Filmtagebuch: Wallnuss
Moderator: SFI
Seit Star Wars I-III ist doch klar, dass man Star Wars IV-VI nicht mehr wiederholen kann. Die Magie werden die nie wieder einfangen können. Meine Erwartungen sind seitdem ähnlich wie die an Marvelfilme: Leichtes Popcorn-Kino und tendenziell eher von durchschnittlicher Qualität, wobei ab und zu mal ein Glückstreffer möglich sein könnte.
Wer hat dem Affen die Seele geklaut?
Kong: Skull Island
Alle wollen ein Cinematic Universe! So sieht das Blockbuster-Kino im 21. Jahrhundert aus. Eine einfache Geschichte über maximal 1-3 Filme zu erzählen reicht dabei lange nicht mehr aus. Jedes Produktionsstudio will seine eigene Welt, in der verschiedene Charaktere bei Belieben clashen oder solo agieren können. Marvel Studios hat es vorgemacht, da keuchen und fleuchen sämtliche bunt gekleidete Superhelden der modernen Popkultur durch die unterschiedlich stark verzahnten Filme - bis auf die, deren Rechte nicht Marvel gehören. Die sind dafür im DC-Universe vertreten. Selbst "Star Wars" setzt längst auf Spin-offs, Prequels und sonstige Erweiterungen ihres Filmuniversums. Und Legendary Entertainment? Bei denen darf es noch eine Nummer größer sein. In "Kong: Skull Island" feiert Riesenaffe King Kong sein Leinwandcomeback. Franchisetauglich heldenhaft, mit weißer Frau, aber dafür ohne Empire State Building.
Regisseur Jordan Vogt-Roberts nähert sich dem Kong-Mythos dabei anders als seine filmischen Vorgänger. Von der Romantik und mystischen Aura der originalen King Kong Geschichte ist hier nichts zu spüren. Sämtliche Auftritte des Riesenaffen geraten zur Machtdemonstration. Einmal für Kong selbst, der als König der titelgebenden Insel eine gottgleich allmächtige Präsenz erhält und außerdem für die Macher des Films, die eine wahnwitzige Effekt-Schau nach allen Mitteln moderner Filmkunst präsentieren. Der Monster-Clash, denn Kong muss sich hier mit allerlei anderen Echsen-haften Viechern kloppen, wird in bildgewaltigen Dimensionen eingefangen. Die beste Entscheidung von Vogt-Roberts ist es, von Anfang an mit offenen Karten zu spielen. Schnell bekennt sich der Film zu seinen Trash- und Exploitation-Wurzeln und überrascht mit einer unkomplizierten Pulp-Attitüde, die gar nicht erst versucht, dem Treiben auf der Leinwand eine höhere filmische Komplexität zu geben. Auch verzichtet er auf das Klischee, die Enthüllung des Monsters möglichst lange hinaus zu zögern - bei einer seit 1933 in der Popkultur verankerten Schöpfung wäre dies auch recht unsinnig gewesen. Was der Titel verspricht, liefert der Film schnell: Und Kong, der in "Skull Island" selbst so groß wie die Wolkenkratzer ist, auf die er in der Originalgeschichte klettert, hat definitiv noch nie besser ausgesehen.
Doch natürlich kann kein Monsterfilm ohne menschliche Handlungsträger, die nicht selten zu eindimensionalen Pappkameraden geraten. "Kong: Skull Island" scheint dies zu vermeiden, wenn im Vorspann von so exquisiten Darstellern wie John C. Reilly, Tom Hiddleston, John Goodman oder Samuel L. Jackson die Rede ist. Leider bleiben diese Hoffnungen unerfüllt. Die meisten gesichtslosen Nebenfiguren sind bloßes Kanonenfutter, während die Großennamen im Autopilot vor sich hin spielen. Hiddleston kann den Film trotz Leinwandpräsenz nicht tragen, Goodman und Reilly haben erschreckend wenig zu tun und dienen als Erklärbären, während Vielfilmer Jackson eine lustlose Ahab-Interpretation gibt. Einzig Brie Larson als Kriegsfotografin weiß etwas natürlichen Charme zu versprühen, dennoch wird jede längere Dialogszene davon überschattet, dass hier den Monstern die Show gehört. Ein gelungener Einfall war, die Geschichte in das Jahr 1973 zu verlegen und aus den Protagonisten Vietnam-Krieger zu machen. So versteht Vogt-Roberts seinen Film als Metapher auf den verlorenen Krieg, wenn die Soldaten auf fremden Gebiet von den überlegenen Kreaturen überrannt werden und gefällt sich besonders am Anfang mit einer Reihe an Hommage-Szenen an 70er Jahre Filmklassiker, die in ihrer Häufigkeit (speziell bei Francis-Ford-Coppola-Zitaten) schnell etwas zu penetrant werden. Auch Henry Jackman liefert einen stark an 70er Kriegsfilmen orientierten Score, der nur zum Ende hin zu etwas zu seelenlosem Blockbuster-Einheitsbrei verkommt.
Um 118 Minuten ordentlich Leinwand-Remmidemmi zu liefern, zieht Vogt-Roberts zu dem sämtliche visuelle Register, von Vertigo-Shots über Plansequenzen bis hin zur Videospiel-gerechten Subjektiven, all das in zeitgemäß moderner Gelbstich-Colorgrading-Ästhetik. Verschleiern kann das trotz angenehmer Kurzweiligkeit kaum, dass hier allzu laut und allzu kalkuliert filmische Resteverwertung betrieben wird. Der Kong-Mythos wird auf seine Schauwerte ausgeschlachtet, muss sich aber im Sinne der Franchise-Pläne zurückhaltend ernst nehmen. Als dreckiges B-Movie hätte das "Skull Island"-Format sein Potenzial gehabt, doch bei aller Formelhaftigkeit erinnert dieses Abenteuer viel zu sehr daran, dass die Macher während der Dreharbeiten wohl schon die nächsten Filme im Kopf hatten. Das menschliche Personal ist am Ende glatt so egal, dass mehrere unnötig aufgestellte Subplots erwartbar ins Leere laufen, um die Trickschlacht nicht zu stören. Das anfangs etablierte Vietnam-Feeling (unterstützt durch unumgängliche Songs wie "Run Through The Jungle" von Creedance Clearwater Revival) oder die frech gezogenen politischen Parallelen zwischen der Nixon- und Trump-Politik nimmt man im Nachhinein lieber nicht für voll, und wer in der generischen Starrheit des Handlungsverlaufs Zeit hat, die bedeutungslos eingeführte Figur der chinesischen Star-Schauspielerin Jing Tian zu hinterfragen, findet die Begründung in der Kompatibilität für den immer wichtiger werdenden asiatischen Markt. "Kong: Skull Island" ist so nicht ganz unfreiwillig ein Sinnbild für das moderne Massenkino 2017: Nicht bloß profitorientiert, sondern auch stets Wegbereiter für den immer gleich gestalteten Nachschlag.
Fazit: Nichts am Neuaufguss des monströsen Affenkönigs ist wirklich schlecht. Im Gegenteil: Jordan Vogt-Roberts weiß, was die Zuschauer bei einem Film über einen wütenden Riesenaffen sehen wollen und liefert ihnen auf unterhaltsame Weise genau das. Problematisch ist, dass das für sich nicht ausreichen darf. Im Sinne des geplanten MonsterVerse braucht es die großen Verknüpfungen und Expositionen, alles muss voll gefüllt mit Andeutungen sein. So fühlt sich der eigentliche Plot um die spärlich charakterisierten Protagonisten, die nicht mal das Prädikat zweckdienlich erfüllen, nur als Mittel zum Zweck an. Natürlich folgt auch nach dem Abspann gemäß der Marvel-Mechanismen noch eine Sequenz, die sich wie eine Amazon-Kundenempfehlung anfühlt: "Wenn ihnen "Kong" gefallen hat, gucken sie bitte auch unsere nächsten Monsterfilme." Dem König der Affen selbst hätte "Skull Island" sicher gut gefallen, immerhin ist hier sämtliches Treiben trotz handwerklicher Perfektion letztlich reichlich Banane.
Alle wollen ein Cinematic Universe! So sieht das Blockbuster-Kino im 21. Jahrhundert aus. Eine einfache Geschichte über maximal 1-3 Filme zu erzählen reicht dabei lange nicht mehr aus. Jedes Produktionsstudio will seine eigene Welt, in der verschiedene Charaktere bei Belieben clashen oder solo agieren können. Marvel Studios hat es vorgemacht, da keuchen und fleuchen sämtliche bunt gekleidete Superhelden der modernen Popkultur durch die unterschiedlich stark verzahnten Filme - bis auf die, deren Rechte nicht Marvel gehören. Die sind dafür im DC-Universe vertreten. Selbst "Star Wars" setzt längst auf Spin-offs, Prequels und sonstige Erweiterungen ihres Filmuniversums. Und Legendary Entertainment? Bei denen darf es noch eine Nummer größer sein. In "Kong: Skull Island" feiert Riesenaffe King Kong sein Leinwandcomeback. Franchisetauglich heldenhaft, mit weißer Frau, aber dafür ohne Empire State Building.
Regisseur Jordan Vogt-Roberts nähert sich dem Kong-Mythos dabei anders als seine filmischen Vorgänger. Von der Romantik und mystischen Aura der originalen King Kong Geschichte ist hier nichts zu spüren. Sämtliche Auftritte des Riesenaffen geraten zur Machtdemonstration. Einmal für Kong selbst, der als König der titelgebenden Insel eine gottgleich allmächtige Präsenz erhält und außerdem für die Macher des Films, die eine wahnwitzige Effekt-Schau nach allen Mitteln moderner Filmkunst präsentieren. Der Monster-Clash, denn Kong muss sich hier mit allerlei anderen Echsen-haften Viechern kloppen, wird in bildgewaltigen Dimensionen eingefangen. Die beste Entscheidung von Vogt-Roberts ist es, von Anfang an mit offenen Karten zu spielen. Schnell bekennt sich der Film zu seinen Trash- und Exploitation-Wurzeln und überrascht mit einer unkomplizierten Pulp-Attitüde, die gar nicht erst versucht, dem Treiben auf der Leinwand eine höhere filmische Komplexität zu geben. Auch verzichtet er auf das Klischee, die Enthüllung des Monsters möglichst lange hinaus zu zögern - bei einer seit 1933 in der Popkultur verankerten Schöpfung wäre dies auch recht unsinnig gewesen. Was der Titel verspricht, liefert der Film schnell: Und Kong, der in "Skull Island" selbst so groß wie die Wolkenkratzer ist, auf die er in der Originalgeschichte klettert, hat definitiv noch nie besser ausgesehen.
Doch natürlich kann kein Monsterfilm ohne menschliche Handlungsträger, die nicht selten zu eindimensionalen Pappkameraden geraten. "Kong: Skull Island" scheint dies zu vermeiden, wenn im Vorspann von so exquisiten Darstellern wie John C. Reilly, Tom Hiddleston, John Goodman oder Samuel L. Jackson die Rede ist. Leider bleiben diese Hoffnungen unerfüllt. Die meisten gesichtslosen Nebenfiguren sind bloßes Kanonenfutter, während die Großennamen im Autopilot vor sich hin spielen. Hiddleston kann den Film trotz Leinwandpräsenz nicht tragen, Goodman und Reilly haben erschreckend wenig zu tun und dienen als Erklärbären, während Vielfilmer Jackson eine lustlose Ahab-Interpretation gibt. Einzig Brie Larson als Kriegsfotografin weiß etwas natürlichen Charme zu versprühen, dennoch wird jede längere Dialogszene davon überschattet, dass hier den Monstern die Show gehört. Ein gelungener Einfall war, die Geschichte in das Jahr 1973 zu verlegen und aus den Protagonisten Vietnam-Krieger zu machen. So versteht Vogt-Roberts seinen Film als Metapher auf den verlorenen Krieg, wenn die Soldaten auf fremden Gebiet von den überlegenen Kreaturen überrannt werden und gefällt sich besonders am Anfang mit einer Reihe an Hommage-Szenen an 70er Jahre Filmklassiker, die in ihrer Häufigkeit (speziell bei Francis-Ford-Coppola-Zitaten) schnell etwas zu penetrant werden. Auch Henry Jackman liefert einen stark an 70er Kriegsfilmen orientierten Score, der nur zum Ende hin zu etwas zu seelenlosem Blockbuster-Einheitsbrei verkommt.
Um 118 Minuten ordentlich Leinwand-Remmidemmi zu liefern, zieht Vogt-Roberts zu dem sämtliche visuelle Register, von Vertigo-Shots über Plansequenzen bis hin zur Videospiel-gerechten Subjektiven, all das in zeitgemäß moderner Gelbstich-Colorgrading-Ästhetik. Verschleiern kann das trotz angenehmer Kurzweiligkeit kaum, dass hier allzu laut und allzu kalkuliert filmische Resteverwertung betrieben wird. Der Kong-Mythos wird auf seine Schauwerte ausgeschlachtet, muss sich aber im Sinne der Franchise-Pläne zurückhaltend ernst nehmen. Als dreckiges B-Movie hätte das "Skull Island"-Format sein Potenzial gehabt, doch bei aller Formelhaftigkeit erinnert dieses Abenteuer viel zu sehr daran, dass die Macher während der Dreharbeiten wohl schon die nächsten Filme im Kopf hatten. Das menschliche Personal ist am Ende glatt so egal, dass mehrere unnötig aufgestellte Subplots erwartbar ins Leere laufen, um die Trickschlacht nicht zu stören. Das anfangs etablierte Vietnam-Feeling (unterstützt durch unumgängliche Songs wie "Run Through The Jungle" von Creedance Clearwater Revival) oder die frech gezogenen politischen Parallelen zwischen der Nixon- und Trump-Politik nimmt man im Nachhinein lieber nicht für voll, und wer in der generischen Starrheit des Handlungsverlaufs Zeit hat, die bedeutungslos eingeführte Figur der chinesischen Star-Schauspielerin Jing Tian zu hinterfragen, findet die Begründung in der Kompatibilität für den immer wichtiger werdenden asiatischen Markt. "Kong: Skull Island" ist so nicht ganz unfreiwillig ein Sinnbild für das moderne Massenkino 2017: Nicht bloß profitorientiert, sondern auch stets Wegbereiter für den immer gleich gestalteten Nachschlag.
Fazit: Nichts am Neuaufguss des monströsen Affenkönigs ist wirklich schlecht. Im Gegenteil: Jordan Vogt-Roberts weiß, was die Zuschauer bei einem Film über einen wütenden Riesenaffen sehen wollen und liefert ihnen auf unterhaltsame Weise genau das. Problematisch ist, dass das für sich nicht ausreichen darf. Im Sinne des geplanten MonsterVerse braucht es die großen Verknüpfungen und Expositionen, alles muss voll gefüllt mit Andeutungen sein. So fühlt sich der eigentliche Plot um die spärlich charakterisierten Protagonisten, die nicht mal das Prädikat zweckdienlich erfüllen, nur als Mittel zum Zweck an. Natürlich folgt auch nach dem Abspann gemäß der Marvel-Mechanismen noch eine Sequenz, die sich wie eine Amazon-Kundenempfehlung anfühlt: "Wenn ihnen "Kong" gefallen hat, gucken sie bitte auch unsere nächsten Monsterfilme." Dem König der Affen selbst hätte "Skull Island" sicher gut gefallen, immerhin ist hier sämtliches Treiben trotz handwerklicher Perfektion letztlich reichlich Banane.
Liebling, ich habe wieder den Avenger geschrumpft!
Ant-Man and the Wasp
Normalerweise gilt für Blockbuster-Fortsetzungen ein simples Prinzip: Alles muss eine Spur größer und eine Spur schneller präsentiert werden, um dem Publikum eine Steigerung zu verkaufen. Für Superheldenfilme heißt das zumeist eines: Wurde der Held im Vorgänger von einem Schurken herausgefordert, müssen nun mindestens zwei gegen ihn antreten - und wer die volle Steigerungsdröhnung will, der stellt dem Helden noch einen Sidekick zur Seite. Einen solchen deutete Regisseur Peyton Reed am Ende seines Marvel-Abenteuers "Ant-Man" bereits an, als Hope van Dyne, das Love-Interest von Scott Lang, ihren eigenen Anzug erhielt. Doch es ist nicht nur den Schrumpffähigkeiten der beiden Helden zu verantworten, dass sich ihr gemeinsamer Auftritt als "Ant-Man and the Wasp" eher eine Nummer kleiner als eine Nummer größer anfühlt.
Ursprünglich hätte Regie-Genie Edgar Wright 2015 beim "Ant-Man"-Erstling die Zügel in der Hand halten sollen, doch kreative Differenzen mit Marvel führten zur Übernahme durch Peyton Reed. Dennoch war Wrights DNA bis zum Schluss spürbar, nur die penetrante Eingliederung in das "Marvel Cinematic Universe" (bestehend aus den Abenteuern von "Iron Man", den "Guardians of the Galaxy", "Thor" etc.) wollte nicht ins Bild passen. Der Nachfolger muss nun auf eigenen Beinen stehen - und Reed wählt für seine Fortsetzung den größtmöglichen Kontrast zum nur drei Monate vorher im Kino gestarteten Marvel-Epos "Avengers: Infinity War". Stand im Großevent noch das Schicksal des Universums auf dem Spiel, zeigt "Ant-Man and the Wasp" reduziertes Spektakel. Der Ansatz passt zur Hauptfigur: Scott Lang ist ein verklärter Romantiker und ein verträumter Vater, keine lässig-coole Type. Unweigerlich muss man sich fragen, warum letztlich ganze fünf Drehbuchautoren (u.a. Hauptdarsteller Paul Rudd) benötigt wurden, um den dünnen Plot zu schreiben, bei dem das Trio Scott, Hope und ihr Vater Hank versuchen, ihr Equipment gegen verschiedene Schurkenparteien zurück zu erkämpfen. Die Geschichte ist gar so brav und familiär angelegt, dass die notwendigen Action-Konfrontationen im Mittel- und Schlussteil wie ein Klotz am Bein wirken, nur dazu da, um die Konfliktlösung noch etwas länger zu verschieben und in die Länge zu ziehen.
Den lobenswerten Ansatz, sich vom Gigantismus anderer Marvel-Filme abzusetzen, jedoch mal beiseite geschoben, hat "Ant-Man and the Wasp" wenig zu bieten, um den Kauf einer Eintrittskarte zu rechtfertigen. Die Geschichte ist gar so tiefenentspannt erzählt, dass keinerlei Spannung aufkommt. Dafür ist die Stimmung zu luftig, das Ambiente zu harmlos und Walton Goggins als grimassierender Schurke, der direkt aus einer 80er Jahre Sitcom importiert sein könnte, kann und soll als Gegenpol gar nicht funktionierend. Reed verzichtet auf eine eigene Note, und integriert eher die auswendig gelernten Marvel-Paradigmen, setzt auf Schnellfeuerdialoge, Querverweise aufs eigene Filmuniversum (wenngleich der eigentliche Filmplot davon unangetastet bleibt) und hat auf Abruf noch eine zweite Schurkin namens Ghost parat, die zwar einerseits durch Wände gehen kann, während andererseits aber der Screentime-Anteil der Darstellerin Hannah John-Kamen zu Gunsten der seichten Familienunterhaltung eher spärlich ausfällt und ihr eigenes persönliches Dilemma binnen weniger Sekunden aufgelöst wird. Eine dramatische Fallhöhe sucht der Plot nicht und nutzt längere Erklärbär-Szenen hauptsächlich als Möglichkeit für den Zuschauer, sich noch einen Eimer Popcorn zu kaufen. Auch die Besetzung ist Opfer der biederen amerikanischen Durchschnittlichkeit. Paul Rudd spielt wie zuvor nur sich selbst, Michael Douglas knurrt sich mürrisch durch den Film, und die Neueinsteiger Laurence Fishburne und Michelle Pfeiffer wirken wie bestellt und nicht abgeholt, während einzig Evangeline Lilly als erste titelgebende Marvel-Heldin "Wasp" ein wenig Spielfreude und feministisches Engagement in der Männerdomäne des Superheldenkinos zeigt, aber keine echte Chemie mit Rudd auf der Leinwand entwickeln kann.
Die Harmlosigkeit des Films wäre gar kein allzu großes Problem, wenn Peyton Reed wenigstens ein ordentliches Pacing vorzuweisen hätte. Leider jedoch ist gerade das Tempo der einzelnen Sequenzen unausgegoren. Besonders schmerz zudem, dass Reed aus den variierenden Größenverhältnissen seiner Helden optisch nichts herauszuholen weiß. Sowohl der MacGuffin als auch Helden und Widersacher werden auf unterschiedlichste Weise vergrößert, verkleinert oder auseinander gezerrt, doch es misslingt, durch die Kamera ein Gefühl von Plastizität zu verleihen. Zu selten setzt die Regie auf Totalen oder interessante Vogelperspektiven, fast nie verlässt die Kamera ihre Subjektive und bleibt auf Distanz zum Schrumpfvorgang. Hier zeigt sich am allerdeutlichsten das Fehlen von Edgar Wright: Hatte der viele der Actionszenen für den Vorgänger bereits vorgeplant, fallen seine kreativen Ideen für die Fortsetzung weg und nicht selten wirken die irrwitzigen Gefechte, in denen Salzstreuer zu riesigen Waffen gemacht werden, wie ein platter Abklatsch des ersten Teils. Gerade eine eigenständige Visualisierung des Größer- und Kleinerwerdens hätte den ordentlich getricksten Autoverfolgungsjagden einen interessanten Kniff verliehen, und das Spiel mit Waschen und Verkleinern reizvoll werden lassen können. Erst ein später Ausflug ins Surreale weiß optisch zu begeistern und weckt mit seiner leicht trashigen Attitüde Erinnerung an alte Sci-Fi-Serials. Etwas mehr hiervon hätte gut getan, "Ant-Man and the Wasp" als das immerhin 20. Abenteuer aus dem Marvel-Universum zu etwas besonderem werden zu lassen.
Fazit: Bescheidenheit war bislang sicher keine Marvel-Stärke. Für einen entspannten Kinoausflug mit der Familie mag "Ant-Man and the Wasp" daher deutlich geeigneter sein als viele seiner Vorgänger. Das ändert allerdings wenig daran, dass die deutlich zu lang geratene Veranstaltung für Comic-Nerds ihr eigentliches Ziel verfehlt: Statt dem Biedermeier, dem Jedermann (in Gestalt von Scott Lang) ein ironisches Heldendenkmal zu setzen, verendet die Dramaturgie in Baukasten-Schemata und seichter Belanglosigkeit. Für den Moment mag das reichen und ist gerade so kurzweilig genug, auf lange Sicht gesehen fehlt den kleinen Helden aber doch das große Alleinstellungsmerkmal, sodass sich der Film nach dem Abspann ähnlich wie Schurkin Ghost ins Nichts auflöst.
Normalerweise gilt für Blockbuster-Fortsetzungen ein simples Prinzip: Alles muss eine Spur größer und eine Spur schneller präsentiert werden, um dem Publikum eine Steigerung zu verkaufen. Für Superheldenfilme heißt das zumeist eines: Wurde der Held im Vorgänger von einem Schurken herausgefordert, müssen nun mindestens zwei gegen ihn antreten - und wer die volle Steigerungsdröhnung will, der stellt dem Helden noch einen Sidekick zur Seite. Einen solchen deutete Regisseur Peyton Reed am Ende seines Marvel-Abenteuers "Ant-Man" bereits an, als Hope van Dyne, das Love-Interest von Scott Lang, ihren eigenen Anzug erhielt. Doch es ist nicht nur den Schrumpffähigkeiten der beiden Helden zu verantworten, dass sich ihr gemeinsamer Auftritt als "Ant-Man and the Wasp" eher eine Nummer kleiner als eine Nummer größer anfühlt.
Ursprünglich hätte Regie-Genie Edgar Wright 2015 beim "Ant-Man"-Erstling die Zügel in der Hand halten sollen, doch kreative Differenzen mit Marvel führten zur Übernahme durch Peyton Reed. Dennoch war Wrights DNA bis zum Schluss spürbar, nur die penetrante Eingliederung in das "Marvel Cinematic Universe" (bestehend aus den Abenteuern von "Iron Man", den "Guardians of the Galaxy", "Thor" etc.) wollte nicht ins Bild passen. Der Nachfolger muss nun auf eigenen Beinen stehen - und Reed wählt für seine Fortsetzung den größtmöglichen Kontrast zum nur drei Monate vorher im Kino gestarteten Marvel-Epos "Avengers: Infinity War". Stand im Großevent noch das Schicksal des Universums auf dem Spiel, zeigt "Ant-Man and the Wasp" reduziertes Spektakel. Der Ansatz passt zur Hauptfigur: Scott Lang ist ein verklärter Romantiker und ein verträumter Vater, keine lässig-coole Type. Unweigerlich muss man sich fragen, warum letztlich ganze fünf Drehbuchautoren (u.a. Hauptdarsteller Paul Rudd) benötigt wurden, um den dünnen Plot zu schreiben, bei dem das Trio Scott, Hope und ihr Vater Hank versuchen, ihr Equipment gegen verschiedene Schurkenparteien zurück zu erkämpfen. Die Geschichte ist gar so brav und familiär angelegt, dass die notwendigen Action-Konfrontationen im Mittel- und Schlussteil wie ein Klotz am Bein wirken, nur dazu da, um die Konfliktlösung noch etwas länger zu verschieben und in die Länge zu ziehen.
Den lobenswerten Ansatz, sich vom Gigantismus anderer Marvel-Filme abzusetzen, jedoch mal beiseite geschoben, hat "Ant-Man and the Wasp" wenig zu bieten, um den Kauf einer Eintrittskarte zu rechtfertigen. Die Geschichte ist gar so tiefenentspannt erzählt, dass keinerlei Spannung aufkommt. Dafür ist die Stimmung zu luftig, das Ambiente zu harmlos und Walton Goggins als grimassierender Schurke, der direkt aus einer 80er Jahre Sitcom importiert sein könnte, kann und soll als Gegenpol gar nicht funktionierend. Reed verzichtet auf eine eigene Note, und integriert eher die auswendig gelernten Marvel-Paradigmen, setzt auf Schnellfeuerdialoge, Querverweise aufs eigene Filmuniversum (wenngleich der eigentliche Filmplot davon unangetastet bleibt) und hat auf Abruf noch eine zweite Schurkin namens Ghost parat, die zwar einerseits durch Wände gehen kann, während andererseits aber der Screentime-Anteil der Darstellerin Hannah John-Kamen zu Gunsten der seichten Familienunterhaltung eher spärlich ausfällt und ihr eigenes persönliches Dilemma binnen weniger Sekunden aufgelöst wird. Eine dramatische Fallhöhe sucht der Plot nicht und nutzt längere Erklärbär-Szenen hauptsächlich als Möglichkeit für den Zuschauer, sich noch einen Eimer Popcorn zu kaufen. Auch die Besetzung ist Opfer der biederen amerikanischen Durchschnittlichkeit. Paul Rudd spielt wie zuvor nur sich selbst, Michael Douglas knurrt sich mürrisch durch den Film, und die Neueinsteiger Laurence Fishburne und Michelle Pfeiffer wirken wie bestellt und nicht abgeholt, während einzig Evangeline Lilly als erste titelgebende Marvel-Heldin "Wasp" ein wenig Spielfreude und feministisches Engagement in der Männerdomäne des Superheldenkinos zeigt, aber keine echte Chemie mit Rudd auf der Leinwand entwickeln kann.
Die Harmlosigkeit des Films wäre gar kein allzu großes Problem, wenn Peyton Reed wenigstens ein ordentliches Pacing vorzuweisen hätte. Leider jedoch ist gerade das Tempo der einzelnen Sequenzen unausgegoren. Besonders schmerz zudem, dass Reed aus den variierenden Größenverhältnissen seiner Helden optisch nichts herauszuholen weiß. Sowohl der MacGuffin als auch Helden und Widersacher werden auf unterschiedlichste Weise vergrößert, verkleinert oder auseinander gezerrt, doch es misslingt, durch die Kamera ein Gefühl von Plastizität zu verleihen. Zu selten setzt die Regie auf Totalen oder interessante Vogelperspektiven, fast nie verlässt die Kamera ihre Subjektive und bleibt auf Distanz zum Schrumpfvorgang. Hier zeigt sich am allerdeutlichsten das Fehlen von Edgar Wright: Hatte der viele der Actionszenen für den Vorgänger bereits vorgeplant, fallen seine kreativen Ideen für die Fortsetzung weg und nicht selten wirken die irrwitzigen Gefechte, in denen Salzstreuer zu riesigen Waffen gemacht werden, wie ein platter Abklatsch des ersten Teils. Gerade eine eigenständige Visualisierung des Größer- und Kleinerwerdens hätte den ordentlich getricksten Autoverfolgungsjagden einen interessanten Kniff verliehen, und das Spiel mit Waschen und Verkleinern reizvoll werden lassen können. Erst ein später Ausflug ins Surreale weiß optisch zu begeistern und weckt mit seiner leicht trashigen Attitüde Erinnerung an alte Sci-Fi-Serials. Etwas mehr hiervon hätte gut getan, "Ant-Man and the Wasp" als das immerhin 20. Abenteuer aus dem Marvel-Universum zu etwas besonderem werden zu lassen.
Fazit: Bescheidenheit war bislang sicher keine Marvel-Stärke. Für einen entspannten Kinoausflug mit der Familie mag "Ant-Man and the Wasp" daher deutlich geeigneter sein als viele seiner Vorgänger. Das ändert allerdings wenig daran, dass die deutlich zu lang geratene Veranstaltung für Comic-Nerds ihr eigentliches Ziel verfehlt: Statt dem Biedermeier, dem Jedermann (in Gestalt von Scott Lang) ein ironisches Heldendenkmal zu setzen, verendet die Dramaturgie in Baukasten-Schemata und seichter Belanglosigkeit. Für den Moment mag das reichen und ist gerade so kurzweilig genug, auf lange Sicht gesehen fehlt den kleinen Helden aber doch das große Alleinstellungsmerkmal, sodass sich der Film nach dem Abspann ähnlich wie Schurkin Ghost ins Nichts auflöst.
Murphy hat recht: Was misslingen kann, wird auch misslingen!
The Killing - Die Rechnung ging nicht auf
"Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen." - Es ist nicht klar, ob Regisseur Stanley Kubrick jenes Zitat des französischen Philosophen Blaise Pascal kannte, als er die Dreharbeiten zu "The Killing" begann. Feststeht aber, dass jener Satz kaum eine bessere filmische Entsprechung hätte finden können, als in Kubricks Adaption des Romans "Clean Break" von Lionel White. In nur 84 Minuten erzählt "The Killing" von einem Heist und der Gruppe Kleinkrimineller, die ihn ausführen wollen. Doch wie der deutsche Titel "Die Rechnung ging nicht auf" bereits verrät, ist Kubricks Thriller-Meilenstein ein Film über unerfüllte Träume, berechtigte Ängste und verzweifelte Taten. Es ist ein Film über verlorene Seelen, die dem Schicksal mit fatalistischer, selbstzerstörerischer Entschlossenheit entgegen treten - und ein komplexes, packendes Spiel mit der Zeit.
Ein solches war es auch, dass Kubrick einst reizte, den Roman von White auf die große Leinwand zu bringen. Unchronologisch brach der Autor seine Geschichte auf und entwickelte so eine eigene Dynamik aus zeitlicher Abfolge und dem Dilemma der einzelnen Charaktere. So verwebt auch Kubrick die Szenenmontage als non-linear zusammenhängend in sein Drehbuch, springt hin und her und widmet sich fragmentarisch jeder Figur so lange, bis sie ihre Funktion für die momentane Handlung erfüllt hat. Fast schon dokumentarisch kommentiert dabei ein leidenschaftsloser Off-Erzähler das Geschehen und jongliert eifrig mit Datums- und Uhrzeitangaben, wie die Regie selbst mit Elementen des Film Noir spielt, zu dessen späten Vertretern sich "The Killing" zählen darf. Nüchtern, beinahe didaktisch werden die Figuren etabliert, sei es der Berufspolizist mit Schulden bei einem Kredithai, der ehemalige Alcatraz-Sträfling mit einer hoffnungslos naiven Verlobten, der Barkeeper mit todkranker Frau oder der Pferderennbahn-Kassierer, der seiner raffgierigen, undankbaren Frau den Lebensstandard finanzieren will. Bereits früh wird vorbereitet, was das geplante perfekte Verbrechen sein soll, wie es ablaufen könnte und woran es möglicherweise scheitern wird. Trotz des zeitweiligen zeitlichen Vorsprungs des Zuschauers gegenüber den Protagonisten liebt Kubrick jedoch die Desinformation: Die genauen Details des Heists bleiben offen und die Psychologie der Figuren gerät rätselhaft unklar.
Erst später, wenn der exzellent getaktete Raubüberfall aus immer wieder unterschiedlicher Perspektive startet und von Vorne begonnen wird, offenbart sich die meisterhafte Vorarbeit. Intelligent und suggestiv arbeitet die dichte Regie die Anspannung und Relevanz der zeitlichen Abfolge heraus, die sie selbst konterkariert. Der minutiöse Plan, bei dem Sekunden von Erfolg und Misserfolg abhängen kann als Quasi-Metapher für die exakt ausgeklügelte filmische Vision ihres Regisseurs verstanden werden. All das funktioniert wie ein Uhrwerk wunderbar: Von fast tragischer Qualität entspinnt sich ein Actionkrimi, dessen Puzzle-artige Struktur sich erst nach und nach entschlüsselt, ehe er detailliert auf seinen unausweichlichen Ausgang zusteuert. Das äußerst reife, progressive und nahezu postmoderne Narrativ entlockt seinen im Mittelpunkt stehenden Schwarzen Schafen, u.a. von Sterling Hayden wunderbar effizient gespielt, eine Grundsympathie, die gut ins Bild zur ungewöhnlich Dialog vernarrten Inszenierung Kubricks passt. Er wagt kaum formelle Experimente, sondern kokettiert mit dem Raum und der Überschaubarkeit der Dinge, nutzt allenfalls Stilmittel, die ohnehin im Noir verankert sind (so filmt er häufig durch Gitterschatten, um die drohende oder emotional bereits bestehende Gefangenschaft einer Figuren zu symbolisieren) oder setzt auf minimal installierte Besonderheiten (seitliche Plansequenzen durch Räumlichkeiten, bei denen selbst die Wände der Kamera nicht im Weg stehen). Besonders dank der vorzüglichen Dialoge des dafür angeheuerten Autoren Jim Thompson ist "The Killing" ein filmischer Leckerbissen, wenn etwa Geld als Äquivalent zur Liebe betrachtet wird oder Gangster zum Synonym für bewunderte Stars, deren erwartbaren Absturz man erleben will, geraten.
Die asynchrone, niemals chaotische Chronologie der Ereignisse erzeugt dabei genauso eine irre Spannung wie der ironische Umgang mit Elementen der damals bereits abklingenden Schwarzen Serie Hollywoods: Enorm hervor sticht hier die vermeintliche Femme Fatale (zwielichtig wie immer: Marie Windsor), die eben keine alles beherrschende, gefährliche Schönheit ist, sondern nur ihren schwachen Ehegatten an der Nase herumführen kann. Gleichzeitig straft Stanley Kubrick all seine Emotionsleugner Lügen, die ihm gerne unterstellen, ein kalter Regisseur zu sein. Immer wieder gewährt er in "The Killing" einen melancholischen, an der Grenze zum melodramatischen Blick auf die Handlungsträger und erzählt durch sie und durch die ergreifende Musik seines Schulkameraden Gerald Fried eine große Geschichte gescheiterter Träume. Dass dieser Traum vom großen Geld durch einen Raubüberfall handelt, ist für ihn unerheblich, es geht nicht um gesetzliche Moral. "The Killing" versteht sich als nicht wertender, aber zweifellos empathischer Blick auf ein Mosaik der Menschlichkeit, der seine eigenen Figuren fast liebevoll untersucht, und schwappt nur ganz am Ende in bitteren Zynismus über. Dort offenbart sich das süffisante Lächeln des perfektionistischen Regisseurs, der nun sein eigenes schwarzhumoriges Fazit zu der einen hoffnungslosen Tätigkeit des Menschen präsentiert, die ihn selbst im Laufe seiner Karriere so berüchtigt machte: Dinge zu planen.
Fazit: Obgleich man einerseits enorm um das Gelingen der Aktion bangt, ist es schwer, sich der Erheiterung zu verweigern, wenn die Rechnung letztlich in der Tat nicht aufgeht. Das fesselnde, lustvolle Spiel mit zeitlicher Verwirrung und punktuell gesetzter Chronologie ist ohne Frage das Aushängeschild des meisterhaft arrangierten Thrillers, welcher noch Jahre später Filmemacher wie Jean-Pierre Melville, Walter Hill, Quentin Tarantino oder Christopher Nolan nachhaltig beeinflusste. Während es mit dem Film Noir, zu dessen späten Vertretern "The Killing" gezählt werden darf, bereits zu Ende ging, war Kubricks Stern gerade aufsteigend und sein mutiger Genrefilm ebnete ihm die Wege zum Ruhm. Verständlich, denn schon hier zeigt sich in der dynamischen Montage und zielsicheren Fokussierung auf narrative Ankerpunkte das Werk eines Regisseurs, der genau wusste, was er wie erreichen wollte. Gerade deshalb ist die präzise Erzählung eines präzisen Raubes eine Erfolgsgeschichte für ihren Macher, inhaltlich aber das Gegenteil: Eine bittere Chronik des Scheiterns.
"Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen." - Es ist nicht klar, ob Regisseur Stanley Kubrick jenes Zitat des französischen Philosophen Blaise Pascal kannte, als er die Dreharbeiten zu "The Killing" begann. Feststeht aber, dass jener Satz kaum eine bessere filmische Entsprechung hätte finden können, als in Kubricks Adaption des Romans "Clean Break" von Lionel White. In nur 84 Minuten erzählt "The Killing" von einem Heist und der Gruppe Kleinkrimineller, die ihn ausführen wollen. Doch wie der deutsche Titel "Die Rechnung ging nicht auf" bereits verrät, ist Kubricks Thriller-Meilenstein ein Film über unerfüllte Träume, berechtigte Ängste und verzweifelte Taten. Es ist ein Film über verlorene Seelen, die dem Schicksal mit fatalistischer, selbstzerstörerischer Entschlossenheit entgegen treten - und ein komplexes, packendes Spiel mit der Zeit.
Ein solches war es auch, dass Kubrick einst reizte, den Roman von White auf die große Leinwand zu bringen. Unchronologisch brach der Autor seine Geschichte auf und entwickelte so eine eigene Dynamik aus zeitlicher Abfolge und dem Dilemma der einzelnen Charaktere. So verwebt auch Kubrick die Szenenmontage als non-linear zusammenhängend in sein Drehbuch, springt hin und her und widmet sich fragmentarisch jeder Figur so lange, bis sie ihre Funktion für die momentane Handlung erfüllt hat. Fast schon dokumentarisch kommentiert dabei ein leidenschaftsloser Off-Erzähler das Geschehen und jongliert eifrig mit Datums- und Uhrzeitangaben, wie die Regie selbst mit Elementen des Film Noir spielt, zu dessen späten Vertretern sich "The Killing" zählen darf. Nüchtern, beinahe didaktisch werden die Figuren etabliert, sei es der Berufspolizist mit Schulden bei einem Kredithai, der ehemalige Alcatraz-Sträfling mit einer hoffnungslos naiven Verlobten, der Barkeeper mit todkranker Frau oder der Pferderennbahn-Kassierer, der seiner raffgierigen, undankbaren Frau den Lebensstandard finanzieren will. Bereits früh wird vorbereitet, was das geplante perfekte Verbrechen sein soll, wie es ablaufen könnte und woran es möglicherweise scheitern wird. Trotz des zeitweiligen zeitlichen Vorsprungs des Zuschauers gegenüber den Protagonisten liebt Kubrick jedoch die Desinformation: Die genauen Details des Heists bleiben offen und die Psychologie der Figuren gerät rätselhaft unklar.
Erst später, wenn der exzellent getaktete Raubüberfall aus immer wieder unterschiedlicher Perspektive startet und von Vorne begonnen wird, offenbart sich die meisterhafte Vorarbeit. Intelligent und suggestiv arbeitet die dichte Regie die Anspannung und Relevanz der zeitlichen Abfolge heraus, die sie selbst konterkariert. Der minutiöse Plan, bei dem Sekunden von Erfolg und Misserfolg abhängen kann als Quasi-Metapher für die exakt ausgeklügelte filmische Vision ihres Regisseurs verstanden werden. All das funktioniert wie ein Uhrwerk wunderbar: Von fast tragischer Qualität entspinnt sich ein Actionkrimi, dessen Puzzle-artige Struktur sich erst nach und nach entschlüsselt, ehe er detailliert auf seinen unausweichlichen Ausgang zusteuert. Das äußerst reife, progressive und nahezu postmoderne Narrativ entlockt seinen im Mittelpunkt stehenden Schwarzen Schafen, u.a. von Sterling Hayden wunderbar effizient gespielt, eine Grundsympathie, die gut ins Bild zur ungewöhnlich Dialog vernarrten Inszenierung Kubricks passt. Er wagt kaum formelle Experimente, sondern kokettiert mit dem Raum und der Überschaubarkeit der Dinge, nutzt allenfalls Stilmittel, die ohnehin im Noir verankert sind (so filmt er häufig durch Gitterschatten, um die drohende oder emotional bereits bestehende Gefangenschaft einer Figuren zu symbolisieren) oder setzt auf minimal installierte Besonderheiten (seitliche Plansequenzen durch Räumlichkeiten, bei denen selbst die Wände der Kamera nicht im Weg stehen). Besonders dank der vorzüglichen Dialoge des dafür angeheuerten Autoren Jim Thompson ist "The Killing" ein filmischer Leckerbissen, wenn etwa Geld als Äquivalent zur Liebe betrachtet wird oder Gangster zum Synonym für bewunderte Stars, deren erwartbaren Absturz man erleben will, geraten.
Die asynchrone, niemals chaotische Chronologie der Ereignisse erzeugt dabei genauso eine irre Spannung wie der ironische Umgang mit Elementen der damals bereits abklingenden Schwarzen Serie Hollywoods: Enorm hervor sticht hier die vermeintliche Femme Fatale (zwielichtig wie immer: Marie Windsor), die eben keine alles beherrschende, gefährliche Schönheit ist, sondern nur ihren schwachen Ehegatten an der Nase herumführen kann. Gleichzeitig straft Stanley Kubrick all seine Emotionsleugner Lügen, die ihm gerne unterstellen, ein kalter Regisseur zu sein. Immer wieder gewährt er in "The Killing" einen melancholischen, an der Grenze zum melodramatischen Blick auf die Handlungsträger und erzählt durch sie und durch die ergreifende Musik seines Schulkameraden Gerald Fried eine große Geschichte gescheiterter Träume. Dass dieser Traum vom großen Geld durch einen Raubüberfall handelt, ist für ihn unerheblich, es geht nicht um gesetzliche Moral. "The Killing" versteht sich als nicht wertender, aber zweifellos empathischer Blick auf ein Mosaik der Menschlichkeit, der seine eigenen Figuren fast liebevoll untersucht, und schwappt nur ganz am Ende in bitteren Zynismus über. Dort offenbart sich das süffisante Lächeln des perfektionistischen Regisseurs, der nun sein eigenes schwarzhumoriges Fazit zu der einen hoffnungslosen Tätigkeit des Menschen präsentiert, die ihn selbst im Laufe seiner Karriere so berüchtigt machte: Dinge zu planen.
Fazit: Obgleich man einerseits enorm um das Gelingen der Aktion bangt, ist es schwer, sich der Erheiterung zu verweigern, wenn die Rechnung letztlich in der Tat nicht aufgeht. Das fesselnde, lustvolle Spiel mit zeitlicher Verwirrung und punktuell gesetzter Chronologie ist ohne Frage das Aushängeschild des meisterhaft arrangierten Thrillers, welcher noch Jahre später Filmemacher wie Jean-Pierre Melville, Walter Hill, Quentin Tarantino oder Christopher Nolan nachhaltig beeinflusste. Während es mit dem Film Noir, zu dessen späten Vertretern "The Killing" gezählt werden darf, bereits zu Ende ging, war Kubricks Stern gerade aufsteigend und sein mutiger Genrefilm ebnete ihm die Wege zum Ruhm. Verständlich, denn schon hier zeigt sich in der dynamischen Montage und zielsicheren Fokussierung auf narrative Ankerpunkte das Werk eines Regisseurs, der genau wusste, was er wie erreichen wollte. Gerade deshalb ist die präzise Erzählung eines präzisen Raubes eine Erfolgsgeschichte für ihren Macher, inhaltlich aber das Gegenteil: Eine bittere Chronik des Scheiterns.
8-Bit-Charme trifft auf 4K-Optik
Pixels
Es war 2010, als der junge französische Filmemacher Patrick Jean auf YouTube für Aufmerksamkeit sorgte und unwissentlich den Grundstein für einen kleinen Hype legte. Sein zweieinhalb minütiger Kurzfilm "Pixels" bot eine coole Nostalgie-Granate für alte Arcade-Veteranen: Space Invaders bombardieren darin Manhattan, der Frogger-Frosch hüpft über eine New Yorker Straßenkreuzung, Pac-Man frisst sich durch die U-Bahn-Stationen und am Ende verwandelt sich der ganze Planet Erde in einen schwarzen Würfel. Wer diesen irrwitzig intelligenten Trip hinter sich gebracht hat, muss sich wohl fragen, wozu fünf Jahre später eine Spielfilmversion der immerhin gehörig grotesken Grundidee von Nöten sei. Comedy-Routinier Adam Sandler und der auf Jugendfilme spezialisierte Chris Columbus versuchen sich also an dieser Aufgabe und vermischen die eckige Pixel-Ästhetik einer vergangenen Videospiel-Generation mit der hochauflösenden CGI-Animation des modernen Gegenwartskinos.
Für nicht wenige mag der Name Adam Sandler, der dem Langfilmprojekt als Hauptdarsteller und Produzent seinen Stempel aufdrückt, ein Warnsignal gewesen sein, haftet dem erfahrenen Komiker doch zunehmend der Ruf an, in seinen Filmen stets nur die eigene Midlife-Crisis auszuschlachten und mit präpubertären Späßen aufzutrumpfen. Zumindest in dieser Hinsicht überrascht "Pixels" durchaus. Sicherlich zünden längst nicht alle Gags und Rohrkrepierer gibt es (bei der hohen Frequenz an cool gemeinten Onelinern kaum verwunderlich) genügend, dennoch funktioniert Sandler als Protagonist dieser 80er Jahre Rückbesinnung und auch der restliche Cast ist mit ulkigen Knalltüten (Josh Gad, Kevin James), ironisch auftretenden Filmstars (Michelle Monaghan, Peter Dinklage) und alternden Schauspielgrößen (Sean Bean, Brian Cox) angenehm durchgemischt. Besonders der frisch gegen den Strich als notgeiler Nerd besetzte Dinklage macht richtig Spaß, während die Wahl, Kevin James im üblichen Modus als Präsidenten der Vereinigten Staaten einzusetzen zumindest vorab diskutabel gewesen wäre. Sei es drum: Filmtechnisch ist "Pixels" überraschenderweise im hochwertigen Drittel moderner US-Komödienproduktionen zu sehen. Chris Columbus inszeniert mit sicherer Hand und hat gerade in den Actionszenen das richtige Tempo, dazu kommt ein schmissiger Soundtrack von Henry Jackman, der zweifellos zu seinen besseren Arbeiten gehört und mit dem eingängigen Leitthema neben der Verwendung von Songklassikern wie "We Will Rock You" von Queen oder "Everybody Wants To Rule The World" von Tears For Fears bestehen kann.
Der große Reiz an dem Plot rund um eine Gruppe Außerirdischer, die in Form von Arcade-Klassikern die Menschheit herausfordern, liegt in dem Kontrast alter und neuer Technik: Wenn mittels modernster CGI-Techniken die rückwärtsgewandt ausschauende Vervoxelung unserer Welt betrieben wird und die Aliens etwa mit Wolkenkratzern "Tetris" spielen, atmet "Pixels" die rohe Kraft seiner Kurzfilmvorlage. Wer eine Vielzahl an Insider-Gags für Nerds erwartet, wird dabei aber sicher etwas enttäuscht sein: Die großen Sequenzen werden um allseits bekannte Klassiker gestrickt, funktionieren mit ihrer anarchischen Liebe zum Detail durchaus. Insbesondere eine interessant entwickelte Sequenz um Videospiellegende Pac-Man, der als Godzilla-Äquivalent durch New York wütet, bereitet ordentlich Freude, erinnert aber genau wie ein später Auftritt des Riesenaffen Donkey Kong daran, warum "Pixels" zwar auf eine simple Art und Weise Spaß bereitet, aber nie so wirklich das ist, was er sein könnte. Als Hommage und mögliche Renaissance der Arcade-Kultur der 80er Jahre scheitert Columbus auf ganzer Linie. Dieses Problem zeigt schon ein skurriles Opening, welches die jungen Versionen von Sandler und James in einer Spielehalle zeigt. Die Frisuren, die Fahrräder, die Musik, all das mag exakt nachgebildet sein, dennoch ist der kurze Prolog in seiner bunten und sytlischen Aufmachung bis auf Oberflächlichkeiten von der behaupteten Gegenwart nicht zu unterscheiden.
Die Retrowelle des Jahres 2015, in der Hörspielkassetten und Retro-Sneakers plötzlich wieder im Trend liegen, verlangte eigentlich nach einem Film wie "Pixels". Leider lösen Columbus und Sandler aber in genau diesem Punkt ihr Versprechen nicht ein. Dafür bleibt das ganze Nerdtum zu sehr im Fremdscham verhaftet, und dafür wirkt "Pixels" mit seiner konservativen Familienmoral in der vollkommen überflüssigen Liebesgeschichte zwischen Monaghan und Sandler und auch in seinen generell stereotypen Charakteren zu spießig. Die vielen popkulturellen Referenzen haben oft einen stark aufzählenden, altklugen Ton und können sich daher nie vom Status lösen, nur Plagiate einer einstmals beliebten Vintage-Ästhetik zu sein. Nostalgie kommt da deshalb nicht auf, weil Sandler nie der wirklich coole Nerd sein darf, sondern der Loser sein muss, dessen Videospiel-Vernarrtheit trotz ihrer Beihilfe zur Weltenrettung eher als liebenswerte Macke denn als vertretbare Leidenschaft dargestellt wird. Statt die damalige Faszination für vergessene Figuren wie Q*Bert oder die Centipedes zu ergründen, erweist sich "Pixels" zum Ende hin immer mehr als durchschnittliche Actionkomödie mit passablen Gags, die erst im überaus kreativen Abspann, der im launigen zweidimensionalen 8-Bit-Design gestaltet wurde, ein wenig andeutet, dass ihre Macher ursprünglich wohl mehr im Sinn gehabt haben als sie hier zeigen.
Fazit: Als kurzer Aufschub der eigenen Adoleszenz und poppige Collage bekannter Gamer-Oldies wird "Pixels" gleichermaßen überraschen wie enttäuschen. Überraschen deshalb, weil die professionelle Arbeit von Chris Columbus die zotigen Chaoten Adam Sandler und Kevin James deutlich seriöser handhabt, als man angenommen hätte und zudem mit erstaunlichen Effekten, ordentlicher Action und ein paar geglückt schrulligen Ideen gefällt. Die durchgängig propagierte Nostalgie wird aber wohl nur bei jüngeren Semestern funktionieren, die über die absurden Frisuren und Uralt-Grafiken von Spielen wie "Galaga" staunen können, während sich bei Zeitgenossen eher weniger Flashbacks einstellen. Dafür ist "Pixels" zu erkennbar ein Kind seiner eigenen Zeit und auch etwas zu brav im Mainstream verhaftet, um seinem selbst gestellten Anspruch als Nerd-Film vollkommen gerecht zu werden. Für etwas Quality-Time mit dem Sohnemann also empfehlenswert, darüber hinaus aber nur Einmalunterhaltung.
Es war 2010, als der junge französische Filmemacher Patrick Jean auf YouTube für Aufmerksamkeit sorgte und unwissentlich den Grundstein für einen kleinen Hype legte. Sein zweieinhalb minütiger Kurzfilm "Pixels" bot eine coole Nostalgie-Granate für alte Arcade-Veteranen: Space Invaders bombardieren darin Manhattan, der Frogger-Frosch hüpft über eine New Yorker Straßenkreuzung, Pac-Man frisst sich durch die U-Bahn-Stationen und am Ende verwandelt sich der ganze Planet Erde in einen schwarzen Würfel. Wer diesen irrwitzig intelligenten Trip hinter sich gebracht hat, muss sich wohl fragen, wozu fünf Jahre später eine Spielfilmversion der immerhin gehörig grotesken Grundidee von Nöten sei. Comedy-Routinier Adam Sandler und der auf Jugendfilme spezialisierte Chris Columbus versuchen sich also an dieser Aufgabe und vermischen die eckige Pixel-Ästhetik einer vergangenen Videospiel-Generation mit der hochauflösenden CGI-Animation des modernen Gegenwartskinos.
Für nicht wenige mag der Name Adam Sandler, der dem Langfilmprojekt als Hauptdarsteller und Produzent seinen Stempel aufdrückt, ein Warnsignal gewesen sein, haftet dem erfahrenen Komiker doch zunehmend der Ruf an, in seinen Filmen stets nur die eigene Midlife-Crisis auszuschlachten und mit präpubertären Späßen aufzutrumpfen. Zumindest in dieser Hinsicht überrascht "Pixels" durchaus. Sicherlich zünden längst nicht alle Gags und Rohrkrepierer gibt es (bei der hohen Frequenz an cool gemeinten Onelinern kaum verwunderlich) genügend, dennoch funktioniert Sandler als Protagonist dieser 80er Jahre Rückbesinnung und auch der restliche Cast ist mit ulkigen Knalltüten (Josh Gad, Kevin James), ironisch auftretenden Filmstars (Michelle Monaghan, Peter Dinklage) und alternden Schauspielgrößen (Sean Bean, Brian Cox) angenehm durchgemischt. Besonders der frisch gegen den Strich als notgeiler Nerd besetzte Dinklage macht richtig Spaß, während die Wahl, Kevin James im üblichen Modus als Präsidenten der Vereinigten Staaten einzusetzen zumindest vorab diskutabel gewesen wäre. Sei es drum: Filmtechnisch ist "Pixels" überraschenderweise im hochwertigen Drittel moderner US-Komödienproduktionen zu sehen. Chris Columbus inszeniert mit sicherer Hand und hat gerade in den Actionszenen das richtige Tempo, dazu kommt ein schmissiger Soundtrack von Henry Jackman, der zweifellos zu seinen besseren Arbeiten gehört und mit dem eingängigen Leitthema neben der Verwendung von Songklassikern wie "We Will Rock You" von Queen oder "Everybody Wants To Rule The World" von Tears For Fears bestehen kann.
Der große Reiz an dem Plot rund um eine Gruppe Außerirdischer, die in Form von Arcade-Klassikern die Menschheit herausfordern, liegt in dem Kontrast alter und neuer Technik: Wenn mittels modernster CGI-Techniken die rückwärtsgewandt ausschauende Vervoxelung unserer Welt betrieben wird und die Aliens etwa mit Wolkenkratzern "Tetris" spielen, atmet "Pixels" die rohe Kraft seiner Kurzfilmvorlage. Wer eine Vielzahl an Insider-Gags für Nerds erwartet, wird dabei aber sicher etwas enttäuscht sein: Die großen Sequenzen werden um allseits bekannte Klassiker gestrickt, funktionieren mit ihrer anarchischen Liebe zum Detail durchaus. Insbesondere eine interessant entwickelte Sequenz um Videospiellegende Pac-Man, der als Godzilla-Äquivalent durch New York wütet, bereitet ordentlich Freude, erinnert aber genau wie ein später Auftritt des Riesenaffen Donkey Kong daran, warum "Pixels" zwar auf eine simple Art und Weise Spaß bereitet, aber nie so wirklich das ist, was er sein könnte. Als Hommage und mögliche Renaissance der Arcade-Kultur der 80er Jahre scheitert Columbus auf ganzer Linie. Dieses Problem zeigt schon ein skurriles Opening, welches die jungen Versionen von Sandler und James in einer Spielehalle zeigt. Die Frisuren, die Fahrräder, die Musik, all das mag exakt nachgebildet sein, dennoch ist der kurze Prolog in seiner bunten und sytlischen Aufmachung bis auf Oberflächlichkeiten von der behaupteten Gegenwart nicht zu unterscheiden.
Die Retrowelle des Jahres 2015, in der Hörspielkassetten und Retro-Sneakers plötzlich wieder im Trend liegen, verlangte eigentlich nach einem Film wie "Pixels". Leider lösen Columbus und Sandler aber in genau diesem Punkt ihr Versprechen nicht ein. Dafür bleibt das ganze Nerdtum zu sehr im Fremdscham verhaftet, und dafür wirkt "Pixels" mit seiner konservativen Familienmoral in der vollkommen überflüssigen Liebesgeschichte zwischen Monaghan und Sandler und auch in seinen generell stereotypen Charakteren zu spießig. Die vielen popkulturellen Referenzen haben oft einen stark aufzählenden, altklugen Ton und können sich daher nie vom Status lösen, nur Plagiate einer einstmals beliebten Vintage-Ästhetik zu sein. Nostalgie kommt da deshalb nicht auf, weil Sandler nie der wirklich coole Nerd sein darf, sondern der Loser sein muss, dessen Videospiel-Vernarrtheit trotz ihrer Beihilfe zur Weltenrettung eher als liebenswerte Macke denn als vertretbare Leidenschaft dargestellt wird. Statt die damalige Faszination für vergessene Figuren wie Q*Bert oder die Centipedes zu ergründen, erweist sich "Pixels" zum Ende hin immer mehr als durchschnittliche Actionkomödie mit passablen Gags, die erst im überaus kreativen Abspann, der im launigen zweidimensionalen 8-Bit-Design gestaltet wurde, ein wenig andeutet, dass ihre Macher ursprünglich wohl mehr im Sinn gehabt haben als sie hier zeigen.
Fazit: Als kurzer Aufschub der eigenen Adoleszenz und poppige Collage bekannter Gamer-Oldies wird "Pixels" gleichermaßen überraschen wie enttäuschen. Überraschen deshalb, weil die professionelle Arbeit von Chris Columbus die zotigen Chaoten Adam Sandler und Kevin James deutlich seriöser handhabt, als man angenommen hätte und zudem mit erstaunlichen Effekten, ordentlicher Action und ein paar geglückt schrulligen Ideen gefällt. Die durchgängig propagierte Nostalgie wird aber wohl nur bei jüngeren Semestern funktionieren, die über die absurden Frisuren und Uralt-Grafiken von Spielen wie "Galaga" staunen können, während sich bei Zeitgenossen eher weniger Flashbacks einstellen. Dafür ist "Pixels" zu erkennbar ein Kind seiner eigenen Zeit und auch etwas zu brav im Mainstream verhaftet, um seinem selbst gestellten Anspruch als Nerd-Film vollkommen gerecht zu werden. Für etwas Quality-Time mit dem Sohnemann also empfehlenswert, darüber hinaus aber nur Einmalunterhaltung.
Sartre im Suff: Der Exzess geht der Existenz voraus...
So was von da
"Jetzt der Abspann. Das wäre perfekt." - Nein, das ist keine Aussage eines gelangweilten Kinozuschauers, sondern der Wunsch von Oskar. Für ihn könnte "So was von da" bereits enden, bevor er begonnen hat. Er weiß, dass es besser nicht mehr werden kann - umringt von seinen betrunkenen Freunden, die an ihn gelehnt mit Absinth-Gläsern in ihren Händen stehen. Oskar weiß: Dies ist nicht nur der Höhepunkt des Films, es ist der größte Moment in seinem Leben. Doch der Zuschauer sieht etwas anderes: Einen Haufen hoffnungsloser Versager, die ihre letzten grauen Zellen für den nächsten Trip geopfert haben und nach dem Aufwachen wieder in ihrer traurigen Existenz angekommen sein werden. Und gleich hierin schlummert die kluge Wechselseitigkeit dieses eigenwilligen Films: Er spielt mit innerer und äußerer Wahrnehmung. Er zeigt eine legendäre Silvesterparty auf dem Hamburger Kiez, die für ihre Teilnehmer enorm aufregend gerät - betrachtet wird sie hier jedoch von dem stocknüchternen Zuschauer im Kinosessel.
Ein kurzes Zucken, ein plötzliches Grinsen, ein lautes Geräusch, ein gelebter Impuls. Die Spontaneität einer kurzen Denkpause, der in Sekundenbruchteilen vorbeiziehende Augenblick, es sind genau diese Momente, denen Improvisationsfilmer Jakob Lass in seiner Filmografie nachjagt. Seine Drehbücher sind oft nur vage Skelette, Konzeptzeichnungen, die die Darsteller vor laufender Kamera ausfüllen müssen. Und genauso näherte er sich in "So was von da" dem (fast) gleichnamigen Kiezroman von Tino Hanekamp mit einer ganz eigenen Herangehensweise. In einem Casting-Aufruf für Statisten ließ die Produktionsfirma verlauten: "Die Werktreue der Romanverfilmung besteht nicht in einer Reproduktion der Dialoge aus dem Buch, sondern darin, das Lebensgefühl des Romans auf die Leinwand knallen zu lassen." Und genauso will Lass verstanden werden. Oskars Odyssee durch das Nachtleben in St. Pauli ist in seiner Sprache und etwa durch den Auftritt des im Hamburger Rotlichtmilieu bekannten Kiezkalle (der sich gleich selbst verkörpert) zwar eindeutig in der Elbstadt verhaftet, erzählt aber eine universelle Geschichte einer postmodernen Jugendkultur, die lieber im gelebten Moment verglüht, als beim Gedanken an die Zukunft zu verbrennen. Das Feiern ist für die Veranstalter dieser Silvesterparty seine eigene Essenz, das eigene private Versagen wird mit Stolz und Pathos betrachtet, etwa wenn Oskar aus dem Off verkündet, seine Seele sei so kaputt wie seine eingetretene Wohnungstür.
"So was von da" erzählt von einem Hochgefühl, bevor einen die bittere Realität ins Leben zurückführt. Oskar sieht sich zwar bedroht, "Kiezkalle" will 10.000 Euro von ihm, sonst sind seine Finger dahin. Doch je später die Nacht, umso egaler wird Oskar die zunehmende Bedrohung. Was zählt, ist die totale Gegenwart, die Dancefloor-Euphorie, die Lass ganz direkt einfängt, unverfälscht. Um das zu erreichen ließ er seine Darsteller nicht nur die meisten Dialoge improvisieren, sondern drehte an 4 Tagen in einem echten Hamburger Club, während des Betriebs. Hauptdarsteller Niklas Bruhn ist dafür die Idealbesetzung. Er trifft den richtigen Ton aus sensibler Nachdenklichkeit und hedonistischer Unruhe. Als besonders amüsant ist zudem der selbstironische Gastauftritt von Bela B. als von den Toten auferstandener Altrocker zu erwähnen, der wohl als einziges Zugeständnis an die Vorlage eine abgeschlossene Nebenhandlung zugestanden bekommt. Ansonsten geht es gehörig chaotisch zu, so chaotisch, dass Wunsch, Wirklichkeit und Drogenhalluzinationen kaum noch zu unterscheiden sind. In einem wilden Ritt jongliert Lass mit Jump-Cuts, Zeitraffern, Split-Screen-Aufnahmen und filmt dazu bei Doppelbelichtung mit einer Wackelkamera, immer so, als suche er nach einer Geschichte, einer tieferen Bedeutung oder gar einer narrativen Struktur, erfolglos. Den steigenden Eskalationsstufen kann kein Kamerateam der Welt einen Sinn verleihen, es kann nur durch den filmischen Stakkato dem Exzess möglichst nahe kommen.
Aus eben diesem Grund galt der Roman als unverfilmbar, doch wenn man den Berserker-Sog der Adaption erlebt hat, weiß man, dass sie den Roman eher erweitern als umsetzen will. Erweitern um Techno-Musik, um kantige Gesichter und um stroboskopisch durchsetzte Nebelschwaden, die erst ganz am Ende vom apokalyptisch wirkenden Sonnenlicht aufgelöst werden, dass den drohenden Untergang aller Figuren ankündigt - wohlgemerkt ohne, dass Lass ihn zu zeigen gedenkt. "So was von da" ist der Sturm vor der Ruhe, ein Konglomerat aus Energie und Verzweiflung. Etwa, wenn blutend trotz Kniescheibe im Fuß weiter gefeiert, das Verführen der eigenen Exfreundin erst als Triumph und dann als persönliche Niederlage gedeutet und ein Gehirntumor per Hand aus dem Kopf herausgenommen und damit Golf gespielt wird. Von der destruktiven Grundhaltung ihres eigentlich kindischen Benehmens spüren die Figuren allerdings wenig. Für eine solche Erkenntnis bleibt ihnen in ihrem faszinierenden Mikrokosmos auch keine Zeit. Lass konzentriert sich wie Oskar auf das Hier und Jetzt, und lässt es genau dann endgültig im Rausch versinken, als das Leben wieder an dessen kaputte Tür klopft. Wer sich darauf einlassen kann, erlebt im Kino letztlich auf ganz andere Weise dasselbe wie Oskar. Rastlose Melancholie, aber auch ermüdende Ziellosigkeit.
Fazit: "Was früher mal der Knaller war ist heute nur noch Krach | Und drei Tage wach gleich zwölf Tage schwach | Früher waren wir Bunnies, heute sind wir alte Hasen | Und die Blüten uns'rer Jugend blühen bei uns nur noch in Vasen" - Zwar ist es nicht direkt diese Stelle aus dem Song "Ich Rollator mit meim Besten" der Band Grossstadtgeflüster, die in "So was von da" zitiert wird, dennoch wirkt sie wie eine Zusammenfassung der Party-People-Polterei. Die Frage, wohin all das Chaos und die irrealen Abenteuer hinführen sollen, steht dem direkten Erlebnis nur lästig im Weg. "So was von da" ist mehr Form als Inhalt und zieht seinen Reiz aus der Diskrepanz dessen, was Oskar sieht und was wir sehen können. Beginnend mit seinem Wunsch nach einem Abspann, bevor wir ihn überhaupt kennen gelernt haben. Doch hätten wir auf ihn gehört, würden wir uns am Ende vielleicht nicht so leer und so verkatert fühlen.
"Jetzt der Abspann. Das wäre perfekt." - Nein, das ist keine Aussage eines gelangweilten Kinozuschauers, sondern der Wunsch von Oskar. Für ihn könnte "So was von da" bereits enden, bevor er begonnen hat. Er weiß, dass es besser nicht mehr werden kann - umringt von seinen betrunkenen Freunden, die an ihn gelehnt mit Absinth-Gläsern in ihren Händen stehen. Oskar weiß: Dies ist nicht nur der Höhepunkt des Films, es ist der größte Moment in seinem Leben. Doch der Zuschauer sieht etwas anderes: Einen Haufen hoffnungsloser Versager, die ihre letzten grauen Zellen für den nächsten Trip geopfert haben und nach dem Aufwachen wieder in ihrer traurigen Existenz angekommen sein werden. Und gleich hierin schlummert die kluge Wechselseitigkeit dieses eigenwilligen Films: Er spielt mit innerer und äußerer Wahrnehmung. Er zeigt eine legendäre Silvesterparty auf dem Hamburger Kiez, die für ihre Teilnehmer enorm aufregend gerät - betrachtet wird sie hier jedoch von dem stocknüchternen Zuschauer im Kinosessel.
Ein kurzes Zucken, ein plötzliches Grinsen, ein lautes Geräusch, ein gelebter Impuls. Die Spontaneität einer kurzen Denkpause, der in Sekundenbruchteilen vorbeiziehende Augenblick, es sind genau diese Momente, denen Improvisationsfilmer Jakob Lass in seiner Filmografie nachjagt. Seine Drehbücher sind oft nur vage Skelette, Konzeptzeichnungen, die die Darsteller vor laufender Kamera ausfüllen müssen. Und genauso näherte er sich in "So was von da" dem (fast) gleichnamigen Kiezroman von Tino Hanekamp mit einer ganz eigenen Herangehensweise. In einem Casting-Aufruf für Statisten ließ die Produktionsfirma verlauten: "Die Werktreue der Romanverfilmung besteht nicht in einer Reproduktion der Dialoge aus dem Buch, sondern darin, das Lebensgefühl des Romans auf die Leinwand knallen zu lassen." Und genauso will Lass verstanden werden. Oskars Odyssee durch das Nachtleben in St. Pauli ist in seiner Sprache und etwa durch den Auftritt des im Hamburger Rotlichtmilieu bekannten Kiezkalle (der sich gleich selbst verkörpert) zwar eindeutig in der Elbstadt verhaftet, erzählt aber eine universelle Geschichte einer postmodernen Jugendkultur, die lieber im gelebten Moment verglüht, als beim Gedanken an die Zukunft zu verbrennen. Das Feiern ist für die Veranstalter dieser Silvesterparty seine eigene Essenz, das eigene private Versagen wird mit Stolz und Pathos betrachtet, etwa wenn Oskar aus dem Off verkündet, seine Seele sei so kaputt wie seine eingetretene Wohnungstür.
"So was von da" erzählt von einem Hochgefühl, bevor einen die bittere Realität ins Leben zurückführt. Oskar sieht sich zwar bedroht, "Kiezkalle" will 10.000 Euro von ihm, sonst sind seine Finger dahin. Doch je später die Nacht, umso egaler wird Oskar die zunehmende Bedrohung. Was zählt, ist die totale Gegenwart, die Dancefloor-Euphorie, die Lass ganz direkt einfängt, unverfälscht. Um das zu erreichen ließ er seine Darsteller nicht nur die meisten Dialoge improvisieren, sondern drehte an 4 Tagen in einem echten Hamburger Club, während des Betriebs. Hauptdarsteller Niklas Bruhn ist dafür die Idealbesetzung. Er trifft den richtigen Ton aus sensibler Nachdenklichkeit und hedonistischer Unruhe. Als besonders amüsant ist zudem der selbstironische Gastauftritt von Bela B. als von den Toten auferstandener Altrocker zu erwähnen, der wohl als einziges Zugeständnis an die Vorlage eine abgeschlossene Nebenhandlung zugestanden bekommt. Ansonsten geht es gehörig chaotisch zu, so chaotisch, dass Wunsch, Wirklichkeit und Drogenhalluzinationen kaum noch zu unterscheiden sind. In einem wilden Ritt jongliert Lass mit Jump-Cuts, Zeitraffern, Split-Screen-Aufnahmen und filmt dazu bei Doppelbelichtung mit einer Wackelkamera, immer so, als suche er nach einer Geschichte, einer tieferen Bedeutung oder gar einer narrativen Struktur, erfolglos. Den steigenden Eskalationsstufen kann kein Kamerateam der Welt einen Sinn verleihen, es kann nur durch den filmischen Stakkato dem Exzess möglichst nahe kommen.
Aus eben diesem Grund galt der Roman als unverfilmbar, doch wenn man den Berserker-Sog der Adaption erlebt hat, weiß man, dass sie den Roman eher erweitern als umsetzen will. Erweitern um Techno-Musik, um kantige Gesichter und um stroboskopisch durchsetzte Nebelschwaden, die erst ganz am Ende vom apokalyptisch wirkenden Sonnenlicht aufgelöst werden, dass den drohenden Untergang aller Figuren ankündigt - wohlgemerkt ohne, dass Lass ihn zu zeigen gedenkt. "So was von da" ist der Sturm vor der Ruhe, ein Konglomerat aus Energie und Verzweiflung. Etwa, wenn blutend trotz Kniescheibe im Fuß weiter gefeiert, das Verführen der eigenen Exfreundin erst als Triumph und dann als persönliche Niederlage gedeutet und ein Gehirntumor per Hand aus dem Kopf herausgenommen und damit Golf gespielt wird. Von der destruktiven Grundhaltung ihres eigentlich kindischen Benehmens spüren die Figuren allerdings wenig. Für eine solche Erkenntnis bleibt ihnen in ihrem faszinierenden Mikrokosmos auch keine Zeit. Lass konzentriert sich wie Oskar auf das Hier und Jetzt, und lässt es genau dann endgültig im Rausch versinken, als das Leben wieder an dessen kaputte Tür klopft. Wer sich darauf einlassen kann, erlebt im Kino letztlich auf ganz andere Weise dasselbe wie Oskar. Rastlose Melancholie, aber auch ermüdende Ziellosigkeit.
Fazit: "Was früher mal der Knaller war ist heute nur noch Krach | Und drei Tage wach gleich zwölf Tage schwach | Früher waren wir Bunnies, heute sind wir alte Hasen | Und die Blüten uns'rer Jugend blühen bei uns nur noch in Vasen" - Zwar ist es nicht direkt diese Stelle aus dem Song "Ich Rollator mit meim Besten" der Band Grossstadtgeflüster, die in "So was von da" zitiert wird, dennoch wirkt sie wie eine Zusammenfassung der Party-People-Polterei. Die Frage, wohin all das Chaos und die irrealen Abenteuer hinführen sollen, steht dem direkten Erlebnis nur lästig im Weg. "So was von da" ist mehr Form als Inhalt und zieht seinen Reiz aus der Diskrepanz dessen, was Oskar sieht und was wir sehen können. Beginnend mit seinem Wunsch nach einem Abspann, bevor wir ihn überhaupt kennen gelernt haben. Doch hätten wir auf ihn gehört, würden wir uns am Ende vielleicht nicht so leer und so verkatert fühlen.
Ein Predator macht noch keinen Kult
Predator: Upgrade
Würde man Filme stets für bare Münze nehmen, so müsste man spätestens bei Fortsetzungen oft schmunzelnd den Kopf schütteln und fragen: Warum greifen Monster oder Aliens überdurchschnittlich oft die USA an? Warum passiert ausgewählten Herrschaften wie John McClane oder James Bond immer wieder dieselbe Geschichte? Und warum plagen gewisse Kreaturen in regelmäßigen Intervallen nicht nur die Kinozuschauer, sondern auch ganz banal den Planeten Erde? Zumindest letztere Frage versucht Regisseur und Drehbuchautor Shane Black zu erläutern, wenn er in "Predator: Upgrade" selbstironisch erklärt, dass der ikonische Dreadlocks tragende Trophäenjäger aus dem All seit seinem ersten Erscheinen im Action-Meisterwerk von John McTiernan 1987 mehrfach zur Verbesserung seiner Fähigkeiten zum blauen Planeten zurückkehrte. Zwar ist dies eine kreative Erklärung für die vielen seelenlosen Fortsetzungen des Originals in Film- oder Comicform, doch rettet es "Upgrade" nicht davor, sich in genau diese Sparte einzugliedern.
Für "Predator"-Fans ist Shane Black kein unbeschriebenes Blatt. Er selbst sollte damals für die Produzenten des Urfilms am Drehbuch mitwerkeln und - obwohl er dies verweigerte - wurde er als einer der Soldaten besetzt, die an der Seite von Arnold Schwarzenegger im Dschungel ums Überleben bangen mussten. Der Film erwies sich damals als unerwarteter Erfolg. Nicht nur Arnie, die brutale Gewalt und das faszinierende Monsterdesign von Stan Winston überzeugten, sondern auch die tiefere Ebene hinter dem Katz-/Mausspiel. Als Parabel auf das anhaltende Vietnam-Trauma der USA zeigte "Predator" stahlharte Kerle wie Jesse Ventura oder Carl Weathers verzweifelt und chancenlos gegen den überlegenen Jäger. Und genau hier scheitert Blacks 31 Jahre spätere Fortsetzung im Geiste. So sehr seine auf Political Correctness verzichtende, mit deftiger Splatter-Gewalt ausgestattete Erzählung das Herz von 80er-Actionfans kurzzeitig zum Hüpfen bringen könnte, so sehr verpasst Black es, seinem "Upgrade" jene Eigenschaften mitzugeben, die "Predator" einst zu mehr als einem Testosteron getränkten Männerfilm machten: Menschliche Akteure, tiefere Absichten und vor allem eine Vision. Stattdessen ist es eine ganz andere Mission, die Black und seine Produzenten verfolgen und die sich erst in der letzten Szene äußern: Die Erweiterung/Erneuerung der Marke zum Franchise.
Die Crux eines jeden Reboots ist, dass sie bevor sie etwas neues, aufregendes mit der Marke probieren kann, erstmal für die neuen Zuschauer das Altbekannte neu aufwärmen muss. "Predator: Upgrade" hakt dabei so routiniert und uninspiriert den Predator-Mythos ab, dass er dabei das Monster vollkommen entmystifiziert, erst recht, als Black die Jagdaktivitäten der außerirdischen Mörder mit modernen Problemen wie der globalen Klimaerwärmung verknüpft. Natürlich ist der Predator schon optisch heute zu bekannt, um noch echten Grusel auf der Leinwand aufzulösen, doch das entschuldigt nicht, wie lustlos Black ihn nur als Katalysator für eine groteske Actionkomödie missbraucht. Akteure wie Boyd Holbrook, Olivia Munn, Sterling K. Brown oder Thomas Jane definieren sich nur über ihre Qualität mit der Waffe und ihre Quantität an Onelinern, bleben aber austauschbare Pappkameraden, die größtenteils ohnehin nur als Kanonenfutter gedacht sind. Besonders schmerzhaft ist in dem Zusammenhang ein ganzer Subplot um einen autistischen Jungen, der nicht nur die Sprache der Predator ad hoc verstehen lernt, sondern dessen Autismus vom Script auch als nächste Stufe der menschlichen Evolution bezeichnen wird. Schon in seinen vorherigen Regie-Ausflügen "Kiss Kiss Bang Bang" und "The Nice Guys" liebäugelte Shane Black mit geschmacklosen Elementen in Verbindung mit klassischen Erzählstoffen wie etwa den Romanen von Raymond Chandler, doch der Humor von "Predator: Upgrade" fühlt sich erstaunlich altbacken an, während dem Film ansonsten misslingt, gleichermaßen die Bedürfnisse der 80s-Fans und die des jungen Franchise-affinen Publikums unter einen Hut zu bringen.
So scheint "Upgrade" ein Potpurri an im schlechten Sinne absurden, fehlgeleiteten Ideen zu sein. Für die Hardcore-Nerds gibt es da z.B. eine lange Diskussion über die Richtigkeit der Bezeichnung "Predator" für einen aus Leidenschaft tötenden Jäger, während jüngere Semester sich über ein ausladendes CGI-Finale und neue Kreaturen wie einem mutierten Riesen-Predator und außerirdischen Jagdhunden ("Predadogs") erfreuen sollen. In den wenigen gelungenen Momenten, die meist als Hommage an McTiernans Erstling gedacht sind, zeigt sich, dass Black sich eigentlich die 80er zurückwünscht, als der sogenannte "Männerfilm" noch florierte, doch mit seinem sterilen Look, den (zugegeben durchs Budget bedingten) schwachen visuellen Effekten und seiner eindeutigen Franchise-Kompatibilität ist "Predator: Upgrade" trotz politisch unkorrekter Dialoge und viel Gore-Brutalitäten viel zu sehr ein Kind des Jahres 2018, um diesem Anspruch genüge zu werden. Was bleibt ist ein Drehbuch, dass seine Vielzahl an hanebüchenen Momente so oft mit selbstreferenziellen Gags zu retten versucht, dass "Upgrade" eher als "Predator"-Parodie denn als ernsthafte Fortführung des Kino-Mythos funktioniert. Einzig der wie so oft fantastische Soundtrack-Komponist Henry Jackman erfüllt die Anforderungen an einen "Predator"-Neuaufguss nach 31 Jahren: Treibend, dynamisch und packend zelebriert er musikalisch den Actionkult und hat in all dem Bombast immer noch genug Platz für die Originalmusik von Alan Silvestri. Vorbildlich!
Fazit: Jeder Fangruppe sei ein solcher Nostalgie-Trip wie "Predator: Upgrade" natürlich vergönnt. Doch selbst den härtesten Verfechtern der extraterrestrialen Menschenjagd wird auffallen, dass letztlich nichts im schon sechsten Leinwandausflug des Alien-Punks sich so in die Filmgeschichte wird eintragen können wie es McTiernan und Schwarzenegger 1987 gelang. Was sicher nicht das Problem wäre, wenn das "Upgrade" für den Kinokult nicht schon beim Einsetzen des Abspanns wieder vergessen wäre und höchstens dazu animieren könnte, sich wieder den Originalen zu widmen. Ob es wirklich zu den angedeuteten Fortsetzungen kommen wird, bleibt ungewiss. Shane Black, der derweil damals als Soldat im Urwald als erster dem "Predator" zum Opfer fiel, zeigt hier nur erneut, dass er ihm bislang nicht gewachsen ist.
Würde man Filme stets für bare Münze nehmen, so müsste man spätestens bei Fortsetzungen oft schmunzelnd den Kopf schütteln und fragen: Warum greifen Monster oder Aliens überdurchschnittlich oft die USA an? Warum passiert ausgewählten Herrschaften wie John McClane oder James Bond immer wieder dieselbe Geschichte? Und warum plagen gewisse Kreaturen in regelmäßigen Intervallen nicht nur die Kinozuschauer, sondern auch ganz banal den Planeten Erde? Zumindest letztere Frage versucht Regisseur und Drehbuchautor Shane Black zu erläutern, wenn er in "Predator: Upgrade" selbstironisch erklärt, dass der ikonische Dreadlocks tragende Trophäenjäger aus dem All seit seinem ersten Erscheinen im Action-Meisterwerk von John McTiernan 1987 mehrfach zur Verbesserung seiner Fähigkeiten zum blauen Planeten zurückkehrte. Zwar ist dies eine kreative Erklärung für die vielen seelenlosen Fortsetzungen des Originals in Film- oder Comicform, doch rettet es "Upgrade" nicht davor, sich in genau diese Sparte einzugliedern.
Für "Predator"-Fans ist Shane Black kein unbeschriebenes Blatt. Er selbst sollte damals für die Produzenten des Urfilms am Drehbuch mitwerkeln und - obwohl er dies verweigerte - wurde er als einer der Soldaten besetzt, die an der Seite von Arnold Schwarzenegger im Dschungel ums Überleben bangen mussten. Der Film erwies sich damals als unerwarteter Erfolg. Nicht nur Arnie, die brutale Gewalt und das faszinierende Monsterdesign von Stan Winston überzeugten, sondern auch die tiefere Ebene hinter dem Katz-/Mausspiel. Als Parabel auf das anhaltende Vietnam-Trauma der USA zeigte "Predator" stahlharte Kerle wie Jesse Ventura oder Carl Weathers verzweifelt und chancenlos gegen den überlegenen Jäger. Und genau hier scheitert Blacks 31 Jahre spätere Fortsetzung im Geiste. So sehr seine auf Political Correctness verzichtende, mit deftiger Splatter-Gewalt ausgestattete Erzählung das Herz von 80er-Actionfans kurzzeitig zum Hüpfen bringen könnte, so sehr verpasst Black es, seinem "Upgrade" jene Eigenschaften mitzugeben, die "Predator" einst zu mehr als einem Testosteron getränkten Männerfilm machten: Menschliche Akteure, tiefere Absichten und vor allem eine Vision. Stattdessen ist es eine ganz andere Mission, die Black und seine Produzenten verfolgen und die sich erst in der letzten Szene äußern: Die Erweiterung/Erneuerung der Marke zum Franchise.
Die Crux eines jeden Reboots ist, dass sie bevor sie etwas neues, aufregendes mit der Marke probieren kann, erstmal für die neuen Zuschauer das Altbekannte neu aufwärmen muss. "Predator: Upgrade" hakt dabei so routiniert und uninspiriert den Predator-Mythos ab, dass er dabei das Monster vollkommen entmystifiziert, erst recht, als Black die Jagdaktivitäten der außerirdischen Mörder mit modernen Problemen wie der globalen Klimaerwärmung verknüpft. Natürlich ist der Predator schon optisch heute zu bekannt, um noch echten Grusel auf der Leinwand aufzulösen, doch das entschuldigt nicht, wie lustlos Black ihn nur als Katalysator für eine groteske Actionkomödie missbraucht. Akteure wie Boyd Holbrook, Olivia Munn, Sterling K. Brown oder Thomas Jane definieren sich nur über ihre Qualität mit der Waffe und ihre Quantität an Onelinern, bleben aber austauschbare Pappkameraden, die größtenteils ohnehin nur als Kanonenfutter gedacht sind. Besonders schmerzhaft ist in dem Zusammenhang ein ganzer Subplot um einen autistischen Jungen, der nicht nur die Sprache der Predator ad hoc verstehen lernt, sondern dessen Autismus vom Script auch als nächste Stufe der menschlichen Evolution bezeichnen wird. Schon in seinen vorherigen Regie-Ausflügen "Kiss Kiss Bang Bang" und "The Nice Guys" liebäugelte Shane Black mit geschmacklosen Elementen in Verbindung mit klassischen Erzählstoffen wie etwa den Romanen von Raymond Chandler, doch der Humor von "Predator: Upgrade" fühlt sich erstaunlich altbacken an, während dem Film ansonsten misslingt, gleichermaßen die Bedürfnisse der 80s-Fans und die des jungen Franchise-affinen Publikums unter einen Hut zu bringen.
So scheint "Upgrade" ein Potpurri an im schlechten Sinne absurden, fehlgeleiteten Ideen zu sein. Für die Hardcore-Nerds gibt es da z.B. eine lange Diskussion über die Richtigkeit der Bezeichnung "Predator" für einen aus Leidenschaft tötenden Jäger, während jüngere Semester sich über ein ausladendes CGI-Finale und neue Kreaturen wie einem mutierten Riesen-Predator und außerirdischen Jagdhunden ("Predadogs") erfreuen sollen. In den wenigen gelungenen Momenten, die meist als Hommage an McTiernans Erstling gedacht sind, zeigt sich, dass Black sich eigentlich die 80er zurückwünscht, als der sogenannte "Männerfilm" noch florierte, doch mit seinem sterilen Look, den (zugegeben durchs Budget bedingten) schwachen visuellen Effekten und seiner eindeutigen Franchise-Kompatibilität ist "Predator: Upgrade" trotz politisch unkorrekter Dialoge und viel Gore-Brutalitäten viel zu sehr ein Kind des Jahres 2018, um diesem Anspruch genüge zu werden. Was bleibt ist ein Drehbuch, dass seine Vielzahl an hanebüchenen Momente so oft mit selbstreferenziellen Gags zu retten versucht, dass "Upgrade" eher als "Predator"-Parodie denn als ernsthafte Fortführung des Kino-Mythos funktioniert. Einzig der wie so oft fantastische Soundtrack-Komponist Henry Jackman erfüllt die Anforderungen an einen "Predator"-Neuaufguss nach 31 Jahren: Treibend, dynamisch und packend zelebriert er musikalisch den Actionkult und hat in all dem Bombast immer noch genug Platz für die Originalmusik von Alan Silvestri. Vorbildlich!
Fazit: Jeder Fangruppe sei ein solcher Nostalgie-Trip wie "Predator: Upgrade" natürlich vergönnt. Doch selbst den härtesten Verfechtern der extraterrestrialen Menschenjagd wird auffallen, dass letztlich nichts im schon sechsten Leinwandausflug des Alien-Punks sich so in die Filmgeschichte wird eintragen können wie es McTiernan und Schwarzenegger 1987 gelang. Was sicher nicht das Problem wäre, wenn das "Upgrade" für den Kinokult nicht schon beim Einsetzen des Abspanns wieder vergessen wäre und höchstens dazu animieren könnte, sich wieder den Originalen zu widmen. Ob es wirklich zu den angedeuteten Fortsetzungen kommen wird, bleibt ungewiss. Shane Black, der derweil damals als Soldat im Urwald als erster dem "Predator" zum Opfer fiel, zeigt hier nur erneut, dass er ihm bislang nicht gewachsen ist.
Nichts ist unglaublicher als die eigene Familie
Die Unglaublichen 2
Vierzehn Jahre lang haben große und kleine Kinder warten müssen, jetzt ist es endlich soweit. Die Unglaublichen sind zurück! Wir erinnern uns: 2004 endete der weltweit gefeierte Superheldenfilm der Pixar Studios mit der Ankunft des Tunnelgräbers, einem maulwurfartigen Schurken mit riesigem Bohrer. Regisseur Brad Bird hatte also wirklich die Frechheit besessen, ganz nebenbei einen der besten Kinder- und einen der besten Superheldenfilme aller Zeiten mit einem riesigen Cliffhanger enden und sich dann 14 Jahre Zeit für die Fortsetzung zu lassen. In dieser Spanne hat die Filmwelt sich gewaltig verändert. Superheldenfilme sind keine Event-Blockbuster mehr, sondern in Zeiten geteilter Filmunivsersen à la Marvel längst Kino-Alltag. Doch das ist eben das Unglaubliche an den Incredibles: Der Konkurrenz zum Trotz bleiben sie sich treu und stellen alle Helden-Konkurrenz mühelos in den Schatten.
Mustergültig zeigt Brad Bird, wie eine so späte Fortsetzung aussehen muss. Im genau richtigen Maße setzt "Die Unglaublichen 2" auf den richtigen Mix aus alt bekannten und neuen Elementen und vermeidet es konsequent, nur die Highlights seines Vorgängers zu wiederholen. Natürlich sind neben den fünf Familienmitgliedern auch geliebte Randfiguren wie Eisheld Frozone oder die kultige Kostümdesignerin Edna Mode ("No capes!") wieder mit von der Partie, doch wie Bird diese mittlerweile nostalgischen Charaktere in eine faszinierende, spannende und vor allem frische Geschichte verwebt, ist in Zeiten immer liebloserer Fortsetzungen eine Wohltat! Wie schon der erste Teil begeistert das Sequel durch eine erstaunlich erwachsene Geschichte, die gekonnt Animationsfilm-typischen Albernheiten mit brillant getrickster Action und klug durchdachten Charaktermotivationen vermengt und dabei höchst witzig gängige Rollenklischees bricht: Um die Beliebtheit und Akzeptanz von Superhelden bei der Bevölkerung zu fördern, plant ein Werbefachmann eine große Medienoffensive - ausgerechnet mit Elastigirl als Protagonistin. Ihr Ehemann Mr. Incredible guckt da in die Röhre. Während sie in spektakulärer Manier Züge am Entgleisen hindert und Superschurken bekämpft, steht er vor seiner größten Herausforderung: Einem pubertierenden Teenie-Mädel mit Liebeskummer, einem hyperaktiven 10 Jährigen mit Bergen an Mathehausaufgaben und einem Baby, dass beim Windeln wechseln gerne mal unkontrolliert mit seinen Laseraugen los schießt.
Dass der Mann zu Hause bleibt, während die Frau arbeiten geht, ist kein Zufall. "Die Unglaublichen 2" handelt immer wieder davon, dass man seinen Platz finden muss, um sich selbst zu finden (oder hier: die Welt zu retten). Klassische Rollenbilder werden regelmäßig neu verhandelt, etwa durch die Tatsache, dass der heimliche Star des Films, der Säugling Jack-Jack, mit seinen zahlreichen verblüffenden Superkräften dem Rest der Familie weit überlegen ist. Auch der neue Oberschurke trägt dazu bei: Im Verlauf der Story versucht der ominöse Screenslaver, über TV- und Computerbildschirme Superhelden zu hypnotisieren und zu seinen willenlosen Sklaven zu machen. Nicht genug, dass Bird diese Figur nutzt, um im dritten Akt ungewöhnliche Gegner-Konstellationen aufzubauen, so ist der Screenslaver auch ein schöner Meta-Verweis auf die zunehmende Konsumkultur und den auf Kinoleinwänden immer größer werdenden Superheldenhype. Mit Sätzen wie "Superhelden sind Teil eurer hirnlosen Begierde, echte Erfahrungen durch Simulationen zu ersetzen" wendet sich "Die Unglaublichen 2" direkt an das Kinopublikum und setzt so den Trend von Bird vor, mit den Abenteuern der animierten Heldenfamilie auch das erwachsene Publikum durch kluge Meta-Gags ernst zu nehmen. Die spät eingeführte, extrem überzeichnete neue Heldentruppe in überdeutlicher Anlehnung an die "Avengers" aus dem Marvel Cinematic Universe hätte es in ihrer Plumpheit gar nicht gebraucht, zeigt aber, wie popkulturelle Referenzen in der Welt der Unglaublichen stets auch für die Erweiterung ihres filmischen Universums genutzt werden, statt nur als Selbstzweck zu dienen.
Trotz aller unterschwelliger Konsumkritik ist die schwungvolle Fortsetzung aber kein spießiger Konzeptfilm, sondern in erster Linie bildgewaltiges, atemberaubend ausgewogen erzähltes Popcorn-Kino. Schon in den ersten fünf Minuten hängt Bird in Bezug auf perfekt und detailreich animierte Bombast-Action die Messlatte auf neue Höhen. Auch in Folge gelingt es ihm bravourös zwischen den an Comic-Strip-Ästhetik erinnernden Actionsequenzen mit Elastigirl und den rasant chroreographierten Slapstick-Szenen beim Rest der Familie hin und her zu navigieren. So ganz kann "Die Unglaublichen 2" das große Erbe seines Vorgängers aber nicht verleugnen. Teil 1 war nicht mehr und nicht weniger als ein perfekter Unterhaltungsfilm, ein Meilenstein der Animationstechnik, des Superheldengenres und dank des fantastischen Soundtracks von Michael Giacchino (der in Teil 2 ebenfalls abliefert) auch eine großartige Parodie auf die James-Bond-Filme. Diese unglaubliche Leichtigkeit erreicht das Sequel nicht ganz, dafür ist der Screenslaver als Schurke vielleicht etwas zu düster geraten und die Trennung der Familie in dem 118 Minuten langen Film eine Spur zu lang, sodass die wunderschönen Ensemble-Momente erst sehr spät auftreten. Fans werden das aber zu verschmerzen wissen, wenn man dafür nach 14 Jahren so sehr und so unterhaltsam für sein Warten belohnt wird.
Fazit: Wer angesichts der vielen ankündigten Fortsetzungen aus dem Hause Pixar die Originalität die Innovationsschmiede vermisst, den wird Brad Bird mit "Die Unglaublichen 2" versöhnlich stimmen: Ohne Schwierigkeiten gelingt es ihm, den eskapistischen Spaß des Vorgängers zu wiederholen, und dabei all das zu bieten, was sich das Superhelden-erprobte Publikum wünscht. Eine spannende Story voll spritziger Witze, facettenreicher Charaktere, die trotz all der wilden Action das Herz immer am rechten Fleck hat. Gleichzeitig vermeidet er, wie genügend andere Superheldenfilme erneut die Frage der Selbstjustiz zu stellen, sondern bekennt sich ganz offensiv zu seinen Helden, was in dieser altmodischen Art wunderbar zum verspielten Enthusiasmus des Filmes passt. Ein dritter Teil darf hier gerne kommen, zumal die finale Abrechnung mit dem Tunnelgräber, wie ein subtiler Gag am Ende des Abspanns (heute bei Blockbustern eben Standard) ankündigt, noch aussteht. Daumen drücken, dass es nicht wieder 14 Jahre dauert, bis wir "Die Unglaublichen" wiedersehen dürfen.
Vierzehn Jahre lang haben große und kleine Kinder warten müssen, jetzt ist es endlich soweit. Die Unglaublichen sind zurück! Wir erinnern uns: 2004 endete der weltweit gefeierte Superheldenfilm der Pixar Studios mit der Ankunft des Tunnelgräbers, einem maulwurfartigen Schurken mit riesigem Bohrer. Regisseur Brad Bird hatte also wirklich die Frechheit besessen, ganz nebenbei einen der besten Kinder- und einen der besten Superheldenfilme aller Zeiten mit einem riesigen Cliffhanger enden und sich dann 14 Jahre Zeit für die Fortsetzung zu lassen. In dieser Spanne hat die Filmwelt sich gewaltig verändert. Superheldenfilme sind keine Event-Blockbuster mehr, sondern in Zeiten geteilter Filmunivsersen à la Marvel längst Kino-Alltag. Doch das ist eben das Unglaubliche an den Incredibles: Der Konkurrenz zum Trotz bleiben sie sich treu und stellen alle Helden-Konkurrenz mühelos in den Schatten.
Mustergültig zeigt Brad Bird, wie eine so späte Fortsetzung aussehen muss. Im genau richtigen Maße setzt "Die Unglaublichen 2" auf den richtigen Mix aus alt bekannten und neuen Elementen und vermeidet es konsequent, nur die Highlights seines Vorgängers zu wiederholen. Natürlich sind neben den fünf Familienmitgliedern auch geliebte Randfiguren wie Eisheld Frozone oder die kultige Kostümdesignerin Edna Mode ("No capes!") wieder mit von der Partie, doch wie Bird diese mittlerweile nostalgischen Charaktere in eine faszinierende, spannende und vor allem frische Geschichte verwebt, ist in Zeiten immer liebloserer Fortsetzungen eine Wohltat! Wie schon der erste Teil begeistert das Sequel durch eine erstaunlich erwachsene Geschichte, die gekonnt Animationsfilm-typischen Albernheiten mit brillant getrickster Action und klug durchdachten Charaktermotivationen vermengt und dabei höchst witzig gängige Rollenklischees bricht: Um die Beliebtheit und Akzeptanz von Superhelden bei der Bevölkerung zu fördern, plant ein Werbefachmann eine große Medienoffensive - ausgerechnet mit Elastigirl als Protagonistin. Ihr Ehemann Mr. Incredible guckt da in die Röhre. Während sie in spektakulärer Manier Züge am Entgleisen hindert und Superschurken bekämpft, steht er vor seiner größten Herausforderung: Einem pubertierenden Teenie-Mädel mit Liebeskummer, einem hyperaktiven 10 Jährigen mit Bergen an Mathehausaufgaben und einem Baby, dass beim Windeln wechseln gerne mal unkontrolliert mit seinen Laseraugen los schießt.
Dass der Mann zu Hause bleibt, während die Frau arbeiten geht, ist kein Zufall. "Die Unglaublichen 2" handelt immer wieder davon, dass man seinen Platz finden muss, um sich selbst zu finden (oder hier: die Welt zu retten). Klassische Rollenbilder werden regelmäßig neu verhandelt, etwa durch die Tatsache, dass der heimliche Star des Films, der Säugling Jack-Jack, mit seinen zahlreichen verblüffenden Superkräften dem Rest der Familie weit überlegen ist. Auch der neue Oberschurke trägt dazu bei: Im Verlauf der Story versucht der ominöse Screenslaver, über TV- und Computerbildschirme Superhelden zu hypnotisieren und zu seinen willenlosen Sklaven zu machen. Nicht genug, dass Bird diese Figur nutzt, um im dritten Akt ungewöhnliche Gegner-Konstellationen aufzubauen, so ist der Screenslaver auch ein schöner Meta-Verweis auf die zunehmende Konsumkultur und den auf Kinoleinwänden immer größer werdenden Superheldenhype. Mit Sätzen wie "Superhelden sind Teil eurer hirnlosen Begierde, echte Erfahrungen durch Simulationen zu ersetzen" wendet sich "Die Unglaublichen 2" direkt an das Kinopublikum und setzt so den Trend von Bird vor, mit den Abenteuern der animierten Heldenfamilie auch das erwachsene Publikum durch kluge Meta-Gags ernst zu nehmen. Die spät eingeführte, extrem überzeichnete neue Heldentruppe in überdeutlicher Anlehnung an die "Avengers" aus dem Marvel Cinematic Universe hätte es in ihrer Plumpheit gar nicht gebraucht, zeigt aber, wie popkulturelle Referenzen in der Welt der Unglaublichen stets auch für die Erweiterung ihres filmischen Universums genutzt werden, statt nur als Selbstzweck zu dienen.
Trotz aller unterschwelliger Konsumkritik ist die schwungvolle Fortsetzung aber kein spießiger Konzeptfilm, sondern in erster Linie bildgewaltiges, atemberaubend ausgewogen erzähltes Popcorn-Kino. Schon in den ersten fünf Minuten hängt Bird in Bezug auf perfekt und detailreich animierte Bombast-Action die Messlatte auf neue Höhen. Auch in Folge gelingt es ihm bravourös zwischen den an Comic-Strip-Ästhetik erinnernden Actionsequenzen mit Elastigirl und den rasant chroreographierten Slapstick-Szenen beim Rest der Familie hin und her zu navigieren. So ganz kann "Die Unglaublichen 2" das große Erbe seines Vorgängers aber nicht verleugnen. Teil 1 war nicht mehr und nicht weniger als ein perfekter Unterhaltungsfilm, ein Meilenstein der Animationstechnik, des Superheldengenres und dank des fantastischen Soundtracks von Michael Giacchino (der in Teil 2 ebenfalls abliefert) auch eine großartige Parodie auf die James-Bond-Filme. Diese unglaubliche Leichtigkeit erreicht das Sequel nicht ganz, dafür ist der Screenslaver als Schurke vielleicht etwas zu düster geraten und die Trennung der Familie in dem 118 Minuten langen Film eine Spur zu lang, sodass die wunderschönen Ensemble-Momente erst sehr spät auftreten. Fans werden das aber zu verschmerzen wissen, wenn man dafür nach 14 Jahren so sehr und so unterhaltsam für sein Warten belohnt wird.
Fazit: Wer angesichts der vielen ankündigten Fortsetzungen aus dem Hause Pixar die Originalität die Innovationsschmiede vermisst, den wird Brad Bird mit "Die Unglaublichen 2" versöhnlich stimmen: Ohne Schwierigkeiten gelingt es ihm, den eskapistischen Spaß des Vorgängers zu wiederholen, und dabei all das zu bieten, was sich das Superhelden-erprobte Publikum wünscht. Eine spannende Story voll spritziger Witze, facettenreicher Charaktere, die trotz all der wilden Action das Herz immer am rechten Fleck hat. Gleichzeitig vermeidet er, wie genügend andere Superheldenfilme erneut die Frage der Selbstjustiz zu stellen, sondern bekennt sich ganz offensiv zu seinen Helden, was in dieser altmodischen Art wunderbar zum verspielten Enthusiasmus des Filmes passt. Ein dritter Teil darf hier gerne kommen, zumal die finale Abrechnung mit dem Tunnelgräber, wie ein subtiler Gag am Ende des Abspanns (heute bei Blockbustern eben Standard) ankündigt, noch aussteht. Daumen drücken, dass es nicht wieder 14 Jahre dauert, bis wir "Die Unglaublichen" wiedersehen dürfen.
Knall auf Fall in ein neues Abenteuer
Mary Poppins' Rückkehr
Selbst den unkritischsten Zuschauern ist mittlerweile bekannt, wie wenig Skrupel die Produzenten von Disney dabei kennen, aus alten Filmstoffen neues Geld zu scheffeln. Das erreichte seinen Höhepunkt mit der Rückkehr der Marke "Star Wars" im Jahre 2015 und erstreckte sich über zahlreiche bereits erschienene oder geplante Realfilm-Remakes alter Zeichentrickklassiker. "Das Dschungelbuch" oder "Die Schöne und das Biest" sind längst neuaufgelegt, für die nächste Zeit sind u.a. "Der König der Löwen", "Dumbo", "Mulan", "Susi & Strolch" und "Aladdin" geplant. Als jedoch angekündigt wurde, dass Disney ganze 54 Jahre nach "Mary Poppins" von Robert Stevenson eine Fortsetzung mit Emily Blunt in der Kultrolle von Julie Andrews schlechthin geplant sei, war die Skepsis hoch, gilt dieser Musicalmeilenstein doch als eines der heiligen Kühe der Unterhaltungsindustrie. Kann eine solche Fortsetzung, die im Übrigen bislang späteste ihrer Art in der Filmgeschichte, überhaupt funktionieren?
In der Filmzeit zwischen "Mary Poppins" und "Mary Poppins' Rückkehr" sind zwar keine 54, aber dennoch etwa 25 Jahre vergangen. Der träumerischen, end-viktorianischen Zeit der Fin de siècle des Vorgängers folgt nun der "Great slump", die Depressionsära, und obgleich London auch in dieser filmischen Bühnenschau wie einer Postkarte entnommen anmutet, ist der Einstieg deutlich wehmütiger und schwerer als einst im Original. Entpuppte sich der Kernkonflikt um die Banks-Kinder Michael und Jane dort als Spannung zwischen ihrem strengbürgerlich auftretenden Vater und ihrem eigenen kindlichen Freiheitsstreben, ist der Grund für Mary Poppins Erscheinen diesmal ein ernsterer. Michael hat vor kurzem seine Frau bei einem Unfall verloren, ist mit seinen eigenen drei Kindern überfordert und wird von der Bank aus seinem Haus geschmissen. So überrascht Disney schon zum zweiten Mal im Kinojahr 2018 mit einer erstaunlich selbstreflexiven Fragestellung. Bereits in "Christopher Robin" zeigte Marc Forster den einstigen besten Freund von Winnie Puuh als desillusionierten Erwachsenen, der von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs geprägt wurde, und fragte, was von der Magie der Kindheit später übrig bleibe. Auch Michael und Jane sind kaum noch als ihre frühpubertären Kinds-Versionen wieder zu erkennen. Und so verwundert es nicht, dass Mary Poppins bei ihrem ersten Auftritt betont, sie sei erneut gekommen, um sich um die Banks-Kinder zu kümmern, wobei sie Michael und Jane ganz direkt miteinschließt.
Natürlich ist "Mary Poppins' Rückkehr" aber kein angestrengtes Sozialdrama und auch wenn kurzzeitig Schlangen vor den Suppenküchen und die Londoner Arbeiterbewegung angesprochen werden, müssen diese sozialen Themen allzu bald guter Laune und tanzenden Menschen weichen. Rob Marshall nutzt die Trostlosigkeit dieser historischen Epoche für einen Appell an den Geist der Einfachheit und für eine Rückbesinnung auf die "glücklichere" Vergangenheit. Nostalgie wird hier großgeschrieben, und Musicial-Routinier Marshall erzählt die verschiedenen Abenteuer von Mary und den drei Banks-Kindern mit Verve und deutlicher Reminiszenz an den Stil des Originals. In einem langen Ausflug geht es so erneut in eine Fantasie-Welt, die ganz im 1960er-Zeichentrickstil gestaltet wurde, und auch wenn keiner der legendären Songs des 64er Films wie "Chim Chim Cheree" oder "Supercalifragi..." neu aufgenommen wurde, erinnern die neuen, teils wunderbar komponierten Lieder überdeutlich an ihre Vorbilder. Und überhaupt ist diese "Rückkehr" fast schon überfüllt mit dem Gefühl des Vertrauten. Der Charakter des Lampenanzünders Jack kommt wie eine Kopie des Schornsteinfegers Bert daher, nur das Lin-Manuel Miranda zu keiner Sekunde an Dick van Dyke heranreicht (der dafür selbst einen famos-ironischen Cameo spendiert bekommt). Die großen Wendungen der Geschichte sind nahezu identisch mit jenen zarten Dramatisierungen in Stevensons Film. Und selbst die großen Starauftritte von Meryl Streep und Colin Firth sind zwar einerseits wunderbar gelungen, und leiden andererseits doch darunter, dass auch ihre neuen Figuren eigentlich keine sind. Streeps "Topsy" ist der Ersatz für die Nummernrevue des Onkel Alberts im Vorgänger und Colin Firth der nächste Mr. Dawes, der den kalten Kapitalismus des Bankenwesens zur Schau stellt.
Nostalgisch veranlagten Zuschauern wird das nicht viel ausmachen, denn die bekommen hier genau das geboten, was sie erwartet haben: Eine exakte Reanimation eines Kinokults, der seine anfänglich neue Wehmut durch ein Loblied auf alte Werte verdrängt. Und dagegen wäre bei einer so späten Fortsetzung gar nicht mal etwas zu sagen, wenn "Mary Poppins' Rückkehr" nicht viel mehr Remake als Sequel wäre. Dadurch entsteht einmal zu oft der Eindruck, Marshall habe so sehr auf Nummer Sicher gehen wollen, dass er vergessen hat, eigene Akzente zu setzen. Die kommen dafür von jemand ganz anderem: Was Emily Blunt in der Titelrolle veranstaltet, ist genau jene Magie zu verbreiten, die in Marshalls kalkuliertem "Mary-Poppins-Best-Of" etwas zu sehr auf der Strecke bleibt. Blunt emanzipiert sich durch ihre ihr eigene Strenge und Bestimmtheit sofort von Andrews' Interpretation der Rolle, gewinnt so aber auf ihre Weise die Herzen der Zuschauer, wenn sie nach einer kurzen Maßregelung plötzlich mit funkelnden Augen in voller Montur in der Badewanne versinkt und singend durch eine märchenhafte Unterwasserwelt gleitet. Sie ist der Motor, der den Film immer wieder vor dem Eindruck bewahrt, rein wirtschaftlich motiviert zu sein, und in der sich alle pädagogischen Ansätze der Rolle vereinen. Die Lebensphilosophie, die Mary-Poppins-Erfinderin P. L.Travers in ihren Romanen einst ausdrücken wollte, die unschönen Einflüsse des Lebens aus der Distanz mit Humor zu nehmen und seine Fantasie zu beanspruchen, artikuliert sie nicht über die Songtexte, sondern einzig über ihre Ausstrahlung und Spielfreude. Mehr von dieser Kraft und Eigenständigkeit hätte es für "Mary Poppins' Rückkehr" gebraucht, um sich als Fortsetzung oder besser: Fortführung der Themen und Figuren des Vorgängers zu behaupten.
Fazit: Letztlich ist "Mary Poppins' Rückkehr" einer jener Filme, denen man längst nicht so böse sein kann, wie man vielleicht möchte. Denn auch wenn die sklavische Nachahmung des Originals nicht sonderlich originell daherkommt, so funktioniert sie als quietschbunter Musical-Eskapismus für Jung und Alt mit einigen wirklich schönen Szenerien. Dank der famosen Emily Blunt gelingt so ein 131 minütiges Seufzen darüber, wie schön die eigene Kindheit doch war, als man sich noch von "Mary Poppins" verzaubern lassen konnte. Und mehr als das wollte Rob Marshall vermutlich gar nicht abliefern. Sein Ziel, kurzzeitige Unterhaltung nach vertrauten Mustern, hat er zweifellos erreicht - einen neuen Klassiker schafft man so aber nicht.
Selbst den unkritischsten Zuschauern ist mittlerweile bekannt, wie wenig Skrupel die Produzenten von Disney dabei kennen, aus alten Filmstoffen neues Geld zu scheffeln. Das erreichte seinen Höhepunkt mit der Rückkehr der Marke "Star Wars" im Jahre 2015 und erstreckte sich über zahlreiche bereits erschienene oder geplante Realfilm-Remakes alter Zeichentrickklassiker. "Das Dschungelbuch" oder "Die Schöne und das Biest" sind längst neuaufgelegt, für die nächste Zeit sind u.a. "Der König der Löwen", "Dumbo", "Mulan", "Susi & Strolch" und "Aladdin" geplant. Als jedoch angekündigt wurde, dass Disney ganze 54 Jahre nach "Mary Poppins" von Robert Stevenson eine Fortsetzung mit Emily Blunt in der Kultrolle von Julie Andrews schlechthin geplant sei, war die Skepsis hoch, gilt dieser Musicalmeilenstein doch als eines der heiligen Kühe der Unterhaltungsindustrie. Kann eine solche Fortsetzung, die im Übrigen bislang späteste ihrer Art in der Filmgeschichte, überhaupt funktionieren?
In der Filmzeit zwischen "Mary Poppins" und "Mary Poppins' Rückkehr" sind zwar keine 54, aber dennoch etwa 25 Jahre vergangen. Der träumerischen, end-viktorianischen Zeit der Fin de siècle des Vorgängers folgt nun der "Great slump", die Depressionsära, und obgleich London auch in dieser filmischen Bühnenschau wie einer Postkarte entnommen anmutet, ist der Einstieg deutlich wehmütiger und schwerer als einst im Original. Entpuppte sich der Kernkonflikt um die Banks-Kinder Michael und Jane dort als Spannung zwischen ihrem strengbürgerlich auftretenden Vater und ihrem eigenen kindlichen Freiheitsstreben, ist der Grund für Mary Poppins Erscheinen diesmal ein ernsterer. Michael hat vor kurzem seine Frau bei einem Unfall verloren, ist mit seinen eigenen drei Kindern überfordert und wird von der Bank aus seinem Haus geschmissen. So überrascht Disney schon zum zweiten Mal im Kinojahr 2018 mit einer erstaunlich selbstreflexiven Fragestellung. Bereits in "Christopher Robin" zeigte Marc Forster den einstigen besten Freund von Winnie Puuh als desillusionierten Erwachsenen, der von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs geprägt wurde, und fragte, was von der Magie der Kindheit später übrig bleibe. Auch Michael und Jane sind kaum noch als ihre frühpubertären Kinds-Versionen wieder zu erkennen. Und so verwundert es nicht, dass Mary Poppins bei ihrem ersten Auftritt betont, sie sei erneut gekommen, um sich um die Banks-Kinder zu kümmern, wobei sie Michael und Jane ganz direkt miteinschließt.
Natürlich ist "Mary Poppins' Rückkehr" aber kein angestrengtes Sozialdrama und auch wenn kurzzeitig Schlangen vor den Suppenküchen und die Londoner Arbeiterbewegung angesprochen werden, müssen diese sozialen Themen allzu bald guter Laune und tanzenden Menschen weichen. Rob Marshall nutzt die Trostlosigkeit dieser historischen Epoche für einen Appell an den Geist der Einfachheit und für eine Rückbesinnung auf die "glücklichere" Vergangenheit. Nostalgie wird hier großgeschrieben, und Musicial-Routinier Marshall erzählt die verschiedenen Abenteuer von Mary und den drei Banks-Kindern mit Verve und deutlicher Reminiszenz an den Stil des Originals. In einem langen Ausflug geht es so erneut in eine Fantasie-Welt, die ganz im 1960er-Zeichentrickstil gestaltet wurde, und auch wenn keiner der legendären Songs des 64er Films wie "Chim Chim Cheree" oder "Supercalifragi..." neu aufgenommen wurde, erinnern die neuen, teils wunderbar komponierten Lieder überdeutlich an ihre Vorbilder. Und überhaupt ist diese "Rückkehr" fast schon überfüllt mit dem Gefühl des Vertrauten. Der Charakter des Lampenanzünders Jack kommt wie eine Kopie des Schornsteinfegers Bert daher, nur das Lin-Manuel Miranda zu keiner Sekunde an Dick van Dyke heranreicht (der dafür selbst einen famos-ironischen Cameo spendiert bekommt). Die großen Wendungen der Geschichte sind nahezu identisch mit jenen zarten Dramatisierungen in Stevensons Film. Und selbst die großen Starauftritte von Meryl Streep und Colin Firth sind zwar einerseits wunderbar gelungen, und leiden andererseits doch darunter, dass auch ihre neuen Figuren eigentlich keine sind. Streeps "Topsy" ist der Ersatz für die Nummernrevue des Onkel Alberts im Vorgänger und Colin Firth der nächste Mr. Dawes, der den kalten Kapitalismus des Bankenwesens zur Schau stellt.
Nostalgisch veranlagten Zuschauern wird das nicht viel ausmachen, denn die bekommen hier genau das geboten, was sie erwartet haben: Eine exakte Reanimation eines Kinokults, der seine anfänglich neue Wehmut durch ein Loblied auf alte Werte verdrängt. Und dagegen wäre bei einer so späten Fortsetzung gar nicht mal etwas zu sagen, wenn "Mary Poppins' Rückkehr" nicht viel mehr Remake als Sequel wäre. Dadurch entsteht einmal zu oft der Eindruck, Marshall habe so sehr auf Nummer Sicher gehen wollen, dass er vergessen hat, eigene Akzente zu setzen. Die kommen dafür von jemand ganz anderem: Was Emily Blunt in der Titelrolle veranstaltet, ist genau jene Magie zu verbreiten, die in Marshalls kalkuliertem "Mary-Poppins-Best-Of" etwas zu sehr auf der Strecke bleibt. Blunt emanzipiert sich durch ihre ihr eigene Strenge und Bestimmtheit sofort von Andrews' Interpretation der Rolle, gewinnt so aber auf ihre Weise die Herzen der Zuschauer, wenn sie nach einer kurzen Maßregelung plötzlich mit funkelnden Augen in voller Montur in der Badewanne versinkt und singend durch eine märchenhafte Unterwasserwelt gleitet. Sie ist der Motor, der den Film immer wieder vor dem Eindruck bewahrt, rein wirtschaftlich motiviert zu sein, und in der sich alle pädagogischen Ansätze der Rolle vereinen. Die Lebensphilosophie, die Mary-Poppins-Erfinderin P. L.Travers in ihren Romanen einst ausdrücken wollte, die unschönen Einflüsse des Lebens aus der Distanz mit Humor zu nehmen und seine Fantasie zu beanspruchen, artikuliert sie nicht über die Songtexte, sondern einzig über ihre Ausstrahlung und Spielfreude. Mehr von dieser Kraft und Eigenständigkeit hätte es für "Mary Poppins' Rückkehr" gebraucht, um sich als Fortsetzung oder besser: Fortführung der Themen und Figuren des Vorgängers zu behaupten.
Fazit: Letztlich ist "Mary Poppins' Rückkehr" einer jener Filme, denen man längst nicht so böse sein kann, wie man vielleicht möchte. Denn auch wenn die sklavische Nachahmung des Originals nicht sonderlich originell daherkommt, so funktioniert sie als quietschbunter Musical-Eskapismus für Jung und Alt mit einigen wirklich schönen Szenerien. Dank der famosen Emily Blunt gelingt so ein 131 minütiges Seufzen darüber, wie schön die eigene Kindheit doch war, als man sich noch von "Mary Poppins" verzaubern lassen konnte. Und mehr als das wollte Rob Marshall vermutlich gar nicht abliefern. Sein Ziel, kurzzeitige Unterhaltung nach vertrauten Mustern, hat er zweifellos erreicht - einen neuen Klassiker schafft man so aber nicht.
Lieben und sterben lassen
Widows
Es gibt Filme, da ist nach wenigen Sekunden alles gesagt. In "Widows" sehen diese ersten Momente so aus: Ein Paar liegt im Bett und küsst sich leidenschaftlich. Sie sind beide über 50, der Mann weiß, die Frau schwarz. Ihre Zungen dringen exzessiv in den Mund des anderen ein, dann ein harter Cut. Derselbe Mann, jetzt mit drei anderen Männern, maskiert und bewaffnet unterwegs, flieht von einem Raubüberfall. Einen weiteren Zwischenschnitt zum Ehegeschehen unter der Dusche später lässt er in einem Feuerball beschossen von unzähligen Polizisten sein Leben. In dieser kurzen Paralellmontage erzählt Regisseur Steve McQueen alles, was man über seinen Film wissen muss. Denn obwohl sich der Plot um drei Witwen dreht, die nach dem Tod ihrer kriminellen Gatten ihr eigenes Ding planen müssen, um den mörderischen Auftraggeber ihrer Männer zu bezahlen, ist "Widows" kein Heist-Movie, kein Thriller, und nicht mal ein echter Genrefilm, sondern eine komplexe Reflexion über den Menschen als soziales Wesen.
Obwohl es sich bei dieser Prämisse anbieten würde, ist "Widows" kein Film über tödlich coole Amazonen, die mit Todesblick und nervösem Finger am Abzug auf Rachetour gehen. Viel mehr entspinnt sich im vollgepackten Drehbuch von McQueen und Autorin Gillian Flynn nach loser Vorlage einer britischen Miniserie von 1983 ein breites Gesellschaftsporträt. McQueen nutzt das Genre des Heist-Thrillers nur lose für die innerfilmische Struktur, transzendiert sämtliche Genre-Elemente aber zu einem Konglomerat aus Politik, Emanzipation und menschlichen Abgründen. Seinen drei Protagonistinnen Veronica, Alice und Linda begegnet er mit Achtung und Mitgefühl, und lässt sie in ihrer Trauer um den schweren Verlust und das eigene "Erbe" wachsen: Veronica sieht sich durch den kriminellen afroamerikanischen Politiker Jamal bedroht, der sein Geld zurückwill, Alice ist den Misshandlungen ihres toten Mannes entkommen, aber dafür in einen Escort-Service abgerutscht und Linda muss erfahren, dass ihr privates Geschäft hinter ihrem Rücken vom verstorbenen Lebensgefährten verzockt wurde. Wie diese drei unterschiedlichen Frauen aus existenzieller Angst heraus eine Zweckgemeinschaft formen, gehört zu den großen Momenten des Filmjahres 2018. McQueen gelingt es dabei, die existentialistische Verzweiflung aller Akteurinnen so authentisch begreiflich zu machen, als würde man ihnen persönlich nahekommen. Auch danach geht er nie den einfachen Weg: Sämtliche körperlichen wie seelischen Anstrengungen auf dem Weg zum großen Überfall bekommen ebenso ihren Platz wie die lang andauernde Überzeugung des Trios, eigentlich nicht in die Kriminalität abrutschen zu wollen.
Parallel folgt McQueen aber auch einem anderen Machtkampf des Handlungsorts Chicago, wo der politische Außenseiter Jamal mit dem verlangten Geld versuchen möchte, seinen Wahlkampf gegen den schmierig-versnobten Tom Mulligan, den Stammhalter einer alteingesessenen lokalen Politdynastie, zu finanzieren. Dieser würde selbst eigentlich dem achtzehnten Bezirk Chicagos gern den Rücken zukehren, ist aber als Thronfolger seines Vaters zur Ortstreue verdammt. Wie auch bei den drei Witwen vereint sich in diesem Subplot eine Geschichte über tragische Charaktere, die verzweifelt versuchen, sich aus ihrer Statusfatalität zu erheben. Die (durchaus perfekt besetzten) Darsteller brauchen da nur noch ihr Übriges tun, um diesen bereits auf dem Papier faszinierenden Figuren Leben einzuhauchen. Colin Farrell als Mulligan brilliert dabei wie lange nicht mehr, sowie Schauspiellegende Robert Duvall als dessen Vater und Politoligarch auftrumpft. Viola Davis, Michelle Rodriguez und Elizabeth Debicki sind als Frauentrio absolut grandios, besonders Davis entspricht mit ihren bebenden Lippen und eiskalten Wimpernschlägen der suggestiven Kraft jener Bilder, die McQueens Kameramann Sean Bobbitt unvergleichlich zu kredenzen weiß. Und zusätzlich schockiert Daniel Kaluuya in einer der beängstigsten Rollen der jüngeren Kinogeschichte. Als gnadenloser Schuldeneintreiber im Dienste Jamals ist er mehrfach in unerträglich brutalen und sadistischen Gewaltszenen zu sehen, die einen so perfide wie nichts vergleichbares 2018 erwischen können.
Das alles bildet den Rahmen für einen Blick in ein Gesellschaftsviertel, welches von Korruption, Armut, Rassimus, Polizeigewalt und Gang-Kriminalität geprägt ist und in welchem sich die trauernden Witwen zu verorten versuchen. Und das dieser ambitionierte, gewalt(tät)ige und oft berührende Film nicht überfrachtet wird, liegt an der unglaublichen visuellen Erzählkunst seines Regisseurs. Wenn McQueen etwa den Tod eines schwarzen Jugendlichen durch übereifrige Cops zeigt, passiert dies unter den mahnenden Augen eines vergilbten Werbeplakats für Ex-Präsident Barack Obama. Und in einer anderen großartigen Plansequenz fährt Tom Mulligan mit seiner Sekretärin vom Wahlkampftermin in den Slums aus nach Hause - und während er im Auto tobt, bleibt die Kamera nur auf der Motorhaube und zeigt uns die vorbeiziehenden Häuser, vom Elends- ins Reichenviertel. Von der einen in die andere soziale Realität sind es nur drei Kurven. In diesen Momenten merkt man, dass hier ein Epiker des postmodernen Kinos die Zügel in der Hand hält und das es bei "Widows" viel mehr um die Welt geht, in der die Personen handeln als um klassische Suspense-Elemente. Erst in den letzten 25 Minuten verdichtet McQueen seinen Plot, und ergibt sich den funktional gemeinten Genre-Elementen mit entsprechend pulsierendem Score von Hans Zimmer, verbleibt dafür aber bei einer meisterhaften Konklusion: Offen, aber doch endgültig, bittersüß, aber nicht zu versöhnend.
Fazit: In den Hochzeiten der Serien-Unterhaltung hat sich David Simon mit "The Wire" einen Namen gemacht. Die vielschichtige, überkomplexe Geschichte der Kriminalität in Baltimore aus verschiedenen Perspektiven über einen Zeitraum mehrerer Jahre galt stets als das Paradebeispiel für Formate, die so im Kino nicht funktionieren können. Doch da hat man die Rechnung ohne Steve McQueen gemacht: Dem gelingt mit "Widows" nicht nur eine konzentrierte Analyse sozialer Ungleichheiten in Problembezirken, sondern durch geschickte Verdichtung auch ein großes, existenzielles Figurendrama vor dem Hintergrund einer formalen Genregeschichte, über Frauen, die sich nicht emanzipieren, weil das dem Bild der modernen Frau entspricht, sondern weil sie die Schnauze voll haben - und über Frauen, die einen bewaffneten Überfall auch deshalb begehen, weil dies letztlich weniger gefährlich ist als weiter in der Welt zu existieren, in der sie sich befinden. Und das dies nicht nebenbei, sondern stets miteinander verzahnt und gleichzeitig geschieht, ist eines der großen Wunder dieses Films und der Grund, warum man sich bei "Widows" keine Sekunde von der Leinwand abwenden kann.
Es gibt Filme, da ist nach wenigen Sekunden alles gesagt. In "Widows" sehen diese ersten Momente so aus: Ein Paar liegt im Bett und küsst sich leidenschaftlich. Sie sind beide über 50, der Mann weiß, die Frau schwarz. Ihre Zungen dringen exzessiv in den Mund des anderen ein, dann ein harter Cut. Derselbe Mann, jetzt mit drei anderen Männern, maskiert und bewaffnet unterwegs, flieht von einem Raubüberfall. Einen weiteren Zwischenschnitt zum Ehegeschehen unter der Dusche später lässt er in einem Feuerball beschossen von unzähligen Polizisten sein Leben. In dieser kurzen Paralellmontage erzählt Regisseur Steve McQueen alles, was man über seinen Film wissen muss. Denn obwohl sich der Plot um drei Witwen dreht, die nach dem Tod ihrer kriminellen Gatten ihr eigenes Ding planen müssen, um den mörderischen Auftraggeber ihrer Männer zu bezahlen, ist "Widows" kein Heist-Movie, kein Thriller, und nicht mal ein echter Genrefilm, sondern eine komplexe Reflexion über den Menschen als soziales Wesen.
Obwohl es sich bei dieser Prämisse anbieten würde, ist "Widows" kein Film über tödlich coole Amazonen, die mit Todesblick und nervösem Finger am Abzug auf Rachetour gehen. Viel mehr entspinnt sich im vollgepackten Drehbuch von McQueen und Autorin Gillian Flynn nach loser Vorlage einer britischen Miniserie von 1983 ein breites Gesellschaftsporträt. McQueen nutzt das Genre des Heist-Thrillers nur lose für die innerfilmische Struktur, transzendiert sämtliche Genre-Elemente aber zu einem Konglomerat aus Politik, Emanzipation und menschlichen Abgründen. Seinen drei Protagonistinnen Veronica, Alice und Linda begegnet er mit Achtung und Mitgefühl, und lässt sie in ihrer Trauer um den schweren Verlust und das eigene "Erbe" wachsen: Veronica sieht sich durch den kriminellen afroamerikanischen Politiker Jamal bedroht, der sein Geld zurückwill, Alice ist den Misshandlungen ihres toten Mannes entkommen, aber dafür in einen Escort-Service abgerutscht und Linda muss erfahren, dass ihr privates Geschäft hinter ihrem Rücken vom verstorbenen Lebensgefährten verzockt wurde. Wie diese drei unterschiedlichen Frauen aus existenzieller Angst heraus eine Zweckgemeinschaft formen, gehört zu den großen Momenten des Filmjahres 2018. McQueen gelingt es dabei, die existentialistische Verzweiflung aller Akteurinnen so authentisch begreiflich zu machen, als würde man ihnen persönlich nahekommen. Auch danach geht er nie den einfachen Weg: Sämtliche körperlichen wie seelischen Anstrengungen auf dem Weg zum großen Überfall bekommen ebenso ihren Platz wie die lang andauernde Überzeugung des Trios, eigentlich nicht in die Kriminalität abrutschen zu wollen.
Parallel folgt McQueen aber auch einem anderen Machtkampf des Handlungsorts Chicago, wo der politische Außenseiter Jamal mit dem verlangten Geld versuchen möchte, seinen Wahlkampf gegen den schmierig-versnobten Tom Mulligan, den Stammhalter einer alteingesessenen lokalen Politdynastie, zu finanzieren. Dieser würde selbst eigentlich dem achtzehnten Bezirk Chicagos gern den Rücken zukehren, ist aber als Thronfolger seines Vaters zur Ortstreue verdammt. Wie auch bei den drei Witwen vereint sich in diesem Subplot eine Geschichte über tragische Charaktere, die verzweifelt versuchen, sich aus ihrer Statusfatalität zu erheben. Die (durchaus perfekt besetzten) Darsteller brauchen da nur noch ihr Übriges tun, um diesen bereits auf dem Papier faszinierenden Figuren Leben einzuhauchen. Colin Farrell als Mulligan brilliert dabei wie lange nicht mehr, sowie Schauspiellegende Robert Duvall als dessen Vater und Politoligarch auftrumpft. Viola Davis, Michelle Rodriguez und Elizabeth Debicki sind als Frauentrio absolut grandios, besonders Davis entspricht mit ihren bebenden Lippen und eiskalten Wimpernschlägen der suggestiven Kraft jener Bilder, die McQueens Kameramann Sean Bobbitt unvergleichlich zu kredenzen weiß. Und zusätzlich schockiert Daniel Kaluuya in einer der beängstigsten Rollen der jüngeren Kinogeschichte. Als gnadenloser Schuldeneintreiber im Dienste Jamals ist er mehrfach in unerträglich brutalen und sadistischen Gewaltszenen zu sehen, die einen so perfide wie nichts vergleichbares 2018 erwischen können.
Das alles bildet den Rahmen für einen Blick in ein Gesellschaftsviertel, welches von Korruption, Armut, Rassimus, Polizeigewalt und Gang-Kriminalität geprägt ist und in welchem sich die trauernden Witwen zu verorten versuchen. Und das dieser ambitionierte, gewalt(tät)ige und oft berührende Film nicht überfrachtet wird, liegt an der unglaublichen visuellen Erzählkunst seines Regisseurs. Wenn McQueen etwa den Tod eines schwarzen Jugendlichen durch übereifrige Cops zeigt, passiert dies unter den mahnenden Augen eines vergilbten Werbeplakats für Ex-Präsident Barack Obama. Und in einer anderen großartigen Plansequenz fährt Tom Mulligan mit seiner Sekretärin vom Wahlkampftermin in den Slums aus nach Hause - und während er im Auto tobt, bleibt die Kamera nur auf der Motorhaube und zeigt uns die vorbeiziehenden Häuser, vom Elends- ins Reichenviertel. Von der einen in die andere soziale Realität sind es nur drei Kurven. In diesen Momenten merkt man, dass hier ein Epiker des postmodernen Kinos die Zügel in der Hand hält und das es bei "Widows" viel mehr um die Welt geht, in der die Personen handeln als um klassische Suspense-Elemente. Erst in den letzten 25 Minuten verdichtet McQueen seinen Plot, und ergibt sich den funktional gemeinten Genre-Elementen mit entsprechend pulsierendem Score von Hans Zimmer, verbleibt dafür aber bei einer meisterhaften Konklusion: Offen, aber doch endgültig, bittersüß, aber nicht zu versöhnend.
Fazit: In den Hochzeiten der Serien-Unterhaltung hat sich David Simon mit "The Wire" einen Namen gemacht. Die vielschichtige, überkomplexe Geschichte der Kriminalität in Baltimore aus verschiedenen Perspektiven über einen Zeitraum mehrerer Jahre galt stets als das Paradebeispiel für Formate, die so im Kino nicht funktionieren können. Doch da hat man die Rechnung ohne Steve McQueen gemacht: Dem gelingt mit "Widows" nicht nur eine konzentrierte Analyse sozialer Ungleichheiten in Problembezirken, sondern durch geschickte Verdichtung auch ein großes, existenzielles Figurendrama vor dem Hintergrund einer formalen Genregeschichte, über Frauen, die sich nicht emanzipieren, weil das dem Bild der modernen Frau entspricht, sondern weil sie die Schnauze voll haben - und über Frauen, die einen bewaffneten Überfall auch deshalb begehen, weil dies letztlich weniger gefährlich ist als weiter in der Welt zu existieren, in der sie sich befinden. Und das dies nicht nebenbei, sondern stets miteinander verzahnt und gleichzeitig geschieht, ist eines der großen Wunder dieses Films und der Grund, warum man sich bei "Widows" keine Sekunde von der Leinwand abwenden kann.
Re: Filmtagebuch: Wallnuss
Klingt gut! Da ich aktuell Urlaub habe und sonst nicht viel läuft, wäre das eigentlich ein Kinokandidat gewesen, aber natürlich läuft der bei uns wieder nur zu unmenschlichen Zeiten.
O Death! Won't you spare me over till another year?
Heaven's Gate – Das Tor zum Himmel
Es gibt Filme, die von ihrer eigenen Geschichte überschattet werden. Auf kaum ein Werk der Filmgeschichte trifft dies so zu wie auf den Spätwestern "Heaven's Gate", der 1980 in die Kinos kam und alle Vorzeichen für einen Hit aufwies. Mit Kris Kristofferson, John Hurt und Christopher Walken schmückten drei große, beliebte Namen die Hauptrollen, und dann saß auch noch ein gewisser Michael Cimino auf dem Regiestuhl. Cimino hatte erst zwei Jahre zuvor mit "Die durch die Hölle gehen" einen der wohl besten Kriegsfilme aller Zeiten gedreht, auch bei den Oscars gab es insgesamt fünf Goldjungen für sein Werk – darunter die Auszeichnung als Bester Film. Mit "Heaven's Gate" sollte er also gleich sein nächstes Meisterwerk nachschieben, ein Epos um die Besiedlungsmythen Amerikas, als europäische Einwanderer und einheimische Rinderbarone erbitterte Kämpfe führten. Doch es kam anders…
Cimino überzog das Budget so arg, dass der Film am Ende doppelt so teuer für das Produktionsstudio United Artists wurde und den Verantwortlichen manches graues Haar gekostet haben mag. Nicht nur das: Mit dem kommerziellen Scheitern von "Heaven's Gate" verpasste der ambitionierte Regisseur der auslaufenden Ära des New Hollywood endgültig den Sargnagel und wurde selbst im Filmgeschäft zur Persona non grata. Die Plattitüde, ob all der Film all das letztlich wertgewesen ist, soll an anderer Stelle erörtert werden. doch ist zumindest auffallend, wie passend sich "Heaven's Gate" als Endpunkt des New Hollywood historisch eignet, ist dieser dreieinhalb Stunden lange mythische Western schließlich nicht mehr oder weniger als ein in monumentaler Länge aufgezogener Schwanengesang, der in die tiefsten Hinterkammern der US-amerikanischen Identität vordringt und ein geschickt verdrängtes Trauma nach außen kehrt.
Da Michael Cimino sein Mammutwerk als Epos und nicht nur als Western verstanden wissen will, bettet er seine komplexe Geschichte in den historischen Kontext des Johnson-County Krieges. Damals, 1892 um genau zu sein, kam es in Wyoming zur blutigen Auseinandersetzung, als Rinderzüchter einen martialischen Krieg mit Kleinbauern begonnen, und eine Todesliste mit über 70 Namen herausgaben, auf der unter anderem auch Gesetzeshüter sich wieder fanden. Was andere Filmemacher als klassischen Stoff für eine große, reizvolle Abenteuergeschichte mit Suspense und Pathos genutzt hätten, wird unter Cimino zum Monumentalfilm, dessen Konflikte sich schwelend im Hintergrund ankündigen. "Heaven's Gate" macht es dem Zuschauer nicht leicht, gestaltet sich sperrig, fängt absolut Genre-untypisch an. Der Beginn des Films, ein beinahe halbstündiger Prolog, zeigt zwei Harvard-Absolventen im Jahr 1870 bei den Abschlussfeierlichkeiten, ausgelassen tanzend, den Frauen nachschauend.
Cimino eröffnet seinen Film so, weil er auch in den folgenden drei Stunden oft eher darauf bedacht ist, im Moment zu verweilen, als ein Narrativ zu fördern. Wenn es in den Westen geht, erinnert die Einführung des Antagonisten, von Christopher Walken auf dem Höhepunkt seiner beachtenswerten Karriere gespielt, an den ersten Auftritt klassischer Schurken des Genres, doch schon hier deutet sich Ciminos fatalistischer Nihilismus an: Durch ein Einschussloch betrachtet der Revolverheld sein so eben tödlich verwundetes Opfer, welches im Schlamm vor ihm sein Leben aushaucht, die Eingeweihde aus dem Körper quillend, von der schreienden Witwe durch das Himmelstor begleitet begleitet.
In der Welt, in der "Heaven's Gate" spielt, sind Freude, Glück oder gar Frieden nicht mehr oder weniger als Augenblicke, die stets von dem Damoklesschwert des Hasses und der Xenophobie überschattet werden. Wann immer in den 219 Minuten eine Figur lächelt oder gar lacht, bleibt die traurige Gewissheit, dass das Schicksal es mit niemandem in diesem Film gut meinen wird. Der direkte Übergang vom Harvard-Intro zum Western-Epos macht dies deutlich als jede vergleichbare Momentaufnahme: Eben noch sah man den jungen, ungestümen James Averill als idealistischen Studenten, mit breiter Brust und Hoffnung in den Taschen, nun sitzt er zwanzig Jahre später desilluisoniert in einem düsteren Zugabteil, ist der innerlich zerstörte Sheriff des Ortes Johnson County geworden. Seinen Idealismus hat ihn die vorzivilisatorische Grausamkeit der Welt ausgetrieben, in Johnson County ist kein Platz für Werte, hier stürzt niemand heldenhaft für den anderen in die Bresche.
Mit dieser unbarmherzigen Sezierung eines vermeintlich vergangenen Amerikas gelingt dem komplexen Drehbuch eine der vernichtendsten und gerade daher auch interessantesten Analysen und Entmythologisierungen der Vereinigten Staaten. Helden gibt es in diesem Land nicht, weil sie in einer so verdorbenen Gesellschaft nicht gedeihen können. An diesem Punkt ähnelt "Heaven's Gate" einer konsequenten Fortsetzung der Ideen und Themen aus Ciminos "Die durch die Hölle gehen". Beide Filme können leicht als Tragödien oder Trauerspiele missverstanden werden, doch bei beiden würde man ihnen damit Unrecht tun, sind ihre Charaktere doch von Vornherein Gefangene in einer derart verkommenen Welt, dass Cimino gar keine Tragödie mehr zu erzählen braucht. Stattdessen lässt er Kameramann Vilmos Zsigmond einfach dabei zusehen, wie sich seine Figuren, allesamt Außenseiter, begegnen und entscheiden müssen, auf welcher Seite sie beim Fressen oder Gefressenwerden stehen möchten.
Fremdenhass ist ein zentrales Thema des Films und wird seitens der Regie als integrales Gründerelement der "unbegrenzten Möglichkeiten" gedeutet, den die USA sich heute auf ihre Flagge schreiben. Alle Figuren hadern auf ihre Weise mit dem Gedanken der Bestimmung, und sie alle sind ohne es zu wissen von Beginn der Handlung an miteinander verbunden und spielen ihren entscheidenden Part im Aufbruch und Umsturz, den es hier zu entdecken gilt. Bis es zum großen Aha-Moment kommt, vergeht eine Menge Zeit, und da Cimino Moment auf Moment folgen wird, ist die Handlungsentwicklung schleppend, gerne auch mal anstrengend. "Heaven's Gate" ist die Sorte Film, die sich erarbeitet werden muss, deren Höhepunkt man sich erst verdient, wenn man sich auf das Spiel eingelassen hat und bereitwillig vom langen Atem des Films verschluckt wird. Einfach macht es einem der Großmeister nicht: Elliptisch sind seine Szenen angeordnet, Handlungselemente wirken willkürlich zusammengesetzt, und die fraglose Weitsichtigkeit des Films vermag an einigen Stellen einzuschüchtern. Michael Cimino ist kein David Lean, und trotz des blutgetränkten Finales auch kein Sam Peckinpah. Er ist kein Geschichtenerzähler, er ist ein Dokumentarist.
Anstelle zu berichten, ist Cimino selbst mit dabei, wenn die Gäule durch ihr Aufstapfen jedes Gefecht in eine Welt aus Staub hüllen. Der Regisseur wird selbst zum Charakter seines Films, ist mit der Kamera mitten im Geschehen, will jeden Aspekt des Gesehenen für zukünftige Generationen festhalten. Später legte ihm die negative zeitgenössische Kritik dies negativ aus, er habe sich mit "Heaven's Gate" überhoben. Falsch ist das nicht, allerdings auch nicht des Pudels Kern. "Heaven's Gate" ist ein pessimistischer Blick auf ein Stück Zeitgeschichte, ein subjektiv eingefärbtes Stück Erinnerungskultur, dass sich zu jedem Zeitpunkt zu seiner Subjektivität bekennt und sich um dramaturgische Muster und den Willen des Publikums nicht zu scheren braucht. Künstlerisch hat der Film seine Bedeutung unlängst wettgemacht, wird mittlerweile für seinen Detailreichtum geschätzt, und für seine Bemühungen gelobt.
Ist "Heaven's Gate" also ein verkanntes Meisterwerk, dessen unrühmlicher fester Platz der Filmgeschichte es zu überdenken gilt? Michael Cimino ist ein großer Missverstandener, dem sein liebevoller, aufmerksamer Blick an den Kinokassen zum Verhängnis wurde. Virtuos zeigt er seinen ungeschönten Blick auf das Gründungsfundament einer Weltmacht: Eine Nation, die nicht aus Träumen und Hoffnungen, sondern aus dem Dreck geboren und mit Blut erkämpft wurde. Dank ihm wissen wir: Wer durch die Hölle geht, landet am Tor zum Himmel.
Es gibt Filme, die von ihrer eigenen Geschichte überschattet werden. Auf kaum ein Werk der Filmgeschichte trifft dies so zu wie auf den Spätwestern "Heaven's Gate", der 1980 in die Kinos kam und alle Vorzeichen für einen Hit aufwies. Mit Kris Kristofferson, John Hurt und Christopher Walken schmückten drei große, beliebte Namen die Hauptrollen, und dann saß auch noch ein gewisser Michael Cimino auf dem Regiestuhl. Cimino hatte erst zwei Jahre zuvor mit "Die durch die Hölle gehen" einen der wohl besten Kriegsfilme aller Zeiten gedreht, auch bei den Oscars gab es insgesamt fünf Goldjungen für sein Werk – darunter die Auszeichnung als Bester Film. Mit "Heaven's Gate" sollte er also gleich sein nächstes Meisterwerk nachschieben, ein Epos um die Besiedlungsmythen Amerikas, als europäische Einwanderer und einheimische Rinderbarone erbitterte Kämpfe führten. Doch es kam anders…
Cimino überzog das Budget so arg, dass der Film am Ende doppelt so teuer für das Produktionsstudio United Artists wurde und den Verantwortlichen manches graues Haar gekostet haben mag. Nicht nur das: Mit dem kommerziellen Scheitern von "Heaven's Gate" verpasste der ambitionierte Regisseur der auslaufenden Ära des New Hollywood endgültig den Sargnagel und wurde selbst im Filmgeschäft zur Persona non grata. Die Plattitüde, ob all der Film all das letztlich wertgewesen ist, soll an anderer Stelle erörtert werden. doch ist zumindest auffallend, wie passend sich "Heaven's Gate" als Endpunkt des New Hollywood historisch eignet, ist dieser dreieinhalb Stunden lange mythische Western schließlich nicht mehr oder weniger als ein in monumentaler Länge aufgezogener Schwanengesang, der in die tiefsten Hinterkammern der US-amerikanischen Identität vordringt und ein geschickt verdrängtes Trauma nach außen kehrt.
Da Michael Cimino sein Mammutwerk als Epos und nicht nur als Western verstanden wissen will, bettet er seine komplexe Geschichte in den historischen Kontext des Johnson-County Krieges. Damals, 1892 um genau zu sein, kam es in Wyoming zur blutigen Auseinandersetzung, als Rinderzüchter einen martialischen Krieg mit Kleinbauern begonnen, und eine Todesliste mit über 70 Namen herausgaben, auf der unter anderem auch Gesetzeshüter sich wieder fanden. Was andere Filmemacher als klassischen Stoff für eine große, reizvolle Abenteuergeschichte mit Suspense und Pathos genutzt hätten, wird unter Cimino zum Monumentalfilm, dessen Konflikte sich schwelend im Hintergrund ankündigen. "Heaven's Gate" macht es dem Zuschauer nicht leicht, gestaltet sich sperrig, fängt absolut Genre-untypisch an. Der Beginn des Films, ein beinahe halbstündiger Prolog, zeigt zwei Harvard-Absolventen im Jahr 1870 bei den Abschlussfeierlichkeiten, ausgelassen tanzend, den Frauen nachschauend.
Cimino eröffnet seinen Film so, weil er auch in den folgenden drei Stunden oft eher darauf bedacht ist, im Moment zu verweilen, als ein Narrativ zu fördern. Wenn es in den Westen geht, erinnert die Einführung des Antagonisten, von Christopher Walken auf dem Höhepunkt seiner beachtenswerten Karriere gespielt, an den ersten Auftritt klassischer Schurken des Genres, doch schon hier deutet sich Ciminos fatalistischer Nihilismus an: Durch ein Einschussloch betrachtet der Revolverheld sein so eben tödlich verwundetes Opfer, welches im Schlamm vor ihm sein Leben aushaucht, die Eingeweihde aus dem Körper quillend, von der schreienden Witwe durch das Himmelstor begleitet begleitet.
In der Welt, in der "Heaven's Gate" spielt, sind Freude, Glück oder gar Frieden nicht mehr oder weniger als Augenblicke, die stets von dem Damoklesschwert des Hasses und der Xenophobie überschattet werden. Wann immer in den 219 Minuten eine Figur lächelt oder gar lacht, bleibt die traurige Gewissheit, dass das Schicksal es mit niemandem in diesem Film gut meinen wird. Der direkte Übergang vom Harvard-Intro zum Western-Epos macht dies deutlich als jede vergleichbare Momentaufnahme: Eben noch sah man den jungen, ungestümen James Averill als idealistischen Studenten, mit breiter Brust und Hoffnung in den Taschen, nun sitzt er zwanzig Jahre später desilluisoniert in einem düsteren Zugabteil, ist der innerlich zerstörte Sheriff des Ortes Johnson County geworden. Seinen Idealismus hat ihn die vorzivilisatorische Grausamkeit der Welt ausgetrieben, in Johnson County ist kein Platz für Werte, hier stürzt niemand heldenhaft für den anderen in die Bresche.
Mit dieser unbarmherzigen Sezierung eines vermeintlich vergangenen Amerikas gelingt dem komplexen Drehbuch eine der vernichtendsten und gerade daher auch interessantesten Analysen und Entmythologisierungen der Vereinigten Staaten. Helden gibt es in diesem Land nicht, weil sie in einer so verdorbenen Gesellschaft nicht gedeihen können. An diesem Punkt ähnelt "Heaven's Gate" einer konsequenten Fortsetzung der Ideen und Themen aus Ciminos "Die durch die Hölle gehen". Beide Filme können leicht als Tragödien oder Trauerspiele missverstanden werden, doch bei beiden würde man ihnen damit Unrecht tun, sind ihre Charaktere doch von Vornherein Gefangene in einer derart verkommenen Welt, dass Cimino gar keine Tragödie mehr zu erzählen braucht. Stattdessen lässt er Kameramann Vilmos Zsigmond einfach dabei zusehen, wie sich seine Figuren, allesamt Außenseiter, begegnen und entscheiden müssen, auf welcher Seite sie beim Fressen oder Gefressenwerden stehen möchten.
Fremdenhass ist ein zentrales Thema des Films und wird seitens der Regie als integrales Gründerelement der "unbegrenzten Möglichkeiten" gedeutet, den die USA sich heute auf ihre Flagge schreiben. Alle Figuren hadern auf ihre Weise mit dem Gedanken der Bestimmung, und sie alle sind ohne es zu wissen von Beginn der Handlung an miteinander verbunden und spielen ihren entscheidenden Part im Aufbruch und Umsturz, den es hier zu entdecken gilt. Bis es zum großen Aha-Moment kommt, vergeht eine Menge Zeit, und da Cimino Moment auf Moment folgen wird, ist die Handlungsentwicklung schleppend, gerne auch mal anstrengend. "Heaven's Gate" ist die Sorte Film, die sich erarbeitet werden muss, deren Höhepunkt man sich erst verdient, wenn man sich auf das Spiel eingelassen hat und bereitwillig vom langen Atem des Films verschluckt wird. Einfach macht es einem der Großmeister nicht: Elliptisch sind seine Szenen angeordnet, Handlungselemente wirken willkürlich zusammengesetzt, und die fraglose Weitsichtigkeit des Films vermag an einigen Stellen einzuschüchtern. Michael Cimino ist kein David Lean, und trotz des blutgetränkten Finales auch kein Sam Peckinpah. Er ist kein Geschichtenerzähler, er ist ein Dokumentarist.
Anstelle zu berichten, ist Cimino selbst mit dabei, wenn die Gäule durch ihr Aufstapfen jedes Gefecht in eine Welt aus Staub hüllen. Der Regisseur wird selbst zum Charakter seines Films, ist mit der Kamera mitten im Geschehen, will jeden Aspekt des Gesehenen für zukünftige Generationen festhalten. Später legte ihm die negative zeitgenössische Kritik dies negativ aus, er habe sich mit "Heaven's Gate" überhoben. Falsch ist das nicht, allerdings auch nicht des Pudels Kern. "Heaven's Gate" ist ein pessimistischer Blick auf ein Stück Zeitgeschichte, ein subjektiv eingefärbtes Stück Erinnerungskultur, dass sich zu jedem Zeitpunkt zu seiner Subjektivität bekennt und sich um dramaturgische Muster und den Willen des Publikums nicht zu scheren braucht. Künstlerisch hat der Film seine Bedeutung unlängst wettgemacht, wird mittlerweile für seinen Detailreichtum geschätzt, und für seine Bemühungen gelobt.
Ist "Heaven's Gate" also ein verkanntes Meisterwerk, dessen unrühmlicher fester Platz der Filmgeschichte es zu überdenken gilt? Michael Cimino ist ein großer Missverstandener, dem sein liebevoller, aufmerksamer Blick an den Kinokassen zum Verhängnis wurde. Virtuos zeigt er seinen ungeschönten Blick auf das Gründungsfundament einer Weltmacht: Eine Nation, die nicht aus Träumen und Hoffnungen, sondern aus dem Dreck geboren und mit Blut erkämpft wurde. Dank ihm wissen wir: Wer durch die Hölle geht, landet am Tor zum Himmel.
Re: Filmtagebuch: Wallnuss
In welcher Subraumanomalie warst du denn verschollen? Habe dich gefühlt 1 Jahr lang nicht gelesen! Freut mich.
Re: Filmtagebuch: Wallnuss
Ich glaub, das war nicht nur gefühlt so...wenn das man ausreicht ;)
Schön, dass du zurück bist, Michael
Unser neuestes Projekt: https://open.spotify.com/show/35s3iDdkQ12ikEFT9hOoTP - Talk rund um Filme und Serien
Re: Filmtagebuch: Wallnuss
Wow, was ein feines Review! Das ist wegen dem Mitwirken von Mickey Rourke definitiv interessant für unsere Actionfreunde-Seite. Darf ich das gute Stück umtopfen? Falls ja, unter welchem Namen willst du genannt werden? Wallnuss? Reallife-Name? Und welche Wertung gibst du final?
In diesem Sinne:
freeman
In diesem Sinne:
freeman
Re: Filmtagebuch: Wallnuss
Ich bin in der Tat über ein Jahr nicht mehr hiergewesen. Würde also dringend mal wieder Zeit. Die Review, Freeman, darfst du gerne nutzen, als Credit gern Michael Hille angeben.
Re: Filmtagebuch: Wallnuss
Sicher war es die Furcht vor Van Damme, die ihn wegtrieb vom Forum.
Das Review wäre wirklich zu schade, um es hier liegen zu lassen. Sehr fein geschrieben. Hab den hier noch originalverpackt im Capelight-Buch herumliegen, für so ein Ding muss man natürlich auch die entsprechende Zeit und Muße zur Verfügung haben.
Das Review wäre wirklich zu schade, um es hier liegen zu lassen. Sehr fein geschrieben. Hab den hier noch originalverpackt im Capelight-Buch herumliegen, für so ein Ding muss man natürlich auch die entsprechende Zeit und Muße zur Verfügung haben.
Mein Jahresranking: 2020 von schlecht bis toll
Da ich eh nichts Besseres zu tun habe, ranke ich die Filme mal, die ich dieses Jahr erstmals gesehen habe und die auch tatsächlich (zumindest in Deutschland) 2020 erschienen sind:
36. Artemis Fowl (Kenneth Branagh)
Einer der grässlichsten Filme des Jahres hat sich vor einem öffentlichen Debakel gerettet, in dem er einfach bei Disney+ erschienen ist, statt sein hässliches Gesicht auch noch im Kino zu zeigen. Die Umsetzung der Romanreihe, die es literarisch locker mit "Harry Potter" und Konsorten aufnehmen kann, ist ein Albtraum. Artemis wird im Film zum unsympathischen, neunmalklugen Rotzbengel, in einer Story, die so wenig zu erzählen hat wie sie bieder inszeniert ist. Aus einer an sich vielversprechenden Mischung aus Sci-Fi und Fantasy wird hier eine austauschbare CGI-Orgie mit dummen Elfen, die noch dümmere Laserwaffen einsetzen und generischen, reizlosen Wortmüll von sich geben. Humoristisch gemeinter Höhepunkt dieses filmgewordenen Auffahrunfalls: Ein Moment, als der mürrische Erzähler einen ahnungslosen Passanten anfurzt. Niveaulimbo: Der Film!
35. The New Mutants (Josh Boone)
- Ewig verschoben ist das "X-Men"-Spinoff nun erschienen. Endlich? Wohl kaum. Der Mix aus "The Breakfast Club", "Glass" und "A Cure for Wellness" ist größtenteils inkompetentes Filmemachen, und gelingt nicht mal als harmloser Horrorspaß für Teenager. Die durch die Bank tolle Besetzung wird in eindimensionalen Rollen verheizt und darf einen sinnentleerten Dialog nach dem anderen sprechen. Furchtbar dumm: Nach einer Minimalhandlung mit Schockmomenten aus der Rummelplatz-Geisterbahn wird ein ödes CGI-Massaker ans Ende gestellt, welches in seinen grotesken Ausartungen auch noch metaphorisch gemeint ist – und das in so einem bierernsten, langweiligen Durcheinander.
34. The Old Guard (Gina Prince-Bythewood)
- Der Actionfilm mit Charlize Theron von Netflix fühlt sich wie der Pilotfilm für eine Serie an, die nie bestellt werden wird. Gott sei Dank, muss ich hinzufügen. Das lausige Script um unsterbliche Söldner (die sich letztlich als Abklatsch einer Superheldentruppe herausstellen) ist mit wenig Mühe zusammengeschustert worden und hat kein Interesse an Charakterzeichnung oder einem vernünftigen Worldbuilding. Insgesamt dürfte der Film mehr Kopfschüsse in Gefechten verzeichnen als Dialogzeilen. Ein trauriges Resümee für einen Fantasy-Actioner, der ausgerechnet in den Fantasy- und Actionmomenten nichts Originelles zu bieten hat. Größtes Ärgernis: Das krude, unrhythmische Editing.
33. Die fantastische Reise des Dr. Doolittle (Stephen Gaghan)
- Eine Verschwendung von Geld & Lebenszeit. Robert Downey Jr. kaspert sich einen als die bekannte Buchfigur, die hier anders als zuletzt in den Eddie-Murphy-Vehikeln wieder näher an ihre Ursprünge zurückgeführt wird, aber genauso albern bleibt. Der furchtbar künstlich getrickste Kinderfilm hat keine interessante Botschaft, eine vollständige Abwesenheit liebenswerter Charaktere und ganz besonders schlimm: Er ist fürchterlich unwitzig. Das große Finale besteht aus einem ausgedehnten Furz- und Fäkalienwitz, merkwürdige Anspielungen an "Der Pate" sind tonal dermaßen daneben, dass meine Hand regelmäßig mit Wucht die Stirn gesucht hat. Ein Schuss in den Ofen, leider, und das mit Ansage.
32. Bill & Ted Face the Music (Dean Parisot)
Die Kultdilogie aus den späten 80ern / frühen 90ern für einen Neuaufguss zurückzuholen ist stellvertretend für die Einfallslosigkeit im Hollywood-Sektor: Lieber Altes aufwärmen als Neues erdenken. Doof nur, wenn dieses alte Material so sehr in seine Zeit eingebunden war, dass es 2020 nur noch wie infantile, altmodische Selbstparodie wirkt. Dermaßen einfalls- und witzlos hätte die Rückkehr von Bill & Ted aber dann auch wieder nicht ausfallen müssen. Aber: So sieht ein Film eben aus, wenn es ihn gar nicht geben sollte. Wären Keanu Reeves und Alex Winter nicht, man könnte diese schon in wenigen Monaten für immer vergessene, unnötige Mikrowellen-Ware getrost vergessen, doch das Duo hat so viel Spaß dabei, sich wieder als Kindsköpfe zu präsentieren, dass sie in wenigen Momenten doch ansteckend sind.
31. Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga (David Dobkin)
Wohlfühl-Kino, bzw. Wohlfühl-Streaming, immerhin ist die ESC-Verfilmung direkt bei Netflix gelaufen. Als Alternative zum dieses Jahr ausgefallenen Show-Event mag der Film seinen Job erfüllt haben, eigentlich ist er aber eine konzeptionelle Mogel-Packung. Der Humor ergibt sich so gut wie nie aus dem ESC, aus seinem Ruf, aus seinen Abläufen oder seinen Traditionen. Es entpuppt sich letztlich als das x-te Will-Ferrell-Vehikel, welches zufällig vor der Kulisse der europäischen Musikveranstaltung stattfindet. Mehr will die Komödie, die nebenbei noch Stars wie Pierce Brosnan oder Rachel McAdams an Bord hat, zugegeben aber nicht sein. Auf keine Kuhhaut gehen dafür fast sämtliche Songs und die nervig-erzwungenen Gastauftritte von ESC-"Ikonen" wie Conchita Wurst, Alexander Rybak oder Netta.
30. Tyler Rake: Extraction (Sam Hargrave)
Ultrabrutale Endlos-Action. Klingt gut? Nun: Für Action-Puristen ist das Netflix-Original mit Chris Hemsworth sicher eine Ausnahmeerscheinung in 2020, der die Härte vergangener Tage beschwört und eine furios geschnittene Ballerszene an die nächste reiht. Wer jetzt nach dem Plot fragt, für den gibt es keine Antwort: Eine Geschichte erzählt dieser Film nur notdürftig, lieber reiht er stumpfe, unendlich lange Tötungsszenen aneinander. Das ist filmisch nicht schlecht gemacht (eine äußerst aufwendige Szene, die als One-Shot konzipiert ist, sticht heraus), langweilt aber, weil die gewaltverherrlichende Tötungsorgie so stupide und substanzlos wie die letzten "John Wick"-Filme ausfällt. Handwerklich sind sie denen und eigentlich der gesamten Genre-Konkurrenz wenigstens deutlich überlegen. Der überflüssige Fortsetzungs-Köder ist dann bei einem Film ohne jede Spur von Handlung aber irgendwie amüsant.
29. The Trial of the Chicago 7 (Aaron Sorkin)
Auch Aaron Sorkin ist mittlerweile zu Netflix abgewandert und hat den namentlich beeindruckendsten Cast des Jahres zusammengestellt. Sorkin gilt als brillanter Autor, doch dieses Mal wird sein Stil zur Fassade: Der Gerichtsfilm und die schnellen, rhetorisch perfekt ausgeklügelten Dialogzeilen sorgen für eine unnachahmliche Coolness, verhindern damit aber das Aufkommen echter Emotionen. Wie Sorkin versucht, mit verschiedenen komplexen Ideen zu jonglieren und dabei so akkurat wie möglich den Prozess von 1969 nachzuzeichnen, ist löblich, aber eine zu große Herkulesaufgabe für den Autorenfilmer. Letztlich begeht sein Werk die Todsünde aller Filme: Es langweilt über zu weite Strecken, es erstickt in seinen prestigesuchenden Gesten. Ein beeindruckender Film, aber weiß Gott kein wirklich guter.
28. Vergiftete Wahrheit (Todd Haynes)
Wäre Mark Ruffalo kein Schauspieler, der jedem Stoff interessante Seiten abgewinnen kann, wäre dieses Biopic umso schwerer zu verkaufen gewesen. Der Umweltskandal um das Chemieunternehmen DuPont ist spannender, hochaktueller Filmstoff, der hier aber besonders bräsig und düster erzählt wird, dem dabei leider das Momentum tonal ähnlicher Stoffe wie "Spotlight" abgeht. Schade ist, dass die Erzählweise so konventionell und vorhersehbar abläuft. Auf diese Weise setzt sich die Empörung kaum ein, schlimmer noch: Dem Film gelingt es zu keiner Sekunde, die echten komplexen Zusammenhänge zwischen Umweltschutz, Wirtschaft und juristischer Verflechtung aufzuzeigen, womit das eigentliche Sujet narrativ ohne eine Entsprechung dasteht.
27. Onward: Keine halben Sachen (Dan Scanlon)
Anspruchslose Unterhaltung für die Kleinen, die für einen Pixar-Film erstaunlich schluderig daherkommt. Die ersten 15 Minuten sind ein grausiges 80er Jahre Teendrama, danach wird es etwas besser. Sobald die Handlung Fahrt aufnimmt, gibt es viele schöne Abenteuerabschnitte à la "Indiana Jones" oder "Der Herr der Ringe", denen jedoch – so ehrlich muss man sein – das emotionale Futter fehlt. So brillant die Animationen auch sein mögen, so seltsam unausgegoren ist die Fantasywelt geraten: In einer Welt, in der Zauberer, Elfen, Orks und Trolle nebeneinander leben, ist vor einigen Generationen die Magie verloren gegangen, weil moderne Technik wie Flugzeuge oder Smartphones für Bequemlichkeit sorgen. Eine tolle Idee, aber sie dient nur als Setting und wird nie groß vertieft, schlimmer noch, der Film behandelt ganz andere Themen, die vom Setting unangetastet bleiben. Ein ähnlicher Blender wie "Zoomania", aber trotzdem noch nett.
26. Mank (David Fincher)
Cineastischer Elitarismus in Reinkultur! Fincher verfilmt die Entstehungsgeschichte von "Citizen Kane" aus Sicht des Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz und erlaubt sich den Spaß, sämtliche Szenen in derselben Ästhetik wie "Citizen Kane" zu verfilmen, bzw. den Klassiker von Orson Welles immer wieder direkt zu zitieren. Das ist in dieser spielerischen Herangehensweise und hinsichtlich des mehr als dünnen Plots eigentlich nicht mehr als ein sehr teurer, sehr aufwendiger Studentenfilm, den die irren Produzenten bei Netflix wohl in Hoffnung auf einige Oscar-Statuen finanziert haben. Hinsichtlich des Drehbuchs ist das totaler Käse, der auf überkonstruierte Art und Weise versucht, die damaligen Gouverneurswahlen in Kalifornien als politischen Kommentar zum Trump-Amerika aufzublasen. Eine charmante Fingerübung, als funktionaler Spielfilm aber für jeden, der sich nicht für Filmgeschichte interessiert, kaum zu gebrauchen.
25. Der schwarze Diamant (Benny Safdie, Josh Safdie)
Wäre Regisseur John Cassavetes ein Millennial gewesen, hätte das vielleicht diesen Film ergeben. Könnte man Filme wie Menschen betrachten, sie personifizieren, so wäre das hier ein Adrenalin-Junkie mit ADHS. In rastloser Inszenierung jagt Adam Sandler durch eine Art kunterbunten hyperschnellen Großstadtthriller, wobei hier vor allem ein Schnittmassaker verdeutlichen soll, wie kurzweilig das Treiben ist. Anders als ähnliche Turbo-Filme, die sich aber wenigstens zwischendurch dann doch kurze Atempausen gönnen, gibt es hier keine Gedanken ans Luftholen. Das ist in dieser Konsequenz fraglos inspirierend, und Adam Sandler in der manischen Hauptrolle ist eine kleine Schauspiel-Sensation, doch für nicht jeden ist diese anstrengende Sinnesüberlastung ein filmisches Erlebnis. Ich für meinen Teil habe sie in der zweiten Hälfte als ziemliche Tortur empfunden.
24. Jim Knopf und die Wilde 13 (Dennis Gansel)
Die erste Realverfilmung der Jugendbuch-Klassiker von Michael Ende war eine erstaunlich gelungene Adaption, die dicht am literarischen Original und doch mit hübschen visuellen Einfällen die Geschichten um Jim Knopf und Lokomotivführer Lukas ins 21. Jahrhundert transportierten. Beim zweiten Streich gelingt das nicht mehr wirklich, weil die Leichtigkeit und die Entspanntheit abhanden gekommen sind. Teil 2 ist größer, düsterer und gleichzeitig wie so häufig bei Sequels hauptsächlich mehr von allem, was beim ersten Mal gut funktioniert hat. Das Buch von Ende wird wieder überzeugend auf die Leinwand gebracht, doch schon das konnte seinerzeit nicht mehr mit der erfrischenden Simplizität des Vorgängers mithalten. Ein Phänomen, welches sich leider beim Vorgang der Adaption mit in den Film eingeflossen ist.
23. Soul (Pete Docter)
Der ambitionierteste Pixar-Film bislang bekommt nur einen Start bei Disney+ – eine kleine Tragödie. Wer hätte schon erwarten können, dass in einem Animationsfilm, dessen Hauptzielgruppe immer noch Kinder sind, u.a. C.G. Jung auftaucht und über das Unterbewusste spricht. Oder in der Szenen, die abstrakt das "Dasein der Seele außerhalb der irdischen Existenz" abbilden sollen, der Filmklassiker "Irrtum im Jenseits" von 1946 zitiert wird. So weit hat sich Pixar noch nie aus dem Fenster gelehnt – und dementsprechend überladen ist der Endeindruck. In einem Mix aus "Alles steht Kopf", "Coco" und "Alle Hunde kommen in den Himmel" will das Studio gleichzeitig die afroamerikanische Lebenswelt im Jahr 2020 abbilden, zivilisationsanalytische Fragen zum Sinn des Lebens stellen, spirituelle Richtungen der Weltreligionen vereinen und dennoch vor allem Kinder unterhalten. Das Ergebnis ist ein unausgegorener Film, der seine komplexen Ideen immer zugunsten von albernem Slapstick und einer lächerlich simplen Körpertausch-Geschichte zurückstellen muss, und nie die emotionale Kraft erreicht, die sich mit Pixar assoziieren lässt. Ausgerechnet diesem Film fehlt bei aller Ambition letztlich die Seele, wenn er auf den letzten Metern eine kraftvolle Botschaft für Hollywood-Kitsch opfert.
22. Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn (Cathy Yan)
Manchmal macht es einfach Klick, und dann will ich auch gar nicht groß herum analysieren. Der neueste Film aus dem DC-Filmuniversum ist ein kleiner, derber Actionfilm-Spaß rund um Harley Quinn und ein paar andere Powerfrauen, die in launiger Manier Knochen zertrümmern und Bösewichte zerprügeln, wie es sonst nur in "Atomic Blonde" oder "The Raid" vorgemacht wird. Sicher: Das Drehbuch ist eine unstrukturierte Aneinanderreihung chaotischer Szenen, keine der Figuren bekommt sonderlich viel Substanz, aber was hier betrieben wird, ist kein Comicblockbuster von der Stange, sondern ein ästhetisch aufpoliertes Comeback der B-Movie-Zunft, die mancher gerne für ausgestorben hält. Wer sich drauf einlassen kann, hat einen netten Filmabend vor sich, in dem der unbestreitbare Höhepunkt eine surreale Traumsequenz ist, in der Margot Robbie als Harley Quinn sich in das Musikvideo von "Diamonds are a girls best friend" von Marilyn Monroe hineindenkt.
21. Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden (Aritz Moreno)
Eine spanische Groteske durch und durch, doch leider verwechselt dieser thematisch interessante Film regelmäßig Tempo mit Enthusiasmus. Die schwarze Komödie ist irre schnell erzählt, und dabei durchweg unterhaltsam, doch versucht sie auch so krampfhaft an die Meisterwerke von Luis Buñuel zu erinnern, dass sie manchmal vergisst, sich die Zeit zu nehmen, um etwas Eigenes zu werden. Gestaltlerisch ist das nicht wirklich überzeugend, eine eher wirre Mischung aus verschiedenen Stilen, die kein einheitliches Ganzes formen. Der Humor aber zündet durchaus, wenn sich aus den im Titel behaupteten obskuren Geschichten mehrere Filme im Film ergeben, die in ihrer jeweiligen Ausrichtung zu überraschen wissen. Da es sich hier um einen Debütfilm handelt, könnte bei Folgewerken mehr inszenatorisches Selbstbewusstsein zu den vorhandenen schrägen Ideen hinzukommen.
20. 1917 (Sam Mendes)
Hier wird "Dunkirk" mit der Ästhetik von "Birdman" inszeniert. Ohne sichtbaren Schnitt begibt sich ein britischer Soldat von seinem aktuellen Standort bis ganz nach vorne an die Front, um eine wichtige Botschaft zu übermitteln und damit einen Haufen an Menschenleben zu retten. In der ersten Hälfte sorgt die unendliche Kamerafahrt für eine starke Imersion ins Geschehen und hat einige famose Momente parat. Besonders im Gedächtnis blieb mir die Stelle, in der man meherere Minuten einem sterbenden Soldaten beim aus dem Leben scheiden beiwohnen kann und sieht, wie sich langsam die Farbe aus seinem Gesicht verabschiedet. Im späteren Verlauf wird die mit zahlreichen Gastauftritten von Stars (Colin Fith, Andrew Scott, Benedict Cumberbatch, Mark Strong) gepflasterte Kriegsfilm-Odyssee zum absurden Adventure-Videospiel mit Level-Logik und strapaziert die Glaubwürdigkeit des Konzepts zu arg über. Ein interessanter, durchaus nicht unspannender Film, der jedoch etwas blutleer und heroisch verbleibt.
19. Enola Holmes (Harry Bradbeer)
Abseits der Kinoleinwände ermittelt bei Netflix "nur" die kleine Schwester von Sherlock Holmes, die ihrem Bruder natürlich im Hinblick auf ihren Verstand ebenbürtig ist. Enolas Geschichte ist ein Jugendfilm aus dem Lehrbuch, und lebt zu 100 Prozent vom subtilen, reifen Spiel der Hauptdarstellerin Millie Bobbie Brown. Sie darf ihre Spielfreude besonders immer dann vorführen, wenn sie sich direkt an den Zuschauer richtet und die vierte Wand durchbricht, ein Stilmittel, dessen komödiantisches Potenzial hier nicht ausgereizt, aber vernünftig genutzt wird. Das Drumherum ist ein handelsüblicher Krimi, mit all den kleinen Wirrungen, die diese Filme so in sich haben – und wenn man ganz ehrlich ist, hat all das mit Sir Arthur Conan Doyle und dem Mythos rund um Sherlock Holmes rein gar nichts zu tun. Wenn einen das nicht stört, ist der harmlose Spaß den Abend durchaus wert.
18. Cats (Tom Hooper)
Liebe Internetgemeinde: Was war an dieser Musical-Verfilmung bitte so furchtbar? Natürlich lässt sich der Geist von Andrew Lloyd Webber nicht in einen Film übertragen. Natürlich sieht eine am Computer erzeugte Zwitterwesensversion von Mensch und Katze surreal und unwirklich aus. Natürlich können Stars wie Ian McKellen, Taylor Swift oder Jason Derulo nicht mit echten Musical-Darstellern konkurrieren. Trotzdem ist das hier ein Film geworden, der künstlerisch ein Wagnis eingeht, der mutig mit seinen Stilmitteln eine Melange aus Theater und Kino erzeugen will. Nicht jeder Einfall glückt dabei, dennoch ist diese ziemlich direkte Übertragung des Bühnenstücks in ein filmisches Kleid vor allem eine große Liebeserklärung an das Musical-Theater – und hat die groteske Aufregung drum herum nicht verdient.
17. Jojo Rabbit (Taika Waititi)
Ein kleiner Junge aus der Hitler-Jugend, dessen imaginärer Freund der Führer persönlich ist, entkommt durch die Freundschaft zu einem jüdischen Mädchen seiner Indoktrinierung. Dieser Plot könnte in jedem Genre erzählt werden und deshalb versucht der Film gleich alle Tonalitäten auf einmal. Der emotional herausfordernde schnelle Mix aus bitterer Tragödie und herzenswarmer Komödie ist eine der ungewöhnlichsten Herangehensweise an das dunkle Kapitel der NS-Zeit seit langem, funktioniert über weite Strecken aber mit einer bemerkenswerten Treffsicherheit. Der Humor ist erfreulich subversiv und damit tiefgehend, die NS-Ikonographie und ihr Pathos werden auf hintergründige Weise vorgeführt, sodass sich mit sicherem zeitlichen Abstand zu dieser Zeit darüber Amüsement einstellen mag. Nicht so gelungen ist der Versuch, parallel auch eine Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen, da so die Fokussierung auf die schlauen historischen Kommentare verwässert wird. Ebenfalls gestalten sich die Auftritte von Sam Rockwell und Rebel Wilson in unnötigen Klischeefiguren als tendenziell nervig.
16. Emma (Autumn de Wilde)
Wirklich überzeugende, in ihrer sinnlichen Erzählweise sogar emotional kluge Verfilmung des literarischen Meisterwerks von Jane Austen. Mit viel Mühe wird eine prunkvolle Welt gezeichnet, in der die Titelfigur beständig arrogantes Auftreten mit gesundem Selbstbewusstsein verwechselt. Die Risse im Marmor, durch welche die Vorlage zu einem Meilenstein in Hofdarstellungen wurde, sind hier minutiös herausgearbeitet und ein großer Spaß, auch wenn Anya Taylor-Joy vielleicht an manchen Stellen fehlbesetzt wirkt. Statt einer simplen Romantic Comedy bemühen sich die Macher des Films um eine feministische Neuinterpretation des Romans. Nicht an allen Stellen geglückt, ist der Unterhaltungswert dennoch hoch und manche Dialogzeile so elegant, dass sie sich leicht auch Wochen nach der Filmsichtung erinnern und in eigenen Wortgefechten einbinden lässt.
15. Knives Out (Rian Johnson)
Den ungewöhnlichsten Genre-Twist des Jahres hat sich Rian Johnson zuzuschreiben und es gehört schon eine große Portion Irrwitz dazu, ein klassisches Agatha-Christie-Whodunnit innerhalb weniger Minuten in einen beinharten Suspense-Thriller der Marke Alfred Hitchcock umzuwandeln. Über weite Strecken haftet dem etwas anderen Krimi so der postmoderne Schleier der Unvorhersehbarkeit an, ehe letztlich dann doch auf den Genre-üblichen Erklärbärmonolog des hier gar nicht mal so schlauen Ermittlers zurückgegriffen wird. Die fabelhafte Besetzung ist bis in die kleinste Rolle toll besetzt, besonders hervorragend ist Ana de Armas in der weiblichen Hauptrolle und der majestätisch agierende Christopher Plummer, der nur in Rückblenden auftritt – immerhin ist er die Leiche. Etwas zu schlau will das Drehbuch aber schon sein und in der zweiten Hälfte werden so viele unglaubwürdige Wendungen aneinandergereiht, dass nur noch der Spaß-Faktor entscheidet, wie sehr man bereit ist, hierüber hinwegzusehen.
14. Da 5 Bloods (Spike Lee)
Jetzt ist sogar Spike Lee bei Netflix gelandet? Ja, so ist es. Und ungeachtet dessen, wie man zum Streamingmarkt stehen mag, ist sein Kriegsdrama, welches er dort lanciert hat, die Sichtung allemal wert. Wenn die ehemaligen Vietnam-Veteranen nach mehreren Jahrzehnten in das Land zurückkehren, das sie einst traumatisiert verließen, ergibt das viele starke Momente, die auch aus dem Fundus der Filmgeschichte schöpfen: Eine Bar heißt "Apocalypse Now" und natürlich darf Wagners Wallkürenritt nicht fehlen. Als amüsantes Roadmovie mit Tiefgang funktioniert der Netflix-Oscaranwärter spielerisch. Bei den Versuchen, gleichzeitig auch einen Kommentar zum strukturellen Rassismus in den USA einzuweben, wandelt er Film aber auf der Schwelle zwischen klugen Beobachtungen (herrlich: Ein Dialog über "Rambo" stellt fest, wie rassistisch auch das Denken in Hollywood war und ist) und plumpen Überzeichnungen.
13. Der Fall Richard Jewell (Clint Eastwood)
Großmeister Clint hat einen neuen Film und erst nach einer gefühlten Ewigkeit gab es den auch mal bei uns zu sehen. Gelohnt hat sich die Wartezeit: So schnörkellos und aufrichtig an der Spannungsschraube können nur wenige drehen und für Eastwood ist das gerade mal Routine. Sieht aber nie so aus, fühlt sich nie so an. Strukturell und thematisch ist die Verfilmung des Sicherheitsmannes, der beim Attentat auf die Olympischen Spiele in Atlanta 1996 eine entscheidende Rolle spielte, eng mit seinem Heldenporträt "Sully" verbunden und insgesamt ist das Werk etwas zu groß, etwas zu aufgedunsen auf verschiedene Akteure, um die selbe emotionale Stringenz von "Sully" zu beweisen. Trotzdem ist das großes, spannendes Kino nach wahren Begebenheiten und die Sichtung definitiv wert.
12. Der Unsichtbare (Leigh Whannell)
So effektiv darf Horror gerne häufiger sein. Dass hier ein unsichtbarer Killer Jagd macht, ist nicht der wahre Grund, warum es sich bei diesem Film leicht gruseln lässt. Als erster Genre-Film verarbeitet diese lose H.G. Wells Adaption sozialkritische Aspekte mit existentialistischen Zwischentönen. Elisabeth Moss ist großartig in der Rolle der Verfolgten, die nicht einfach bloß die nächste Scream Queen ist, sondern ein Missbrauchsopfer. Der smarte Dreh für diese moderne Neuinterpretation ist die Verarbeitung des #metoo-Skandals. Statt eines Monsters heißt das wahre Grauen hier toxische Maskulinität. Ohne erhobenen Zeigefinger wandelt sich das Horrordrama zum Ende so in eine feministische Ermächtigungsgeschichte.
11. Waves (Trey Edward Shults)
Eine eigensinnige Betrachtung des sogenannten "American Way of Life", in welchem die Familie gerne als Rückzugsort, als sicherer Hafen propagiert wird. Hier steht sozusagen der "Afroamerican Way of Life" im Vordergrund, in dem die Familie nicht weniger wichtig ist, aber auch einen enormen Druck ausübt. Wie "Moonlight" wird die Dekonstruktion fragiler schwarzer Männlichkeit betrachtet und in nüchternen, aber nachdenklichen Bilder aufgedröselt. Formell ist das ein brillantes Drehbuch, einzig die popkulturell aufgeladene, farblich warme Inszenierung schießt in ihrem Musikvideo-Pathos gelegentlich über das Ziel hinaus. Die emotionale Kraft dieses Films mindert das keineswegs.
10. Für Sama (Waad al-Kateab, Edward Watts)
Mit Zeitsprüngen und Smartphone-Aufnahmen aus verschiedenen Jahren zeigt dieser großartige Dokuementarfilm den Syrienkrieg von Baschar al-Assad gegen einen Teil des eigenen Landes aus der Perspektive einer Mutter aus Aleppo. In ungestellten, unaufdringlichen Wechseln wird so die gekippte Stimmung im Land deutlich: Von der Studentenrevoltevon 2012 bis ins Jahr 2016, dem Moment, in dem Waad al-Kateab (die zu ihrem eigenen Schutz ihren Namen änderte) ihr Heimatland für immer verließ. Ein zeitgemäßes, erschreckendes Porträt, das sich deshalb so tief ins Unterbewusstsein eingräbt, weil es in seiner Handykamera-Ästhetik die Unaufgeregtheit von Social Media Videos auf Instagram für sich einnimmt, und sie mit Momenten des Schreckens füllt.
09. The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson, Michael Schwartz)
Endlich mal ein großes, in seinen Motiven und Themen uramerikanisches Drama um Personen, welches sich nicht gezwungen fühlt, auf die Tränendrüse zu drücken. Verdammt nochmal, so gestaltet sich ein gefühlvoller Film, der echte Gefühle transportiert und sie nicht behaupten muss. Cineastische Empathie kann so einfach sein, in dem man die Figuren nicht im Dienste eines Plots oder einer Aussage stellt, sondern sie wie in dieser Tragikomödie kommunizieren lässt – verbal und nonverbal. Wenn der junge am Down-Syndrom erkrankte Mann von der Diskriminierung berichtet, die ihm im Alltag begegnet, oder wenn seine idealistische Pflegerin jeder Zeit alles für ihn stehen und liegen lassen würde, ist das kein Kitsch der Marke Traumfabrik, sondern eine Bestandsaufnahme verunsicherter, junger Menschen, die versuchen, in ihrem Leben einer Richtlinie zu folgen, die sie selbst noch nicht verstanden haben oder definieren können. Aufrichtiges Kino, ohne Plädoyer, mit (Fein-)Gefühl.
08. Queen & Slim (Melina Matsoukas)
Was wurde dieser Film nicht stark missverstanden? Überall las man von der afroamerikanischen Version der "Bonnie & Clyde"-Geschichte. Doch mit Arthur Penn hat dieser Film rein gar nichts zu tun, denn der Fokus liegt nie auf der Sexualisierung von Gewaltikonographien. Stattdessen wird hier das festgefahrene Rassenverständnis der USA unter dem Mikroskop zensiert, ohne auf der sogenannten White Trash Sozialisation herumzuhacken. Offensichtlich wurde dieser Film mit sehr viel Wut im Bauch gedreht, und einige Monate später veröffentlicht hätte er wie kein anderer die politische Stimmungslage in den #BlackLivesMatter-Monaten auffangen können. Das hier mag ein Personenstück, ein Thriller sein, und es ist doch ein durch und durch politischer, ideologischer Film, der aufrütteln will – was ihm ohne große Mühe gelingt.
07. Tenet (Christopher Nolan)
Ist das Größenwahn, eine für sich betrachtet philosophische Fingerübung als Multimillionen-Produktion umzusetzen? Wird diese Geschichte nur deshalb als Actionfilm, als postpostmoderne "James Bond"-Iteration aufgeladene Handlung erzählt, um den Mainstream in dieses selbstreflexive Stück Kino zu täuschen? Klares Ja. Verwerflich allein ist das gar nicht, wenn die Mischung so virtuos und ausgeklügelt ihr Spektrum an Raffinesse auf der Leinwand entfaltet. Es ist leicht, dieses schwierige Stück Film als Sci-Fi-Epos misszuverstehen, als physikalischen Zeitreisefilm, denn im Kern geht es um die Philosophie der Zeit, sowohl im echten Leben als auch in der Erzählkunst. Christopher Nolan gelingt ein mutiger, mit Aussagen beinahe überladener cineastischer Essay. Muss er sich dafür entschuldigen, diesen auf die möglichst unterhaltsamste Art und Weise inszeniert zu haben?
06. Pinocchio (Matteo Garrone)
Sein "Das Märchen der Märchen" gehörte zu den besten Filmen der 2010er und ist das zentrale Märchenfilm-Meisterwerk der jüngeren Filmgeschichte. Nach einem Ausflug in Mafia-Gefilde im ähnlich meisterhaften "Dogman" backt Matteo Garrone nun kleinere Brötchen und verfilmt ohne großes Aufsehen die Geschichte des hölzernen Knaben, der ein normaler Junge werden will. Ohne große Abweichungen von der Originalgeschichte besticht diese Version durch ihre schaurig reale Optik, durch die die perfide Pädagogik der berühmten Story zum skurrilen Bodyhorror transformiert wird. Allein das ist eine Meisterleistung, wäre da nicht auch noch die einmalige Ausstattung, die dieses Jahr in Punkto Detailverliebtheit und Patina im Filmbereich ihres Gleichen sucht und den richtigen Spagat aus Märchenverfilmung und Kunstkino hinbekommt.
05. Jean Seberg: Against all Enemies (Benedict Andrews)
Schauspielerin Jean Seberg wird filmhistorisch vor allem durch ihre Rolle im Nouvelle-Vauge-Klassiker "Außer Atem" assoziiert. Das ihr jetzt ein Film gewidmet wurde, der sich ebenso in der Zukunft als Klassiker herausstellen könnte, ist eine der tollen Geschichten, die das Kino selbst schafft. Kristen Stewart spielt die französische Film-Ikone mit faszinierendem Dekor. Der Fokus liegt nicht auf Sebergs Filmen, sondern auf ihrer Affäre mit Bürgerrechtler Hakim Jamal, durch welche sie zur Zielscheibe des FBI wurde. Über 100 Minuten lässt sich so hautnah miterleben, wie die zerbrechliche Psyche einer Frau, die ein Leben auf der Überholspur lebt, um ihre inneren Dämonen still zu halten, von äußeren Umständen vollständig annihiliert wird. Ohne Frage: Das stärkste Personendrama des Jahres!
04. The Gentlemen (Guy Ritchie)
Warum Guy Ritchie immer noch eine der stärksten Stimmen des zeitgenössischen Kinos ist, stellt sein neuester Streich unter Beweis, bei dem er zu seinen Ursprüngen zurückfindet, aber die perfektionistische Ausgestaltung seiner Hollywood-Ausflüge übernimmt. Das destruktive, rasante Gauner-Epos, irgendwo zwischen "Der Pate" und "Snatch" angesiedelt, verlangt vollste Konzentration vom Zuschauer, da es offen damit spielt, mehrere Sachen von der ersten Szene an auf einmal zu versuchen. Eine unchronologisch erzählte Charakterstudie eines Alphamännchens und seiner Fassaden ist der oberflächliche Fokus, gleichzeitig wird aber die britische Selbstwahrnehmung im Post-Brexit-Zeitalter verhandelt. Und wäre das nicht genug, sorgt die selbstironische, innovative Regie für einen Meta-Kommentar auf die Funktionalität und Effektivität des postmodernen Kinos. Der coolste, aber auch der intelligenteste Film der jüngeren Vergangenheit.
03. Little Women (Greta Gerwig)
"Betty und ihre Schwestern" wurde so oft verfilmt, dass es zu dem Stoff nichts mehr zu sagen gibt oder? Falsch! Wie immer ist das Kino das beste Medium für Neuausrichtungen, für kreatives Umdenken. Intellektuell, so kann man diese Verfilmung eines sogenannten Bildungsromans wohl am ehesten bezeichnen. Das geniale Drehbuch zeigt auf, wie viel sich aus einem bekannten Stoff herausholen lässt, durch einen einzigen narrativen Taschenspielertrick: die Ellipse. Dramaturgisch und chronologisch verrückt ist diese Adaption keine stringente Geschichte, sondern ein Mosaik von Momenten, die weiblichen Individualismus feiern, ohne einen bemühten Feminismus des 21. Jahrhunderts predigen zu müssen. Gleichzeitig ist dieser Film eine Lehrstunde in Publikumsmanipulation: Durch simpelste Informationsvorenthaltungen wird auf der Klaviatur der Erwartungen gespielt, ähnlich furios, wie es Alexandre Desplat im traumhaften Soundtrack tut.
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02. Kajillionaire (Miranda July)
Vielleicht ist es den Begleitumständen des Corona-Jahres 2020 geschuldet, dass das wahre filmische Meisterwerk von einer Familie handelt, einer Familie aus Betrügern, deren größter Betrug die Illusion einer intakten Familie ist. Soziale Inkompatibilität ist das erste und wichtigste Attribut, welches der Tochter des Betrügerpaares anhaftet, brillant gespielt von Evan Rachel Wood. Sie ist eine Empathin, gleichzeitig der Lebenswirklichkeit der verschiedenen sozialen Schichten aber fremd. Ihre Handlungen, aber auch ihre Verwurzlung in das Treiben der eigenen Verwandten, sind das Zentrum dieses berührenden Films, der lange Zeit von seiner Skurrilität a la Wes Anderson heraus Aufmerksamkeit bezieht. Natürlich sind das Kunstfiguren, und dennoch rühren sie zu Tränen, denn sie sprechen unser Innerstes an: Das Gefühl, einerseits den eigenen Weg gehen zu wollen, andererseits aber auch dazugehören zu müssen. Dermaßen brillant habe ich das Gefälle aus Individualismus und Gesellschaftswesen selten präsentiert gesehen. Bravo!
01. Hamilton (Thomas Kail)
Auf Disney+ ist dieses Jahrhundertwerk jetzt als filmische Aufbereitung eines Konzertmitschnitts veröffentlicht worden. Das "Hamilton"-Broadwaymusical ist vielleicht das medienübergreifende popkulturelle Meisterwerk des vergangenen Jahrzehnts. Nun rufen Puristen: Ein Konzertmitschnitt sei kein Film, sei nicht the real deal. Und natürlich gilt für die Theatererfahrung: Nichts ist vergleichbar damit, im Raum gewesen zu sein, in dem es passierte. "Hamilton" auf Disney+ gar nicht erst der Versuch, die Audience Experience eines Broadway-Stücks erlebbar zu machen. Stattdessen bringt uns die Kamera ganz nah ran an die Akteure, begrenzt bewusst unseren Blickwinkel, verweigert uns gerne den Blick auf die ganze Bühne. Die Regie ist für die Kamera akzentuiert, setzt Schwerpunkte, entschlankt. "Hamilton" auf Disney+ ist ein Film, und doch kein Film. Es ist eine Melange, ein Zwitterwesen, ein hungriges Biest. Eine neue Erfahrung. Was es aber nicht ist: Ein Kompromiss, bei dem der Cineast seine Ansprüche auf komplexes Filmhandwerk herunterschlucken muss.
36. Artemis Fowl (Kenneth Branagh)
Einer der grässlichsten Filme des Jahres hat sich vor einem öffentlichen Debakel gerettet, in dem er einfach bei Disney+ erschienen ist, statt sein hässliches Gesicht auch noch im Kino zu zeigen. Die Umsetzung der Romanreihe, die es literarisch locker mit "Harry Potter" und Konsorten aufnehmen kann, ist ein Albtraum. Artemis wird im Film zum unsympathischen, neunmalklugen Rotzbengel, in einer Story, die so wenig zu erzählen hat wie sie bieder inszeniert ist. Aus einer an sich vielversprechenden Mischung aus Sci-Fi und Fantasy wird hier eine austauschbare CGI-Orgie mit dummen Elfen, die noch dümmere Laserwaffen einsetzen und generischen, reizlosen Wortmüll von sich geben. Humoristisch gemeinter Höhepunkt dieses filmgewordenen Auffahrunfalls: Ein Moment, als der mürrische Erzähler einen ahnungslosen Passanten anfurzt. Niveaulimbo: Der Film!
35. The New Mutants (Josh Boone)
- Ewig verschoben ist das "X-Men"-Spinoff nun erschienen. Endlich? Wohl kaum. Der Mix aus "The Breakfast Club", "Glass" und "A Cure for Wellness" ist größtenteils inkompetentes Filmemachen, und gelingt nicht mal als harmloser Horrorspaß für Teenager. Die durch die Bank tolle Besetzung wird in eindimensionalen Rollen verheizt und darf einen sinnentleerten Dialog nach dem anderen sprechen. Furchtbar dumm: Nach einer Minimalhandlung mit Schockmomenten aus der Rummelplatz-Geisterbahn wird ein ödes CGI-Massaker ans Ende gestellt, welches in seinen grotesken Ausartungen auch noch metaphorisch gemeint ist – und das in so einem bierernsten, langweiligen Durcheinander.
34. The Old Guard (Gina Prince-Bythewood)
- Der Actionfilm mit Charlize Theron von Netflix fühlt sich wie der Pilotfilm für eine Serie an, die nie bestellt werden wird. Gott sei Dank, muss ich hinzufügen. Das lausige Script um unsterbliche Söldner (die sich letztlich als Abklatsch einer Superheldentruppe herausstellen) ist mit wenig Mühe zusammengeschustert worden und hat kein Interesse an Charakterzeichnung oder einem vernünftigen Worldbuilding. Insgesamt dürfte der Film mehr Kopfschüsse in Gefechten verzeichnen als Dialogzeilen. Ein trauriges Resümee für einen Fantasy-Actioner, der ausgerechnet in den Fantasy- und Actionmomenten nichts Originelles zu bieten hat. Größtes Ärgernis: Das krude, unrhythmische Editing.
33. Die fantastische Reise des Dr. Doolittle (Stephen Gaghan)
- Eine Verschwendung von Geld & Lebenszeit. Robert Downey Jr. kaspert sich einen als die bekannte Buchfigur, die hier anders als zuletzt in den Eddie-Murphy-Vehikeln wieder näher an ihre Ursprünge zurückgeführt wird, aber genauso albern bleibt. Der furchtbar künstlich getrickste Kinderfilm hat keine interessante Botschaft, eine vollständige Abwesenheit liebenswerter Charaktere und ganz besonders schlimm: Er ist fürchterlich unwitzig. Das große Finale besteht aus einem ausgedehnten Furz- und Fäkalienwitz, merkwürdige Anspielungen an "Der Pate" sind tonal dermaßen daneben, dass meine Hand regelmäßig mit Wucht die Stirn gesucht hat. Ein Schuss in den Ofen, leider, und das mit Ansage.
32. Bill & Ted Face the Music (Dean Parisot)
Die Kultdilogie aus den späten 80ern / frühen 90ern für einen Neuaufguss zurückzuholen ist stellvertretend für die Einfallslosigkeit im Hollywood-Sektor: Lieber Altes aufwärmen als Neues erdenken. Doof nur, wenn dieses alte Material so sehr in seine Zeit eingebunden war, dass es 2020 nur noch wie infantile, altmodische Selbstparodie wirkt. Dermaßen einfalls- und witzlos hätte die Rückkehr von Bill & Ted aber dann auch wieder nicht ausfallen müssen. Aber: So sieht ein Film eben aus, wenn es ihn gar nicht geben sollte. Wären Keanu Reeves und Alex Winter nicht, man könnte diese schon in wenigen Monaten für immer vergessene, unnötige Mikrowellen-Ware getrost vergessen, doch das Duo hat so viel Spaß dabei, sich wieder als Kindsköpfe zu präsentieren, dass sie in wenigen Momenten doch ansteckend sind.
31. Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga (David Dobkin)
Wohlfühl-Kino, bzw. Wohlfühl-Streaming, immerhin ist die ESC-Verfilmung direkt bei Netflix gelaufen. Als Alternative zum dieses Jahr ausgefallenen Show-Event mag der Film seinen Job erfüllt haben, eigentlich ist er aber eine konzeptionelle Mogel-Packung. Der Humor ergibt sich so gut wie nie aus dem ESC, aus seinem Ruf, aus seinen Abläufen oder seinen Traditionen. Es entpuppt sich letztlich als das x-te Will-Ferrell-Vehikel, welches zufällig vor der Kulisse der europäischen Musikveranstaltung stattfindet. Mehr will die Komödie, die nebenbei noch Stars wie Pierce Brosnan oder Rachel McAdams an Bord hat, zugegeben aber nicht sein. Auf keine Kuhhaut gehen dafür fast sämtliche Songs und die nervig-erzwungenen Gastauftritte von ESC-"Ikonen" wie Conchita Wurst, Alexander Rybak oder Netta.
30. Tyler Rake: Extraction (Sam Hargrave)
Ultrabrutale Endlos-Action. Klingt gut? Nun: Für Action-Puristen ist das Netflix-Original mit Chris Hemsworth sicher eine Ausnahmeerscheinung in 2020, der die Härte vergangener Tage beschwört und eine furios geschnittene Ballerszene an die nächste reiht. Wer jetzt nach dem Plot fragt, für den gibt es keine Antwort: Eine Geschichte erzählt dieser Film nur notdürftig, lieber reiht er stumpfe, unendlich lange Tötungsszenen aneinander. Das ist filmisch nicht schlecht gemacht (eine äußerst aufwendige Szene, die als One-Shot konzipiert ist, sticht heraus), langweilt aber, weil die gewaltverherrlichende Tötungsorgie so stupide und substanzlos wie die letzten "John Wick"-Filme ausfällt. Handwerklich sind sie denen und eigentlich der gesamten Genre-Konkurrenz wenigstens deutlich überlegen. Der überflüssige Fortsetzungs-Köder ist dann bei einem Film ohne jede Spur von Handlung aber irgendwie amüsant.
29. The Trial of the Chicago 7 (Aaron Sorkin)
Auch Aaron Sorkin ist mittlerweile zu Netflix abgewandert und hat den namentlich beeindruckendsten Cast des Jahres zusammengestellt. Sorkin gilt als brillanter Autor, doch dieses Mal wird sein Stil zur Fassade: Der Gerichtsfilm und die schnellen, rhetorisch perfekt ausgeklügelten Dialogzeilen sorgen für eine unnachahmliche Coolness, verhindern damit aber das Aufkommen echter Emotionen. Wie Sorkin versucht, mit verschiedenen komplexen Ideen zu jonglieren und dabei so akkurat wie möglich den Prozess von 1969 nachzuzeichnen, ist löblich, aber eine zu große Herkulesaufgabe für den Autorenfilmer. Letztlich begeht sein Werk die Todsünde aller Filme: Es langweilt über zu weite Strecken, es erstickt in seinen prestigesuchenden Gesten. Ein beeindruckender Film, aber weiß Gott kein wirklich guter.
28. Vergiftete Wahrheit (Todd Haynes)
Wäre Mark Ruffalo kein Schauspieler, der jedem Stoff interessante Seiten abgewinnen kann, wäre dieses Biopic umso schwerer zu verkaufen gewesen. Der Umweltskandal um das Chemieunternehmen DuPont ist spannender, hochaktueller Filmstoff, der hier aber besonders bräsig und düster erzählt wird, dem dabei leider das Momentum tonal ähnlicher Stoffe wie "Spotlight" abgeht. Schade ist, dass die Erzählweise so konventionell und vorhersehbar abläuft. Auf diese Weise setzt sich die Empörung kaum ein, schlimmer noch: Dem Film gelingt es zu keiner Sekunde, die echten komplexen Zusammenhänge zwischen Umweltschutz, Wirtschaft und juristischer Verflechtung aufzuzeigen, womit das eigentliche Sujet narrativ ohne eine Entsprechung dasteht.
27. Onward: Keine halben Sachen (Dan Scanlon)
Anspruchslose Unterhaltung für die Kleinen, die für einen Pixar-Film erstaunlich schluderig daherkommt. Die ersten 15 Minuten sind ein grausiges 80er Jahre Teendrama, danach wird es etwas besser. Sobald die Handlung Fahrt aufnimmt, gibt es viele schöne Abenteuerabschnitte à la "Indiana Jones" oder "Der Herr der Ringe", denen jedoch – so ehrlich muss man sein – das emotionale Futter fehlt. So brillant die Animationen auch sein mögen, so seltsam unausgegoren ist die Fantasywelt geraten: In einer Welt, in der Zauberer, Elfen, Orks und Trolle nebeneinander leben, ist vor einigen Generationen die Magie verloren gegangen, weil moderne Technik wie Flugzeuge oder Smartphones für Bequemlichkeit sorgen. Eine tolle Idee, aber sie dient nur als Setting und wird nie groß vertieft, schlimmer noch, der Film behandelt ganz andere Themen, die vom Setting unangetastet bleiben. Ein ähnlicher Blender wie "Zoomania", aber trotzdem noch nett.
26. Mank (David Fincher)
Cineastischer Elitarismus in Reinkultur! Fincher verfilmt die Entstehungsgeschichte von "Citizen Kane" aus Sicht des Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz und erlaubt sich den Spaß, sämtliche Szenen in derselben Ästhetik wie "Citizen Kane" zu verfilmen, bzw. den Klassiker von Orson Welles immer wieder direkt zu zitieren. Das ist in dieser spielerischen Herangehensweise und hinsichtlich des mehr als dünnen Plots eigentlich nicht mehr als ein sehr teurer, sehr aufwendiger Studentenfilm, den die irren Produzenten bei Netflix wohl in Hoffnung auf einige Oscar-Statuen finanziert haben. Hinsichtlich des Drehbuchs ist das totaler Käse, der auf überkonstruierte Art und Weise versucht, die damaligen Gouverneurswahlen in Kalifornien als politischen Kommentar zum Trump-Amerika aufzublasen. Eine charmante Fingerübung, als funktionaler Spielfilm aber für jeden, der sich nicht für Filmgeschichte interessiert, kaum zu gebrauchen.
25. Der schwarze Diamant (Benny Safdie, Josh Safdie)
Wäre Regisseur John Cassavetes ein Millennial gewesen, hätte das vielleicht diesen Film ergeben. Könnte man Filme wie Menschen betrachten, sie personifizieren, so wäre das hier ein Adrenalin-Junkie mit ADHS. In rastloser Inszenierung jagt Adam Sandler durch eine Art kunterbunten hyperschnellen Großstadtthriller, wobei hier vor allem ein Schnittmassaker verdeutlichen soll, wie kurzweilig das Treiben ist. Anders als ähnliche Turbo-Filme, die sich aber wenigstens zwischendurch dann doch kurze Atempausen gönnen, gibt es hier keine Gedanken ans Luftholen. Das ist in dieser Konsequenz fraglos inspirierend, und Adam Sandler in der manischen Hauptrolle ist eine kleine Schauspiel-Sensation, doch für nicht jeden ist diese anstrengende Sinnesüberlastung ein filmisches Erlebnis. Ich für meinen Teil habe sie in der zweiten Hälfte als ziemliche Tortur empfunden.
24. Jim Knopf und die Wilde 13 (Dennis Gansel)
Die erste Realverfilmung der Jugendbuch-Klassiker von Michael Ende war eine erstaunlich gelungene Adaption, die dicht am literarischen Original und doch mit hübschen visuellen Einfällen die Geschichten um Jim Knopf und Lokomotivführer Lukas ins 21. Jahrhundert transportierten. Beim zweiten Streich gelingt das nicht mehr wirklich, weil die Leichtigkeit und die Entspanntheit abhanden gekommen sind. Teil 2 ist größer, düsterer und gleichzeitig wie so häufig bei Sequels hauptsächlich mehr von allem, was beim ersten Mal gut funktioniert hat. Das Buch von Ende wird wieder überzeugend auf die Leinwand gebracht, doch schon das konnte seinerzeit nicht mehr mit der erfrischenden Simplizität des Vorgängers mithalten. Ein Phänomen, welches sich leider beim Vorgang der Adaption mit in den Film eingeflossen ist.
23. Soul (Pete Docter)
Der ambitionierteste Pixar-Film bislang bekommt nur einen Start bei Disney+ – eine kleine Tragödie. Wer hätte schon erwarten können, dass in einem Animationsfilm, dessen Hauptzielgruppe immer noch Kinder sind, u.a. C.G. Jung auftaucht und über das Unterbewusste spricht. Oder in der Szenen, die abstrakt das "Dasein der Seele außerhalb der irdischen Existenz" abbilden sollen, der Filmklassiker "Irrtum im Jenseits" von 1946 zitiert wird. So weit hat sich Pixar noch nie aus dem Fenster gelehnt – und dementsprechend überladen ist der Endeindruck. In einem Mix aus "Alles steht Kopf", "Coco" und "Alle Hunde kommen in den Himmel" will das Studio gleichzeitig die afroamerikanische Lebenswelt im Jahr 2020 abbilden, zivilisationsanalytische Fragen zum Sinn des Lebens stellen, spirituelle Richtungen der Weltreligionen vereinen und dennoch vor allem Kinder unterhalten. Das Ergebnis ist ein unausgegorener Film, der seine komplexen Ideen immer zugunsten von albernem Slapstick und einer lächerlich simplen Körpertausch-Geschichte zurückstellen muss, und nie die emotionale Kraft erreicht, die sich mit Pixar assoziieren lässt. Ausgerechnet diesem Film fehlt bei aller Ambition letztlich die Seele, wenn er auf den letzten Metern eine kraftvolle Botschaft für Hollywood-Kitsch opfert.
22. Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn (Cathy Yan)
Manchmal macht es einfach Klick, und dann will ich auch gar nicht groß herum analysieren. Der neueste Film aus dem DC-Filmuniversum ist ein kleiner, derber Actionfilm-Spaß rund um Harley Quinn und ein paar andere Powerfrauen, die in launiger Manier Knochen zertrümmern und Bösewichte zerprügeln, wie es sonst nur in "Atomic Blonde" oder "The Raid" vorgemacht wird. Sicher: Das Drehbuch ist eine unstrukturierte Aneinanderreihung chaotischer Szenen, keine der Figuren bekommt sonderlich viel Substanz, aber was hier betrieben wird, ist kein Comicblockbuster von der Stange, sondern ein ästhetisch aufpoliertes Comeback der B-Movie-Zunft, die mancher gerne für ausgestorben hält. Wer sich drauf einlassen kann, hat einen netten Filmabend vor sich, in dem der unbestreitbare Höhepunkt eine surreale Traumsequenz ist, in der Margot Robbie als Harley Quinn sich in das Musikvideo von "Diamonds are a girls best friend" von Marilyn Monroe hineindenkt.
21. Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden (Aritz Moreno)
Eine spanische Groteske durch und durch, doch leider verwechselt dieser thematisch interessante Film regelmäßig Tempo mit Enthusiasmus. Die schwarze Komödie ist irre schnell erzählt, und dabei durchweg unterhaltsam, doch versucht sie auch so krampfhaft an die Meisterwerke von Luis Buñuel zu erinnern, dass sie manchmal vergisst, sich die Zeit zu nehmen, um etwas Eigenes zu werden. Gestaltlerisch ist das nicht wirklich überzeugend, eine eher wirre Mischung aus verschiedenen Stilen, die kein einheitliches Ganzes formen. Der Humor aber zündet durchaus, wenn sich aus den im Titel behaupteten obskuren Geschichten mehrere Filme im Film ergeben, die in ihrer jeweiligen Ausrichtung zu überraschen wissen. Da es sich hier um einen Debütfilm handelt, könnte bei Folgewerken mehr inszenatorisches Selbstbewusstsein zu den vorhandenen schrägen Ideen hinzukommen.
20. 1917 (Sam Mendes)
Hier wird "Dunkirk" mit der Ästhetik von "Birdman" inszeniert. Ohne sichtbaren Schnitt begibt sich ein britischer Soldat von seinem aktuellen Standort bis ganz nach vorne an die Front, um eine wichtige Botschaft zu übermitteln und damit einen Haufen an Menschenleben zu retten. In der ersten Hälfte sorgt die unendliche Kamerafahrt für eine starke Imersion ins Geschehen und hat einige famose Momente parat. Besonders im Gedächtnis blieb mir die Stelle, in der man meherere Minuten einem sterbenden Soldaten beim aus dem Leben scheiden beiwohnen kann und sieht, wie sich langsam die Farbe aus seinem Gesicht verabschiedet. Im späteren Verlauf wird die mit zahlreichen Gastauftritten von Stars (Colin Fith, Andrew Scott, Benedict Cumberbatch, Mark Strong) gepflasterte Kriegsfilm-Odyssee zum absurden Adventure-Videospiel mit Level-Logik und strapaziert die Glaubwürdigkeit des Konzepts zu arg über. Ein interessanter, durchaus nicht unspannender Film, der jedoch etwas blutleer und heroisch verbleibt.
19. Enola Holmes (Harry Bradbeer)
Abseits der Kinoleinwände ermittelt bei Netflix "nur" die kleine Schwester von Sherlock Holmes, die ihrem Bruder natürlich im Hinblick auf ihren Verstand ebenbürtig ist. Enolas Geschichte ist ein Jugendfilm aus dem Lehrbuch, und lebt zu 100 Prozent vom subtilen, reifen Spiel der Hauptdarstellerin Millie Bobbie Brown. Sie darf ihre Spielfreude besonders immer dann vorführen, wenn sie sich direkt an den Zuschauer richtet und die vierte Wand durchbricht, ein Stilmittel, dessen komödiantisches Potenzial hier nicht ausgereizt, aber vernünftig genutzt wird. Das Drumherum ist ein handelsüblicher Krimi, mit all den kleinen Wirrungen, die diese Filme so in sich haben – und wenn man ganz ehrlich ist, hat all das mit Sir Arthur Conan Doyle und dem Mythos rund um Sherlock Holmes rein gar nichts zu tun. Wenn einen das nicht stört, ist der harmlose Spaß den Abend durchaus wert.
18. Cats (Tom Hooper)
Liebe Internetgemeinde: Was war an dieser Musical-Verfilmung bitte so furchtbar? Natürlich lässt sich der Geist von Andrew Lloyd Webber nicht in einen Film übertragen. Natürlich sieht eine am Computer erzeugte Zwitterwesensversion von Mensch und Katze surreal und unwirklich aus. Natürlich können Stars wie Ian McKellen, Taylor Swift oder Jason Derulo nicht mit echten Musical-Darstellern konkurrieren. Trotzdem ist das hier ein Film geworden, der künstlerisch ein Wagnis eingeht, der mutig mit seinen Stilmitteln eine Melange aus Theater und Kino erzeugen will. Nicht jeder Einfall glückt dabei, dennoch ist diese ziemlich direkte Übertragung des Bühnenstücks in ein filmisches Kleid vor allem eine große Liebeserklärung an das Musical-Theater – und hat die groteske Aufregung drum herum nicht verdient.
17. Jojo Rabbit (Taika Waititi)
Ein kleiner Junge aus der Hitler-Jugend, dessen imaginärer Freund der Führer persönlich ist, entkommt durch die Freundschaft zu einem jüdischen Mädchen seiner Indoktrinierung. Dieser Plot könnte in jedem Genre erzählt werden und deshalb versucht der Film gleich alle Tonalitäten auf einmal. Der emotional herausfordernde schnelle Mix aus bitterer Tragödie und herzenswarmer Komödie ist eine der ungewöhnlichsten Herangehensweise an das dunkle Kapitel der NS-Zeit seit langem, funktioniert über weite Strecken aber mit einer bemerkenswerten Treffsicherheit. Der Humor ist erfreulich subversiv und damit tiefgehend, die NS-Ikonographie und ihr Pathos werden auf hintergründige Weise vorgeführt, sodass sich mit sicherem zeitlichen Abstand zu dieser Zeit darüber Amüsement einstellen mag. Nicht so gelungen ist der Versuch, parallel auch eine Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen, da so die Fokussierung auf die schlauen historischen Kommentare verwässert wird. Ebenfalls gestalten sich die Auftritte von Sam Rockwell und Rebel Wilson in unnötigen Klischeefiguren als tendenziell nervig.
16. Emma (Autumn de Wilde)
Wirklich überzeugende, in ihrer sinnlichen Erzählweise sogar emotional kluge Verfilmung des literarischen Meisterwerks von Jane Austen. Mit viel Mühe wird eine prunkvolle Welt gezeichnet, in der die Titelfigur beständig arrogantes Auftreten mit gesundem Selbstbewusstsein verwechselt. Die Risse im Marmor, durch welche die Vorlage zu einem Meilenstein in Hofdarstellungen wurde, sind hier minutiös herausgearbeitet und ein großer Spaß, auch wenn Anya Taylor-Joy vielleicht an manchen Stellen fehlbesetzt wirkt. Statt einer simplen Romantic Comedy bemühen sich die Macher des Films um eine feministische Neuinterpretation des Romans. Nicht an allen Stellen geglückt, ist der Unterhaltungswert dennoch hoch und manche Dialogzeile so elegant, dass sie sich leicht auch Wochen nach der Filmsichtung erinnern und in eigenen Wortgefechten einbinden lässt.
15. Knives Out (Rian Johnson)
Den ungewöhnlichsten Genre-Twist des Jahres hat sich Rian Johnson zuzuschreiben und es gehört schon eine große Portion Irrwitz dazu, ein klassisches Agatha-Christie-Whodunnit innerhalb weniger Minuten in einen beinharten Suspense-Thriller der Marke Alfred Hitchcock umzuwandeln. Über weite Strecken haftet dem etwas anderen Krimi so der postmoderne Schleier der Unvorhersehbarkeit an, ehe letztlich dann doch auf den Genre-üblichen Erklärbärmonolog des hier gar nicht mal so schlauen Ermittlers zurückgegriffen wird. Die fabelhafte Besetzung ist bis in die kleinste Rolle toll besetzt, besonders hervorragend ist Ana de Armas in der weiblichen Hauptrolle und der majestätisch agierende Christopher Plummer, der nur in Rückblenden auftritt – immerhin ist er die Leiche. Etwas zu schlau will das Drehbuch aber schon sein und in der zweiten Hälfte werden so viele unglaubwürdige Wendungen aneinandergereiht, dass nur noch der Spaß-Faktor entscheidet, wie sehr man bereit ist, hierüber hinwegzusehen.
14. Da 5 Bloods (Spike Lee)
Jetzt ist sogar Spike Lee bei Netflix gelandet? Ja, so ist es. Und ungeachtet dessen, wie man zum Streamingmarkt stehen mag, ist sein Kriegsdrama, welches er dort lanciert hat, die Sichtung allemal wert. Wenn die ehemaligen Vietnam-Veteranen nach mehreren Jahrzehnten in das Land zurückkehren, das sie einst traumatisiert verließen, ergibt das viele starke Momente, die auch aus dem Fundus der Filmgeschichte schöpfen: Eine Bar heißt "Apocalypse Now" und natürlich darf Wagners Wallkürenritt nicht fehlen. Als amüsantes Roadmovie mit Tiefgang funktioniert der Netflix-Oscaranwärter spielerisch. Bei den Versuchen, gleichzeitig auch einen Kommentar zum strukturellen Rassismus in den USA einzuweben, wandelt er Film aber auf der Schwelle zwischen klugen Beobachtungen (herrlich: Ein Dialog über "Rambo" stellt fest, wie rassistisch auch das Denken in Hollywood war und ist) und plumpen Überzeichnungen.
13. Der Fall Richard Jewell (Clint Eastwood)
Großmeister Clint hat einen neuen Film und erst nach einer gefühlten Ewigkeit gab es den auch mal bei uns zu sehen. Gelohnt hat sich die Wartezeit: So schnörkellos und aufrichtig an der Spannungsschraube können nur wenige drehen und für Eastwood ist das gerade mal Routine. Sieht aber nie so aus, fühlt sich nie so an. Strukturell und thematisch ist die Verfilmung des Sicherheitsmannes, der beim Attentat auf die Olympischen Spiele in Atlanta 1996 eine entscheidende Rolle spielte, eng mit seinem Heldenporträt "Sully" verbunden und insgesamt ist das Werk etwas zu groß, etwas zu aufgedunsen auf verschiedene Akteure, um die selbe emotionale Stringenz von "Sully" zu beweisen. Trotzdem ist das großes, spannendes Kino nach wahren Begebenheiten und die Sichtung definitiv wert.
12. Der Unsichtbare (Leigh Whannell)
So effektiv darf Horror gerne häufiger sein. Dass hier ein unsichtbarer Killer Jagd macht, ist nicht der wahre Grund, warum es sich bei diesem Film leicht gruseln lässt. Als erster Genre-Film verarbeitet diese lose H.G. Wells Adaption sozialkritische Aspekte mit existentialistischen Zwischentönen. Elisabeth Moss ist großartig in der Rolle der Verfolgten, die nicht einfach bloß die nächste Scream Queen ist, sondern ein Missbrauchsopfer. Der smarte Dreh für diese moderne Neuinterpretation ist die Verarbeitung des #metoo-Skandals. Statt eines Monsters heißt das wahre Grauen hier toxische Maskulinität. Ohne erhobenen Zeigefinger wandelt sich das Horrordrama zum Ende so in eine feministische Ermächtigungsgeschichte.
11. Waves (Trey Edward Shults)
Eine eigensinnige Betrachtung des sogenannten "American Way of Life", in welchem die Familie gerne als Rückzugsort, als sicherer Hafen propagiert wird. Hier steht sozusagen der "Afroamerican Way of Life" im Vordergrund, in dem die Familie nicht weniger wichtig ist, aber auch einen enormen Druck ausübt. Wie "Moonlight" wird die Dekonstruktion fragiler schwarzer Männlichkeit betrachtet und in nüchternen, aber nachdenklichen Bilder aufgedröselt. Formell ist das ein brillantes Drehbuch, einzig die popkulturell aufgeladene, farblich warme Inszenierung schießt in ihrem Musikvideo-Pathos gelegentlich über das Ziel hinaus. Die emotionale Kraft dieses Films mindert das keineswegs.
10. Für Sama (Waad al-Kateab, Edward Watts)
Mit Zeitsprüngen und Smartphone-Aufnahmen aus verschiedenen Jahren zeigt dieser großartige Dokuementarfilm den Syrienkrieg von Baschar al-Assad gegen einen Teil des eigenen Landes aus der Perspektive einer Mutter aus Aleppo. In ungestellten, unaufdringlichen Wechseln wird so die gekippte Stimmung im Land deutlich: Von der Studentenrevoltevon 2012 bis ins Jahr 2016, dem Moment, in dem Waad al-Kateab (die zu ihrem eigenen Schutz ihren Namen änderte) ihr Heimatland für immer verließ. Ein zeitgemäßes, erschreckendes Porträt, das sich deshalb so tief ins Unterbewusstsein eingräbt, weil es in seiner Handykamera-Ästhetik die Unaufgeregtheit von Social Media Videos auf Instagram für sich einnimmt, und sie mit Momenten des Schreckens füllt.
09. The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson, Michael Schwartz)
Endlich mal ein großes, in seinen Motiven und Themen uramerikanisches Drama um Personen, welches sich nicht gezwungen fühlt, auf die Tränendrüse zu drücken. Verdammt nochmal, so gestaltet sich ein gefühlvoller Film, der echte Gefühle transportiert und sie nicht behaupten muss. Cineastische Empathie kann so einfach sein, in dem man die Figuren nicht im Dienste eines Plots oder einer Aussage stellt, sondern sie wie in dieser Tragikomödie kommunizieren lässt – verbal und nonverbal. Wenn der junge am Down-Syndrom erkrankte Mann von der Diskriminierung berichtet, die ihm im Alltag begegnet, oder wenn seine idealistische Pflegerin jeder Zeit alles für ihn stehen und liegen lassen würde, ist das kein Kitsch der Marke Traumfabrik, sondern eine Bestandsaufnahme verunsicherter, junger Menschen, die versuchen, in ihrem Leben einer Richtlinie zu folgen, die sie selbst noch nicht verstanden haben oder definieren können. Aufrichtiges Kino, ohne Plädoyer, mit (Fein-)Gefühl.
08. Queen & Slim (Melina Matsoukas)
Was wurde dieser Film nicht stark missverstanden? Überall las man von der afroamerikanischen Version der "Bonnie & Clyde"-Geschichte. Doch mit Arthur Penn hat dieser Film rein gar nichts zu tun, denn der Fokus liegt nie auf der Sexualisierung von Gewaltikonographien. Stattdessen wird hier das festgefahrene Rassenverständnis der USA unter dem Mikroskop zensiert, ohne auf der sogenannten White Trash Sozialisation herumzuhacken. Offensichtlich wurde dieser Film mit sehr viel Wut im Bauch gedreht, und einige Monate später veröffentlicht hätte er wie kein anderer die politische Stimmungslage in den #BlackLivesMatter-Monaten auffangen können. Das hier mag ein Personenstück, ein Thriller sein, und es ist doch ein durch und durch politischer, ideologischer Film, der aufrütteln will – was ihm ohne große Mühe gelingt.
07. Tenet (Christopher Nolan)
Ist das Größenwahn, eine für sich betrachtet philosophische Fingerübung als Multimillionen-Produktion umzusetzen? Wird diese Geschichte nur deshalb als Actionfilm, als postpostmoderne "James Bond"-Iteration aufgeladene Handlung erzählt, um den Mainstream in dieses selbstreflexive Stück Kino zu täuschen? Klares Ja. Verwerflich allein ist das gar nicht, wenn die Mischung so virtuos und ausgeklügelt ihr Spektrum an Raffinesse auf der Leinwand entfaltet. Es ist leicht, dieses schwierige Stück Film als Sci-Fi-Epos misszuverstehen, als physikalischen Zeitreisefilm, denn im Kern geht es um die Philosophie der Zeit, sowohl im echten Leben als auch in der Erzählkunst. Christopher Nolan gelingt ein mutiger, mit Aussagen beinahe überladener cineastischer Essay. Muss er sich dafür entschuldigen, diesen auf die möglichst unterhaltsamste Art und Weise inszeniert zu haben?
06. Pinocchio (Matteo Garrone)
Sein "Das Märchen der Märchen" gehörte zu den besten Filmen der 2010er und ist das zentrale Märchenfilm-Meisterwerk der jüngeren Filmgeschichte. Nach einem Ausflug in Mafia-Gefilde im ähnlich meisterhaften "Dogman" backt Matteo Garrone nun kleinere Brötchen und verfilmt ohne großes Aufsehen die Geschichte des hölzernen Knaben, der ein normaler Junge werden will. Ohne große Abweichungen von der Originalgeschichte besticht diese Version durch ihre schaurig reale Optik, durch die die perfide Pädagogik der berühmten Story zum skurrilen Bodyhorror transformiert wird. Allein das ist eine Meisterleistung, wäre da nicht auch noch die einmalige Ausstattung, die dieses Jahr in Punkto Detailverliebtheit und Patina im Filmbereich ihres Gleichen sucht und den richtigen Spagat aus Märchenverfilmung und Kunstkino hinbekommt.
05. Jean Seberg: Against all Enemies (Benedict Andrews)
Schauspielerin Jean Seberg wird filmhistorisch vor allem durch ihre Rolle im Nouvelle-Vauge-Klassiker "Außer Atem" assoziiert. Das ihr jetzt ein Film gewidmet wurde, der sich ebenso in der Zukunft als Klassiker herausstellen könnte, ist eine der tollen Geschichten, die das Kino selbst schafft. Kristen Stewart spielt die französische Film-Ikone mit faszinierendem Dekor. Der Fokus liegt nicht auf Sebergs Filmen, sondern auf ihrer Affäre mit Bürgerrechtler Hakim Jamal, durch welche sie zur Zielscheibe des FBI wurde. Über 100 Minuten lässt sich so hautnah miterleben, wie die zerbrechliche Psyche einer Frau, die ein Leben auf der Überholspur lebt, um ihre inneren Dämonen still zu halten, von äußeren Umständen vollständig annihiliert wird. Ohne Frage: Das stärkste Personendrama des Jahres!
04. The Gentlemen (Guy Ritchie)
Warum Guy Ritchie immer noch eine der stärksten Stimmen des zeitgenössischen Kinos ist, stellt sein neuester Streich unter Beweis, bei dem er zu seinen Ursprüngen zurückfindet, aber die perfektionistische Ausgestaltung seiner Hollywood-Ausflüge übernimmt. Das destruktive, rasante Gauner-Epos, irgendwo zwischen "Der Pate" und "Snatch" angesiedelt, verlangt vollste Konzentration vom Zuschauer, da es offen damit spielt, mehrere Sachen von der ersten Szene an auf einmal zu versuchen. Eine unchronologisch erzählte Charakterstudie eines Alphamännchens und seiner Fassaden ist der oberflächliche Fokus, gleichzeitig wird aber die britische Selbstwahrnehmung im Post-Brexit-Zeitalter verhandelt. Und wäre das nicht genug, sorgt die selbstironische, innovative Regie für einen Meta-Kommentar auf die Funktionalität und Effektivität des postmodernen Kinos. Der coolste, aber auch der intelligenteste Film der jüngeren Vergangenheit.
03. Little Women (Greta Gerwig)
"Betty und ihre Schwestern" wurde so oft verfilmt, dass es zu dem Stoff nichts mehr zu sagen gibt oder? Falsch! Wie immer ist das Kino das beste Medium für Neuausrichtungen, für kreatives Umdenken. Intellektuell, so kann man diese Verfilmung eines sogenannten Bildungsromans wohl am ehesten bezeichnen. Das geniale Drehbuch zeigt auf, wie viel sich aus einem bekannten Stoff herausholen lässt, durch einen einzigen narrativen Taschenspielertrick: die Ellipse. Dramaturgisch und chronologisch verrückt ist diese Adaption keine stringente Geschichte, sondern ein Mosaik von Momenten, die weiblichen Individualismus feiern, ohne einen bemühten Feminismus des 21. Jahrhunderts predigen zu müssen. Gleichzeitig ist dieser Film eine Lehrstunde in Publikumsmanipulation: Durch simpelste Informationsvorenthaltungen wird auf der Klaviatur der Erwartungen gespielt, ähnlich furios, wie es Alexandre Desplat im traumhaften Soundtrack tut.
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02. Kajillionaire (Miranda July)
Vielleicht ist es den Begleitumständen des Corona-Jahres 2020 geschuldet, dass das wahre filmische Meisterwerk von einer Familie handelt, einer Familie aus Betrügern, deren größter Betrug die Illusion einer intakten Familie ist. Soziale Inkompatibilität ist das erste und wichtigste Attribut, welches der Tochter des Betrügerpaares anhaftet, brillant gespielt von Evan Rachel Wood. Sie ist eine Empathin, gleichzeitig der Lebenswirklichkeit der verschiedenen sozialen Schichten aber fremd. Ihre Handlungen, aber auch ihre Verwurzlung in das Treiben der eigenen Verwandten, sind das Zentrum dieses berührenden Films, der lange Zeit von seiner Skurrilität a la Wes Anderson heraus Aufmerksamkeit bezieht. Natürlich sind das Kunstfiguren, und dennoch rühren sie zu Tränen, denn sie sprechen unser Innerstes an: Das Gefühl, einerseits den eigenen Weg gehen zu wollen, andererseits aber auch dazugehören zu müssen. Dermaßen brillant habe ich das Gefälle aus Individualismus und Gesellschaftswesen selten präsentiert gesehen. Bravo!
01. Hamilton (Thomas Kail)
Auf Disney+ ist dieses Jahrhundertwerk jetzt als filmische Aufbereitung eines Konzertmitschnitts veröffentlicht worden. Das "Hamilton"-Broadwaymusical ist vielleicht das medienübergreifende popkulturelle Meisterwerk des vergangenen Jahrzehnts. Nun rufen Puristen: Ein Konzertmitschnitt sei kein Film, sei nicht the real deal. Und natürlich gilt für die Theatererfahrung: Nichts ist vergleichbar damit, im Raum gewesen zu sein, in dem es passierte. "Hamilton" auf Disney+ gar nicht erst der Versuch, die Audience Experience eines Broadway-Stücks erlebbar zu machen. Stattdessen bringt uns die Kamera ganz nah ran an die Akteure, begrenzt bewusst unseren Blickwinkel, verweigert uns gerne den Blick auf die ganze Bühne. Die Regie ist für die Kamera akzentuiert, setzt Schwerpunkte, entschlankt. "Hamilton" auf Disney+ ist ein Film, und doch kein Film. Es ist eine Melange, ein Zwitterwesen, ein hungriges Biest. Eine neue Erfahrung. Was es aber nicht ist: Ein Kompromiss, bei dem der Cineast seine Ansprüche auf komplexes Filmhandwerk herunterschlucken muss.
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