos und Konflikt zwischen England und Irland für alle Altersschichten greifbar.
A Silent Voice
Kino / Regie: Naoko Yamada
Aktuelle Anime-Produktionen tragen die Melodramatik offen auf der Brust. Das wurde nicht erst mit Makoto Shinkai (siehe unser Bericht zu «Weathering With You») zum weltweiten Massenphänomen, sondern hat die Wurzeln in den Manga-Vorlagen. Auf einer gezeichneten Geschichte basiert auch «A Silent Voice» von Regisseurin Naoko Yamada, ein Film, der 2016 nicht nur das Publikum, sondern auch die Kritiker und Award-Jurys begeisterte.
Die Geschichte um Mobbing, körperliche Defizite und familiäre Probleme bei Teenager versucht viele Knackpunkte der Schulzeit aufzugreifen und weiss dank der sanften und bedächtigen Erzählweise zu gefallen, wirkt zugleich aber unentschieden und überladen. Mit 130 Minuten Laufzeit ist der Film, trotz seines eigentlichen Gewichtes, zu lange und dreht sich besonders im letzten Drittel immer wieder im Kreis, ohne psychologisch tief die angesprochenen Punkte anzugehen. An Animation, Musik und Design gibt es bei «A Silent Voice» nichts zu meckern, hübsch und emotional geht es in jeder Szene zu und her. Eine wirkliche Identifikation oder gar ein Lernprozess bleibt leider aus.
La Traversee
Kino / Regie: Florence Miailhe
Nachdem ihr Dorf geplündert und niedergebrannt wurde, flüchtet Kyona mit ihren Eltern und Geschwistern Richtung Westen. Auf der Flucht wird die Familie jedoch auseinandergerissen; ab da sind sie und ihr Bruder Adriel auf sich alleine gestellt. Sie begegnen verschiedenen Menschen Iskender, der mit zwielichtigen Gestalten Handel treibt, oder der Schauspielerin Florabelle, an die sie verkauft werden und die sie zu ihren eigenen Kindern umerziehen will.
Kyona dokumentiert ihre Flucht in ihrem Zeichenbuch und porträtiert die Personen, mit denen sie Bekanntschaft schliesst. Die Regisseurin Florence Miailhe lässt den Zuschauer bei «La Traversée» im Unklaren darüber, in welchen Ländern die Geschichte spielt; Orte, Ethnien und Namen sind verfremdet. Auf diese Art steht die Flucht der beiden Kinder stellvertretend für alle Geflüchteten und lenkt den Blick auf die persönlichen Schicksale.
Zusätzlich entsteht durch die Machart – Ölmalereien auf Glasplatten – eine ureigene Wirkung, emotional und bewegungsreich. Die Bilder unterliegen einem Fluss, der je nach Situation zu einem Sog wird und die Zuschauer*innen tief in die Details und Flächen der Malereien und Zeichnungen mitnimmt.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Bad Hair
DVD / Regie: Justin Simien
Die Achtzigerjahre, schlimme Klamotten, hippe Fernsehsendungen und rassistische Unterdrückung. «Bad Hair» von Justin Simien untersucht den Alltag eines TV-Senders, gepaart mit mörderischen Haarextensions. Elle Lorraine gibt alles in der Hauptrolle, doch leider konterkarieren sich die Horror- und Komödienelemente mit der Sozialkritik. Der Film ist immer gut, wenn er Missstände und Rassismus im Fokus hat, Grusel und Schock gelingt der Produktion leider weniger. So bleibt ein unterhaltsamer Streifen, der nicht über den Gehalt einer Diskussion beim Coiffeur hinauskommt.
My Country, My Country
DVD / Regie: Laura Poitras
Wahlen während eines Krieges zu führen, das erscheint unrealistisch und gefährlich. Doch genau dies hat die Koalition unter der Führung der USA 2005 im besetzten Irak versucht. Poitras’ Film begleitet den Kandidaten und Arzt Dr. Riyadh während seinem Alltag, schaltet immer wieder zu den militärischen Kräften und zeichnet das damalige Geschehen im Land nach. Ein vielseitiger Film, der etwas oberflächlich bleibt, die Menschlichkeit in all den Grausamkeiten aber aufzuspüren vermag.
X: The Man With The X-Ray Eyes
BD / Regie: Roger Corman
Trash konnte Corman inszenieren und dieser Film über einen Arzt, der das menschliche Sehvermögen erweitern möchte, will glücklicherweise gar nicht mehr sein. Ausgenommen von seinen aufgemotzten Augen bleibt das Spiel des Hauptdarstellers Ray Milland zwar etwas blass, dafür werden psychedelische Effekte, Glaubenswahn und medizinische Wunder in einen Topf geworfen. Schrecken und Horror gibt es wenig, allerdings etwas Komik und viel Charme – plus eine überhaupt nicht verstaubte Partyszene.
Frankenstein Meets The Wolf Man
BD / Regie: Roy William Neill
Wie es der Titel verspricht, ist der zweite Film der Wolfsmann-Reihe ein «Monster Mash». Nicht nur wegen dem (ziemlich lahmen) Zweikampf am Ende, sondern auch im Sinne des Drehbuches. Der Beginn widmet sich den folkloristischen und mystischen Elementen, die zweite Hälfte stürzt sich mit Massenszenen, tollen Sets und wunderbaren Modellen in den Labor-Horror-Kosmos. Ein spassiger Film durch und durch.
Dune Part One
Kino / Regie: Denis Villeneuve
Diverse Namen haben sich an «Dune» versucht, funktioniert hat es nicht immer. Die Geschichten hinter den Verfilmungen sollten bekannt sein und auch Villeneuve liefert mit seiner Version kein ewiges Meisterwerk ab. Anfang und Ende etwa sind etwas zu schlaff, wirklich viel Tiefe kann sein Blockbuster nicht vorweisen.
Aber: Was der Mann an audiovisueller Brillanz auffährt, wie er das Drehbuch spätestens bei der Ankunft auf Arrakis verdichtet und wie genial die Schauspieler*innen agieren (Rebecca Ferguson, Timothée Chalamet und Oscar Isaac besonders), das ist atemberaubend. Der Film ist riesig, der Score perfekt gewählt, Kostüme, Setdesign, Soundeffekte und Farben ins letzte Detail austariert, die Szenen mitreissend und emotional. Man kann nur hoffen, dass ganz viele Menschen dieses Space-Epos im Kino anschauen gehen, damit der zweite Teil verdienterweise ebenfalls gedreht werden darf.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Das Urwerk habe ich seinerzeit voller Hoffnung geschaut, weil ich auf Raumschiffe und Flyby Manöver hoffte. Fehlanzeige. Gibts jetzt welche? Ansonsten hat der Streifen den Begriff Space-Epos nicht verdient, der gilt nur für 2001.Man kann nur hoffen, dass ganz viele Menschen dieses Space-Epos im Kino anschauen gehen, damit der zweite Teil verdienterweise ebenfalls gedreht werden darf.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Viel Zeit verbringt man bei Villeneuve nicht im All, wohl aber starten und landen immer wieder fette und genial designte Raumschiffe. Auf Dune selbst wird dann oft mit dem Ornithopter rumgeflogen.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Sollte SFI diesen Film abwatschen, isser jedenfalls bei mir den Status Raumschiff-Experte los.
Kracherfilm, kann deBohli da nur beipflichten, wobei ich das mit der fehlenden Tiefe gar nicht mal unterschreiben würde (und dürfte er dann überhaupt die Höchstnote bekommen?)
Kracherfilm, kann deBohli da nur beipflichten, wobei ich das mit der fehlenden Tiefe gar nicht mal unterschreiben würde (und dürfte er dann überhaupt die Höchstnote bekommen?)
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Theoretisch nicht, allerdings sind die anderen Werte so überragend, dass es für mich nicht anders möglich ist, als die 10 zu zücken. Ja, besonders die Thematik mit den Bene-Gesserit und die Beziehung zwischen Paul und Jessica sind sehr berührend und intelligent gestaltet. Die fehlende Tiefe resultiert für mich aus dem Grund, dass der Film ein Prolog darstellt und sich alle vorgeführten Personen, Häuser und Konflikte im zweiten Teil erst vollends auffalten werden.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Ich werde den Hype lediglich erden. Bin schon gepannt mit was der freeman wieder aufwartet. Womöglich mit 11 is one louder.Sollte SFI diesen Film abwatschen, isser jedenfalls bei mir den Status Raumschiff-Experte los.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Der Sachse wird endlos irgendwelche Actionszenen sehen wo keine sind
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note
Re: Filmtagebuch: deBohli
Freut mich immer wieder, mit Überraschungen aufwarten zu können. Tiefer ging bislang keiner hier. Wird vermutlich ein Formationsflug mit Timo. Dafür sind die Raumschiffe zu groß und klobig und die Besatzungen zu klein
In diesem Sinne:
freeman
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freeman
Re: Filmtagebuch: deBohli
Die Spannungskurve steigt freeman, dein Formationsflug mit mir wird aber bis 2022 warten müssen.
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