Filmtagebuch: Wallnuss

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Beitrag von Wallnuss » 28.07.2016, 14:31

Da das alles Spekulation ist, gilt für mich in erster Linie der Grundsatz, dass der Regisseur die volle künstlerische Kontrolle und auch die Verantwortung über sein Werk hat - und wenn er diese nicht hat, ist ihm das an sich natürlich bereits anzukreiden. Ich schließe nicht aus, dass es nicht auch Produzentenfilme geben mag, aber ich kritisiere im Review auch Sly oft genug, gerade im Fazit wird das denke (hoffe) ich deutlich. Das Pacing ist aber definitiv ein Regieproblem und hat wenig mit dem Cut zu tun, da die meisten Szenen schon sehr offensichtlich so geplant wurden, wie wir sie dann in realisierter Form erkennen.

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Beitrag von Wallnuss » 05.08.2016, 21:41

Star Trek: The Motion Picture

Langsam umkreist Captain Kirk nach Jahren der "Abwesenheit" auf der Erde seine wahre Heimat: Die Enterprise. Wie ein gewaltiges Kreuzfahrtschiff strahlt sie vor atemberaubender Schönheit in der Leere des Alls und scheint sich durch ganze Galaxien zu erstrecken. Verehrend, glorfizierend und voller Emotion sind Kameraeinstellungen, Orchestermusik und das Gesicht William Shatners, der seinem Kirk alles einhaucht, was er hier gerade empfindet. Es ist das irrationalste aller Gefühle, die bedingungslose Liebe zu etwas rationalem, etwas eigentlich gefühlslosem, einer Maschine. Ein Moment, den Regisseur Robert Wise und Komponist Jerry Goldsmith bis zur Unendlichkeit auszudehnen scheinen und auch ein Moment, der sinnbildlich für all das ist, was die erste Kinoadaption der legendären Sci-Fi-Serie "Star Trek" 1979 zu einem kleinen Meisterwerk seines Genres werden ließ.

Wise nimmt den Zuschauer in den vollen 132 Minuten mit in die tiefsten Weiten des Weltalls und führt sie dabei in Wahrheit nur so nah wie möglich an Kernfragen des menschlichen Strebens heran: Wer sind wir? Woher kommen wir? Was ist der Sinn unserer Existenz? Was folgt nach dieser Existenz? Und was haben Moral und Ethik über ihre Definition in Lexika heraus für eine Relevanz? Es sind große, essentielle Fragen, auf die Kirk, Spock, Uhura, Pille und der Rest der liebgewonnen Crew stoßen, als sie sich der Lebensform V'ger stellen, deren bloßes Dasein ihre (und unsere) eigene Bedeutung im Kosmos in Frage stellt. Perfekt stellt Wise diese Entwicklung durch Größenverhältnisse im Laufe der Handlung immer wieder unter Beweis: Zu Beginn scheinen die einleitende Raumstation oder die Enterprise im direkten Größenvergleich zu beispielsweise durchs All trebenden Astronauten kolossal und gewaltig. Wenn später jedoch die Enterprise selbst in V'ger durch tunnelähnliche kaleidoskopisch angeordnete "Körperteile" der fremden Lebensform irrt, wirkt selbige Einzeller-winzig in der surrealistischen und technisch brillant umgesetzten Energiewolke. Immer wieder spielt die Regie dabei mit Motiven der griechischen Mythologie, wenn der Zorn des fremden Gottes aus einer Wolke heraus in Blitzformat die Unwissenden trifft oder die abstrahierte finale Begegnung in einer Umgebung stattfindet, die einem Amphitheater verblüffend ähnelt. Es ist zweifellos dem fantastischen Effektspezialisten Douglas Trumbull zu verdanken, dass sich "Star Trek: The Motion Picture" in seiner betont langatmigen Inszenierung nicht selten wie ein Stanley Kubrick Film anfühlt.

Die optische Perfektion des Films lässt es daher zu, den Weltraum ausgiebig zu huldigen. Immer wieder schaltet Wise zwischen ausladenden Effektpräsentationen auf staunende Gesichter an Bord der Enterprise und begreift den Menschen als Spielball in einer Welt, die er sich zwar eröffnet hat, aber niemals kontrollieren können wird. So beschäftigen sich die aus der Serie bekannten Protagonisten in der ersten Hälfte noch kaum mit den metaphysisch-philosophischen Komponenten ihrer Mission, sondern begegnen Alltagsproblemen (wie einen verunglückten Beam-Vorfall) und erliegen ihrer allzu menschlichen Natur, etwa den Tücken des Alters oder der beinahe kindischen Eifersucht, durch welche Kirk mit der neu eingeführten Rolle des Commander Deckers um das Kommando der Enterprise konkurriert. Diese Zweipoligkeit erzeugt eine absolut stimmige und erschreckend düstere Symbiose, in welcher die Charaktere fast schon fremdartig künstlich geraten, womit sie das eigentliche Gegenpol zur tatsächlich künstlichen Intelligenz V'ger darstellen, der mit seinen eigentlich abstrakten Fragestellungen dem wahren menschlichen Verhalten zuerst näher zu sein scheint, als die Menschen tatsächlich! Eine großartige Analyse, die "Star Trek: The Motion Picture" fast dazu einlädt, ihn als Essay zu einzig und allein diesem Thema und seiner Tragweite zu betrachten. Erwähnenswert also, dass neben dem zentralen William Shatner die bewährte Crew einen schauspielerisch guten Job macht, bei dem besonders Leonard Nimoy als Vulkanier Spock und Neuzugang Stephen Collins (alias Decker) zu überzeugen wissen und somit diese spannende Thematik seitens der Darsteller mit entsprechend Leben gefüllt werden kann.

Doch ein wenig mehr hat die Regie dann doch noch zu bieten. Die sorgfältige Einarbeitung von Fortpflanzungssymbolik (wenn Mr. Spock als Bestäuber in die Blumenartige innerste Konstruktion V'gers vordringt oder direkt manifestiert in der tragischen Figur der Ilia) schafft einen geschickten ästhetischen Rahmen für die Idee bzw. Neuinterpretation der Evolution, die das komplexe Script beinhaltet. Die Suche nach dem Schöpfer dient hier nicht der Selbstfindung oder christlichen Erkenntnis, sondern der Weiterentwicklung. Gott bedeutet keine Stagnation, er eröffnet eine neue, ungeahnte Dimension, irgendwo dorthin, "where no man has gone before", wie Krik selbst formulieren würde. Dass dieser Twist keine finale Auflösung oder dramaturgische Entsprechung erhält, ist löblich, dass die Künstlickeit V'gers (und auch des Films) bis zum Ende an dem Unverständnis gegenüber menschlichen Emotionen scheitert, folgerichtig und die wohl schönste Antwort, die Wise auf viele seiner Fragen hätte finden können, wenngleich er sich vielleicht wissentlich dabei auch etwas übernommen haben mag. Gerade diese intellektuelle Komponente ist es jedoch, die das erste Kinoabenteuer von "Star Trek" im Zusammenhang mit seiner beachtlichen visuellen Opulenz und musikalischen Einprägsamkeit (und damit ein weiteres Lob an den grandiosen Jerry Goldsmith so wenig massentauglich, dafür aber umso anregender und wirklich spannend werden lässt und seine wenigen konventionellen episodischen Einschübe wie das plötzliche Entstehen eines Wurmlochs dabei nicht unbedingt gebraucht hätte. Nichts desto trotz ist die Mission schlussendlich auf beiden Ebenen geglückt und es ist, wie der Film uns sagt: "The human adventure is just beginning." - Ein schönes Schlusswort zu einer Reise, die bekanntermaßen im Kern selbst immer auch schon das Ziel ist.

Fazit: Fans verspotten "Star Trek: The Motion Picture" gerne als "The Slow Motion Picture". Diese Bezeichnung mag oberflächlich zutreffend sein, doch wer den Zugang zur vielschichtigen Struktur des üppig inszenierten Weltraumepos finden kann, der wird mit einer fantastischen Geschichte mit den geliebten Serienhelden belohnt, die einen in den entferntesten Sphären der Vorstellungskraft mit ein paar der simpelsten und gleichzeitig schwierigsten aller Fragestellungen konfrontiert und Pille selbst eine der lustigsten, interessantesten und kultigsten Fragen des Genres stellen lässt: Why is any object we don't understand always called a thing?

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Beitrag von SFI » 06.08.2016, 07:43

Stimme gerne in deinen Tenor mit ein und die besagte Kamerafahrt ist exakt das was ich bei der Reboot Reihe vermisste.
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Beitrag von Wallnuss » 12.08.2016, 03:06

High Noon

Starre, ausdruckslose Minen blicken Will Kane im Saloon entgegen. Die Uhr zeigt bereits 11:45 Uhr und der Mittagszug, der die berüchtigte lebende Verbrecherlegende Frank Miller in das verschlafene Western-Dorf bringen wird, rückt immer näher. Dabei hatte Kane doch wirklich alles versucht und unternommen, um Hilfssheriffs als Unterstützung für den Kampf gegen den rachsüchtigen Miller und seine drei Meisterschützen zu akquirieren, mobilisieren lies sich jedoch nicht einer von ihnen. Seine frisch angetraute Frau muss ihrer Religion wegen Abstand von jeglicher Gewalt nehmen, die Kirche stört sich am fünften biblischen Gebot, Kanes bisheriger Mitstreiter grollt ihm aus Eifersucht bezüglich einer schönen Dame und dem Rest ist die Sache simpel und einfach zu gefährlich. Er steht alleine da, er, der in den letzten Jahren für die Bewohner dieses Dorfs stets sein Leben gegeben hätte, der von allen einstimmig als der "beste Sheriff, den sie je hatten" bezeichnet wird. Verlass dich auf andere und du bist verlassen.

Maßgeblich beeinflusst von der antikommunistischen Paranoia der McCarthy-Ära inszenierte Regisseur Fred Zinnemann 1952 mit "High Noon" ein Meisterwerk für die Ewigkeit, einen ruhigen, klugen Film, der seine bitterböse Wirkung vermutlich niemals verlieren wird und dies unabhängig von der Kenntnis über die damaligen prekären politischen Zustände in den USA. "High Noon" beweist eine psychologische Qualität und Treffsicherheit, die nur sehr wenigen Filmen überhaupt vergönnt ist und zeichnet in dem uramerikanischem Genre des Westerns eine pechschwarze pessimistische Neuinterpretation des filmischen Kulturguts, in welcher Pflichtbewusstsein und Sturheit mit Feigheit und Verwundbarkeit kollidieren. Zinnemann differenziert innerhalb der eigens geschaffenen Welt, er nimmt seine klassische männliche Heldenfigur und lässt sie beinahe die gesamte Echtzeit-Handlung taumeln, schwitzen und scheitern. Die daraus resultierende Identifikation mit Kane, der sich durch Zinnemanns virtuoses Gespür für Fokusverengung zu einem der größten Helden der Filmgeschichte mausert, erlaubt ihm, den Zuschauer wie auch dem Helden echte Angst empfinden zu lassen, wobei er fortlaufend sowohl Zeit (visualisiert durch die tickende und unaufhörlich langsame (Lebens-)Uhr) als auch Raum (perfekt umgesetzt in einer der berühmtesten Kamerafahrten des Mediums) als erzählerische Einheiten kongenial miteinander kombiniert und zu einem Klima der Angst und Hoffnungslosigkeit anschwillen lässt, welches wohl nie wieder dermaßen authentisch auf die Leinwand gebracht wurde.

Brillant die Besetzung des einmaligen Gary Coopers als Will Kane, dessen schauspielerische Perfektion einen in Ehrfurcht erstarren lässt. Den verzweifelten Town Marshal gibt er gleich so überzeugend, dass die vielen auf ihn konzentrierten Kameraeinstellungen alleine das Ansehen von "High Noon" rechtfertigen. In der vielleicht allerbesten Sequenz des 85-minütigen Filmes, wenn er sein Testament schreibt und noch einmal alle bis dato aufgetretenen Charaktere ängstlich in Erwartung von Millers Ankunft in stetiger Verknüpfung mit der Uhr gezeigt werden, strahlt er trotz Todesangst eine Ruhe und Souveränität aus, wie sie einmalig sein dürfte und das trotz aller Konflikte, die in ihm toben. A man's got to do what a man's got to do. In Gestalt von Will Kane differenziert Zinnemann seinen Protagonisten nicht nur vom ideologisch unantastbaren Genrevorbild, er entmystifiziert die Selbstverständlichkeit und Lagerfeuerromantik, welche jahrelang prägend für den Western war. Nicht, in dem er sie per se anzweifelt, sondern in dem er sie um das Mittel der glaubhaften Ratio versieht, in dem er einen menschlichen Kern zur Formel addiert. Seine Filmgattin Grace Kelly ist derbei als verärgerte Quäkerin ohnehin dermaßen hinreißend anzusehen, dass auch ganz ohne die visuelle Faszination der Inszenierung hervorzuheben "High Noon" als optisches Vergnügen für jedermann verständlich sein dürfte. Auch musikalisch ist Zinnemanns Meilenstein ein perfekter Film: Dimitri Tiomkin, dessen Soundtrack einzig und allein um den Titelsong Do Not Forsake Me, Oh My Darlin' (gesungen von Tex Ritter) steht all jenen Qualitäten des Filmes in nichts nach und gehört zu dem allerbesten vom besten, zur obersten Creme-de-la-Creme des Möglichen.

So leeren sich langsam die Gassen und bis auf das Pfeiffen des ankommenden Zuges herrscht geräuschloses Warten. Es bleibt die Frage, für wen Kane sein Leben eigentlich riskiert: Für die bigotten Kirchengänger, die, getrieben von Egoismus und Heuchelei, sich hinter der Bibel verstecken, ohne jede Spur von Nächstenliebe? Für den Friedensrichter, der bei seiner Flucht noch schnell symbolkräftig die amerikanische Flagge von der Wand abhängt? Für die Saloonbesitzer, die Kane als mutig, aber lebensmüde belächeln? Sie alle sind dabei nicht gegen ihn, sie sind einzig und allein für sich selbst. Nein, Kane tut all das, weil er letztendlich nur sich selbst, aber auch einer einzigen Instituition, einer Berufung, dem Stern auf seiner Brust verpflichtet ist. Der schlussendliche Shootout und die damit vermutlich vollkommenste Actionszene aller Zeiten ist kein heldenhaftes Aufbegehren des guten Samariters gegen das Böse, sondern eine Pflichterfüllung, eine Aufgabe, derer sich Kane moralisch nicht entsagen konnte. Sein Pflichtbewusstsein erweist sich in der letzten Minute des bis dato unerlaubt spannenden und beklemmenden Films als ein Attribut ohne Nährwert, ohne jeden Nutzen. Unmittelbar am Ende liegt der Sheriffstern im Dreck und Kane ekelt sich vor dessen Falschheit, vor dessen Wertlosigkeit, eine universelle symbolkräftige Aussage, die mehr Ausdruck und Ehrlichkeit nicht hätte erreichen können. Man wird allein geboren und man muss alleine sterben, ganz unabhängig davon, welches Abzeichen man auf der Brust spazieren trägt.

Fazit: Ein Leben lang musste Zinnemann seinen "High Noon" gegen Kritiker des reaktionären Hollywoods der 50er Jahre, welche den Film als unamerikanisch empfunden, verteidigen, heute ist sein Werk längst Filmhistorie und dies nicht allein wegen des ersten Leinwandauftritts des späteren Italowestern-Giganten Lee Van Cleefs als einer von Frank Millers Schergen. "High Noon" präsentiert sich als einzigartiges Plädoyer für den Mut, anders zu sein und anders zu handeln, und stammt dabei doch aus einer Zeit, in der Opportunität ideal schien und freie Meinungsäußerung ein störendes Übel war. Ein großer, wichtiger Film, der die Bezeichnung des "Klassikers" so sehr verdient hat wie kaum ein anderer. US-Westernikone John Wayne und Genreregisseur Howard Hawks sahen das ihrer Zeit ganz anders und entwarfen so wenige Jahre später die optimistische Antithese zur ungeliebten düsteren Westernfabel: "Rio Bravo".

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Beitrag von SFI » 12.08.2016, 04:24

... auch noch nie gesehen! :lol:
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Beitrag von Wallnuss » 12.08.2016, 12:50

Da beneide ich dich - hast noch ein richtiges Meisterwerk unentdeckt vor dir!

Für Fans des Italowestern ist High Noon übrigens besonders interessant, war er doch praktisch eine der wichtigsten filmischen Inspirationen des Meisterregisseurs Sergio Leone für dessen Dollar-Trilogie, wobei die Parallelen unübersehbar sind, selbst für den Leihen.

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Und gleich die nächste Höchstwertung!

Beitrag von Wallnuss » 12.08.2016, 21:08

Star Trek: Der Zorn des Khan

"…the great flood-gates of the wonder-world swung open, and in the wild conceits that swayed me to my purpose, two and two there floated into my inmost soul, endless processions of the whale, and, mid most of them all, one grand hooded phantom, like a snow hill in the air." - Herman Melvilles "Moby Dick" gilt heute - lange nach 1851 - als einer der bedeutsamsten Romane der globalen Literaturgeschichte. Melvilles Allegorie auf den Hass und den Schmerz eines verletzten Individuums ist ein langer, bedeutungsschwangerer und facettenreicher Roman, dessen Sogkraft sich nur die wenigsten entziehen können, gelungen getragen durch das Motiv der Rache, dass niemand außer ihm besser hätte aufbereiten können. Kein Wunder also, dass ein solcher Klassiker bis in die Moderne viele Adaptionen in verschiedensten Medien erhält. Doch eine der wohl ungewöhnlichsten - und gleichzeitig besten - aller Umsetzungen scheint auf den ersten Blick mit den Weiten der Ozeane wenig gemein zu haben: Nicholas Meyers "Star Trek: Der Zorn des Khan".

"Call me Ismael." – So beginnt Melville seinen Roman. Doch Ismael gibt es in Meyers 82er Umsetzung der Legende vom weißen Wal gar nicht. Und auch keinen Queequeg, keinen Elias, keinen Daggoo, keinen Pip und keinen Starbuck, nicht einmal die Pequod ist vertreten. Sie wurde in "Enterprise" umbenannt. Doch die Geschichte, die Motive, sie bleiben dieselben, wie schon im fabelhaft düsteren Opening der Kobayashi Maru-Persönlichkeitstest einer jungen Enterprise-Kommandantin offenbart: Hier geht es um Rache. Familie. Freundschaft. Leben. Und Tod. Und da tritt er aus dem Licht wie eine lebende Legende in die Düsternis hinein: William Shatner alias James T. Kirk, der in altkluger Überlegenheit den souveränen Hasardeur spielt - Shatner wie Kirk gleichermaßen. Denn im Verlauf der 113 eng bepackten Minuten offenbart Meyer einen Blick auf den bekannten Protagonisten, den man so nicht hätte erwarten dürfen: Er entlarvt ihn. Als Quacksalber, Sprücheklopfer. Kirk, der voller Weisheit scheint, weiß am Ende mit seinen leeren Phrasen und selbstverhüllenden Worten nichts anzufangen und hat sich selbst nie den Realitäten des Lebens gestellt - und am allerwenigsten der Unausweichlichkeit des Todes. Er musste sich schlicht und einfach nie damit auseinandersetzen, er wusste immer, sich dem Verlust zu entsagen. Meyer durchbricht diesen Kreis, er lässt ihn altern, verbittern und den Verlust eines Freundes kennenlernen. Kirk muss erkennen, dass Leben und Tod in direkter Kausalfolge zueinander stehen und man sich beidem gleichermaßen stellen muss. In gewisser Hinsicht ist "Der Zorn des Khan" sein Kobayashi Maru-Test.

Nicholas Meyer brachte mit dem ersten Kino-Sequel des "Star Trek"-Franchises ein Meisterwerk in die Lichtspielhäuser, welchem inhaltlich und ästhetisch eine Zeitlosigkeit innewohnt, die nicht nur Mr. Spock als faszinierend titulieren würde und das Science-Fiction-Umfeld nur als Rahmen missbraucht. Leben und Tod als Endlosspirale, verbunden durch das Vorhaben der Rache in einer Tat, sie sind das Kernzentrum dieses Abenteuers, welches seinen unfassbaren Reiz wie schon Melvilles Klassiker aus der antagonistischen Konstellation gewinnt: Ricardo Montalbáns darstellerische Leistung als genetisch modifizierter Zarathustra-Kreatur Khan kann hier nur (noch mehr als die erneuten Auftritte der klassischen Enterprise-Besatzung rund um den fantastischen Leonard Nimoy) als brillant bezeichnet werden. Seine allzu charismatische Ausstrahlung wird nur von seiner mimisch stets blitzschnell auftretenden sichtbaren Gefährlichkeit unterwandert, Khan wird zur Verkörperung des Hasses und Todes, während er das Leben kontrollieren wird. Der MacGuffin, dem er hinterher jagt, ist das Genesis-Projekt, unmissverständlich nach der biblischen Schöpfungsgeschichte benannt. Ein Projekt, welches Leben schaffen kann, dafür aber auch altes verdrängt, so wie Khan selbst ein geschaffenes Leben ist, welches andere zu verdrängen drohte. Eine glaubhafte Basis für einen Film, der sich von der metaphilosophischen Schwere des Vorgängers längst emanzipiert hat und sich traut, in rauen und harten Actiongefilden zu wandern, ohne je ausladend zu werden. Jeder Phaserschuss, jeder Schlagabtausch, jedes Manöver hat seine Geschichte, seine Motivation - und seine Konsequenzen.

Trotz des deutlich militärischeren Auftretens als je zuvor in der "Star Trek"-Historie jongliert Meyer spielerisch leicht und doch wahrhaftig mit Lockerheit und Ernst, mit Komik und bitterer Tragik. Er formuliert den Kampf zweier Giganten als Resultat der Umstände, als schicksalshafte Ausgeburt derer Vorgeschichten, was die gesamte Erzählung mit einer bezeichnenden Emotionalität versieht, welche sich in einem Abschluss entlädt, der wie ein Fazit Leben und Tod, Alter und Jugend sowie Optimismus und Pessimismus in wenigen Sekunden ultimativ verknüpft und zusammenführt auf eine Weise, wie sie erfüllender und endgültiger nicht sein könnte - obwohl das tatsächliche Filmende alles andere als endgültig scheint, weil auch der Tod niemals vollkommen endgültig ist. Man lebt in der Erinnerung der Lebenden weiter. An "Moby Dick" erinnert dies unaufhörlich, genauso wie die neuen Uniformen der Enterprise-Besatzung oder die letzte Raumschlacht zwischen Khan und Kirk, die in einem interstellaren Nebel mit bedächtlicher Gewitteratmosphäre wie ein Gefecht auf hoher See anmutet und die Grenzen zwischen Sci-Fi-Action und Seefahrer-Literaturverfilmung subtil verwischen lässt. James Horner, der Jerry Goldsmith als Komponist hier ablöste, steuerte dazu einen Score bei, der ebenfalls beides gleichzeitig verkörpern kann und für sich stehend so viel zweipolige Kraft und Ehrlichkeit verbindet, wie die starke Geschichte selbst, die einen im selben Moment Lacher wie Tränen abverlangen kann.

Fazit: Ein Film, so authentisch und wahrhaftig wie das Leben, in einem Szenario, dass nur oberflächlich weit von unserer Realität entfernt ist und sein eigenes Setting selbst als notwendiges, im Notfall aber auch entbehrliches Konstrukt erkennt. Vor wunderschönen malerischen Weltraum-Kulissen beweist und definiert Nicholas Meyer den Begriff der Poesie auf seine ganz eigene Weise und liefert eine inszenatorische Glanzleistung ab, die von ihren lebendigen Charakteren und echten Emotionen dominiert und getragen wird und die philosophische Grundhaltung der "Star Trek"-Reihe mit den Eigenschaften des Actionfilms kombiniert, was hier keinesfalls mit einer grundsätzlich massentauglichen Ausrichtung gleichzusetzen ist, sondern als Resultat einen Meilenstein seines Genres und eine ungemeine cineastische Errungenschaft bedeutet, deren emotionalen Wert man auf gar keinen Fall missen möchte. "It was the best of times, it was the worst of times."

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Beitrag von Wallnuss » 17.08.2016, 00:52

Der unheimliche Mönch

Es ist Mitternacht, als im uralten, ehrfürchtigen Schloss Darkmoor, welches längst zum Mädcheninternat umfunktioniert wurde, der Schlossherr sein Leben auf dem Sterbebett aushaucht. In seinem letzten Atemzug vermacht er das gesamte beachtliche finanzielle Erbe von 2 Millionen Pfund seiner einzigen Enkelin Gwendolin. Doch der älteste Sohn Richard ermordet den Notar und behält das Testament unter Verschluss, in der Hoffnung, seine Geschwister erpressen zu können, nun jenes (ohne Testament unter ihnen gleichmäßig aufgeteilte) Erbe selbst in den Händen halten zu können, von einer großzügigen Ausnahme von 10 Prozent abgesehen, versteht sich. Bald jedoch geschehen merkwürdige Dinge in dem altem Familiensitz. Mädchen verschwinden bei hellichtem Tageslicht, zwischen den verschiedenen Erben entbricht ein Machtkampf, ein Inspektor kommt bei einer Nacht und Nebelaktion auf mysteriöse Weise ums Leben und zu allem Überfluss soll auch noch ein mordender peitschenschwingender Mönch auf dem Schlosshof sein Unwesen treiben...

Liebhaber gut geschriebener und perfekt besetzter Whodunnits werden bei diesen Zutaten selbstredend an Harald Reinls Genrebeitrag "Der unheimliche Mönch" aus dem Jahre 1965 denken, der im Zuge der zahllosen Edgar Wallace Verfilmungen (die oft nicht weniger als den Titel mit den Romanvorlagen gemein hatten) in den Kinos erschien und unter Fans der Reihe als einer der besten Ableger gilt. Und dies nicht zu Unrecht! Trotz bewährter Kriminalfilm-Muster weiß Reinls finsteres Gruselkabinett auf ganzer Linie zu überzeugen. Der "Winnetou"-Regisseur erweist sich in der 80 Minuten kurzen Erzählung als der ideale Vertreter hinter der Kamera, um die Mönchsgeschichte mit dem nötigen Maß an Spannung und Nervenkitzel zu versehen. Spielerisch leicht entwirft er in der kühlen Schwarz-Weiß-Optik dank der wundervollen Innenausstattung Darkmoors und vielen schönen, tiefen Einstellungen, die im Laufe der Zeit eine hervorragende und bestechend übersichtliche Szenengeographie vermitteln, eine stimmige Gruselatmosphäre, welche sich vor vergleichbaren internationalen Konkurrenzwerken der damaligen Zeit nicht zu verstecken braucht und von Reinl noch dadurch verstärkt wird, dass er lange vorhersehbare Passagen entwirft, um die Erwartungen des Zuschauers in deren letzten Momenten kongenial auf den Kopf zu stellen. Angenehm unaufgeregt weiß Reinl, eine Stimmung zu entfachen, in der der Zuschauer im erträglichen Sinne mit dem Thema "Mädchenhandel" konfrontiert wird und dennoch angeregt mitfiebernd sich den Kopf darüber zerbrechen kann, welche der vielen finsteren Gestalten es wohl auf die arme unschuldige Gwendolin abgesehen hat und welche Rolle der titelgebende Mönch in dem Komplott der Darkmoor-Bande spielen mag.

Gestützt wird die gelungene Geschichte nicht nur durch die tollen Dialoge der Drehbuchautoren J. Joachim Bartsch und Fred Denger, die pointierten Humor mithilfe des Butlers Smith (gespielt von dem unvermeidlichen und immer wieder köstlichen Eddi Arent) effizient als Bruch der Gruselstimmung einsetzen, ohne dabei zu sehr die Bremse durchzudrücken, sondern auch von den wunderbaren Darstellern, die allesamt eine tolle Leistung zeigen. Neben Arent sticht vor allem die sehr zentrale Karin Dor heraus, die als Gwendolin im Mittelpunkt des Interesses steht und eine gewohnt starke Performance abgibt, die glaubhaft und authentisch scheint. "Der Ölprinz" Harald Leipnitz ist als ermittelnder Scotland Yard Vertreter ebenso erfreulich lebhaft, wird von den skurrileren Charakteren jedoch in den Schatten gestellt, allen voran Siegfried Lowitz und Hartmut Reck (großartig!), die als verschlagene geldgierige Halunken formidabel in Erscheinung treten, erwähenswert natürlich auch Rudolf Schündler in der Rolle des leider etwas unfreiwillig komischen Brieftaubenbesitzers Short, die wunderbare Ilse Steppat als Internatsvorsitzende mit dem Herz am rechten Fleck und der erste Filmauftritt von Uschi Glas als eines der Darkmoor-Mädchen. Insgesamt also eine prominente und in fast allen Fällen geglückte Besetzung, welche enorm dazu beiträgt, dass die große Frage nach der Auflösung der Mönchsidentität ihren Reiz erhält und erheblich davon profitiert, dass die Anzahl der eigenwilligen Exzentriker unter den Charakteren erheblich größer als ihre Gegenspieler scheint.

So kann man "Der unheimliche Mönch" als ein Whodunnit ohne Schnörkel betrachten, welches vornehmlich seine Charaktere und Mysterien in den Mittelpunkt stellt und auf Nebenplots großzügig verzichtet und die visuelle Inszenierung pragmatisch dazu nutzt, den Zuschauer geschickt in die Irre zu führen. Ein wenig schade ist trotz aller Sorgfalt der formal ansprechenden Inszenierung nur, dass die entführten Darkmoor-Mädchen etwas zu knapp charakterisiert werden, sodass deren Entführungen fast zur Nebensache geraten, so wie gleichzeitig der Umstand etwas enttäuscht, dass mit dem ansteigenden Tempo der letzten Viertelstunde durch vermehrte Schauplatzwechsel zwar die Rasanz der Aktionen steigt, die schaurige Atmosphäre aber auch etwas verloren geht. Zwei kleinere Geniestreiche hat Reinls Film dann aber Gott sei Dank noch im Petto, um diese zwangsläufigen Schwächen verschmerzbar zu gestalten: Da wäre zum einen die schmissige Titelmusik des Komponisten Peter Thomas, die sofort ins Ohr geht und noch lange nach Einsatz des Filmendes nachgesummt werden kann und jenes Ende selbst, welches mit einer der überraschendsten Auflösungen aller Edgar Wallace Filme aufwarten kann und sich trotz aller anfänglicher Befremdlichkeit im Nachhinein als konsequenter und folgerichtiger Kniff behaupten kann, der ein zweites bedachtes Ansehen glatt alleine rechtfertigt.

Fazit: Als letzter Schwarz-Weiß-Film der langlebigen Edgar Wallace Verfilmungen unter der Aufsicht des Produzenten Horst Wendlandt hält "Der unheimliche Mönch" seinen Klassiker-Status in allen Ehren. Harald Reinl glückte mit der originellen Zusammenführung bekannter Horror- und Kriminalfilm-Klischees ein spannendes und fein inszeniertes Rätselraten um den ominösen Mönchsgewand-Träger, welches auch bei einer kritischen Zweitsichtung inhaltliche Kohärenz beweist und dank der wohl gewählten Schauspieler bei aller Dialoglastigkeit eine unterschwellige Spannung beibehält, die sich immer nur dann in den kurzen und musikalisch exzessiv untermalten Momenten entlädt, in denen die Titelfigur ihr mörderisches Werk ohne Erbarmen vollzieht.

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Beitrag von Vince » 17.08.2016, 06:00

Aus der Edgar-Wallace-Ära muss ich selbst auch mal viel mehr sichten, bin da noch relativ unbewandert. Der hier klingt schon mal sehr interessant.

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Where no man has gone before...

Beitrag von Wallnuss » 17.08.2016, 20:49

Interstellar

Das Wort "Pionier" stammt von dem französischen "pionnier" und lässt sich unter anderem mit "Wegbereiter" übersetzen. Echte Pioniere, welche auf ihren wissenschaftlichen Fachgebieten bedeutsame Entdeckungen machten, die oft ganz neue Fachgebiete schufen, gibt es nur wenige, doch geraten sie in aller Munde. Man denke nur die Seefahrer James Cook und Christoph Kolumbus, den Chemiker Otto Hahn, den Physiker Albert Einstein oder die Gebrüder Orville und Wilbur Wright, welche in der Luftfahrt mit als erste den Himmel eroberten. Im 2014 erschienenen Sci-Fi-Film "Interstellar" wagt sich der viel beachtete Regisseur Christopher Nolan über jenen hinaus und drängt in neue Galaxien und ungeahnte Dimensionen hervor. Doch so weit weg seine Erzählung die Protagonisten des Films auch führt, ist "Interstellar" in erster Linie eine Liebeserklärung an den Pioniergeist, der angeborenen Neugier des Menschen, dafür, dass irgendwo dort draußen, noch viel mehr sein muss, als das, was bis zum Horizont erkennbar scheint.

Zu Beginn der 170 Minuten starken Geschichte liegt die Welt in Trümmern und Nolan nimmt sich beinahe eine ganze Stunde Zeit dafür, diese beinahe untergegangene Erde so authentisch wie möglich zu bebildern. In epischen Bildern zelebriert er ein Leben in längst verstaubter Hoffnungslosigkeit, die Menschheit versucht sich beinahe geschlossen im landwirtschaftlichen Sektor, während riesige Staubwolken metaphorisch wie tatsächlich den Dust Bowl der USA bedecken und selbst das ikonographischste aller US-Familienbilder (das gemäßigte Farmers-Leben) mit Dreck besudeln. Der Pioniergeist einstiger Generationen ist wie das meiste Getreide des Planeten gänzlich ausgestorben, die Mondlandung aus dem Jahre 1969 wurde zum Propaganda-Unterfangen gegen die Sowjetunion erklärt, um den Feind der Ära des Kalten Kriegs in den finanziellen Ruin zu treiben. Nolan traut sich, erzählerisch direkt mäandernd zu beginnen, nutzt die Fast-Apokalypse als emotionalen Hintergrund für eine Mission, die das menschliche Fassungsvermögen überschreitet. Wenn die stimmige und dicht atmosphärische Dystopie den Weiten des Universums weicht, scheinen die visuellen Effekte des Films der technischen Perfektion so nah wie nie zuvor und erscheint die gesamte Odyssee als letzte Notwendigkeit, die aber neben aller Relevanz für das Überleben der menschlichen Natur diese dabei gleichermaßen zu beflügeln weiß. Die Weltraum-Begeisterung, wie sie in den 1960er Jahren in der breiten Gesellschaft angekommen war, weiß Nolan ins 21. Jahrhundert zu übertragen und lässt es ganz logisch erscheinen, dass der Mensch die Antwort nach dem eigenen Überleben nicht in den erschlossenen Territorien sucht, sondern zwischen den Sternen.

Chris Nolan und sein Bruder Jonathan, der als Drehbuchautor mit am Werke war, haben im theoretischen Physiker Kip Thorne einen Experten an Bord gehabt, der ihnen half, die Begebenheiten des Filmes möglichst korrekt in visuelle Bilder umzusetzen. Davon profitiert "Interstellar" in jeder Sekunde sichtbar. Visionär werden sämtliche Möglichkeiten moderner Filmkunst genutzt, um dem Drang der Erforschung neuer Welten (die niemals pathetisch-surrealistisch inszeniert werden) bildgewaltig gerecht zu werden. Jede einzelne Aufnahme des Kameramannes Hoyte Van Hoytema schreit nach purer Epik, scheint glamourös und birgt doch eine enorme, tödliche Gefahr. Schönheit und Tod liegen in "Interstellar" so dicht beieinander wie sonst selten, bieten aber den idealen Rahmen für eine monströse Erzähltechnik, die oft minutenlang in Kombination mit dem wunderbar simpel gehaltenen Score Hans Zimmers und von Cutter Lee Smith geschickt gewählten Montagen unterschwellig Unruhe suggeriert, um dann immer wieder in fundamentale Crescendos überzugehen. Effizient und selbstsicher wie kein anderer baut Nolan scheinbar mühelos existenzielle Fragestellungen über die Natur des Menschen in die brillanten Dialoge ein und findet eine vorzügliche Zweipoligkeit innerhalb des narrativen Konstrukts, in dem er die Suche nach der letzten Rettung für die Menschheit in den Tiefen des Alls mit einer sentimentalen, aber nicht kitschigen Familiengeschichte auf der Erde das menschliche selbst nicht aus den Augen verliert. Natürlich macht es sich "Interstellar" aber nicht ganz so einfach und findet später noch einen Weg, die beiden Handlungen in ihrer Bedeutung für den finalen Twist umzukehren und dann sogar gleichzeitig aufeinander zu und voneinander entfernt laufen zu lassen. Dramaturgisch hervorragend!

Gott sei Dank weiß bei aller struktureller Brillanz auch die Leistung der Schauspieler zu überzeugen, welche bis in die Nebenrollen hervorragend agieren (Topher Grace, Wes Bentley, Casey Affleck, Michael Caine). Besonders zu würdigen sind aber die vier Hauptdarsteller, voran der bärenstarke Matthew McConaughey, dessen Gesicht mehr sagt als tausend Dialogzeilen und sich mit seiner Leistung eindeutig selbst in den Olymp der besten männlichen Darsteller seiner Zeit befördert sowie ein starkes Frauentrio, bestehend aus der minderjährigen Mackenzie Foy mit einer erstaunlich wahrhaftigen Darbietung, der mimisch gefestigten und souverän-standfesten Jessica Chastain und der bezaubernden und überragenden Anne Hathaway, die ihre Dialogzeilen so menschlich widergibt wie derzeit keine andere und dank der IMAX-Technologie hier noch mehr zur Geltung kommt. Selbstredend und unnötig zu erwähnen, dass Nolan auch mit Selbstironie (getragen von zwei Robotern, die eindeutig dem "Star Wars"-Franchise entnommen wurden), leichtem Pathos wie philosophischer und religiöser Metaphorik gekonnt umzugehen weiß und so ein bestmögliches Genreerlebnis kreiiert. Und dennoch muss man festhalten, dass "Interstellar" sich in den letzten 20 Minuten etwas vergaloppiert und die metaphysikalischen Begebenheiten in ihrem Hang zur Übererklärbarkeit deutlich über den Rahmen des Unterhaltungskinos und der geschlossenen thematischen Erzählweise hinausgehen. Das Script der Nolans behauptet mit den Erklärungsversuchen der Liebe als dimensionenübergreifende Kraft einen bedeutungsschwangeren Anspruch, den das Vorhaben am Ende selbst nicht einhalten kann.

Fazit: So erliegt "Interstellar" in seinem langen Epilog witzigerweise eben jenem Pioniergeist, welchen er sich zu würdigen entschloss. Um zu reformieren, muss erstmal ein Wagnis eingegangen werden. Ob Nolan auf den letzten Metern am vollkommenen Sci-Fi-Erlebnis scheitert, müssen andere beurteilen und wird letztendlich wohl die Zeit beweisen müssen, für den Moment bietet das fast 3 stündige Weltraum Epos emotionale und visuell überwältigende Hollywood-Erfahrungen, die man auf einer möglichst großen Leinwand mitnehmen sollte.

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Beitrag von Wallnuss » 18.08.2016, 18:48

Star Trek: Auf der Suche nach Mr. Spock

Sci-Fi-Fans weltweit verließen 1982 die Kinovorstellungen von "Star Trek: Der Zorn des Khan" mit einem lachenden und einem weinenden Auge. So hatten sie gerade einen Film gesehen, der all ihren Wünschen gerecht wurde und die kultigen Helden der 60er Jahre TV-Serie (hierzulande: "Raumschiff Enterprise") in ein spannendes und aufregendes Action-Abenteuer warf, doch andererseits gab es auch einen herben Verlust zu beklagen. In den letzten Minuten des Star-Trek-Meilensteins hatte Regisseur Nicholas Meyer mit dem etablierten Status Quo der Serie gebrochen und der Reihe trotz der dramaturgisch einmaligen Wendung somit eine mehr als ungewisse Zukunft beschert. Folglich stand Produzent und Drehbuchautor Harve Bennett vor der schwerwiegendsten Entscheidung des Franchises: Wie sollte es weiter gehen? Am Ende nahm der kultige Mr. Spock, alias Leonard Nimoy, selbst auf dem Regiestuhl Platz und schickte 1984 die Besatzung der Enterprise auf die Suche nach sich selbst, auf die Suche nach Mr. Spock und auf die Suche nach dem verlorenen Status Quo.

So schließt Nimoys Regiedebüt folgerichtig direkt an das Ende seines Vorgängers an und wiederholt stimmungsvoll als Prolog noch einmal dessen letzte Minuten. Folgerichtig, da der tragische Abschluss von "Der Zorn des Khan" nicht nur als Handlungskatalysator für die dritte Odyssee der Enterprise fungiert, sondern sich alle Charaktere und alle Handlungen selbst wissentlich im Schatten dieses Ereignisses bewegen, sogar Komponist James Horner scheint beinahe ausschließlich seine vorherige Arbeit zu wiederholen. Nimoy scheint sich klar zu sein, dass seine Suche in erster Linie einen ausgiebigen Epilog zu Meyers Film darstellt, und so nimmt er sich trotz der wenig erschöpflichen Laufzeit von 105 Minuten das ganze erste Drittel, um dessen Motive und die Tragweite des Cliffhanger angemessen und respektvoll auszuspielen. In diesem langen Beginn hat das dritte "Star Trek"-Kinoabenteuer schließlich auch seine größten Momente, da nicht zuletzt dank der anfänglichen Wiederholung der letzten Minuten des Vorfilms die Emotionalität und Niedergeschlagenheit der Besatzung spürbar wird und der Film sich ganz auf seine Charaktere fokussieren muss. Zum ersten Mal entwickelt die Enterprise-Crew so auf der Leinwand einen Ensemble-Charakter, der trotz melancholischer Traurigkeit an die Anfänge als TV-Serie erinnert. Erfreulich, da so die beliebten Figuren Uhura, Scotty, Chekov oder Sulu zum ersten Mal neben dem gewohnt starken William Shatner als Admiral Kirk echten Entfaltungsspielraum kriegen und in ihrem gegenseitigen Interagieren die familiäre Bindung untereinander endlich ein angemessenes Subjekt erhält. Besonders schön, dass DeForest Kelley als "Pille" McCoy neben Kirk zum wichtigsten Protagonisten reift und darstellerisch sein Können mehr denn je unter Beweis stellen darf.

Doch in seinem (für Fans sicher löblichen) Vorhaben, die fundamentalen Einschnitte in die Star Trek Historie durch Meyer zu widerrufen, liegt letztendlich die dramaturgisch gewaltige Problematik der "Suche nach Mr. Spock": Deren Ausgang ist von der ersten Minute an absolut vorhersehbar. Dass Kirk und seine Freunde am Ende erfolgreich sein werden, verrät letztendlich schon die im Titel verratene Prämisse und Existenzgrundlage des eigentlichen Filmes. Unter diesem Aspekt gelingt es der Regie notwendigerweise auch nie, ernsthafte Zweifel an dem Vorhaben der Enterprise aufkommen zu lassen, da ein anderer Ausgang als der erwartete die gesamte Produktion in Redundanz ersticken lassen würde. Immerhin, Nimoy versucht krampfhaft, durch zwei durchaus gewaltige weitere "Verluste" für die Protagonisten, derartige Ungewissheit zu erzielen, doch bleiben diese Momente bei Versuchen, wie überhaupt seine gesamte Regieführung zwischen Passivität und sichtbarer Angestrengtheit variiert. "Star Trek" entwickelt unter ihm keine erkennbare eigene Linie, Actionszenen bleiben abgefilmte Eskalationen ohne Gespür für Tempo und Rasanz, emotionalere Momente wissen besonders in der zweiten Hälfte nicht so wirklich zu zünden, obgleich "Auf der Suche nach Mr. Spock" einzig und allein für diese entstanden zu sein scheint.

Aus technischer Sicht scheint sich dafür in den zwei Jahren einiges getan zu haben: So gut sah "Star Trek" auf Seiten der Effekte und Kulissen im direkten Vergleich zu "The Motion Picture" und "Der Zorn des Khan" noch nie aus. Die Effektspezialisten von ILM leisteten vorzügliche und hoch authentische Arbeiten, die sich vor den großen zeitgenössischen Genrekonkurrenten, wie etwa "Die Rückkehr der Jedi-Ritter", nicht verstecken müssen und im Design dem Stil der Reihe treu bleiben, allen voran das klingonische Raumschiff "Bird of Prey", welches optisch einiges hermacht und mit seinem Tarnmechanismus die Grenzen des technisch machbaren reizvoll auskostet. Schade, dass man selbiges nicht über die Besatzung der Bird of Prey sagen kann: Christopher Lloyd, der hier den klingonischen Commander Kruge gibt, darf als einer der farblosesten Villains des Genres in Erinnerung bleiben. Nicht genug, dass er eindeutig einzig und allein in den Film geschrieben wurde, um irgendeine Form der Auseinandersetzung zwischen Kirk und Co bieten zu können, spielt Lloyd unter der starken Maske auf absoluter Sparflamme und kann so auch nicht verbergen, dass das schurkische Vorhaben Kruges eins zu eins dem seines Vorgängers entspricht. Für Fans gibt es zusätzlich zur (unüberraschend) erfolgreichen Suche übrigens noch ein besonderes Schmankerl: Zum ersten Mal seit der TV-Episode "Journey to Babel" von 1967 gibt es ein Wiedersehen mit Mark Lenard in der Rolle von Spocks Vater Sarek, der dann auch gleich die stilistisch eigenständigste Szene des Filmes spendiert bekommt.

Fazit: "Star Trek: Auf der Suche nach Mr. Spock" bleibt als ein Film in Erinnerung, der aus der Notwendigkeit geboren wurde, in einem kommenden vierten Teil ohne den Ballast des Cliffhangers von "Der Zorn des Khan" wie gehabt fortfahren zu können und somit als Gesamtwerk eher wie ein Anhang dieses Vorwerks daherkommt. Nimoy führt souverän, aber notgedrungen überraschungsarm durch die dennoch kurzweilige Angelegenheit, deren Unterhaltungswert sicher maßgeblich aus der Sympathie für die Charaktere und aus dem (natürlich positiven) Ende resultiert, damit aber auch die Hoffnung schnürt, nun potenziell wieder neue und aufregende Geschichten erzählen zu können. Das Ergebnis soll daher wohlwollender ausfallen, als es für sich selbst betrachtet vielleicht verdient gehabt hätte, auch, da die visuellen Schauwerte noch einmal eine besondere Würdigung erfahren müssen.

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Beitrag von Wallnuss » 26.08.2016, 20:58

Star Trek: Zurück in die Gegenwart

Es war wohl eine rein logische Entscheidung: Nach dem der berühmte Mr. Spock-Darsteller Leonard Nimoy beim dritten Kinoabenteuer der Besatzung der USS. Enterprise 1984 die Suche nach sich selbst beziehungsweise nach seinem "Star Trek"-Alter Ego höchstpersönlich den Platz auf dem Regiestuhl übernommen und den Erwartungen der Fans wie auch den finanziellen Erwartungen an den Film gerecht geworden war, war es wenig überraschend auch an ihn, zwei Jahre später erneut diese Position einzunehmen und vor wie hinter der Kamera gemeinsam mit der Crew rund um Admiral James T. Kirk den Weg nach Hause anzutreten. Doch "Zurück in die Gegenwart" ist anders, als andere Ableger der beliebten Science-Fiction-Reihe. In "Zurück in die Gegenwart" geht es nicht hinaus in die unendlichen Weiten, sondern dorthin zurück, wo bereits der Mensch einmal gewesen ist. Auf der Suche nach dem Gesang der längst ausgestorbenen Buckelwale verschlägt es Kirk, Spock und Co. in das San Francisco des Jahres 1986 und damit in einen Culture Clash der etwas anderen Art.

Die Herleitung dafür, dass man jetzt plötzlich den Zeitsprung in "unsere" Realität wagt, ist natürlich konstruiert bis zum geht nicht mehr und rein zweckorientierender Bestandteil des Scripts, irrsinnigerweise sogar exakt die Prämisse des viel gescholtenen Erstlings der Reihe von 1979. Gleichzeitig erscheint der gesamte Plot rund um die (Zeitreise-)Rettung der Erde wie eine willkommene Ausflucht Nimoys, sich bis zum Schluss nicht den Konsequenzen der Handlungen der Besatzung in "Auf der Suche nach Mr. Spock" zu stellen und einen allzu besinnlichen Ausgang dieser offenen Enden präsentieren zu können. So ist die Rahmenhandlung, der am Anfang merklich zu viel Zeit zugestanden wird und genau jene theoretischen Konsequenzen speziell für Kirk ausführlich thematisiert, extrem dünn besaitet, aber immerhin Katalysator für die eigentlich interessantere Reise in vergangene/heutige Tage. Und spätestens nun wird deutlich, dass Nimoy für den vierten Teil der Reihe ganz eigene Ideen und Vorstellungen hat. Schon in der originalen TV-Serie der 60er Jahre gab es die ernsten, nachdenklichen, auch mal dramatischen oder philosophischen Episoden, aber als Gegenpol genauso komödiantischere Ausflüge, wie etwa der Fanliebling "The Trouble with Tribbles". Wenn also Mr. Spock sich ein Stirnband anlegt, um seine spitzen Ohren zu verdecken oder der Russe Chekov einen Polizisten mitten im Kalten Krieg nach Nuklearschiffen fragt, wird schnell ersichtlich, welche Richtung hier eher angestrebt wurde.

Passend zur Walthematik bietet "Zurück in die Gegenwart" eine zügige und locker-selbstironische Portion bester Komik des "fish out of water"-Prinzips. In verschiedene Gruppen aufgeteilt lässt Nimoy die Protagonisten in kurzen und erheiternden Episoden verschiedene Kulturschocks erleben, etwa wenn Kirk und Spock bei einer Busfahrt mit einem lärmenden Punk konfrontiert werden, Uhura und Chekov beim Besuch eines der erwähnten Nuklearschiffe auf Gegenwehr stoßen, Scotty missmutig auf die rückständige Tastatur eines Apple-PCs einhämmert und McCoy in einem Krankenhaus schockiert den mittelalterlichen Methoden des Medizinwesens begegnet, sind viele Schmunzler und so einige Lacher garantiert. Obwohl der Gehalt des Humors freilich nur selten tiefgründiger ist und oft auf simple Slapstick-Comedy setzt, sind es besonders die sympathischen Charaktere und Darsteller, die aus dem luftig-amüsanten Spaß enorme Erheiterung rausholen. Nie zuvor hatte die Crew so viel gleichberechtigte Leinwandpräsenz und zum ersten Mal wirken auch Nichelle Nichols als Lt. Uhura oder George Takei als Sulu wie lebendige atmende Charaktere, deren Dasein eine Relevanz für die Qualität des Films hat. Gleichzeitig wird mit konsequenter Entspannung Catherine Hicks als Meeresbiologin des 20. Jahrhunderts eingeführt, die im Zusammenspiel mit Shatners Kirk eine paar ursympathische Momente hat. Leider passt das in erster Linie alles nicht unbedingt zu dem Hintergrund der eigentlichen Mission, die schließlich von der drohenden Zerstörung der Erde handelt und man fühlt sich eher, als würde man ein paar alten Freunden beim gemeinsamen Rumalbern beiwohnen.

Reichen allerdings ein paar gute Gags, etwas Situationskomik und witzige Wortgefechte wirklich, um eine Länge von 120 Minuten zu rechtfertigen? Die Antwort muss insgesamt leider etwas zurückhaltend beantwortet werden. Im Idealfall sollte man alles, was auf inhaltlicher Basis in "Zurück in die Gegenwart" passiert, genau wie Nimoys Regie so wenig wie nur möglich für voll nehmen. Leider schwingt in dem doch sehr naiven Treiben der Enterprise-Crew eine themenbedingte Öko-Moral mit, die zwar ein löbliches Anliegen verfolgt, aber holzhammerartig mit unerbittlicher gutmenschlicher Penetranz immer wieder in die Köpfe des Zuschauers geschlagen wird und so beim erneuten Anlauf mehr als nervig anmutet. Gleichzeitig kommt man trotz des insgesamt zufriedenen Gesamteindrucks nicht drum herum anzumerken, dass die Zeitreise-Thematik prinzipiell eine interessante Grundlage für eine weitaus größere Erzählung hätte sein können und auch in dem vorhandenen Spektrum nicht einmal annähernd das Maximum des hier denkbaren herausgeholt wurde. Dafür beweist der Film bezüglich der Kontinuität der Reihe ein gutes Gedächtnis: In den vielen tollen gemeinsamen Szenen zwischen Kirk und Spock werden die Ereignisse beider Vorgänger (der Erstling bleibt wie gehabt außenvor) nicht vergessen, viel eher hat das Treiben um den Vulkanier vehemente Auswirkung auf seine Persönlichkeit und seine Beziehung zum Admiral (oder doch Jim?). Hier beweist "Star Trek", dass die viele Rederei über ein großes Universum nicht einfach nur eine Behauptung ist, sondern alles miteinander verknüpft ist und seine Auswirkungen hat, was leider durch den schwachen letzten Teil in der Zukunft (oder Kirks Gegenwart) wieder etwas ad absurdum geführt wird.

Fazit: Ohne am ganz großen dramaturgischen Rad zu drehen, unterhält auch das vierte Abenteuer der beliebtesten Crew der Sternenflotte durch viel Komik, Charme und das auch mal angenehme Gefühl, dieses Mal eher mit den liebgewonnen Charakteren lachen denn bangen zu müssen. Nach den dramatischen Ereignissen der Vorgänger scheint "Zurück in die Gegenwart" wie ein tiefes gemeinsames Luftholen von Film und Zuschauer, bleibt dabei auf allen anderen Belangen weit hinter seinen Möglichkeiten. Am Ende beweist ironischerweise Leonard Nimoy, dass "Star Trek" zwar auf die Enterprise verzichten kann, aber keinesfalls auf Mr. Spock und seine Freunde.

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Beitrag von Wallnuss » 02.09.2016, 01:15

Star Trek: Am Rande des Universums

Man kann dem deutschen Verleih manchmal nur für seinen Einfallsreichtum gratulieren: "Am Rande des Universums", so wurde der fünfte Kinofilm der beliebten "Star Trek"-Reihe (basierend auf der TV-Serie "Raumschiff Enterprise" aus den 60er Jahren) genannt, doch das Gegenteil wäre deutlich passender. In "The Final Frontier", wie der Film im Original heißt, stoßen Captain Kirk, Mr. Spock und die Crew des Raumschiffs Enterprise schließlich in den Mittelpunkt des Universums vor, um die Antwort darauf zu finden, wer wir sind und woher wir kommen. Der Captain machte es sich dabei gleich doppelt bequem, so übernahm William Shatner nicht nur wieder das Kommando über die Enterprise, sondern gab auch sein Regiedebüt. Und er erweist sich als wahrer Kenner eines Sci-Fi-Kosmos, der 1989 (zwei Jahre nach dem Start einer neuen TV-Serie namens "Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert") selbst längst zum Mythos geworden war und besinnt sich auf jene Floskel, die seit 1966 der Beginn jedes Enterprise-Abenteuers war: "To boldly go where no man has gone before"...

Doch dieses Mal ist jener Satz mehr als nur eine Floskel. Shatner bindet ihn in die Handlung ein und macht ihn gar zum Leitmotiv seiner Odyssee. Wie nie zuvor, steht bei "The Final Frontier" das Entdecken, das Erkunden im Vordergrund, sowohl im großen metaphilosophischen Sinne, wie auch im persönlichen. Damit ähnelt der Film dem Erstling der Reihe "The Motion Picture" teilweise frappierend (so kehrt Jerry Goldsmith als Filmkomponist zurück und liefert eine gewohnt ausgezeichnete Arbeit auf höchstem Niveau!) und auch das Script scheint strukturelle Ähnlichkeiten zu besitzen, doch tonal ist Shatner so weit von Robert Wise meditativer Irrfahrt entfernt wie nur möglich. Er setzt auf die Stärken der Originalserie von "Star Trek"-Schöpfer wie Gene Roddenberry und versucht, die gesamte Bandbreite dieser 79 Episoden zusammenzufassen. So gibt es die üblichen philosophischen und religiösen Metaphern und Diskussionen, aber auch actionreichere Passagen und ironischen Humor, der hier teils Gestalt einer Selbstironie annimmt, wenn ausgerechnet die Navigatoren Sulu und Chekov sich beim Landurlaub verlaufen oder das Traum-Trio Kirk, Pille und Spock gemeinsam beim Lagerfeuer sitzen, Marsh Melonen rösten und das berühmte Lied "Row row row your boat" zum besten geben. Der Humor in "The Final Frontier" ist oft etwas verspielt und voller Naivität, doch sitzt ihm das Herz am rechten Fleck und entfaltet sofort einen bezeichnend eigenwilligen Charme, der die Schwere der thematischen Motive der komplexen Handlung etwas entwaffnet und erst akzeptabel werden lässt. Besonders schön ist, dass Shatner auf eine Ego-Show seines Alter Egos Kirk verzichtete, sondern lieber die erwähnte Dreierkonstellation, welche in ihren Rollen mit schlafwandlerischer Souveränität agieren, vollends in den Fokus rückt und zum Dreh- und Angelpunkt des Scripts macht.

So ist "The Final Frontier" neben der Gott-Suche des vulkanischen religiösen Fundamentalisten und Sektenanführers Sybok (vortrefflich vielseitig gespielt von Laurence Luckinbill), der die Enterprise kurzerhand kapert, vor allem auch eine Geschichte über Familie und Freundschaft und was es bedeutet, seinen Platz im Universum zu finden. Sybok, der mit hypnotischen Fähigkeiten seinen zukünftigen Anhängern ihren größten Schmerz nimmt und so von jeder Angst kuriert, scheitert dabei nicht an der starken Mentalität des Helden-Trios oder deren Ideologie, sondern an deren tiefer emotionaler Verwurzelung zueinander. "Where no man has gone before" muss nicht heißen, Grenzen zu überqueren, sondern seine eigenen zu akzeptieren und mit ihnen umgehen zu können. Spielerisch leicht verwebt Shatner diese Ideen in einen temporeichen Mix aus lockerer Action, vielen ausführlichen und stets pointiert geschriebenen Charaktermomenten und intelligenter Spannungserzeugung, wobei ihm besonders sein beachtliches Auge für atmosphärische Landschaften zu Gute kommt. Das Opening ist derartig stimmungsvoll, dass es schon zu den Highlights der Reihe zählen dürfte, die Action in der kargen Wüstenstadt ist knackig und packend und auch im Finale auf dem Planeten Sha-Ka-Ree gelingt ihm eine teils furiose Bebilderung des zu erforschenden Gebiets. Höchst gelungen ist auch sein Spiel mit Farben und Licht, etwa in der Szene, wenn Spock und McCoy ihren größten Ängsten begegnen oder bei den prächtigen Panoramaaufnahmen des Yosemite Parks. Hier gestaltet sich oft mit weniger und simpeln Methoden ein gewaltiger mitreißender Effekt. A propos: Auch die oft gescholtenen Special Effects verdienen ein großes Lob. Mag das ganze aus technischer Sicht nicht die Klasse der Vorgänger erreichen, so ist es optisch schon sehr passend und ideal für den Film, besonders die Barriere rund um Sha-Ka-Ree sieht absolut fantastisch aus.

Was "The Final Frontier" dann aber wirklich zu einem der besten Filme der Reihe macht, ist sein ungezwungener, beinahe selbstverständlicher Umgang mit dem Thema "Gott" und Religion im Allgemeinen. Dass die Suche der Enterprise am Ende ein Stückweit ins Leere verlaufen muss, ist natürlich klar. Doch in der letzten halben Stunde kitzelt Shatner alles raus, was die Phrase "where no man has gone before" zu bieten hat. Mit nahezu unerträglicher Spannung entfesselt die Regie die Neugierde nach dem, was dort im Mittelpunkt der Galaxie zu finden sein wird und liefert eine Antwort, die viele unbefriedigt zurücklassen wird, im Kern aber nicht nur konsequent, sondern logisch und in ihrer interessanten Ausgestaltung faszinierend ist und durchaus sowohl atheistische als auch alttestamentarische Denkmuster übernimmt und in ein visuelles Gewand überträgt, gleichzeitig aber auch eindeutig formuliert, dass der Weg das Ziel ist und im Falle der Suche nach dem Sinn der Existenz und dem Schöpfer sogar das Ziel sein muss, während die Antwort selbst immer unbefrieidgend sein wird. Man klettert eben nur deshalb auf einen Berg, weil er da ist, weil er das mit seinem Dasein einfach herausfordert. So bleibt Gott selbst einem die Antwort am Ende womöglich schuldigt, eröffnet aber vielleicht die Erkenntnis, dass man von Anfang an die falsche Frage gestellt hat.

Fazit: "The Final Frontier" erweist sich als fulminante und packende Science Fiction der allerbesten Art, die gleichzeitig Herz wie Hirn herausfordert, mit einem interessanten Antagonisten aufwartet und visuell wie narrativ herausragende Passagen für Auge und Ohr beinhaltet, die den Geist der eigentlichen Idee hinter "Star Trek" so wunderbar auf den Punkt treffen wie nie zuvor und am Ende nur eine absolut herrlich einfallsreiche wie tiefschürfende Frage offenlässt: What does God need with a starship?

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Beitrag von SFI » 02.09.2016, 06:10

Stimme dir in vielen Punkten zu, auch wenn mich das VFX Desaster (Beispiel Shuttle Anflug) und Uhuras Tanzgebaren nicht zu solch großen Freudensprüngen animiert. :lol:
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Beitrag von Wallnuss » 02.09.2016, 10:38

SFI hat geschrieben:VFX Desaster
Ich muss alt werden: Mir ist da nichts desaströses aufgefallen. Finde, da gibt es viel schlimmere Effekte optisch und das könnte wirklich deutlich schlechter aussehen. Meinst du die Shuttlelandung in die Enterprise? Die fand ich sogar überraschend gut inszeniert. Alles in allem war ich optisch mit ST V vollkommen zufrieden, die Effekte haben da ohnehin eine hohe Zweckdienlichkeit und sind zumindest mir insgesamt gar nicht so wichtig. Es müssen ja nicht immer fette Shots wie bei Abrams oder Bay sein.

Die Uhura-Tanzszene fand ich sogar ganz amüsant, fällt für mich unter die Kategorie "gesteigerte Selbstironie" und macht in seiner naiven Absurdität richtig Spaß, zumal es doch schön ist, dass neben den vielen Altherren der Reihe auch die Ladys noch mal zum Zuge kommen dürfen. :wink:

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Beitrag von SFI » 02.09.2016, 17:07

Man muss sich nur den gerade einmal 2 Jahre jüngeren Nachfolger im Vergleich anschauen. Dahingehend wirkt Trek V für mich ziemlich B-lastig, ich meine mich auch zu erinnern, dass es erneut massive Probleme mit der VFX Schmiede gab. Wie dem auch sei, der beknackte und inkorrekte Beititel ist aber definitiv der größte Schwachpunkt am Film.
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Beitrag von Wallnuss » 02.09.2016, 18:23

Jep, die Effekte sind aus technischer Sicht mittelprächtig, aber ich bin eher ein Fan kluger Inszenierungen und von ansprechendem Design und beides liefert mir ST V definitiv vorzüglich und auf hohem Niveau, schwache Effekte stören mich nur dann, wenn sie wichtig für den Gesamtkontext des Films wären, was hier nicht der Fall ist oder im betreffenden Fall sehr ordentlich aussieht (die Barriere ist sehr cool, genau wie "Gott" am Ende).

Stimmt es eigentlich, dass ST V unter Trekkies nicht zum Kanon zählt?

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Beitrag von SFI » 03.09.2016, 06:12

Stimmt es eigentlich, dass ST V unter Trekkies nicht zum Kanon zählt?
Das höre ich zum ersten Mal, warum auch?
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Beitrag von Wallnuss » 03.09.2016, 15:05


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Beitrag von SFI » 03.09.2016, 15:17

Hatte ich so noch nie vernommen. Wieder etwas gelernt. :D Eine offizielle Quelle wäre mir aber dennoch lieber zumal man dazu bei memory-alpha im Trek V Artikel nichts findet.
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Beitrag von Wallnuss » 04.09.2016, 16:45

Der schwarze Falke

Es ist eines der einprägsamsten Openings in der Geschichte des Mediums: Aus der Dunkelheit heraus gefilmt öffnet sich die Tür der Edwards und die Kamera gewährt dem Zuschauer einen atemberaubenden Blick auf die unberührte Schönheit des Monument Valley sowie auf den einsamen Reiter, der aus der Wüste kommt und zu der idyllisch beisammen positionierten Familie stößt. Dieser Mann ist Ethan Edwards, ein ehemaliger Kämpfer der Konförderierten im Sezessionskrieg, der drei Jahre nach Kriegsende dorthin zurückkehrt, wo seine Ursprünge liegen, doch er wirkt seiner Familie und seiner Heimat entfremdet. Ethan Edwards, das ist eigentlich John Wayne, der Duke, die US-Ikone des Western-Genres, der strahlende Edelmann, der heroische und aufrechte Amerikaner, der in dieser Funktion gemeinsam mit Regielegende John Ford mit Beständigkeit in den 40er und 50er Jahren die Kinos füllte. Doch "Der schwarze Falke" von 1956 ist anders als die vorherigen Arbeiten dieses Duos und lässt die unbefleckte Romantik der prächtigen Landschaften schnell zum Sinnbild der weniger unschuldigen brutalen Entstehungsgeschichten der Vereinigten Staaten reifen.

Einen schwarzen Falken gibt es natürlich nur in der deutschen Synchronfassung. "The Searchers", wie der wesentlich treffendere Originaltitel lautet, handelt von Edwards Suche nach seiner entführten Nichte Debby, ist aber auch ein Film über Hass, Rassenfragen und die Werte der Zivilisation. Ford lässt keinen Zweifel daran, dass sein Protagonist ein grausamer Rassist ist, der in seinem blinden Hass gegen die Indianer eine selbstzerstörerische Odyssee wagt, und dabei so antisozial und blind zu Werke geht, dass sich zunehmend auch seine Mitstreiter von ihm entfernen. In einer der berühmtesten Szenen des Films, schießt Wayne einem toten Indianer in seine Augen, da dies nach dem Glauben der Komantschen den Toten den Einzug in die ewigen Jagdgründe verwehrt und die Seele ewig zwischen den Winden wandern lässt. Später wird er manisch und krankhaft affektiert unkontrolliert in eine Büffelherde schießen, um die Indianer um ihre Nahrungsquelle zu berauben. Worin die Gründe für seine (vom Duke brillant gespielte) wahnsinnige Wut und sein Extremverhalten liegen, geht "The Searchers" nicht auf den Grund, doch lässt der Film keinen Zweifel daran, dass Edwards mit der Kultur der verhassten "wilden" Komantschen durchaus vertraut ist und ihre Gepflogenheiten beinahe besser kennt, als die seiner eigenen zivilisierten Welt. Auf der Beerdigung seines Bruders und dessen Familie drängt er vor ungezügeltem Wahnsinn den Pfarrer zu einem vorzeitigen Amen und zögert auch nicht, eine Hochzeitsfeier ohne Rücksicht auf fremde Gefühle zu unterbrechen.

Gleichwohl reitet er mit dem vorzüglich agierenden Jeffrey Hunter als Martin Pawley, für den Edwards nur wenig Vertrauen übrig hat, da er zu einem Achtel von Indianern abstammt und das, obwohl es Edwards war, der Pawley einst als Neugeborenen vor dem sicheren Tod rettete. Diese psychologische Komponente der Erzählung führt unweigerlich dazu Fords düsteres Rachedrama glatt als Epos zu begreifen, erst recht, wenn die einmalig konzipierten Panoramaaufnahem des Monunmental Valley in ihrer Weite und Schönheit des Vistavision-Verfahrens wie eine gigantische Theaterkulisse anmuten, vor denen sich das menschliche Drama abspielt. Ford weiß, was er zeigen muss und wie er es zeigen muss, genauso wie er beweist, dass er ein fast noch besseres Gespür dafür hat, was nicht gezeigt werden muss. Die Gewalt in "The Searchers" ist omnipräsent, dreckig und schonungslos brutal, allerdings auf der Leinwand keinesfalls präsent. Die Brutalität ergibt sich ganz in der Imagination, und bekommt von der filmischen Gesaltung lediglich eine Vorarbeit, deren Effekt sich dann im Bewusstsein des Zuschauers ganz von selbst transzendieren muss, während der tiefe Einblick in die Seele des Protagonisten von der Landschaft gespiegelt wird, wenn auf die Leere der Prärie die Kälte und unwirkliche Dunkelheit beschneiter Berglandschaften folgt. "The Searchers" ist von Beginn an ein visueller Film, der auch als Stummfilm ganz ohne seine prätentiösen Dialoge funktioniert hätte.

Trotz des offen präsentierten Rassismus der Hauptfigur, der häufiger ein gespaltenes Seherlebnis fördert, sind sowohl der Film wie Waynes Charakter gleichermaßen eine für die damalige Zeit überraschend ambivalente Angelegenheit. Der Hass, den Edwards dem Häuptling Scar entgegenbringt, beruht letzten Endes auf unbestreitbarer Gegenseitigkeit. Scar verlor seine Kinder und sein Land durch die Hand des weißen Mannes, der keinen Respekt für seine Kultur aufbringen will. Scars Handlungen sind wie die Edwards beide reaktionär und diese lange herausgearbeitete Kontradiktion in der Beziehung zwischen Pro- und Antagonist eröffnen Fords Regie eine ganz neue Perspektive auf die Thematiken der Handlung, die plötzlich eine enorm kritische Haltung zur damaligen Zeit offenbaren und die größte Stärke des komplexen und erstaunlich actionreichen Abenteuerfilms sind. Gerade in dieser Hinsicht erweist sich Ford als so ausgiebig wie nie zuvor oder danach in seinem Schaffen als Filmemacher und arbeitet mit arg skurrilen Comic reliefs, setzt auf ausgedehnte (virtuos aufgezogene) Schießereien oder erzählt ganze überlangen Passagen in Rückblenden, die jahrelange Zeiträume überdauern. Es ist aber wohl den Umständen der Zeit anzurechnen, dass Ford seinen kritischen Genreweg nicht mit letzter Konsequenz zu Ende geht. Im letzten Viertel scheint sich der Film aus heutiger Sicht gar selbst zu persiflieren (etwa in einer arg Slapstick-lastigen Schlägerei) und verliert sich in viel zu hektischen und bei Betrachtung des Vorherigen bemerkenswert absurden abschließenden Ereignissen, denen gefühlt auch inszenatorisch die Aura der gedrungenen (aber nicht unverzeihlichen) Notwendigkeit anhaftet.

Fazit: Martin Scorsese, Steven Spielberg, David Lean, Francis Ford Coppola, John Milius und noch viele mehr können als Anhänger des Films gezählt werden und wenn Luke Skywalker in "Krieg der Sterne" seine tote Familie auf dem Wüstenplaneten Tattooine erblickt, zollt George Lucas der sehr ähnlich inszenierten Szene in "The Searchers" ganz eindeutig seinen Respekt. Der wahre Grund für die nachhaltige Bewunderung des Filmes ist aber Ethan Edwards, der bei aller Arroganz und Eitelkeit eine zutiefst tragische Figur ist, ein Mann, der gefangen ist, zwischen der Kultur, die er versteht, aber nicht akzeptieren kann und will und der, die er nicht versteht und die ihn nicht akzeptieren wird. Brillant also das Schlussbild, in dem er ganz allein zurück in die Wüste geht, aus der er am Anfang kam und die Tür, die sich am Anfang des Films für ihn geöffnet hat, hinter ihm ins Schloss fällt.

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Beitrag von Wallnuss » 11.09.2016, 13:11

Nerve

"Are you a watcher or a player?" - Vor diese Frage werden die Protagonisten in "Nerve" gestellt, als sie sich bei dem gleichnamigen Online-Videospiel anmelden. Entscheidet man sich mutig für den aktiven Part, den Player, wie es die frustrierte Vee, gespielt von Emma Roberts, tut, so erhält das Spiel Zugriff auf sämtliche Social Media Angaben, wie persönlichen Vorlieben, intimen Ängsten und all dem, was sonst noch so in den Untiefen von Instagram, Facebook, Snapchat und anderen Plattformen schlummert. Die Watcher können nun diese Kenntnisse nutzen, um den Playern verschiedene unangenehme Challenges zu stellen, welche diese sich selbst mit dem Smartphone abfilmend bestehen müssen, um reelle Dollar zu verdienen. Der Onlineruhm macht sich bezahlt, doch schnell artet "Nerve" in extreme Mutproben aus, denn gefährlichere Aufgaben bringen auch mehr Watcher und mehr Geld.

So simpel die Leitmotiv-ähnliche Frage "watcher or player?" auch gemeint sein mag, so zutreffend ist diese doch für die Generation Smartphone. Heute ist es leichter wie nie zuvor, immer am laufenden zu sein, sei dies über den Freund von Nebenan oder den angebeteten Star am anderen Ende der Welt. Wer online nichts zu bieten hat, verschwindet in der Bedeutungslosigkeit. So ist es heute einfacher denn je, ein Star zu werden - man denke an Internetberühmtheiten wie Dagi Bee, Gronkh oder PewDiePie -, doch um aus der Masse hervorzuragen, muss schnell zu härteren Maßnahmen gegriffen werden. Damit steht "Nerve" ganz klar im Zeichen einer dystopisch-angehauchten Gesellschaftsparabel, die sich überaus direkt und offen an die kritisierte Zielgruppe wendet. In den intensiven Neonfarben der schon lange nicht mehr so düster gezeichneten Metropole New York City entfaltet sich eine regelrechte Internet-Apokalypse, in welcher die Leben der Charaktere nur mehr zu Spielbällen ihrer Community werden. Die Regisseure Henry Joost & Ariel Schulman arbeiten dabei mit lauter visuellen Tricks, um das Ausmaß der digitalen Vernetzung begreifbar zu machen. Ständig poppen die Usernamen der "Nerve"-Spieler über der New Yorker Skyline auf, werden Skype-Gespräche und Chaträume in das Bild eingebunden und der Soundtrack ist eine einzige, bewusst nicht immer passende Ansammlung von modernen Indie-Pop-Songs, die wohl aus einer wahllos zusammen gesetzten Spotify-Playlist stammen könnten.

Klar ist, dass jene Mutproben das Zentrum von "Nerve" sind, inhaltlich wie dramaturgisch. In Zeiten der digitalen Geltungssucht und eitlen Selbstinszenierungen lassen sich auch heutige Online-Sternchen gerne auf die ein oder andere Mutprobe ein, ob nun im Umfang der berüchtigten Cinnamon Challenge oder mit dem gefährlichen Klettern auf extrem hohe Türme oder Kräne, wie im Film an einer Stelle zitiert. Vee und ihr von den Watchern auserkorener Gesell Ian müssen so etwa auf einer Leiter im neunten Stock von einem Fenster zum anderen klettern oder mit verbundenen Augen auf einem Motorrad durch die City jagen. All diese Momente leben besonders von ihren unbarmherzigen Assoziationen, die sie wecken und werden von der Regie auch bewusst Show-artig präsentiert, sodass sich der perverse voyeuristische Kult, der hier offensichtlich, aber nicht allzu plakativ moralisierend angeprangert wird, zwangsläufig auch beim Kinogänger einstellt. Die Spannung steigt zusätzlich durch die herrliche Chemie zwischen Roberts und ihrem Co-Star Dave Franco, die gemeinsam sehr gut und vor allem authentisch funktionieren und erfreulicherweise nicht ab einem gewissen Punkt das naiv-verliebte Pärchen protraitieren, sondern in ihren Neckereien wie ein übermütiger Flirt anmuten, dem man einen positiven Ausgang absolut gönnen würde, was die Fallhöhe im Lauf der Zeit enorm verstärkt. Großartig ist die Einfachheit, mit der Joost & Schulman die Handykameras der Player in ihren Film miteinbeziehen. Eine Sequenz dürfte schon jetzt zu den Highlights des Kinojahres 2016 zählen, als sich einer der Player auf die Schienen eines anfahrenden Zugs legt und ganz flach unter diesem verharrt, die Kamera immer ganz dicht am Mann. Im Kinosaal wird die Anspannung regelrecht greifbar, während man erwartet, dass gleich doch noch irgendetwas nach unten ausschert und den Irrsinn frühzeitig beendet - selten war Jugendkino so simpel und gleichzeitig effektiv damit.

Jugendkino ist ohnehin das Stichwort. Selbstredend ist "Nerve" seines Themas und seiner folgerichtigen Ausrichtung wegen auf junge Erwachsene zugeschnitten, sodass ältere Zuschauer zwangsläufig ein paar Abstriche werden machen müssen. Die Nebencharaktere sind reine Stereotypen (die besorgte Mutter mit Geldproblemen, der obligatorische treue Hacker-Genie-Kumpel, die extrovertierte beste Freundin) und trotz der durchaus vorhandenen Ansätze, bleibt der gesellschaftskritische Ansatz freilich ein Stückweit an der Dämonisierung von YouTube und Twitch Idolen kleben, wenngleich auch die Macht der Anonymität des Internets sowie die Abhängigkeit vom Rausch der schnellen Datenflut ein Thema sind. Wer hingegen eine schonungslose Abrechnung mit dem medialen Neoliberalismus des 21. Jahrhunderts erwartet, der könnte ein wenig enttäuscht sein. Dennoch ist das Anliegen von "Nerve" ein immens wichtiges und die Reduzierung auf einige Kernproblematiken in leicht verständlicher Parabel-Erzählung deshalb so relevant, weil die Botschaft damit bei denen ankommt, für die sie bestimmt ist und für die Generation, die es letztendlich am allermeisten betrifft. Damit schafft "Nerve" über weite Strecken ein nicht zu unterschätzendes Stück Aufklärarbeit und ist dabei auch noch ein gekonnt überzeugender Thriller. Leider sind jedoch auch mit Welpenschutz die letzten 20 Minuten erschreckend dämlich und einfallslos. So löst sich Dystopie in allgemeines Wohlgefallen und verkommt zum modernen Gladiatoren-Getümmel, welches dann auch noch allzu süßlich auflösend den moralischen Zeigefinger in neue Höhen hebt. Dass der Film vor diesem inkonsequenten Verrat an sich selbst kurzzeitig sogar ein viel besseres Ende andeutet, macht diesen Umstand umso schmerzlicher.

Fazit: "Nerve" weiß als gekonnte gesellschaftskritische Science-Fiction-Adaption moderner Social Media Phänomene zu überzeugen, die sich in ihrem schlüssigen Bedrohungsszenario allerhöchstens 10 oder 15 Minuten in der Zukunft befindet. Besonders pikant bleiben dabei die Momente in Erinnerung, in denen die Watcher dem charmanten Protagonisten-Pärchen wie wild mit dem Smartphone vor den Augen hinterher jagen und dabei im Hinblick auf die kurz vor Kinostart veröffentlichte App "Pokémon Go", bei der die User in der Realität mit dem Handy virtuellen japanischen Taschenmonstern nachlaufen, eine erschreckende Aktualität beweist.

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Beitrag von StS » 11.09.2016, 16:47

"Nerve" will ich mir auf jeden Fall auch noch anschauen. :D

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Beitrag von Wallnuss » 11.09.2016, 18:52

StS hat geschrieben:"Nerve" will ich mir auf jeden Fall auch noch anschauen.
Ich bin gestern sehr spontan drin gelandet. Ich hatte einfach mal wieder Lust auf Kino, aber keine genaue Idee, was ich sehen möchte und habe dann am Ende zu Gunsten des Wochenendes mich entschieden, den kürzesten Film zu schauen, der im Kino meiner Wahl derweil über die Leinwände flimmert. Und das war eben dann "Nerve". Daher hatte ich auch überhaupt gar keine Ahnung, worum es in dem Film geht, ich hatte keinen Trailer gesehen (- und bekanntlich sind das die besten Kinobesuche) etc. Aber letzten Endes war ich dann doch ganz froh, diesen Film erwischt zu haben, auch wenn er an vielen Stellen noch erwachsener und mutiger/konsequenter hätte sein dürfen, aber das ist dann wie immer schon Meckern auf hohem Niveau! Ich würde sagen, wenn einem das Thema generell interessiert, dann wird man sicher seinen Spaß mit "Nerve" haben.

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