Filmtagebuch: deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Saint Omer
Kino / Regie: Alice Diop
Alice Diop liefert mit «Saint Omer» kein typisches Gerichtsdrama, sondern eine langsam erzählte, ruhige und deutungsoffene Betrachtung der Frauenrolle in der heutigen Gesellschaft. Ein realer Mordfall wird zum Ausgangspunkt für intensive Diskussionen um Verantwortung, Unterdrückung und Selbstbestimmung.
In den Hauptrollen überzeugen Kayije Kagame und Guslagie Malanda, die Machart erinnert an die Dokumentationen der Regisseurin und lässt dadurch das Geschehen lange nachwirken.
Il Buco
Streaming, Filmingo / Regie: Michelangelo Frammartino
Höhlenforschung in den Sechzigerjahren, ein gefährliches Unterfangen voller Abenteuergeist und Geheimnisse. Michelangelo Frammartino hat den italienischen Forscher:innen mit «Il Buco» ein Denkmal geschaffen, das andächtig die damaligen Geschehnisse aufzeigt.
Ohne Dialoge, ruhig und bedächtig gefilmt, mit wunderschönen Aufnahmen der Natur und der Höhle: Der Film ist ein Erlebnis der Ruhe, nahe einer Dokumentation.
The Whale
Kino / Regie: Darren Aronofsky
Die Bibel! Fettleibigkeit! Todsünde! Liebe! Familie! Vergebung!
Wenn Darren Aronofsky grosse Themen in seinen Filmen anpackt, geht die Subtilität vergessen. «The Whale» ist ein stellenweise unerträglich überzeichnetes Drama, gefüllt mit Klischees, Plattitüden und eindimensionalen Charakteren.
Die Schauspieler:innen Brendan Fraser, Sadie Sink und Hong Chau geben ihr Bestes, aber das rettet den Film nicht. Optisch uninteressant, inhaltlich überladen und sensationsgeil in der Wirkung – zu keiner Sekunde wurde ich emotional berührt.
Prisoners of the Ghostland
DVD / Regie: Sion Sono
Sion Sono hat mit seinem bisherigen Schaffen immer wieder für Aufsehen gesorgt, sein erster englischsprachiger Spielfilm «Prisoners of the Ghostland» wird allerdings keinen Erwartungen gerecht. Ein verwirrendes, sinnloses und trashig wirkendes Abenteuer, in dessen Mitte ein steifer Nicolas Cage durch die Sets stolpert.
Die Action ist lahm, die Geschichte nicht nachvollziehbar, gewisse Dialoge und Handlungen lösen Fremdscham auf. Leider hat weder Sofia Boutella etwas zu tun, noch gelingt die Mischung aus westlichen und östlichen Kulturaspekten. Ein Reinfall.
Spagat
DVD / Regie: Christian Johannes Koch
Illegaler Aufenthalt in der Schweiz, die stete Gefahr vor der Ausschaffung und eine Affäre mit einer Lehrerin: Das Leben zwischen Reichtum und Bedeutungslosigkeit wird in «Spagat» ungeschönt gezeigt. Ein Fehlentscheid führt zu grossen Problemen, Beziehungen und Familien brechen auseinander.
Das Debüt von Christian Johannes Koch ist ein relevanter Film über die Asylpolitik in der Schweiz, gleichzeitig ein Drama um Träume und Hoffnungen. Gute gefilmt und ohne viele Klischees, aber auch etwas zu bieder.
Ambulance
DVD / Regie: Michael Bay
Dass nach jedem Schnitt das Tageslicht wieder leicht anders wirkt, egal. Hauptsache die Sonne ist an ihrem unendlichen Untergang, die Drohne schwirrt ungezähmt durch die Häuserschluchten und die Autos überschlagen sich im gewaltigen Funkenregen.
Mit dem Remake von «Ambulance» verwandelt Michael Bay das unendliche Strassennetz von Los Angeles zu einem Kriegsschauplatz zwischen Gangster und Cops, ohne jegliche Logik. Die Sprüche sind fragwürdig, Feingefühl und Drehbuchkunst stiegen gar nicht erst mit ins Fahrzeug.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Kaum mal den Mainstream angehaucht und schon bitter enttäuscht worden.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Ach, Mainstream muss ja nicht so schlecht sein, wie die geschauten Beispiele.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Le plein de super
BD / Regie: Alain Cavalier
Männerfantasien, die Demontage des Egos, Träume von Knaben, Unsicherheit im Dasein: Das Roadmovie «Le plein de super» blickt hinter die Fassaden des Machismos und zelebriert die Freundschaft zwischen Männern auf frische Weise.
Der Film von Alain Cavalier wurde von den vier Hauptdarstellern geschrieben, funktioniert ohne grosses Ziel und zaubert eine ehrlich-komische Welt herbei.
Stowaway
DVD / Regie: Joe Penna
Ein Kammerspiel im Weltall ist keine schlechte Idee, besonders wenn ein Cast mit Namen wie Anna Kendrick und Toni Collette vorhanden ist. Leider aber zerfällt «Stowaway» von Joe Penna am stupiden und zerlöcherten Drehbuch, das sich von Beginn an keinen Deut um Logik schert.
Ein blinder Passagier in einer Rakete, den niemanden vermisst? Eine Firma, die lieber Mitarbeiter umbringt, als die Mission abzubrechen? Astronaut:innen, die weder sich, noch ihre Gegenstände beim Spacewalk sichern? Da hilft die gute Kameraarbeit nicht als Trost.
The Texas Chain Saw Massacre
DVD / Regie: Tobe Hooper
Egal wie überzeichnet und brutal die Horrorfilme der heutigen Zeit sind, an die dreckigen, grobkörnigen und scheinbar gewissenlose Werke der Siebzigerjahre kommen sie nie heran. Tobe Hooper entzog dem Filmeschaffen mit seinem Klassiker «The Texas Chain Saw Massacre» jegliche Menschlichkeit, es ist ein Biest ohne Gnaden.
Chaotisch entfaltet sich die Geschichte, unaufhaltbar ist die Gewalt, ohrenbetäubend laut die Mischung aus Kettensäge und Geschrei. Der Film schockiert bis heute.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Species III
DVD / Regie: Brad Turner
«Species III» beginnt wie eine Folge von «The X-Files»: Ein Wald voller Nebel, Armeefahrzeuge und ein scheinbar totes Alien im Sanitätswagen. Auch von der Machart her wirkt die Fortsetzung von Brad Turner viel mehr wie eine TV-Eskapade, als ein SF-Erotik-Film. Und dieser Eindruck bleibt.
Langweilige Charaktere, schleppende Erzählweise, billige Effekte und sinnlose Entscheidungen in der Story – da kann auch Sunny Mabrey als Ersatz für Natasha Henstridge den Untergang dieses Filmes nicht verhindern. Aber hey, immerhin akzeptieren auf dieser Erde alle Menschen Ausserirdische ohne Diskussion.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Man Of The West
BD / Regie: Anthony Mann
Die Vergangenheit holt dich ein, egal ob du auf dem Pferd davonreitest, mit der Eisenbahn abzischt oder dich nicht mehr als Gangster, sondern als ehrbarer Bürger ausgibst. Das erlebt Gary Cooper in «Man Of The West», mit blutigem Ausgang.
Der Western von Anthony Mann ist eine düstere Vision von Schuld und Sühne, eingefangen in grossartigen Settings und Einstellungen mit viel Tiefe. Besonders der finale Shootout im verlassenen Städtchen lohnt sich.
Le Silence de la mer
BD / Regie: Jean-Pierre Melville
Widerstand gegen die Unterdrücker: «Le Silence de la mer» zeigt die Kraft in der Ruhe, die Ambivalenz der Moralvorstellungen. Im Zentrum Howard Vernon als Offizier der Nazis, mit stark gespielten Monologen und einem stechenden Blick.
Das Debütwerk von Jean-Pierre Melville bricht mit damaligen Konventionen, stellt schwierige Fragen und sucht keinen brachial-lauten Ausweg aus der Misere des Zweiten Weltkrieges. Ausstattung, Kamera, Schnitt und Musik verbinden sich zu einer beeindruckenden Mischung.
Play with the Devil – Becoming Zeal & Ardor
Kino / Regie: Olivier Joliat, Matthias Willi
Aus einer amüsanten Idee wurde innert kurzer Zeit ein weltweites Phänomen: Zeal & Ardor aus Basel haben mit der Mischung aus Black Metal und Schwarzer Sklavenmusik die Metal-Welt umgekrempelt. Mit «Play with the Devil» haben Olivier Joliat und Matthias Willi diese Entwicklung begleitet.
Wer sich in der Schweizer Musikszene auskennt, der wird von den Aufnahmen und Momenten mitgerissen – beeindruckend ist die Leistung von Musiker Manuel Gangeux sowieso. Der Dokumentation fehlt aber die Tiefe und die Lust an der Auseinandersetzung. Als Bonus-Film einer Deluxe-Ausgabe des aktuellen Albums wäre der Film perfekt aufgehoben.
Punishment Park
BD / Regie: Peter Watkins
Die Pseudo-Dokumentation «Punishment Park» ist harsch, schmerzt und zeigt die Fratze der USA ungeschminkt. Eine eventuelle Realität der Unterdrückung wird realistisch dargestellt, Peter Watkins sorgte mit der Produktion Anfang der Siebzigjahre für Aufsehen.
Von der bissigen Brisanz hat die Geschichte bis heute nichts verloren, die atemlose, überlagernde Inszenierung wirkt aufreibend. Man spürt die Hitze der Wüste, man wird am Ende aufgeladen zurückgelassen und will sich in Diskussionen stürzen.
Re: Filmtagebuch: deBohli
Dein FTB liest sich oft sehr faszinierend...Arthouse, Arthouse, Arthouse, arthouse...dann mal zwischendrin nen - ich vermute mal - C-Movie wie Species III...SEhr spannender Filmgeschmack...
Schaust du eigentlich generell alles? Gibt ja viele, die schauen keine dt. oder z. B. keine koreanischen Filme - was auch immer ;) Ich glaube, wenn man Interesse an allem hat, kann das auch stressig werden..ich selber stehe oft wie der Ochs vorm Berg da beim aussuchen... früher an der Filmregalwand, heute vermehrt vor den Streaming-Plattformen..
AMBULANCE sehe ich übrigens sehr ähnlich wie du...auch die Action...es war ja viel da, aber alles wirkte total zerfahren...es crashte viel, nur warum...das entging selbst dem wachsamem Auge oft
Schaust du eigentlich generell alles? Gibt ja viele, die schauen keine dt. oder z. B. keine koreanischen Filme - was auch immer ;) Ich glaube, wenn man Interesse an allem hat, kann das auch stressig werden..ich selber stehe oft wie der Ochs vorm Berg da beim aussuchen... früher an der Filmregalwand, heute vermehrt vor den Streaming-Plattformen..
AMBULANCE sehe ich übrigens sehr ähnlich wie du...auch die Action...es war ja viel da, aber alles wirkte total zerfahren...es crashte viel, nur warum...das entging selbst dem wachsamem Auge oft
Unser neuestes Projekt: https://open.spotify.com/show/35s3iDdkQ12ikEFT9hOoTP - Talk rund um Filme und Serien
Re: Filmtagebuch: deBohli
Schaust du eigentlich generell alles?
Nein!Arthouse, Arthouse, Arthouse, arthouse.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Theoretisch alles, ausser billiger Trash (Asylum etc.), doofe Action-Gülle (also alle Filme, die freeman bespricht) und stupider Mainstream (mit Ausnahmen).
Es lässt sich nicht genau festmachen, ich bin an der Kunstform Film sehr stark fasziniert und beschäftige mich gerne mit allen möglichen Ausdrucksweisen in dieser. Ob eine Low-Budget-Produktion aus Iran, eine Komödie aus Frankreich oder die neuste Dokumentation über Musiker:innen aus der Schweiz, alles ist dabei.
Das Problem ist bei mir, dass die Menge an Zeit niemals dafür ausreicht, alles zu geniessen, was ich gerne würde. Es hilft, dass ich fast nie Streaming nutze und die meisten Filme als BD oder DVD kaufe. Bloss ist der Stapel der ungesehenen Filme riesig und es kommen fast wöchentlich neue dazu.
Durch die Teilnahmen an vielen Festivals, die regelmässigen Kinobesuche und Gruppenaktivitäten wie der KCG wird die Zeit nicht mehr - dafür die Diversität grösser.
Kurzfassung: Kategorisch schliesse ich bei der Kunstform Film kein Land oder Genre aus. Gerne wage ich mich an Experimente, Versuche und Neues, engagiere mich an Festivals und bin für eine offene Weltsicht mit Vielfalt und Tiefe.
Es lässt sich nicht genau festmachen, ich bin an der Kunstform Film sehr stark fasziniert und beschäftige mich gerne mit allen möglichen Ausdrucksweisen in dieser. Ob eine Low-Budget-Produktion aus Iran, eine Komödie aus Frankreich oder die neuste Dokumentation über Musiker:innen aus der Schweiz, alles ist dabei.
Das Problem ist bei mir, dass die Menge an Zeit niemals dafür ausreicht, alles zu geniessen, was ich gerne würde. Es hilft, dass ich fast nie Streaming nutze und die meisten Filme als BD oder DVD kaufe. Bloss ist der Stapel der ungesehenen Filme riesig und es kommen fast wöchentlich neue dazu.
Durch die Teilnahmen an vielen Festivals, die regelmässigen Kinobesuche und Gruppenaktivitäten wie der KCG wird die Zeit nicht mehr - dafür die Diversität grösser.
Kurzfassung: Kategorisch schliesse ich bei der Kunstform Film kein Land oder Genre aus. Gerne wage ich mich an Experimente, Versuche und Neues, engagiere mich an Festivals und bin für eine offene Weltsicht mit Vielfalt und Tiefe.
Re: Filmtagebuch: deBohli
... mit Abtrichen Marvel.Kategorisch schliesse ich bei der Kunstform Film kein Land oder Genre aus
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Würde ich so nicht sagen, bisher habe ich nur wenige Marvel-Filme nicht gesehen. Ich renne bloss für die Filme nicht mehr ins Kino sondern streame die Ware, wenn ich ab und an Lust darauf habe. Allgemein ist das Genre der Superheldenfilme weiterhin eine Filmgattung, die ich eigentlich mag. Bloss hat die Masse der letzten Jahre (und deren schwindende Qualität) die Euphorie ausgelöscht.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Queen Of Earth
BD / Regie: Alex Ross Perry
Zwei beste Freundinnen, viel Leid und Trauma: Bei «Queen Of Earth» wird die entspannte Existenz durch Unsicherheit, Unterdrückung und Misstrauen dekonstruiert. Im Stile der mysteriös-unheimlichen Filme der Siebzigerjahre inszeniert, mit einer Ästhetik, die mich an «Picnic at Hanging Rock» von Peter Weir erinnerte.
Vergangenheit und Gegenwart, Innenleben und Aussenwahrnehmung, Elisabeth Moss und Katherine Waterston prallen aufeinander. Das ist kryptisch, unangenehm und beeindruckend.
Species IV – The Awakening
DVD / Regie: Nick Lyon
Langweilig ist «Species IV – The Awakening» in erster Linie. Zusätzlich stellenweise peinlich, immer ziemlich doof und vielfach unfreiwillig komisch. Trotzdem ist es überraschend, dass der Film von Nick Lyon bei der trashig-notgeilen Grundlage nie in die Gänge kommen will und sogar beim Showdown versagt.
An Helena Mattsson liegt es nicht, sondern am Drehbuch, das man so schnell gelesen hat, wie Marlene Favela im Film die Bibel. «Not good humans!»
Re: Filmtagebuch: deBohli
Deine letzten paar Postings hier könnten so fast 1:1 von mir stammen. Außer, dass die Noten für Species 3 und 4 bei mir genau andersherum sind. ;)
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Re: Filmtagebuch: deBohli
So langsam fällt es auf, dass wir dieselbe Person sind.
Ehrlich gesagt, kann ich es bereits jetzt nicht mehr nachvollziehen, wieso ich dem dritten Teil drei Punkte gegeben habe. Zwei passen auch.
Ehrlich gesagt, kann ich es bereits jetzt nicht mehr nachvollziehen, wieso ich dem dritten Teil drei Punkte gegeben habe. Zwei passen auch.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Unerhört jenisch
DVD / Regie: Karoline Arn, Martina Rieder
Die Dokumentation «Unerhört jenisch» untersucht die Wurzeln der Schweizer Volksmusik, die Herkunft bekannter Namen und die Schattenseiten dieses Themas. Karoline Arn und Martina Rieder lassen Musiker:innen wie Stephan Eicher zu Wort kommen, zeigen Konzertausschnitte und besuchen Menschen mit jenischen Wurzeln.
Musikalisch traf dies selten meinen Nerv, viel schwächer fand ich den Umgang mit den Themen der Vertreibung und des Fremdenhasses, den Leute jenischer Abstammung in der Schweiz lange erleben mussten. Hier schwenkt die Kamera zu schnell wieder Richtung Klang und Komposition, um wirklich lehrhaft zu sein.
Becoming Giulia
Kino / Regie: Laura Kaehr
Der professionellen Balletttänzerin Giulia Tonelli dabei zuzusehen, wie sie nach ihrer Babypause in den beruflichen Alltag am Opernhaus Zürich zurückkehrt, ist packender, als ich es mir vorgestellt habe. Das liegt vor allem an der sympathischen Hauptperson und den Blicken hinter die Kulissen.
Mit der Dokumentation «Becoming Giulia» zeigt Laura Kaehr den Alltagskampf von Frauen zwischen Arbeitswelt und Familienleben in der Schweiz. Ohne dramatisch oder moralisch zu werden, wird eine Möglichkeit der Balance beschrieben, die viele Leute weiterhin nicht wahrhaben wollen.
Under Fire
BD / Regie: Roger Spottiswoode
Bürgerkriege, bewaffnete Konflikte und die Arbeit von Journalist:innen inmitten des Treibens: «Under Fire» ist ein politisch kritischer Film, der reale Gegebenheiten mit fiktionalisierten Figuren mischt.
Die Besetzung mit Nick Nolte, Gene Hackman, Joanna Cassidy und Ed Harris ist gelungen, die Geschichte wirkt stellenweise etwas zu beschönigt oder geradlinig. Trotzdem ist der Film von Roger Spottiswoode ein guter Beitrag zum Thema Lügenpresse und Manipulation der Wahrheit.
The McPherson Tape
BD / Regie: Dean Alioto
Jahre vor «The Blair Witch Projekt» produzierte Dean Alioto für wenig Geld mit seiner Videokamera den Found-Footage-Film «The McPherson Tape». Eine Familie wird bei einer Feier von Aliens bedrängt; viel Geschrei, Dunkelheit und grobkörnige, verwaschene Aufnahmen sind das Resultat.
Viel passiert in dem Film, der mit nur wenigen Schnitten auskommt, nicht und die Spannung wird vor allem durch die Panik und irrationalen Handlungen der Charaktere generiert. Ein interessantes Werk aus dem amerikanischen Untergrund und für Genre-Liebhaber:innen zu empfehlen.
Panic
DVD / Regie: Henry Bromell
William H. Macy ist als depressiv zweifelnder Mann die perfekte Besetzung. Die Rolle als Auftragskiller mit einer Midlife-Crisis wirkt ihm auf den Leib geschneidert, dagegen hält die junge Neve Campbell als Freigeist und quirlige Person.
Diese Spannung macht bereits den grössten Reiz von «Panic» aus, der Film von Henry Bromell ist unspektakulär und in allen Belangen Durchschnittsware. Ohne Aufsehen zu erregen, geschieht die Geschichte, die Verwicklungen und Wendungen wirken formelhaft, die Optik ist gedämpft – das passenderweise.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
The Happiest Man in the World
Kino / Regie: Teona Strugar Mitevska
Die angedeutete Zufriedenheit macht im Film von Teona Strugar Mitevska nach wenigen Szenen einem Unbehagen Platz, nach einer frühen Wendung wird die Geschichte zur intensiven Verarbeitung des Krieges in Jugoslawien.
Beeindruckend ist «The Happiest Man in the World» wegen der Grundthematik und der Herangehensweise, da verzeiht man der Regisseurin, dass nicht alles perfekt aufgeht. Nach dem sehr guten «God Exists, Her Name Is Petrunya» von 2019 ist der Film ein weiterer Beweis für ihr Talent.
Matter Out of Place
Kino / Regie: Nikolaus Geyrhalter
Aus den Augen, aus dem Sinn? Unsere Gesellschaft handelt nach dem Motto und produziert im Alltag so viel Müll, dass wir der Menge nicht mehr Meister werden. Nikolaus Geyrhalter zeigt in seiner neusten Dokumentation «Matter Out of Place», was in Europa, den USA und Asien mit dem Unrat geschieht.
Lange Einstellungen ohne Schnitt, Kommentare oder Informationen; eine sinnliche Betrachtung dieses Missstandes. Im Gegensatz zu «Erde» von 2019 gibt es keine direkten Aussagen der betroffenen Personen, die Faszination ist gross.
Hippie Masala
Stream, PlaySuisse / Regie: Ulrich Grossenbacher, Damaris Lüthi
Aussteigen, weg von den Zwängen der Zivilisation. Ulrich Grossenbacher und Damaris Lüthi haben für «Hippie Masala» Personen besucht, die ihr Leben in Indien neu gestartet haben. Die Absurditäten drücken in den Interviews durch, die eigentlichen Motive bleiben schwammig.
Hauptsache täglich Rauchen, seine Frau in einer kuriosen Mischung aus Berndeutsch, Englisch und Hindi zusammenstauchen und danach wieder von Visionen faseln. Eine gute Dokumentation, die unterhält und die Realität nicht schönt.
Kanał’
BD / Regie: Andrzej Wajda
Die lange Kamerafahrt im ersten Teil von «Kanał’» deutet kurz auf die Heroisierung von Kriegsfilmen an, danach leitet uns Andrzej Wajda immer tiefer in die Hölle voller Tod, Verderben und Scheisse. In diesem Film über die letzten Tage des polnischen Widerstands im zweiten Weltkrieg gibt es kein Ausweg und keine Hoffnung.
Schauspiel, Ausstattung, Technik und Stimmung auf höchstem Niveau, dieser zweite Film aus der Kriegs-Trilogie von Wajda ist nachhaltig beeindruckend.
Baisers volés
BD / Regie: François Truffaut
Eine leichtfüssige Komödie über die Liebe, das Alltagsleben und die Wirrungen in der Arbeitswelt – und alles passt. «Baisers volés» führt die Geschichte von Antoine Doinel auf entzückende Weise fort, François Truffaut balanciert Komik und ernste Momente perfekt aus.
Jean-Pierre Léaud im Zentrum macht seinen Job hervorragend und prallt wie ein Spielball in den Szenen von der Umgebung ab. Eine wahre Freude.
Scanners II: The New Order
DVD / Regie: Christian Duguay
Mit dem Film von David Cronenberg hat «Scanners II: The New Order» ausser der Grundidee nicht viel gemein, die Fortsetzung mit tiefem Budget ist trotzdem nicht ohne Charme. Denn was die Geschichte an Sinnlosigkeit auffährt, macht Christian Duguay mit der Achtzigerjahre-Atmosphäre wieder wett.
Etwas Blut, viel zerknirschte Gesichtsausdrücke in Nahaufnahme und ein Score, der sehr stark an «Blade Runner» von Vangelis erinnert. Unterhält.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Scanners III: The Takeover
DVD / Regie: Christian Duguay
Leider wird trotz dem Untertitel dieser Fortsetzung der Scanner-Krieg nicht im grossen Stil ausgetragen. «Scanners III: The Takeover» behandelt einzelne Figuren in einer Geschichte über Konzerne, Medikamente und Geschwister.
Christian Duguay hatte bei der Inszenierung sicherlich seinen Spass und brachte sogar Martial-Arts-Kämpfe in Thailand unter. Liliana Komorowska ist in der Hauptrolle wunderbar überzogen (ihre Klamotten sind nice!), die blutigen Momenten passen.
Leprechaun 2
DVD / Regie: Rodman Flender
Der Inhalt: Doof. Dialoge und Schauspiel: Lächerlich. Das alles ist aber halb so schlimm, denn das wirkliche Verbrechen von «Leprechaun 2» ist, dass der «Horror»-Film vor allem langweilig ist. Keine Figur ist interessant, die Handlung lächerlich.
Warwick Davis gibt im Kostüm alles, die Reime lassen den Goldtopf rosten, die Kills mit den Schultern zucken.
Popiól i diament (Ashes and Diamonds)
BD / Regie: Andrzej Wajda
Mit dem dritten Film in der Kriegstrilogie untersucht Andrzej Wajda den Zustand von Polen am Tag nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Ein Spiel voller politischem Kräfteziehen, Wahrheiten und komplexen Beziehungen der Figuren. Ohne Position zu beziehen, zeigt «Popiól i diament» die destruktive Mischung aus Hoffnung, Gier und Machtlust.
Zbigniew Cybulski ist in der Hauptrolle passend, die genialen Kameraeinstellungen machen sogar uninteressante Momente zu einem Ereignis. Am Ende bleibt nicht viel ausser Asche, die Diamanten sind ein Wunschtraum.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Der Todesking
BD / Regie: Jörg Buttgereit
Meine erste Begegnung mit dem filmischen Werk von Jörg Buttgereit und zugleich eine grosse Überraschung: «Der Todesking» ist ein ästhetisch ansprechender, vielschichtiger und kunstvoll ausgeführter Film, der sich ohne Tabu dem Thema Suizid widmet.
Nihilistisch, morbid und schonungslos – die sieben gezeigten Wochentage sind voller schwer verdaulicher Momente, genialen Kameraeinstellungen und kreativen Visionen. Low Budget mit viel Können, fernab von stupiden Blutorgien.
Schramm
BD / Regie: Jörg Buttgereit
Weder chronologisch noch klar fassbar: «Schramm» ist der Blick in den Kopf eines Serienmörders, in dessen Wahnvorstellungen und Sehnsüchte. Von Jörg Buttgereit als Mischung aus Experimentalfilm und Schocker inszeniert, reissen die technischen und inhaltlichen Aspekte mit.
Durch die kurz gehaltene Laufzeit und die optischen Ideen wird der Film nie mühsam, die blutigen Momente sind erschreckend.
Ride The High Country
DVD / Regie: Sam Peckinpah
Die alte Garde des Westerns reitet noch einmal; Randolph Scott und Joel McCrea versuchen unter der Regie von Sam Peckinpah ein letztes Mal an Geld zu kommen. Da es bei «Ride The High Country» viele Grauschattierungen gibt, klappt das Unterfangen nicht.
Die gute Geschichte wurde ruhig inszeniert und weisst einige optische Schauwerte auf. Ohne nostalgisch zu werden, funktioniert der Film als wehmütiger Abgesang und Kritik auf das Genre gleichermassen.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Cairo Conspiracy
Kino / Regie: Tarik Saleh
Eine Verschwörung in einer Welt voller Männer, ein Kräfteziehen um die Zukunft Ägyptens. Tarik Salehs Thriller «Cairo Conspiracy» wagt sich hinter die Mauern der Al-Azhar Universität und zeigt den Kampf zwischen politischen und gläubigen Mächten.
Schön gefilmt, gut gespielt und dicht geschrieben macht der Film Spass, für eine nachhaltige Begegnung fehlt aber die stärkere Systemkritik.
Houria
Kino / Regie: Mounia Meddour
Lyna Khoudri ist ein Juwel. Nachdem mich die junge Schauspielerin bereits in «Papicha» (2019, Meddour) begeisterte, betört sie mit ihrem Spiel in «Houria» von neuem. Der zweite Spielfilm von Mounia Meddour will als Drama um die Balletttänzerin aus Algerien viel, tappt regelmässig in die Klischeefalle und muss mit unterentwickelten Elementen in der Geschichte auskommen (Terrorismus, Flucht).
Spätestens aber wenn Khoudri von der Sonne gebadet auf dem Dach tanzt, die Kamera von Léo Lefèvre alles wunderschön einfängt und die Musik von Maxence Dussère und Yasmine Meddour die Bewegungen begleitet, ist man emotional hin und weg. «Houria» berührte mich sehr und ist deswegen ein besserer Film, als er in der Theorie sein sollte.
The Ballad of Cable Hogue
DVD / Regie: Sam Peckinpah
Ein Jahr nach dem gnadenlosen «The Wild Bunch» legte Sam Peckinpah mit «The Ballad of Cable Hogue» seinen zartesten und menschlichsten Western vor. Eine sanfte Geschichte um einen Aussenseiter, der mitten in der Wüste ein neues Leben beginnt und diverse Schicksale berührt.
Die Geschichte ist interessant gestaltet, die Bilder sehr gelungen, die Gewalt wird zurückhaltend eingesetzt. Diesem Film kann man sich entspannt hingeben, auch wenn die zweite Hälfte etwas zäh wirkt.
Krähen
Kino / Regie: Martin Schilt
Ich mag Krähen (oder besser gesagt Rabenvögel) sehr, die Dokumentation von Martin Schilt untersucht die Wechselbeziehung zwischen ihnen und der Menschheit. Schöne Animationen und gelungene Aufnahmen zeigen die Lebensgebiete der Vögel, wie sie mit der menschlichen Zivilisation interagieren und uns beobachten.
«Krähen» beinhaltet viele spannende Aspekte, mischt Forschung mit Geschichte und bringt uns die Tiere näher. Besonders der Off-Kommentar ist allerdings esoterisch aufgeladen bringt die Doku regelmässig zu tief in das Gebiet des Anthropomorphismus.
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Rye Lane
Streaming, Disney+ / Regie: Raine Allen-Miller
Die Farben, die lebendigen Szenerien in den Strassen Londons, die frisch wirkenden Dialoge: Mit «Rye Lane» frischt Debütantin Raine Allen-Miller das RomCom-Genre auf. David Jonsson und Vivian Oparah sind in den Hauptrollen perfekt, inszenatorische Kniffe, wie die Weitergabe von Gegenständen aus den Erinnerungen, sind unterhaltsam. Wunderbar die Kameraarbeit von Olan Collardy.
A Girl Walks Home Alone At Night
DVD / Regie: Ana Lily Amirpour
Vampirgeschichten gibt es (zu) viele, Ana Lily Amirpour hat in ihrem Debüt die Nacht wieder fesselnd gemacht. Schwarzweisse Aufnahmen, stilvolle Details und die wunderbare Sheila Vand in der Hauptrolle (zuletzt bei «Land of Dreams», 2021 von Shirin Neshat, Shoja Azari) – das passt.
Der Film funktioniert nicht nur als schräge Liebesgeschichte, sondern als Sozialdrama und Kritik an der patriarchalen Gesellschaftsordnung im Iran.
Celia
BD / Regie: Ann Turner
Nach dem zähen Beginn wurde ich von «Celia» emotional so stark mitgerissen, dass ich Figuren und die männlichen Teile der Gesellschaft lauthals verfluchte. Der Film von Ann Turner (ihr erster) ist ein märchenhafter, harscher und ehrlicher Blick auf das Leben eines Mädchens.
Rebecca Smart ist als Celia fantastisch, die Geschichte verdichtet sich zum unausweichlichen und brutalen Ende. Dieser Blick auf die Fünfzigerjahre in Australien ist in keiner Weise geschönt.
Tori et Lokita
Streaming, Filmingo / Regie: Luc Dardenne, Jean-Pierre Dardenne
Eine Viertelstunde vor dem Ende von «Tori et Lokita» überlegte ich, die letzten Szenen nicht mehr zu schauen. Dass der Film von Luc Dardenne, Jean-Pierre Dardenne nicht gut ausgehen würde, war klar. Den brutalen Schluss, den die Regisseure zeigen, hätte ich aber niemals erraten.
Der dicht inszenierte und realistisch wirkende Spielfilm ist wie ein Schlag ins Gesicht, ein lauter Ausruf gegen verachtenden Handlungen Europas gegenüber Flüchtlingen. Wichtig und schmerzhaft.
Re: Filmtagebuch: deBohli
AGWHAAN mag ich von allen bisherigen Amirpours (die ich alle auf ihre Art interessant finde) auch immer noch am liebsten. Gerade kürzlich erst "Mona Lisa and the Blood Moon" gesehen, unheimlich viele Parallelen, immer noch sehr entdeckenswert, aber leider nicht mehr ganz mit derselben Wirkung wie ihr Debüt.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Von Amirpour sah ich bisher noch "The Bad Batch", den fand ich allerdings inhaltlich sehr dünn und trashig. Auf "Mona Lisa and the Blood Moon" freue ich mich.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Chaylla
Kino / Regie: Paul Pirritano, Clara Teper
Die Kamera bleibt immer nahe am Gesicht von Chaylla, zeigt jede Regung in der Mimik und lässt uns ihre Probleme und Empfindungen direkt spüren. Das macht aus dem eher unschön gedrehten und montierten Dokumentarfilm eine ergreifende Erfahrung und zeigt viele Aspekte von Fällen häuslicher Gewalt.
Paul Pirritano und Clara Teper durften bei «Chaylla» die Hauptperson während mehreren Jahren begleiten und zeigen ihren Lebens- und Leidensweg auf, zugleich ihre Stärke und ihren Willen, im patriarchalen System als Frau und Mutter zu bestehen.
Fly So Far
Kino / Regie: Celina Escher
In El Salvador werden Frauen bei Verdacht auf Abtreibung oder Tötungsdelikt am Säugling Jahrzehnte lang ins Gefängnis gesteckt. Ohne Beweislage, als ultimatives Mittel zur Abschreckung und Fügung. Die Frau wird so nach Beginn der Schwangerschaft von der Gesellschaft und Regierung zum Brutkasten ohne Rechte umgewandelt.
Diese brutale Realität zeigt Celina Escher in ihrem Dokumentarfilm «Fly So Far», der unter die Haut geht und die Missstände im Land am Beispiel von Teodora Vásquez aufzeigt. Ein gut gemachter und gelungen gedrehter Film, der wütend macht und zu Handlungen inspiriert.
The Trial
DVD / Regie: Orson Welles
Die Schatten sind lang und hart, die Räumlichkeiten entweder einengend oder atemberaubend gross. Mit dem Setdesign und der Kameraarbeit brachte Orson Welles in seine Kafka-Verfilmung «The Trial» eine gehörige Portion Expressionismus mit ein, verbunden mit den Gesetzen eines Albtraumes.
Gemeinsam mit Anthony Perkins stolpert man durch Szenen und Begegnungen, ist überrascht, verwirrt und überfordert. Jeanne Moreau und Romy Schneider bieten scheinbare Sicherheiten, das brachiale Ende folgt alsbald.
Arrebato
BD / Regie: Ivan Zulueta
Welche Macht hat der Film, das Kino? Ist es so stark oder sogar intensiver als Heroin? Macht es abhängig und treibt Menschen in den Wahnsinn? Im fiebrigen Film «Arrebato» von Ivan Zulueta werden alle diese Fragen behandelt, konkrete Antworten gibt es hingegen keine.
Experimentell, direkt und schmutzig wirkt die Präsentation, die verschachtelte Erzählung lässt den Horror der Eventualitäten stärker wirken. Ende der Siebzigerjahre in Spanien gedreht, ist «Arrebato» Untergrund, Antihaltung und überraschende Konfrontation.
VFW
DVD / Regie: Joe Begos
Neonfarbene Beleuchtung, zähneknirschend ausgespuckte Dialogzeilen und alte Haudegen, die sich noch einmal zur Wehr setzen: Style Over Substance bei Joe Begos, «VFW» versagt als Film aber an diversen Orten. Was bei «Bliss» (2019) mit Blut und Rock’n’Roll Spass machte, ödet hier an.
Das liegt daran, dass alles erzwungen cool wirkt, der Regisseur die Geometrie des Raumes missachtet und die zeitlichen Gesetze über den Haufen wirft. Unruhige Kameraführung, merkwürdige Schnitte und selten überzeugendes Schauspiel generierten bei mir vor allem Langeweile und kein Adrenalin.
Dark Star
DVD / Regie: John Carpenter
Wenn ein Studentenfilm zu einem vollwertigen Science-Fiction-Werk heranwächst, das man Jahrzehnte später weiterhin schaut und auf Disc auswertet, dann wurde einiges richtig gemacht. John Carpenter bewies mit «Dark Star» viel Kreativität und Erfindergeist, und einige Schwächen.
Die Elemente der Geschichte sind ausgefallen und spassig, deren Ausführung durchschnittlich. Der Film wirkt zäh, gewisse Effekte (etwa das Alien) sind lachhaft, das Schauspiel sehr schlecht. So bleibt die Produktion als Zeitzeugnis für Carpenters Karriere wichtig und interessant, als wirklich guten Film aber nicht.
F
DVD / Regie: Johannes Roberts
In der High-School gehen Verbrecher um, die ihre Gesichter nie zeigen und alle Menschen im Gebäude bestialisch ermorden. Und dann endet «F», ohne Auflösung oder Versöhnung. Das macht aus dem Slasher von Johannes Roberts ein intensiv wirkender Film, der dem Bösen keine Erklärung bietet.
Die Kombination der Elemente wirkt neu, der Rest ist Horrorfilm-typisch aufgegleist. Knappe Laufzeit, stereotypische Charaktere und etwas nackte Haut nebst blutigen Momenten – aber es funktioniert. Ob der Film als Kritik am britischen Schulsystem gelesen werden soll, wage ich zu bezweifeln.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Suzume
Kino / Regie: Makoto Shinkai
Mit seinen Filmen hat sich Makoto Shinkai zu Recht die Position an der Spitze der aktuellen Anime-Kunst erarbeitet. «Suzume» ist erneut optisch brillant, emotional treffend und vor Ideen sprühend. Besonders im ersten Drittel passen Bilder, Musik und Geschehnisse perfekt zusammen – wie etwa der Moment, in dem der Wurm zum ersten Mal auftaucht.
Wie aber bei «Weathering with You» (2019) kann Shinkai diese Qualität nicht bis zum Ende halten und nicht alle Elemente und Entscheidungen in der Geschichte wirken genügend ausgearbeitet. Besonders der Schluss ist zu zäh.
John Wick: Chapter 4
Kino / Regie: Chad Stahelski
Hätte Rina Sawayama eine grössere Rolle, der Film würde von mir ohne Probleme die Höchstwertung erhalten. Sie ist als Akira die beste Figur in «John Wick: Chapter 4», hat das beste Outfit und ist cooler als Donnie Yen, Bill Skarsgård oder sogar Keanu Reeves. Also: Jetzt alle bitte «This Hell» anhören und mittanzen.
Chad Stahelski macht auch sonst vieles richtig und liefert mit dem längsten Kapitel in der Reihe einen Koloss ab, der vor Action, Ideen und tollen Settings nur so strotzt. Einiges ist unrund, etwa die Fähigkeiten von Caine, das letzte Drittel, das sich sehr zieht und Wick zu einem unsterblichen Superhelden mutieren lässt, und das Finale vor den schlechten CGI-Kulissen. Doch der Spass überwiegt, die Kills sind brutal, die Beleuchtung umwerfend und die Kameraarbeit sehr gelungen (Trackingshot im Pariser Gebäude). Nicht zu vergessen der Score (inkl. Song von Justice), der im Kino wunderbar laut war.
- deBohli
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Re: Filmtagebuch: deBohli
Kalifornia
DVD / Regie: Dominic Sena
Brad Pitt versucht als verrückter, mordlustiger Redneck zu überzeugen, David Duchovny hält mit stoischer Naivität dagegen. Leider entsteht dadurch nicht die gewünschte Spannung, «Kalifornia» steckt zu tief in der Oberflächlichkeit der Neunzigerjahre.
Der Film von Dominic Sena macht dank den guten Bildern, den Songs und dem Spiel von Juliette Lewis und Michelle Forbes trotzdem Laune. Sinn und Logik gibt es aber nicht in grosser Menge.
I Hired a Contract Killer
Stream, Filmingo / Regie: Aki Kaurismäki
Das Leben der Arbeiterklasse, die Isolation der Einzelperson: Der Ausweg bei «I Hired a Contract Killer» scheint der beauftragte Mord zu sein, nachdem Suizid nicht funktionieren wollte. Eine tragische Grundlage, die bei Aki Kaurismäki mit viel schwarzem Humor und satirischen Seitenhieben fast zu gut unterhält.
Ein kleiner Film, der mit passender Ausstattung und dezentem Farbschema aufwartet, die Gesellschaft kritisch betrachtet und herrlich komische Momente bietet.
La donna della domenica
BD / Regie: Luigi Comencini
Ein Mord in der Oberschicht, viel Missgunst und Hass; noch mehr Motive für die verübte Gewalttat. «La donna della domenica» ist eine gelungene Mischung aus Thriller, Kriminalfilm und beissender Komödie, die sich an den Eigenheiten der Wohlhabenden in Turin labt.
Von Luigi Comencini geschickt inszeniert und mit tollen Schauspieler:innen besetzt, macht das Ratespiel bis zum Schluss Freude und serviert nebst der Musik von Ennio Morricone einige auf den Punkt gebrachte Dialoge.
Restless Natives
BD / Regie: Michael Hoffman
Viel Herz hat «Restless Natives» auf jeden Fall, auch wenn gewisse Dinge und Momente im Film von Michael Hoffman zu naiv oder unsicher daherkommen. Die Geschichte um zwei junge Typen, die in Schottland nach Sinn, Status und Geld suchen, erinnert an amerikanische Teenager-Komödien aus der Zeit, wird aber nie plump.
Verliebte Gefühle, Abenteuerdrang und überzeichnete Charaktere umtanzen sich in der Geschichte, die Aussenseiter werden zu den heimlichen Helden. Begleitet von der Musik von Big Country wird die Sehnsucht geweckt.
Hunted
BD / Regie: Peter Crane
Mit der ersten Produktion der kurzlebigen Indie-Firma The Penini Organization wurden diverse Gewohnheiten im englischen Film über den Haufen geworfen. «Hunted» von Peter Crane ist ein Kammerstück über familiäres Trauma, Mordlust und die Frage, was Töten bedeutet.
Konfrontativ, aufreibend und doch nicht immer genügend tief – dafür überzeugen die beiden Schauspieler:innen und die kurze Laufzeit bietet Raum für anschliessende Diskussionen.
- deBohli
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Letzte Einträge vor dem Brugggore Filmfestival:
Foudre
Kino / Regie: Carmen Jaquier
Mit ihrem Debütfilm ist Carmen Jaquier ein echter Kunstgriff gelungen. Ohne, dass «Foudre» viel erzählen oder neue, wichtige Erkenntnisse liefern würde, ist die Geschichte um das sexuelle Erwachen einer jungen Frau in der Bergregion ein betörendes, stellenweise berauschendes Erlebnis.
Der Film funktioniert auf der emotionalen Ebene, wirkt stellenweise ätherisch und liess mich Aspekte wie Geschichte und Stringenz vergessen. Die grossartige Kameraarbeit von Marine Atlan (welch selten gesehene Linsen) und die famose Musik von Nicolas Rabaeus (die Synthesizer, die Gesänge) machten den Film, nebst dem Spiel von Lilith Grasmung in der Hauptrolle, zu einer beeindruckenden Reise.
Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives
DVD / Regie: Apichatpong Weerasethakul
Obwohl wir die Zeit fliessend und fortschreitend wahrnehmen, besteht die Möglichkeit, dass wir alle unsere Leben und Varianten zugleich sein. Apichatpong Weerasethakul untersucht diese Gedanken in dem langsamen und meditativ schönen Film «Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives».
Einzelne Szenen werden zu Sinfonien, minimalistischen Dialoge zu einer neuen Weltanschauung. Die Geister vergangener Zeiten gesellen sich zu uns, die möglichen Visionen der Zukunft werden greifbar. Eine Erzählung, die viele Überlegungen zum eigenen Dasein anregt und lange wirkt.
Cabra Marcado Para Morrer
BD / Regie: Eduardo Coutinho
Dokumentarfilme, in denen die Macher:innen ihren ursprünglichen Plan wegen unvorhergesehenen Ereignissen neu andenken müssen, sind oftmals die besten. So auch «Cabra Marcado Para Morrer» von Eduardo Coutinho. Der Film aus den Achtzigerjahren ist ein grossartiges Beispiel für eine Produktion mit Meta-Aspekten, mehreren Schichten und kritischer Reflektion.
Zusätzlich bietet der Film wichtige Einblicke in die Zeit der Diktatur in Brasilen und stellt Fragen, was lebenswerte Aspekte eines Lebens sind und wofür es sich zu kämpfen lohnt.
The Bullet Train
BD / Regie: Jun’ya Satô
Vor «Speed» war «The Bullet Train», ein langer und rasanter Actionfilm aus Japan, gedreht in den Siebzigerjahren. Ein Shinkansen, dessen Geschwindigkeit niemals unter 80 mph fallen darf, ein terroristischer Plot, der während 150 Minuten diverse Verwicklungen durchmachen darf.
Der Film von Jun’ya Satô besticht durch gute Figuren, packende Momente und dem tollen Setting. Viele Szenen ausserhalb des Zuges verhindern Einengung, das düstere Ende ist nachdenklich.
The Intruder
DVD / Regie: Roger Corman
William Shatner spielte für Roger Corman einen rassistischen Aufwiegler, der in einem Kaff in den Südstaaten der USA in den Sechzigerjahren für Gewaltausbrüche sorgt. Und siehe da, «The Intruder» ist ein wirklich guter Film, der alles aus seinem moderaten Budget, seinem Setting und der Ausstattung holt.
Es finden sich zwar Overacting und klischierte Momente in den 80 Minuten, der Inhalt und die Aussagen haben leider bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren.
Dick Johnson Is Dead
BD / Regie: Kirsten Johnson
Kirsten Johnson wird in wenigen Jahren ihren Vater verlieren, doch wie soll man als Tochter einer solchen Veränderung begegnen? «Dick Johnson Is Dead» bietet als Dokumentarfilm die Möglichkeit, das Ableben und die Beerdigung bereits gemeinsam zu durchleben.
Auf sehr geschickte Weise vermengt der Film die Realität (Interviews und Erinnerungen) mit der Fantasie (inszenierte Todesfälle, überzeichnete Szenarien in schillernden Farben). Das lässt den eigenen Umgang mit dem Tod hinterfragen und spendet Hoffnung. Ein ungewöhnlicher, emotionaler und schöner Film.
Foudre
Kino / Regie: Carmen Jaquier
Mit ihrem Debütfilm ist Carmen Jaquier ein echter Kunstgriff gelungen. Ohne, dass «Foudre» viel erzählen oder neue, wichtige Erkenntnisse liefern würde, ist die Geschichte um das sexuelle Erwachen einer jungen Frau in der Bergregion ein betörendes, stellenweise berauschendes Erlebnis.
Der Film funktioniert auf der emotionalen Ebene, wirkt stellenweise ätherisch und liess mich Aspekte wie Geschichte und Stringenz vergessen. Die grossartige Kameraarbeit von Marine Atlan (welch selten gesehene Linsen) und die famose Musik von Nicolas Rabaeus (die Synthesizer, die Gesänge) machten den Film, nebst dem Spiel von Lilith Grasmung in der Hauptrolle, zu einer beeindruckenden Reise.
Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives
DVD / Regie: Apichatpong Weerasethakul
Obwohl wir die Zeit fliessend und fortschreitend wahrnehmen, besteht die Möglichkeit, dass wir alle unsere Leben und Varianten zugleich sein. Apichatpong Weerasethakul untersucht diese Gedanken in dem langsamen und meditativ schönen Film «Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives».
Einzelne Szenen werden zu Sinfonien, minimalistischen Dialoge zu einer neuen Weltanschauung. Die Geister vergangener Zeiten gesellen sich zu uns, die möglichen Visionen der Zukunft werden greifbar. Eine Erzählung, die viele Überlegungen zum eigenen Dasein anregt und lange wirkt.
Cabra Marcado Para Morrer
BD / Regie: Eduardo Coutinho
Dokumentarfilme, in denen die Macher:innen ihren ursprünglichen Plan wegen unvorhergesehenen Ereignissen neu andenken müssen, sind oftmals die besten. So auch «Cabra Marcado Para Morrer» von Eduardo Coutinho. Der Film aus den Achtzigerjahren ist ein grossartiges Beispiel für eine Produktion mit Meta-Aspekten, mehreren Schichten und kritischer Reflektion.
Zusätzlich bietet der Film wichtige Einblicke in die Zeit der Diktatur in Brasilen und stellt Fragen, was lebenswerte Aspekte eines Lebens sind und wofür es sich zu kämpfen lohnt.
The Bullet Train
BD / Regie: Jun’ya Satô
Vor «Speed» war «The Bullet Train», ein langer und rasanter Actionfilm aus Japan, gedreht in den Siebzigerjahren. Ein Shinkansen, dessen Geschwindigkeit niemals unter 80 mph fallen darf, ein terroristischer Plot, der während 150 Minuten diverse Verwicklungen durchmachen darf.
Der Film von Jun’ya Satô besticht durch gute Figuren, packende Momente und dem tollen Setting. Viele Szenen ausserhalb des Zuges verhindern Einengung, das düstere Ende ist nachdenklich.
The Intruder
DVD / Regie: Roger Corman
William Shatner spielte für Roger Corman einen rassistischen Aufwiegler, der in einem Kaff in den Südstaaten der USA in den Sechzigerjahren für Gewaltausbrüche sorgt. Und siehe da, «The Intruder» ist ein wirklich guter Film, der alles aus seinem moderaten Budget, seinem Setting und der Ausstattung holt.
Es finden sich zwar Overacting und klischierte Momente in den 80 Minuten, der Inhalt und die Aussagen haben leider bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren.
Dick Johnson Is Dead
BD / Regie: Kirsten Johnson
Kirsten Johnson wird in wenigen Jahren ihren Vater verlieren, doch wie soll man als Tochter einer solchen Veränderung begegnen? «Dick Johnson Is Dead» bietet als Dokumentarfilm die Möglichkeit, das Ableben und die Beerdigung bereits gemeinsam zu durchleben.
Auf sehr geschickte Weise vermengt der Film die Realität (Interviews und Erinnerungen) mit der Fantasie (inszenierte Todesfälle, überzeichnete Szenarien in schillernden Farben). Das lässt den eigenen Umgang mit dem Tod hinterfragen und spendet Hoffnung. Ein ungewöhnlicher, emotionaler und schöner Film.
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