Filmtagebuch: Wallnuss

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Erben verpflichtet

Beitrag von Wallnuss » 25.07.2024, 12:19

Largo Winch: Tödliches Erbe

Manchmal ist der Weg auf die Leinwand lang. Als 2008 mit „Tödliches Erbe“ zum ersten Mal die Figur des Largo Winch es in die Kinos schaffte, hatte der Charakter schon einunddreißig Jahre auf dem Buckel. Sein Schöpfer, der belgische Autor Jean Van Hamme, hatte ihn Mitte der 70er Jahre als Comicfigur erfunden. Das „Tintin“-Comicmagazin (bekannt für die Abenteuer von „Tim und Struppi“) wollte in den US-amerikanischen Markt expandieren und Largo Winch sollte der darauf zugeschnittene Held werden. Als mysteriöser Milliardär, der sein Vermögen für das Bekämpfen von Verbrechern einsetzt, erinnert er entfernt an Bruce Wayne und sein Alter Ego Batman. Mit Winch als Protagonisten Wirtschaftskrimis zu erzählen, gefiel Van Hamme gerade deshalb gut, weil er so sein ökonomisches Fachwissen nutzen konnte.

Aus den Comics wurde vorerst nichts, doch von 1977 bis 1980 schrieb Van Hamme sechs „Largo Winch“-Romane, die vor allem in Frankreich für Aufsehen sorgten: der Schreibstil war roh, explizite Gewaltschilderungen und sehr viel Sex dominierten die Leseerfahrung. Die teils wirklich komplexen Geschichten gerieten da beinahe in den Hintergrund. 1990 klappte es dann doch noch mit dem Comic: In Zusammenarbeit mit Zeichner Philippe Francq wurden erst die Romane in das Format übertragen, später folgten neue Geschichten – Sex und Gewalt fuhr man in den Comics allerdings stark zurück. Dem großen Erfolg folgte 2001 eine recht kurzlebige TV-Serienadaption und 2002 mit „Largo Winch: Empire Under Threat“ ein erfolgreiches Computerspiel.

Schon zu dem Zeitpunkt hatte der Drehbuchautor Jérôme Salle Interesse daran, dem Milliardenerben auf die Leinwand zu helfen, doch um das aufwendige Projekt zu finanzieren, fehlte ihm die Reputation. Erst 2005, als sein Regie-Debüt „Anthony Zimmer“ (auch als „Fluchtpunkt Nizza“ bekannt) die europäische Filmkritik überzeugte und er für einen César nominiert wurde, konnte er das Projekt verwirklichen. 24 Millionen Euro nahm die Produktion in die Hand, gedreht wurde u. a. in Hongkong, Bosnien und Herzegowina und auf Malta. Da die Romane und Comics in Deutschland weitgehend unbekannt waren, erschien der Film dort abseits vom Fantasy Filmfest 2009 nur auf DVD und Blu-ray.

Auch ganz ohne vorherige Berührungspunkte lohnt sich aber die Begegnung mit Largo Winch, schließlich verfilmt Salle die ersten paar Comic-Bände und erzählt somit die Ursprungsgeschichte der Figur. Die beginnt mit einem Mord: Nerio Winch, milliardenschwerer Medienmogul, wird auf seiner Jacht im Hafen von Hongkong überfallen und ertränkt. Für die Weltöffentlichkeit sieht es wie ein Unfall aus. Der Winch Konzern sieht sich jetzt mit großen Problemen konfrontiert: Der zwielichtige Waffenhändler Mikhail Korsky will die Firma mit einem hinterhältigen Börsencoup übernehmen und die stellvertretende Geschäftsführerin Ann Ferguson muss befürchten, dass sich der Vorstand im Kampf und Nerios Nachfolge gegenseitig an die Gurgel geht.

Doch überraschenderweise hatte Nerio vorgesorgt. Da er selbst kinderlos blieb, hatte er vor Jahren in Jugoslawien einen Waisenjungen adoptiert und heimlich in allem ausgebildet, was es für die Welt der Hochfinanz braucht. Zu Beginn des Films treibt dieser mittlerweile erwachsene Mann – noch weiß er nicht, dass er soeben zum Erben geworden ist – um die Welt, lässt sich hier und da in Schlägereien und Liebesaffären verwickeln und landet dabei auch mal im Gefängnis. Largo-Darsteller Tomer Sisley überzeugt dabei von Anfang an mit Charisma und Sex-Appeal, entpuppt sich so als Entdeckung. Er lernte für die Rolle nicht bloß serbisch, sondern führte auch beinahe alle seine teils gefährlichen Stunts selbst aus.

Mit der Comicfigur hat er optisch nur wenig zu tun – diese hatte Philippe Francq damals an das Aussehen von Patrick Swayze angelehnt. Doch Salle ist den Romanen ohnehin näher als den Comics, zeigt bei Morden blutige Einschusslöcher und scheut weder Sexszenen noch Nacktheit. Er macht dabei keinen Hehl darum, dass eines seiner Vorbilder die frühen Filme der „James Bond“-Reihe sind. Der stets gut gekleidete Jetsetter, der von Land zu Land und von einer Schönheit zur nächsten hüpft und nebenbei die Bösen ins Jenseits befördert, provoziert solche Assoziationen sowieso – zumal Winch schon in den Vorlagen eine Chef-Sekretärin namens Miss Pennywinkle beschäftigt, die wohl kaum zufällig an Bonds Miss Moneypenny erinnert.

Tatsächlich hatte sich 2008 die „James Bond“-Reihe den Inhalten der Largo-Winch-Geschichten gerade angenähert. Anders als in früheren Ablegern, in denen Superschurken von opulenten unterirdischen Hauptquartieren aus die Welt wahlweise erobern oder vernichten wollten, waren in den damals neuesten Filmen der Franchise, „Casino Royale“ und „Ein Quantum Trost“, die Strippenzieher skrupellose Kapitalisten, die vor allem das Ziel verfolgten, ihren eigenen Reichtum zu maximieren.

So kurz nach der Weltfinanzkrise traf „Largo Winch: Tödliches Erbe“ also den Zeitgeist damit, der gängigen Rezeptur des Actionabenteuerkinos zu folgen (heißt: Schusswechsel, Faustkämpfe, Stunteinlagen), aber die Sprengköpfe von einst durch Aktienpakete zu ersetzen. Als Largo sein Erbe nämlich antreten will, muss er erstmal seinen Anspruch geltend machen und außerdem die feindliche Übernahme verhindern. Dass es dabei auch Verräter in den eigenen Reihen gibt, ist so absehbar wie die Auflösung, welche Figuren es genau sind.

Visuell kann sich das Ergebnis wirklich sehen lassen. Salle inszeniert auf den Punkt und findet spektakuläre Bilder, einige Ortschaften (darunter eine kleine, halbkreisförmige Insel) lassen in Verbindung mit der durchweg dynamischen Kameraführung von Denis Rouden einen glatt ein weitaus höheres Budget für den Europa-Blockbuster vermuten. Gerade in den Actionszenen erweist sich Salle als wertvoller Bildgestalter. Man mag bei den schnell geschnittenen und zudem mit Handkamera gefilmten Verfolgungsjagden zwar an die Ästhetik der „Jason Bourne“-Filme denken – deren haptische Intensivität „Largo Winch“ bei aller Würdigung nicht erreicht –, doch es sollte dennoch nicht unterschätzt werden, wie wohlausgefeilt die einzelnen Aufnahmen arrangiert sind, sodass sie im Schneideraum dermaßen schlüssig ineinanderfließen können.

Wer keine tieferen BWL-Kenntnisse hat und die Börsenwelt generell als fremdes Paralleluniversum wahrnimmt, könnte in dem komplizierten Plot das ein oder andere Mal leicht stolpern. Zumal Salle das eh schon verworrene Narrativ noch durch eine Rückblendenstruktur aufbricht, in der schrittweise die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Largo und Nerio illustriert wird. Ein Hochgeschwindigkeitsactioner sollte daher nicht erwartet werden. Die Finanzkrimi-Hintergründe der Figur stehen klar im Vordergrund.

Spannend sind die Kontraste, die Salle in seinem Film eröffnet: Die eigentlich intime Geschichte rund um einen Adoptivsohn, der dem Vermächtnis seines Vaters gerecht wilden, kontrastiert er mit Hochglanzaufnahmen wunderschöner Schauplätze, begleitet von der pompösen Orchestermusik des französischen Star-Komponisten Alexandre Desplat. Für einige dieser Aufnahmen ging das Team hinter den Kulissen ein großes Risiko ein. In Hongkong erhielt man keine Drehgenehmigung, also filmte man die dort spielenden Actionszenen und Parkour-Stunts ohne offizielle Genehmigung mit einer kleinen Crew, in der einzelne Mitglieder abgestellt wurden, nach Polizisten Ausschau zu halten.

Trotz der stilvollen Oberflächenreize, dem charismatischen Hauptdarsteller und der erfreulich zackigen und doch pfiffigen Handlung lässt sich allerdings der Vorwurf nie ganz wegwischen, dass es sich bei „Largo Winch: Tödliches Erbe“ im Grunde um ein neoliberales Aufsteigermärchen handelt. Largo nutzt sein erworbenes Kapital – zumindest in dieser Geschichte – nicht, um damit anderen zu helfen, wie man es aus den eskapistischen Fantasien seiner ähnlich vermögenden Filmheld-Kollegen Batman oder Lara Croft aus „Tomb Raider“ kennt, sondern verteidigt hauptsächlich seinen eigenen Reichtum. Es war daher geschickt, stärker als in den Vorlagen seine arme Herkunft als Waise besonders zu betonen.

Aber auch das ändert nur wenig daran, dass zwar die Identifikation mit der Titelfigur gelingen mag, die Fallhöhe der Geschichte aber recht niedrig bleiben. Largo scheint an seinem Leben als kosmopolitischer Herumtreiber bereits einiges an Genuss zu empfinden, und zeigt – abseits von der Aufklärung des Mordes an seinem Vater – nur wenig Interesse an dem Leben, welches er sich laut der Handlung nun dringend verdienen und erhalten sollte.

Das restliche Darsteller-Ensemble bleibt eher blass. Kristin Scott Thomas spielt die stereotype Business-Frau, Karel Roden gab als böser Russe gleich nach seiner Darstellung in „Rock N Rolla“ 2008 schon den zweiten Abramowitsch-Abklatsch, und die hübschen Frauen Mélanie Thierry und Bojana Panić bleiben im Grunde auf ihre dekorativen Vorzüge als Bettgespielinnen reduziert. Für etwas Farbe sorgt einzig Benedict Wong als mürrischer Shareholder, der Jahre später im Marvel-Film „Doctor Strange“ seinen internationalen Durchbruch feiern sollte.

Nicht alles gelingt Salle im Verlauf der knappen 108 Minuten, den pulpigen Ursprüngen der Vorlagen kommt er aber nahe, was in Belgien auch überaus wertschätzend wahrgenommen wurde. Im Ausland diente „Largo Winch: Tödliches Erbe“ als nächstes Anschauungsbeispiel dafür, dass im europäischen Genrekino die Franzosen weiterhin tonangebend sind. So hinterließ der Film sein eigenes Erbe: Eine Fortsetzung namens „Die Burma-Verschwörung“ ließ nicht lange auf sich warten und ging praktisch kurz nach der Veröffentlichung des ersten Films in Produktion.

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Diary of a Madmax

Beitrag von Wallnuss » 26.07.2024, 13:49

Mad Max: Fury Road

Verbringt ein Film viele Jahre in dem, was in Hollywood als „Produktionshölle“ bezeichnet wird, dann gilt er unter Cineasten gerne schon vor Kinostart als abgeschrieben. Zu viele Köche verderben ja bekanntlich den Brei. Daher dürfte manch einer nicht schlecht gestaunt haben, als bei den Filmfestspielen in Cannes 2015 außer Konkurrenz vor allem ein Film die Kritiker zum Jubeln animierte: „Mad Max: Fury Road“, der vierte Teil der Endzeitsaga des australischen Regisseurs George Miller, der ursprünglich mal ein Arzt war und Unfallopfer behandelte, und 1979 mit dem Erstling der Reihe für nur 400.000 Dollar einen Kultfilm schuf.

Dieser erste „Mad Max“ war wenig mehr als eine exploitative, mit Mythen angereicherte Antwort auf das Autorennkino der 70er, in dem der titelgebende Cop Max Rockatansky noch als relativ zurechnungsfähiger Straßenpolizist Motorradgangs nachjagte. Was heute mit „Mad Max“ assoziiert wird, also die atomverstrahlte Wüste, die Überlieferung von Western-Bausteinen ins Roadmovie-Segment und die ikonische Tanklasterjagd, eine der beeindruckendsten Stuntsequenzen der Filmgeschichte, stammen aus der Fortsetzung „Der Vollstrecker“, der in den 80er Jahren unzählige miese Nachahmer folgten.

Die „Mad Max“-Reihe steht für ein Autorenkino, das auf Nötigste reduziert ist und sich als Melange aus Kunst- und Trashfilm versteht. Und sie ließ Miller nie los: Seit der dritte Teil, „Jenseits der Donnerkuppel“, 1985 die meisten Fans enttäuscht hatte, plante er immer, in die wüste Postapokalypse zurückzukehren. Seit 1998 arbeitete er konkret an einem neuen Film, doch spätestens mit Beginn des Irakkriegs wenige Jahre später wurde die Thematik des Films, immerhin ein Krieg motorisierter Banden um Öl, als zu problematisch eingeschätzt.

2006 nahm das Projekt wieder Fahrt auf. Ex-Hauptdarsteller Mel Gibson hatte sich mittlerweile mit antisemitischen Eskapaden ins Abseits geschossen. 2009 waren Darsteller gefunden. 2011 sollte der Dreh im australischen Broken Hill beginnen, doch nachdem heftiger Starkregen dort überraschend üppige Blumenlandschaften erzeugt hatte, verlegte man die Produktion für 2012 spontan nach Namibia. Es wurde von Komplikationen am Set berichtet, die beiden Hauptdarsteller Tom Hardy und Charlize Theron hätten sich untereinander und auch mit Miller in die Haare bekommen. 2013 durften die Stars zurück in die Wüste für aufwendige Nachdrehs.

Fans und Presse waren sich einig: das Projekt war zum Scheitern verurteilt. Die Berichte über die Produktion klangen abschreckend. Miller hatte zuletzt vor allem Kinderfilme mit sprechenden Tieren – darunter „Ein Schweinchen namens Babe“ und „Happy Feet“ – verantwortet, und schien mit 70 Jahren vielleicht auch etwas zu alt für die rockige „Mad Max“-Reihe von einst. Dann aber jubelte man in Cannes, bei den Oscars gab es sechs Trophäen bei zehn Nominierungen und das äußerst renommierte National Board of Review kürte „Fury Road“ gar zum besten Film des Jahres 2015.

Dreißig Jahre mussten Fans auf diesen Film warten, und Miller spannt sie nicht lange auf die Folter. Es dauert nur Minuten, da ist der wortkarge Max bereits in die Gefangenschaft eines religiös-faschistischen Kults unter Herrschaft des wahnsinnigen Immortan Joe geraten. Immortan Joe regiert in seiner Felsenfestung über eine der letzten Wasserressourcen, hält sich tödlich verstrahlte Warboys als Sklaven und fruchtbare Frauen als Gebärmaschinen. Bis seine Vollstreckerin Furiosa fünf der anderen Frauen entführt und mit ihnen in einem aufgemotzten Kampflaster in die Wüste flieht. Immortan Joe jagt ihr mit seinem PS-gestärkten Heer voller deformierter Krieger in retrofuturistischen Monstertrucks nach und Max findet sich recht bald – widerwillig – auf Seite der Frauen wieder.

Viel mehr gibt es zur dramaturgischen Klammer nicht zu sagen – eigentlich ist „Fury Road“ damit schon auserzählt. Nach etwa fünfzehn Minuten beginnt die wilde Hetzjagd und sie wird die kommenden zwei Stunden bestenfalls für kurze atmosphärische Ruhepausen unterbrochen. Was einem Plot noch am ähnlichsten kommt ist die amüsante Pointe, dass die Flucht der Helden im dritten Akt eine 180-Grad-Wendung macht und man nicht mehr von A nach B, sondern wieder zurück von B nach A fährt.

Stattdessen bestimmen ab jetzt Explosionen, Frontalzusammenstöße und perkussive Heavy-Metal-Orgien das Geschehen, die nicht nur Teil der Tonspur sind, sondern diegetisch stattfinden: einer der Konvois aus Immortan Joes Kuriositätenzirkus gleicht einem rollenden Boxenturm, trägt vier Trommler hinten und hat auf der Kühlerhaube einen Rockmusiker festgekettet, der die gesamte Verfolgungsjagd mit einer feuerspeienden E-Gitarre begleitet. Dieses eine ikonische Bild fasst die filmische Erfahrung treffend zusammen.

Ein Blockbuster nach B-Film-Regeln also. Millers Ziel ist, sein Biest von Actionfilm zwei Stunden lang auf Höchstgeschwindigkeit zu halten und nur dann zu bremsen, wenn es wirklich nicht anders geht. Eigentlich kehrt er hier zum zweiten Teil der Reihe, zu „Der Vollstrecker“ zurück, nimmt die brillante finale Tanklastzugverfolgung und stilisiert sie zur kinetischen Konzeptkunst. Viele der schier unfassbaren, lebensbedrohlichen Einlagen sind real gedreht. Nur einmal dominieren die Bits and Bytes deutlich, am Ende des ersten Akts, als Max und einige der Warboys mit ihren Karosserien in einen gigantischen Sandsturm geraten.

Die Behauptung, die vielerorts zu hören war und von der Marketing-Abteilung massiv unterstützt wurde, „Fury Road“ käme fast ganz ohne CGI aus (Miller behauptete, 90 Prozent der gedrehten Szenen seien reales Filmmaterial), kann aber entkräftet werden. Von den 2.400 Einstellungen im Film sind fast alle am Computer angefasst worden. In nahezu allen Einstellungen wurde der Himmel ausgetauscht. Ganze Kulissen wie eine mehrfach durchfahrene Schlucht oder die Zitadelle des Immortan Joe sind Computerprodukte. Furiosa, herausragend entschlossen von Charakterdarstellerin Charlize Theron verkörpert, bekam digital über die gesamte Laufzeit einen Arm "amputiert".

Zudem ist die Farbgestaltung stark bearbeitet. Miller verabschiedete sich gezielt vom reellen und haptischen Stil der Vorgänger und setzte auf eine übersättigte, aber auch akzentuierte Farbregie. Die unwirkliche Postapokalypse nähert sich damit aber noch mehr der Optik von Comicheften an, denen die früheren „Mad Max“-Filme in ihrer Erzähllogik stark ähnelten. Tatsächlich lässt sich „Fury Road“ fast als abstraktes Kunstwerk betrachten, in dem nur noch Bewegungsabläufe, Töne und Farbkombinationen eine Rolle spielen. Dialoge gibt es eh kaum, eine Handlung ohnehin nicht. Oliver Kaever schrieb für die Zeit, man wähne sich in einer „Mischung aus überlangem Rammstein-Video und einem Gemälde von Hieronymus Bosch“.

Im Kern ist Miller mit dieser sorgfältig bestimmten Montage schneller Aktionsmomente ganz nah am Kino des Sergei Eisenstein, entfernt sich von den Westernmythen, die bei „Mad Max“ immer mitschwangen, und liefert ein entrückt-barockes Kino der Impressionen. Eine so große (Budget: 150 Millionen Dollar) hemmungslose Spielwiese fernab aller Genereprogrammatik ist eine absolute Ausnahmeerscheinung.

Man darf aber auch anmerken, dass der radikale Verzicht auf das Erzählerische dazu führen kann, sich hier einem leeren Spektakel gegenüber zu sehen. Hat man sich an den Actionabläufen, den grellen Wüstenoberflächen und der bizarren Szenendekorierung einmal satt gesehen – wofür die nicht endende Verfolgungsjagd reichlich Gelegenheit bietet – mangelt es dem filmischen Unterfangen rasch an Fallhöhe. Bei aller handwerklicher Brillanz fällt auf, dass es an einem Mel Gibson fehlt, dessen raues Charisma mehr als nur Behauptung war, dessen Menschlichkeit hinter den starrenden Augen immer durchschimmerte. Tom Hardy erweist sich derweil als Fehlbesetzung, schnauft und grunzt sich durch eine bemerkenswert wirre Darstellung. Der Guardian verspottete ihn treffend als „Macho Mr. Bean“.

Max ist ohnehin nur eine Nebenfigur dieses Films, der sich Furiosa und den Sexsklavinnen verschreibt. Im Vorfeld war bekannt geworden, dass Miller die Autorin der berüchtigten „Vagina-Monologe“, Eve Ensler, als feministische Beraterin und Skriptdoktorin engagiert hatte. Im Internet schäumten die rechten Fans, man wolle „Mad Max“ verweiblichen. Doch der progressive Anstrich, der irgendwo in den Ansätzen der dünnen Geschichte gesteckt haben mag, bleibt unter dem Wüstenstaub verborgen. Über Geschlechterbilder oder patriarchale Herrschaftsstrukturen, sexuelle Ausbeutungen und Machtverhältnisse hat Miller nichts zu erzählen.

Dass die Furiosa-Figur dennoch gut ankam, ist wohl in erster Linie Charlize Theron zu verdanken – womit es etwas kurios anmutet, dass Miller ganze neun Jahre später ausgerechnet diesem Charakter einen eigenen Ableger widmete, sich dort aber entschloss, ihre Vorgeschichte zu erzählen, und Theron so der deutlich jüngeren Anya Taylor-Joy weichen musste.

Die einen störten sich am figürlich und narrativ dünnen Überbau, der große Rest erfreute sich an der monumentalen Materialschlacht. In jedem Fall gelang „Mad Max: Fury Road“ eine seltene Ausnahmeleistung: Als vierter Teil einer kultigen Reihe gelang ihm deren Renaissance nach mehreren Jahrzehnten. Millers Film stach bei Veröffentlichung aus dem gleichförmigen Blockbusterkino der Konkurrenz heraus und begriff Action als formalistisch: sie ist nie psychologisch motiviert oder in der Handlungsentwicklung verhaftet, sondern in ihrer technischen Perfektion ausschließlich Selbstzweck. Mit diesem Fest für Puristen strafte George Miller seine Zweifler Lügen – und sorgte nachhaltig dafür, dass die „Produktionshölle“ für Cineasten keinen verlässlichen Indikator mehr darstellt.

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Giganten am Flughafen

Beitrag von Wallnuss » 05.10.2024, 21:01

Airport

Am 17. Februar 1970 starb mit Alfred Newman einer der einflussreichsten Komponisten in der Geschichte der modernen Filmmusik. Er komponierte nicht nur die Musik für dutzende Klassiker wie „Schlagende Wetter“, „Alles über Eva“ oder „Das war der wilde Westen“, sondern gewann für seine Arbeiten insgesamt neun Oscars, war mehr als zwei Jahrzehnte Chef der Musikgestaltung bei 20th Century Fox, komponierte für dieses Studio die bis heute berühmte Eröffnungsfanfare und ermöglichte anderen legendären Komponisten wie Bernard Herrmann, Alex North oder David Raskin ihre Hollywood-Karriere. Nur zwei Wochen nach Newmans Tod wurde der letzte Film veröffentlicht, für den er die Musik vollständig komponierte. Sie brachte ihm posthum eine weitere Oscar-Nominierung und einen Grammy ein. Die Rede ist von „Airport“.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis man Newmans Genie ein letztes Mal zu hören bekommt. Regisseur und Drehbuchautor George Seaton, bekannt für den Weihnachtsklassiker „Das Wunder von Manhattan“, beginnt seinen Film mit diesem titelgebenden „Airport“, den fiktiven Lincoln International Airport in Chicago. Es schneit heftig, also schieben riesige Fahrzeuge den Schnee weg von den Start- und Landebahnen. Dazu laufen die Titeleinblendungen – und es spielt Newmans letzte Ouvertüre. Seine brillante Arbeit überrascht: Die schwunghafte und mitreißende Orchester-Musik, die das Publikum zu hören bekommt, würde man eher in einem episch geratenen Abenteuerfilm erwarten als in einem Figurendrama rund um Angestellte eines Flughafens. Aber damit nimmt Newman in den ersten Minuten schon vorweg, was diesen Klassiker von 1970 auszeichnet.

Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Roman des britisch-kanadischen Schriftstellers Arthur Hailey, dem damit 1968 ein Welterfolg gelang. Das handlungsauslösende Ereignis seines Plots ist simpel: Mitten in einem Schneesturm bleibt eine Boeing 707 nach der Landung auf besagtem Lincoln International Airport im Schnee stecken und blockiert damit eine ganze Landebahn. Jetzt müssen die Flieger auf eine andere Bahn umgeleitet werden, die bei Nacht wegen den Beschwerden der umliegenden Anwohner eigentlich geschlossen bleiben soll. Flughafendirektor Mel Bakersfeld muss nicht nur diese Probleme lösen, sondern sieht sich auch mit seinem Schwager, dem erfolgreichen Piloten Vernon Demerest, konfrontiert, da dieser die Sicherheit der landenden Flugzeuge nicht länger gewährleistet sieht.

Von dieser Konstellation aus wird „Airport“ zu einem Drama, das aus Sicht verschiedener Figuren diese chaotische Nacht am Flughafen beleuchtet. So hat Bakersfeld nicht nur am Arbeitsplatz Probleme, sondern bekommt auch einen Anruf seiner Ehefrau, die für seine vielen Überstunden kein Verständnis mehr aufbringt. Bakersfelds standfeste Kollegin Tanya Livingstone wiederum hegt selbst Gefühle für ihn, erkennt längst, dass dessen Ehe gescheitert ist, und ist trotzdem drauf und dran, sich nach San Francisco versetzen zu lassen. Demerest erfährt derweil, dass seine heimliche Geliebte, die Stewardess Gwen Meighen, schwanger von ihm ist und in Erwägung zieht, das Kind zu bekommen – was die Ehe des Flugkapitäns beenden würde.

Keine Frage: „Airport“ steht in bester Tradition zum klassischen Hollywood-Melodram. Vor allem der Über-Klassiker „Menschen im Hotel“ von 1932 mit Greta Garbo und John Barrymore kann als direkter Vorläufer angesehen werden. Mit ruhiger Ausführlichkeit folgt Seaton seinen Charakteren durch ihren turbulenten Arbeitsalltag, inszeniert gemäß der damaligen Mode in auffallend vielen Halbtotalen, und filmt konsequent jedes Telefonat zwischen verschiedenen Charakteren in der Split-Screen-Technik, teilt also den Bildschirm in der Mitte, um beide Enden der Leitung zu zeigen.

1970 war eine Zeit, in der das Studiosystem Hollywoods mächtig strauchelte. Genrefilme, die zuvor typische Kassenerfolge waren, floppten. Stattdessen dominierte ein radikaleres Kino abseits abgesteckter Grenzen. Unkonventionelle und riskante Produktionen mit einer klaren Anti-Establishment-Haltung wie „Bonnie & Clyde“, „Die Reifeprüfung“, „Asphalt-Cowboy“ und „Easy Rider“ standen sinnbildend für den neuen Geschmack einer Generation. In diesem Zuge war es keine Selbstverständlichkeit, dass sich Produzent Ross Hunter bei Universal Pictures dazu entschlossen, die schon damals altmodisch angehauchte Romanadaption für 10 Millionen Dollar in Auftrag zu geben, und ein großes Star-Ensemble dafür zu verpflichten.

Die beiden Streithähne Bakersfeld und Demerest wurden mit Burt Lancaster und Dean Martin besetzt – zwei der damals aller größten Filmstars. Als die schwangere Gwen holte man sich die aus „Bullitt“ bekannte Jacqueline Bisset an Bord, und für die resolute PR-Managerin Tanya wurde Jean Seberg verpflichtet. Die hübsche Französin pendelte seit ihrer Rolle im revolutionären Gangsterfilm „Außer Atem“ von Jean-Luc Godard 1960 mit Erfolg zwischen europäischem und US-amerikanischem Kino. Alle vier Weltklasse-Darsteller agieren in „Airport“ auf höchstem Niveau, überzeugen durch ihr zweifellos großes Talent und ihr immenses Charisma. Besonders Lancaster ruft eine Bestleistung seiner Karriere ab, auch wenn er sich später abfällig äußerte. Er hatte den Film nur eines äußerst lukrativen Vertrags wegen angenommen und bezeichnete ihn nach der Veröffentlichung als „den schlimmsten Mist, der je gemacht wurde“.

Während Hailey in der 690 Seiten langen Vorlage die Arbeitsabläufe so detailliert beschrieb, dass Stephen King ihm später vorwarf, er schreibe eigentlich „Betriebsanleitungen“, versteht Seaton seine Protagonisten als die schwer arbeitenden ‚Herrscher des Himmels‘, lässt seine männlichen Helden als die sprichwörtlichen harten Kerle des Industriezeitalters auftreten. In keiner Figur wird das so sichtbar wie beim erfahrenen Cheftechniker Joe Patroni, der die steckengebliebene Boeing von der Landebahn wegschaffen soll. Der begnadete George Kennedy spielt diesen Part mit einer der lässigsten Darbietungen von Hemdsärmeligkeit, die das Kino je gesehen hat. Als er beim Schäferstündchen telefonisch abkommandiert wird, erklärt er seiner Herzensdame flott, er werde die Maschine notfalls auch mit seinen Zähnen aus dem Schnee ziehen.

Einen Großteil der 137 Filmminuten investiert Seatons Meisterwerk in die verschiedenen miteinander verwebten Handlungsbögen und bezieht seinen enormen Spaß vor allem aus einer ganzen Riege illustrer Nebenfiguren. Zu nennen wären da neben Patroni noch Barry Nelson als lässiger Co-Pilot, James Nolan als Ohrfeigen-verteilender Pfarrer und die sensationelle Helen Hayes in der Rolle der Seniorin Ada Quonsett, die es faustdick hinter den Ohren hat. Als permanenter blinder Passagier trickst sie sich von einer Maschine zur anderen. Hayes verkörpert diese gewitzte alte Frau als komödiantischen Nebenpart so großartig, dass sie als Einzige für „Airport“ mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.

Doch obwohl das so ist, hat „Airport“ heute einen anderen Ruf: Er gilt als Begründer des Katastrophenfilmgenres der 70er, soll jenen Trend losgetreten haben, der später in „Die Höllenfahrt der Poseidon“, „Flammendes Inferno“, und „Erdbeben“ gipfelte. Das erklärt sich durch eine der Nebenhandlungen – nämlich durch jene, die im Finale alle Figurenstränge zusammenbringt. Verteilt zwischen die anderen Plots ist Van Heflin als verarmter Ex-Sprengstoffexperte der Armee zu sehen, der den Plan hegt, sich während eines Langstreckenfluges mit einer selbstgebastelten Bombe umzubringen, um seiner Frau so eine große Stange Geld über die Lebensversicherung zukommen zu lassen. Diese Frau, unglaublich tragisch von Maureen Stapleton dargestellt, kommt zwar dahinter, doch alle Warnungen sind zu spät. Ihr Mann setzt seinen Plan in die Tat um und natürlich muss kein geringerer als Demerest die Maschine sicher landen.

Dieses mit viel technischem Geschick und hoher Spannung umgesetzte Szenario eines in der Luft aufgesprengten Flugzeugs mag auf ein Publikum im Zeitalter nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in der Darstellung naiv wirken, verfehlte aber damals seine Wirkung nicht. Wenngleich einige Kritiker dem Blockbuster unterstellten, mit seinen Geschichten über Untreue, Eheprobleme und Flughafenpolitik eng verwandt mit der Seifenoper zu sein, löste „Airport“ überwiegend Begeisterung aus. Über Jahrzehnte gaben Piloten an Flugschulen auf der ganzen Welt an, durch diesen Film zu ihrem Berufswunsch gekommen zu sein. Kein Wunder also, dass „Airport“ nicht nur 128 Millionen einspielte und für zehn Oscars nominiert wurde, sondern auch drei Fortsetzungen erhielt, die dem Katastrophengenre dann noch eindeutiger zuzuordnen waren. George Kennedy war als Patroni übrigens der einzige Darsteller, der für alle weiteren Teile zurückkehrte.

Aber es ist das Original, das zum großen Klassiker wurde: Die Spezialeffekte sind erstklassig, die Besetzung exzellent, die Dialoge spritzig-gewitzt, die verschiedenen Geschichten erstaunlich offenherzig in Bezug auf Sexualpolitik – oszillieren sie doch zwischen Ehebruch, Abtreibung und Scheidung. Doch die Kirsche auf der Torte bleibt die Musik von Alfred Newman, die wie der ideale Deckel auf diesen Topf passt. Der Großmeister verstand es perfekt, mit seinen ausgetüftelten Melodien sowohl den Figurendramen als auch dem Spektakel im letzten Drittel die gleiche Bedeutung beizumessen.

Genau diese Gleichwertigkeit der Erzählbausteine zeichnet „Airport“ aus, diesen Katastrophenfilm, in dem die Katastrophe erst nach 100 Minuten eintritt. Spätere Filme dieses Genres würden ihre Charaktere mit nachlässigeren, breiteren Strichen zeichnen, um schneller zu den Explosionen und dem Geschrei zu kommen, doch dieser wusste genau, dass es viel befriedigender ist, Dominosteine umzuwerfen, je mehr Zeit man damit verbringt, sie aufzustellen.

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Re: Filmtagebuch: Wallnuss

Beitrag von gelini71 » 06.10.2024, 12:19

Während Hailey in der 800 Seiten langen Vorlage
Keine Ahnung auf welche Buchausgabe Du dich beziehst aber meine Deutsche Taschenbuchausgabe aus dem Ulstein Verlag hat lediglich 480 Seiten und ist meines Wissens nach ungekürzt
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Filmtagebuch: Wallnuss

Beitrag von Wallnuss » 06.10.2024, 13:54

700 Seiten wäre richtig gewesen, da habe ich mich vertippt. Meine Ausgabe kommt auf knapp 690 Seiten und ist ein Ullstein Taschenbuch. :)

Viel unverzeihlicher ist aber, dass ich konsequent den Namen der Hauptfigur falsch geschrieben habe. Ich korrigiere beides Mal!

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Re: Filmtagebuch: Wallnuss

Beitrag von gelini71 » 06.10.2024, 15:41

Das mit der unterschiedlichen Seitenzahl kann ja auch mit der Druckgröße der Buchstaben zusammenhängen, mein Taschenbuch ist relativ klein gedruckt. Aber wie gesagt - 800 Seiten sind etwas zuviel des Guten, außer es ist Großdruck für Sehbehinderte :wink:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Über den Wolken muss der Schaden wohl grenzenlos sein

Beitrag von Wallnuss » 15.10.2024, 15:00

Giganten am Himmel

Was die Realität umtreibt, spiegelt sich im Kino wider: Die Angst im Kalten Krieg vor einem nuklearen Holocaust führte im US-Kino der 50er und 60er so zu einer Welle an Sci-Fi-Filmen, in denen Außerirdische oder durch nukleare Strahlung mutierte Echsen und andere Insekten als Vorboten für das Ende der Welt standen. 1968, der Vietnamkriege hatte viele urtypisch amerikanische Ideale bröckeln lassen, erreichte diese pessimistische Untergangsstimmung das teure Massenkino, und der heutige Klassiker „Planet der Affen“ endete mit der bösen Pointe, dass es sich bei dem titelgebenden Himmelskörper um die Erde handelte, die bei einem Atomkrieg vernichtet wurde. Regisseur Franklin J. Schaffner zeigte am Schluss die zerstörte Freiheitsstatue. Hauptdarsteller Charlton Heston verfluchte auf der Tonspur die gesamte Menschheit.

„Planet der Affen“ nahm vorweg, was in der ersten Hälfte der 70er zum Trend im Blockbuster-Kino werden sollte: den Katastrophenfilm. Vor dem Hintergrund der Morde von Charles Manson und dem Ende der idealistischen Hippie-Kultur sowie den Skandalen der Watergate-Affäre rund um Präsident Richard Nixon hatte das Vertrauen in traditionelle Institutionen und staatliche Autoritäten schwer gelitten. Zu sehen gab es daher buchstäbliche Desaster, ausgelöst durch Systemversagen oder Naturgewalten, und eine Riege an bekannten Stars in verschiedenen Parallelhandlungen, die durch diese große Katastrophe vereint wurden und teils heldenhafte Tode sterben, um Schlimmeres zu verhindern.

Vorgemacht hat es 1970 der zehnfach oscarnominierte „Airport“ von George Seaton. Ein waschechter Starauflauf verschiedener Generationen, darunter Burt Lancaster, Helen Hayes, Jean Seberg und Dean Martin, musste trotz vieler Krisen und Differenzen zusammenarbeiten, als ein Mann in einem Passagierflugzeug eine Bombe zündete und die Maschine daher auf einer verschneiten Landebahn notlanden musste. Des großen Erfolgs wegen beeilte sich Hollywood, schnell mehr Filme nach diesem Muster zu drehen. Zwei Jahre später war „Die Höllenfahrt der Poseidon“, in dem sich Gene Hackman, Ernest Borgnine und Shelley Winters auf einem umgekippten Luxusdampfer retten mussten, ein riesiger Erfolg.

Als Katastrophenjahr ging aber 1974 in die Filmgeschichte ein. Gleich vier große Klassiker des Genres entstanden in diesem Jahr und ließen Kinokassen klingeln: Auf einem Kreuzfahrtschiff blieben Richard Harris, Omar Sharif und Anthony Hopkins nur „18 Stunden bis zur Ewigkeit“ und während Steve McQueen und Paul Newman in „Flammendes Inferno“ einen brennenden Wolkenkratzer überstehen mussten, stellten sich „Planet der Affen“-Star Charlton Heston und „Airport“-Legende George Kennedy gleich zwei Desastern. Nachdem sie nämlich in Los Angeles mit einem verhängnisvollen „Erdbeben“ konfrontiert wurden, waren sie die Stars der ersten von drei „Airport“-Fortsetzungen, bzw. wie der deutsche Titel sie taufte: „Giganten am Himmel“.

War das Original noch eine Blaupause für das Genre und funktionierte vor allem als Charakterdrama (die Katastrophe in Form der Bombenexplosion ließ ganze 100 Minuten auf sich warten), ist das günstigere Sequel (nur noch 3 statt 10 Millionen US-Dollar) ein klassischer Vertreter seiner Zunft. Flott führt der spätere „Schlacht um Midway“-Regisseur Jack Smight seine vielen Figuren ein, die sich an Bord einer Boeing 747 einfinden. Myrna Loy, die Grande Dame aus „Der große Ziegfeld“, zieht unentwegt am Flachmann und tankt weit mehr als ein Flugzeug laden könnte. Drei weitere Säufer sind an Bord, einer von ihnen, gespielt vom späteren „King of Queens“-Komiker Jerry Stiller, soll den Unglücksflug verschlafen.

Nicht zum Schlafen kommt die kleine Linda Blair, die dringend per Flieger nach Los Angeles gebracht werden soll, um dort eine lebensnotwendige Nierentransplantation zu erhalten. Wie ein Jahr zuvor, als Blair noch in „Der Exorzist“ vom Dämon Pazuzu besessen wurde, erhält sie auch im zweiten „Airport“ göttlichen Beistand, denn Frauenrechtsaktivistin Helen Reddy ist an Bord und spielt eine freundliche Nonne, die sich mal flugs zu dem kleinen Mädel gesellt, sich ihre Gitarre schnappt und ein Lied darüber trällert, dass ihr bester Freund sie selbst ist. Eine Szene, so bizarr, launig und komisch, dass sie sechs Jahre später in „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ parodiert wurde, aber selbst da kaum lustiger ausfällt.

Ach ja, Stummfilm-Ikone und „Boulevard der Dämmerung“-Star Gloria Swanson ist auch an Bord. Nicht in irgendeiner Rolle. Nein, sie tritt als Gloria Swanson auf, die unentwegt von ihren Erlebnissen mit „Die zehn Gebote“-Regisseur Cecil B. DeMille palavert und an ihrer Biografie arbeitet. Es war ihr erster Film seit 22 Jahren und blieb der letzte Auftritt ihrer Karriere.

All diese Stars so herrlich selbstironisch zu sehen, ist schon ein Spaß für sich. Dies geht so weit, dass sogar die Katastrophe selbst mit einem Meta-Gag verbunden ist: Ein vermögender Geschäftsmann, gespielt vom 40er-Jahre-Megastar Dana Andrews, erleidet beim Flug mit seiner Privatmaschine einen Herzanfall und kracht in das Cockpit der Boeing 747, was den von Broadway-Legende Efrem Zimbalist Jr. gespielten Piloten schwer verletzt und den Rest der Cockpit-Besatzung tötet.

Die Idee zu diesem Aufhänger hatten sich die Macher beim 1960 erschienenen Thriller „SOS für Flug T 17“ abgeguckt. Dort krachte ein Düsenjet in eine Passagiermaschine. Und schon damals spielten Andrews und Zimbalist Jr. mit – aber in vertauschten Rollen. Zimbalist Jr. war der Pilot, der seinen Jet in Andrews Cockpit donnerte. Dem kleinen Flugzeug, das im Film mit der 747 kollidierte, eine Beechcraft Baron mit der Hecknummer N9750Y, ereilte im August 1989 tatsächlich ein solches Schicksal: Es wurde über Tracy, Kalifornien, bei einer Kollision mit einer Cessna 180 zerstört.

Ab hier zeigt „Giganten am Himmel“ seine Qualitäten als großes und in seinen 107 Minuten sehr temporeiches Actionfilm-Vergnügen. Im Zuge des Unfalls muss nämlich eine Stewardess die Maschine quer durch die Wasatchkette der Rocky Mountains steuern und sich mithilfe von Funk-Anweisungen mit den Gerätschaften des demolierten Cockpits vertraut machen. „Five Easy Peaces“-Schnuckel Karen Black spielt diese unfreiwillige Pilotin famos, ihre Überforderung und Hilflosigkeit ist geradezu greifbar. Die Spezialeffekte sind wie beim Vorgänger für die damalige Zeit besonders gelungen ausgetüftelt und erzeugen nicht selten glaubhaft die Immersion eines demolierten Flugzeugs in luftiger Höhe. Manches wurde mit einer echten 747 gedreht, die man für 30.000 Dollar pro Drehtag von der Fluggesellschaft American Airlines ausgeliehen hatte.

Besonders aufregend wird es aber natürlich, als schließlich die eigentlichen Giganten den Himmel erreichen. George Kennedy spielt erneut den aus „Airport“ bekannten hemdsärmeligen Joe Patroni, der damals noch Mechaniker war und jetzt zum Vizepräsidenten einer Fluglinie avanciert ist. Mit Politik hält er sich aber nicht lange auf, schließlich sind Frau und Brut in der gefährdeten Maschine. Also wird von ihm Charlton Heston alias Fluglehrer Al Murdoch – der passenderweise eine Liaison mit Allens Stewardess hat – hinzugerufen, um in der Luft durch das Loch im Cockpit in die „Red-Eye“ genannte Boeing umzusteigen und den Adler sicher zu landen. Genauso kommt es dann auch und die Stuntarbeit in dieser ganz besonders mitreißenden Szene verdient höchstes Lob und beschert Smights Film gar traumhafte Aufnahmen.

Fairerweise: Mit dem eher seriösen „Airport“ hat diese Fortsetzung dann abseits von Kennedys erneutem Mitwirken nur herzlich wenig zu tun und das nicht bloß, weil Teil zwei kaum an einem Flughafen spielt. Wurde im originalen Klassiker noch in empathischen Dialogzeilen über Scheidungen, Affären und Abtreibungen verhandelt und war das Abwenden des drohenden Flugzeugabsturzes da noch vor allem durch das Zusammenarbeiten verschiedenster Kräfte mit einer gewaltigen emotionalen Katharsis verbunden, lässt Smight diese Sentimentalitäten beiseite und feiert eher den maskulin-herben Charme seiner beiden Hauptdarsteller ab.

Die vielen absurden, karikaturistisch-schrillen Passagiers-Nebenfiguren fungieren hauptsächlich als ironisierte Farbtupfer. Ihre Szenen sind nicht mehr melodramatisch angehaucht, sondern wissen um ihre gar drollige Überdrehtheit. Kritiker schimpften die exzentrische Fortsetzung wohl auch deshalb „albern“ und „lächerlich“, kritisierten ein „fragwürdiges Idealbild des rettenden Helden“. Pulitzer-Preisträger Roger Ebert hingegen lobte die „Giganten am Himmel“ und sah darin „guten, spannenden, trivialen Eskapismus“. Damit war er auf der Seite des Publikums: Allein in den USA wurden 47 Millionen Dollar eingenommen, weltweit kamen über 100 Millionen zusammen.

Auf Nixons Präsidentschaft folgte 1974 im Zuge seines Rücktritts die Amtszeit von Gerald Ford, den drei Jahre später Jimmy Carter beerbte. Der Vietnamkrieg endete. Das Massenpublikum verlor mehr und mehr die Lust an spektakulären Untergangsdarstellungen, das Katastrophengenre hatte seinen Zenit überschritten. Zwar wurden später in Hollywood noch „Die Hindenburg“ (1975) und eine „Achterbahn“ (1977) zerstört, man ließ einen „Meteor“ (1979) vom Himmel fallen, zeigte ein „U-Boot in Not“ (1978) und die „Airport“-Reihe ging „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ (1977) und zerdepperte in „Die Concorde“ (1979) einen besonders spektakulären Flieger, doch der ganz große Klassiker war nicht mehr dabei. Logisch, denn was soll schon noch groß folgen, hat man bereits den Giganten am Himmel auserkoren.

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Re: Filmtagebuch: Wallnuss

Beitrag von Cinefreak » 16.10.2024, 19:07

@Wallnuss
Giganten am Himmel hab ich tatsächlich schon einige Male gesehen, der hat schon deutliche Schwächen, ist aber nicht der schlechteste seiner Art meiner Meinung nach. Man muss da ja auch immer die Entstehungszeit sehen. ;)

Hatte euch übrigens vor langer Zeit mal bei insta angeschrieben, ob ihr mich mal als Gast im Podcast haben wollt, vielleicht ging es ja unter ;)
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Re: Filmtagebuch: Wallnuss

Beitrag von Wallnuss » 30.10.2024, 17:22

Cinefreak hat geschrieben:
16.10.2024, 19:07
Hatte euch übrigens vor langer Zeit mal bei insta angeschrieben, ob ihr mich mal als Gast im Podcast haben wollt, vielleicht ging es ja unter ;)
Ja, das ging in der Tat unter!
Ich schreib dir hier mal eine PN!

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(K)Eine Bruchlandung

Beitrag von Wallnuss » 01.11.2024, 16:15

Verschollen im Bermuda-Dreieck

Bei wenigen Schauspielern ist das Wort „Legende“ so angebracht wie bei Christopher Lee. Und das nicht nur, weil er knapp sieben Jahrzehnte lang aktiv war und in über 285 Filmen mitwirkte, darunter zumeist als Bösewicht: vor allem in seinen mehrfachen Auftritten als „Dracula“ wurde er berühmt! Lee lebte auch abseits der Leinwand ein so hoch interessantes Leben, das es ihm nicht gerecht würde, bezeichnete man ihn „nur“ als eines von Hollywoods größten Talenten, wenngleich dies bei seiner Körpergröße von 1,96 Metern eine hübsche Doppeldeutigkeit hätte.

Er war adeliger Abstammung, seine Mutter eine Gräfin aus dem Adelsgeschlecht Carandiri. 1939 wurde er Augenzeuge der letzten öffentlichen Hinrichtung durch eine Guillotine auf dem europäischen Kontinent. Im Zweiten Weltkrieg spionierte er für den OSS, zusammen mit seinem Großcousin Ian Fleming, dessen literarische Schöpfung James Bond in Teilen auf Lee basiert. Er sprach zahlreiche Sprachen, hatte sie autodidaktisch erlernt. Er konnte fließend Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch und Swahili. Auch Deutsch beherrschte er, hatte er doch in einigen Edgar-Wallace-Verfilmungen wie „Das Rätsel der roten Orchidee“ mitgespielt, und später seinen Part im Zeichentrickklassiker „Das letzte Einhorn“ selbst nochmal für die deutsche Synchronfassung eingesprochen.

1977 erhielt er von der US-Stuntmen-Association deren höchste Auszeichnung, eine bronzene Gürtelschnalle, als er bei einem seiner eigenen Stunts fast zu Tode gekommen wäre – am Set des Katastrophenfilm-Blockbusters „Verschollen im Bermuda-Dreieck“. In diesem war Christopher Lee nur einer von vielen. Bei dem Actionabenteuer von Regisseur Jerry Jameson handelte es sich schließlich um den dritten Teil der „Airport“-Filmreihe, die sich in den Vorgängern bereits durch große Star-Ensembles ausgezeichnet hatte. Das Prinzip war simpel: es brauchte eine Katastrophe in Verbindung mit einem Flugzeug, an dessen Bord sich so ziemlich alles versammelte, was in Hollywood Rang und Namen hatte.

Das „Airport“-Original hatte 1970 eine Trendwelle an Nachahmern ausgelöst, die erste Fortsetzung „Giganten am Himmel“ verankerte sich in der Popkultur. Für „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ sollten die vorherigen Spektakel getoppt werden. Statt wie zuvor Flugzeugabstürze zu verhindern, stürzte eine luxuriöse Boeing 747 dieses Mal tatsächlich ab. Es handelt sich um den Privatjumbo eines steinreichen Philanthropen, der auf diesem Weg Bekannte und Verwandte nach Florida fliegen will und gleich die Gelegenheit nutzt, noch einen Haufen an Kunstgegenständen einzufliegen. Dumm nur, dass sich ein paar Gangster in die Maschine schmuggeln, mittels eines Spezialgases alle außer Gefecht setzen und die Maschine kapern. Noch dümmer, dass die Ganoven mitten über dem Bermuda-Dreieck einen Ölbohrturm streifen, und die Maschine somit mitten auf dem Ozean landet und sofort versinkt. Richtig dumm, dass bis auf einen von ihnen alle Schurken bei dem Manöver draufgehen.

Die cineastische Prominenz ist somit im Schlund der Meere gefangen, darunter die aus „Asphalt-Cowboy“ bekannte Brenda Vaccaro, „Ich hab‘ dir nie einen Rosengarten versprochen“-Sweetheart Kathleen Quinlan sowie zwei großen Hollywood-Ikonen: „Citizen Kane“-Hauptdarsteller Joseph Cotten und „Vom Winde verweht“-Star Olivia de Havilland geben sich die Ehre und scharmützeln ein wenig miteinander. Gefordert werden sie nicht. Die Stars sind für die „Airport“-Filme an diesem Punkt ganz zum Selbstzweck geworden. Exemplarisch zeigt sich das an einer Szene, in welcher der blinde Schmusesänger Tom Sullivan selbstironisch die Ballade „Beauty is in the Eyes of the Beholder“ schmettert: eine Sequenz, die nur dadurch motiviert zu sein scheint, dass mit „Die Höllenfahrt der Poseidon“ und „Flammendes Inferno“ nur wenige Jahre zuvor gleich zwei Katastrophenfilme einen Oscar in der Kategorie Bester Song gewinnen konnten. Sullivan gibt nach dieser Gesangsszene dann auch schnell den Löffel ab, für mehr wird er nicht gebraucht.

In der Hauptrolle des heldenhaften Piloten Don Gallagher wurde „Manche mögen‘s heiß“-Komiker Jack Lemmon besetzt; eine angesichts seiner Physis denkbar ungewöhnliche Wahl für einen Actionfilm. Zudem wird an Land ein paar Mal der besorgte Millionär gezeigt, gespielt vom großartigen James Stewart. Wer aber Leistungen wie in Alfred Hitchcocks Meisterwerken „Das Fenster zum Hof“ oder „Vertigo“ erwartet, wird enttäuscht: Stewart durfte wenig mehr vorführen als den Umstand, wie alt er mittlerweile geworden war.

Für Zunder im Ensemble sorgen dann eben nur Christopher Lee und die aus „Shampoo“ bekannte Oscar-Preisträgerin Lee Grant als seine betrügerische Alkoholiker-Ehefrau. Grant hat sichtlich Spaß dabei, Gift und Galle in alle Richtungen zu spucken. Eine Szene, in der sie panisch unter Wasser die Flugzeugtür öffnen will, und dafür unsanft ins Land der Träume geboxt wird, soll bei Kinovorführungen frenetischen Applaus ausgelöst haben. Lee bleibt lange im Hintergrund, ehe sich seine unaufgeregte Figur als erfahrener Sporttaucher offenbart und Gallagher bei einem verzweifelten Rettungsplan helfen soll.

Zwar inszeniert TV-Veteran Jameson seinen Film durchaus kompetent, setzt auf ordentliche Spezialeffekte bei der Notwasserung und bekommt die klaustrophobische Stimmung an Bord des untergegangenen Fliegers souverän eingefangen, doch es fehlt sowohl am locker-leichten Spaß-Faktor der „Giganten am Himmel“ sowie an den psychologisch ausgefeilten Charakterporträts des ersten „Airport“-Films. Stattdessen bleiben die meisten Figuren flach gezeichnet, und ist der Flieger erstmal unter Wasser, beschränken sich Spannungsmomente die meiste Zeit auf ein paar knarzende Geräusche und besorgte Blicke. Mit der Fluchtaktion im zweiten Teil nimmt das Spektakel aber merklich an Fahrt auf. Dass der untrainierte Mittfünfziger Lee als angeblicher Sporttaucher keinen Deut glaubwürdig ist, macht angesichts dessen, dass der Film parallel auch Jack Lemmon als harten Kerl verkaufen will, kaum einen Unterschied.

Beide wollen sich in einer Kammer einschließen und diese fluten, um danach an die Wasseroberfläche zu gelangen. Der Ausgang dieser Szene gehört zum bizarrsten, was das Genre zu bieten hat: Minutenlang durfte Lee über seiner Taucherfähigkeiten lamentieren, nur damit seine Figur auf der Stelle verstirbt, als ihm bei der Kabinenflutung die Tür gegen den Kopf knallt. So kam es immerhin zum beinahe tödlichen Stunt: Die Passagiere schauen aus ihren Fenstern, als plötzlich der tote Taucher vorbeitreibt. Lee drehte die Passage selbst, ohne Atemgerät, und hielt für die Aufnahme so lange durch, dass ihm die Luft ausging. Der Einsatz hat sich gelohnt, denn es ist genau dieser Moment des Schreckens, den „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ gebraucht hat, um neue Energie zu erhalten.

Lemmons Gallagher schafft es nämlich an die Oberfläche und kontaktiert die Marine. Die leiten eine große Aktion der Marine ein, bei der das Flugzeug durch Luftkissen angehoben werden soll. Was hier an Schiffen und Tauchern aufgefahren wird, ist angesichts des Budgets von 6 Millionen Dollar wirklich beachtlich und das minutiöse Durchführen der riskanten Unterwasser-Aktion an der beschädigten Boeing liefert nachträglich die erhofften Spannungsmomente. Der Mix aus echten Marine-Geräten und Modell-Tricks bestand den Test der Zeit.

„Verschollen im Bermuda-Dreieck“ wurde ein recht ansehnlicher Erfolg, wenngleich sich das finanzielle Level der ersten Teile sowie deren filmische Qualität nicht mehr ganz erreichen ließ. TV-Routinier Jameson verzichtete auf die Macho-Helden der Vorgänger, dort noch hemdsärmelig von Burt Lancaster, Dean Martin oder Charlton Heston gespielt. Passenderweise hat George Kennedy in seiner Paraderolle als Flugzeug-Experte Joe Patroni als einziger Rückkehrer aus den vorherigen Filmen nur noch einen Gastauftritt, ist bloß für 91 Sekunden zu sehen.

Jameson fokussierte lieber das Spektakel, die Anziehungskraft der Attraktionen, erschuf einen filmgewordenen Rummelplatz. Es war daher nur folgerichtig, dass in den Universal Studios Hollywood kurz nach Kinostart eine eigene Themenpark-Attraktion zum Film veröffentlicht wurde. Dort konnten Tourbesucher in nachgebauten Sets die Charaktere von der großen Leinwand nachäffen und ihren eigenen Film“ drehen lassen. Die ganze Attraktion war ziemlich gewaltig, beinhaltete mehrere Wasserbecken. Selten konnte sich der normale Fan so sehr wie ein Hollywood-Star fühlen.

Für die „Airport“-Reihe war der Ausflug ins Bermuda-Dreieck ein letztes Aufbäumen, ehe der letzte Teil „Airport ‘80 – Die Concorde“ dann 1979 in Trash-Gefilden wilderte. Jerry Jameson tauschte 1980 ein untergegangenes Flugzeug gegen ein gesunkenes Schiff und drehte den Edel-Flop „Hebt die Titanic“. Jack Lemmon äußerte mehrfach, er hätte es trotz seiner charismatischen Performance bereut, sich als Actionheld versucht zu haben. Und Christopher Lee? Der wischte sich nach der kleinen Nahtod-Erfahrung am Set den Mund ab und lebte sein erstaunliches Leben weiter, hatte im hohen Alter noch ikonische Auftritte als Lichtschwert-schwingender Count Dooku in den „Star Wars“-Prequels oder als betrügerischer Zauberer Saruman in den Mittelerde-Filmen des „Der Herr der Ringe“-Kosmos, wurde 2009 zum Ritter geschlagen und nahm mit über 90 Jahren noch ein eigenes Heavy-Metal-Album auf.

Am 7. Juni 2015 starb er im Alter von 93 Jahren und hinterließ ein gewaltiges Vermächtnis. „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ mag davon nur ein sehr kleiner Teil sein, doch dient er als Beweis dafür, dass sich überall in Lees Lebenswerk denkwürdige Passagen und Leistungen finden.

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