Filmtagebuch: Wallnuss

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Wallnuss
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Über den Wolken muss der Schaden wohl grenzenlos sein

Beitrag von Wallnuss » 15.10.2024, 15:00

Giganten am Himmel

Was die Realität umtreibt, spiegelt sich im Kino wider: Die Angst im Kalten Krieg vor einem nuklearen Holocaust führte im US-Kino der 50er und 60er so zu einer Welle an Sci-Fi-Filmen, in denen Außerirdische oder durch nukleare Strahlung mutierte Echsen und andere Insekten als Vorboten für das Ende der Welt standen. 1968, der Vietnamkriege hatte viele urtypisch amerikanische Ideale bröckeln lassen, erreichte diese pessimistische Untergangsstimmung das teure Massenkino, und der heutige Klassiker „Planet der Affen“ endete mit der bösen Pointe, dass es sich bei dem titelgebenden Himmelskörper um die Erde handelte, die bei einem Atomkrieg vernichtet wurde. Regisseur Franklin J. Schaffner zeigte am Schluss die zerstörte Freiheitsstatue. Hauptdarsteller Charlton Heston verfluchte auf der Tonspur die gesamte Menschheit.

„Planet der Affen“ nahm vorweg, was in der ersten Hälfte der 70er zum Trend im Blockbuster-Kino werden sollte: den Katastrophenfilm. Vor dem Hintergrund der Morde von Charles Manson und dem Ende der idealistischen Hippie-Kultur sowie den Skandalen der Watergate-Affäre rund um Präsident Richard Nixon hatte das Vertrauen in traditionelle Institutionen und staatliche Autoritäten schwer gelitten. Zu sehen gab es daher buchstäbliche Desaster, ausgelöst durch Systemversagen oder Naturgewalten, und eine Riege an bekannten Stars in verschiedenen Parallelhandlungen, die durch diese große Katastrophe vereint wurden und teils heldenhafte Tode sterben, um Schlimmeres zu verhindern.

Vorgemacht hat es 1970 der zehnfach oscarnominierte „Airport“ von George Seaton. Ein waschechter Starauflauf verschiedener Generationen, darunter Burt Lancaster, Helen Hayes, Jean Seberg und Dean Martin, musste trotz vieler Krisen und Differenzen zusammenarbeiten, als ein Mann in einem Passagierflugzeug eine Bombe zündete und die Maschine daher auf einer verschneiten Landebahn notlanden musste. Des großen Erfolgs wegen beeilte sich Hollywood, schnell mehr Filme nach diesem Muster zu drehen. Zwei Jahre später war „Die Höllenfahrt der Poseidon“, in dem sich Gene Hackman, Ernest Borgnine und Shelley Winters auf einem umgekippten Luxusdampfer retten mussten, ein riesiger Erfolg.

Als Katastrophenjahr ging aber 1974 in die Filmgeschichte ein. Gleich vier große Klassiker des Genres entstanden in diesem Jahr und ließen Kinokassen klingeln: Auf einem Kreuzfahrtschiff blieben Richard Harris, Omar Sharif und Anthony Hopkins nur „18 Stunden bis zur Ewigkeit“ und während Steve McQueen und Paul Newman in „Flammendes Inferno“ einen brennenden Wolkenkratzer überstehen mussten, stellten sich „Planet der Affen“-Star Charlton Heston und „Airport“-Legende George Kennedy gleich zwei Desastern. Nachdem sie nämlich in Los Angeles mit einem verhängnisvollen „Erdbeben“ konfrontiert wurden, waren sie die Stars der ersten von drei „Airport“-Fortsetzungen, bzw. wie der deutsche Titel sie taufte: „Giganten am Himmel“.

War das Original noch eine Blaupause für das Genre und funktionierte vor allem als Charakterdrama (die Katastrophe in Form der Bombenexplosion ließ ganze 100 Minuten auf sich warten), ist das günstigere Sequel (nur noch 3 statt 10 Millionen US-Dollar) ein klassischer Vertreter seiner Zunft. Flott führt der spätere „Schlacht um Midway“-Regisseur Jack Smight seine vielen Figuren ein, die sich an Bord einer Boeing 747 einfinden. Myrna Loy, die Grande Dame aus „Der große Ziegfeld“, zieht unentwegt am Flachmann und tankt weit mehr als ein Flugzeug laden könnte. Drei weitere Säufer sind an Bord, einer von ihnen, gespielt vom späteren „King of Queens“-Komiker Jerry Stiller, soll den Unglücksflug verschlafen.

Nicht zum Schlafen kommt die kleine Linda Blair, die dringend per Flieger nach Los Angeles gebracht werden soll, um dort eine lebensnotwendige Nierentransplantation zu erhalten. Wie ein Jahr zuvor, als Blair noch in „Der Exorzist“ vom Dämon Pazuzu besessen wurde, erhält sie auch im zweiten „Airport“ göttlichen Beistand, denn Frauenrechtsaktivistin Helen Reddy ist an Bord und spielt eine freundliche Nonne, die sich mal flugs zu dem kleinen Mädel gesellt, sich ihre Gitarre schnappt und ein Lied darüber trällert, dass ihr bester Freund sie selbst ist. Eine Szene, so bizarr, launig und komisch, dass sie sechs Jahre später in „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ parodiert wurde, aber selbst da kaum lustiger ausfällt.

Ach ja, Stummfilm-Ikone und „Boulevard der Dämmerung“-Star Gloria Swanson ist auch an Bord. Nicht in irgendeiner Rolle. Nein, sie tritt als Gloria Swanson auf, die unentwegt von ihren Erlebnissen mit „Die zehn Gebote“-Regisseur Cecil B. DeMille palavert und an ihrer Biografie arbeitet. Es war ihr erster Film seit 22 Jahren und blieb der letzte Auftritt ihrer Karriere.

All diese Stars so herrlich selbstironisch zu sehen, ist schon ein Spaß für sich. Dies geht so weit, dass sogar die Katastrophe selbst mit einem Meta-Gag verbunden ist: Ein vermögender Geschäftsmann, gespielt vom 40er-Jahre-Megastar Dana Andrews, erleidet beim Flug mit seiner Privatmaschine einen Herzanfall und kracht in das Cockpit der Boeing 747, was den von Broadway-Legende Efrem Zimbalist Jr. gespielten Piloten schwer verletzt und den Rest der Cockpit-Besatzung tötet.

Die Idee zu diesem Aufhänger hatten sich die Macher beim 1960 erschienenen Thriller „SOS für Flug T 17“ abgeguckt. Dort krachte ein Düsenjet in eine Passagiermaschine. Und schon damals spielten Andrews und Zimbalist Jr. mit – aber in vertauschten Rollen. Zimbalist Jr. war der Pilot, der seinen Jet in Andrews Cockpit donnerte. Dem kleinen Flugzeug, das im Film mit der 747 kollidierte, eine Beechcraft Baron mit der Hecknummer N9750Y, ereilte im August 1989 tatsächlich ein solches Schicksal: Es wurde über Tracy, Kalifornien, bei einer Kollision mit einer Cessna 180 zerstört.

Ab hier zeigt „Giganten am Himmel“ seine Qualitäten als großes und in seinen 107 Minuten sehr temporeiches Actionfilm-Vergnügen. Im Zuge des Unfalls muss nämlich eine Stewardess die Maschine quer durch die Wasatchkette der Rocky Mountains steuern und sich mithilfe von Funk-Anweisungen mit den Gerätschaften des demolierten Cockpits vertraut machen. „Five Easy Peaces“-Schnuckel Karen Black spielt diese unfreiwillige Pilotin famos, ihre Überforderung und Hilflosigkeit ist geradezu greifbar. Die Spezialeffekte sind wie beim Vorgänger für die damalige Zeit besonders gelungen ausgetüftelt und erzeugen nicht selten glaubhaft die Immersion eines demolierten Flugzeugs in luftiger Höhe. Manches wurde mit einer echten 747 gedreht, die man für 30.000 Dollar pro Drehtag von der Fluggesellschaft American Airlines ausgeliehen hatte.

Besonders aufregend wird es aber natürlich, als schließlich die eigentlichen Giganten den Himmel erreichen. George Kennedy spielt erneut den aus „Airport“ bekannten hemdsärmeligen Joe Patroni, der damals noch Mechaniker war und jetzt zum Vizepräsidenten einer Fluglinie avanciert ist. Mit Politik hält er sich aber nicht lange auf, schließlich sind Frau und Brut in der gefährdeten Maschine. Also wird von ihm Charlton Heston alias Fluglehrer Al Murdoch – der passenderweise eine Liaison mit Allens Stewardess hat – hinzugerufen, um in der Luft durch das Loch im Cockpit in die „Red-Eye“ genannte Boeing umzusteigen und den Adler sicher zu landen. Genauso kommt es dann auch und die Stuntarbeit in dieser ganz besonders mitreißenden Szene verdient höchstes Lob und beschert Smights Film gar traumhafte Aufnahmen.

Fairerweise: Mit dem eher seriösen „Airport“ hat diese Fortsetzung dann abseits von Kennedys erneutem Mitwirken nur herzlich wenig zu tun und das nicht bloß, weil Teil zwei kaum an einem Flughafen spielt. Wurde im originalen Klassiker noch in empathischen Dialogzeilen über Scheidungen, Affären und Abtreibungen verhandelt und war das Abwenden des drohenden Flugzeugabsturzes da noch vor allem durch das Zusammenarbeiten verschiedenster Kräfte mit einer gewaltigen emotionalen Katharsis verbunden, lässt Smight diese Sentimentalitäten beiseite und feiert eher den maskulin-herben Charme seiner beiden Hauptdarsteller ab.

Die vielen absurden, karikaturistisch-schrillen Passagiers-Nebenfiguren fungieren hauptsächlich als ironisierte Farbtupfer. Ihre Szenen sind nicht mehr melodramatisch angehaucht, sondern wissen um ihre gar drollige Überdrehtheit. Kritiker schimpften die exzentrische Fortsetzung wohl auch deshalb „albern“ und „lächerlich“, kritisierten ein „fragwürdiges Idealbild des rettenden Helden“. Pulitzer-Preisträger Roger Ebert hingegen lobte die „Giganten am Himmel“ und sah darin „guten, spannenden, trivialen Eskapismus“. Damit war er auf der Seite des Publikums: Allein in den USA wurden 47 Millionen Dollar eingenommen, weltweit kamen über 100 Millionen zusammen.

Auf Nixons Präsidentschaft folgte 1974 im Zuge seines Rücktritts die Amtszeit von Gerald Ford, den drei Jahre später Jimmy Carter beerbte. Der Vietnamkrieg endete. Das Massenpublikum verlor mehr und mehr die Lust an spektakulären Untergangsdarstellungen, das Katastrophengenre hatte seinen Zenit überschritten. Zwar wurden später in Hollywood noch „Die Hindenburg“ (1975) und eine „Achterbahn“ (1977) zerstört, man ließ einen „Meteor“ (1979) vom Himmel fallen, zeigte ein „U-Boot in Not“ (1978) und die „Airport“-Reihe ging „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ (1977) und zerdepperte in „Die Concorde“ (1979) einen besonders spektakulären Flieger, doch der ganz große Klassiker war nicht mehr dabei. Logisch, denn was soll schon noch groß folgen, hat man bereits den Giganten am Himmel auserkoren.

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Re: Filmtagebuch: Wallnuss

Beitrag von Cinefreak » 16.10.2024, 19:07

@Wallnuss
Giganten am Himmel hab ich tatsächlich schon einige Male gesehen, der hat schon deutliche Schwächen, ist aber nicht der schlechteste seiner Art meiner Meinung nach. Man muss da ja auch immer die Entstehungszeit sehen. ;)

Hatte euch übrigens vor langer Zeit mal bei insta angeschrieben, ob ihr mich mal als Gast im Podcast haben wollt, vielleicht ging es ja unter ;)
Unser neuestes Projekt: https://open.spotify.com/show/35s3iDdkQ12ikEFT9hOoTP - Talk rund um Filme und Serien

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Re: Filmtagebuch: Wallnuss

Beitrag von Wallnuss » 30.10.2024, 17:22

Cinefreak hat geschrieben:
16.10.2024, 19:07
Hatte euch übrigens vor langer Zeit mal bei insta angeschrieben, ob ihr mich mal als Gast im Podcast haben wollt, vielleicht ging es ja unter ;)
Ja, das ging in der Tat unter!
Ich schreib dir hier mal eine PN!

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(K)Eine Bruchlandung

Beitrag von Wallnuss » 01.11.2024, 16:15

Verschollen im Bermuda-Dreieck

Bei wenigen Schauspielern ist das Wort „Legende“ so angebracht wie bei Christopher Lee. Und das nicht nur, weil er knapp sieben Jahrzehnte lang aktiv war und in über 285 Filmen mitwirkte, darunter zumeist als Bösewicht: vor allem in seinen mehrfachen Auftritten als „Dracula“ wurde er berühmt! Lee lebte auch abseits der Leinwand ein so hoch interessantes Leben, das es ihm nicht gerecht würde, bezeichnete man ihn „nur“ als eines von Hollywoods größten Talenten, wenngleich dies bei seiner Körpergröße von 1,96 Metern eine hübsche Doppeldeutigkeit hätte.

Er war adeliger Abstammung, seine Mutter eine Gräfin aus dem Adelsgeschlecht Carandiri. 1939 wurde er Augenzeuge der letzten öffentlichen Hinrichtung durch eine Guillotine auf dem europäischen Kontinent. Im Zweiten Weltkrieg spionierte er für den OSS, zusammen mit seinem Großcousin Ian Fleming, dessen literarische Schöpfung James Bond in Teilen auf Lee basiert. Er sprach zahlreiche Sprachen, hatte sie autodidaktisch erlernt. Er konnte fließend Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch und Swahili. Auch Deutsch beherrschte er, hatte er doch in einigen Edgar-Wallace-Verfilmungen wie „Das Rätsel der roten Orchidee“ mitgespielt, und später seinen Part im Zeichentrickklassiker „Das letzte Einhorn“ selbst nochmal für die deutsche Synchronfassung eingesprochen.

1977 erhielt er von der US-Stuntmen-Association deren höchste Auszeichnung, eine bronzene Gürtelschnalle, als er bei einem seiner eigenen Stunts fast zu Tode gekommen wäre – am Set des Katastrophenfilm-Blockbusters „Verschollen im Bermuda-Dreieck“. In diesem war Christopher Lee nur einer von vielen. Bei dem Actionabenteuer von Regisseur Jerry Jameson handelte es sich schließlich um den dritten Teil der „Airport“-Filmreihe, die sich in den Vorgängern bereits durch große Star-Ensembles ausgezeichnet hatte. Das Prinzip war simpel: es brauchte eine Katastrophe in Verbindung mit einem Flugzeug, an dessen Bord sich so ziemlich alles versammelte, was in Hollywood Rang und Namen hatte.

Das „Airport“-Original hatte 1970 eine Trendwelle an Nachahmern ausgelöst, die erste Fortsetzung „Giganten am Himmel“ verankerte sich in der Popkultur. Für „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ sollten die vorherigen Spektakel getoppt werden. Statt wie zuvor Flugzeugabstürze zu verhindern, stürzte eine luxuriöse Boeing 747 dieses Mal tatsächlich ab. Es handelt sich um den Privatjumbo eines steinreichen Philanthropen, der auf diesem Weg Bekannte und Verwandte nach Florida fliegen will und gleich die Gelegenheit nutzt, noch einen Haufen an Kunstgegenständen einzufliegen. Dumm nur, dass sich ein paar Gangster in die Maschine schmuggeln, mittels eines Spezialgases alle außer Gefecht setzen und die Maschine kapern. Noch dümmer, dass die Ganoven mitten über dem Bermuda-Dreieck einen Ölbohrturm streifen, und die Maschine somit mitten auf dem Ozean landet und sofort versinkt. Richtig dumm, dass bis auf einen von ihnen alle Schurken bei dem Manöver draufgehen.

Die cineastische Prominenz ist somit im Schlund der Meere gefangen, darunter die aus „Asphalt-Cowboy“ bekannte Brenda Vaccaro, „Ich hab‘ dir nie einen Rosengarten versprochen“-Sweetheart Kathleen Quinlan sowie zwei großen Hollywood-Ikonen: „Citizen Kane“-Hauptdarsteller Joseph Cotten und „Vom Winde verweht“-Star Olivia de Havilland geben sich die Ehre und scharmützeln ein wenig miteinander. Gefordert werden sie nicht. Die Stars sind für die „Airport“-Filme an diesem Punkt ganz zum Selbstzweck geworden. Exemplarisch zeigt sich das an einer Szene, in welcher der blinde Schmusesänger Tom Sullivan selbstironisch die Ballade „Beauty is in the Eyes of the Beholder“ schmettert: eine Sequenz, die nur dadurch motiviert zu sein scheint, dass mit „Die Höllenfahrt der Poseidon“ und „Flammendes Inferno“ nur wenige Jahre zuvor gleich zwei Katastrophenfilme einen Oscar in der Kategorie Bester Song gewinnen konnten. Sullivan gibt nach dieser Gesangsszene dann auch schnell den Löffel ab, für mehr wird er nicht gebraucht.

In der Hauptrolle des heldenhaften Piloten Don Gallagher wurde „Manche mögen‘s heiß“-Komiker Jack Lemmon besetzt; eine angesichts seiner Physis denkbar ungewöhnliche Wahl für einen Actionfilm. Zudem wird an Land ein paar Mal der besorgte Millionär gezeigt, gespielt vom großartigen James Stewart. Wer aber Leistungen wie in Alfred Hitchcocks Meisterwerken „Das Fenster zum Hof“ oder „Vertigo“ erwartet, wird enttäuscht: Stewart durfte wenig mehr vorführen als den Umstand, wie alt er mittlerweile geworden war.

Für Zunder im Ensemble sorgen dann eben nur Christopher Lee und die aus „Shampoo“ bekannte Oscar-Preisträgerin Lee Grant als seine betrügerische Alkoholiker-Ehefrau. Grant hat sichtlich Spaß dabei, Gift und Galle in alle Richtungen zu spucken. Eine Szene, in der sie panisch unter Wasser die Flugzeugtür öffnen will, und dafür unsanft ins Land der Träume geboxt wird, soll bei Kinovorführungen frenetischen Applaus ausgelöst haben. Lee bleibt lange im Hintergrund, ehe sich seine unaufgeregte Figur als erfahrener Sporttaucher offenbart und Gallagher bei einem verzweifelten Rettungsplan helfen soll.

Zwar inszeniert TV-Veteran Jameson seinen Film durchaus kompetent, setzt auf ordentliche Spezialeffekte bei der Notwasserung und bekommt die klaustrophobische Stimmung an Bord des untergegangenen Fliegers souverän eingefangen, doch es fehlt sowohl am locker-leichten Spaß-Faktor der „Giganten am Himmel“ sowie an den psychologisch ausgefeilten Charakterporträts des ersten „Airport“-Films. Stattdessen bleiben die meisten Figuren flach gezeichnet, und ist der Flieger erstmal unter Wasser, beschränken sich Spannungsmomente die meiste Zeit auf ein paar knarzende Geräusche und besorgte Blicke. Mit der Fluchtaktion im zweiten Teil nimmt das Spektakel aber merklich an Fahrt auf. Dass der untrainierte Mittfünfziger Lee als angeblicher Sporttaucher keinen Deut glaubwürdig ist, macht angesichts dessen, dass der Film parallel auch Jack Lemmon als harten Kerl verkaufen will, kaum einen Unterschied.

Beide wollen sich in einer Kammer einschließen und diese fluten, um danach an die Wasseroberfläche zu gelangen. Der Ausgang dieser Szene gehört zum bizarrsten, was das Genre zu bieten hat: Minutenlang durfte Lee über seiner Taucherfähigkeiten lamentieren, nur damit seine Figur auf der Stelle verstirbt, als ihm bei der Kabinenflutung die Tür gegen den Kopf knallt. So kam es immerhin zum beinahe tödlichen Stunt: Die Passagiere schauen aus ihren Fenstern, als plötzlich der tote Taucher vorbeitreibt. Lee drehte die Passage selbst, ohne Atemgerät, und hielt für die Aufnahme so lange durch, dass ihm die Luft ausging. Der Einsatz hat sich gelohnt, denn es ist genau dieser Moment des Schreckens, den „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ gebraucht hat, um neue Energie zu erhalten.

Lemmons Gallagher schafft es nämlich an die Oberfläche und kontaktiert die Marine. Die leiten eine große Aktion der Marine ein, bei der das Flugzeug durch Luftkissen angehoben werden soll. Was hier an Schiffen und Tauchern aufgefahren wird, ist angesichts des Budgets von 6 Millionen Dollar wirklich beachtlich und das minutiöse Durchführen der riskanten Unterwasser-Aktion an der beschädigten Boeing liefert nachträglich die erhofften Spannungsmomente. Der Mix aus echten Marine-Geräten und Modell-Tricks bestand den Test der Zeit.

„Verschollen im Bermuda-Dreieck“ wurde ein recht ansehnlicher Erfolg, wenngleich sich das finanzielle Level der ersten Teile sowie deren filmische Qualität nicht mehr ganz erreichen ließ. TV-Routinier Jameson verzichtete auf die Macho-Helden der Vorgänger, dort noch hemdsärmelig von Burt Lancaster, Dean Martin oder Charlton Heston gespielt. Passenderweise hat George Kennedy in seiner Paraderolle als Flugzeug-Experte Joe Patroni als einziger Rückkehrer aus den vorherigen Filmen nur noch einen Gastauftritt, ist bloß für 91 Sekunden zu sehen.

Jameson fokussierte lieber das Spektakel, die Anziehungskraft der Attraktionen, erschuf einen filmgewordenen Rummelplatz. Es war daher nur folgerichtig, dass in den Universal Studios Hollywood kurz nach Kinostart eine eigene Themenpark-Attraktion zum Film veröffentlicht wurde. Dort konnten Tourbesucher in nachgebauten Sets die Charaktere von der großen Leinwand nachäffen und ihren eigenen Film“ drehen lassen. Die ganze Attraktion war ziemlich gewaltig, beinhaltete mehrere Wasserbecken. Selten konnte sich der normale Fan so sehr wie ein Hollywood-Star fühlen.

Für die „Airport“-Reihe war der Ausflug ins Bermuda-Dreieck ein letztes Aufbäumen, ehe der letzte Teil „Airport ‘80 – Die Concorde“ dann 1979 in Trash-Gefilden wilderte. Jerry Jameson tauschte 1980 ein untergegangenes Flugzeug gegen ein gesunkenes Schiff und drehte den Edel-Flop „Hebt die Titanic“. Jack Lemmon äußerte mehrfach, er hätte es trotz seiner charismatischen Performance bereut, sich als Actionheld versucht zu haben. Und Christopher Lee? Der wischte sich nach der kleinen Nahtod-Erfahrung am Set den Mund ab und lebte sein erstaunliches Leben weiter, hatte im hohen Alter noch ikonische Auftritte als Lichtschwert-schwingender Count Dooku in den „Star Wars“-Prequels oder als betrügerischer Zauberer Saruman in den Mittelerde-Filmen des „Der Herr der Ringe“-Kosmos, wurde 2009 zum Ritter geschlagen und nahm mit über 90 Jahren noch ein eigenes Heavy-Metal-Album auf.

Am 7. Juni 2015 starb er im Alter von 93 Jahren und hinterließ ein gewaltiges Vermächtnis. „Verschollen im Bermuda-Dreieck“ mag davon nur ein sehr kleiner Teil sein, doch dient er als Beweis dafür, dass sich überall in Lees Lebenswerk denkwürdige Passagen und Leistungen finden.

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