Filmtagebuch: Wallnuss

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Beitrag von StS » 09.04.2016, 13:34

Wallnuss hat geschrieben:Könige der Wellen
...vor allem Freeman (Freund der WWE und von Animationsfilmen) dürfte sich da wie Bolle auf´s Sequel freuen: ;)

Bild

Das sind jeweils die Figuren und ihre Sprecher. Kommt im Frühjahr 2017 raus.
(*FacePalm*)

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Beitrag von Vince » 11.04.2016, 16:59

Seriously? Hätte nicht gedacht, dass diese olle Kamelle nochmal ne Fortsetzung erfährt... war doch schon damals altbackene Ware aus der zweiten Reihe, die eigentlich nur wegen der Wasseranimationen Aufsehen erregte.

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Wallnuss
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Beitrag von Wallnuss » 14.04.2016, 14:37

Oldboy

Ein preisgekrönter Manga aus dem Japan der 80er Jahre diente dem Regisseur Park Chan-wook 2003 als Vorlage für "Oldboy" - dem vielbeachteten zweiten Teil seiner Rache-Trilogie, die ein Jahr zuvor mit "Sympathy for Mr. Vengeance" ihren Anfang nahm. Inhaltlich von seinem nur durchs Thema Vergeltung verwandten Vorgänger unabhängig, erzählt "Oldboy" erneut von Verlust, Rache, Hass und Perspektivlosigkeit. Brutal, schonungslos und komplex aufbereitet entführt Park sein Publikum in eine Welt, die keiner Sinnhaftigkeit zu Grunde zu liegen scheint, in der Mord, Selbstverstümmelung und Totschlag so nötig wie Essen und Schlaf erscheinen. Es ist eine Welt, in die niemand sich freiwillig begibt - "Oldboy" ist damit weit davon entfernt, als Unterhaltungsmedium bezeichnet werden zu können. Nein, "Oldboy" bereitet körperliche und psychische Schmerzen, "Oldboy" vollendet das, was Park bereits im ersten Teil immer wieder sequenzartig gelang: Er wird zur Zelebrierung von Folter, zum einem eigenartigen Sog aus abstoßenden Reaktionen, die nicht jeder Zuschauer bis zum Ende durchhalten wird.

Park gelingt mit "Oldboy" eines der effektvollsten Intros der Filmgeschichte. Die ersten 15 Minuten (in denen 15 Jahre erzählt werden) sind ein einziger pechschwarzer und depressiver Albtraum, in denen die Kamera wie besessen einen einzigen Gewaltakt dermaßen ausdehnt, dass zusätzlich zur beängstigend spürbaren Faszination am Unerträglichen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Schwindel auftreten können. Wenn Hauptdarsteller Choi Min-sik auf winzigem Raum eingesperrt durch die Hölle geht, leidet man nicht nur, es scheint einen regelrecht aufzufressen. In diesen Momenten ist "Oldboy" die direkteste Filmerfahrung, die man machen kann und pure verstörende Ästhetik, so rein geformt, dass es nicht auszuhalten ist. Der allzu oft inflationär verwendete Begriff der Brillanz erfährt hier seine eigentliche Definition - und bricht "Oldboy" damit das eigene Genick. Es ist der absolute Superlativ, mit dem Park seinen Film eröffnet, kafkaesk, einzigartig. So verliert die Erzählung jede Möglichkeit, sich noch einmal zu steigern und wenig überraschend gelingt dies auch nicht. Doch hier steckt noch nicht das wahre Problem der Inszenierung. "Oldboy" will eine Ballade über die niedersten menschlichen Triebe sein sowie ein Konstrukt, dass die erschreckende Unverhältnismäßigkeit von Zivilisation und Animalismus portraitiert. Und genau so ist er geworden: konstruiert, zerpflückt, unverhältnismäßig.

Visuell ist Park begnadet wie versiert: Stilmittel unterschiedlichster Art wendet er zielsicher an, geht mit Totalen wie extremen Nahaufnahmen ohne jegliche Mühen um und hat ein bemerkenswertes Gespür für Tiefenverhältnisse, kann klaustrophobische wie allumfassende Raumeindrücke visuell perfekt vermitteln. So sind es besonders diese Kniffe und aufeinander abgestimmten Zahnrädchen der Erzählung, abgeschmeckt mit einem gekonnt (vielleicht etwas zu prätentiös lautem) Score von Cho Young-wuk. Es ist die inhaltliche Komponente, an der "Oldboy" zunehmend zu scheitern anfängt. Mit ansteigender Spannungskurve wird die Handlung deutlich umfangreicher, komplexer, vielschichtiger - ohne dahinter tatsächlich etwas zu verbergen. Der eindeutige mystische Charakter der Erzählung steigert sich in eine immer verworrenere Montage unterschiedlicher Gräueltaten und dahinter steckt...? Gar nichts? Es kommt einem wie Hohn vor, wenn im letzten Drittel mit erstaunlicher Regelmäßigkeit ein Twist den nächsten jagt und an einer Stelle sogar die gesamte bisherige Geschichte komplett auf den Kopf stellt, um... ja, was eigentlich zu erreichen? "Oldboy" scheint hin und wieder als Versuch gedacht zu sein, die von ihm als "sinnlos" erkannte Brutalität eines hasserfüllten Mätyritums auf extreme Ausstiegssituationen oder gar alternative Bewältigungsmethoden hin zu untersuchen, allerdings steht dem eine letzte halbe Stunde gegenüber, die sich selbst im puren Fatalismus ertränkt und kalte Ästhetik predigt. Ein bemerkenswerter Entschluss ist dies auf jeden Fall, doch emotional will diese Rechnung beim besten Willen nicht aufgehen.

Selbiges gilt für Parks größte Stärke im Umgang mit der eigens ein zweites Mal auferlegten Thematik: Neutralität. Wenn Protagonist Oh Dae-su mit einem Hammer Zähne aus den Mäulern seiner Opfer zieht, wenn Zungen abgeschnitten und Hände abgetrennt werden, dann geschieht all das nie als voyeuristischer Exkurs oder verherrlichendes Spektakel, sondern ist das was es ist: Abgefilmte Exzesshaftigkeit, die durch ihre filmisch unkommentierte Art erst wirklich zur Grausamkeit wird. Jedoch ist gerade diese emotionslose Ader dafür verantwortlich, wenn einem der ganz große Knalleffekt der Handlung nicht zu packen weiß - schlicht und ergreifend deshalb, weil die Figuren fremd bleiben, sie bleiben (trotz der wirklich eindringlichen Darsteller) Strichmännchen auf zweidimensionaler Ebene. Einzig den ambivalent gehaltenen Antagonisten kann Parks Inszenierung im Zusammenspiel mit dem Akteur Yoo Ji-tae die Aura der Dreidimensionalität sichern, nur um ihn im Ende in der Gigantomanie des klassischen "James Bond"-Schurken zu versäuern. Auch dies ist visuell gerne ein Fest am Spiel mit den Sehgewohnheiten, verflacht dafür aber zum entrückten dramaturgischen Scheiterhaufen, der nur deshalb nicht völlig lahmt, weil der Stil ohnehin die eigentliche Substanz sein will. Dem Filmfreund wird dabei das Wasser im Mund zusammenlaufen - die Frage ist, ob ihm dies zwangsläufig gefallen wird. So wie der eine die Dunkelheit fürchtet, fürchtet ein anderer das Licht und so wie der eine "Oldboy" vergöttert, wird der nächste ihn verstoßen müssen.

Fazit: Visuell ein Meisterwerk? Vielleicht. "Oldboy" ist eine einmalige Sinneserfahrung, die ihren Tribut fordert und sein Publikum spalten wird... vermutlich auch will. Es ist ein gewählter und einprägsamer filmischer Ausdruck eines Ausnahme-Regisseurs, der von seiner Handschrift eindeutlich gezeichnet ist, diese aber auch über alles andere stellt. Hier liegt die Tücke der Bilderflut, die als unorganische Stücksetzung in Erinnerung bleibt: Visuell hüllt Park einen Graben aus, den der Inhalt nicht füllen kann. Begeistert schaut man unter die Oberfläche und findet ... nichts. So ist "Oldboy" leider als einzige bedeutungsschwangere Hybris nur allzu leicht zu enttarnen, beeindruckt aber durch seine Kompromisslosigkeit und den hauseigenen Umgangston, die ihrem erzeugtem Schmerz kein Subjekt gelungen beimengen kann.

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Beitrag von Wallnuss » 15.04.2016, 21:33

Batman Begins

Um mit einem Witz anzufangen: Wie nennt man Reanimation auf filmisch? Reboot. Bei einem Reboot wird eine Filmreihe (also ein filmisches Universum mit einer Grundkontinuität) komplett auf 0 gesetzt und alles bisher bekannte verliert an Gültigkeit/wird neu geschrieben. Ein radikaler Einschnitt, der 2005 einen Filmhelden traf, dessen Reihe sich vor allem kreativ in eine aussichtslose Situation manövriert hatte: Batman alias Bruce Wayne. Ohne auf Tim Burtons oder Joel Schumachers Filme Rücksicht nehmen zu müssen, nahm der Ire Christopher Nolan Platz auf dem Regiestuhl und machte sich auf, die Entstehungsgeschichte und das Innenleben des Fledermaushelden tiefer zu erkunden als bis dato geschiehen. Entstaubt von dem Ballast des fantastischen Elements des Comicbackgrounds Batmans befördert er die bekannten Einzelstücke in eine düstere Realität des 21. Jahrhunderts. Das Ergebnis ist eine belebende und hervorragend erzählte Geschichte über Liebe, Vertrauen, Selbstjustiz, Gerechtigkeit ... und Angst.

Keine Emotion war global in der Zeit nach dem Millennium und 9/11 präsenter als die Angst. Gotham City hat sich unter Nolan vom operettenhaften Glanz entfernt und ist eine kalte Metropole geworden, zerfressen von der Finanzkrise, unterwandert vom Mafiagangster Falcone. Batman tritt in seiner filmischen Auferstehung nicht etwa gegen größenwahnsinnige Psychopathen an, sondern gegen Drogenhandel und Korruption. Dabei ist die Mafia selbst nur der eine Kopf der Hydra, den es zu zerschlagen gilt: Auch die Polizei, die den selbsternannten Rächer (juristisch zurecht) ablehnt und bekämpft, die einflussreichen Politiker und der undurchsichtige Dr. Jonathan Crane (schleimig wie es nur geht: Cillian Murphy) stehen auf seiner Liste. Es ist eine atmosphärische Dichte, die Nolans Film mehr wie ein Figurendrama als wie einen Action-Blockbuster wirken lässt. Die Gefahren entsprechen denen der Realität und der Schurke Scarecrow mag dank eines übernatürlichen Elements zum gefährlichen Terroristen werden, dieses steht jedoch nur sinnbildlich für die Angst selbst, mit welcher Terroristen besonders in den USA die Menschen beeinflussen und schwächen. Der Zuschauer schaut den Figuren nicht bei ihrem Treiben zu, er selbst ist ein Teil der Welt, die Nolan überspitzt, aber stets treffend und wohlüberlegt abbildet, dabei symbolisch (die geteilte Stadt mit dem Elendsviertel auf Arkham Island und dem Untergrund, welcher hier tatsächlich unter der Stadt liegt) Inhalte oft durch Bilder vermittelt - wenngleich es auch viele Dialoge gibt, von exzellenter Qualität, welche gehört werden möchten.

Das alles wird von großartigen Schauspielern verkörpert, die von einem sehr diabolisch aufspielendem Liam Neeson über die weibliche Unschuld in Person von Katie Holmes bis zum moralisch unanfechtbarem Gary Oldman als Polizeioffizier Gordon reichen. Morgan Freeman darf als Lucius Fox zum ersten Mal eine (dem Q aus den James Bond Filmen nach empfundene) Rolle verkörpern, welche Batmans Spielzeuge erdet und Michael Caine ist als Butler Alfred Herz und Seele der Erzählung und bringt ein wenig humoristische Auflockerung in das Geschehen, spiegelt aber auch den Glauben an Hoffnung und Rettung wieder. Doch der Triumph der Besetzung ist Hauptdarsteller Christian Bale, dessen vielseitige Mimik und sein grandioser Körpereinsatz alle drei Phasen des Superhelden perfekt verkörpern: Den düsteren Dark Knight auf der Jagd nach Vergeltung (und moralischer Legitimierung seiner Verbrechen), den verletzten Jungen, dessen Eltern einem Wahnsinnigen zum Opfer fallen und den Playboy, der die schönsten Frauen der Welt vernascht und die teuersten Autos fährt. Bale ist so gut, dass er in einer dieser Rollen gefangen immer auch die anderen durchblicken lässt und offenbart, dass nicht nur Batman eine Maske trägt. Es ist auch Bruce Wayne, der sich verkleidet, tarnt und verstellt, um sich selbst und die Menschen, die ihm nahestehen, zu schützen. Untermalen tut das der elegante Soundtrack von Hans Zimmer und James Newton Howard, der mühelos die Charakterzüge Batmans musikalisch unterstützt und mit einem Hauptthema aufwartet, dass einfach mitreißend ist. Nicht zuletzt ihretwegen ikonographisch und das Highlight des Filmes: Batmans Flucht vor einer bewaffneten SWAT-Einheit durch einen Schwarm von Fledermäusen.

Der Grundplot (bzw. das Bedrohungsszenario) per se wird keine Innovationspreise gewinnen (und ähnelt frappierend Frank Millers berühmter Graphic Novel "Batman: Year One"), doch "Batman Begins" ist im Kern eher ein Kammerstück, eine intime Darlegung der Persönlichkeit Bruce Wayne und der doch sehr intimen Beziehung der Menschen zu Gotham, dass wie in den Comics ein Spiegelbild der US-amerikanischen Gesellschaft ist. Inszenatorisch fährt Nolan große Geschütze auf - mit Erfolg. Mit der wunderschönen Kameraführung Wally Pfisters und einer klassischen, aber selten so effizent angewandten Erzählstruktur entmystifiziert Nolan den dunklen Ritter eine volle Stunde lang, in dem er auf unterhaltsamste und tragischste Art und Weise dessen Hintergrundgeschichte aufdröselt, um in der zweiten Hälfte die Legendenbildung zu betreiben. Dazu tragen neben den exzellenten Kulissen und Effekten besonders die Actionszenen bei. Schneller geschnitten, als das Auge wahrnehmen kann, geht es dem Publikum schnell wie Batmans Feinden: Man sieht nicht, wer wie geschlagen wird, doch am Ende liegen alle am Boden. Sehr filmisch wird Batmans Agilität auf den Film übertragen sowie eine kolossale Autoverfolgungsjagd mit dem neuen Batmobil (das man nur als Panzer bezeichnen kann) dessen Kraft und Grobschlächtigkeit genüsslich zelebriert oder die Auswirkungen des Angstgases Scarecrows an Horrorfilm-Inszenierungen erinnern. Der Showdown ist dann eine erschreckend konsequente Stuntschau, die handwerklich professioneller nicht sein könnte und durch einen vorherigen Twist eine angenehm dramatische Note erhält. "Batman Begins" ist ein erwachsener Thriller mit echten Charakteren vor authentischer Kulisse und damit die filmgewordene Emanzipation einer einst pubertären Jugendfantasie.

Fazit: Christopher Nolan beweist, dass er die komplexe Materie Batman vollkommen verstanden hat. "Batman Begins" ist ein düsterer, nicht selten erschreckend realistischer Actionfilm mit mythologisch angehauchter Analyse eines der größten Helden der modernen Popkultur. Durch ideale Schauspielleistungen und eine makellose Inszenierung abgerundet wird aus der nur im Kern oberflächlichen Heldenmär eine überaus sehenswerte Erzählung über Dualität und den Kampf eines Mannes gegen Ungerechtigkeiten bis zur Selbstaufgabe - düster, dreckig, dreidimensional. Patient lebt!

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Ice Age - For Adults

Beitrag von Wallnuss » 17.04.2016, 17:02

Thin Ice

Rein sprachlich ist mit Eis viel zu machen: Man kann zum Beginn einer Unterhaltung mit einer harmlosen Frage ("Wie spät ist es?") das Eis brechen, man kann eine unliebsame Person oder nicht minder unliebsame Unternehmungen vorläufig auf Eis legen und manchmal, wenn man einen folgenschweren Fehler zu machen droht oder große Risiken eingeht, bewegt man sich auf dünnem Eis. Mickey Prohaska, der Protagonist in der Drama-Komödie "Thin Ice" aus dem Jahr 2011, kommt in eine solch missliche Lage, als er beim Versuch, jemanden aufs Eis zu legen das Eis zu allererst brechen muss, um sich auf dünnem Eis zu bewegen - metaphorisch wie wörtlich genommen. Als Versicherungsvertreter ist er es leid, in der abgelegensten Provinz des zugeschneiten Wisconsins den dort lebenden Hinterwäldlern überteuerte Versicherungen anzudrehen und wartet nur darauf, den eiskalten Wintern zu entfliehen - zumal seine letzte Scheidung nicht gerade günstig war.

"Thin Ice" ist einer der Filme, bei denen der Name Programm ist. Die Winterlandschaften sind omnipräsent und saugen jede Farbe und jeden Frohsinn auf, eliminieren aber auch jede Schönheit oder Eleganz, die man dieser Ortschaft andichten könnte. Der unbenannte Handlungsort ist ein depressives, melancholisches, gefühlskaltes Loch irgendwo am hintersten Eckchen der Welt, daran bleibt nach den ähnlich kaltherzigen 93 Minuten kein Zweifel. Selbst im Sommer bekommt man das Gefühl, diesen Film nur in Wintermontur sehen zu wollen. "There's two seasons here: Winter and road works", beschreibt Prohaska selbst den Handlungsort und fasst damit alles zusammen, was atmosphärisch vermittelt werden soll: Frost, Kälte und Schnee. Überall Schnee. Ganze in weiß getunkte Landstriche werden ausführlich von der Kamera eingefangen und man glaubt fast, dass Thermostat der eigenen Behausung hochstellen zu müssen. Anders formuliert: Die Atmosphäre und Stimmung wird hervorragend getroffen. Auch erzählerisch ist dies konsequent umgesetzt. Menschliche Wärme und Nähe sind absolute Mangelware und nur im aller dringendsten Notfall spärlich eingesetzt, werden wenn nötig aber auch einfach ausgelassen oder bestenfalls andeutungsweise gezeigt. Dazu kommen größtenteils blasse Blautöne, die den winterlichen Eindruck zunehmend stärken. Das es inhaltlich dann hauptsächlich um einen zugefrorenen See geht, ist natürlich einerseits witzig und andererseits folgerichtig.

Eine Handlung gibt es natürlich auch, diese fällt bei "Thin Ice" allerdings relativ spärlich aus. Obwohl die Geschichte insgesamt sehr auf ihren Hauptakteur zentriert ist und mit knappen Anderthalb Stunden der zeitliche Rahmen nicht allzu umfangreich ist, braucht das Geschehen relativ lange, um an Fahrt aufzunehmen und nimmt sich für nahezu alles sehr viel Zeit. Bis der eigentliche Kriminalplot im Hintergrund beginnt, dauert es gar eine knappe halbe Stunde, auf das Gaspedal wird dennoch bis zum Ende hin verzichtet. So schleppen sich die Ereignisse mitunter etwas träge dahin, sofern man an der tatsächlichen Geschichte interessiert sein sollte und weniger an den Dialogen und dem fiesen schwarzen Humor, der nebenbei immer wieder einfließt. Getragen werden die vielen Dialoge ganz klar von den Darstellern, die allesamt einen überzeugenden Job machen. Greg Kinnear gefällt als sympathischer Ottonormalbürger mit der Sehnsucht nach Aufstieg und hat den ein oder anderen komischen Moment zu bieten, der amüsante Schmunzeleien zulässt, während Billy Crudup als Ex-Knacki eine nett aufgedrehte Performance präsentiert, die für die spannendsten Momente sorgt und als eine Art Antagonist funktioniert, sofern man es so bezeichnen möchte. Eine wahrlich spaßige Erscheinung gibt Alan Arkin als leicht vertrottelter Rentner ab, dem seine Schusseligkeit merklich Vergnügen bereitet und bei dem es fast schade ist, dass seine Figur ab einem gewissen Zeitpunkt für längere Zeit aus dem Spiel genommen wird.

Ansonsten ist der interessante Soundtrack von Jeff Danna zu erwähnen, der (im Kontext der Handlung logischerweise) auf viel Geigenmusik setzt und eine durchaus einprägsame Titelmelodie verwendet, welche viele der Stärken und Schwächen von "Thin Ice" vereint: Die düstere und einsame Atmosphäre sei dabei als größte Stärke ein weiteres Mal genannt (und der Schnee... so viel Schnee... überall), doch es fehlt ein wenig an Timing und Tempo. Die Regisseurin Jill Sprecher präsentiert auch einen inszenatorischen Winter: Nähe zu den Figuren versucht sie zu vermeiden, zu viel Sympathie oder gar Ensemble-Stimmung werden umschifft und der Humor darf allerhöchstens schwarz wie in den dunkelsten Nächten sein, da ansonsten zu viel Esprit vermittelt werden könnten. Das ganze funktioniert in der Tat vortrefflich, geht im Mittelteil aber hin und wieder selbstredend zu Gunsten einer stringenten und mitreißenden Erzählung. So lässt man sich eher ein wenig treiben und genießt die Winterwelt, in die man entführt wird und akzeptiert die Geschichte als zweckdienliche Stütze dafür, bis... ja, bis in den letzten 15 Minuten noch einmal eine waschechte Kehrtwende vollzogen wird, die (für den einen vielleicht konstruiert wirken mag, dafür aber) urplötzlich das Verlangen weckt, den Film vielleicht doch noch ein zweites Mal anzuschauen, um das gerade passierte nachzuvollziehen. Ein sehr effizienter und kaum effekthascherischer Twist, der sich durchaus auf dünnem Eis bewegt, den angenehmen Filmeindruck aber zunehmend festigt und stimmig abrundet.

Fazit: Mit ruhiger Hand und ohne großes Aufsehen erzählt Sprecher eine kleine Gangstergeschichte vor fröstelnder Kulisse. Dabei ist das Ambiente für sie deutlich gewichtiger als der Inhalt: Dieser vermag bis kurz vor Schluss kaum Faszination wecken, könnte bei einer zweiten Sichtung allerdings den ein oder anderen versteckten Clou offenbaren. Ein aufregendes Filmerlebnis mag das Resultat nicht sein, dennoch fühlt man sich nicht wirklich gelangweilt, da die Trägheit irgendwo tief drin ihre Faszination verborgen liegend andeutet. Offenbaren tut sich diese zwar bis zum Schluss nicht wirklich, doch es ist das Verweilen, das Ausharren in der Kälte und dem dicken Schnee, dem der Film gleichkommt und der ihm seine Qualität verleiht. Am Ende ist man befriedigt und "ruhig geworden" und kann zumindest nicht leugnen, dass es einen doch noch einmal in den kleinen puderzuckerweißen Ort ziehen würde. Wurde eigentlich schon der Schnee erwähnt? Überall Schnee... die großen Begeisterungsstürme bleiben bei "Thin Ice" aus, dennoch wird er nur die Wenigsten bis zuletzt kalt lassen.

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Beitrag von Wallnuss » 27.04.2016, 14:22

Bonne Nuit Papa

Sie wurde 1975 in der DDR geboren - als Kind einer deutschen Mutter und eines kambodschanischen Vaters. Für sie war - da ihr Vater nie viel über ihre Vergangenheit sprach - immer klar, wo ihre Wurzeln liegen: In Deutschland. Für die "andere, fremde" Kultur hatte sie als junge Frau kein Interesse, bis zum Tod ihres Vaters Ottara Kem. Doch daraufhin macht sich die Dokumentarfilmerin Marina Kem auf, diese lange ignorierte und von ihr und ihren Schwestern nur zusammen spekulierte Vergangenheit Ottaras in Zusammenarbeit mit dem NDR und Arte selbst filmisch zu verarbeiten und zu erkunden. Der im Oktober 2014 erschienene "Bonne Nuit Papa" ist das Resultat dieser jahrelangen Suche und für den Zuschauer natürlich ein zweischneidiges Schwert: Kem verzichtet beinahe völlig auf Versuche, über das Erzählen der eigenen Familiengeschichte hinaus lehrreiche und moralische Botschaften oder Inhalte zu vermitteln. Es ist ein persönlicher Film, der einen einlädt, an der Geschichte Ottaras teilzunehmen, jedoch nicht verschweigt, dass man als Zuschauer eben nur ein äußerer Betrachter ist.

Man merkt Kem folgerichtig also von der ersten Einstellung an, wie viel Persönlichkeit, Eigeninitiative und innere Vorsicht in "Bonne Nuit Papa" steckt. Intime Momente mit der eigentlichen Familie und ihren Schwestern sowie anderen Verwandten wollen und sollen nie große Emotionen ablichten oder Betroffenheit erwecken, sondern werden als das inszeniert, was zu sehen ist - eine Familie, die sich familiär verhält und in schwierigen Situationen zusammenrückt, wie man es sich von einer Familie eben wünscht. Auch ihr Vater selbst wird nicht zum großen Mysterium, dass er für seine Kinder vielleicht gewesen ist, aufgebauscht oder künstlich idealisiert, sehr betuhlich und fast schon fürsorglich erweisen sich alle Szenen mit ihm als nachhaltiges Portrait seiner Lebensgeschichte, der er nur durch sein Auslandsstudium in Deutschland nicht unter dem Regime der Roten Khmer in Kambodscha zu leiden hatte. Doch bis zu dieser Erkenntnis ist es ein langer Weg: Gemeinsam mit einer ihrer Schwestern bereist sie Kambodscha für die Beerdigung Ottaras, lernt Familienmitglieder kennen und wohnt dem Abschiedsritual, als Fremde in einer Kultur, die sie ihr Leben lang verleugnet hat. Der Besuch wirft eine Frage nach der anderen auf, doch ob sie diese stellen sollte und darf, bezweifelt sie selbst im Off. Ratlosigkeit, aber schlüssig und authentisch vermittelt.

Authenzität ist der Grund, weshalb einem die persönliche Erzählung nicht kalt lässt. Kem zeigt sich selbst als neugierige und am Fremdem interessierte Frau, die ohne jedes egoistische Sendungsbewusstsein aus der Liebe zum Papa diesem ein Denkmal setzen möchte. Diese rührende Ambition an sich selbst alleine ist Antrieb des Filmes und hält die episodenhaften Erlebnisse dramaturgisch zusammen. Man merkt überdeutlich, dass hier keine gestellten Zusammenkünfte oder tränendrückerische Geschichten aufgetischt werden, dafür nimmt sich Kem als Künstlerin und Regisseuren viel zu sehr selbst zurück. Die Kameraführng ist ruhig, unaufgeregt, beinahe abwesend erscheinend, steht oft am Rand der Situationen und denkt gar nicht daran, sich in jedweder Form in den Vordergrund zu drängen. Dementsprechend mangelt es von ganz alleine hin und wieder an einer klaren Struktur, nicht selten werden eigentlich belanglose Szenen eingeschoben, die wohl nur für die Familie Kem einen höheren Wert haben. Beispielhaft sei eine längere Szene genannt, in welcher ein ehemaliger Freund Ottaras Marina Kem in dessen alten Klassenraum bringt und ihr ein altes Foto ihres Vaters überreicht. Das ist nicht immer einwandfrei für die filminterne Spannung, macht aber umso deutlicher, dass es hier auch nie darum gehen sollte, eine Dokmentation für das Publikum zu inszenieren. Man darf lediglich teilnehmen an allzu menschlichen Erlebnissen, zu denen man logischerweise nicht immer einen Zugang finden wird.

In Folge dessen bleiben auch historische Abrisse eher verknappt angerissen. Nur an einer Stelle der 100 Minuten starken Laufzeit folgt eine längere Abhandlung Kems über die geschichtliche Entwicklung Kambodschas und die Schreckensherrschaft der Roten Khmer mit allerlei Verwendung von altem Originalmaterial, die aber dennoch auffallend gekürzt auftritt. Denn auch hier ist es weniger die Historie an sich, die in den Mittelpunkt rückt, tatsächlich wird jener längerer Einschub anhand von Zeitungsartikeln und Briefen aufgedröselt, mit denen Ottara von Deutschland aus das Geschehen in seiner Heimat beobachtete und verfolgte. Wirklich zentral werden die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe Kambodschas also nicht platziert, aber selbstredend ist Kem durchaus bewusst, dass für den geneigten Zuschauer entsprechend interessante Zeitgeschichte in der Biographie ihres Vaters verborgen liegt, weshalb derartige Einschübe (wie auch Bezüge auf die Stellung der Frau in der ehemaligen DDR oder das emotionale Erleben eines Außenstehenden einer fremden Kultur, was offensichtlich eine Art Aktualitätsbezug herstellen sollte, dabei aber nicht immer auf den Punkt gebracht wird) sich etwas zu sehr nach einer Pflichterfüllung anfühlen können. Attestieren muss man "Bonne Nuit Papa" allerdings, bei vordergründiger Einfachheit im Innern eine komplexere Angelegenheit als vermutet darzustellen, sodass der Film ironisch Ottara selbst ein Stückweit widerspiegelt, der am Ende immer noch ein kleines Geheimnis bleibt, einem aber dennoch ans Herz wachsen konnte.

Fazit: So ganz einfach ist es verständlicherweise nicht, einen von vorne bis hinten sehr intimen und persönlichen Film irgendwie bewertend zu beurteilen. Fakt ist, dass aufgrund der strukturellen und inhaltlichen Tendenzen zu Abschweifungen zwar die Authenzität gesteigert wird, die Spannung aber gerne mal deutlich abflacht. Gleichzeitig gelingt es einem sehr gut, mit Kem und ihrer Familie mitzufühlen, wenngleich man eben nie so richtig Anteil nehmen kann oder möglicherweise darf. Und zu guter letzt werden dem historisch interessierten Zuschauer entsprechende Knochen hingeworfen, beißen sich aber etwas mit dem durchweg eigenen Blickwinkel und sind zudem längst nicht umfassend genug, um von einer informativen Dokumentation berichten zu können. Man muss "Bonne Nuit Papa" als das sehen, was er letzten Endes ist: Eine Auseinandersetzung einer Filmemacherin mit ihrer familiären Vergangenheit und eine Würdigung eines gar nicht so außergewöhnlichen, aber eben deshalb sehr interessanten Mannes aus einer "anderen Welt". Dieser Ansatz ist nicht immer top aktuell oder die große Offenbarung, aber grund sympathisch.

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Beitrag von Wallnuss » 01.05.2016, 21:05

The First Avenger: Civil War

Joss Whedons "Avengers: Age of Ultron" ließ die Befürchtungen im Vorjahr 2015 bereits aufkommen, und die Russo-Brüder, welche zuvor bereits den zweiten Teil von Marvels "Captain America"-Trilogie inszenierten, bestätigen es mit dem Abschluss des Dreiteilers "Civil War" nun mit letzter Gewissheit: Die Luft ist raus, die Superheldenwelle, die im Jahr 2000 von Bryan Singers Überraschungserfolg "X-Men" ausgelöst wurde, ist abgeflaut, der Start der dritten Phase des großen Marvel Cinematic Universes (von dem dieser nun schon der 13 (!) Film in 8 (!!!) Jahren darstellt) schreit nur noch nach Abnutzung und Déjà-vus - eine unfreiwillige filmische Grabrede auf einen abgeflauten Hype?

Basierend auf dem legendären gleichnamigen Comic-Mehrteiler von Mark Millar hatte "Civil War" eigentlich ideale Ausgangspositionen: Eine politische Diskussion über die Frage, wie viel Kontrolle eine Institution wie die Avengers-Superheldengruppe vertragen und brauchen kann, spaltet das Team in zwei Lager, die sich zunehmend in eine hitzige Auseinandersetzung bis zum direkten Schlagabtausch steigern. Eine spannende Grundidee, die die Möglichkeit gegeben hätte, den klassischen Heldenmythos ein wenig zu hinterfragen und die vielen wie selbstverständlich hingenommenen zivilen Tode in den großen Showdowns mancher Vorgänger zu thematisieren. Enttäuschend daher, dass die Russos kein Interesse an einer ernsthaften politischen Thematisierung haben. Zwar reißen sie den Konflikt und die unterschiedlichen Sichtweisen, die besonders die bekanntesten Helden Captain America und Iron Man entzweien, anfangs noch an und scheinen bemüht, der Vorlage gerecht zu werden, doch nach einer halben Stunde bröckelt die Fassade des lediglich zum Aufhänger missbrauchten Diskurses. Wenn dann tatsächlich Held gegen Held und Freund gegen Freund auf dem Schlachtfeld antreten, entsteht dies nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern durch die Manipulation einer Drittpartei (verkörpert vom extrem blassen Daniel Brühl), deren Motivlage erst kurz vor Schluss aufgedeckt wird und in ihrer Banalität an einen schlechten Scherz erinnern. Von vorne bis hinten lässt sich über Civil War also sagen: Es fehlt an Dynamik, Energie und echter Dramatik, an einem glaubhaften Subjekt für den titelgebenden Bürgerkrieg, während Leichtigkeit und Humor aber ebenfalls größtenteils abwesend sind. Zwar wird im Showdown eine etwas psychologischere Komponente versucht, deren Glaubwürdigkeit aber zu sehr im argen liegt, um überzeugen zu können.

Diese merkwürdige Zwitter-Kultur zieht sich durch die 150 Minuten lange Erzählung. Dank fehlender Motivation auf allen Seiten bleiben im Kopf nur Fragezeichen zurück, die den actiongepackten Auseinandersetzungen das Gewicht nehmen und gleichzeitig fehlt es an echten humoristischen Elementen, da statt der Selbstironie frührerer Marvel-Abenteuer hier die Ambitionen eines Thrillers zwanghaft erfüllt werden wollen. Darstellerisch bieten die vielen wenig überzeugenden Dialoge dazu kaum Entfaltungsmöglichkeiten: Chris Evans, Sebastian Stan, William Hurt, Scarlett Johansson, Don Cheadle und andere bekannte Gesichter liefern dementsprechend durchschnittliches Handwerk, ohne groß aufzufallen. Lediglich Elizabeth Olsen als schöne Scarlet Witch und Robert Downey Jrs. Iron Man können schauspielerisch Akzente setzen, wobei letzterem ein wenig das Überraschungsmomentum fehlt - verkörpert er diese Rolle doch nun schon zum siebten Mal. Wirklich gelungen fällt die konsequente Charakterentwicklung (inklusive Berüchtigung sämtlicher Vorgänger) beinahe aller Avengers auf sowie auf clevere Art und Weise in den unstrukturiert zusammengebastelt wirkenden Plot die Origin-Story eines neuen Helden, dem von Chadwick Boseman dargestellten Black Panther, eingefügt wird, dessen Auftritt Lust auf mehr macht. Dennoch sind es wie schon im letzten "Avengers"-Crossover auch hier deutlich zu viele Charaktere, von denen nur die Hälfte eine Funktion erfüllen. Wenn Wiederholungstäter wie Paul Rudd, Jeremy Renner oder Paul Bettany sowie die Neuzugänge (u.a. Martin Freeman oder Tom Holland als ganz besonderer "Spinner") in wie nachträglich eingefügt wirkenden verlängerten Cameos durch das Geschehen hetzen, verliert die ohnehin schon unkonzentrierte Erzählung ihren Fokus grundsätzlich.

Was man Marvel positiv attestieren muss, ist die Selbstverständlichkeit, mit der sie Jahr für Jahr Blockbuster mit Millionen Budgets und makellosen Effekten präsentieren. Es grenzt an technische Perfektion, mit welcher Detailverliebtheit und Tiefenschärfe sie ein weiteres Mal ihr Universum erweitern, welches längst zu einer lebendigen Masse aus unterschiedlichen Welten und Charakteren mit immer weiteren ungeahnten Möglichkeiten geworden ist. Diese ungeheure Planungssicherheit und bedingungslose Konsequenz, die auf den bislang als "Infinity War" bekannten Höhepunkt 2018/2019 zusteuern, verdient von allen Seiten Hollywoods allerhöchsten Respekt. Trotzdem muss man den Russos vorwerfen, dass sie ihre virtuos agile Actioninszenierung aus dem zweiten Captain-Film nicht wieder aufleben lassen konnten. Die meisten Actionszenen sind zwar choreographisch aufregend und (bis auf das Kamera-verwackelte Intro) handwerklich souverän umgesetzt, haben aber den Charakter blasser Pflichterfüllungen und fühlen sich selten als organische Teile des großen Ganzen an, scheinen zudem nicht immer optimal durch den Cut gegangen zu sein - und sind in der Form eben nach Jahren des Comic-Bombasts einfach nichts besonderes mehr. Wenn dann am Ende der gesamte Civil War der Helden ohne echte Konsequenzen und Verluste bleibt, muss man sich als Zuschauer mal wieder fragen, ob dieser Film wirklich nötig gewesen wäre - trägt er doch nichts besonderes zur Gesamtstory bei und verpasst vor lauter konventionell-generischer Konservenunterhaltung alle Chancen, neue Perspektiven auf die Heldenthematik zu eröffnen. Sicherlich, das taten andere ähnliche Filme auch nicht, doch nach gefühlt unzähligen Superhelden-Abenteuern wünscht man sich eben mal ein paar frische Elemente, statt dasselbe alte Gericht neu aufgewärmt vorgesetzt zu bekommen.

Fazit: Wer sich einen Nachmittag im Kino ohne große eigene Erwartungen berieseln lassen will oder als Fan der vielen Vorgänger die Charaktere extrem ins Herz geschlossen hat, kann einen Blick auf den "Civil War" ruhig einmal riskieren. Für den Rest bleibt optisch beeindruckendes Kino, dass aber Herz und Hirn gleichermaßen ignoriert und vor ein paar Jahren vielleicht noch besser angekommen wäre, heute jedoch vielen nur noch ein müdes Schulterzucken entlocken wird. Ein echter Paradigmenwechsel wird dringend erwünscht - bleibt nur die Frage, wie viele Standard-Blockbuster bis dahin noch die Lichtspielhäuser füllen werden.

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Don’t Let Me Be Misunderstood

Beitrag von Wallnuss » 15.05.2016, 19:20

Layer Cake

Ein guter Titel wird im Laufe der erzählten Geschichte zum Programm: "Layer Cake", das britische Regiedebüt Matthew Vaughns aus dem Jahre 2004, ist ein eben solcher Fall. Der düstere Thriller im Rauschgiftmilieu thematisiert nicht nur die sozialen, psychologischen und gesellschaftlichen Schichten innerhalb der Drogenszene, sondern ist selbst als wohlig schmeckender Layer Cake aufgebaut: Vaughn erzählt gegen alle Konventionen und ohne klare zeitliche Chronologie, baut ständig Rückblenden, Foreshadowing oder lange Hintergrunderzählungen ein und jongliert mit unzähligen Nebenhandlungen und Randfiguren, sprich tut alles, um es dem Zuschauer auf keinen Fall leicht zu machen. Wem dies nicht zu anstrengend ist, wer Spaß an ungewöhnlichen Erzählweisen hat und die nötige Geduld mitbringt, sich langsam seinen Weg durch die vielen Schichten zu graben, wird am Ende nicht nur stolz, sondern auch mit aufrechter Begeisterung den Abspann genießen. Doch fangen wir vorne an.

"Layer Cake" ist kein einfacher Film. An einer Stelle wagt er selbst sogar doch glatt den Vergleich mit Goethes "Faust" ("No wonder it took him 60 years to write it"). Selbstüberschätzung eines jungen Newcomer-Regisseurs? Vielleicht, doch wohl eher eine schöne Metapher für den namenlosen Protagonisten, dessen Hybris ihn immer tiefer in den Abgrund der britischen Unterwelt führt. Durch seine zunehmende Verzweifelung und bröckelnde Selbstsicherheit, die von Hauptdarsteller Daniel Craig bravorös umgesetzt wird, zeigt Vaughn anhand dieses Einzelschicksals, wie das Leben als Mitglied einer endlosen Kette an Verstrickungen in der Welt von Londons Abschaum die Menschlichkeit operativ aus den Seelen der Akteure saugt. So wird der Film selbst zum Spiegelbild dieser Entwicklung: Während anfangs elegante Stilmittel (insbesondere bei den Szenenübergängen) und einfallsreiche amüsante visuelle Spielereien die Inszenierung dominieren und die Kameraführung beinahe leichtfüßig erscheint, gestaltet sich der Bildaufbau später deutlich ruppiger, die Cuts werden härter, die Stimmungswechsel krasser und der Ton immer düsterer, schwarzhumoriger, was im Mittelteil in einen der stilisiertesten Mordversuche der Filmgeschichte gipfelt, bitterböse unterlegt mit Duran Durans Ordinary World. Die atmosphärische Gestaltung des Sumpfes aus Mord, Hass, Drogen und Verrat gelingt Vaughn wahrlich ausgezeichnet.

Vaughns Inszenierung und die Atmosphäre, die er aufbaut, sind dann auch (neben Craigs menschelndem Schauspiel) der eigentliche Inhalt der Erzählung. Und das zurecht, Vaughn beweist eine für ein Regiedebüt unglaubliche Versiertheit in nahezu allen möglichen Kniffen und Tricks, die den Zuschauer fesseln sollen. Vom Off-Kommentator über unzuverlässige Erzählungen bis hin zu ganzen absichtlichen chronologischen Verschiebungen oder gar Auslassungen ist alles vertreten, was so aufzubieten wäre, im letzten Drittel wird sogar eine kleine Verfolgungsjagd eingeschoben, die auf dem Papier nicht mehr als ein simples Hintereinanderlaufen wäre, durch Vaughns packende Inszenierung und den stimmigen Score aber echten Nervenkitzel heraus beschwört. Die Geschichte hingegen ist dafür erschreckend einfach und kommt ohne großen doppelten Boden oder einen besonders bemerkenswerten Twist daher, in Wahrheit ist es wohl eher so, dass die ganz großen Aha-Momente eigentlich zum Genrestandard zählen und bereits in vielen anderen Filmen zu sehen waren - wenngleich dafür noch nie so stilecht, stylisch und kompakt vereint. Wie erwähnt: Die Atmosphäre steht eben deutlich mehr im Vordergrund und besonders die Musikauswahl (unter anderem Joe Cocker, The Rolling Stones oder The Cult), die nicht selten auch mal kontraperspektivisch fast schon provozierend die Ohren des Zuschauers erreicht, trägt erheblich dazu bei, dass man Teil eines Geschäfts wird, aus dem es (wie XXXX noch schmerzlich erfahren wird) kein Entkommen gibt.

Auch wenn die Fokussierung des Filmes komplett auf Craigs Charakter liegt, so gibt es dennoch eine beträchtige Anzahl an Nebenfiguren, deren Besetzung durchweg souverän auftritt. Colm Meaney (in einer sehr ungewöhnlichen Typ-Besetzung), Jamie Foreman, Kenneth Graham, George Harris oder der starke Michael Gambon können in ihren jeweiligen Parts überzeugend agieren, während Sienna Miller, Ben Whishaw und Tom Hardy dafür in winzigen und insgesamt kaum relevanten Rollen ein wenig überflüssig verschenkt erscheinen - dass einer von ihnen in der letzten Szene durch einen finalen Twist aufgewertet werden soll, verstärkt diesen Eindruck sogar etwas ungünstig. Ein wenig könnte es dem ein oder anderen "Layer Cake" in den entscheidenden Stellen an Konsequenz mangeln, dies macht das starke auf einer Romanvorlage basierende Script dafür durch wunderschöne Dialogzeilen wieder wett, von denen einige Kult-verdächtig sein dürften und dennoch stets vom Ton her passend für das jeweilige Umfeld der Charaktere erscheinen. Ein letzter Kommentar gebührt der Härte und Gewaltdarstellung, die überraschend dezent und pointiert erscheint und erfreulichermaßen den jeweiligen Moment unterstützt, statt ihn allzu abgedroschen zu beherrschen. Dramaturgisch beweist Vaughns Debütpräsentation damit eine nicht unerhebliche Weitsicht und clever-effiziente Treffsicherheit, die zwar nicht unbedingt das Rad neu erfinden kann, aber die bekannten Inszenierungsarten und inhaltlichen Versatzstücke gelungen zu etwas eigenständigem zu kombinieren weiß.

Fazit: Erstlingswerk, Genreperle und Geheimtipp zugleich! Das Drama in "Layer Cake" wird erstaunlich oft als das betont, was es nun einmal in der Tat auch ist: Keine abgedroschene Studie über die Perspektivlosigkeit der unteren Mittelschicht des jungen vereinigten Königreichs im 21. Jahrhundert, kein zufälliger chaostheoretischer Unglücksprozess einer Horde Fausts, die ihrem Mephisto erliegen (müssen), sondern eine Geschichte über lebendige Menschen und ihre Schwächen und Verfehlungen. Von Sündern oder einfach schlicht Gangstern zu reden, wäre hier zu einfach gedacht, es gibt kein schwarz oder weiß in der Welt von "Layer Cake", die eben deshalb unserer trotz aller Stilisierungen sehr ähnlich erscheint. Toll besetzt und aufregend frech gegen alle Regeln inszeniert ist die spritzige Musikuntermalung die Kirsche auf dem Sahnekuchen, der "Layer Cake" ohne wenn und aber ist, weshalb es doch sehr passend ist, dass dieser Titel für Vaughns Werk gewählt wurde. "Layer Cake" zu genießen ist tatsächlich wie einen Kuchen zu verspeißen: Mit jeder Schicht noch ansprechender.

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Beitrag von Wallnuss » 17.05.2016, 15:45

Die Geschichte der Dienerin

Als Margaret Atwood 1985 ihren gesellschaftskritischen Sci-Fi-Roman "A Handmaid's Tale" veröffentlichte, wurde sie für ihr düsteres, apokalyptisches Szenario der fiktiven Republik Gilead (benannt nach dem gelobten Land des Alten Testaments) von Literaturkritikern glatt auf eine Stufe mit George Orwell und Aldous Huxley gehievt. In einer von Männern dominierten Zeit, in der christliche Fundamentalisten die Welt regieren und nur noch sehr wenige Frauen Kinder gebären können, müssen diese als "Dienerinnen" für Ehepaare der oberen Mittelschicht als Geburtmaschinen herhalten und sind direkt dem Commander (also dem Hausherrn) unterstellt. Nur wenige rebellieren gegen dieses frauenfeindliche System: Regierungskritiker werden bei Enttarnung augenblicklich öffentlich exekutiert. Ein spannendes, erschreckend realistisches Szenario - und so war es natürlich nur eine kurze Frage der Zeit, bis eine Verfilmung durch die Kinos dämmerte.

Literaturverfilmungsexperte Volker Schlöndorff wagte sich an die Mammutaufgabe, der wahrlich komplexen Vorlage ein filmisches Äquivalent entgegen zu setzen. Ohne sich 1:1 an Atwoods Roman zu orientieren (in Wahrheit kürzt, verdreht und ändert Schlöndorff, wo er nur kann), gibt er sich viel Mühe, Gilead und seine Regeln ausführlich und eindrucksvoll an den Mann zu bringen. Hierin liegt eine der größten Stärken der Adaption: In der Tat gelingt es ohne große Effekthascherei bereits in den ersten Minuten, eine bedrohliche Grundstimmung zu inszenieren und die schockierenden Ausmaße der Dystopie anhand eines Einzelschicksals zu erkunden. Natasha Richardson erweist sich dabei als wunderbare Besetzung für die Protagonistin Offred: Ohne große Aufregung und theatralische Zurschaustellung ihres aktuellen Gemütszustands spielt sie dezent, ruhig und mit leisen Tönen. So wird Offred zur personifizierten Menschlichkeit, deren unschuldige Naivität und nur sehr selten vorschimmernde Weiblichkeit mit zunehmender Laufdauer immer weiter zu ersticken droht. Je weiter Schlöndorff die Dramaturgie zuspitzt, desto mehr entmachtet er neben Offred auch die Feminität an sich: Durch erschreckend simple Farbsymbolik (rote Burka-ähnliche Gewänder für die Dienerinnen, blaue Anzüge für Ehefrauen der Commander) entpersonalisiert und entsexualisiert er das unterdrückte Geschlecht zunehmend und effizient im Hinblick auf die zu erzählende Geschichte.

Diese bleibt ohne die großen doppelten Böden und Überraschungen aus, sondern folgt weitestgehend linear und vorlagengetreu Offreds Erkundungen dieser Brave New World. Mit kühler und unwirklicher Spannung gewinnt Gilead auch im filmischen Gewand das Format einer Spiegelung der amerikanischen Gesellschaft und dient Schlöndorff wie Atwood als Parabel für die Stellung der Frau in den gut situierten Gesellschaftsschichten der Vereinigten Staaten. Ohne dies in aufdringlichen Dialogzeilen immer wieder zu betonen oder an den ganz großen metaphorischen Strängen zu ziehen, gelingt es, gerade durch eine unemotionale und beinahe schon abweisende Inszenierung und Szenengestaltung, die Nüchternheit des Zuschauers zum eigentlichen ästhetischen Zweck der Geschichte zu machen. Nur selten spitzt sich das Geschehen zu, insbesondere eine der bereits erwähnten öffentlichen Hinrichtungen, bei denen die Dienerinnen mehr oder weniger freiwillig als instrumentalisierte Henkerinnen auftreten, sticht als dramaturgischer Höhepunkt deutlich heraus und erschafft den berühmten Kloß im Hals ohne große Probleme. Andere bedeutende Entwicklungen (wie die Enthüllung der verborgenen Rebellion) lässt Schlöndorff bewusst als versachlichte Information erscheinen und auf den Spannungsbogen bezogen daher verpuffen. Zumeist gelungen umgesetzt muss die Regie dafür Abstriche bei der frei hinzugedichteten Hintergrundgeschichte Offreds machen, die eine Art gefühlsbetonten Katalysator für ihre Andersartigkeit liefern soll, durch jene non-emotionale Erzählweise aber ihren Zweck verfehlt.

Neben Richardson ist die Besetzungsliste insgsamt mit "souverän" passend zusammengefasst. Während Aiden Quinn oder Elizabeth McGovern in kleineren Nebenrollen ordentliches Handwerk präsentieren, stehen ansonsten außer Offred noch Faye Dunaway und Robert Duvall als angesehenes Wohlstands-Ehepaar im Vordergrund. Während Dunaway dabei in der Rolle der Serena Joy eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legen muss und daher kaum auffällig agiert, bekommt Duvall in den gut geschriebenen Dialogen mit Richardson deutlich öfter die Chance, mimisch variierend der herrschenden Maskulinität Gileads ein Gesicht zu verleihen, was ihm mühelos gelingt. So ist die Spannung zwischen den unterschiedlichen Charakteren stets gegeben - dennoch verpasst Schlöndorff auf den letzten Metern die Chance, der filmischen "Handmaid's Tale" eine höhere Bedeutung beizumengen, die über das Spiegeln und überzogene Präsentieren festgefahrener Rollenklischees im American Way of Life hinausgeht. Es fehlt der große Aufhänger, der die gesellschaftskritische Ebene um einen Appell oder im Idealfall eine relevante Erweiterung des literarischen Stoffes bereichert. So bleibt nicht nur für die Kenner der Vorlage die Frage im Raum stehen, was uns Schlöndorff mitteilen wollte oder gar, worauf die 108-minütige Geschichte eigentlich zusteuerte. Schlöndorff erkennt den Inhalt der Erzählung und weiß sie gekonnt umzusetzen, doch der letzte Schliff, ein großes Aha, bleibt leider aus, auch, weil gerade die religiöse Komponente der Handlung etwas zu schmerzlich vernachlässigt wird.

Fazit: Eine unter dem Deckmantel der sittlichen Religionshörigkeit verborgene dystopische Bigotterie, in welcher Frauen nur als Mittel zum Zweck der Erhaltung der menschlichen Rasse dienen dürfen und in der Gesellschaft auf hunderte Meter Entfernung anhand ihrer Kleidung bereits auf ihre gesellschaftliche Funktion reduziert werden - die Aktualität und Beklommenheit dieses Szenarios würde gleich für mehrere Filme Potenzial bieten. Schlöndorffs Werk bietet eine sterile und effiziente Eröffnung in diese nicht allzu ferne Welt, deren Kälte, Unmenschlichkeit und Hoffnungslosigkeit für düstere Stimmung und unterschwellige Spannung sorgen, welche von den teilweise glänzend aufgelegten Schauspielern zusätzlich untermauert wird. Aufgrund der erkennbaren Parallelen zur Realität ist das Treiben der Figuren so durchaus als unheimlich zu wertend, durch einen etwas nichtssagenden Schlussteil bleibt die eigentliche Kritik jedoch etwas zu sehr auf der Strecke, weshalb "Die Geschichte der Dienerin" wohl im Hinblick auf die starke Romanvorlage nur für lesefaule Menschen einen sonderlichen Nährwert innehaben wird.

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Beitrag von Wallnuss » 02.06.2016, 16:34

Passwort: Swordfish

Zu Beginn des 109-minütigen Streifens philosophiert John Travolta als glattfrisierter Massenmörder Gabriel charismatisch und ausgedehnt über die Entwicklung des modernen Kinofilms, Al Pacinos Karrierehöhepunkte und die Machenschaften heutiger Filmproduzenten, beklagt sich dabei über das Mittel, dass ihm in modernen Thrillern und Actionstreifen am meisten fehlt: Realismus. In Anbetracht dessen, was nur wenige Minuten später seinen Anfang nimmt, ein amüsanter und vor allem selbstironischer Gag, der wie eine Entschuldigung sämtliche Entwicklungen vorweg nehmen soll. Doch bevor der Zuschauer begreifen darf, dass Regisseur Dominic Sena sich hier einen Scherz erlaubt hat, präsentiert er in Anschluss an Travoltas Monolog eine der schockierendsten Eröffnungssequenzen des Actionkinos. Ein Geiselszenario in einer Bank auf der anderen Straßenseite führt nach einem kurzen Intermezzo zwischen mit Sprengweste-bekleideter Geisel und einem voreiligen SWAT-Mann zu einer in Bullet-Time-Optik minutiös ausführlich gezeigter Detonation, die die draußen aufgebaute Straßensperre der Beamten augenblicklich in einen Parkplatz verwandelt.

Das nach dem Riesenerfolg von "Matrix" der nächste Hacker-Thriller nicht lange auf sich warten lassen würde, ist keine allzu große Überraschung. Und das große Vorbild ist in "Passwort: Swordfish" nahezu omnipräsent: Bullet-Time-Kamerafahrten, extremes Color-Grading, Zeitlupen en masse, Lederanzüge für Mann und Frau, die Liste ist endlos. Zugegeben, den Stil des ebenfalls von Joel Silver produzierten Meilensteins ahmt Sena ansprechend nach und eröffnet dem Publikum ein stylishes und auf Hochglanz-poliertes Spektakel-Gewitter - natürlich, ohne je annähernd mit der innovativen Ader oder gar dem einmalig ästhetischen Geschick der Wachowskis mithalten zu können. Dies ist jedoch auch gar nicht nötig, denn die schnellen und knackigen Schauwerte und der schnelle Handlungsverlauf nach dem grandiosen Einstieg ermöglichen ganz ohne die größten Geschütze aufzufahren einen Zugang zur Erzählung zu finden, hinzu kommt ein ordentliches Staraufgebot. John Travolta gibt als Widerling eine hervorragend schmierige und abstoßende Performance ab und die ihm von Drehbuchautor Skip Woods in den Mund gelegten Dialogphrasen geben ihm die nötige Wirkung, als das personifizierte Unheil aufzutreten, welches die Handlung benötigt. Hugh Jackman spielt den positiven Gegenpol sympathisch wie gekonnt menschelnd, seine "X-Men"-Kollegin Halle Berry darf ihm derweil das ein oder andere Mal erotisch und betont sexy aufspielend den Kopf verdrehen (genau wie allen anderen männlichen Zuschauern). Don Cheadle und Vinnie Jones runden die glückliche Besetzungsliste anschaulich ab. Kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen!

Nun, das würde man meinen, doch Woods und Sena verzocken sich im Verlauf des gar nicht so langen Filmes dann schon das ein oder andere Mal. Die Grundbausteine des "Swordfish"-Filmchen mögen für sich genommen funktionieren, doch irgendwie wird man den Gedanken nicht los, diese selbst in der hier auftretenden Kombination alle schon einmal zu oft gesehen zu haben. Abgesehen von tausenden "Matrix"-Referenzen standen wenig offensichtlich wohl auch "Die Hard" und für den Showdown ganz besonders "Speed" Pate, während man sich bei den Hacker-Szenen wünscht, es wäre doch etwas mehr "Matrix" erkennbar gewesen. Die Visualisierungen der Computer-Vorgänge als eine Art digitaler Zauberwürfel sind nicht nur unfassbar simpel und einfältig, sondern größtenteils einfach grober Humbug, der selbst von Laien sofort durchschaut werden wird. Selbiges gilt für die Twists, die im Mittelteil nur allzu vorhersehbar für "Überraschungen" sorgen sollen und dann in den letzten fünf Minuten natürlich doch wieder ganz anders aufgelöst werden, als es zunächst den Anschein machte... *seufz*! Es ist wohl Jackman, Travolta und Berry zu verdanken, dass man dennoch einigermaßen interessiert an den Charakteren dran bleibt, die allgemein zu uninteressant sind, um Spannung aufzubauen, die hier daher eher vereinzelt und szenenabhängig auftritt. Hinzu kommt, dass die durchaus vorhandenen Story-Ideen Woods zwar zum Denken anregend sein könnten, einem aber gerne zu plakativ entgegen geschleudert werden, weshalb auch dies zu schnell an einem vorbeizieht.

Immerhin ist "Passwort: Swordfish" ja aber auch in erster Linie ein Actionfilm, weshalb man den dünnen Plot und die platten Charaktere ja zumindest verzeihen könnte, wenn es dafür so ordentlich wummst. Leider ist die Klimax des Filmes allerdings die Anfangssequenz, sodass die handwerklich gelungenen Verfolgungsjagden zwischendurch ein wenig in der Luft zu hängen scheinen. In Wahrheit sind aber besonders eine knackige Autojagd bei Nacht und der fast halbstündige Showdown eine Augenweide an schönen Computer- und handgemachten Stunts, die im Zusammenhang mit der Veröffentlichung kurz nach den Ereignissen vom 11. September 2001 eine beängstigend aktuelle Note erhalten und kurzweiliges gewissenloses destruktives Kino bieten, dass in der ein oder anderen gezogenen Konsequenz überraschend endgültig daher kommt. Wie Travolta zuvor ankündigte, darf man Realismus hier allerdings wie gewohnt nicht erwarten - weshalb man den moralisch und dramaturgisch arg fragwürdigen Schluss, der in den letzten 2 Minuten noch einmal alles vorhergesehene auf den Kopf stellen und irgendwie eine Andeutung auf die ambivalenten Feindbilder nach der Zeit des Kalten Krieges innehaben soll gerade so verzeihen kann.

Fazit: Actionfans kommen bei "Passwort: Swordfish" auf ihre Kosten und werden sich nur mit ordentlich Leerlauf im arg wackelig geratenen Mittelteil arrangieren müssen. Dementsprechend nichtssagend, aber immerhin kurzweilig und ultrastylish bleibt das Geschehen in Erinnerung, welches durch die Darsteller zwar merklich aufgewertet wird, aber vermutlich bei deren Können auch noch einiges an Potential liegen lässt. Da "Passtwort: Swordfish" geschickt und klug durch den vorgeschobenen Anfangs-Monolog grobe Unstimmigkeiten des Plots bereits augenzwinkernd selbst thematisierte, rettet sich Sena bei der arg überstrapazierten Unglaubwürdigkeit seiner Erzählung ein wenig selbst aus dem freiwillig eingegangenen Schlamassel, sodass man am Ende bereitwillig das Actionfeuerwerk einfach als amüsantes Popcorn-Kino mitnimmt. Übrig bleibt durchschnittliches Einmal-Kino ohne große Ambitionen oder besondere Stärken/Schwächen, welches sich für das fantastische Opening allerdings einen Bonuspunkt verdient hat.

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Beitrag von Wallnuss » 02.06.2016, 21:48

Die Frau hinter der Wand

Die Nachwuchsredaktion "Das kleine Fernsehspiel" gab 2013 jungen Regie-Talenten aus Deutschland unter dem Motto "Stunde des Bösen" die Gelegenheit, sich im Thriller-Genre einmal selbst auszutoben und Erfahrungen zu sammeln. Herausgekommen ist dabei unter anderem ein kleines düsteres Kammerspiel, mit dem vielsagenden und doch geheimnisvollen Titel "Die Frau hinter der Wand". Das Regiedebüt des Newcomers Grzegorz Muskala, welches gleichzeitig auch sein Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ist, kommt dabei mit allen Stärken und Schwächen dahin, die man allgemein von einem solchen Debüt erwarten darf. Der Einstieg ist arg holprig und einiges wirkt gar übereifrig und aufgeregt erzählt, dafür sind unkonventionelle Kameraperspektiven und ein gewagter Inszenierungsstil durchgehend an der Tagesordnung. In diesem speziellen Fall zeichnet sich Muskalas Werk allerdings durch eines aus, was vielen solcher Debüts gerne abgeht: Atmosphäre.

Doch der Reihe nach: "Die Frau hinter der Wand" gewinnt selbstverständlich weder inhaltlich (Muskala zeichnete sich gemeinsam mit Robby Dannenberg auch für das Drehbuch verantwortlich) noch filmisch den großen Innovationspreis. Die Vorbilder sind sogar offensichtlich, bzw. das eine große Vorbild: Alfred Hitchcock, der Master of Suspense, schwebt wie eine dunkle Vorahnung über dem Geschehen. Ein Vergleich, den der Jungregisseur nicht gewinnen kann - überraschenderweise ist es aber dennoch einer, der ihm durchaus schmeichelt. Muskala gelingt es, seine deutlich abgekupferte Geschichte stringent und ohne Schörkeleien oder Mäanderungen pointiert in 95 Minuten ungehetzt und schlüssig zu erzählen. Zwar ist die Handlung um den schüchternen Studenten vom Land, der in der Stadt an eine Femme Fatale (hier sogar seine Nachbarin) und damit in eine verzwickte und beängstigende Kriminalgeschichte gerät bereits so ausgelutscht, dass man auch hier den Ausgang relativ früh im Groben schon erraten kann, doch dank gängiger Spannungsmechanismen und dem Auslassen etwaiger Nebenhandlungen ist "Die Frau hinter der Wand" insgesamt ein gut konzentriertes Personendrama. Einen größeren unvorhersehbaren Twist gibt es dann tatsächlich und dieser ist sogar glaubhaft und authentisch in das Gesamtbild eingewoben, dass erfreulichen Rätselcharme zu wecken weiß und damit auch wenig inhaltliche Eigenständigkeit behaupten kann.

Wie bereits angekündigt: Groß auftrumpfen tut das eigenwillige Debüt aufgrund seiner Atmosphäre. Und hier hat Muskala mit wenig Aufwand bemerkenswerte Arbeit geleistet. Das Setdesign ist clever und effizient (so wird in tristen und auffälligen Farben gefilmt, die nur von roten Korridor-Wänden und einem gelben Regenmantel immer wieder gebrochen werden), die eingespielte Musikuntermalung von Portishead laut und eindringlich, die sich oftmals wiederholenden Bilder mit zunehmender Laufzeit verstörend und der eigentliche Soundtrack Conrad Oleaks beunruhigend, sodass von Vornherein das benötigte Unwohlsein vorhanden ist, dass hier benötigt wird, um auf der Klaviatur der Angstzustände des Zuschauers zu spielen. Besonders gelingt das durch verstörende Details, etwa wenn ein langer Flur nur zu einem roten Sessel führt oder der aus dem Fenster schauende Protagonist plötzlich aus der Dunkelheit beobachtet wird. Auch die Schauspieler sind passend besetzt: Vincent Redetzki ist als Martin der richtige Zwischenpol aus jugendlichem Leichtsinn, erwachender sexueller Unabhängigkeit und scheuer Introvertiertheit, während die blonde Katharina Heyer als Simone ein verführendes Biest ist, wie es das deutsche TV schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat. Die beiden alleine sind es, auf die sich die Kameras fokussieren und zurecht, spielen beide entfesselt und gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers. Die Sympathien verschieben sich dabei durchaus mal zwischen Martin und Simones aggresivem Freund Sebastian, zwischen durch überrascht auch noch Robert Stadlober mit einem sehr speziellem Gastauftritt, gerade dann, wenn die Handlung sich zu verlieren droht. So geht das!

Dennoch wäre es vermessen, "Die Frau hinter der Wand" wirklich auf eine Stufe mit Hitchcock zu stellen. Dazu fehlt natürlich noch eine ganze Menge. Das fängt vor allem mit einigen handwerklichen Dingen an - ganz besonders die Raumgeographie ist schwach, muss vom Zuschauer erahnt werden. Wieso Simone gleichzeitig neben Martin und gegenüber von ihm wohnt, erschließt sich nicht wirklich, auch weil von dem Wohnblock, in dem der Thriller spielt, keine Außenaufnahmen gezeigt werden. Im Mittelteil beginnt man sich zudem zu fragen, in welche Richtung das ganze eigentlich gehen soll: Etwas zu sehr ist "Die Frau hinter der Wand" der schwierige Versuch, ein Spagat zwischen dem Drama, dem Thriller, dem Horrofilm und dem Erotikgenre zu sein. Eine klarere filmische Positionierung (in anderen Worten, eine Straffung weniger überflüssiger Minuten und Elemente) wäre daher wünschenswert gewesen und das direkte Hitchcock Zitat (Stichwort: Dusche) hätte angesichts der Auswirkungen auf den Gesamtplot nicht wirklich sein müssen. Der Showdown ist dann zudem doch eine Spur zu viel, trägt übertrieben dick auf und verschiebt den Höhepunkt ein Mal zu oft, sodass dieser die aufgemachten Versprechungen nicht so recht zu halten weiß. Angesichts der Tatsache, unter welchen Umständen und mit welchem Hintergrund hier jedoch gearbeitet wurde, lassen sich viele dieser Details verschmerzen und auch die gröbsten Sachen entschuldigen, erst recht unter Eingedenk der Tatsache, dass hier für ein solches Anfängerwerk äußerst löblich bereits das Timing für subtilen Horror und suggestive Beklommenheit dort sitzt, wo es hingehört.

Fazit: Im Rahmen seiner Möglichkeiten beeindruckender Spielfilm, der die Thriller-Regeln und Gesetze sowohl verstehen als auch anwenden kann und deswegen auch deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als er wohl erhalten wird. Korinthenkacker werden darauf hinweisen müssen, dass hier nur gängige Genrekost nach dem Einmaleins des Filmemachens geboten wird und dieser Einwand mag berechtigt sein, schmälert aber nicht die Tatsache, dass man sich 95 Minuten angenehm gruselnd ins Bett verkrochen eine interessante Zeit mit "Die Frau hinter der Wand" haben kann. Und um das viel verwendete "Eingedenk seiner Entstehung" einmal zu relativieren: "Die Frau hinter der Wand" ist auch ganz ohne jeden Hintergrund ein souveränes kleines Experiment, dass einen Blick durchaus wert ist. Wer es besser könnte, der werfe den ersten Stein!

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Beitrag von Wallnuss » 11.06.2016, 12:57

Whiskey Tango Foxtrot

Kriegsreporter leben jeden Tag in schrecklicher Angst und in großer Gefahr und das alles nur, um die Welt ein Stückchen besser zum machen, um beispielsweise im nahen Osten dafür zu sorgen, dass die "dekadente" westliche Zivilisation nicht wegschaut, sondern informiert ist über das Leid, welches den Menschen dort widerfährt. Doch was passiert, wenn dieser eigentliche Sinn verloren geht, wenn der einzige Grund für die Anwesenheit der Reporter die überzogene Selbstdarstellung des Westens selbst ist? Wie schnell ist man als Reporter bereit, seine Existenz über Leichen gehend zu rechtfertigen und wie lange dauert es, bis einem die Zustände des Landes, in dem man sich befindet, drohen, gleichgültig zu werden? Als die USA 2003 ihren Irakkrieg beginnen und die in Afghanistan stationierten Reporter dorthin versendet werden, soll jemand aus der zweiten Garde deren Platz einnehmen. Kim Baker, gespielt von der berühmten Komikerin Tina Fey, meldet sich freiwillig ... und das Ergebnis ist eine fantastische Medien- und Kriegssatire, nach einer wahren Geschichte.

"Whiskey Tango Foxtrot", eine militärische Verschlüsselung des Ausrufs "What The Fuck", erzählt dabei basierend auf Bakers Memoiren ihre 4-jährige Zeit in Kabul und verzichtet auf einzigartige Weise auf alle nur erdenklichen Klischees, die man einem solchen Stoff erwarten dürfte. Obwohl Baker der Islam und die afgahnische Kultur fremd sind, verfällt das Regieduo Glenn Ficarra und John Requa nicht dem Drang, simple "fish out of water"-Witzeleien nach Schema F abzukurbeln, sondern setzen sich pointiert und differenziert mit der grotesken Überzogenheit der militärischen Stärke auseinander. Als Baker während eines Einsatzes aussteigt, um in der Wüste in einen Busch zu pinkeln, wird sie dabei von mehr als 7 dreifach gepanzerten und schwer bewaffneten Soldaten bewacht, bei einem Angriff zweier Talibans werden diese vom deutlich überlegenen US-Militär großzügig mit einer 80.000 Dollar teuren Rakete niedergeschossen - man hätte die Waffe ja ohnehin nicht mehr gebraucht. Der von Billy Bob Thornton herrlich überzogen gespielte Marine-Corps-General achtet penibel darauf, dass jede noch so kleine Aktion die Selbstsicherheit und Überlegenheit des Militärs eindrucksvoll unter Beweis stellt, im Geheimen erfährt Baker dann jedoch von einem Soldaten aus Einheit 5, dass dieser seine Waffe sowieso gar nicht mehr lade. Und auch ihre einzige weibliche Kollegin vor Ort ist weniger an den politischen Wirrungen der Nation interessiert, sondern mehr daran, auf der nächsten großen Party in der Unterkunft der Reporter ihre Leibgarde ins Bett zu kriegen.

Diese Egalhaltung scheint Baker zuerst fremd, doch mit jeder weiteren Party und jedem weiteren redundanten Militärgehabe stürzt sie über die Jahre immer tiefer in die Gleichgültigkeit. Ein Polizist ballert nachts mit seiner Kanone mehrmals in den Himmel, nur um sich eine Zigarette anzuzünden? Gähn. Der Justizminister (gekonnt überdreht: Alfred Molina) bittet sie zu einem Schäferstündchen in seinem Büro? Nett lächeln und höflich ablehnen, er könnte einem ja nützlich sein. Worin der Sinn des Krieges und der unzähligen hingeschluderten Reportagen liegt? Egal, hauptsache, man wird nicht direkt wieder an den heimischen Schreibtisch verdammt. Das grandiose satirische Potenzial von "Whiskey Tango Foxtrot" liegt nicht in offensichtlichen Kalauern oder bitterbösen zynistischen Phrasen, es liegt im Detail verborgen und dem großartigen Cast wie der stilsicheren Regie ist es wohl zu verdanken, dass dieses Potenzial vollständig genutzt wird. Fey liefert eine humoristisch sehr souveräne wie auch emotional ergreifende Performance ab, ihre beiden wichtigsten Co-Stars können allerdings regelrechte Begeisterung auslösen. Margot Robbie spielt die Kollegin Tanya mit unglaublichem Charisma und einer geglückten Betonung ihrer jungen Reize im Vergleich zur deutlich älteren Fey, und Martin Freeman präsentiert sich widerlich wie nie zuvor als sexistischer schottischer Journalist, der im Lauf der Handlung sich allerdings (wie alle in Kabul) ideologisch wie menschlich verändern muss, um das Grauen des Todes, das im Hintergrund stets präsent bleibt, zu überspielen.

Jenes Überspielen setzen Ficarra & Requa so in Szene, als befänden wir uns in einer Jugendherberge irgendwo auf einer Klassenfahrt von Teenagern. Sexeskapaden, peinliche Alkoholabstürze, kindische Gerüchte und eine selbsttäuschende "Nach uns die Sinnflut"-Einstellung bestimmen den Alltag - dennoch vergisst die Regie nie, ihre Geschichte zu entwickeln, insbesondere eine Stelle, in der der Tod dann plötzlich aktiv ins Geschehen eingreift, darf zu den besten des Kinosommers 2016 gezählt werden. Ohne große musikalische Verdeutlichung oder erhobenen Zeigefinger kommt es bei einem Drohnenangriff zu einer Katastrophe, die von den beiden Reporterinnen im Nachhinein trotz Verletzungen und verstorbenen Kollegen lediglich mit einem kurzen Innehalten "kommentiert" wird. Danach geht es weiter wie bisher. Wer hier eine kritische Inszenierung erwartet, wird enttäuscht. Auch der Film zeigt dies erschreckend nüchtern und vergisst dieses Geschehen nach wenigen Minuten sofort wieder - und genau hier liegt die Satire. Mit denkbar einfachsten Mitteln hält "Whiskey Tango Foxtrot" dem immer schnelllebigeren konsumierendem Publikum, welches sich zuhause auf dem Sofa nach einem Exklusivbericht über Todesopfer in Kriegen gemütlich bei einen Kriminalfilm bequem macht, den Spiegel vor - und das so selbstverständlich, dass es (wie auch auf Filmhandlung den Protagonisten) nur wenigen auffallen wird.

Fazit: Zwischen all den großen Action-Blockbustern und mit Stars besetzen Hochglanzcomedys des Kinosommers 2016 versteckt sich mit "Whiskey Tango Foxtrot" ein leiser Filmgenuss, der die Aufmerksamkeit seiner vielen Konkurrenten absolut verdient hätte und ohne erkennbare Mühen mit der Leichtigkeit einer Komödie und der sekundenschnell aufkommenden Ernsthaftigkeit eines Dramas aufzeigt, wie nah Schrecken und Gleichgültigkeit in Extremsituationen beieinander liegen können - und sich dabei sehr genau mit der Historie auseinandersetzt. Exzellent besetzt und formal bravourös umgesetzt, ist es gerade das Fehlen einer "WTF"-Inszenierung seitens des Filmes, die diesen Ausruf im Kopf des Zuschauers erzeugt und leben lässt. Das man am Ende sogar dem Hang widersteht, die tatsächlichen Geschehnisse künstlich dramaturgisch ins Spektakuläre abgleiten zu lassen, ist wunderbar und ehrlich, dass es in den allerletzten Szenen dann doch auch mal etwas rührseliger werden darf, verdient und angemessen. Ein kleiner Film, aber ein ungleich bedeutender.

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Kiss Again Bang Again

Beitrag von Wallnuss » 13.06.2016, 21:21

The Nice Guys

Back to the roots! 2005 wurde Shane Blacks Regiedebüt "Kiss Kiss Bang Bang" zum Überraschungshit des Jahres und gilt unter den modernen Buddy-Movies des 21. Jahrhunderts längst als der Kultfilm schlechthin. Nicht wenige Black-Jünger waren daher enttäuscht, als dessen nächstes Projekt der letzte Teil von Marvels "Iron Man"-Trilogie werden sollte. Zwar zeigte auch dieser Film noch deutlich die Mechanismen, die "Kiss Kiss Bang Bang" zu seinen zahlreichen Anhängern verhalf, musste sich aber vielerorts doch den Konventionen des Blockbusterkinos unterordnen. Mit seinem dritten eigen inszenierten Abenteuer "The Nice Guys" kehrt Black dem Massenfilm wieder den Rücken und präsentiert praktisch eine Neuauflage seines Erstlings. Wie einst Robert Downey Jr. und Val Kilmer als Detektiv-Duo wider Willen legen sich nun Ryan Gosling und Russell Crowe mit zwielichtigen Gangstern und dubiosen Geschäftsleuten an - in schicker 70s Aufmachung!

Glasklar: Eine Buddy-Cop-Komödie mit Film Noir Anspielungen und viel schwarzem Humor lebt von ihren Hauptdarstellern und hier landete Black beim Casting einen echten Glückstreffer. Darf man Crowe und Gosling einzeln schon meist als einen Gewinn für jeden Film bezeichnen, so merkt man ihnen hier sofort ihre ausgezeichnete Chemie an. Die beiden harmonieren (bzw. disharmonieren) vortrefflich zusammen und necken, fluchen und witzeln sich durch den Krimi-Plot. Dabei scheint jedem der jeweilige Charakter perfekt auf den Leib geschrieben, werden sie doch auch von Black in den Anfangsszenen sehr effizient und gekonnt charakterisiert (der eine der ständig betrunkene Wannabe, der andere das "Raue Schale, Weicher Kern"-Modell in Lebensgröße). Obwohl die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den beiden arg an "Kiss Kiss Bang Bang" erinnern, so weiß Black doch, seine Protagonisten von den eigenen Vorbildern abzugrenzen - meist geschieht dies durch die dritte überraschende Hauptfigur: Goslings Filmtochter, gespielt von der 15-jährigen Angourie Rice. Die junge Darstellerin passt perfekt zum aufgedreht agierendem Gosling und dem versteckt zahmen Crowe und beweist in den stets humorvoll und gerne auch mal derben Dialogen ein bemerkenswertes Gespür für das richtige Timing, sodass am Ende ungewöhnlich viele der zahllosen Oneliner, die unaufhörlich wie Maschinengewehrsalven Richtung Publikum verschossen werden, tatsächlich zünden. Weitere Nebendarsteller wie Margaret Qualley, Matt Bomer oder Kim Basinger kommen da verhältnismäßig kurz (letztere schaut für gerade mal zwei Szenen vorbei), fügen sich aber organisch in die Besetzungsliste ein.

Ansonsten liegt die allergrößte Stärke der "Nice Guys" zweifellos in der überaus starken Reinkarnation der späten 70er Jahre. Hier muss den Set- und Kostümdesignern ein großes Lob ausgesprochen werden: Realistischer, aufwendiger und detailverliebter kann man das Los Angeles dieser Zeit optisch nicht auf die Leinwand übertragen. Von Anachronismen keine Spur und höchst authentisch und stimmungsvoll erschafft Black so eine ganz eigene Atmosphäre, die mit dem Neo-noir-Touch seiner Inszenierung kombiniert vollkommen aufgeht und einen stimmigen Gesamteindruck vermittelt, der durch die erfrischend und betont altmodische Geschichte ganz von selbst zu unterhalten weiß. John Ottman und David Buckley liefern passend dazu einen Score, der viele dieser Charakteristiken ebenfalls aufweist und das "Zeitreise"-Prinzip aufgreift, hin und wieder jedoch in etwas zu einfallslosen Kitsch abgleitet. Der Plot dient derweil, wie schon bei "Kiss Kiss Bang Bang" nur als Rahmen für allerlei komische Situationen und Actionsetpieces bieten soll, ist dank einiger aktueller Bezüge (bspw. der schonungslosen Umweltmissachtung der Automobil-Industrie) und der oftmals schnellen Erzählweise aber für den geneigten Krimifan vielleicht nicht komplett uninteressant, auch wenn man zum Ende hin einige stark abenteuerliche Wendungen hinnehmen muss, die sicherlich (auch, weil sie (wie an einer Stelle von den Charakteren selbst angedeutet) nur eine untergeordnete Rolle spielt) sehr konstruiert und willkürlich gesetzt werden.

Hier liegt dann leider auch das große Problem, mit dem "The Nice Guys" zu kämpfen hat. Während in den Schlagabtauschen selbst das Timing stimmt und auch der Wechsel zwischen Ernst und Komik (sehr auffällig in der faszinierend makaberen Eröffnungsszene) mit einigen unerfreulichen Ausnahmen passend scheint, so ist das Treiben der Privatdetektive deutlich zu lang geraten. Mit einer Handlungslänge von beinahe 2 Stunden gibt es so im Mittelteil einiges an Füllermaterial, welches immer unterhaltsam und amüsant bleibt, aber deutlich an Tempo und Pacing vermissen lässt. So mäandert das Geschehen immer mal wieder mehrere Minuten, und wiederholt ähnliche Szenen eine Spur zu häufig, um durchgehend frisch und frech zu erscheinen. Wenig hilfreich ist hierfür vielleicht auch, dass es an einem Antagonisten lange mangelt und man sich oft mit Zwischenlösungen begnügen muss, die relativ schnell vom jeweils nächsten abgelöst werden. Diese Mäanderungen führen dann auch zu den größten misslungenen Gags, wie eine höchstens unfreiwillig komische surreale Traumsequenz oder die penetranten Running Gags über Adolf Hitler. Im großen Actionfinale findet "The Nice Guys" Gott sei Dank aber wieder zum richtigen Mix aus Wahnsinn und Methode zurück und präsentiert eine knallbunte Abschlussfeier, bei der es mehr als einmal drunter und drüber geht.

Fazit: Wohl dosierte Actionszenen, zwei coole Typen in Buddy-Manier, ein paar nette Anspielungen an große Filmklassiker und eine Rückversetzung in das Jahr 1977: Was will der Comedy-Fan mehr? "The Nice Guys" bietet sympathische Slapstick-Unterhaltung in grandioser Optik, die sich auf alle Fälle sehen lassen kann und Genreherzen erobern wird. Abstriche wird der durchschnittliche Kinogänger dafür bei der rein zweckdienlichen Handlung, den merkwürdig konfusen Wendungen und den doch deutlcih bemerkbaren Längen im Mittelteil machen müssen, zumal trotz erstaunlicher Trefferquote immer noch weiß Gott nicht jeder Witz zündet. Schlussendlich sind es eben besonders Russell Crowe und Ryan Gosling, die mit ihrer eigenwilligen Mixtur aus Raufbold und Lebemann für viele Lacher sorgen und dank der jungen Angourie Rice dennoch im menschelndem Rahmen bleiben. Den ganz großen Wurf sollte man daher eher nicht erwarten, und sich getrost auf das verlassen, was einem der Titel zurecht verspricht: "Nice Guys".

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Beitrag von Wallnuss » 19.06.2016, 13:25

Hitman: Agent 47

Früher hielt man sich die Hand vor Stirn und Augenpaar, wenn einem der Infantilismus einer Sache in reinster Form begegnete und einem jedes Verständnis dafür ausblieb. Im Internetjargon der Jugend des Jahres 2015 nennt man diese Praktik leicht verschmitzt die "Facepalm". Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn man in einer leicht frustrierenden Mischung aus peinlicher Berührtheit und Fremdscham sich mit nichts anderem mehr zu helfen weiß, als eben jener "Facepalm". Wer dieses ganz natürlich Phänomen einmal an sich selbst austesten will, dem ist dank Regisseur Aleksander Bach bald geholfen: Mit "Hitman: Agent 47" wagte sich der Werbefilmer an eine filmische Adaption der beliebten Videospielreihe, über einen Auftragskiller ohne Identität, mit Glatze und Strichcode-Tattoo im Nacken. Mit jenen Spiele, in welchen der Spieler als "Hitman" in verschiedenen Level eine Vielzahl an Rambo- oder Stealth-Möglichkeiten erhält, seine Ziele mehr oder weniger unbemerkt zu eliminieren, hat dies nicht mehr viel zu tun und mit gutem Kino auch nicht so wirklich: "Facepalm - The Movie"?

Das immerhin von drei Autoren (unter anderem Skip Woods) zusammengeschusterte Script, hält sich immerhin dramaturgisch an die Vorlage: Wie in den Spielen scheint eine übergreifende Handlung hier nur sehr beiläufig präsent, die Spannung wird episodisch aufgebaut, entwickelt und wieder abgebaut. In der Theorie. Denn, was prinzipiell eine reizvolle brutale Menschenjagd hätte werden können, verkommt unter Bachs lärmendem Actiongetöse zu unplausibler und primitiver Schauwertvergeudung. Das in Shanghai, Potsdam und Berlin gefilmte Spektakel will ganz offensichtlich nur möglichst brutale (aber mit Wink auf die Zielgruppe dennoch blutleere) Shootouts und krachende Effektbonbons offerieren, und lässt sich dafür auch vom geringen Budget und schwammigen Animationen abhalten. Dramaturgisch bleibt die (sich in den wenigen bedeutungsschwangeren Dialogen komplex gebenden) Story eine Orgie an Bedeutungslosigkeiten und oberflächlichem Getue, die Charaktere wirken dabei auf dem Armaturenbrett entworfen. Menschlich sind hier weder Film noch Figuren, wie im Videospiel entpuppt sich das Geschehen als steigernde Aneinanderreihung immer brachialerer Destruktionslevel.

Doch anders als bei einem Computerspiel bleibt der Zuschauer hier außen vor, er wird dazu verdammt, diesen Leveln passiv beizuwohnen. Während die Spiele also durch die Atmosphäre und das taktische Denken punkten, sieht man hier dem fürchterlich hölzernem Rupert Friend als Agent 47 dabei zu, wie er sich durch Gegnerhorden ballert und hin und wieder gegen den schauspielerisch auf Autopilot agierendem Zachary Quinto antritt. Trotz der geringen Laufzeit von 96 Minuten artet dies schnell in enorm repetitive Abläufe aus, es mangelt an allen Ecken und Enden an Abwechslung. Die Gegner, die ohnehin nur austauschbares Kanonenfutter für den Antihelden sind, bekommen nicht mal ein vernünftiges Oberhaupt zugesprochen: Thomas Kretschmann quält sich hier nach "Avengers: Age of Ultron" zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit durch eine Schurkenrolle, die man bestenfalls als ungewöhnlich langen Cameo bezeichnen dürfte. Seine Motivation wird kurz vor Schluss in zwei Nebensätzen angerissen, seine Diabolik darf er nur in übertriebenen chargierenden Passagen mit dem Holzhammer präsentieren. Da zudem fast ausnahmslose jedes Gefecht in Lagerhallen, Hotelzimmern oder Forschungslaboren (sprich: offensichtlichen Studiokulissen) stattfindet, kommen einem die Anderthalb Stunden schnell deutlich länger vor, als sie eigentlich sein dürften. Schade außerdem, dass die 2-3 kleineren philosophischen Fragestellungen, die der Plot und die Spiele geboten hätten, hier bestenfalls angerissen werden. Die Frage nach der potenziellen Empathiefähigkeit potenziell emotionslos gezüchteter Menschen bleibt virulent, eine etwas weniger schemenhafte Aufteilung von Gut und Böse fällt unter "gewollt und nicht gekonnt".

Wer hier noch Hoffnung in die Action setzt, kann nur ein grenzenloser Optimist sein. Sicherlich gelingt es in 1-2 kurzen Passagen, geschickte Anspielungen an die berühmtesten Ableger der Games einzubauen, doch von denen abgesehen, ist die mies getrickste Action nicht nur oft erstaunlich kurz, sondern lässt Genrefilme à la "Matrix" oder die verrücktesten "James Bond"-Abenteuer wie glaubhafte Abhandlungen über physikalische Gesetze erscheinen. Dies wäre für Popcorn-Spaß ja noch verständlich, würde die Absurdität nicht ständig in Unbalance zu Aufwand und Ergebnis stehen. Als der Hitman mit einem Helikopter in ein Bürogebäude kracht, mehrere Etagen, böse Buben und zahlloses Mobiliar mit den Rotorblättern zerfräst und das nur, um den Kampfgeist der bis dato gefesselten blauäugigen Schönheit zu wecken, liegt die Doofheit des Filmes am offensichtlichsten dar und wird - wie auch alles zuvor - auch noch mit ernsten Mienen ohne jede Selbstironie vorgetragen. Nein, frivole Oneliner oder augenzwinkernde Situationskomik halten nie Einzug in das graue Treiben, die gähnende Leere darf nicht mal als falsch verstandene Genreparodie gewertet werden. Und auch der Showdown, der dann einmal kurz wenigstens etwas zu krachen scheint, bleibt Actionstandard aus der Dose - wohl vor allem, um, wenn man der Schlusspointe glaubt, Steigerung für ein Sequel offenzulassen. Es bleibt die Frage, was "Hitman: Agent 47" eigentlich sein wollte: Für einen Actionbegierigen bietet er nur rohen Standard, für Fans der Spiele böse Frustration und für Fans von "Filmen" immerhin eine Vielzahl an "Facepalm"-Momenten...

Fazit: In einer Schlüsselszene von Bachs "Hitman: Agent 47" erlangt der Schurke Le Clerq die Einsicht, dass es vermutlich auf ewig Menschen, Organisationen und Maschinerien geben wird, die sich in erster Linie einfach nur profilieren wollen - ob Bach hier versteckt ein eigenes Fazit zu seinen Beweggründen, dieses Script verfilmen zu wollen, platziert hat, bleibt wie so vieles offen. Damit ist dem lustlosen B-Movie jedoch der perfekte Abschluss gelungen, um sich selbst zu kommentieren. Denn nicht nur den Hitman, auch für den Zuschauer und für das Kino geht es nach dem Film einfach weiter - gewonnen hat dabei niemand, allenfalls knapp 100 Minuten seines Lebens verloren. Wer seine Ansprüche deftig heruntersetzt, der kann bei diesem Nichts an eigentlich allem sicher die lauten Soundeffekte und das ganze Drumherum vergessen, ansonsten muss man sich selbst wohl schon ziemlich egal sein, um einen halbwegs befriedigenden Gesamteindruck zu erhalten. Für alle, die sich in dieser Beschreibung nicht wieder entdecken gilt daher: Meiden. Um jeden Preis.

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Wallnuss
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Beitrag von Wallnuss » 21.06.2016, 22:05

Money Monster

Manchmal scheitert es dann eben doch am Inhalt. So oder so ähnlich lautet wohl ein erstes Fazit zu Jodie Fosters "Money Monster", einem wilden Genremix aus Geiseldrama, Börsenthriller, versuchter Systemkritik und Mediensatire. Denn handwerklich, so viel darf verraten werden, kann man Foster kaum einen echten Vorwurf machen. Ihre Regie beweist sich von Anfang an als organisch, ideenreich, abwechslungsreich und gekonnt mit klaustrophobischen Mitteln jonglierend, genauso zeigt besonders Cutter Matt Chessé, warum er momentan einer der besten Männer seiner Branche ist. Und bleibt man bei der filmischen Darstellung selbst, so muss man sagen, dass man das Konzept einen Aktionär zu zeigen, der aus dem Gefühl heraus, betrogen worden zu sein, in einer themenbasierten Unterhaltungsshow Geiseln nimmt, um Antworten zu erzwingen, kaum besser umsetzen kann. Doch es nützt ja alles nichts - dennoch bleibt "Money Monster" über weite Strecken der Handlung ungenießbar.

Um Fosters handwerkliches Geschick noch einmal zu betonen: Allein das freudige wechselhafte Spiel zwischen den überdimensionalen Filmkameras und den mit der Handlung verwurzelten Film- und Fernsehkameras ist bereits deutlich souveräner, als es viele Kollegen im Ansatz hinbekommen hätten, genauso wie die vielleicht effizienteste Film-Einführung 2016, die in 5 kompakten Minuten alles nötige etabliert und sowohl die Charaktere als auch Inhalte, Themen und Stilrichtung in Position bringt. Hier muss man großzügig den Hut ziehen! Auch im Folgenden bleibt Fosters Film entschlankt und reduziert, leider jedoch immer ein Quäntchen zu viel. Das fängt bei den Darstellerleistungen an: George Clooney kommt in der Rolle des Showmoderators hierbei am besten weg und bringt Arroganz wie späte Einsicht und Empathie gekonnt rüber, Julia Roberts bleibt als Regisseurin blass, lässt dafür aber durchaus menschliche Züge aufblitzen. Völlig fehlbesetzt scheint Jack O'Connell, der in einer nur allzu hibbligen und unfokussierten Darstellung oft grenzwertig chargiert, statt die psychologische Ebene seines Geiselnehmers voll auszuspielen. Gerade in diesem Aspekt, dem Stockholm-Syndrom, liegt die einzige inhaltliche Stärke: Die langsame Sympathie von Geisel und Geiselnehmer zueinander ist ab einem gewissen Zeitpunkt glaubhaft entwickelt, gerät anfangs allerdings arg sprunghaft.

Doch leider ist "Money Monster" kein simples Katz- und Mausspiel 2-3 starker Persönlichkeiten à la "Nicht auflegen", sondern will die großen systemkritischen Moralkeulen schwingen und lässt die Spannungskurve des Thrillers ähnlich dem einer missgewirtschafteten Firma kontinuierlich auf Absturzkurs. Wen Foster eigentlich kritisieren will, dass scheint sie leider selbst nicht genau zu wissen. Ist es das kapitalistische System? Ist es die raffgierige und immer schnelllebigere Gesellschaft? Sind es unpräzise Entertainer, die sich als Journalisten ausgeben? Ist es das unnötig verkomplizierte Vokabular, welches nur Eingeweihten tiefere Einblicke in die Hochfinanz gewährt? Oder ist es die Gier des kleinen Mannes, der immer meint, alles besser zu wissen und sich in Verschwörungstheorien verliert? Tatsächlich stellt Foster diese Fragen alle auf einmal und weiß schlussendlich keine davon zu beantworten. Anfangs bemüht, ein halbwegs differenziertes Bild zu zeichnen, verfällt sie schnell in platte Kategorisierungen und schiebt die Schuld am Unglück den Bankern zu beziehungsweise zeichnet zum Abschluss das eine bösartige Money Monster, mit dessen Bekämpfung sich alles in Wohlgefallen auflösen kann. Von dieser äußerst naiven Sichtweise abgesehen, raubt der Entschluss "Money Monster" jede nur erdenkliche Dramatik, da die großen kritischen Ansätze damit bereits bei der Geburt die Luft zum Atmen fehlt.

Dies führt im Folgenden dazu, dass "Money Monster" mit jeder weiteren Minute trotz solider Spannungsdramaturgie extrem banal und moralisch daherkommt. Wer auf eine kluge Sezierung der Wall Street Geschäfte hofft, wird vermutlich ebenso herbe enttäuscht wie all jene, die den Kammerspielansatz dieser Geschichte für eine Möglichkeit hielten, einen interessanten Thriller auf engem Raum geboten zu bekommen. Doch Foster hält es nicht im TV-Studio, sie wagt den Gang nach draußen und erzählt (allen Meta-Ebenen und politischen wie wirtschaftlichen Themen außen vor gelassen) eine Geschichte, die haarsträubender kaum noch sein könnte. Kaum ein Charakter verhält sich noch nachvollziehbar, die Spannung stagniert längst nahe des Nullpunkts, Emotionen werden mit allzu pathetischer Musik "untermalt" und die dann doch wieder plakativ und heuchlerisch mit dem Holzhammer daher kommende Finanzkritik wird sogar gleich mit dem Addressaten ausgeliefert: Wenn Foster mehrmals im Film die Kamera über die Gesichter staunender, verzweifelter oder gleichgültiger Passanten fahren lässt, scheint sie einem gerade zu zuzubrüllen: "Ihr seid gemeint!". Schade, denn gerade der doch recht schräge Humor (der sich besonders an zwei Stellen als exakt pointiert erweist) bot genug satirisches Potenzial, welches so zwar immer noch erkennbar ist, aber kaum jemanden ernsthaft erreichen wird. Am Ende fühlt man sich wie Clooneys Protagonist, denn es ist natürlich so, dass Fosters handwerkliches Können und das enorme Tempo der knappen 99 Minuten während der Sichtung noch über etwaige Handlungsstörungen hinweg helfen - erst danach kommt einem die große Ernüchterung und Einsicht darüber, was da eigentlich passiert ist.

Fazit: Tja, was macht man nun mit dem "Money Monster"? Am besten ist es wohl, die Erwartungen niedrig zu halten und sich hauptsächlich auf das psychologische Element zwischen Pro- und Antagonist wie die gelungene Geiseldrama-Inszenierung zu konzentrieren. Die blauäugigen Versuche einer antikapitalistischen Moralapostelei für den Ottonormalverbraucher nimmt man lieber nicht so ernst. Trotzdem schade, da selbst bei gekonntem Ignorieren dieser zentralen Betrachtung immer noch der schwache O'Connell und die wenig überzeugenden Charakterzeichnungen per se im Vakuum des Geschehens verweilen, ansonsten retten immerhin meist Tempo und Aktion den Film vor ernsthafter Langeweile. Einen zweiten Blick hält das wacklige Konstrukt allerdings kaum Stand. Es bleibt die tolle Inszenierung, das formale Geschick und der unausgegorene unzufriedene Gesamteindruck, weshalb Foster hier schon aufgrund des ersichtlichen Niveaus ihrer Produktion nicht vollends scheitert, aber dennoch eine ziemlich verheerende Enttäuschung vorlegt.

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Wallnuss
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Beitrag von Wallnuss » 28.06.2016, 21:17

Central Intelligence

Infantil, pubertär, schwachsinnig... für nicht wenige kündigten die Trailer und Werbeclips zur Actioncomedy "Central Intelligence" ein absolutes Desaster an. Und in der Tat, im Vergleich zu Shane Blacks ebenfalls im Kinosommer 2016 angelaufener Buddycomedy "The Nice Guys" wirkt das von Rawson Marshall Thurber inszenierte Spaßbonbon über den gutmütigen riesigen Geheimagenten und den Sidekick wider Willen nur wie ein lauer Aufguss der alten Buddy-Movie Formel: Ein Vorwurf, der durchaus angebracht ist, und gerade im Vergleich zur Konkurrenz die gröbsten Unterschiede macht. Allerdings weiß jeder Fachmann, dass es gerade in diesem Genre hauptsächlich auf zwei Qualitäten ankommt - spritzige Drehbuchautoren mit ausreichend vielen zündenden Gag-Ideen und zwei Hauptdarsteller (Buddys), zwischen denen die Chemie stimmt. Und zumindest der letztere Punkt weiß absolut zu überzeugen und ist ausschlaggebend dafür, dass die ganz großen Befürchtungen unberechtigt bleiben.

Gegensätzliche Protagonisten sind fast so alt wie das Medium Film selbst. Und dennoch ist es bis heute gar nicht so einfach, die Kontraste zweier unterschiedlicher Hauptfiguren gekonnt auszuspielen. Thurber hat da glücklicherweise kaum Schwierigkeiten und genau die beiden richtigen Darsteller an Bord, um diese Stärke sehr zentral platzieren zu können. Stand-Up Komiker Kevin Hart gibt dabei nicht nur optisch zum fast 2 Meter großem Dwayne "The Rock" Johnson eine ulkige Figur ab, sondern spielt den vom Leben deprimierten und dennoch dauerquasselnd-überdrehten Buchmacher mit einer sichtlichen Freude am albern sein, lässt den sensibleren Tönen seines Charakters aber genügend Platz, um nicht gänzlich sämtliche "larger than life"-Faktoren zu erfüllen. Ganz im Gegensatz dazu steht Johnsons knüppelharter CIA-Agent, der in den Actionszenen natürlich eine hervorragende Figur macht, seine dort gezeigte Härte mit seiner Mimik jedoch einmal zu konterkarieren weiß. Seine fast schon naiv-gutmütigen Hundeblicke und die häufig gezeigte kindliche Begeisterung für seinen unspektakulären Bestenfreund sorgen in der Regel für die besten Lacher des Films, ob dies über absurde Filmanspielungen, Einhorn-T-Shirts oder Möchtegern-"coole" Oneliner transportiert wird - trotzdem erhält auch er einen halbwegs ernsten Hintergrund, zeigt er doch als moderne Adaption des "Hässlichen Entlein"-Mythos zwischen durch immer wieder den verletzten übergewichtigen Jungen, der er in der 20 Jahre vorab angesiedelten (und fürchterlich schlecht getricksten) Eröffnungssequenz noch war und für den er aufgrund des damaligen Mobbings bis heute Scham empfindet. Selbstredend präsentiert Thurber das alles so subtil wie eine Dampflock und setzt auf Klischees und uralte Genrekonventionen, weiß im Mittelteil jedoch erstaunlicherweise Empathie und Mitgefühl zu wecken.

Ebenfalls glücklich fällt für die Qualität des Streifens aus, dass weniger die Situationskomik zwischen Profi-Agent und Zivilist ausschlaggebend für den Ton der Erzählung ist, sondern die Dynamik des Duos als solche im Vordergrund steht. Die beiden Protagonisten bestimmen Tempo und Atmosphäre im Kinosaal, was ihnen die nötigen Entfaltungsmöglichkeiten gibt, um wirklich wirkend Einfluss auf das Publikum zu nehmen. Besonderen Reiz entwickelt deren Beziehung stets in der nur bedingt aufgelösten Frage, wieso der liebevolle Riese Johnson ausgerechnet seinen einzigen Freund Hart mit einem Grinsen im Gesicht in die gefährliche Hetzjagd um Leben und Tod involviert. Diese Uneindeutigkeit vermag der Handlung den nötigen Pepp zu geben, welcher der Spionagegeschichte selbst allerdings völlig abgeht. Was die beiden erfahrenen Autoren Ike Barinholtz und David Stassen als Story präsentieren, läuft größtenteils nur zu offensichtlich unter dem Motto: "Irgendeinen Spannungsbogen braucht halt selbst dieser Film". Das rund um Satellitencodes gestrickte Intermezzo bietet nicht nur üble Deus-Ex-Machina-Konstellationen am laufenden Band, sondern weißt mit einer Reihe an Verwirrspielen und Machtgerängen auch noch unnötige Verkomplizierungen auf, die der an sich kurzweiligen Nummer erschreckenden Leerlauf verpassen und mit ihren zahlreichen Nebensträngen (Landesverrat, Anti-Terror-Richtlinien) in weiten Teilen einfach überflüssig anmuten.

So bleibt das seichte Humorkonstrukt, bei welchem sich im üblichen Maße gelungene Lacher und Rohrkrepierer ausgleichen, leider auch gelungene Actionszenen vollständig schuldig. Ein paar kurze Fights mögen der nah an den Charakteren geführten Handkamera und des schnellen Schnitts wegen zumindest nicht allzu billig und hingeschludert wirken, wenn es dann jedoch mal eine Spur ausgefallener wird, zeigt Thurber lahmes Baller-Kino, dass man so schon unzählige Male gesehen hat und das fast immer besser. Bis auf einen tollkühnen Sprung aus einem Hochhaus (mit enttäuschender Auflösung) scheint die Regie für die Action keinerlei Ideen vorweisen zu können und verzichtet im Showdown dann absurderweise sogar fast gänzlich auf eine Steigerung, weshalb der Schluss beinahe antiklimaktisch unerwartet einsetzt. Witzig gemeint, aber nicht weniger unpassend sind die vielen Cameos, die regelrecht aufgezwungen wirken: Jason Bateman chargiert schrecklich wie schon lange nicht mehr, Melissa McCarthy und Aaron Paul wirken gelangweilt und unmotiviert und weshalb sich Thomas Kretschmann nun nach "Hitman: Agent 47" und "Avengers: Age of Ultron" erneut für den austauschbaren Gangster ohne Motivationen hergibt, bleibt wohl (s)ein Geheimnis. Immerhin weiß Amy Ryan ("Birdman") etwas mit ihrer spießigen Rolle anzufangen, sodass immerhin nicht der gesamte Nebencast als austauschbar verzeichnet werden muss.

Fazit: Langfristig in Erinnerung bleiben wird "Central Intelligence" höchst wahrscheinlich niemandem, zu altbekannt und altbacken sind Geschehen und Konstellation, für den Moment weiß das zugegeben unreife und nicht immer politisch korrekte Gespann aus Goliath und David allerdings vom Alltag abzulenken. Das ganze erweist sich in Detail und Ausführung als generischer Genreeinheitsbrei mit (greifender) Anti-Mobbing-Haltung und definiert sich ausnahmslos über "The Rock" und Kevin Hart, die man für einen erfolgreichen Abend schon unbedingt mögen sollte. Wer zusätzlich zu seichten Buddy-Frotzeleien stilvolle Eigeninitivative erwartet, sollte wie bereits erwähnt lieber "The Nice Guys" konsumieren, alle anderen dafür dankbar zur Kenntnis nehmen, dass neben Nachos, Softdrinks und Popcorn auch Bier im Kino angeboten wird.

:liquid5:

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Beitrag von Cinefreak » 28.06.2016, 22:28

hey, guck mal nach deiner PN Michael ;)

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Beitrag von Wallnuss » 29.06.2016, 00:36

Hab ich doch glatt mal erledigt. :wink:

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Beitrag von Wallnuss » 29.06.2016, 19:17

Alien

Fünf Buchstaben, wie "Death", das englische Wort für Tod, oder Birth, das englische Wort für Geburt: "Alien". Fünf Buchstaben, hinter denen sich nichts und doch so vieles verbirgt. "Alien", das ist nicht einfach nur die Bezeichnung für außerirdische Lebensformen, sondern der Titel eines 1979 erschienen Films, den der damals junge Kinovisionär Ridley Scott auf dem Regiestuhl in die Lichtspielhäuser oder besser gesagt zur Welt brachte. Derlei merkwürdige Formulierungen sind ganz gewiss kein Zufall: "Alien" ist weit mehr als die Mutter aller Horrorfilme, wie er von manchen Cineasten und Kritikern genannt wird und auch weit mehr als hervorragendes Spannungskino der aller brillantesten Sorte, es ist eine Geschichte über Geburt, Leben und Tod, über die Errungenschaften der technologischen Welt und den Verlust der Zivilisation, über den Wert des Einzellebens und den Einfluss von Ethik und Moral auf dessen Qualität, über (aggressive) Sexualität und die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die schlussendlich zur Unkenntlichkeit von Geschlecht und Rasse führt. Mit "Alien" entführt Ridley Scott den Zuschauer in die unendlichen Weiten des Weltalls, auf fremde Planeten und in weit entfernte Sonnensysteme in einer abstrakten Zukunft, doch er erfasst dabei den Menschen als psychologisches und biologisches Wesen vermutlich detaillierter als es je einer vor oder nach ihm hätte fertig bringen können. Ein Film, der "Alien" heißt und "Human" bedeutet.

Doch bevor man über all die Philosophie, Symbolik und Metaphorik der bis ins kleinste Detaill perfektionerten Erzählung sinniert, soll zu allererst ein eindeutiges letztes Mal festgehalten werden, welch filmische Perle und Einzigartigkeit das "Alien"-Mysterium darstellt. Das beginnt damit, dass es nahezu unmöglich scheint, den Film einem konkreten Genre zuzuordnen. Am ehesten liegt neben der Science-Fiction-Bezeichnung (die bestenfalls das Setting umfasst, mit Kern des Films aber nur bedingt zu tun hat) die des Horrorfilms nahe, des psychologischen Schreckens auf Zelluloid gebannt und für die Nachwelt festgehalten. Der Horror, bzw. das echte Grauen auf dem Bildschirm ist in "Alien" greifbar wie in keinem anderen Film. Man könnte ihm vorwerfen, einfach nur die Abstraktion des Fremden oder Fremdartigen als solches als Konkretisierung zu visualisieren und dieses als bloßen Dämon aus dem Reich der Finsternis zu stilisieren oder gar zu verteufeln. Ein Vorwurf, der bereits in der Annahme eindeutig scheitert, den Nicht-Menschlichen Antagonisten als etwas "Böses" zu begreifen, eine Titulierung, die kaum unzutreffender sein könnte. Das titelgebende Monster ist eben weit von einem solchen entfernt, es ist ein biologisches organisches Wesen, von der Natur einzig und allein darauf programmiert, den Fortbestand der eigenen Rasse zu gewährleisten. Ein Wesen, dass sich für Moralvorstellungen wie richtig oder falsch nicht zu interessieren braucht, dessen einziger Lebenssinn das Leben selbst ist - bedingungslos, ohne jede Rücksicht auf die Konsequenz für andere Lebensformen. Es handelt nie aus Hass, Aggression, Furcht oder persönlicher Motivation, es ist vollkommen unantastbar von jedweden inneren oder äußeren Gesetzen oder Richtlinien. Der wahre Horror entsteht darin, dem Unbekannten hier ein Sujet zu verleihen, die Angst selbst als Gestalt vor sich zu sehen. Wie eine Amphibie, mit rassiermesserscharfen Krallen und einer zum Kult gewordenen Kopfform, präsentiert sich das "Alien" als das alleinige Schreckgespenst der gesamten Filmgeschichte und dürfte der vielleicht wahrhaftigste Antagonist des Mediums sein. Und das mit einer Screentime von vielleicht knappen fünf Minuten.

Der Horror wird greifbar, weil all seine Charakteristiken und Auswüchse im wichtigsten Protagonisten des Films versammelt sind: Der Nostromo, jenem Raumschiff, in dem die siebenköpfige Besatzung ihrem schlimmsten Albtraum begegnen wird. Zu Beginn des Films nennt Scott uns Fakten über diese gigantische intergalaktische Raffinerie von 20.000.000 Tonnen Mineralerze, was mehr "Hintergrund" sein dürfte, als wir je von einer der menschlichen Figuren in Erfahrung bringen werden, danach fährt er mit ruhiger und sicherer Hand die schmutzigen, verdreckten und engen Korridore und Flure entlang, die trotz ihrer futuristischen Züge eher an ein U-Boot denn an klassische Science Fiction erinnern. Der dicke allgegenwärtige Stahl allein trennt die handelnden Akteure von der Kälte des Weltraums und dem Schleier des Todes um sie herum und bedeutet so gleichermaßen Schutz wie unbedingte Abhängigkeit und später entsetzliches Grauen, wenn die Enge der sicheren Mauern zum Ort des Todes werden. Diese klaustrophobische Unsicherheit, die sich unaufhaltsam bis zur blanken Panik steigert, fängt Scott mit einer Versiertheit ein, dass man meinen könnte, er hätte in seinem Leben nie an etwas anderem gearbeitet. Die Regie wirft den Zuschauer unvorbereitet in die Exposition und lässt ihn zum achten Besatzungsmitglied werden, der sich bald verloren fühlt in dem Labyrinth aus Gängen, Räumen, Lüftungsschächten und Zwischendecks, während Scott einen Teufel tut, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Die Besatzung selbst wird in wenigen Zügen effektvoll charakterisiert, ist jedoch (wie sie später im Film schmerzlich feststellen werden) "entbehrlich". Klare Sympathien oder eindeutige Antipathien lassen sich für niemanden festmachen, man leidet nicht aufgrund ihrer Eigenschaften mit ihnen, sondern weil man selbst auf der Nostromo mit dem Alien gefangen ist. Diese Authenzität wird von sieben Darstellern unterstützt, die allesamt perfekte Darbietungen ihrer Kunst offerieren: Doch ob Yaphet Kotto, Harry Dean Stanton, Veronica Cartwright, Ian Holm, Tom Skeritt oder John Hurt, sie alle stehen natürlich im Schatten der einmaligen Sigourney Weaver, deren Minenspiel und charakterliche Entwicklung innerhalb dieser 117 Minuten so beachtlich ist, dass man sich ihre Ripley für alle Zeiten als weibliche Hauptfigur jedes Films wünschen möchte. Sie ist klug, unabhängig, selbstbewusst und dennoch menschlich, weiblich, zerbrechlich, ohne das sie sich nicht mit den Männern an Bord behaupten könne. Sie mag zwar weinen, doch vermag genauso auch zu denken und ist bis heute die einzig wahre Actionheldin der Filmgeschichte, die stark und trotzdem echt sein darf.

Das man dennoch nie einen eindeutigen Hauptcharakter ausmachen kann, und auch niemanden, der merklich hinter den anderen Figuren zurückbleibt, sorgt für das unwohlste Gefühl, dass sich während des Horrorerlebnisses überhaupt einstellen kann. Hier kann man sich nicht auf die eine Hauptfigur verlassen, deren zugeteilte Nebenparts im Laufe der Zeit ihr Leben aushauchen werden, hier kann es zu jederzeit jeden treffen und jeder Tod fühlt sich wie ein echter Verlust an, wie ein tiefer Einschnitt in die Gruppe und das Gefüge der Erzählung, so wird der Film mit jedem weiteren Verlust konzentrierter, einfacher, kompakter, karger. Immer wieder gibt es Passagen, die aus der schweißtreibenden Grundspannung ausbrechen und den Begriff "Nervenkitzel" neu definieren, wenn Kane auf dem unbesiedelten Planeten den sogenannten "Space Jockey" und die mysteriöse Brutstätte entdeckt, wenn Captain Dallas mit einem Flammenwerfer ausgestattet in den Lüftungsschächten auf Alien-Jagd geht und nur das mechanisch-leblose unaufhörliche Ticken der Monitor-Bildschirme Jerry Goldsmiths meisterhaften Soundtrack übertönt oder natürlich, wenn die wahren Hintergründe der tödlichen Odyssee aufgedeckt werden und plötzlich nichts mehr so ist, wie es scheint und einer der gewaltigsten Twists der Filmgeschichte mehr Grusel beschwört, als es das Alien selbst bis dato vermochte. Wenn der Horror dann doch einer irdischen Quelle zu Grunde liegt, sind die Weichen längst gestellt, um mit dem letzten verbliebenen Überlebenden und einem tierischen zusätzlichen Passagier den spannendsten Showdown jedes möglichen Superlativs wirken zu lassen, der schwindelerregend ein Ohnmachtsgefühl der fassungslosen Grausamkeit weckt, welches trotz der Beobachter-Perspektive die Qualität hat, zum prägenden Ereignis zu werden. Die Spannungsdramaturgie, die Inszenierung, die pointierten Dialoge, hier ist alles wie eine Maschinerie so perfekt aufeinander abgestimmt, dass es ganze Abhandlungen kosten würde, die Großartigkeit des Filmes entsprechend referieren zu können und selbst dann wäre man kaum bereit, H. R. Gigers Einfluss auf die Optik des Films zu würdigen. Grandios, brillant, einmalig, surrealistisch, fantastisch ... man suche sich den passenden Begriff aus.

Und hinter all dem, hinter all diesen Mechanismen des genüsslichen sadistischen Erzählens soll eine tiefere Metapher Leben und Tod in einem höheren Kontext erfassen? Wer "Alien" schaut und seine wahre Faszination verstehen will, der wird gezwungen, hinter die Oberfläche der schon hier einmaligen Konstruktion und Struktur zu schauen. Ganz ohne Frage fühlt sich "Alien" entsetzlich und abstoßend an - doch wer genau hinsieht, wird feststellen, dass er tatsächlich eine Vergewaltigung ist. Nicht nur für die Sinne, denn unabhängig von atonalen Klängen und stroboskopischem Licht ist "Alien" auf subtextueller Basis in der Tat nichts anderes als eine Vergewaltigung. Nicht zufällig kommt einem das unangenehme Äußere der außerirdischen Lebensform merkwürdig vertraut vor, ist es doch geprägt von Phallussymbolen, die eine ganz eigene Art der Beklommenheit erwecken. Sexuelle Symbolik rund um den Geschlechtsakt selbst ist in Scotts Film omnipräsent, hauptsächlich, um die biologische Sichtweise auf das Leben innerhalb der Erzählung zu unterstreichen. Der Facehugger (die erste Etappe der dreistufigen Evolution des nicht-menschlichen Geschöpfs), ein tintenfischartiges entsexualisiertes Wesen, übernimmt hierbei einen enorm wichtigen Part, doch vorerst sei festgehalten, dass (auffällig) Sex zwischen Mann und Frau in "Alien" keine Rolle zu spielen scheint. Dies liegt an einer höchst bemerkenswerten Komponente, denn Scott gibt sich große Mühe, die unterschiedliche Besatzung geschlechtsneutral zu zeigen, soll heißen: Das Geschlecht spielt nicht einmal mehr einen geringen Part, sondern ist vollkommen außenvor und nur als biologischer Fakt für die Charaktere von Bedeutung. Diese neutrale Gleichberechtigung der Geschlechter (und sogar Rassen, da später selbst das Leben der Katze Jones als gleichwertig im Vergleich zu den Menschen betrachtet wird) bricht die Regie dadurch auf, dass die Grenzen zwischen Mann und Frau quasi zu verschwinden meinen. Sex ist wie gesagt als solcher im üblichen Sinne nie präsent, doch als Konsequenz aus dem Wirken des Facehuggers werden Männer in dieser pechschwarzen Welt von einem außerirdischen Fremdkörper oral vergewaltigt und dabei zusätzlich geschwängert.

Neben dem symbolisch versteckten Beischlaf ist auch dieser ohne Vorsilbe selbst von essentieller Bedeutung für das volle Verständnis des Meilensteins. Nicht umsonst heißt das Rettungsschiff der Nostromo "Narcissus", die lateinische Bezeichnung für die Narzisse, eben der Blume, die seit jeher repräsentativ den Schlaf verkörperte. Schlaf heißt in der Welt von "Alien" Schutz und Ruhe, einmalig subtil und doch effizient in der Anfangsszene verpackt, in welcher die Crew aus ihren Hyperschlafkabinen steigt, die wie die Blütenblätter einer Narzisse angeordnet sind oder wenn das Opfer des Facehuggers nach seinem erzwungenen komatösen Schlaf erholter und belebter erscheint als nach dem eigentlichen Hyperschlaf - und das trotz der lebensbedrohlichen Umstände bis dato. Das Stadium des Schlafens ist deswegen so schützend, weil es nicht nur die Zeitdauer der Weltraumexpedition überbrückt, sondern auch vor den Gefahren am Bord des Schiffes warnt. Er schützt vor dem Bordcomputer "Mother", der (oder die?) auch sexuell aggressiv vorgeht, um das behütete Kind aus einer anderen Welt zu schützen und in ihren elektronischen mütterlichen Instinkthandlungen die Schwangerschaftssymbolik hervorragend formvollendet. Es zeigt sich, wenn im Fremden das Bekannte und im Unerwartbaren das Erwartbare liegt, potenziert sich der Horror weit mehr, als bei gewollter Mystifizierung, wenngleich auch diese hier ihren Platz findet. Was genau auf dem unbesiedelten Planeten in dem andersartigen Raumfrachter geschah, erfahren wir nie und dürfen höchstens Mutmaßungen anstellen, Leben und Tod bleiben letztendlich wie fast alles in "Alien" ohne Hintergrund, Einführung oder Herleitung. Sie sind universell, allgemeingültig und in ihrer Existenz selbst begründet.

Fazit: "Alien" ist die ultimative Film-Erfahrung selbst, ganz egal, wie man ihn betrachten möchte. Es ist eines der Kunstwerke, bei denen die Perspektive und der Blickwinkel jeweils ein ganz eigenes Bild entwickeln, die dann wieder eigene Wege gehen. Er ist ein Klassiker, aber er überdauert den Test der Zeit, weil er mit Themen spielt, die nie an Aktualität verlieren, weil er in erster Linie menschliche Verzweiflung portraitiert, die auf ewig nachvollziehbar und authentisch bleiben wird. So gut getrickst, dass er den Vergleich mit modernsten Computeranimationen nicht scheuen muss und dermaßen einzigartig gespielt, dass er als Musterexemplar jungen Schauspielern noch lange vorgestellt werden sollte und so unerträglich spannend, dass die genaue Genre-Klassifizierung redundant und unsinnig erscheint. Dient ein Genre schließlich dazu, ähnliche Filme in Schubladen einzuteilen, wird es wohl nie wieder einen Film wie Alien geben, der mit denkbar einfachsten Mitteln daherkommt und all das bietet, wofür dieses Medium geschaffen wurde und eine ganze Generation von Filmgängern beeindruckte und begeisterte. Nicht nachhaltig, sondern von unabwendbarer Dauer, die einzig von der einer Expedition in die unendlichen Weiten des Alls übertroffen werden könnte. Und so ist man am Ende nervlich am Boden zerstört und dennoch sofort bereit, diesen Albtraum gleich ein weiteres Mal durchzustehen. Einfacher wirds nicht, verstörend und faszinierend zugleich bleibt es aber ganz bestimmt.

:liquid10: Prädikat: Lieblingsfilm!

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Beitrag von Wallnuss » 03.07.2016, 18:18

Parker

In Zeiten des immer verzwicketeren organisierten Verbrechens fällt es Räubern wie Gendarmen gleichermaßen schwer, die Zusammenhänge einzelner Coups in das große Ganze einzuordnen und seinen Platz zu finden. Besonders kompliziert gestaltet sich das für den Einzelkämpfer, den Arbeitnehmer an vorderster Front, der alleinstehend sein täglich Brot mit Raub, Lug und Betrug verdienen will. Natürlich wird er von den Geschäftsleuten in der Verwaltung immer noch benötigt, doch er muss ein Teil dieses gigantischen Systems werden und voll und ganz in den festgefahrenen Strukturen aufgehen, um Akzeptanz zu finden. In insgesamt 24 Romanen präsentierte der Autor Donald E. Westlake von 1962 bis 2008 den fiktiven Berufskriminellen und Antihelden Parker, einen Profi aus dem Lehrbuch, der sich diesem System widersetzt und nach seinen eigenen Regeln spielen will. Der 19. Teil dieser langlebigen Reihe ("Flashfire") feierte 2013 dank Regisseur Taylor Hackford sein Kinodebüt - und lässt Jason Statham in der Titelrolle gegen den Kapitalismus des Verbrechens rebellieren.

Das Drehbuch des Autoren John J. McLaughlin hält sich dabei überraschend genau an die Romanvorlage Westlakes und konzentriert sich folgerichtig ganz auf Parker, der in einem kurzen Opening sehr effektvoll charakterisiert wird. Statham, der für das beginnende 21. Jahrhundert das ist, was Sylvester Stallone und Chuck Norris für die 80er Jahre waren, präsentiert sich als anarchistische Neuerfindung Robin Hoods und harter Hund gleichermaßen und zeigt eine lebendig aggressiv Performance, die zugleich nach Gerechtigkeit, Vergeltung und unvermeidlichen Kollateralschäden verlangt. Die oft nur kurzen, aber harten Fights leben nahezu ausschließlich von Stathams Körperlichkeit und wenn er in einer überraschenden Konfrontation auf den aus "Matrix Reloaded" bekannten Daniel Bernhardt trifft und sich die beiden in einer packenden Mischung aus Martial Arts Einlagen und anderen Kampfsporten durch und aus einem Hotelzimmer treten und werfen, fließt das Blut literweise und lässt John McClanes härteste Verletzungen aus "Die Hard" harmlos erscheinen. So steht und fällt die gesamte Qualität des Abenteuers mit dem Protagonisten, dem vor lauter Kaltschnäuzigkeit nicht mal genug Zeit bleibt, mit seinem Love Interest zu flirten und diese gerne mal links liegen lässt.

Leider wird relativ schnell klar, weshalb Hackford für den möglichen Beginn einer ganzen Reihe aus "Parker"-Verfilmungen ausgerechnet "Flashfire" als Vorlage wählte: Während andere Romane Westlakes viel Wert darauf legten, die antikapitalistische Grundhaltung und Bertolt Brechtsche Sichtweise auf das organisierte Verbrechen stimmig zu vertiefen, kommen diese Motive in "Parker" nur am Rande vor und müssen einem Racheplot mit Heist-Movie Einschüben weichen, der inhaltlich nicht so recht überzeugen kann. Zu unproblematisch scheint Parker nach dem anfänglichen Verrat seiner Kollegen zu regenerieren, zu oft spielt der Zufall ihm glücklich in die Karten und lässt den Experten eher wie einen Gelegenheitsgauner wirken. Trotz reichlicher Rückblenden und vielen ruhigen Momenten verpasst Hackford die Gelegenheit, für echte Atmosphäre zu sorgen, wenngleich die noble und wohlhabende Wohngegend des sonnigen Floridas optisch einiges hermacht und durch die gewaltvollen Auseinandersetzungen auch angenehm häufig konterkariert wird. Dennoch fehlt es an Stimmung, Raffinesse und Gespür und dem Aufkommen echter Spannung. Die Handlung plätschert lange dahin, auch, weil die Fronten viel zu früh klar sind und der Showdown trotzdem eine gefühlte Ewigkeit auf sich warten lässt, auch, weil die Action dann eben doch viel zu spärlich zum Einsatz kommt. So bleibt die Frage offen, ob "Parker" eher Rachethriller oder Gaunerdrama sein will, da er für beide Genres entweder zu wenig Thrill oder zu wenig Drama übrig hat.

Eindeutig kontraproduktiv sorgt die totale Fokussierung auf Stathams Charisma auch dafür, dass der restliche Cast weitgehend blass bleibt, besonders tragisch im Falle von Michael Chiklis, der als Schurke Melander in schwaches Overacting verfällt und nie als echte Bedrohung eingestuft werden darf. Gleichzeitig sind Emma Booth und Urgestein Nick Nolte als Parkers "familiäres" Umfeld schmerzlich verschenkt und werden zu Stichwortgebern reduziert, trotz teils beachtlicher (nicht selten redundanter) Screentime. Die Besetzung von Jennifer Lopez als weibliche Hauptfigur ist ein vergleichsweise zweischneidiges Schwert: Einerseits gefällt die Art der Beziehung zwischen ihr und Parker, die mehr Zweckgemeinschaft oder Partnerschaft als ernsthafte Liebelei ist, doch zu lange muss sich Lopez durch einen komplett überflüssigen Nebenplot mit Bobby Cannavale als in sie verknallten Polizisten hangeln. Mit seiner 2 Stunden Laufzeit ist "Parker" daher definitiv mindestens 20 Minuten zu lang geraten und weiß nie so recht auf den Punkt zu kommen, und enttäuscht dann ärgerlicherweise mit einem derart einfallslosem abschließendem Shootout, der den zu durchschnittlichen Gesamteindruck ebenfalls nicht mehr auf ein höheres Niveau heben kann. Immerhin, ein paar gute Oneliner und nette Situationskomik sind drin (meist im Zusammenhang mit der Mutter der Lopez-Figur), womit "Parker" sich schon einmal nicht ganz so ernst gibt wie mancher Konkurrenz-Film und der Score des Komponisten David Buckley weiß mit wenig Mühe einen schlüssigen Klangteppich zu gestalten, dem man abschließend nur einen etwas weniger mittelmäßigen Film gewünscht hätte.

Fazit: Wo es "Parker" an Gradlinigkeit fehlt, zeigt Jason Statham diese in vollem Maßen. Nicht nur deshalb ist Hackfords Romanadaption also insbesondere für Fans des "Expendables"-Stars interessant und garantiert einen Blick wert, so zeigt sich dieser wieder einmal von seiner besten Seite und verspricht physisch "coole" und blutige Auseinandersetzungen, zynische Sprüche und versteinerte Mimik in einem Film, der praktisch einzig und allein auf ihn zugeschnitten wurde und seine Schokoladenseite lobpreisen will. Genrefans hingegen brauchen schön gehörig Sitzfleisch, da es nur selten mal wirklich zur Sache geht und die dünne Rachehandlung nicht allein bereits tausendfach durchgekaut wurde, sondern hier auch komplett überraschungsfrei und nüchtern nach Schema F erzählt wird. Für Statham-Puristen daher ein Muss, für den allgemeinen Kinogänger nur bedingt empfehlenswert und für Westlake-Leser vermutlich eine Spur zu einfach und berechenbar.

:liquid5:

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Beitrag von Wallnuss » 18.07.2016, 17:47

Die 5. Welle

Nach dem überwältigenden Erfolg der Jugendroman-Adaption "Die Tribute von Panem" suchten Hollywood-Produzenten überall nach Vorlagen, die auf ähnliche Weise klassische Science Fiction Themen mit seichten Romanzen (also ohne Sex!) und Jugendlichen als Identifikationsfiguren aufbereiten und Franchise-Potenzial boten. Im Zuge dieser Welle gab es eine ganze Flut an Young-Adult-Nachzüglern, von denen aber überraschenderweise kaum eine an den Erfolg des "Panem"-Originals anknüpfen konnte. Unter ihnen auch der im Frühjahr 2016 erschienene "Die 5. Welle". Der von J. Blakeson inszenierte Film erzählt dabei - basierend auf der Romanreihe von Rick Yansey - gemäß des Titels von einer Alien-Attacke, bei der die außerirdischen Besucher mit feindlichen Absichten in vorerst vier Angriffswellen (Stromausfälle, Naturkatastrophen, Seuchen und Invasionen) nach und nach die menschliche Ziivilisation auszulöschen gedenken, während die junge Cassie auf der Suche nach ihrem Bruder bewaffnet Mutter Erde durchstreift, immer in Erwartung der drohenden fünften Welle...

Und zu Beginn sei angemerkt, dass genau diese anfänglichen Zerstörungen und die langsame Übernahme durch "Die Anderen", wie sie von den Menschen hier genannt werden, sich tatsächlich sehr atmosphärisch und düster-schaurig gestaltet. Ungewöhnlich und unaufgesetzt deprimierend etabliert Blakeson eine Grundstimmung, die dem Ausmaß einer weltweiten Alien-Apokalypse durchaus gerecht werden kann und - trotz der merklich angestrebten Anpeilung an eine PG-13 Freigabe - überraschend kompromisslos und bedrückend in Szene gesetzt wird. Wenn dazu Filmkomponist Henry Jackman einige seiner bislang besten Arbeiten unter die (zugegeben: an wenigen Stellen nicht optimal getricksten) Katastrophen-Szenen legt, rummst es auf der Leinwand gewaltig. Legt sich der Staub, kommt man schnell in Kontakt mit der zweiten äußerst positiven Überraschung der "5. Welle": Mit der gerade mal 18-jährigen Chloë Grace Moretz als Hauptdarstellerin landete das Casting einen wahren Glückstreffer. Mit entwaffnender Authenzität, erfrischender mimischer Präsenz und einer gekonnt mit ihrer ihr eigenen Niedlichkeit spielenden Darstellung zeigt Moretz spielerisch leicht, wie sehr jegliches Effektkino doch an filmischer Redundanz grenzt, wenn man mit schierem Engagement und einer Prise Talent doch umso mehr beeindrucken kann. Insbesondere im direkten und nur logischen Vergleich mit der "Panem"-Ikone Jennifer Lawrence weiß Moretz mit ihrer unkomplizierten Ausstrahlung die Blicke auf sich zu ziehen.

Leider ist es genau das, was der sonstigen Erzählung im späteren Verlauf kaum mehr gelingen kann: zu beeindrucken. Nach der starken, aber auch langen Exposition verzettelt sich die Regie nur allzu plötzlich in einem Meer an Unausgegorenheiten, die größtenteils eben jener Zielgruppe geschuldet sind, welcher man sich vorher noch gar nicht allzu stark anbiedern wollte. Mit der Einführung zweier überflüssiger männlicher Nebenparts (Nick Robinson sowie Alex Roe) und der obligatorischen Liebesgeschichte tut man sich nicht nur keinen Gefallen, sondern verfällt auch noch in üble und abgenutzte Klischees, die die vorher aufgebaute Atmosphäre gänzlich torpedieren und sich über den höhepunktarmen Mittelteil erstrecken. Als Cassie bei einer Flucht durch den Wald eines ihrer gut gebauten Love Interest beim gut gelaunten Baden im anliegenden See beobachtet (natürlich mit feinen Weichfiltern und entsprechender jungfräulicher "Erotik" unterstützt), kann man nur schwach ein Lachen überdrücken und ärgert sich zugleich, sich bei der doch vielversprechenden Ausgangsposition mit solchen Nichtigkeiten aufhalten zu müssen. Und in der Nebenhandlung rund um die Militarisierung einer Gruppe Jugendlicher im Kampf gegen die Aliens werden die gesellschaftskritischen Ansätze einer möglichen Problematisierung etwaiger Propaganda-Mechanismen leider gänzlich verschenkt, sogar mit einer auf pure Oberflächlichkeiten setzenden Ausformulierung konterkariert. Damit verliert man nicht nur jegliches satirisches Potenzial, sondern erweckt sogar den Eindruck, von dieser Komponente der eigenen Erzählung gar keine Kenntnis zu haben.

Im finalen Drittel, welches dann immerhin ein wenig Spektakel zu bieten gedenkt, ist es jedoch schon zu spät dafür, emotionale oder empathische Züge zu vermitteln. Die Charaktere sind einem in der äußerst schemenhaften Vorbetrachtung längst entfremdet und trotz zweier Wendungen, von denen wenigstens eine nicht völlig vorhersehbar ausfällt, verliert sich die Dramaturgie in einfallslos ausgestalteten Konfrontationen mit den fremdartigen Antagonisten rund um den sichtlich gelangweilten Liev Schreiber ("X-Men Origins: Wolverine"), deren Motivation (wenngleich eine kurze Andeutung ein wenig an vergleichbare Szenen aus Roland Emmerichs "Independence Day" erinnert) sogar gleich ganz im Dunkeln bleibt. Eine Entscheidung, die vermutlich vorteilhaft ist, denn durch Kreativität weiß "Die 5. Welle" nur selten zu überzeugen. Die filmische Gestaltung bleibt konventionell und mit vielen Halbwinkelaufnahmen überraschend eintönig, obwohl die eigenwilligen tonalen Züge der Einleitung in Kombination mit den angenehm ambivalenten letzten Momenten zumindest eine Prise Eigenständigkeit erahnen lassen, die der spannungsarmen Endzeitgeschichte einen Wiedererkennungswert gibt, der sich bei deutlich effizienterer Umsetzung in späteren möglichen Sequels bezahlt machen könnte. Den leider bis dato bestenfalls ausreichenden Gesamteindruck weiß das insgesamt aber vorläufig noch nicht aufzuwerten.

Fazit: Von Aliens nichts Neues! Ökonomisch betrachtet kann man Blakesons Young-Adult-Albtraum keine Vorwürfe machen. Dank der beschaulichen Laufzeit von 108 Minuten und den sparsamen Sets mit einem Budget von 35 Millionen US-Dollar aufgezogen, konnte "Die 5. Welle" ohne große Probleme mehr als das dreifache des Budgets wieder einspielen. Verdient ist das angesichts der alternativlosen Teeniehaftigkeit jeglicher Ereignisse nur stark bedingt, erst recht, wenn die prüden Romantik-Einschübe die ansonsten eindeutig herausragenden Hauptdarstellerin nur dazu zwingen, als von Hormonen gesteuerte personalisierte Naivität erröten zu lassen. Dennoch: Die ausführliche Etablierung des Schreckensszenarios hat Druck und das nötige dramaturgische Gewicht und für eine auf Jugendliche zugeschnittene Erzählung ist die Atmosphäre erstaunlich bedrückend, weshalb der Film für die zärteren Gemüter genauso wie für die anspruchsvolleren nur eingeschränkt empfehlenswert sein dürfte.

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Beitrag von StS » 18.07.2016, 18:00

...wegen Maika werd ich mir den auch noch anschauen. :wink:

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Beitrag von Wallnuss » 27.07.2016, 21:17

The Expendables: A Man's Job (Extended Directors Cut)

Zugegeben: Zur cineastischen Speerspitze der jüngeren Filmgeschichte konnte man die beiden "Expendables"-Filme nun nicht unbedingt zählen. Und dennoch konnten B-Movie-Fans Sylvester Stallone, der (beim Erstling sogar noch auf dem Regiestuhl) dieses Franchise 2010 als visualisierte Midlife-Crisis-Gruppentherapiesitzung alter Action-Ikonen ins Leben rief, kaum dankbarer sein. Arnold Schwarzenegger, Dolph Lundgren, Jason Statham, Jet Li, Bruce Willis, Chuck Norris (nur im zweiten Teil), und andere Recken ballerten sich brutal und kompromisslos wie in den guten alten (verklärten) Zeiten durch Ostblock-Settings und machten so viele Witze auf eigene Kosten, dass man merkte: Den meisten Spaß hatten sie daran selbst. Und das war auch in Ordnung so. Denn trotz ihrer Probleme waren die "Expendables"-Teile genau das, was die Zielgruppe jahrelang im Kino vermisste und befriedigte deren Gelüste. Stallone weiß einfach, was seine Fans wollen... beziehungsweise: er wusste es mal.

So traurig es auch ist, der dritte Ableger des 80er-Action-Klassentreffens, dieses Mal von Patrick Hughes inszeniert, ist eine einzige Katastrophe. Und dies beginnt und endet bei einem Storyeinfall, der tatsächlich vom Italian Stallion selbst verbrochen wurde: Die Oldies müssen sich nach einem unglücklich gelaufenem Einsatz in den Zwangsruhestand begeben und machen Platz für die junge Elite, rund um MMA Champion Ronda Rousey und Teenieschwarm Kellan Lutz. Und so kommt es, dass ausgerechnet im "Expendables"-Universum der Fokus plötzlich auf so etwas banalem wie der Handlung liegt. Während alteingesessene Action-Fanatiker nur schockiert den Kopf schütteln, fragt sich derweil der gemeine Kinogänger, worin der tiefere Sinn liegt, die ultradünne Rachestory (die im Grunde bereits beide (!) Vorgänger erzählten) durch diesen Twist künstlich in die Länge zu ziehen, wenn kurz vor dem Showdown ohnehin die alte Garde zur Rettung der Jüngeren losschreiten muss. So folgt auf den erstaunlich schwach getricksten und drucklos inszenierten Action-Opener (mit einem überraschend selbstironischem Wesley Snipes als Neuzugang) ein Mittelteil, der gähnend langweilig Aufstieg und Fall der neuen Crew zelebriert und dabei (aufgrund der Abwesenheit echter Aktion) dramaturgisch so arg in der Luft hängt, dass die Gedanken abzuschweifen beginnen.

Die anderen groben Fehler/Missverständnisse müssen bei der Regie gesucht werden. Hughes Inszenierung ist ungelenk und grobmotorisch, sein Eigeninteresse an der Handlung nicht spürbar und sein Pacing nahezu grauenvoll. Die unnötig vielen Dialoge (die den Film auf eine Länge von wahnsinnigen 131 Minuten strecken) zeugen von einer Ziellosigkeit, dass es regelrecht unschön gerät und sind zudem stetig falsch platziert, während durch andere Passagen gehetzt wird, als wären sie der Regie beinahe unangenehm (man denke an das extrem peinliche Location-Hopping von Stallone an der Seite von Kelsey Grammer, bei dem unter anderem ein Parkhaus nur dank der Schrift-Einblendung Las Vegas zuzuordnen ist). Absolut unakzeptabel gerät die letzte halbe Stunde, die wohl als spektakuläre Klimax gemeint sein soll und außerdem für die ärgerliche Action-Armut entschädigen sollte, sich in Wahrheit jedoch eher wie ein Level der Videospielreihe "Call of Duty" anfühlt. In einem gigantischem Wohnblock müssen sich die Expendables (alt und neu) von Etage zu Etage ballern, wobei Hughes zwanghaft versucht, unbedingt jeder Figur 3-4 Gedächtnismomente zu inszenieren, dies allerdings nicht einmal zu gelingen weiß, auch, weil man sich nie orientieren darf, weil eine Szenengeographie gleich gar nicht gegeben ist. Am schlimmsten ist allerdings, wie schonungslos Hughes jegliche Action-Eigenschaften der Vorgänger wegrationalisiert, insbesondere die Härte. Blut fließt hier nun wirklich gar nicht mehr, was besonders in Messerkämpfen peinlich ausschaut. Schade, dass der sehr sympathische Statham so in den handzahmen Kämpfen dieses Mal völlig untergeht und von der seinerseits gewohnten Coolness nichts übrig bleibt und nur die Frage aufwirft, ob die Macher ihr eigenes Konzept noch so recht vor Auge hatten.

A propos Auge: Budgetprobleme hin oder her, viele visuelle Computereffekte grenzen an Lächerlichkeit (als Extrembeispiel seien die Luftkämpfe mit Pixel-Helikoptern aufgeführt) und sind ein wenig Verrat an den handwerklichen Effekten der Originale, an welche die "Expendables" ursprünglich einmal anknüpfen wollten. Geblieben von diesen Vorbildern sind im dritten Teil nur die Akteure - und diese retten "A Man's Job" schließlich auch davor, eine ultimative Abstrafung zu erfahren. Stallone selbst ist einfach immer noch eine coole Sau und ob Schwarzenegger oder Lundgren, man kann diesen Herren einfach nicht böse sein. Bruce Willis bleibt ärgerlicherweise fern, findet im spielfreudigen Harrison Ford dafür einen amüsanten Ersatz und selbst Jet Li bringt noch einmal einen Cameo zu Stande und weiß wohl mit dem einzig gelungenen Spruch der Chose aufzuwarten. Schade nur, dass Neuzugang Antonio Banderas eine unerträglich unlustige Quasselstrippe portraitiert und so als ein weiterer Punkt auf der langen Contra-Liste des Actionfilms verzeichnet werden muss. Perfekt und das wirklich einsame Highlight in dem belanglosen Langweiler ist immerhin Mel Gibson, der als schurkischer Ex-Expendable einen grandiosen Auftritt hinlegt und der erste echte Filmschurke der Reihe sein darf. Ihm (und in Teilen den anderen) hätte man einen besseren Film wirklich gegönnt.

Fazit: Tja, Shit happens! So richtig viel hat man von den "Expendables" ja eigentlich ohnehin nie erwartet, bezeichnend also, wenn man dennoch noch enttäuscht werden kann. Gekonnt an der Zielgruppe vorbei manövriert Hughes ungeschickt durch einen viel zu langen Mix aus schlechten Entscheidungen, unnötigen Ärgernissen und nett gemeinten Fehltritten, denen man nur ihrer Belanglosigkeit wegen nicht ganz so nachtragend auftritt, wie vermutlich angemessen wäre. Vielleicht hätten sich Stallone und Hughes an eine alte Weisheit erinnern sollen: "Never send a boy to do a man's job"! Ob sich nach dieser Nullnummer noch jemand für einen entschädigenden vierten Teil interessieren wird, bleibt zwar abzuwarten, feststeht, dass Stallone nun die Chance hätte, es seiner Filmrolle Barney Ross gleichzutun und sich auf seine Wurzeln zu bekehren, um den Karren noch mal aus dem Dreck zu ziehen und seinen Mann zu stehen: "You were stupid enough to get yourself into this mess!"

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Beitrag von StS » 28.07.2016, 07:32

...ich bin fest davon überzeugt, dass Hughes für mehr als die Hälfte der Verfehlungen, die Du ihm ankreidest, nichts (oder zumindest nicht viel) kann. Das Drehbuch (also die Dialoge, Szenenabläufe etc.) stammt nicht von ihm, am Pacing hätte der Editor gewiss besser arbeiten müssen - und ohnehin hat Sly die ganze Schose gesteuert (Gewalt, neue Ausrichung, Story an sich etc.). Ist imo in dem Fall wie bei "Marvel" gewesen: Man schnappt sich talentierte "Jungregisseure", die sich leiten und kontrollieren lassen...

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