Alien
Fünf Buchstaben, wie "Death", das englische Wort für Tod, oder Birth, das englische Wort für Geburt: "Alien". Fünf Buchstaben, hinter denen sich nichts und doch so vieles verbirgt. "Alien", das ist nicht einfach nur die Bezeichnung für außerirdische Lebensformen, sondern der Titel eines 1979 erschienen Films, den der damals junge Kinovisionär Ridley Scott auf dem Regiestuhl in die Lichtspielhäuser oder besser gesagt
zur Welt brachte. Derlei merkwürdige Formulierungen sind ganz gewiss kein Zufall: "Alien" ist weit mehr als die Mutter aller Horrorfilme, wie er von manchen Cineasten und Kritikern genannt wird und auch weit mehr als hervorragendes Spannungskino der aller brillantesten Sorte, es ist eine Geschichte über Geburt, Leben und Tod, über die Errungenschaften der technologischen Welt und den Verlust der Zivilisation, über den Wert des Einzellebens und den Einfluss von Ethik und Moral auf dessen Qualität, über (aggressive) Sexualität und die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die schlussendlich zur Unkenntlichkeit von Geschlecht und Rasse führt. Mit "Alien" entführt Ridley Scott den Zuschauer in die unendlichen Weiten des Weltalls, auf fremde Planeten und in weit entfernte Sonnensysteme in einer abstrakten Zukunft, doch er erfasst dabei den Menschen als psychologisches und biologisches Wesen vermutlich detaillierter als es je einer vor oder nach ihm hätte fertig bringen können. Ein Film, der "Alien" heißt und "Human" bedeutet.
Doch bevor man über all die Philosophie, Symbolik und Metaphorik der bis ins kleinste Detaill perfektionerten Erzählung sinniert, soll zu allererst ein eindeutiges letztes Mal festgehalten werden, welch filmische Perle und Einzigartigkeit das "Alien"-Mysterium darstellt. Das beginnt damit, dass es nahezu unmöglich scheint, den Film einem konkreten Genre zuzuordnen. Am ehesten liegt neben der Science-Fiction-Bezeichnung (die bestenfalls das Setting umfasst, mit Kern des Films aber nur bedingt zu tun hat) die des Horrorfilms nahe, des psychologischen Schreckens auf Zelluloid gebannt und für die Nachwelt festgehalten. Der Horror, bzw. das echte Grauen auf dem Bildschirm ist in "Alien" greifbar wie in keinem anderen Film. Man könnte ihm vorwerfen, einfach nur die Abstraktion des Fremden oder Fremdartigen als solches als Konkretisierung zu visualisieren und dieses als bloßen Dämon aus dem Reich der Finsternis zu stilisieren oder gar zu verteufeln. Ein Vorwurf, der bereits in der Annahme eindeutig scheitert, den Nicht-Menschlichen Antagonisten als etwas "Böses" zu begreifen, eine Titulierung, die kaum unzutreffender sein könnte. Das titelgebende Monster ist eben weit von einem solchen entfernt, es ist ein biologisches organisches Wesen, von der Natur einzig und allein darauf programmiert, den Fortbestand der eigenen Rasse zu gewährleisten. Ein Wesen, dass sich für Moralvorstellungen wie richtig oder falsch nicht zu interessieren braucht, dessen einziger Lebenssinn das Leben selbst ist - bedingungslos, ohne jede Rücksicht auf die Konsequenz für andere Lebensformen. Es handelt nie aus Hass, Aggression, Furcht oder persönlicher Motivation, es ist vollkommen unantastbar von jedweden inneren oder äußeren Gesetzen oder Richtlinien. Der wahre Horror entsteht darin, dem Unbekannten hier ein Sujet zu verleihen, die Angst selbst als Gestalt vor sich zu sehen. Wie eine Amphibie, mit rassiermesserscharfen Krallen und einer zum Kult gewordenen Kopfform, präsentiert sich das "Alien" als das alleinige Schreckgespenst der gesamten Filmgeschichte und dürfte der vielleicht wahrhaftigste Antagonist des Mediums sein. Und das mit einer Screentime von vielleicht knappen fünf Minuten.
Der Horror wird greifbar, weil all seine Charakteristiken und Auswüchse im wichtigsten Protagonisten des Films versammelt sind: Der Nostromo, jenem Raumschiff, in dem die siebenköpfige Besatzung ihrem schlimmsten Albtraum begegnen wird. Zu Beginn des Films nennt Scott uns Fakten über diese gigantische intergalaktische Raffinerie von 20.000.000 Tonnen Mineralerze, was mehr "Hintergrund" sein dürfte, als wir je von einer der menschlichen Figuren in Erfahrung bringen werden, danach fährt er mit ruhiger und sicherer Hand die schmutzigen, verdreckten und engen Korridore und Flure entlang, die trotz ihrer futuristischen Züge eher an ein U-Boot denn an klassische Science Fiction erinnern. Der dicke allgegenwärtige Stahl allein trennt die handelnden Akteure von der Kälte des Weltraums und dem Schleier des Todes um sie herum und bedeutet so gleichermaßen Schutz wie unbedingte Abhängigkeit und später entsetzliches Grauen, wenn die Enge der sicheren Mauern zum Ort des Todes werden. Diese klaustrophobische Unsicherheit, die sich unaufhaltsam bis zur blanken Panik steigert, fängt Scott mit einer Versiertheit ein, dass man meinen könnte, er hätte in seinem Leben nie an etwas anderem gearbeitet. Die Regie wirft den Zuschauer unvorbereitet in die Exposition und lässt ihn zum achten Besatzungsmitglied werden, der sich bald verloren fühlt in dem Labyrinth aus Gängen, Räumen, Lüftungsschächten und Zwischendecks, während Scott einen Teufel tut, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Die Besatzung selbst wird in wenigen Zügen effektvoll charakterisiert, ist jedoch (wie sie später im Film schmerzlich feststellen werden) "entbehrlich". Klare Sympathien oder eindeutige Antipathien lassen sich für niemanden festmachen, man leidet nicht aufgrund ihrer Eigenschaften mit ihnen, sondern weil man selbst auf der Nostromo mit dem Alien gefangen ist. Diese Authenzität wird von sieben Darstellern unterstützt, die allesamt perfekte Darbietungen ihrer Kunst offerieren: Doch ob Yaphet Kotto, Harry Dean Stanton, Veronica Cartwright, Ian Holm, Tom Skeritt oder John Hurt, sie alle stehen natürlich im Schatten der einmaligen Sigourney Weaver, deren Minenspiel und charakterliche Entwicklung innerhalb dieser 117 Minuten so beachtlich ist, dass man sich ihre Ripley für alle Zeiten als weibliche Hauptfigur jedes Films wünschen möchte. Sie ist klug, unabhängig, selbstbewusst und dennoch menschlich, weiblich, zerbrechlich, ohne das sie sich nicht mit den Männern an Bord behaupten könne. Sie mag zwar weinen, doch vermag genauso auch zu denken und ist bis heute die einzig wahre Actionheldin der Filmgeschichte, die stark und trotzdem echt sein darf.
Das man dennoch nie einen eindeutigen Hauptcharakter ausmachen kann, und auch niemanden, der merklich hinter den anderen Figuren zurückbleibt, sorgt für das unwohlste Gefühl, dass sich während des Horrorerlebnisses überhaupt einstellen kann. Hier kann man sich nicht auf die eine Hauptfigur verlassen, deren zugeteilte Nebenparts im Laufe der Zeit ihr Leben aushauchen werden, hier kann es zu jederzeit jeden treffen und jeder Tod fühlt sich wie ein echter Verlust an, wie ein tiefer Einschnitt in die Gruppe und das Gefüge der Erzählung, so wird der Film mit jedem weiteren Verlust konzentrierter, einfacher, kompakter, karger. Immer wieder gibt es Passagen, die aus der schweißtreibenden Grundspannung ausbrechen und den Begriff "Nervenkitzel" neu definieren, wenn Kane auf dem unbesiedelten Planeten den sogenannten "Space Jockey" und die mysteriöse Brutstätte entdeckt, wenn Captain Dallas mit einem Flammenwerfer ausgestattet in den Lüftungsschächten auf Alien-Jagd geht und nur das mechanisch-leblose unaufhörliche Ticken der Monitor-Bildschirme Jerry Goldsmiths meisterhaften Soundtrack übertönt oder natürlich, wenn die wahren Hintergründe der tödlichen Odyssee aufgedeckt werden und plötzlich nichts mehr so ist, wie es scheint und einer der gewaltigsten Twists der Filmgeschichte mehr Grusel beschwört, als es das Alien selbst bis dato vermochte. Wenn der Horror dann doch einer irdischen Quelle zu Grunde liegt, sind die Weichen längst gestellt, um mit dem letzten verbliebenen Überlebenden und einem tierischen zusätzlichen Passagier den spannendsten Showdown jedes möglichen Superlativs wirken zu lassen, der schwindelerregend ein Ohnmachtsgefühl der fassungslosen Grausamkeit weckt, welches trotz der Beobachter-Perspektive die Qualität hat, zum prägenden Ereignis zu werden. Die Spannungsdramaturgie, die Inszenierung, die pointierten Dialoge, hier ist alles wie eine Maschinerie so perfekt aufeinander abgestimmt, dass es ganze Abhandlungen kosten würde, die Großartigkeit des Filmes entsprechend referieren zu können und selbst dann wäre man kaum bereit, H. R. Gigers Einfluss auf die Optik des Films zu würdigen. Grandios, brillant, einmalig, surrealistisch, fantastisch ... man suche sich den passenden Begriff aus.
Und hinter all dem, hinter all diesen Mechanismen des genüsslichen sadistischen Erzählens soll eine tiefere Metapher Leben und Tod in einem höheren Kontext erfassen? Wer "Alien" schaut und seine wahre Faszination verstehen will, der wird gezwungen, hinter die Oberfläche der schon hier einmaligen Konstruktion und Struktur zu schauen. Ganz ohne Frage fühlt sich "Alien" entsetzlich und abstoßend an - doch wer genau hinsieht, wird feststellen, dass er tatsächlich eine Vergewaltigung ist. Nicht nur für die Sinne, denn unabhängig von atonalen Klängen und stroboskopischem Licht ist "Alien" auf subtextueller Basis in der Tat nichts anderes als eine Vergewaltigung. Nicht zufällig kommt einem das unangenehme Äußere der außerirdischen Lebensform merkwürdig vertraut vor, ist es doch geprägt von Phallussymbolen, die eine ganz eigene Art der Beklommenheit erwecken. Sexuelle Symbolik rund um den Geschlechtsakt selbst ist in Scotts Film omnipräsent, hauptsächlich, um die biologische Sichtweise auf das Leben innerhalb der Erzählung zu unterstreichen. Der
Facehugger (die erste Etappe der dreistufigen Evolution des nicht-menschlichen Geschöpfs), ein tintenfischartiges entsexualisiertes Wesen, übernimmt hierbei einen enorm wichtigen Part, doch vorerst sei festgehalten, dass (auffällig) Sex zwischen Mann und Frau in "Alien" keine Rolle zu spielen scheint. Dies liegt an einer höchst bemerkenswerten Komponente, denn Scott gibt sich große Mühe, die unterschiedliche Besatzung geschlechtsneutral zu zeigen, soll heißen: Das Geschlecht spielt nicht einmal mehr einen geringen Part, sondern ist vollkommen außenvor und nur als biologischer Fakt für die Charaktere von Bedeutung. Diese neutrale Gleichberechtigung der Geschlechter (und sogar Rassen, da später selbst das Leben der Katze Jones als gleichwertig im Vergleich zu den Menschen betrachtet wird) bricht die Regie dadurch auf, dass die Grenzen zwischen Mann und Frau quasi zu verschwinden meinen. Sex ist wie gesagt als solcher im üblichen Sinne nie präsent, doch als Konsequenz aus dem Wirken des Facehuggers werden Männer in dieser pechschwarzen Welt von einem außerirdischen Fremdkörper oral vergewaltigt und dabei zusätzlich geschwängert.
Neben dem symbolisch versteckten Beischlaf ist auch dieser ohne Vorsilbe selbst von essentieller Bedeutung für das volle Verständnis des Meilensteins. Nicht umsonst heißt das Rettungsschiff der Nostromo "Narcissus", die lateinische Bezeichnung für die Narzisse, eben der Blume, die seit jeher repräsentativ den Schlaf verkörperte. Schlaf heißt in der Welt von "Alien" Schutz und Ruhe, einmalig subtil und doch effizient in der Anfangsszene verpackt, in welcher die Crew aus ihren Hyperschlafkabinen steigt, die wie die Blütenblätter einer Narzisse angeordnet sind oder wenn das Opfer des Facehuggers nach seinem erzwungenen komatösen Schlaf erholter und belebter erscheint als nach dem eigentlichen Hyperschlaf - und das trotz der lebensbedrohlichen Umstände bis dato. Das Stadium des Schlafens ist deswegen so schützend, weil es nicht nur die Zeitdauer der Weltraumexpedition überbrückt, sondern auch vor den Gefahren am Bord des Schiffes warnt. Er schützt vor dem Bordcomputer "Mother", der (oder die?) auch sexuell aggressiv vorgeht, um das behütete Kind aus einer anderen Welt zu schützen und in ihren elektronischen mütterlichen Instinkthandlungen die Schwangerschaftssymbolik hervorragend formvollendet. Es zeigt sich, wenn im Fremden das Bekannte und im Unerwartbaren das Erwartbare liegt, potenziert sich der Horror weit mehr, als bei gewollter Mystifizierung, wenngleich auch diese hier ihren Platz findet. Was genau auf dem unbesiedelten Planeten in dem andersartigen Raumfrachter geschah, erfahren wir nie und dürfen höchstens Mutmaßungen anstellen, Leben und Tod bleiben letztendlich wie fast alles in "Alien" ohne Hintergrund, Einführung oder Herleitung. Sie sind universell, allgemeingültig und in ihrer Existenz selbst begründet.
Fazit: "Alien" ist die ultimative Film-Erfahrung selbst, ganz egal, wie man ihn betrachten möchte. Es ist eines der Kunstwerke, bei denen die Perspektive und der Blickwinkel jeweils ein ganz eigenes Bild entwickeln, die dann wieder eigene Wege gehen. Er ist ein Klassiker, aber er überdauert den Test der Zeit, weil er mit Themen spielt, die nie an Aktualität verlieren, weil er in erster Linie menschliche Verzweiflung portraitiert, die auf ewig nachvollziehbar und authentisch bleiben wird. So gut getrickst, dass er den Vergleich mit modernsten Computeranimationen nicht scheuen muss und dermaßen einzigartig gespielt, dass er als Musterexemplar jungen Schauspielern noch lange vorgestellt werden sollte und so unerträglich spannend, dass die genaue Genre-Klassifizierung redundant und unsinnig erscheint. Dient ein Genre schließlich dazu, ähnliche Filme in Schubladen einzuteilen, wird es wohl nie wieder einen Film wie Alien geben, der mit denkbar einfachsten Mitteln daherkommt und all das bietet, wofür dieses Medium geschaffen wurde und eine ganze Generation von Filmgängern beeindruckte und begeisterte. Nicht nachhaltig, sondern von unabwendbarer Dauer, die einzig von der einer Expedition in die unendlichen Weiten des Alls übertroffen werden könnte. Und so ist man am Ende nervlich am Boden zerstört und dennoch sofort bereit, diesen Albtraum gleich ein weiteres Mal durchzustehen. Einfacher wirds nicht, verstörend und faszinierend zugleich bleibt es aber ganz bestimmt.
Prädikat: Lieblingsfilm!