Filmtagebuch: Vince

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Beitrag von Vince » 27.02.2017, 06:02

Spielfreudig ist er, keine Frage. Ich sehe das Problem auch eher in der recht biederen Regie als bei den Darstellern.

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Beitrag von Vince » 27.02.2017, 09:34

Everest
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Die Gürtelschnalle droht sich zu lösen. Ein Blick in den Abgrund, ein plötzlicher Ruck – im letzten Moment greift eine Hand nach unten und bekommt den Handschuh zu fassen. Doch der beginnt langsam, sich zu lösen. Das Ende scheint unausweichlich...

Szenarien wie diese kennt man aus Bergsteiger-Thrillern der Marke „Cliffhanger“ zuhauf und irgendwo erwartet man sie fortan in jeder weiteren Produktion dieser Gattung anzutreffen, doch Baltasar Kormákur, der schon seine handelsüblichen Straßen-Thriller eher spröde anlegte, umschifft jedes Pathos wohlweislich und lässt eher unspektakulär sterben. Es sind keine tiefen Abhänge, schwarzen Schluchten und spitzen Bergkanten, die zu rot glühenden Todesfallen stilisiert werden, sondern die reine Atmosphäre,die in Verbindung mit menschlicher Selbstüberschätzung den Tod im trockenen Stil bringt.

Insofern ist „Everest“ zwar ein bildgewaltiger, visuell streckenweise spektakulärer Film, der Hochgefühle wie Demut gleichermaßen auszulösen weiß und einen hohen Immersionsgrad erzeugt; spannend hingegen ist er nicht. Dialoge mit situativ bedingtem Inhalt und Ablauf stehen im Zentrum und erzeugen in der Kommunikation mit der Heimat leider auch so manches Klischee um bangende Ehefrauen, wie es eher vom Kriegsfilm bekannt ist. Auf dem Schlachtfeld hingegen scheint jedes Pathos von der kalten Umgebung eingefroren zu werden.

Die dadurch erzeugte Neutralität übt eine durchaus balsamierende Wirkung aus (insbesondere, wenn man der theatralischen Blockbuster-Gestik überdrüssig geworden ist), verhindert jedoch auch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Motiven der Bergsteiger für ihr Handeln. Eine spontane Diskussionsrunde am Tisch im Zeltlager kann nicht aufwiegen, was während des Auf- oder Abstiegs deutlicher hätte herausgearbeitet werden können. Erfolglos kämpft auch das Casting mit einem namhaften Aufgebot gegen die Anonymität der dicken Mäntel, Brillen, Bärte und Ausrüstungen an.

Als Mahnmal funktioniert „Everest“ dennoch einwandfrei; gerade in Bezug auf diesen höchsten Berg der Erde, dessen Größe sich der Mensch dank heutiger technischer Möglichkeiten zu Unrecht ebenbürtig fühlt.
:liquid6:

Imperium
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Schon verrückt, dass Daniel Radcliffe als nerdiger Jungagent in den ersten Minuten keinen Fuß auf den Boden bekommt und dann im Undercover-Einsatz als intelligenter Nazi-Aktivist sämtliche Regler aufdreht und die wohl beste Leistung seiner bisherigen Karriere abliefert. Ihm ist zu verdanken, dass „Imperium“ in seinen allerbesten Momenten sogar an die wachrüttelnde Wirkung von „American History X“ heranreicht, auch wenn Drehbuch und andere Disziplinen langfristig keine höheren Weihen ernten können.

Immerhin, der Blick auf die Organisationsstrukturen der White-Supremacy-Gruppierungen ist entlarvend und bietet einen Einblick in die verqueren Ansichten ihrer Vertreter, die der Film zwar in der breiten Masse als dumm darstellt, jedoch nicht grundsätzlich als Ideologie der Dummen verkauft; immerhin besteht ihre Führung aus Geschäftstüchtigen und Intellektuellen, im Film angemessen glatt dargestellt von Schauspielern wie Sam Trammell und Tracy Letts. Herausgearbeitet wird vielmehr das ungenutzte Potenzial der Zellen, was dem Zuschauer als deutliche Warnung vor Augen geführt wird: Was, wenn sich weitere kluge Köpfe für die Bewegung gewinnen ließen? Erschreckend ist die Gewaltbereitschaft ohnehin bereits, doch noch viel erschreckender die Möglichkeiten, den Einfluss zur vergrößern...

Abstriche sind vor allem in der fehlenden Gesamtabdeckung der Szene zu machen. „Imperium“ bewegt sich ausschließlich innerhalb der abgesteckten Grenzen einer vorgeplanten Undercover-Mission und kann darüber keine flächendeckende Geltung erreichen, zumal die Ereignisse unter künstlichen Voraussetzungen geschehen und einen Ausnahmefall behandeln. Ein echter Vergleich zu Tony Kayes Referenzwerk verbietet sich also, dennoch bleibt ein Anklang seiner Klasse zurück.
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Die Insel der besonderen Kinder
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Wie ein verirrten Lumen in einer ausgebleichten Birne dreht Burtons Magie immer noch seine konfusen Bahnen. Ganz abgestorben ist sie noch nicht; das wird klar, wenn sich bizarre Puppenkreaturen auf einem Tisch einen liebevoll getricksten Stop-Motion-Kampf liefern und sich blutbeschmierte Mini-Herzen aus ihren kleinen Metall- und Stoffkörpern reißen.

Doch das einstmals unverwechselbare Burton-Flair wurde längst von einer generischen Begeisterung für das Skurril-Märchenhafte überspült, dessen sich auch Burton selbst inzwischen angeschlossen hat. Ein Film mit einem langen, verschwurbelten Titel, der etwas Besonderes einfangen soll, letztlich aber im Terry-Pratchett- und Harry-Potter-Konsens versinkt; ein Film basierend auf einer Romanvorlage vor allem, der damit droht, mindestens zur Trilogie ausgeweitet zu werden und dadurch den Glanz des Augenblicks zu verlieren. Eine im poetischen Realismus verankerte Idylle (hier eine malerische Insel in Wales) nicht zuletzt, die mit phantastischen Jahrmarktskreaturen und allerhand Spezialkräften zum Wunderland mutiert, das mit teuren Spezialeffekten für eine unbestimmte Masse attraktiv gemacht wird.

Ein Film wie dieser mag seelenlose Fortsetzungen wie „Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“ immer noch problemlos in die Schranken verweisen, zu einem originalen Burton jedoch fehlen spürbar die Pop-Up-Effekte aus dem Konsens heraus, die uns ins Gesicht springen, irritieren und begeistern. Über der Insel und ihren seltsamen Bewohnern, Monstern, Wurmlöchern und Zeitebenen liegt ein Schleier, den zu durchstoßen uns nicht gestattet ist. Selbst die absonderlichsten Kreaturen folgen einer unleugbaren Logik (Augenräuber, die selbst keine besitzen), wahrhaft verstörende Momente und morbide Abgründe sind somit ausgeschlossen, obgleich gerade ihnen die Aufmerksamkeit gebührt.

Kann man „Die Insel der besonderen Kinder“ guten Gewissens weiterempfehlen? Ja, es ist ein schöner Fantasyfilm mit wunderschöner Kulisse. In Bezug auf das Besondere jedoch bricht er seine Versprechen.
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Das Königreich der Katzen
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Die Ghibli-Produktion des Trickzeichners und Regisseurs Hiroyuki Morita zeigt sich vom Wesen der Katze tief beeindruckt und zimmert ihr ein stattliches Monument. Anthropomorphismen wie die Fähigkeit des Sprechens oder des aufrechten Ganges scheinen die tierischen Eigenarten der Katze zwar zu verdrängen, eigentlich wird dieses Mittel aber bloß als Brücke in den Surrealismus genutzt, dem der Animationsfilm tief verbunden ist, obwohl er bewusst einen Ankerplatz im lärmenden Großstadtrealismus aus dem Blickwinkel einer Jugendlichen auswählt.

Es sind dann auch Charaktereigenschaften der Katze, die in den Kaninchenbau führen: Seltsame, schwer zugängliche Schleichwege über Dächer und Terrassen, Miniaturstädte, nächtliche Prozessionen unter Ausschluss menschlicher Aufmerksamkeit, und das, wo einige Exemplare der Vierbeiner am Tage auch mal mitten in der Stadt auf dem Stuhl eines Cafés ihren Mittagsschlaf halten.

Der Fantasie sind bei der Transformation maunzender Pelzknäuel in kultivierte Adelsmitglieder inhaltlich wie optisch keine Grenzen gesetzt: Wenn auch „Alice im Wunderland“ zur lebensnotwendigen Stütze erhoben wird, so führt der Aufenthalt im Königreich der Katzen allerhand Eigenarten mit sich, deren Faszination in den fließenden Übergängen verborgen liegt, mit denen die Wirklichkeit gedehnt wird und einen neuen Mikrokosmos zum Vorschein bringt, der mitten in dem unseren liegt.
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Train To Busan
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Würde „Train To Busan“ wie so viele andere südkoreanische Filme in den hintersten Filmregalen zum Sterben zurückgelassen werden, müsste man ihn aufgrund seiner unbestreitbaren Qualitäten vor dem Vergessenwerden schützen. Da er nun aber sogar als der große Revitalizer des Zombiefilms gehandelt wird, gilt es vielmehr zu erden, denn das ginge wiederum ein wenig zu weit...

Unbestreitbar sicherlich die technischen Vorzüge. Der begrenzte Raum eines Hochgeschwindigkeitszuges wird vom Drehbuch effizient genutzt und verkettet Situationen, die stets wie Sackgassen erscheinen, zu einer Abfolge raffiniert arrangierter Kausalitäten. Kamera und Schnitt suggerieren hohes Tempo, erzeugen adrenalinhaltige Spannungsspitzen und lassen Sets und Make-Up vor allem aufwändiger erscheinen als es tatsächlich vielleicht der Fall ist. Wenig Blut ist nötig, um die Angriffe der Infizierten bedrohlich erscheinen zu lassen; in den Wettbewerb um den brutalsten Genrebeitrag steigt Yeon Sang-ho wohlweislich nicht ein, denn zu diesem Zeitpunkt wäre es eine Teilnahme ohne Aussicht auf Gewinn.

Unter Berücksichtigung des nicht minder rasant inszenierten „Snowpiercer“ von Bong Joon-ho löst sich der Originalitätsfaktor des Settings jedoch schnell in Wohlgefallen auf. In diesem Zusammenhang stört auch das fehlende Bekenntnis zum Comichaften. Wo das gezeichnete Cover-Artwork in Panels spricht, vergisst der Film, seine Charaktere ebenso wie die Setpieces mit entsprechenden Eigenarten auszustatten. Zwar versucht das Skript durchgehend, die Kapitalismus- und Ellbogengesellschaft mit Seitenhieben zu strafen, etwaige Versuche geraten aber aufgrund der wenig expressiven Darstellung etwas zu halbherzig. Einzig bei der konsequenten Fortbewegung der Infizierten wagt man sich an eine irreale Bildsprache, erzeugt damit aber eher ungewünschte Assoziationen zum missratenen A-Zombieschocker „World War Z“.

Trotz großzügig geschaffener Hintergründe gelingt es vor allem nicht, dem Zuschauer auch nur einen der vielen Charaktere nahe zu bringen, was vor allem bei der Vater-Tochter-Hauptbesetzung fast schon ein kleines Kunststück ist. Wer einmal die erste Staffel des Adventure-Videospiels „The Walking Dead“ gespielt hat (das übrigens ebenfalls eine Episode um einen Zug beinhaltet), bekommt eine Vorstellung davon, was man idealerweise aus einer solchen Konstellation herausholen könnte.

Ungeachtet dieser Mängel ist „Train To Busan“ ein geschickt mit dem gewählten Szenario jonglierender Horrorthriller, der sich internationale Aufmerksamkeit durchaus verdient hat. Derweil mutiert das Zombie-Genre wegen Beiträgen wie diesen langsam zu einem Äquivalent des Westernfilms, insofern allerhand Settings für eine zukünftige Postapokalypse durchkonjugiert werden, wie der Western sie zur Aufarbeitung der Geschichte vordeklinierte.
:liquid6:

Weitere Sichtungen:
Die Rache der Zombies

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Beitrag von kami » 27.02.2017, 11:11

Vince hat geschrieben:Derweil mutiert das Zombie-Genre wegen Beiträgen wie diesen langsam zu einem Äquivalent des Westernfilms, insofern allerhand Settings für eine zukünftige Postapokalypse durchkonjugiert werden, wie der Western sie zur Aufarbeitung der Geschichte vordeklinierte.
Überstrapazierst du da nicht die Grammatikmetaphorik ein wenig? :lol:

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Beitrag von Vince » 27.02.2017, 12:29

:P Nee das war schon Absicht: Die Deklination gehört dem Substantiv, also quasi dem Stamm, den der Western als gegebenes Referenzgenre repräsentiert, die Konjugation dem Verb, also der (Nach-)Handlung, die vom Zombiefilm nach Muster des Westerns ausgeführt wird. :jaleckmichdoch: :wink:

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Beitrag von LivingDead » 27.02.2017, 12:48

:yeah: :lol:
Mit freundlichem Gruß
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Beitrag von Vince » 24.03.2017, 08:36

Die Teuflischen von Mykonos
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Glaubt man der Darstellung des stets mit einem Augenzwinkern die eigene Arbeit resümierenden Regisseurs, so drehte er 1976 auf Mykonos aus der Not geboren einen Amateurfilm, der hauptsächlich Geld bringen und aus adoleszentem Eifer heraus die Grenzen darstellbarer Perversionen ausloten sollte. Und tatsächlich kramt die Regie in der griechischen Mittagssonne allerhand scharfe Kontraste hervor, in unzusammenhängenden Episoden aufgereiht und verknüpft nur durch die bigotten Maßstäbe, mit denen das Honeymoon-Killerpärchen die Insel aufräumt. Eine psychologische Analyse bleibt ebenso in Andeutungen stecken wie ein moralisches Statement oder eine Verurteilung; es ist vielleicht gerade die emotionale Teilnahmslosigkeit des Regisseurs, mit denen die von ihm drapierten Härten zwischen mediterranen Steinhäusern mit weißem Anstrich so selbstzweckhaft wirken.

Doch ein hoch geschätzter Nebeneffekt des Mediums Film ist es ja, dass er oft von der Intention seiner Macher befreit ein Eigenleben entwickelt. Diesem Exemplar gerät vor allem das einer typischen Horror-Atmosphäre zuwiderlaufende Mittelmeer-Setting zum Vorteil. Weil Mastorakis es wenigstens versteht, die Landschaft impressionistisch einzufangen, entwickelt seine Arbeit bald einen Sog, der sich selbst zum Atmen genügt. Ein zusätzliches Einlenken der Filmemacher scheint bald nicht mehr nötig, vielleicht sogar kontraproduktiv; wo Männer mit Messern gejagt, mit Farbe abgefüllt oder mit eine Schlinge an ein startendes Flugzeug gebunden werden oder Frauen gedemütigt, geschändet und als trockene Pointe mit einem Bagger enthauptet werden, haben die Erschaffer genug Ideen walten lassen. Hier liegen kommentarlos eingeworfene, ungeschliffene Abschlüsse ihres jeweiligen Aktes vor, die dem Gorebauern als stumpfes Highlight und der Interpretation als Ansatz dienen auf einem Feld, das praktisch größtmögliche Freiheit erlaubt, weil kaum Vorgaben gemacht werden. Gerade in Bezug auf angedeutete Themen wie Homosexualität und Individualität eine mehr als nur wünschenswerte Ausgangsposition.
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Die Unfassbaren 2
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Um als Fortsetzung dem Versprechen zu genügen, das Unfassbare noch zu toppen, wagt sich das zweite Abenteuer des schillernden Trickkünstler-Ensembles auf eine Special-Effects-Ebene, die auch mal die Gesetze der Realität aushebelt. Die vormals demonstrierte Zwanglosigkeit und die Leichtigkeit werden mit diesem Steigerungsversuch jedoch aufs Spiel gesetzt, denn wer interessiert sich in der Welt des phantastischen Films noch für das „wie“ in der Umsetzung?

Die „Reiter“ beginnen derweil, mit ihrer dank Doppelbödigkeit stets bewahrten Souveränität zu langweilen. Die zum Drehzeitpunkt schwangere Isla Fisher wurde verlustfrei gegen Lizzy Caplan ausgetauscht, Woody Harrelson gar verdoppelt, der Rest steigert sich weiter in seine kleinen selbstzweckhaften Ablenkungen hinein und beginnt als Kollektiv die Wirkung einer Mutanten-Ausgabe der „Ocean's Eleven“ zu verströmen, insbesondere bei einer hoffnungslos affektieren Kartenversteckspielorgie in einer Tresoranlage.

Das sympathisch finden zu wollen, fällt ziemlich schwer; lieber möchte man jedem dieser Zauberer eins auf die Nase gehen und das befreiende Gefühl genießen, wenn all die Taschentücher und Kaninchen endlich aus dem Ärmel purzeln und die traurige Wahrheit preisgeben.

Das in dieser Hinsicht völlig fehlkonzipierte Skript gibt immerhin dem Widersacher Raum zum Glänzen: Daniel Radcliffe ist als bärtiger Hipster-Unternehmer-Bond-Villain mit Anzug und Sneakern mal wieder eine echte Schau in einer ansonsten völlig verquasten Fortsetzung zu einem unterhaltsamen Original, das rückblickend aber auch schon ein wenig zu modern beginnt.
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Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt
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Die Regie ist stromlinienförmig, Steve Carell beruhigt mit seinem unaufdringlichen Schauspiel Körper und Seele wie Nervenbalsam und wolkenleichter Humor mischt sich sanft in die melancholisch-verhangene Stimmung eines drohenden Weltuntergangs – „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“ ist trotz seines sperrigen Titels und seines ausweglosen Sujets im Grunde ein sehr bekömmlicher Film. Ein nur zaghaft und sporadisch auftretender Realismus wird dauerhaft von Poesie verdrängt; dieses Muster zeichnet sich schon ab, als Carells Figur in der ersten Szene wortlos von seiner Frau verlassen wird. Im süßlichen letzten Akt übernimmt es vollkommen das Regiment.

Die Ausgangskonstellation böte Spielraum für unzählige anthropologische Studien, doch dieser Film beschränkt sich auf einige wenige, die sich skurril, aber doch leicht in das Konzept des Films integrieren lassen. Lorene Scafaria, die neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, begründet die unwahrscheinliche Zusammenkunft eines Spießers und einer Indie-Göre (Rollenbilder, mit denen Carell und Knightley ihre Karriere begannen) nicht ausschließlich mit romantischen Klischees, sondern auch mit der Unvorhersehbarkeit menschlichen Verhaltens in Extremsituationen. Den Überlebenskampf, um den sich ein Katastrophenfilm drehen würde, blendet sie fast vollständig aus, stattdessen interessiert sie sich für Einzelgänger und kleine Gruppen, die sich spezieller Rituale oder letzter Vorkehrungen verschrieben haben. Das sorgt in der Road-Trip-artigen ersten Hälfte für äußerst unkonventionelle Begegnungen, die bei dem ungleichen Paar ihre Spuren hinterlassen.

Etwas aktiver hätte die Regisseurin dennoch in die Fäden greifen dürfen. Dass der Plot unbeirrbar auf eine Romanze zusteuert, erscheint angesichts der pompösen Kulisse etwas zu schlicht. Es bleibt ein recht zufriedenstellendes, nachdenklich machendes Gefühl zurück, aber im Endeffekt leistet der Zuschauer im Kopfkino viel mehr als der eigentliche Film, der eigentlich nur die Vorlage leistet: Wie reagiert die Welt, wenn sie weiß, dass sie untergehen wird?
:liquid6:

Kubo And The Two Strings
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Das Regiedebüt des ehemaligen Rappers (!) und späteren Trickanimatoren Travis Knight zeigt sich mit kantigem Animationsstil, schwierigen Themen, wechselhafter Stimmung und dem von respektvoller Distanz geprägten Blick auf eine fremde Kultur relativ unzugänglich, jedoch in jeder Disziplin äußerst anspruchsvoll. Ein Publikum, das domestiziert durch Pixar und Artverwandte treffgenaue Gags im Minutentakt erwartet, wird mit den zögerlichen Einzelversuchen eines Käfer-Samurai und eines Affen, auch mal eine Pointe zu landen, vermutlich wenig anfangen können. Doch genau deswegen wirken Kubo und seine Begleiter nicht wie Schablonen, die auf Knopfdruck Oneliner werfen, sondern wie komplette Charaktere, die der Handlung eine mythologische Tiefe verleihen.

Streckenweise nimmt das im kantigen Design der Origami-Kunst umgesetzte, überwiegend in Vollmondnächten angelegte Abenteuer dramatische, beunruhigende, ja sogar gruselige Formen an, die für ein allzu junges Publikum nicht immer verständlich sein mögen, jedoch unbedingt ein Gefühl dafür hinterlassen, dass die Welt nicht nur aus Cartoonfiguren besteht oder aus Situationen, die inszeniert wirken. In „Kubo And The Two Strings“ darf eine Szene auch mal in schrägem Winkel dargestellt oder unorthodox aufgelöst werden, so wie man es zuletzt in „Anomalisa“ beobachten konnte oder einstmals in „Coraline“, an dem Knight ebenfalls beteiligt war.

Gegen Filme wie diesen wirkt letztlich jeder kleine Fortschritt, den die großen Studios mit ihren oftmals durchaus gelungenen Filmen erreichen, relativ belanglos; das hier ist unter filmischen Aspekten vielleicht etwas weniger rund, dafür aber ungleich menschlicher, gefühlvoller, intelligenter... und animationstechnisch auch noch faszinierender.
:liquid8:

Rupture
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Sobald Noomi Rapace in einem Lieferwagen verschleppt und von ihren Entführern in einen fensterlosen Raum gebracht wird, leuchten beim geschulten Publikum reflexartig alle Torture-Porn-Lämpchen auf. Zumal die Hauptdarstellerin in Filmen wie „Prometheus“ bereits reichlich leiden musste und diesmal auch noch in einem kammerspielartigen, schlicht ausgestatteten Film mit Heimvideo-Feeling zugegen ist, liegt der Bezug nahe; doch von selbstzweckhaftem Sadismus möchte Steven Shainberg gar nichts wissen. Er greift nach den Sternen erkenntnistheoretischer Philosophie und bevorzugt die intellektuelle Gesellschaft eines „Martyrs“. Während der französische Horrorthriller neben einer metaphysischen Erkenntnisreise jedoch auch drastische Härten ins Spiel brachte, ist „Rupture“ in beiderlei Hinsicht ein überraschend weicher Film, der zwar mit den Ängsten seiner Figuren spielt (und dabei hofft, auch die Ängste des Publikums zu erwischen), aber visuell mit zarten Violett- und Rottönen eine beruhigende, den Terror abmildernde Wirkung verströmt – ein Effekt, der auch eine Bedeutung hinsichtlich der Story erlangt.

Von der visuellen Komponente abgesehen ist „The Signal“ (2014) ein naher Verwandter, insbesondere beid er Vorgehensweise, den Zuschauer kaum mehr ins Bilde zu setzen als die durch ein Labyrinth irrende Hauptfigur. Der Geheimniskrämerei rund um seltsame Codes, bizarre Experimente und doppelbödige Kommunikation kann die skurrile Auflösung leider nicht gerecht werden; sie resultiert sogar in regelrecht obskuren Situationen, die einen schmalen Grat beschreiten zwischen anspruchsvoller Science Fiction und der Haltung eines B-Movies. Netter Versuch; von der hübschen Farbpalette abgesehen gelangt „Rupture“ aber kaum über die Pointe einer klassischen Twilight-Zone-Episode hinaus.
:liquid5:

American Horror Story: Hotel
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Obwohl man sich zuverlässig von Jahr zu Jahr chamäleonartige Themenwechsel der schrillsten Sorte einfallen lässt, bleiben die Problembilder eine wiederkehrende Konstante: Die ersten drei, vier Episoden versprechen jeweils immer die gruseligste, spannendste und fantasievollste Staffel, doch hat die Erzählung einmal Licht ins Dunkel gebracht und seine Figuren völlig entmythisiert, bleibt die Immersion auf der Strecke: Plötzlich lauscht man einfach nur noch irgendeiner „American Story“.

So eignet sich die Kreation von Ryan Murphy und Brad Falchuk seit jeher hauptsächlich für eine Betrachtung, die einen metatextuellen Blick auf das Schauspielfach. Es ist stets ein besonderes Vergnügen, die gleichen Schauspieler immer wieder in den unterschiedlichsten Rollen auftreten zu sehen und ihre Freude an der Herausforderung unmittelbar nachfühlen zu können. Als Rückschlag musste daher gelten, dass die für sämtliche ihrer Inkarnationen hochgelobte Hauptdarstellerin Jessica Lange nicht mehr länger von der Partie ist und gar mit der schauspielerisch eher unerfahrenen Popsängerin Lady Gaga ersetzt wurde.

Dabei liegt diese anfangs eine unerwartet großartige Performance hin, nicht zuletzt sicher auch, weil sie ihre eigene Bühnenkreation zum Teil für diese Rolle assimiliert. Begünstigt durch das in Sachen Architektur, Design und Beleuchtung unheimlich erscheinende Hotel gewinnt sie mit effektiven Kurzauftritten schnell ein enormes Maß an Präsenz.

Dann aber setzt der typische Konfusionseffekt dieser Serie ein und sowohl Gaga als auch die meisten ihrer Untergebenen verlieren ihre Körperlichkeit. Die kurzen Zeitraffer-Sequenzen eines Silent-Hill-artigen Geschöpfs mit stachelartigem Phallus referiert noch einmal auf den visuellen Stil der ersten Staffel, bleibt aber letztlich eine Fußnote in einer von Verlangen, Liebe, Missgunst und Selbstsucht gezeichneten Geschichte, die letztlich wieder nur wenig Platz lässt für Abstraktes oder Surreales.
Der Schauplatz allerdings überzeugt durchweg, insbesondere, wenn seine dunklen Winkel, doppelten Böden und nicht zuletzt seine ironisch belegte Schokoladenseite betont werden. Letztlich liegt es an den starken Nebendarstellern (hervorzuheben ist diesmal ohne Frage Denis O'Hare) und dem nicht uninteressanten Konzept (wer im Hotel stirbt, wird dort für immer umhergeistern und den Gästen auf die Nerven gehen), dass man sich doch vielleicht eine Spur stärker für die Story erwärmen kann als beispielsweise für die absurden Hexen- oder Irrenanstaltsjahre. Wer grundsätzlich etwas mit der Fremdartigkeit von Hotelräumen im Dienste des Horrors anfangen kann, wird außerdem nicht nur mit platten Filmzitaten der Marke „Zwillingskinder auf dem Dreirad im Flur“ gepeinigt, sondern mit tiefer gehenden Andeutungen dessen, was der Horrorfilm im Spiel mit fremder Umgebung und engen Räumen hervorgebracht hat.

Das Schöne an dieser Serie ist ja, dass jede Staffel das Potenzial hat, die Lieblingsstaffel zu werden. Die Produktionswerte stimmen ausnahmslos immer, der Kreativität sind bislang ebenfalls keine Grenzen gesetzt; so entscheidet am Ende meist die persönliche Themenaffinität. Anhänger der „Shining“-Schule dürfen sich also gerne in die Lobby wagen.
:liquid7:

Black Sails – Season 1
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Es ist schon etwas unglücklich, wenn man gerade die dritte Staffel der längst in die Oberklasse aufgestiegenen Brandschatzer-Serie „Vikings“ genossen hat, die vor lauter Produktionswerte und Charakterstärke nur so strotzt, um dann erstmals mit der zugegebenermaßen einige Jahre älteren ersten Staffel von „Black Sails“ konfrontiert zu werden, wo das Wasser nicht undurchdringlich schwarz ist, sondern karibisch blau, wo die Frauen selbst in Anführerpositionen nicht selbstbewusst sind, sondern ihre einzige scharfe Waffe begleitet von lasziven Blicken vor sich hertragen, wo Gesichter, Kleidung und Behausungen nicht vom Wetter gegerbt sind, sondern eine makellose Fassade halten können.

Die Vorgeschichte zur „Schatzinsel“ scheut zwar keine Kosten, um authentisches Piraten-Flair zu gewährleisten, investiert aber möglicherweise an falscher Stelle: Ob man sich nun gerade an Bord eines Schiffes befindet, das gerade mit Kanonenkugeln beschossen und geentert wird oder in einem Bordell mit rustikaler Bar, alles fühlt sich nach Themenparkattraktion an. Warum sollte die Kulisse auch eine Sonderstellung genießen, wenn die Gesichter einer Jessica Parker Kennedy, einer Hannah New oder eines Luke Arnold wie aus dem Ei gepellt aussehen, ungeachtet der Rußpartikel, die man je nach Szene auf ihren Teint bläst.

Vielleicht entsteht dieser Eindruck auch, weil die Kamera mit all den extravaganten Schauplätzen nicht viel anzufangen weiß. Exotischer kann man die Sets eigentlich kaum gestalten, im Vergleich mit der TV-Konkurrenz nimmt „Black Sails“ in dieser Kategorie auch durchaus eine Sonderposition ein, doch was nützt all das, wenn die Griffigkeit in etwa die Intensität eines mitgefilmten Making Ofs erreicht?

Obwohl „Black Sails“ überwiegend ein Charakterdrama mit ironischen Spitzen ist, bietet es auch ein, zwei Konzept-Actionszenen auf hohem Niveau an; und selbst wenn mal nicht die Kugeln fliegen oder Säbel rasseln, wissen die Drehbücher durchaus einige Handlungsstränge zu verknüpfen und ähnlich wie bei „Vikings“ mit politischen Fragmenten zu versehen. Potenzial ist also vorhanden, doch will man das trotz „Fluch der Karibik“ immer noch (un)tote Genre des Piratenfilms langfristig wiederbeleben, sind ab der zweiten Staffel einige Dinge zu ändern.
:liquid4:

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Lurking Fear
Inherent Vice
Inferno
Herz aus Stahl

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Beitrag von SFI » 24.03.2017, 16:52

Buh zu Black Sails. :lol: Kriegst Freikarten für Karibik 5. :P
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Beitrag von Vince » 25.03.2017, 09:08

Nur her damit. Für umme geb ich mir fast jeden Müll. ;)

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Beitrag von freeman » 27.03.2017, 18:38

Buuuuuh! Wobei ich aber abwarten würde, was du zur zweiten Staffel sagst. Die hat nämlich gegenüber der ersten schon deutlich die Nase vorn.

Und mal sehen, wann wir in den Genuss von Staffel 3 und 4 kommen. Immerhin liefen die ja nun schon im Pay-TV. Aber anscheinend braucht Fox einfach noch fürs logische Downgrade zu VHS.

In diesem Sinne:
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Beitrag von SFI » 28.03.2017, 05:31

Der Downgrade auf 320x240 ist nicht das Problem wie ich gelesen habe, es ist der Bau des VHS-Werks in China, der sich in die Länge zieht. Verdammt! :lol:
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Beitrag von freeman » 28.03.2017, 18:24

:lol: :lol: :lol:

In diesem Sinne:
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Beitrag von Vince » 08.04.2017, 17:27

Father's Day
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Der desorientierende, unästhetische Digitalfilm-Look macht das Einfinden nicht leicht. Organe schlabbern in Nahaufnahme, als ein Opfer auf unappetitliche Weise auseinandergenommen und missbraucht wird, die Kamera wackelt bei einer Verfolgungsjagd wie Götterspeise und HD-Schärfe und extremer Kontrast neutralisieren sich gegenseitig. Derweil nimmt die ans Serienkiller-Genre angelehnte Handlung ungewohnt ernste Züge an, so dass der Troma-Jingle zu Beginn völlig deplatziert wirkt. Dass Familienväter Ziel der Attacken sind, hat man so auch noch selten gesehen; irgendwo untermauert es die Ernsthaftigkeit, denn welche Satire würde die Aussicht auf kreischende Jungfrauen in Not ungenutzt verstreichen lassen?

Dann aber beginnt das auf Grindhouse getrimmte Material zu wirken. Anders als diverse Tarantino-Schattengänger mit ihrem popkulturellen Popcorn-Verständnis stehen die Tromas stets noch mit einem Bein im Bahnhofsschmutz. Bis „Father's Day“ vordergründig witzig wird, dauert es eine Weile; um so bahnbrechender allerdings die Höllenvision, die wie eine South-Park-Realverfilmung ihren ganzen Charme ausleben darf. Wo kreischende Geisterfrauen wie vom Laufband bewegt ihre Bahnen ziehen und zappelnde Gesten machen, gibt es kein Halten mehr. Gleiches gilt für den Teufel höchstselbst, eine wie aus einem modrigen Underground-Comic entstiegene Fat-Suit-Absonderlichkeit, wie man sie nur im übelsten Bodensatz zu Gesicht bekommt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Plot so manch verrückte Wendung durchlebt, die herzhaft Tabus auslebt, ohne sie als Tabubruch zu inszenieren. Die ein oder andere Entwicklung mag zu den typischen Längen führen, wie man sie in fast jeder Herz/Kaufman-Produktion durchstehen muss, aber auch das gehört eben zum klassischen Grindhouse-Kino dazu.
:liquid7:

Return Of The Living Dead 5 – Rave To The Grave
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Die loseste Zombie-Reihe der Welt biegt in ihre fünfte Runde ein und lässt als so ziemlich einzige inhaltliche Konstante mal wieder eine Menge Gehiiirrrrnnnnn ausrufen – diesmal auf einer Rave-Party, und so kommt man nicht umhin anzunehmen, dass die Hirntotenstarre des durchschnittlichen Feten-Abhotters auf dem Prüfstand stehen sollte.

Dass minutenlang niemand Notiz davon zu nehmen scheint, dass zwischen lauter Musik und gröhlender Meute eine Bregen-Fressorgie lostritt, schmeichelt dem IQ der Feierwütigen dann tatsächlich nicht unbedingt. Rave + Untot passt also schon mal, insofern ist zumindest die Grundidee nachzuvollziehen.

Härten musste Ellory „Arac Attack“ Elkayem zwingend aufbieten, denn ohne sie träte die Schockstarre völlig ereignislosen Bildmaterials in den Vordergrund. Die verblödeten Visagen der Hauptdarsteller und ein paar ebenso verblödet dreinglotzende Hupen freizügiger Li-La-Launelieschen halten die Aufmerksamkeit vielleicht noch in Sekundenmaßen aufrecht, wohl kaum aber über eineinhalb Stunden; also reichert man die Handlung sukzessive mit üblen Körperwunden an, die zwar recht einseitig ausfallen (einen besonderen Narren hat die SFX-Abteilung am herzhaften Biss in den Hinterkopf gefunden), jedem Schmodderjäger aber genug Fleisch am Knochen bieten. Der seit dem ersten Teil aktive Dosenzombie darf seinen Körperschleim als triefender Running Gag am Boden abschmieren und steht letztlich als einsamer Tramper mitten im Feld. Herzensgut!

Es handelt sich alles in allem um diese Art Überflüssigkeit, die man gerne mal demonstrativ mit der Tiefstnote abstraft. Aber Hand aufs Herz: Dafür war es dann doch zu kurzweilig und – bei aller Härte - zu niedlich.
:liquid4:

Blair Witch
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Zugegeben, im letzten Drittel zündet Adam Wingard endlich die Lunte an und besiegt für einen kurzen Moment die Statik des ausgelutschten Found-Footage-Prinzips. Der inzwischen im Regen liegende Wald lässt sein Grün wie eine Signalfarbe leuchten und eine alte Steinhütte wird zum einzigen Ausweg. Ab hier greift die Desorientierung, die Kamera greift den begrenzten Raum geschickt und lässt ihn wie ein endloses Labyrinth erscheinen. Immer von der Panik der Darsteller angetrieben, peitscht Wingard seinen Fortsetzung zur Mutter des Found Footage auf das unvermeidliche Finale hinzu.

In den Phasen davor allerdings hätte man von diesem Regisseur mehr erwartet als die Rucksacktour von ein paar Studenten auf Irrwegen, wie man sie vom Original und diversen Artverwandten längst in allen Varianten durchexerziert bekam. Es reicht nicht, eine Drohne als Nachweis für das Jahr 2016 ins Bild zu halten, wenn man ansonsten brav in den ausgetretenen Pfaden läuft. Visuell lässt sich durch die Machart begründet ohnehin nicht viel mehr aus dem Material holen. Vielleicht war das Projekt aber ohnehin von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Schwer vorzustellen, dass sich beispielsweise Ti West auf eine solche Verfilmung eingelassen hätte, in dessen Schatten Wingard somit stecken bleibt.
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Swiss Army Man
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So müssen Indies aussehen! Intim und persönlich, aber überbordend vor Spielwitz und visuellem Einfallsreichtum,waghalsig, furcht- und kompromisslos. Bei diesem Bastard aus psychologischem Einpersonenstück und flottem Buddy-Movie, aus Flatulenz-Humor und philosophischer Erkenntnisreise werden womöglich Hinterwäldler und Intellektuelle Hand in Hand vom Fernseher wegrennen und Zeter und Mordio kreischen. Die Verbliebenen (wer sind die eigentlich?) hingegen fragen sich: Wie kann ein Film um einen von der Gesellschaft abgetriebenen, in der Strand- und Wald-Wildnis gelandeten Einsiedler und seinen multifunktionalen Super-Wilson eine solche Wärme entwickeln?

Zugegeben, der „Dududududu“ und „Bibibibibi“ repetierende Weirdo-Soundtrack, so passend er das Gezeigte unterstreichen mag, geht auf Dauer ein wenig auf den Senkel; das begnadete Doppel aus dem immer schon ganz besonderen Paul Dano und dem jüngst ganz groß aufspielenden Daniel Radcliffe entschädigt aber für sämtliche Unannehmlichkeiten. Man muss allerdings speziell gepolt sein, um die Fähigkeiten der Schweizer-Taschenmesser-Leiche nicht merkwürdig zu finden – oder vielleicht sollte man zumindest ihre metaphorischen Qualitäten in Bezug auf den Überlebenskampf des Protagonisten zu schätzen wissen, der sämtliche Gefahrenquellen der Natur wie durch einen psychedelischen Schleier wahrnimmt.

Ja, „Swiss Army Man“ ist ein tragikomischer Ausdruckstanz von unvergleichlicher Art, getrieben von einer spritzigen Inszenierung, einem harmonisch interagierenden Duo der verrücktesten Sorte und der weithin unterschätzten Antriebskraft leiblicher Gase.
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Das Duell
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Die konstruierte Fehde zwischen einem aufrechten Texas Ranger (Liam Hemsworth) und einem gefährlichen Prediger (Woody Harrelson) lässt dem Szenario um verschwindende Mexikaner an der mexikanisch-amerikanischen Grenze nicht gerade viel Platz zur Entfaltung. Fantasie oder Einfühlung in die Story erfordert es erst recht nicht; dazu verlässt sich das Drehbuch zu sehr auf viel zu oft erlebte Schwarz-Weiß-Kontraste. Harrelsons Charisma, das wie immer bildschirmfüllend ausfällt, ist daher dringend vonnöten, denn mit einem blasseren Antagonisten würde die farblose Konstellation noch deutlicher ins Auge fallen und der seines Zeichens leider durchaus blasse Hauptdarsteller Liam Hemsworth wäre mit seinen begrenzten Mitteln völlig auf sich alleine gestellt.

Es wäre somit ein Leichtes, vom düster gehaltenen Prolog aus die gesamte Handlung vorherzusagen, doch vergeblich hofft man auf einen Kniff, der alles in ein neues Licht rückt. Zwar kann sich auch Ti Wests artverwandte Produktion „In A Valley Of Violence“ keiner ausgefeilteren Storyline rühmen, doch West findet effektivere Mittel, einen handwerklichen Stil von unverkennbarem Format zu bilden. Kieran Darcy-Smith müht sich anfangs spürbar um eine besondere Handschrift, verliert diese jedoch schnell aus den Augen und verlässt sich bald darauf nur noch auf seine Protagonisten, denen wiederum die Herausforderung fehlt. Denn die Geschichte des Westernfilms ist voll von diesen schmerzerfüllten Racheplots, die über Generationen hinaus Zeit zum Reifen hatten.
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Das Irrlicht
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Für eine Erzählung über einen suizidgefährdeten Mann ist „Das Irrlicht“ irritierend ruhig erzählt. Obgleich die Handlung einen Weg mit vielen Abzweigungen und Wendemöglichkeiten vorgibt, steht eine gewisse Alternativlosigkeit im Raum. Pathos und großes Drama entfallen somit und werden zu entbehrlichen Zutaten, denn Malles Figuren erweisen sich trotz ihrer vermeintlichen Schmucklosigkeit als so vielschichtig, dass sie nicht theatralisch in Szene gesetzt werden müssen, um ihren tragischen Kern freizulegen.

So lässt der Regisseur, obgleich er von der Romanvorlage in entscheidenden Punkten abweicht, kaum einen Zweifel am Ausgang. Maurice Ronet spielt im Grunde einen zwar unterkühlt, aber gesund wirkenden Mann. All seine Gesten deuten darauf hin, dass er sich problemlos in die von ihm abgelehnte Entwicklung seines Umfelds integrieren könnte, wenn er wollte; es ist allein seine Position in den vielen Dialogen mit früheren Freunden und Bekannten, die Einblick in sein Denken geben, und selbst sie sind mit einer Gabe für Rationalität präsentiert.

Stilistisch lehnt sich Malle näher an „Die Liebenden“ als an jeden anderen seiner bis dahin gedrehten Filme. Auch der für die Gesellschaft empfundene Nihilismus hat den gleichen Ursprung; jedoch sind die Umstände andere, ebenso die daraus gezogenen Schlüsse. Somit wird „Das Irrlicht“ in gewisser Weise zum Negativ seines skandalumwobenen Zweitwerks, was nicht nur seine qualitative Konstanz unter Beweis stellt, sondern auch ihren Ursprung, nämlich die seltene Fähigkeit, dem eigenen Denken das schnelle Wechseln zwischen unterschiedlichen Weltbildern zu ermöglichen – eine für das Einfühlen in die Figuren unersetzliche Gabe.
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Victor Frankenstein – Genie und Wahnsinn
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„Sie kennen die Geschichte“. Mit diesem einleitenden Satz aus dem Off wird bereits nach Sekunden erkenntlich gemacht, dass es nicht um eine klassische Adaption des – tatsächlich allseits bekannten – Mary-Shelley-Stoffs gehen soll, sondern um eine frische Neuinterpretation. Nichts anderes konnte man von Paul McGuigan erwarten, der aus dem traditionell dynamisch geschnittenen Gangster-Movie-Fach der Guy-Ritchie-Ära stammt und passenderweise zuletzt auch Regiebeiträge zur „Sherlock“-TV-Serie geleistet hat.

„Sie kennen das schon alles, aber wir erzählen es jetzt mal anders“ ist inzwischen allerdings eine Tour, die man selbst schon längst zur alten Masche erklärt hat. Dennoch, der Mythos wird ohne Rücksicht auf Verluste auseinandergenommen und mit zeitgemäßen Versatzstücken präpariert; das in Einzelbildern wirklich schicke Szenenbild verströmt reine Künstlichkeit. Ein unnatürliches Nebeneinander lässt das viktorianische England wie eine artifizielle Scheinwelt voller bunter Farben aussehen, die fast folgerichtig mit knautschigen Verfolgungsjagden durchsetzt ist, stets begleitet vom Showeffekt aufleuchtender Blitze.

Die um Igor zentrierte Erzählperspektive steuert dem drohenden Zugangsverlust glücklicherweise etwas entgegen. Daniel Radcliffe lässt die Hochleistungen aus „Imperium“ und „Swiss Army Man“ bereits andeutungsweise erkennen und bildet gemeinsam mit dem heillos überdrehenden James McAvoy tatsächlich eine interessante Neuinterpretation. Zu wenig jedoch, um die überladene Regiearbeit über das Mittelfeld hinaus zu heben.
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Minions
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Eigentlich ist es überraschend, dass so etwas wie ein „Minions“-Solofilm vom Publikum überhaupt angenommen wird. Die Liebe zu den gelben Helferlein des Bösen muss endlos sein; schließlich baut das Spin-Off der erfolgreichen „Despicable Me“-Reihe zumindest streckenweise auf das Dogma einer beschränkten akustischen Kommunikation und ist somit in der Wirkung einem zeitgenössischen Stumm- oder Schwarzweißfilm nicht unähnlich. Man verfügt längst über die technischen Mittel des Ton- und Farbfilms, setzt sie aber bewusst nicht ein. Umgemünzt auf die „Minions“ bedeutet dies: Alle Trägerfiguren der Hauptfilme werden entfernt und übrig bleiben nur die Statisten; der Randgag wird zum Hauptakt erklärt, obwohl ihm offenbar die Eigenschaften fehlen, diese Aufgabe zu bewältigen.

Künstlerisch zahlen sich solche Experimente oft aus, weil es Spannung verschafft, zu sehen, mit welchen Mitteln die natürlichen Defizite ausgeglichen werden. Und das Abenteuer beginnt erstaunlich einfallsreich. Mit Rückgriff auf einen Off-Kommentar wird die gesamte Zeitgeschichte des Gelblingsvolkes aufgerollt: Von der Herrschaft des Tyrannosaurus Rex in der Kreidezeit zu den ägyptischen Pyramidenbauern über Napoleon (Hitler wäre wohl trotz seiner offensichtlichen Eignung als Gesicht des Bösen nicht ganz angemessen gewesen) bahnt es sich seinen Weg durch die Geschichte bis in die 60er Jahre, die fortan mit allen historischen Bezügen und visuellen Merkmalen zum Schauplatz erkoren werden. In dieser Phase stellt das Drehbuch Bemerkenswertes mit den Minions an – sie werden zu kulturellen Staubsaugern erklärt, was sich in einer erstaunlich ausgefeilten Mischsprache niederschlägt, die bei weitem nicht nur das Comic-Geblödel ausdünstet, das sie zu sein vorgibt.

Leider, leider passiert dann das Gleiche wie immer bei den großen Animationsstudios: Die fiese Antagonistin wird eingeführt und schon ist es wieder ein normaler Standard-Animationsfilm. Anstatt den gelungenen Ansatz beispielsweise zur Hommage an Stummfilm-Slapstick der Ära Chaplin / Keaton auszuarbeiten und sich somit an einem Ansatz à la Jacques Tati zu versuchen, holt man wieder Bazookas, Raketen und andere Supervillain-Instrumentarien aus dem Keller.

Sicher, nichts anderes hat man erwarten können; nachdem die ersten Minuten aber unerwartete Ansätze zeigten, folgt man der Angleichung an den Publikumsgeschmack aber doch mit einem weinenden Auge.
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Mad Men – Season 3
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Mag die Serie durch ihr zeitloses Szenenbild und das unerschütterliche Selbstverständnis nach außen hin so erscheinen, als könnte sie jeden Uhrzeiger zum Stehen bringen, breitet sich unter der Oberfläche eben doch Geschichte aus wie eine Pfütze unter stetem Tropfen. Gerade die dritte Staffel versteht sich darauf, das Leben der Figuren in einen Parallelismus zu historischen Ereignissen zu setzen. Als Präsident John F. Kennedy in Dallas erschossen wird, scheint die Welt für einen Moment vor Ehrfurcht zu erstarren. Das bis dahin so fest etablierte Gesellschaftsbild gerät ins Wanken; es fängt sich zwar schnell wieder, doch im Grunde ist nichts mehr so wie es war, weder im Privaten noch im Beruflichen.

Es geschehen eine Menge Dinge im dritten Jahr der Serie im Hause Draper: Tochter Sally entwickelt einen störrischen Charakter, Dons Vergangenheit wird gelüftet und seine Ehe mit Betty gerät endgültig in Schieflage. Zudem verschwindet Sal für immer aus der Serie. Doch nichts davon bemüht einen vergleichbaren Exkurs wie Dons Tage in einer Hippie-Kommune in der zweiten Staffel.

Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse der letzten Episode darf man davon ausgehen, dass sich fortan vieles ändern wird, auch wenn wohl auch weiterhin so viele Zigarren geraucht und so viel Whiskey getrunken wird wie bisher.
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Logan
Kong – Skull Island
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Beitrag von Vince » 24.04.2017, 16:39

Found – Mein Bruder ist ein Serienkiller
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Bei einem Begriff wie „Indie-Splatter-Horror“ denkt man automatisch an Amateurprojekte, deren beste Vertreter vielleicht mit großem Eifer an selbstgebastelten Spezialeffekten arbeiten, in der Handlung jedoch trotzdem oft nur Klischees abarbeiten. Der Faszination für das Handwerkliche folgen nur selten weitere Ambitionen.

„Found“ hingegen ist ein seltener Abkömmling selbstproduzierter Horrorware, der den feinen Unterschied zwischen „Indie“ und „Amateur“ noch einmal deutlich macht. Obgleich sich etliche Perversionen in Scott Schirmers Langspiel-Debüt tummeln, finden diese begonnen beim schlicht, aber effektiv animierten Vorspann bis zur rotgefärbten letzten Einstellung durchweg in einem reflektierten Rahmen statt.

So handelt es sich letztlich um ein Coming-Of-Age-Drama, das in der kindlichen Faszination für Horrorfilme eigentlich ein naheliegendes Sujet aufgreift, welches in dieser expliziten Form jedoch noch selten umgesetzt wurde. Unterstützt von dem gelöst aufspielenden Bruderpaar (Gavin Brown, Ethan Philbeck) gelingt es Schirmer, eine sehr reale Atmosphäre zu etablieren, in der schon das einfache Aussprechen des Wortes „Kopf“ einen Schauder verursachen kann.

Gewissermaßen sorgt das in einem von Abstumpfung befallenen Genre für eine erneute Sensibilisierung. Sobald die Filme-im-Film „Deep Dwellers“ und „Headless“ den metatextuellen Gang in die VHS-Schleuse antreten, tritt durch die künstliche und/oder überstilisierte Darstellung von verspeisten Augen, amputierten Brüsten und Sex mit abgetrennten Köpfen besagte Abstumpfung zwar wieder ein, jedoch wird diese als Teil der Jugendgeschichte der Hauptfigur verstanden, deren Bruder sich als Serienkiller herausstellt.

Auch auf die Gefahr hin, das Erzähltempo ins Wanken zu bringen, nimmt sich der Regisseur viel Zeit, um die kleinen Dinge zu beleuchten und die Charaktere zu vertiefen. Dabei helfen ihm Dialoge, die den schmalen Grat meistern, nicht allzu tief ins Philosophische abzudriften, aber auch nicht zu banal zu klingen. Gut und Böse sind nicht die Pole, als die sie scheinen; nicht nur die Beziehung zwischen den Brüdern erweist sich als sehr komplex, sondern auch jene zwischen ihnen und ihren Eltern oder ihren Freunden lassen Schatten der Vergangenheit eines jeden Zuschauers wieder aufblitzen – in einem eskalierten Rahmen, versteht sich.

Für die Indie-Szene müsste „Found“ eigentlich ein unerwarteter Wachruf sein. Mit minimalem Budget weist er ungewöhnlich hochwertige Production Values auf und auch in allen anderen Disziplinen eine Klasse, die man auf diesem Level normalerweise nicht erwarten kann.
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The Lady In The Car With Glasses And A Gun
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Joan Sfarr scheint viel für die Ästhetik des Jahrs übrig zu haben, in dem die Vorlage für seine Neuinterpretation entstand. Im cremefarbenen Trenchcoat der Hauptdarstellerin, ihrer getönten Brille und dem 67er Thunderbird spiegeln sich die 70er Jahre auffallend wider. Sie selbst, Freya Mavor, zieht als betörende Schönheit zwischen Naivität und Selbstbewusstsein alle Fäden der an minimalistisches Crime Cinema jener Zeit erinnernden Storyline und zugleich alle Blicke auf sich. Streng genommen könnte man dem Regisseur die manchmal selbstzweckhaft erscheinende Erotisierung über schweifende Kamerafahrten und lange Einstellungen zum Vorwurf machen; ehrlicher wäre es aber wohl, ihm für den sexiesten Thriller seit längerer Zeit zu danken.

Nachdem der Einstieg mit stilisierter Einrichtung und ebensolchen Kostümen gepfeffertes Style Over Substance verspricht, wird die Handlung mit der Zeit immer bedeutsamer. Plotholes werden ganz bewusst ausgeteilt und gehören gewissermaßen zum Spannungskonzept, das mit Mitteln einer Amnesie-Prämisse die Begegnung mit Fremden zur suspensereichen Angelegenheit erklärt uns die ewige Frage provoziert: Wem kann ich trauen?

Allzu viel ist nicht nötig, um dabei zu folgen, wie das Puzzle zusammengesetzt wird. Vielleicht ist man nach Ansicht auch ein wenig enttäuscht über die ausgebliebene Komplexität, die nach der ersten mysteriösen Wendung an einer Tankstelle versprochen wird. Freya Mavor allerdings sorgt in jedem Fall dafür, dass der Road Trip an ihrer Seite nicht langweilig wird – auch dank Sfarr, der sie geschmackvoll und stilsicher in Szene setzt.
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Retribution
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Blitzlicht, Regen, Wind und Donner. Scheppernde Requisiten, tosende Soundkulisse, Graffiti in grellen Neonfarben, gellende Schreie... all diese plakativen Behelfsmittel, die sich besonders gerne in den 80ern zur Bildung von audiovisuellem Spektakel versammelten, vermisst man jenseits des Jahrtausendwechsels zunehmend. Auf der Suche nach dieser zum Aussterben zurückgelassenen naiven Filmästhetik wird man wohl irgendwann auf den übernatürlichen Horrorthriller „Retribution“ stoßen. Der verpasst einem in der Rückschau allerdings eine derart heftige Überdosis des gewünschten Stoffs, dass man sabbernd auf dem Boden landet und Regenbogen vor dem inneren Auge tanzen sieht, die wiederum aus anderen Regenbögen sprießen...

Mit funkelnden Leuchtdioden in den Augenhöhlen, höhnischem Gelächter in der Brust und umherfliegenden Kleinteilen knüpfen die Spezialeffekte an bekannte Vertreter des Exorzismus- und Besessenheitskinos an, hier allerdings ohne jeden Sinn für Maßhaltung. Das kann durchaus zum Spaß für Freunde der Formel „Horror durch Chaos“ ausarten, wenngleich es natürlich im harten Kontrast zu der gewöhnlichen Optik steht, die sich zwischen den Phantastikelementen ausbreitet.

Dementsprechend ist auch der Plot eher kettenartig angelegt und regt somit das Warten auf die nächste große Effektsequenz an, zumal diese zusätzlich mit Rache-Motiven der Marke „The Crow“ angereichert sind.
Dennis Lipscomb ist als unscheinbarer Duckmäuserich ohne Selbstbewusstsein ein eher ungewöhnlicher Antiheld, der sich durch für ihn ungewöhnliche Milieus bewegt, doch solche Grobheiten machen in gewisser Weise den Reiz von „Retribution“ aus.
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Puls
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Ja, filmisch gesehen ist „Pulse“ die erwartete Grütze, mit der voller Verzweiflung versucht wird, sich an Verstrichenes zu klammern: Handy-Paranoia, Zombie-Hype, ja selbst an einen passenderen Filmtitel wie „Signal“. In jeglicher Hinsicht kommt die Produktion einfach zu spät. Man spürt einstmals große Ambitionen, die im Laufe der Zeit zum Videothekenramsch-Format zurechtgestutzt wurden – tödlich für ein Szenario, das episch wirken muss, um ernsthaft zu funktionieren. Garniert mit Plotholes, gelangweilten Schauspielern und ganz schön miesen Massen-Effektszenen kann man die cineastischen Qualitäten kaum verteidigen, es sei denn, man möchte einen selbstironischen Blick auf die Produktionsumstände wohlwollend herausarbeiten und das Ganze als Augenzwinkern mit Brechstange verkaufen.

Aaaber. Abgesehen davon, dass der Digitalisierungswahn nach wie vor hochaktuell ist und eine Thematisierung immer noch rechtfertigt (auch wenn er dem heutigen Stand leider kaum angepasst wurde und sich weiterhin fast ausschließlich mit Handy-Funkwellen befasst), übt die sehr eigenwillige Darstellung der King'schen Gedanken zum Thema Kommunikationstechnologie einen ganz speziellen Reiz aus. Eine gemächliche Einleitung leistet sich dieser Film nicht, vielmehr überfällt er uns mit einer Massenhysterie am Flughafen, in deren Verlauf Hunderte von Menschen ihren Verstand zu verlieren scheinen und den (nicht umsonst als Zentrum des Personenverkehrs gewählten) Schauplatz zum Amok-Kriegsfeld umfunktionieren. John Cusacks Charakter wird als Person somit gar nicht erst groß vorgestellt, sondern sozusagen zwischen Handy-Zombie und Gepäckband nach und nach mit Merkmalen ausgestattet. Ein No-Go in Sachen Charakterzeichnung, doch andererseits so erfrischend anders im Vergleich mit allem, was man sonst so konsumiert.

Wenn in diesem Zusammenhang dann auch von „Zombie-Klischees“ gesprochen wird, so ist dies vielleicht die Ohnmacht, die kleinen Unterschiede zwischen schnellem Zombie und schnellem Zombie zu erklären. Was hier mit mordlüsternem Blick in den Augen über Stock und Stein poltert, folgt völlig anderen Regeln als beispielsweise die Gelbäugigen aus „28 Days Later“, die ja gemeinhin als Urahnen des Leistungssport-Zombies gehandelt werden. Zu vergleichen ist das Geschehen in „Pulse“ vielmehr mit M. Night Shyamalans „The Happening“, vielleicht in Erbschaft des Körperhorrors der 50er Jahre, bei dem Außerirdische die Kontrolle über den menschlichen Körper übernehmen.
Die handwerkliche Umsetzung ist zweifellos in Frage zu stellen, aber ob nun freiwillig oder unfreiwillig, kerngesunde Menschen, die sich durch ein elektronisches Signal binnen Sekunden in blutrünstige Wahnsinnige verwandeln und sich so seltsam ferngesteuert verhalten wie Ameisen in einer Kolonie, das gibt es längst noch nicht so oft zu sehen wie den heillos überfilmten Infizierten und bietet selbst dann noch einen gewissen Wert, wenn die Darsteller eigentlich gerne ganz woanders wären.
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Das Versteck
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Einmal das Mädcheninternat betreten, gibt es kein Zurück: „Das Versteck“ sperrt den Beobachter mit einer Gruppe junger Mädchen in einen kleinen Mikrokosmos und verriegelt den Weg in die Zivilisation, um die von Bigotterie und konservativer Strenge geführte Erziehung zur Entfaltung zu bringen. Als Ausgleich allerdings nimmt sich Narciso Ibáñez Serrador viel Zeit, um uns das von bedrohlich großen Räumen, dunklen Ecken und edlen Fassaden bestimmte Innenleben der Einrichtung näher zu bringen.
Wenn von direkten Einflüssen auf Dario Argentos später entstandenen „Suspiria“ die Rede ist, bezieht man sich hauptsächlich auf das unsichtbare Wirken des Bösen hinter einer kommunenartig strukturierten Zusammenkunft formbarer Unschuld. Serrador geht dabei etwas stilorientierter vor als sein italienischer Kollege und bevorzugt enge Tunnel aus Licht mit partieller Freilegung geheimnisvoller Ecken des Gewölbes gegenüber einem hemmungslosen Farbenbad.

Der Kern der Geschichte hingegen führt eher zu ödipalen Konstrukten wie jenem aus „Psycho“, was durch Lilli Palmers diabolische Präsenz nochmals unterstrichen wird. Man hätte nicht unbedingt ein größeres Geheimnis daraus machen müssen, wohin die Handlungsfäden führen, aber trotz der relativen Übersichtlichkeit des Plots versteht der Regisseur sich sehr darauf, Suspense zu erzeugen und Terror zu schüren; Kamera- und Schnittexperimente wie Freeze Frames oder schnelle Wechsel zwischen Totalen und Schräg- oder Seitenwinkel-Körperaufnahmen werden mit Bedacht und stets in Hinblick auf einen Klimax eingearbeitet.

Auch wenn eine Handvoll Filmemacher auf dem gleichen Gebiet noch tiefere Spuren hinterlassen haben, so kann Serrador mit dieser Perle des spanischen Horrorkinos immerhin mithalten, die auch fast fünfzig Jahre nach Entstehung ihren Glanz bewahrt hat.
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Lisa und der Teufel
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Dass es sich bei „Lisa und der Teufel“ um das persönlichste Werk Mario Bavas handeln soll, steht nicht gleichbedeutend mit der Annahme, man habe fein geschwungene Linien der Erzählkunst zu erwarten oder besonders ausgefeiltes, auf Perfektionismus ausgelegtes Handwerk. Wenn der Betrachter zu dem abschätzigen Schluss kommt, er habe es mit einem sleazigen, konfus wirkenden Bastard aus übernatürlichem Drama und Horrortrash zu tun, so kann man ihm möglicherweise fehlende Sensibilität vorwerfen, jedoch noch nicht ganz an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln; und das gilt auch, wenn der Betrachter anstatt der mit Nachdrehs verwaschenen Exorzismus-Version des Produzenten die ursprüngliche Originalfassung gesehen hat.

Die künstlerische Freiheit, die dem Regisseur nach seiner kommerziell erfolgreichen letzten Arbeit zunächst gewährt wurde, legt sich also nicht im Konsens dessen nieder, was man als Meisterwerk verstehen würde, sondern in der zügellosen Komposition von Farben und Formen, die isoliert wie unter der transparenten Haube einer Schneekugel miteinander verschlungen werden und dabei nichts anderem folgen als ihrer eigenen Logik. Diese zu verstehen, gehört zu den großen Herausforderungen dieses Films, ja letztlich bilden sie seine eigentliche Klasse. Obgleich die Anzahl der zentralen Schauplätze – der verwinkelte Kern einer spanischen Altstadt, eine gotische Villa samt Anwesen und für das effektvolle Finale das Innere eines Flugzeugs – denkbar übersichtlich ist, nutzt Bava sie nicht banal als Übergangsstationen für seine Geschichte, sondern bewegt sich nach Belieben in ihnen vor und zurück, bearbeitet sie wie die Form eines Kissens vor dem Schlafengehen, bis sie ihm als angemessen erscheint, was, wie das Ergebnis unter Beweis stellt, nicht zwangsläufig mit der gängigen Schule für Filmdramaturgie in Einklang steht.

Entsprechend „unteuflisch“ tritt auch Telly Savalas auf, der sich mit offenem Gesicht, freundlichem Lächeln, Lolly im Mund und einer nüchtern betrachtet sehr profanen Funktion als Diener und Assistent keiner offensiven Villain-Konzeption anschließt – und gerade durch die vermeintliche Verspieltheit und Harmlosigkeit besonders diabolisch erscheint. Elke Sommer indes scheint mit ihrem blonden Haar, ihrer mintfarbenen Jacke und dem blau karierten Rock die gesamte Ausstattung aus Fresken und Statuen, opulenten Treppen, hohen Gräsern, Brunnen und Uhren gleichermaßen anzuziehen wie zu kontrastieren. Auch visuell steht Bava hiermit auf dem Höhepunkt seines Könnens, selbst wenn es ob der irritierenden Szenenkonstruktion ein wenig Einfühlung erfordert, um auf diese Erkenntnis zu stoßen.

Der Inhalt indes provoziert mit Tabuthemen und wird in dieser späten Phase seiner Entstehung durch punktuelle Nacktheit und Gewalt bereits dezent in eine anstößige Richtung gedrängt, andererseits hätte ein Hitchcock sich unter dem aufsehenerregenden Getöse eines großen Publikums vermutlich genauso wenig abschrecken lassen, einen solchen Stoff zu verfilmen. Eine gewisser Eindruck von Banalität hängt stets wie eine dunkle Wolke über dem Werk; weggewischt wird er spätestens mit der Finalsequenz, die wieder alles in ein anderes Licht rückt und die Vermutung bestätigt, dass „Lisa und der Teufel“ bei allen Zweifeln ein großartiger Film ist. Doch selbst hier ist es nicht einmal die Idee, die zu diesem Schluss führt, sondern eher die Umsetzung; ein nur sekundenlanger Schnitt, ein kleiner Moment der Perfektion in einem Irrgarten aus brüchigem, prunkvollen Mauerwerk.
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War Dogs
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„War Dogs“ führt durch seinen dokumentarischen Ansatz und seine Drama-Elemente einen leichten Stilbruch oder -Riss im derb-komödiantischen Gesamtwerk Todd Phillips' mit sich, steht dabei aber eigentlich für eine Entwicklung mit Ansage. So mag der mit ernster Miene und Doppelbödigkeit erzählte Klamauk von „Hangover 3“ innerhalb der Reihe zwar befremdlich gewirkt haben, er lieferte aber eine nicht grundsätzlich falsche Rezeptur für einen potenziell funktionierenden Grenzgänger zwischen den Genres, der nun also mit dieser wahren Geschichte über zwei Waffenhändler nachgeliefert wird.

Von „Lord Of War“ kennt man die Thematik und den zynischen Unterton, von „Blow“ (und natürlich dem hier mehrfach zitierten „Scarface“) die Dramaturgie, von Phillips selbst bereits die stilisierte Optik. Neue Gebiete werden also nicht erkundet, jedoch begibt man sich gemeinsam mit dem charakterstarken Doppel Miles Teller / Jonah Hill auf eine spannende Tour ins Ungewisse. Denn wenn man sich das Ergebnis ansieht, kann man beim Dreh unmöglich vorausgesehen haben, welche Wirkung es nach Fertigstellung einmal haben würde.

Sofern man in seiner Komödie auch einen Schuss Drama zu akzeptieren bereit ist und in seinem Drama einen Schuss Komödie, ist zumindest der Unterhaltungswert wohl fast schon garantiert – auch wenn man sich natürlich klar machen muss, dass hier immer noch kein Scorsese am Werk ist, sondern der Regisseur von „Road Trip“ und „Old School“. Weil sich die Erzählweise immer wieder an den großen Epen aus dem Drogen- und Krimimilieu orientiert, indem es Manierismen des manischen Crowdpleasers (damals Pesci, jetzt Hill) ausstaffiert oder bedeutungsschwanger Testtafeln mit Zitaten zwischen die Kapitel setzt, bekommt man tatsächlich das Gefühl, eine Art Mini-“Casino“ zu sehen. Da sich „War Dogs“ seines Standes jedoch jederzeit bewusst ist, wirkt das Anbandeln mit den Großen im Gangster-Zirkus nicht einmal unsympathisch. Es gelingt dem Film aus dieser Perspektive heraus sogar zu zeigen, wie schmal der Grat zwischen legalem und illegalem Geschäft ist und wie überwindbar die Grenzen zwischen Überlebenskampf und Überfluss, zwischen Gewinn und Verlust – gerade weil Tellers Figur, mit der man sich identifiziert, nicht plötzlich aus eigenem Antrieb sein Leben ändert, sondern in diese andere Welt praktisch hineingesogen wird und stets nur auf die Möglichkeiten reagiert, die sich ihm plötzlich bieten.

Das ist nun wirklich nichts Neues oder Aufregendes, aber es unterhält effektiv und regt, wenn auch in der Wohlfühlwolke der Fast-Food-Bedienung, ein wenig zum Nachdenken an über morsche Strukturen und blinde Flecken bei der globalen Versorgung mit militärischer Ausrüstung.
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Death Ship
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Es gibt kaum eine schönere Grusel-Kulisse als ein verlassenes Schiff auf hoher See – und doch verhältnismäßig wenig Filme, in denen Geisterschiffe eine Rolle spielen. „Death Ship“ hat als einer der Wenigen anfangs entsprechend leichtes Spiel, eine Gruppe Gekenterter mit seiner rostigen Fassade und der einschüchternden Aufsicht zu beeindrucken. Schiefe Winkel, aus denen der Wind pfeift, das Bullauge quietscht, Ketten rasseln oder Wasser auf den Bug tropft, sind so viel unverbrauchter als die überstrapazierte Monster Vision und führen zum gleichen gewünschten Ergebnis: Die Gruppe steht unter Beobachtung. Das bereitet so viel Stimmung, dass selbst die farb- und freudlose Videotheken-Optik nicht stört, sondern sogar der Atmosphäre zuträglich zu sein scheint.

Hat man sich aber erst einmal an Bord eingerichtet, geht besagte Atmosphäre ganz schnell im Meer baden. Die nie ausreichend charakterisierten Figuren verfolgen jeweils ihr eigenes Ding und machen ganze Fässer an kleinen Handlungsfäden auf, die nicht immer interessant oder zielgerichtet erscheinen. Der Plot beginnt, sich von einzelnen Ekel- und Blutszenen zu nähren, die sich besonders gut für Schaukastenbilder eignen und bei der Darstellung von Gewalt – in einem Fall auch Nacktheit – eine tendenziell exploitative Linie verfolgen. Macht immerhin Laune.

Einzig George Kennedy ist in der Hauptrolle eine Entwicklung mit Jack-Torrance'schen Ausmaßen gegönnt, doch echter Suspense kann aus seinem Verhalten nicht einmal gewonnen werden, wenn er ein argloses Kind im Arm hält. Mit der Zeit begnügt sich der Film damit, seinen Schauplatz als Sammlung perfider Todesfallen zu verstehen. Das führt ihn zu ähnlichen Mängeln wie dem Jahrzehnte später entstandenen „Ghost Ship“, der nach einer vielversprechenden Eröffnungssequenz auch nur noch wenig zu liefern wusste.
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Der Weisse Rausch
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Trotz volkstümlicher Blasmusik und der naiven Interpretation dessen, was „Lustspiel“ bedeuten kann - bemerkenswert, wie modern ein 86 Jahre alter Film über den Skisport aussehen kann. Vergleicht man den „Weissen Rausch“ mit einem seiner Urahnen, „The Art of Flight“ von 2011 beispielsweise, so hat sich in all der Zeit praktisch nichts verändert. Arnold Fancks Ode an die Beherrschung der Naturgewalten sollte Pflichtprogramm für jeden Extremsportler sein, denn Szene für Szene überrascht das lebensfrohe Hasch-Misch-Spiel zuverlässig mit spektakulären Tricks, umgesetzt durch Profisportler und inszeniert von jemandem, der sein Handwerk offenbar verstand.

So nutzt der Regisseur die realen Drehorte am österreichischen Arlberg immer wieder für Aufnahmen mit beeindruckender Tiefenwirkung. Mehrere Skifahrer ziehen synchron zueinander weit hinten auf dem Berg ihre Schneisen und bewegen sich langsam durch die verschiedenen Bildebenen auf die Kamera zu, wo Hauptdarstellerin Leni Riefenstahl bereits in einen angeregten Dialog mit ihrem Skilehrer oder ihren Kontrahenten vertieft ist. Die Kontraste im Schwarzweiß-Format werden durch die hohe Leuchtkraft der Schneeflächen auf einmalige Weise zur Bildung von Mustern genutzt; ohnehin handelt es sich bei diesem Film, obgleich bereits mit Ton ausgestattet, eher um eine Art Ballett der Formen als um einen vollumfänglichen Spielfilm, dessen Handlung auffallenderweise nur rudimentäres Mittel zum Zweck ist.

Riefenstahl, die als Regisseurin von ihrem Mentor Fanck auch durch diesen Film viele Grundlagen mitgenommen haben dürfte, bedient als ambitioniertes Fräulein mit Experimentierdrang noch viele Funktionsweisen aus der Stummfilmzeit; ihr Testsprung im Hotelbett, der in einer spektakulären Zeitlupenaufnahme eine der Schlüsselszenen darstellt, nimmt ganz direkt auf ihn Bezug. Sie gewinnt mit ihrer unbedarften Art und Weise schnell die Sympathien des Zuschauers, ebenso wie die von Walter Riml und dem späteren Abfahrts-Weltmeister Gustav Lantschner verkörperten Nordlichter Tietje und Fietje, deren ungleiche Größenverhältnisse gerne und oft für Slapstick eingesetzt werden.

Im Kontext des aufkeimenden Nationalsozialismus mag man dazu versucht sein, die Darstellungen entsprechend zu interpretieren oder metaphorisieren, doch in der rein auf kindliche Entdeckerfreude fokussierten Inszenierung ist viel eher eine gewisse Arglosigkeit gegenüber einer dunklen Zukunft verschlüsselt, deren Unerschütterlichkeit inzwischen wieder einen inspirierenden Effekt haben kann.

Fancks damalige Befürchtungen, seine Werke seien zur Flüchtigkeit verdammt und würden mit dem Verschwinden aus den Kinosälen zum langsamen Verblassen im Gedächtnis der Besucher zurückgelassen, haben sich glücklicherweise als Irrtum erwiesen. So hat sich „Der Weisse Rausch“ längst als Überbegriff für die Faszination Skisport etabliert und der zugehörige Film steht immer noch zur Wiederentdeckung bereit.
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Whiskey Tango Foxtrot
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Man kennt ja seine Tina Fey. Ein Opening Song wie „Jump Around“ von House Of Pain passt garantiert wie Arsch auf Eimer zu ihr. Man sieht sie hüpfen und erwartet, dass jeden Moment etwas Peinliches passiert. Und dann detoniert eine Bombe.

„Whiskey Tango Foxtrot“ (aka „W.T.F.“), der aus der Entfernung wie eine alberne Militärklamotte mit Mann-Frau-Klischees aussieht, kann einen binnen der ersten Minuten bereits auf dem falschen Fuß erwischen. Sooo witzig ist das ja doch alles gar nicht. Man sieht zwar im Laufe der eineinhalb Stunden erwartungsgemäß, wie Fey in die Wildnis uriniert, wie Alfred Molina einen dubiosen afghanischen Justizminister mit Fusselbart zur Schau gibt und Martin Freeman einen arroganten Schotten mimt; man sieht aber auch Explosionen und abgetrennte Gliedmaßen. Zur gleichen Zeit, am gleichen Ort.

Eingeleitet wird mit einer zynischen Sitcom- und Büroalltagsrealität amerikanischer Großstädte, für die Fey mindestens seit „30 Rock“ erste Botschafterin ist. Relativ unsanft und ruckartig wird sie dann in ein Kriegsgebiet katapultiert. Der hieraus erzeugte Kulturschock hätte für entsprechende Comedy genutzt werden können und wird es in einzelnen Szenen auch, langfristig liegt dem Film aber daran, die Faszination nicht für diesen speziellen Ort, aber für den Wert der Zusammenkunft so unterschiedlicher Menschen herauszustellen, was dank des angemessenen Mischverhältnisses aus Drama und Komödie auch funktioniert.

Um dieses ziel zu erreichen, vereinfacht das Drehbuch allerdings einige Aspekte deutlich, etwa die brüchige Beziehung der Hauptfigur zu ihrem in der Heimat zurückgelassenen Ehepartner oder gewisse Gegebenheiten vor Ort. Diese Unausgewogenheit lässt den streckenweise ohnehin sperrigen Film etwas zäh erscheinen. Ein Blick lohnt sich aber schon alleine, weil man eben nicht genau das bekommt, was man erwartet.
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Weitere Sichtungen:
Ted 2
Doctor Strange

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Beitrag von freeman » 24.04.2017, 18:33

Retribution findeste hier:
http://www.liquid-love.de/forum/viewtopic.php?t=16151

Haste den McClaneschen Booklettext denn net gesehen ;-)

In diesem Sinne:
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Beitrag von Vince » 25.04.2017, 05:24

Wenn ich euch nicht hätte... ;)

Jein. Hab die Amaray gekauft und dann kurz danach erst gesehen, dass er nen Text für das Digi-Booklet geschrieben hat. Aber er hat ihn mir dann freundlicherweise per Mail geschickt. :)

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Beitrag von freeman » 25.04.2017, 18:21

Hier wird Dienstleistungskultur noch großgeschrieben :lol:

In diesem Sinne:
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Beitrag von Vince » 02.05.2017, 08:45

Contamination
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Die meiste Zeit scheint die Sonne, Paraden werden abgehalten und Sonnenhüte getragen... und trotzdem kann dieser billige kleine Euro-Heuler nie verbergen, dass er eines der vielen schamlosen Alien-Rip-Offs seiner Zeit ist.

Die Synopsis entspricht in etwa dem, was Splatter-Kids mit ihren ersten kreativen Gehversuchen zu Tage brächten, die gerade durch ihre Erstsichtung des SciFi-Klassikers schwer inspiriert wurden: Es werden grüne Eier auf einem Geisterschiff und später weitere in einer Lagerhalle gefunden, die bei Erreichen einer gewissen Temperatur aufplatzen und deren Inneres bei Kontakt mit menschlichen Körpern Gleiches geschehen lässt. Auf diese Weise lässt Luigi Cozzi, zu dessen berüchtigsten Werken wohl „Starcrash“ und „Hercules“ gehören, immer wieder Blutpäckchen mit hohem Luftdruck explodieren, was er mit Zeitlupen und Slo-Mo-Geschrei der Explodierenden regelrecht zelebriert.

Neben diesen Splatter-Highlights wird noch eine Reihe weiterer Zutaten geboten, die einen gewissen Charme versprühen. Dazu gehört selbstverständlich der Soundtrack von Goblin, der wohl durch den engen Kontakt mit Dario Argento zustande gekommen sein dürfte; dann das memorable Sounddesign der schnatternd atmenden Alien-Eier; eine einzelne Bildeinstellung vom ursprünglichen Herkunftsort der Eier, der sich mit ausgeflipptem SciFi-Artdesign völlig mit den banalen Locations aus Rom und New York beißt; eine durchaus suspense-reiche Badezimmer-Sequenz; und dann eben der animatronische Gummi-Zyklop im Finale, dessen Unbeweglichkeit mit Schnitt, Beleuchtung und hypnotisierenden Close Ups auf das dumm stierende Plastikauge in der Mitte eines wulstigen Talgkörpers kaschiert werden soll.

Dass man diese erwähnenswerten Elemente so einfach aus dem Gesamtwerk isolieren kann (und das nicht einmal immer aus qualitativen Gründen), unterstreicht, wie vergessenswert der gesamte Rest ist. Trotz seiner partiellen Vorzüge als grieseliger Vertreter der Video-Nasty-Zeit ist „Contamination“ eine über weite Strecken elend langweilige Wiederentdeckung.
:liquid3:

Verhängnis
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So wie sich der englische („Damage“), französische („Fatale“) und deutsche („Verhängnis“) Filmtitel allenfalls darüber einig sind, dass etwas Irreversibles zu betrachten ist, nicht aber, welchen Aspekt davon man betonen soll (Eskalation oder Folgewirkung), arbeitet Louis Malle in seine Demontage des gehobenen Bürgertums und dessen zivilisierter Fassade eine breite Interpretationsfläche ein. Diese mag an den Fakten nichts ändern, provoziert jedoch eine Vielfalt an Werturteilen in der Frage um die Schuld des von Jeremy Irons gespielten Staatssekretärs und Familienvaters: Ist er tatsächlich Schuldiger oder vielmehr Opfer? Ist er es aus individuellen Zügen heraus oder wird er durch gesellschaftliche Verpflichtungen in die jeweilige Rolle gedrängt? Und sollte man die Femme Fatale im Spiel gemäß der eiskalten Ausstrahlung Juliette Binoches ausschließlich als Strippenzieherin betrachten, die nur als passive Variable zu berücksichtigen ist, oder sollte man sie in das Werturteil nicht viel eher mit einbeziehen: Entgegen der klassischen Dominanzverteilung der Geschlechter müsste doch gerade sie zur Rechenschaft gezogen werden... sofern man der Auffassung ist, dass ihr Handeln vom Egoismus bestimmt ist. Denn ebenso gut lässt sich argumentieren, dass sie eine liberale Auffassung vertritt, die sich nur nicht mit der Welt verträgt, in der sie ausgelebt wird.

Sein inhaltliches Denken scheint Malle mit den Jahren fortentwickelt zu haben, doch die strukturellen Ansätze sind seit seinen Anfängen als Regisseur gleich geblieben. Das Szenenbild spielt nach wie vor eine wichtige Rolle. In warmen Farben wird das Heim der anfangs noch intakten Kleinfamilie gezeigt, doch je nach Anlass der jeweiligen Zusammentreffen verändert sich der Charakter der Schauplätze: Die Hotelzimmer strahlen Unverbindlichkeit aus, die die berufsbezogenen Orte entweder Anonymität (Vater) oder Hektik (Sohn). Dinge bleiben in jeder Konversation unausgesprochen, Implikationen schwingen mit und werden entweder ignoriert oder auf fatale Weise fehlinterpretiert. Ausgerechnet in dieser verbitterten Atmosphäre schafft Malle Platz für Erotik, lässt die Hauptfiguren in mehreren Szenen miteinander schlafen, immer jedoch so, als säße der Teufel den Liebenden bereits im Nacken. Echte Romantik darf nicht einmal aufkeimen, wenn man eigens für ein Treffen in eine fremden Stadt reist.

Die vermeintlichen Zufälle, mit denen das Schicksal aller Beteiligten im letzten Akt besiegelt wird, sind eigentlich der Schlusspunkt einer langen Kausalkette. Diese zu planen, lässt den Regisseur manchmal notgedrungen zu Routinen greifen. Das lässt seine Arbeit stilistisch wie einen typischen Erotikthriller der 90er Jahre aussehen und hebt ihn von seinen Zeitgenossen durch kaum einen optischen Einfall hervor. Die Subtexte, die er aus Josephine Harts Debütroman zieht, sind das alles jedoch wert; sie entfachen auch Tage und Wochen nach der Sichtung noch Diskussionen.
:liquid7: ,5

Sausage Party
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Es ist der erste Computeranimationsfilm mit R-Rating... und sicher auch der erste, jedenfalls mit diesem Bekanntheitsgrad, in dem gefickt, gekifft, gesoffen und gesplattert wird. Das ist schon alles ganz schön kontrovers, aufregend und spektakulär für das noch junge Nachfolgeformat des guten alten Zeichentrickfilms, welcher nicht nur dank „Fritz The Cat“ und „South Park – Der Film“ noch weitaus unanständigere Seiten zu bieten hat. Doch die Rogen-Clique nimmt sich hier ganz bewusst eine Jungfrau vor, deren niedliche Formen bislang als exklusives Familienvergnügen bestimmt waren und die überhaupt noch nie in ihrem Leben etwas anderes gesehen hat als mit Marshmallows gefüllte Stofftiere in einem Spielzimmer voller Süßigkeiten.

Ein Tabubruch ist „Sausage Party“ allerdings ausschließlich in Bezug auf die eigentlich anderen Stoffen vorbehaltene Machart, denn stellt man sich Seth Rogen und Jonah Hill als Würstchen verkleidet in einem Realfilm vor, wie sie mit einem als Bagel verkleideten Edward Norton sprechen, so hätte man es mit einem ganz normalen Rogen-Film zu tun. Es wird eben gefickt, gekifft, gesoffen und gesplattert. Nationalitäten werden in Schubladen aufgeteilt, Kinderwitze dazu erfunden und kichernd präsentiert, die Schublade wieder geschlossen. Wäre dies ein Realfilm, alles wäre so wie immer.

Diesmal sind die Gags sogar so schwer zu unterbieten, dass man sich schon tief in die Denkweise eines pubertierenden Kindes einfühlen muss, um sie überhaupt zu verstehen, geschweige denn ihnen etwas abgewinnen zu können. Nur die totale Überzeugung der Macher von ihrer eigenen genialen Idee rettet die banale Zuordnung von Offensichtlichkeiten, die in nationalsozialistischem Sauerkraut, indianischem Feuerwasser und lesbischem Salma-Hayek-Taco mündet. Die Euphorie ist bei aller Idiotie spürbar und letztlich ist sie es, die gelegentlich zum Schmunzeln verführt, nicht die Gags als solche: Ist das toll, dass es noch Erwachsene gibt, die mit all dem verdorbenen Wissen eines Erwachsenen irgendwie doch noch Kind geblieben sind.

Das subversive Potenzial findet sich weder in der albernen Story (der überaus misslungene „Free Birds“ hat die Rahmenhandlung ja eigentlich auch schon vorweggenommen), noch in den diversen Film- und Kulturanspielungen, sondern einzig in der geradewegs unverschämt selbstverständlichen Präsentation eines gewöhnlichen Kinder-CGI-Films mit all seinen bunten Farben und „Dreamworks Faces“. In gewisser Weise entlarvt er, wie generisch in dieser Sparte Unterhaltung für die Massen produziert wird. Dies wird er auch weiterhin jedes Mal unter Beweis stellen, wenn ein unaufmerksamer Elternteil seinem schreienden Gör die Streaming-Plattform (oder: Nanny 2.0) einschaltet und trotz gewisser Warnungen und Vorzeichen den Film mit den lustigen Würstchen auf dem Cover auswählt – bis die erste Metzelorgie beginnt (so gesehen fast schon ein Segen, dass das verstörte Kind es wohl niemals bis zur finalen Orgie schaffen wird).

Der vom Filmtitel versprochene Gay-Porno hätte vermutlich mehr Tiefe als diese simpel gestrickte, mäßig animierte (für das Budget aber immer noch ordentlich; dazu könnte man natürlich jetzt den Animatoren-Skandal in einer Fußnote anbringen) Nummernrevue, aber immerhin setzt sie mal ein Ausrufezeichen gegen die Gleichförmigkeit computeranimierter Trickfilme, auch wenn man sich nicht sicher sein kann, ob das tatsächlich die eigentliche Intention der Schöpfer war...
:liquid5:

The Final Girls
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„The Final Girls“ ist gar nicht einmal unbedingt die große Meta-Abhandlung über den Slasher-Film, so wie „Scream“ eine war; wenn so etwas in den letzten 20 Jahren nicht ohnehin bereits in Massen entstanden wäre, die betroffenen Serien würden sich mit ihren zehnten oder elften Teilen schon selbst um einen analytischen Blick in den Spiegel kümmern (nichts anderes geschah in „Freddy vs. Jason“). Nein, es handelt sich vielmehr um eine lustvolle Spielerei mit den längst eingebrannten Regeln, die wie ein altes Videotape zur Belustigung vor- und zurückgespult werden. Durch den (wenn auch plump über einen Riss in der Leinwand realisierten) Sprung in die fiktive Sommercamp-Welt kommen besagte Metaebenen zwar zustande, sie werden aber nicht etwa dazu verwendet, um in Hinblick auf Twists postmoderne Regeldehnungen auszuführen, sondern einfach nur, um die Bogensehne zu spannen und zu sehen, wie sie wieder in ihre Urform zurückschnellt – und was derweil mit dem Pfeil passiert.

Dass die Regeln also relativ unumstößlich sind, befreit die Autoren von der Last, etwas Bedeutungsvolles mit dem Szenario anzustellen. Zwar sind die Ereignisse aus dem Film mit dem Film im Film verankert und sie führen sogar am Ende zu berührenden Szenen, doch in erster Linie geht es um den Spaß im Camp. Parodiert werden dabei wie üblich die bedeutsamsten Slasher, allen voran wieder einmal „Freitag, der 13.“ und all seine Ableger, doch werden die vermeintlich einfallslosen Anspielungen immer treffend eingesetzt. Selbst wenn man der ironischen Betrachtung auf Jason, Michael und ihre Klone überdrüssig ist, muss man speziell das präzise Timing von Malin Akerman hervorheben. Hauptdarstellerin Taissa Farmiga überlässt ihr und anderen (speziell Adam DeVine als typisches Ekel und Angela Trimbur als aufgedrehtes Partygirl) das Rampenlicht, um ähnlich wie Alexander Ludwig („Vikings“) eine Stimme der Vernunft in diese irreale Welt zu bringen, in der niemand den nahenden Tod wirklich ernst zu nehmen scheint.

Texteinblendungen als physische Stolperfallen, Rückblenden als Dimensionstore und einsetzende Abspänne am Himmel gehören zu den vielen liebevollen Details, mit denen „The Final Girls“ letztlich für einen unerwartet hohen Unterhaltungswert sorgt, ohne deswegen tiefer in die Theorie zu langen als unbedingt notwendig.
:liquid7:

Visions
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Nach „Jessabelle“ ein weiterer Stangen-Grusler von Kevin Greutert, der sich ebenso hübsch gefilmt wie belanglos seinen Weg zur groß aufgebauschten Auflösung bahnt. Selten hat man die Konstruiertheit unerklärlicher Vorkommnisse im modernen Mystery-Horrorfilm deutlicher durchschaut als hier. Gerade retrospektiv, wenn man die ganze Auflösung kennt, wirkt der Aufbau von „Visions“ unheimlich billig und bequem. Die ganze Errungenschaft dieses Films ist im Grunde die Anatomie der Schlussszene, deren Einzelbestandteile man rückwirkend einfach auf die komplette Resthandlung verteilt hat und darauf vertraut, dass der fehlende Kontext für Schauergefühle sorgen würde.

Da auch die Motive rund um Kapuzengestalten, unheimliche Schaufensterpuppen und blutige Handabdrücke nicht gerade zu den innovativsten Erzeugnissen des Gegenwartskinos gehören, beginnt der dramaturgische Aufbau recht bald zu langweilen, zumal sich die Jump-Scare-Techniken zu sehr auf lange, ereignislose Einstellungen verlassen, die mit einem plötzlichen Buh-Effekt drohen.

Isla Fisher, die 2015 zum dritten Mal Mutter wurde, dürfte ob der Schwangerschaftsthematik in Interviews zum Film wohl mit einem persönlichen Zugang zum Drehbuch argumentiert haben und liefert eine annehmbare Leistung, muss in der absoluten Standardrolle eine jungen Frau mit vermeintlichen Halluzinationen allerdings auch keine Höchstleistungen bringen. Wenn man etwas wirklich Positives aus „Visions“ ziehen will, dann sind es die wahrlich fotogenen kalifornischen Weinberge und die sehr schmucke Landhausvilla an ihrem Fuße.
:liquid4:

Shut In
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Rollkragenpulli-Psychologie im verschneiten Landhaus, solche Stoffe beherrscht Naomi Watts wie eine Meisterin. Nach Durchsicht des Drehbuchs von Christina Hodson wird sie wohl auch deswegen zugesagt haben, weil sie sich in einer sehr produktiven Phase (alleine in den beiden vergangenen Jahren war sie in sieben Filmen zu sehen) vermutlich nicht allzu tief in die Rolle hat einfühlen müssen.

Die Routine sieht man ihr allerdings auch an. Gewitterwolken hängen tief in ihrem Blick, tagsüber hat sie die überforderte Pflegerin zu spielen und nachts in diversen Bett- und Raus-in-den-Schnee-Szenen das verschreckte Mäuslein, in den Alarmzustand versetzt durch unerklärliche Geräusche im Haus.

Was an Hodsons Drehbuch so gut sein soll, dass man es auf die Blacklist setzte, weiß dessen Verfilmung jedenfalls nicht zu vermitteln. Unbeholfen wird mit Anleihen aus dem Invasions- und Geisterkino jongliert, ohne jemals den gewünschten Zweck zu erzeugen, während man das unter der Oberfläche brodelnde Familiendrama samt Twist sogar regelrecht dilettantisch umgesetzt. Handlungsmotive bleiben nebulös, situative Schlussfolgerungen schwer nachvollziehbar. Vor allem aber entwickeln sie keinen echten Drive. Was in dem Haus geschieht, dessen Zimmer der Atmosphäre entsprechend in kühlen Farben gestrichen sind, sollte Suspense erzeugen, tut es aber nicht; vielleicht, weil sämtliche Spannungsmomente bei Hinz und Kunz abgekupfert wurden und sich zu ärgerlichen Filmklischees türmen. Als sich die Auflösung nach draußen verlagert (wo die Wahrheit erst ans Licht kommen kann) und dort Jack Torrances letzter Psycho-Run nachgestellt wird, ist der Kopfschüttel-Faktor längst so ausgeprägt, dass jedes positive Urteil verloren scheint – und das, wo die Kamera im Grunde die ganze Zeit über recht stimmungsvolle Bilder findet.
:liquid3:

Spider City
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Ähnlich wie „Lavalantula“ ein Grenzgänger zwischen B- und C-Movie, der sich wesentlich besser schlägt als so ziemlich alles, was die Asylum-Werke jemals verlassen hat, aber wiederum von einem „Arac Attack“ zum Frühstück verspeist wird und von einem „Arachnophobia“ nicht einmal mit dem A... der Spinndrüse angeschaut wird.

Anders als „Lavalantula“ nimmt sich das als 3D-Event vermarktete Werk des Creature-Feature-Spezialisten Tibor Takács auch viel zu ernst; dabei hätten Spinnen aus dem Weltraum zu einem ironischen Selbstverständnis eigentlich fast schon verpflichten müssen. Patrick Muldoon und Christa Campbell schlagen sich jedoch mit einer Miene durch die Achtbeiner-Horde, als müssten sie unter Zeitdruck ein Mittel gegen Krebs erfinden.

Dessen ungeachtet entwickelt „Spider City“ einen erstaunlich hohen Unterhaltungswert, der durch das Zusammenspiel der künstlichen Sets und Kreaturen in unterschiedlichen Ausmaßen erzeugt wird. Der Nachbau Manhattans durch Straßen, Hausfassaden und U-Bahntunnel offenbart seine Studio-Herkunft recht deutlich und wirkt dadurch recht klinisch und künstlich, allerdings sichert er damit zugleich den Eindruck, dass sich die Effektleute und Actionchoreografen in der selbst errichteten Spielwiese nach Belieben austoben können. Die Qualität der computererzeugten Spinnen ist in vielen Punkten ungenügend, gerade in Sachen Beschaffenheit und Schattenwurf, obwohl es speziell bei den handtellergroßen Exemplaren zu Beginn durchaus Momente gibt, in denen das typische Ekelgefühl eintritt, das man bekommt, wenn man ein besonders großes und widerliches Exemplar erblickt. Die Imitation der für Spinnen typischen Fortbewegung hat man also schon in schlechter gesehen. Echte Anflüge von Arachnophobie macht aber spätestens das schwache Design zunichte. Spinnenköpfe, die aussehen wie ein mutiertes Exemplar der „Critters“ und die Trompetengeräusche machen wie Dinosaurier aus einem 70 Jahre alten Abenteuerfilm, sind der Erzeugung von Gänsehaut jedenfalls nicht zuträglich.

„Sharknado“ und seinen absonderlichen Mutationen ist „Spider City“ trotz des kaum vorhandenen Humors allerdings in jedem Fall vorzuziehen.
:liquid5:

Der Ruf der Gradiva
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Alain Robbe-Grillets letzter Film schmiegt sich dank der staubigen Straßen Marrakeschs fast nahtlos in sein Gesamtwerk, greift aber stärker auf Konventionen zurück als gewöhnlich. Die Gralssuche nach (existenzialistischem) Sinn und (erotischer) Erfüllung führt über die bereits von vielen Filmemachern beschrittenen Wege eines – in diesem Fall - britischen Forschers in einem fremden Land, der sich geleitet von seinen Gefühlen bereitwillig auf eine Reise in den Mystizismus begibt, den ihm das Land bietet. Und dabei jede Warnung vor Gefahren ausblendet.

Der Zuschauer erlebt aus dieser Konstellation eine Mischung aus Angst vor dem Verderben, Abenteuerlust und Freiheitsempfinden. Diese regelrecht klassische Variante des Abenteuerfilms peppt Robbe-Grillet jedoch mit den für ihn typischen expressionistischen Mitteln auf: Wo die Taxifahrt mit einem vermeintlichen Blinden noch den poetischen, aber im Realismus verankerten Ton eines Jim-Jarmusch-Werks streift, führen schnelle Ortswechsel im Kontrast mit langen Einstellungen, das abrupte Verschwinden von Personen aus der Bildkomposition sowie theoretisierende Monologe zu einem abseitigen Filmerleben, das den Sprung der Hauptfigur in den selbst ausgehobenen Kaninchenbau auf effektvolle Weise unterstützt.

Das Wesen der Frau liegt auch diesmal wieder im Fokus des Regisseurs. Noch deutlicher als sonst mag er mit seinen Darstellungen auch männliche Opfer- und Machtfantasien bedienen, ist aber spürbar an einer komplexen Betrachtung interessiert, insofern er Frauen als Sklavinnen portraitiert ebenso wie als Liebende, mal abweisend, mal warmherzig und fürsorglich, aber auch als unnahbare Göttinnen. Zentral nähert sich Robbe-Grillet ihnen aus einer mythologischen Perspektive; entsprechend erklärt er die moderne Mythengestalt der „Gradiva“ zum Zentrum seiner Arbeit. Als fiktionale, unwirkliche Erscheinung taucht sie nahezu willkürlich mit Überblendungseffekten an bestimmten Orten auf und verschwindet ebenso schnell wieder. Es ist aber vor allem Dany Verissimo-Petit, die als Geliebte von Hauptfigur John Locke der Objektivierung des Weiblichen entgegenwirkt und dem Mystizismus etwas Greifbares gegenüberstellt.

Wenn auch deutlich zugänglicher als ein „Eden et l'après“, ist „C'est Gravida que vous appelle“ dennoch nur den geduldigsten Naturen zu empfehlen, die Erotik als etwas Komplexes betrachten, das sich nur langsam ausbreitet – und nicht immer auf schlüssigstem Wege.
:liquid7:

Elvis & Nixon
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Fotos können große Geschichten erzählen, die über den reinen Bildinhalt hinausgehen. Als Joe Rosenthal am 23. Februar 1945 sechs Soldaten dabei fotografierte, wie sie auf Iwojima eine amerikanische Flagge hissten, konnte er nicht ahnen, welche Symbolkraft seine Fotografie erringen würde. Clint Eastwood arbeitete die Umstände der Entstehung des Bildes sowie die zugehörige Schlacht mit „Flags Of Our Fathers“ und „Letters From Iwo Jima“ auf.

Nicht ganz so bekannt, aber dennoch eine Betrachtung wert ist ein Foto, das am 21. Dezember 1970 im Oval Office entstand. Darauf schüttelt der damalige US-Präsident Richard Nixon dem seinerzeit größten Rockstar der Erde, Elvis Presley, die Hände – eine absurd erscheinende Paarung, deren Zusammenkunft dieser Film zu rekonstruieren versucht.

Weil aus der Vorlage kein historisch bedeutsames Ereignis herauszuarbeiten ist, darf man handlungsbezogen 85 Minuten voller Nichtigkeiten erwarten, die grundsätzlich ins Leere laufen. Im Ziel wartet nicht etwa eine Heldensage oder ein außergewöhnliches geschichtliches Ereignis, sondern einfach nur ein Foto, wie es für hohen Besuch im Weißen Haus üblich ist. Regisseurin Liza Johnson hat mit Kevin Spacey und Michael Shannon zwei Schauspiel-Schwergewichte zu versorgen; die Qualität ihrer Arbeit hängt entscheidend vom Zusammenspiel der Beiden ab. Shannon nimmt figurenbedingt das Heft in die Hand. Die Exzentrik Presleys hat schon zu den absurdesten Abenteuern geführt („Bubba Ho-Tep“) und dieses hier liest sich gar nicht einmal weniger absurd: Der Rockstar will seinem Land etwas zurückgeben und bittet beim Präsidenten um Audienz in der Absicht, einen Status als Sonderagent der Regierung zu bekommen.

Wie es trotz dieser absonderlichen Bitte dennoch zu dem Treffen kommen konnte, wird in einer Kette verrückter Entscheidungsbäume auf Regierungsebene gezeigt, die den trockenen Humor zur Folge hat, den man bei der Synopsis dieses Films hat erwarten können. Shannon, der nicht einmal unbedingt wie Presley aussieht, entwirft ein durchaus interessantes Portrait, das über die kultivierten Zerrbilder seiner unsterblichen Armee von Kopisten hinaus geht, auch wenn es die Ich-bin-mehr-als-nur-der-King-Nummer etwas zu plump vermittelt. Entsprechend schwachbrüstig wirken fast alle Szenen, die er gemeinsam mit Alex Pettyfer oder Johnny Knoxville zu bestreiten hat.

Erst als er mit seinem eigentlichen Co-Star zusammengeworfen wird, beginnt die etwas krude Grundidee zu wirken. Spacey ist vorzüglich als Nixon, hat von der Körperhaltung bis zur knautschigen Mimik alle Finten drauf. Obgleich er der passive Part ist, wirkt sich seine Beteiligung automatisch extrem positiv auf Shannons Leistung aus. Die Unterschiedlichkeit der Charaktere wird zur Lunte für den Spannungsanteil, der von Drehbuch wegen eigentlich gar nicht da sein sollte – eine Schüssel mit Smarties oder ein Autogrammwunsch können da zu Auslösern für unausgesprochene Machtspiele zwischen Männern werden, die alles trennt und nur ihre Berühmtheit eint.

Bei den intimen Momenten Presleys hat man versäumt, mehr Tiefe einzubringen, doch das den unspektakulären Umständen entsprechend trockene Treffen zwischen Präsident und Rockstar hat unbestreitbar seinen Reiz, auch wenn der Abspann allen Vorwarnungen zum Trotz in Ratlosigkeit zurücklässt: Was war das denn gerade?
:liquid6:

The Walking Dead – Season 5
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Für einen adrenalinsteigernden Cliffhanger wie jenen, der am Ende der vierten Staffel platziert wurde, handelt man den Schauplatz Terminus nun womöglich etwas zu hastig ab. Binnen einer Episode ist der Spuk vorbei und Ricks Gruppe muss sich „nur“ noch mit den Nachwirkungen herumschlagen. Trotzdem war der Besuch bei der vermeintlichen Endstation einer langen Reise von großem Nutzen, um die Wirkung dieser fünften Staffel zur Entfaltung zu bringen.

Erst mit den Erfahrungen von Terminus bekommt die herbeigesehnte Rückkehr in die Zivilisation nämlich ihren perfiden Twist, der die Menschlichkeit in der Gruppe der Überlebenden in Frage stellt. Wenngleich sich die Muster oberflächlich längst wiederholen, ringen die Autoren dem Situativen immer wieder neue anthropologische Erkenntnisse ab. Infolge der Fokussierung auf das Terminus-Substitut „Alexandria“ wird ein zusätzlicher Nebenstrang um ein nach strengen Regeln geführtes Krankenhaus sogar unter Gebühr verkauft; selbst aus diesem Mikrokosmos sozialer Normen hätte man noch mehr Substanz ziehen können.

Die spannendere Beobachtung ist aber dann doch, wie Menschen, die Monate ihres Lebens mit der Gefahr im Nacken verbracht haben und gar kein anderes Leben mehr kennen, mit einer unverhofft sich bietenden Luftblase der Sicherheit umgehen. Das Ergebnis ist eine komplexe Studie zu Faktoren wie Misstrauen oder Gewöhnungsmustern, auch wenn dies bedeutet, dass einige Charaktere recht wunderliche Züge anzunehmen beginnen (Melissa McBrides freundliches Lächeln, während sie in biederner Hausmütterchen-Tracht steckt, wirkt gruseliger als jeder der vielen Zombies).

Auch wenn man nicht so weit gehen will zu behaupten, der Tod könne jeden ereilen, so gehen die Drehbücher doch nicht zimperlich mit den Figuren um und fordern auch gerne mal Opfer unter den sympathischeren Zeitgenossen. Der oftmals geäußerte Vorwurf, die Zombies seien gar keine echte Bedrohung mehr, ist kaum nachzuvollziehen; dass die Mitglieder der Gruppe sich an die neuen Lebensumstände gewöhnen, ist nur allzu logisch und durch unglückliche Fügung von Umständen oder manchmal auch nur aus Unachtsamkeit entstehen immer wieder bedrohliche Momente, die normalerweise mit dem gewohnten Maß an Erbarmungslosigkeit zu Ende geführt werden. Mit memorablen Make-Up-Effekten, diesmal unter anderem repräsentiert durch aufgedunsene Wasser-Zombies oder die wie Kaugummi am Asphalt klebenden Zombie-Schmierflecken auf dem Parkplatz des Krankenhauses, folgt man auch weiterhin der Tradition, die bittere Ironie der Apokalypse auszukosten – und sorgt bei konstant sich steigernder Gesamtqualität für einen stabilen Unterhaltungswert.
:liquid8:

Weitere Sichtungen:
Underworld - Blood Wars
Deadly Home
Guardians Of The Galaxy Vol. 2

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Beitrag von McClane » 02.05.2017, 14:14

Zu "Contamination": Den sehe ich ähnlich. Ein paar nette Momente in einem Meer aus Langeweile. Meine These, dass man einfallsarme Filme daran erkennt, dass jede Autofahrt ausführlich bebildert werden müssen um auf Spielfilmlänge zu kommen, wurde von dem Cozzi-Film klar bestätigt.
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Beitrag von Wallnuss » 02.05.2017, 18:37

Schöne Worte zu Whiskey Tango Foxtrott, den ich mit 9 Punkten allerdings sehr euphorisch bewertet habe (wozu ich auch nach wie vor stehe), wohl auch, weil ich ihn gar nicht sperrig empfand und das Thema derart unkompliziert authentisch auf die Leinwand gebannt wurde, dass es mich gar zu Szenenapplaus hat hinreißen lassen und das passiert mir doch eher selten. Tina Fey und Margot Robbie waren großartig, Martin Freeman und Alfred Molina so gut wie lange nicht mehr.

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Beitrag von Vince » 21.05.2017, 06:39

Die toten Augen des Dr. Dracula
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Sich in Mario Bavas Oeuvre einen Lieblingsfilm zu erschließen, ist ein höchst individueller Prozess, da er der Filmgeschichte eine ungewöhnlich breite Palette hochklassiger Werke vermachte, bei denen die Favoritensuche hauptsächlich von Details und persönlichen Präferenzen abhängig gemacht werden kann. Im vorliegenden Fall ist er aber spürbar auf einer Höhe seines kreativen Schaffens angelangt, ganz objektiv betrachtet – selbst wenn man „Operazione Paura“ nicht direkt zu seinen persönlichen Favoriten zählt, so sollte man doch erkennen, wie er Konventionen begründet, Klischees bereitet und Nachfolger inspiriert hat.

Das für Bava so zentrale Gothic-Horror-Flair erreicht, beflügelt von der schemenhaften Aura des Geister-Themas, seine maximale Leuchtkraft. Als optischer Illusionist erringt der Regisseur diesmal ein Ausdrucksniveau, das ihn tief in den psychologischen Surrealismus befördert. Grell pulsieren die Ecken des Schlosses und der angrenzenden Dorfgemeinde in den Grundfarben und darüber hinaus, die exzessive Nutzung spiralförmiger Kamerafahrten und die Asymmetrie der Geistererscheinungen erzeugt ein Ohnmachtsgefühl, das mit jenem aus Hitchcocks „Vertigo“ konkurrieren kann. Unheimliches Kinderlachen bildet den Soundtrack; anknüpfend an Fritz Langs „M“ inszeniert Bava einen springenden Ball als deiktischen Verweis auf etwas Schreckliches, das im Off verborgen liegt und entwickelt es weiter als Werkzeug des Teufels, was Frederico Fellini später mit seinem Segment des Episodenfilms „Außergewöhnliche Geschichten“ im direkten Verweis auf „Operazione Paura“ auf den Punkt perfektionierte.

Die Nüchternheit des Erklärenden schwingt in detektivischer Ermittlungsarbeit zwar mit, doch die zum Schneiden dicke Atmosphäre lässt sie nie wirklich zur Entfaltung kommen. Mit hoher Dominanz unnatürlicher Ereignisse wird der Skeptizismus noch im Keim erstickt, zumal auch neutrale Kameraperspektiven ohne Darstellerbeteiligung sich auf die Seite des Unnatürlichen schlagen – wenn etwa eine leere Schaukel der Kamera ein schwankendes Bild auf einen unheimlichen Platz bietet, der von Nebel regelrecht befallen ist.

Gelegentlich reichen die Auswirkungen des Geistertreibens mit punktuellen Gore-Szenen aus dem Metaphysischen ins Physische rein, nie jedoch lange genug, um die Grenzen zum Terrorfilm zu überschreiten. Meist zupfen und zerren unsichtbare Hände vielmehr an den Spinnweben des Unterbewusstseins und stellen sich auf diese Weise die Acid-Variante eines Poe'schen Gruselszenarios zusammen.

Oftmals reicht Bava dann ein kurzer Moment im Finale, um seine ohnehin kunstvollen Regiearbeiten endgültig zu veredeln; diesmal gönnt er sich gar einen minutenlangen Psychotrip mit allem Erdenklichen, was man David Lynch mit auf den Weg hat geben können. Und setzt so den herausragenden Schlusspunkt unter eine seiner besten Arbeiten.
:liquid9:

Hentai Kamen 2
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Der Perversion ist offenbar noch nicht Genüge getan und so schwingt sich der seltsamste Superheld der Filmgeschichte zum zweiten Mal per Bondage-Seil durch Hochhausschluchten und lässt seine Schlüpfer gefährlich schlackern. Glücklicherweise herrscht dort oben noch wenig Verkehr, denn was würde Tante May sagen, wenn sie einen Blick nach oben wagt, um die Sonne zu genießen, nur um dort das herzensgute Gesicht ihres lieben Peter bei einer Netzschwingerkollision in den Weichteilen eines japanischen Nachahmers vorzufinden...

Sich immer noch ausschließlich auf „Spider-Man“ zu beziehen und nicht nur einzelne Szenen, sondern ganze Storybögen auszuborgen, lässt die Fortsetzung zur erfolgreichen Manga-Verfilmung „Hentai Kamen“ recht uninspiriert wirken. Kennt man den ersten Teil, so hat der zweite kaum Neues zu bieten; noch mehr Genitalien-Reiberei in Borat-Suit-Motion, noch mehr ausgefallene Super-Moves, noch mehr Exhibitionismus und Fetischismus eben. Eine Portion typisch japanischen Uplevelns, um auf die nächste WTF-Stufe zu gelangen, hätte gut getan; dazu verlässt sich das Skript aber zu sehr auf die Marvel-Dramaturgie, so dass selbst der Besuch bei einem Meister der Perversion nur zu einem mäßigen Aha-Effekt führt.

Zwar müht sich die Grundidee (ein Staubsauger-Bösewicht saugt alle Höschen Japans ein und beraubt Hentai Kamen somit seiner Superkräfte) intensiv um eine absurde Ausgangskonstellation, doch wird diese nur bedingt genutzt. Die gewöhnungsbedürftige Darstellung des Endgegners mit einer gefühlten Mischung aus CGI und Stop-Motion genießt höhere Priorität und führt zu einem generischen Endergebnis, das nur dann seine Wirkung entfalten kann, wenn man das Original ausgelassen hat.
:liquid5:

Nightmare City
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Das armselige Pizzafladen-Make-Up lässt alleine schon genug Zweifel aufkommen, ob man irgendetwas von Wert aus Lenzis Zombie-Klamotte wird ziehen können. Vollkommen klare Statistenaugen lugen suchend hinter der ungleich verteilten Talgmasse hervor und verströmen ein volles Bewusstsein für sich selbst, für ihre Opfer und die Situation, was der offensichtlich verminderten Artikulationsfähigkeit zu widersprechen scheint. Athletisch erweisen sie sich als die Großväter der 28-Days-Later-Infizierten, der Antrieb ihres Handelns jedoch bleibt vage – einige Exemplare verhalten sich wie Amokläufer, andere agieren in Gruppen; und viele von ihnen werden offenbar immer noch vom Steuerknüppel südlich ihres Bauchnabels dirigiert.

Hat der Gewöhnungseffekt für die merkwürdige Zombie-Lesart, den schäbigen Euro-Look und kostengünstige Masken- und Gore-Effekte jedoch einmal eingesetzt, beginnt man den Rhythmus zu spüren. Gerade weil die vermeintlichen Untoten sehr frei angelegt sind, bedeuten sie für die von Romeros Schunklern dominierte Subsparte einen großen Gewinn, der mit geringen Mitteln eingefahren wird. Obgleich von Dilettanten verkörpert, die scheinbar ohne genaue Regieanweisungen aufs Set spazieren wie eine Herde Schweine in eine Stierkampfarena, deutet Lenzis Zombie-Interpretation eine Gleichgültigkeit gegenüber moralischen Werten und sozialen Normen unter weitestgehender Beibehaltung kognitiver Leistungen an, was den kritischen Gehalt des Films gegenüber Militär und Wissenschaft auf eine durchaus sehr spezielle Weise wirken lässt, selbst wenn ein Großteil der Wirkung aus Verlegenheit entstanden sein dürfte. Dennoch: mit beachtlich hohem Tempo rauscht Lenzi durch sein straffes, trotz vieler Nebenschauplätze geradliniges Handlungsgerüst und erzeugt immer wieder stimmungsvolle Szenenbilder, die einer apokalyptischen Kulisse durchaus gerecht werden. Der Hubschrauberblick auf ein Feld voller Verstrahlter beispielsweise nimmt eines der heute sehr ikonischen Motive des Zombiefilms vorweg.

Der derbe und doch sehr reichhaltige Soundtrack, der nicht nur auf den Carpenter-Synth-Effekt vertraut, sondern durchaus schöne Bass- und Pianolinien verfolgt und mit ironisch verzerrten Disco-Jazz-Elementen vermengt (Aerobic-Dance-Szene), rundet die gelungene Atmosphäre ab. Auf dem Original-Negativ-Transfer der Arrow-Veröffentlichung wird sie darüber hinaus mit Grindhouse-Merkmalen verfeinert, da der prinzipiell sehr scharfe Transfer stellenweise mit Verfärbungen durch chemische Reaktion durchsetzt ist, was zwar objektiv einen Mangel darstellt, dem Flair jedoch sogar zugute kommen kann.

Und das Ende, ja, man liebt oder hasst es inniglich; je nach Perspektive killt es die Stimmung oder dreht sie erst richtig auf. Zum Laissez-Faire der Resthandlung jedenfalls bildet es einen steilen Kontrast (siehe auch „La Revanche Des Mortes Vivantes“), immerhin aber steht es für Konsequenz, nachdem man eine Filmlänge nach mit der Frage beschäftigt ist: Zombie oder Atommutant?
:liquid6:

The Finest Hours
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Erstes Filmsemester: Zeige Zwischenmenschliches, damit deinem Publikum das Schicksal der Figuren nicht am Allerwertesten vorbeigeht. Deswegen beginnt „The Finest Hours“ mit dieser aufregenden, sorglosen Jugendphase des Kennenlernens einer großen Liebe, wie sie sonst pathetischen Antikriegsfilmen zu eigen ist. Craig Gillespie erzwingt die Magie geradewegs, als er zwei junge Burschen zum Date in einer Bar mit anschließendem Bootsausflug bei Nacht begleitet – und Chris Pine und Holliday Grainger in einen intimen Kokon strickt, der die Liebe erblühen lässt.

Auf dieser Grundlage lässt das Drehbuch nun das echte Leben sprechen. Die geschilderte Rettungsaktion basiert auf einem Erfahrungsbericht, der in das Buch „Finest Hours: The True Story of the U.S. Coast Guard's Most Daring Sea Rescue “ eingearbeitet wurde. Geschickt verknüpft das Skript die Erzählstränge um die Katastrophe an Bord der SS Pendleton rund um Casey Affleck einerseits und Chris Pines kühner Mission andererseits in einer fortlaufenden Parallelmontage und reichert beide Flanken mit wuchtigen Bildern stürmischer See, demolierter Schiffskörper und eindringender Wassermassen an, visuell oft an Wolfgang Petersens „Der Sturm“ anknüpfend.

Pine spielt einen etwas verunsicherten, aber tugendhaften Mann, der in einer Extremsituation seine Führungsstärke beweisen muss; ebenso wie Affleck auf der anderen Seite. Es ist spannend, die jeweilige Entwicklung der Leads beider Erzählstränge zu beobachten und miteinander zu vergleichen – indes Pine sich vor allem gegen Hindernisse am Festland durchsetzen muss, hat Affleck mit seiner Crew zu kämpfen.

Es ist schwierig, von dieser gekonnten Collage unberührt zu bleiben, auch wenn der Gesamtrahmen dann doch typisch vorhersehbare Disney-Formen annimmt – gestorben wird wenig, und wenn, dann möglichst stillschweigend, die Hauptfiguren verfolgen rechtschaffene und nicht zuletzt selbstlose Ziele. Als Katastrophendrama jedoch zieht „The Finest Hours“ mit packenden Bildern sämtliche Register.
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Sie nannten ihn Jeeg Robot
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Perspektivwechsel bereichern das Leben. Als Alternative zum allseits bekannten Marvel- und DC-Kosmos darf man gerne mal den – normalerweise vermutlich selten gewagten - Blick auf das italienische Superheldenkino richten; Fachkundige kennen vielleicht noch „Il Ragazzo Invisibile“ (2014), sonst schaut's vermutlich schon düster aus. Und wie aus dem Nichts springt auf einmal ein Kleinganove in den Tiber, wird wie einst der „Toxic Avenger“ mit radioaktivem Müll verseucht und bekommt eine auf den ersten Blick amerikanisch klingende Lektion in Sachen Verantwortungsübernahme.

„Jeeg Robot“ richtet sich jedoch insgesamt weniger nach den Regeln des US-Kinos, sondern mehr nach jenen japanischer Filme, basiert die Handlung doch auf dem Manga „Steel Jeeg“, das die in Rom spielende Produktion zwar nicht direkt adaptiert, aber doch zu seinem direkten Meta-Bezugspunkt macht. Während Hauptdarsteller Claudio Santamaria als störrischer Einzelgänger zwar eine sehr solide Leistung bringt, stellt sich jedoch Ilenia Pastorelli in ihrem Filmdebüt schnell als Dreh- und Angelpunkt des Films heraus: Mit ihrer Begeisterung für die genannte Anime-Serie, die sie durch ein ungewöhnlich verrücktes Charakterprofil überaus faszinierend in die gültige Filmrealität transferiert, entwickelt sie sich zum absoluten Herzstück, für das man derart viel Interesse aufbringt, dass man bis zum Abspann zwanghaft versucht, aus ihr schlau zu werden. Dies wiederum überträgt sich auch positiv auf den eigentlichen Hauptdarsteller, der das Gleiche versucht und ähnlich wenig Erfolg hat.

Obgleich es sich um eine sehr hochwertige Produktion mit A-Klasse-Werten in Disziplinen wie Kamera, Schnitt oder Regie handelt, wird relativ wenig Wert auf Spezialeffekte gelegt. Die Superkraft Jeegs wird effizient, aber ohne großes Spektakel in Szene gesetzt und bleibt dem Kriminellen-Milieu über eine entsprechende Wahl von Schauplätzen treu; selbst das Finale rund um ein Fußballspiel im Olympiastadion findet überwiegend im Außenbereich statt. Das mag nach Kompromissen klingen, schafft aber Platz für zwischenmenschliche Momente, die dieser Film ausreizt wie keine Marvel-Verfilmung bis dato. Luca Marinelli könnte als Villain im Crazy-Harlekin-Stil je nach persönlichem Geschmack als zu dick aufgetragen empfunden werden, hat aber in jedem Fall kein Problem, seine meist blassen US-Pendants auf die Plätze zu verweisen.

Ein paar Längen trüben den Fluss und dem Spektakelwert der großen Hollywood-Produktionen kann und will „Jeeg Robot“ nicht nacheifern, aber es handelt sich um einen überraschend reichhaltigen Genre-Beitrag, der seine Charaktere nicht zu Narren erklärt, sondern lieber sorgfältig ausarbeitet.
:liquid7:

The Woman
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Wenn Lucky McKee vor allem die Drastik einer typischen Jack-Ketchum-Erzählung einfangen sollte, so ist ihm das mit „The Woman“ zweifellos gelungen. Über „The Lost“ (2006) und „Red“ (2008) hat er bereits Erfahrungen mit der Adaption vom Material des Autoren machen können und lässt diese nun einfließen, um das Fleisch bis auf die Organe abzuschälen und hartes Terrorkino daraus zu gewinnen, mit dem vor allem der dunkle Kern der menschlichen Natur freigelegt werden soll.

Schon in Ketchums Romanen schwingt angesichts der geschilderten Brutalität oft so etwas wie resignierender Humor durch; im Film führt erst recht kein Weg an einer zynischen Abstrahierung dessen vorbei, wozu der Mensch als solcher offenbar in der Lage sein kann. Was schon wie ein ironisches Zerrbild des Perfect American Life beginnt, endet folgerichtig im viehischen Exzess und demzufolge mit einem Bein in der Pulp-Unterhaltung aus der B-Sparte. Ob man nun patriarchale Strukturen betrachten möchte oder den Blick geschlechtsneutral auf die Dynamik von Aggression und Passivität legt, „The Woman“ entpuppt sich als zutiefst expressives Kammerspiel, bei dem es der Intensität keinen Abbruch tut, ob man nun Sean Bridgers beim Machtmissbrauch, Zach Rand bei der Imitation, Angela Bettis beim Nichthandeln oder Pollyanna McIntosh beim Abwarten zusieht.

Die Aussage des Filmes ist in vielerlei Hinsicht von Härte und Gerechtigkeit beseelt und sucht nach einem kosmischen Ausgleich, der ihn weniger als realistisches Psychodrama dastehen lässt als vielmehr wie eine blutige Fabel mit moralischer Essenz. So ist es nicht unbedingt wie bei einem typischen Home-Invasioner die Situation, die den Zuschauer zermürbt auf der Couch zurücklässt, sondern die generelle Vorstellung davon, wie bestialisch das vermeintlich Normale sein kann.
:liquid8:

Taboo – Season 1
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Mann gegen System. Ausgestattet mit hinterhältigen Mordversuchen, klugen Ausweichmanövern und raffinierten Gegenschlägen erzählt James Delaneys Kampf gegen die Britische Ostindien-Kompanie dem aufmerksamen Beobachter aktueller Agententhriller-Serienware nicht unbedingt Neues. Der rußige Gutenacht-Look des 200 Jahre alten London und die grimmige Hauptfigur hingegen behaupten etwas Originäres. Die herbe Hafenkulisse mit Kontrasten aus schäbigen Unterkünften auf der einen und edlen Bauwerken auf der anderen Seite zeugt von einer erlesenen Produktionsqualität. Hardy, der die Hälfte seiner Zeit wie der Grim Reaper im schwarzen Mantel mit schwarzem Hut verbringt und die andere hosenlos im Nachthemd, seine Ganzkörper-Tribals offenbarend, knüpft zähneknirschend und aus tiefster Kehle grummelnd an viele seiner Filmrollen an – ein geschändetes, kaputtes, vom Leben gezeichnetes Wesen, das einem bereits geschlagenen Boxer ähnelt, der jederzeit aus dem Nichts mit einem Uppercut wieder in den Kampf zurückfinden könnte.

Da der übrige Cast nicht minder kernige Typen hervorbringt (etwa Stephen Graham oder Franka Potente mit entstellendem Make-Up, Kostümen und Figuren), verbreitet sich die Schwärze über die gesamte Serie. Damit verbunden ist eine zähflüssige Fortentwicklung des Plots, der manchmal regelrecht auf der Stelle zu verharren scheint; und doch ist es überraschend, welche Entwicklungen sich binnen acht einstündiger Episoden fast unbemerkt ergeben haben.

Ähnlich wie bei der ersten Staffel von „Boardwalk Empire“ hat man das Gefühl, der Inhalt werde der hochwertigen Machart noch nicht ganz gerecht, könnte aber den Grundstein gelegt haben für ein packendes Gesamtwerk. Staffel 2 ist bereits bestätigt.
:liquid7:

Weitere Sichtungen:
Silent Trigger
Die Glorreichen Sieben (2016)

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Beitrag von MarS » 22.05.2017, 13:33

Ich konnte mir schon den ersten Teil von "Hentai Kamen" nicht geben. Ich schau mir ja gerne mal Trash an. Mit diesem Nonsens kann ich aber absolut nichts anfangen. Wie hält man so einen Streifen nur durch?

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Beitrag von Vince » 22.05.2017, 16:21

Ich mag einfach alles, was anders ist. Und Hentai Kamen ist definitiv anders. :lol:

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Beitrag von Vince » 11.06.2017, 11:10

Vaiana – Das Paradies hat einen Haken
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Mit „Vaiana“ erzählen die Disney Studios eine höchst lebendige und extrem dynamische Fabel, deren Massen-Appeal durchaus abzusehen war. Reizvoll erscheint insbesondere die vitale Mischung aus traditionellen und modernen Elementen – während ein wieder deutlich angehobener Musical-Anteil, niedliche Tierbegleiter und ein fein ausgearbeiteter Handlungsbogen den Wohlfühl-Komfort des klassischen Disney-Kinos anpeilen, sorgt das exotische Ambiente, eine ordentliche Portion fremdländischer Mythologie und vor allem die unangepasste, nicht auf Prinzessinnen-Schablonen genormte Titelheldin für die notwendige Frische.

So erinnert das Ambiente unter Wasser zwar an „Arielle die Meerjungfrau“ und jenes über Wasser an „Lilo & Stitch“, gerade Letzterer gilt aber ja als einer der unkonventionellen Publikumslieblinge und es ist sicher nicht falsch, dass versucht wird, ihn wieder in Erinnerung zu berufen. Gesang indes ist immer eine Geschmacksfrage, wenigstens die Einlage des Krebses Tamatoa überzeugt mit einem fröhlich klingenden Song, der verbunden mit der akuten Bedrohung in der Filmsequenz einen klar ironischen Schlag bekommt, der mit einer Post-Credit-Sequenz noch einmal schön aufgegriffen wird.

Obwohl die beiden Hauptfiguren ein harmonisches Paar bilden und mit ihren entgegengesetzten Ansichten viel Dynamik in die Wasserreise bringen, die von den Animatoren verspielt und kraftvoll illustriert wird, peilt „Vaiana“ natürlich in erster Linie ein Massenpublikum an und muss den reichhaltigen Fundus polynesischer Kultur zwangsläufig stark vereinfachen, um diesem Ziel gerecht zu werden. Wer auf der Suche nach einer erwachsenen, tiefgründigeren Alternative ist, die sich mit der Mythologie eines fernen Landes beschäftigt, sollte den Blick eher auf „Kubo And The Two Strings“ richten.
:liquid7:

Wie schmeckt das Blut von Dracula?
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„Wie Tomatensaft in einem Flugzeug“, möchte man der Fragestellung aus dem deutschen Titel entgegnen. Das Vakuum gut konservierter Zeitgeschichte hält diesen vierten Teil der Hammer-Reihe um Christopher Lees Blutsauger dickflüssig, kräftig und vollmundig, entsprechen die viktorianischen Kulissen mitsamt der detailreichen Matte Paintings reflektiert auf einem High-Definition-TV doch wieder der zeitgemäßen Vorstellung rustikaler Inneneinrichtung und passen somit als Kontrast hervorragend ins Dekor eines modernen Wohnzimmers.

Dass die Mode aber wieder auf Altes aufmerksam wird, spricht eher für einen kurzzeitigen Geistesblitz ihrerseits und nicht etwa für Kurzlebigkeit eines alten Gruslers wie diesem. Dabei hat „Wie schmeckt das Blut von Dracula“ nicht einmal viel offensiven Grusel zu bieten. Christopher Lee kommt nur auf wenige Minuten Screentime – dass Graf Fangzahn ursprünglich nicht einmal Teil des Skripts war, ist deutlich zu spüren. Sein Text beschränkt sich fast ausschließlich auf knappe Exekutionsanweisungen und einen mitgesprochenen Bodycount, der über 3 oder 4 kaum hinauskommt. Man sollte meinen, dass die Englischen Gärten mit Bewaldung sowie ein paar Gruften und Kapellen fast im Alleingang für die Stimmungserzeugung verantwortlich sind. Lees permanente Abwesenheit schließt jedoch seine Omnipräsenz nicht aus, ist sein immanenter Einfluss doch im Subtext einer jeden Dialogzeile verborgen.

Der Plot ist derweil längst vom Urmaterial entfremdet und lediglich durch eine unendlich wirkende Kausalkette mit den Vorgängern verbunden; so knüpft die Pointe der Eröffnungssequenz einmal mehr an die Abschlusssequenz des Vorgängers an. Mit einfachen, aber effektiven Trickeffekten, einem sich selbst mit Blut füllenden Kelch beispielsweise, hält Peter Sasdy den Schauwert stets auf einem annehmbaren Niveau. Dracula selbst wird in Pulver-, Blut- und Fleischesform dargeboten und damit schlussendlich als körperlose Gestalt gezeichnet, für die Materialisierung und Entmaterialisierung scheinbar keine nennenswerte Hürde darstellt. Das verleiht ihr eine Mischung nichtmenschlicher Stärken und Schwächen, die immer noch faszinierend sein kann, selbst wenn der Plot als solcher längst ein gewisses Beliebigkeitslevel erreicht hat.
:liquid6:

Passengers
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Das leere Schiff liefert in der Theorie ein wunderbares Set für eine hervorragende Science-Fiction-Geschichte, wird in der Praxis aber leider zur treffenden Metapher für den vom Drehbuch ungenutzten Raum. Was hier sowohl Richtung Psychodrama der Marke „Robinson Crusoe“ als auch Existenzhorror nach Art von „Moon“ theoretisch möglich gewesen wäre, deuten einzelne Momente beim Rundgang des einsam Erwachten durch den gigantischen Raumkreuzer an; hat Chris Pratt jedoch einmal Jennifer Lawrence aus dem Tiefschlaf geholt, stellt sich die vielversprechende Kulisse in den Dienst einer profanen romantischen Erzählung, die weniger philosophisch ist als sie zu sein vorgibt.

Michael Sheen etwa weckt in seiner Support-Rolle nicht ganz unabsichtlich Erinnerungen an die Androiden aus „Alien“ ebenso wie an den Barkeeper aus „Shining“ und streut damit beunruhigende Gedanken an eine bevorstehende Katastrophe, entpuppt sich trotz aller Andeutungen letztlich aber enttäuschenderweise bloß als Stichwortgeber und Funkenleiter zwischen Mann und Frau. Ein paar mit Schwerkraft spielende Effektszenen greifen später begierig nach der technisch-wissenschaftlichen Ausrichtung eines „Gravity“ oder „Der Marsianer“ und erheben den Anspruch auf Realismus, können aber niemals in vergleichbarer Form aufzeigen, wie ausgeliefert die Figuren ihrer eigenen Technologie sind.

Noch dazu ist das Star-Gespann für den gesetzten Schwerpunkt falsch gewählt: Hätte man der durchaus interessanten Raum-Zeit-Konstellation mehr menschliche Tiefe geben wollen, hätte man vermutlich Darsteller wählen sollen, deren Anblick nicht automatisch auf kostspieliges Blockbusterkino hindeutet – wenn man schon in dieser Form mit teuren Produktionswerten und angesagten Schauspielern wuchtet, hätte man gerne noch ein, zwei zusätzliche Kniffe einbringen können, um wenigstens auf künstliche Weise für höhere Komplexität zu sorgen.

Einen Beziehungsfilm in einen Genre-Kontext zu setzen, ist nichts Verwerfliches, doch „Passengers“ geht die Sache von der falschen Warte aus an: Die Science Fiction wird nicht etwa als exotisches Gewürz verwendet, um ein menschliches Drama zu verfeinern; vielmehr wird sie mit Beziehungsballast porös gemacht, der aufgrund seines Star-Appeals und des unentwegten Augenmerks auf große Kinobilder nicht die Tiefe erlangt, die möglich gewesen wäre.
:liquid5:

Don't Knock Twice
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Ein weiterer Schritt in die Undefinierbarkeit dessen, was den übernatürlichen US-Gruselfilm der Gegenwart ausmacht. Vorbildlich saugt er zwar alle Einflüsse auf, die er bekommen an, spuckt sie aber völlig ungeordnet und planlos wieder aus. Sinnbildlich wird als Ursprung des Übels, das einmal mehr aus dem traurigen Schicksal einer Figur aus der Vergangenheit besteht, ein altes Haus präsentiert, wie man es in typischen Horrorfilmen in der suburbanen Einöde einer vergessenen Nachbarschaft erwarten würde. Hier jedoch steht es isoliert mitten auf einem Autobahneck, als habe sich die Zivilisation ihren Weg einfach drumherum gebaut.

Ein bizarr-schönes Motiv, würde es nicht ausgerechnet die Marschrichtung für das Drehbuch vorgeben. Katee Sackhoff spielte ja erst kürzlich die Hauptrolle in einem auch nicht eben geradlinigen Vertreter gleicher Gattung ("Oculus"), muss sich diesmal aber mit konstant tapferer Miene durch wesentlich bruchstückhaftere Komponenten kämpfen, die für sich betrachtet zwar handwerklich solide Qualität aufweisen, jedoch nie ihre rote Linie finden. Bezugspersonen, Handlungsmotive, Dramaturgie, all das wirkt wie ungünstig versetzt; es gelingt trotz Bemühens nicht einmal, eine nachvollziehbare, simple Horror-Mechanik zu entwerfen, womit ja beispielsweise David Sandberg in seinem Langfilm-Debüt "Lights Out" zuletzt recht erfolgreich war. Das doppelte Klopfen zieht sich zwar durch den gesamten Plot, um den Zuschauer in einen permanenten Zustand der Verunsicherung zu versetzen, ja man wagt sich dabei sogar in Situationen hinein, in denen man ein Klopfen nun wirklich nicht erwarten würde, doch wirklich spielbestimmend wird es nicht.

Immerhin zünden einige Jump Scares, auch weil sie eine billige (weil einfache) Umsetzung trotz des klischeehaften "Knock Knock" von sich zu weisen versuchen, so dass auch ein geübtes Publikum durchaus seine Freude haben kann. Aber von einem Kracher oder auch nur Geheimtipp ist "Don't Knock Twice" zu weit entfernt. Um diesen Status zu erreichen, wäre ein klares Bekenntnis für eine Richtung notwendig gewesen.
:liquid4:

Captain Fantastic
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„Captain Fantastic“ erzählt mit exzentrischer Geometrie, schrillen Farbspektren und harten Kontrasten davon, wie sich der Intellektualismus von den sozialen Etablissements zurückzieht, mit denen die gesamte Zivilisation errichtet ist. Dies tut er exemplarisch anhand der Konstellation um einen hochintelligenten Sonderling und seine sechs Kinder, denen er mit bestimmter Hand den Wert von Bücherwissen ebenso beibringt wie das Ausleben von Individualität und Rationalität. Grundsätzlich wertvolle Lektionen, die aber, so lehrt uns der Film, fern des gesellschaftlichen Kontextes irgendwo draußen im Wald keinen richtigen Zweck erfüllen.

Mit Viggo Mortensen ist die komplexe Hauptrolle vortrefflich besetzt, er fügt ihr extreme Charaktereigenschaften zu, ohne sie zum einseitigen Extremisten zu machen. Matt Ross, der bisher hauptsächlich als Schauspieler in Erscheinung getreten ist und hier erst seine zweite Regiearbeit vorlegt, schafft es trotzdem nicht, die in der Wildnis lebende Gruppe von dem Eindruck zu befreien, man habe es mit einer Mäusefamilie unter einer Glasglocke zu tun. Ob die Kinder nun Buchinterpretationen vortragen, Jagdtechniken anwenden oder mit eigenen Worten geschichtliches Wissen wiedergeben, Ross zeigt diese Szenen stets in der Absicht, dass jede noch so komplex erlernte Fähigkeit noch nicht dem Anspruch des Menschsein gereicht – und dass nichts den Austausch mit der Welt da draußen ersetzen kann, egal wie dumm deren Regeln manchmal zu sein scheinen. Folglich bevölkert Ross seinen Film abseits seiner idealistischen Hauptfigur bloß mit emotionslosen Stereotypen, mit denen die aufgetragene Moralität stark angesäuert wird.

An dieser Stelle bleibt „Captain Fantastic“ auch inkonsequent an seinem geistigen Vorbild „Little Miss Sunshine“ haften, das die Anarchie im Finale erst richtig aufleben ließ. Auch hier gewinnt wieder das Chaos; wir bewegen uns schließlich in einer Welt, in der Noam Chomsky mühelos ein Popularitätsduell gegen den Weihnachtsmann gewinnt – eine wunderschöne Utopie im Grunde für jeden Intellektuellen. Und doch ist es am Ende der soziale Kontext, in den der Regisseur die wertgeschätzten Früchte der Familie Cash einbetten möchte. Dazu wiederum wäre jedoch mehr spürbare Menschlichkeit notwendig gewesen...
:liquid5:

Wenn der Klempner kommt
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Handwerklich macht das Siedlungsbauten-Kammerspiel um einen lästigen Klempner in der Wohnung einer verunsicherten Studentin den Anschein einer Fingerübung, auf welche die ganz großen Taten erst noch folgen sollen. Entstanden ist er allerdings einige Jahre, nachdem Peter Weir mit „Picknick am Valentinstag“ bereits einen der bedeutsamsten Mystery-Klassiker vorgelegt hatte. Den nachrückenden und mit der Erfahrung dieses Klassikers ausgestatteten Platz in der filmografischen Rangfolge erringt „The Plumber“ dann nach gründlicher Reflektion: Was die gesamte Laufzeit über wie ein Psychothriller mit leicht übertrieben angelegten Figuren aussieht, verwandelt sich flugs in ein manipulatives Spiel mit der Empathie des Zuschauers.

Ausgesprochen wenig benötigt Weir, damit sein minimalistisches Konzept aufgeht: Er dreht in einem kleinen Apartment in Adelaide mit Schauspielern aus der australischen Soap-Opera-Landschaft, leuchtet natürlich, fast im Dogma-Stil aus, liefert Close Ups und schiefe Winkel, banalen Smalltalk mit unbehaglichem Subtext. Die Tendenz zur Übervorsicht spielt er geschickt gegen Andeutungen von Gefahr aus und spricht damit die Angst vor Fremden in den eigenen vier Wänden an, vergönnt uns aber bis zum Ende nicht die Genugtuung, auf die Regeln des Invasions- und Terrorkinos zurückzugreifen, das wenigstens Erlösung verspräche. Die Situation mutiert in etwas zunehmend Unangenehmes, das sich im Rohrsalat des völlig aus der Form geratenen Badezimmers reflektiert, bricht aber nicht aus – so dass eine Auflösung, die für einen Spielfilm unspektakulärer eigentlich kaum sein könnte, dennoch alles in völlig anderem Licht erscheinen lässt.
:liquid8:

Into The Forest
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Für die arttypische Hinterfragung der etablierten Zivilisation entwirft "Into The Forest" eine dezent der Gegenwart vorgreifende Dystopie, die bestehende Technologie weiterdenkt, ohne sie das gesamte Produktionsdesign bestimmen zu lassen. Ein rahmenloser Glasfernseher und ein paar andere Medien sind alles, was auf eine nahe Zukunft hindeutet; ansonsten sind es eher Menschenleere, Benzin- und Lebensmittelknappheit, die Hinweise bezüglich der zeitlichen Einordnung geben.

Neben dem Zerfall des uns bekannten, automatisierten Gesellschaftsbildes sind es hier aber vor allem die Eckpfeiler familiärer Strukturen, die sich auflösen. Wie der Roman erzählt seine Verfilmung vom Überlebenskampf zweier Schwestern, deren Verhaltensweisen noch von der uns bekannten Normalität geprägt sind und die sich den Anfängen einer möglichen Endzeit stellen müssen. Das Elternhaus, ein imposantes Bauwerk aus Stein und Glas am Waldrand, zerfällt im Laufe der Monate, von denen der Film erzählt, in seine Bestandteile, und dokumentiert damit den wegbröckelnden Schutz vor äußeren Gefahren.

Anstatt stur auf den Überlebenskampf in der Natur zu deuten und einen Kontrast zum Großstadtleben erzeugen wollen wie etwa "Into The Wild" von 2007, nutzt "Into The Forest" sein Szenario für ein ungewöhnliches Coming-Of-Age-Drama. Obwohl Evan Rachel Woods Leistung neben der starken Ellen Page leider nur als zweckdienlich zu bewerten ist, findet dennoch ein ganz und gar spezielles Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen statt, dem keinerlei Filmklischees in die Quere kommen.
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Bosch – Season 3
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Das Gerüst der nun schon fast als langlebig zu bezeichnenden Amazon-Produktion ist inzwischen spürbar eingegroovt, auch komplexere Handlungsbögen werden ohne sichtbare Mühe ausgelegt. Bosch, der in der zweiten Staffel auch mal Leute durch Fensterscheiben warf, um seinem Unmut Luft zu machen, agiert inzwischen etwas beherrschter. Titus Welliver verzieht dabei wie gewohnt keine Miene und wirkt gerade dadurch seinen Gegnern gegenüber in jeder Situation überlegen, auch ohne dazu so offensiv die Alte-Schule-Nummer auszuspielen wie es die Vorgängerstaffeln zu tun pflegten – auch wenn sich einer seiner Widersacher in der Schlussfolge zu einem entsprechenden Spruch hinreißen lässt.

All das verhilft der Serie zu einem sehr robusten und seriösen Gesamteindruck, vermittelt sie doch überzeugend, auf die visuellen Spirenzchen der Konkurrenzformate überhaupt nicht angewiesen zu sein. Anstatt von Cases of the Week gibt es dabei wieder staffelübergreifende Verbrechensermittlung in mehreren Fällen. Sie alle sind spannend, ohne allzu Spektakuläres zu bieten; abgesehen von einem effekthascherischen Cliffhanger am Ende der achten Folge ist eher Feierabend-Schongang angesagt, ohne jedoch wie frei empfangbares Fernsehprogramm auf Köpfchen zu verzichten. Das Scriptwriting ist das bisher smarteste der drei Staffeln, aber es hindert nicht daran, im coolen Takt des Elektro-Jazz-Titelstücks und gleichermaßen in der Couch zu versinken.
:liquid7:

Weitere Sichtungen:
Collide
Dario Argentos Dracula
Ride Along: Next Level Miami

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Beitrag von Vince » 29.06.2017, 08:00

Rum Diary
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Gar nicht so verkehrt eigentlich, wenn man mal ein bisschen im kubanischen Lebensgefühl der späten 50er Jahre baden möchte; Privatstrände, Bootsausflüge und diverse Rum-Spelunken geben dazu jedenfalls allerlei Gelegenheit. Aber, wie man so schön sagt: Vielleicht muss man selbst dabei gewesen sein, um es richtig wertschätzen zu können. Hunter S. Thompsons halb autobiografische Gesichte ist ein wenig zu klein und speziell, um mit der bedeutungsvollen Geste eines Geschichtsfilms und Biopic aufgezogen zu werden, doch diesen Weg schlägt „Rum Diary“ ein; nicht nur einmal muss man an Ted Demmes „Blow“ denken, ebenfalls mit einem Johnny Depp in der Hauptrolle, der von seiner Umwelt bisweilen überrumpelt erscheint. Um es hingegen mit dem Surrealismus von „Fear And Loathing In Las Vegas“ aufnehmen zu können, hätte es schon mehr bedurft als einer ungewöhnlich langen Zunge.

Eigentlich wird „Rum Diary“ als hübsch fotografierter, gut gespielter Film bisweilen leicht unter Wert verkauft; andererseits zeigt er sich eben in vielerlei Hinsicht zu unschlüssig und hat das sich anbahnende Schicksal, langsam vergessen zu werden, möglicherweise doch irgendwie verdient.
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Die Bande des Captain Clegg
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Untypische Hammer-Produktion, die vielleicht nicht das liefert, was man von ihr erwartet, die aber auf erfrischende Weise verschiedene Genre-Zutaten zusammenwürfelt und ein reizvolles Gemisch aus Seemannsgarn, Gespenstergeschichte und Detektivstory zu bieten hat. Keine dieser Richtungen wird zwar völlig ausgereizt, doch in den Überschneidungspunkten liegt der Reiz: Einmal einen Piratenfilm sehen, der nicht auf dem Wasser spielt, einen Krimi mit übernatürlichen Elementen, eine Glaubensgeschichte mit wissenschaftlicher Erklärung. Der Wechsel der Schauplätze erweist sich als reizvoll, fast schon mittelalterlich gezeichnete Dorfgemeinden wechseln sich ab mit Küstenflair und der Düsternis der Nacht, heimelige Kneipen und durchschaubare, nichtsdestotrotz charmant getrickste Geisterreiter im Dunkel des Waldes bieten eine Menge Schauwerte für Nostalgiker.

Peter Cushing wird in der Hauptrolle eine durchaus anspruchsvolle, komplexe Rolle geboten, die ihm eine unerwartet große Bandbreite mimischer Ausdrucksfähigkeiten als auch physische Tüchtigkeit abverlangt. Viel mehr als einen soliden Abenteuermix sollte man zwar von dieser Quasi-Neuverfilmung von „Doctor Syn“ nicht erwarten, diesen Anspruch erfüllt sie allerdings heute immer noch äußerst zufriedenstellend.
:liquid7:

Angriff der Riesenspinne
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Die wilde Mischung aus echten Spinnen, Puppenmodellen und einem verkleideten VW-Käfer verleiht diesem Trash-Klassiker trotz seiner dilettantischen Effekte tatsächlich irgendwo eine unbehagliche Ausstrahlung. Der hakelige Schnitt suggeriert stets, dass man etwas übersehen haben könnte, so eben auch, wie sich eines der Pelzviecher heimtückisch von hinten annähert. Ekel-Szenen (Spinnen-Shake) werden mit Neutralität, ja fast schon Gleichgültigkeit aufbereitet, Jump Scares (Schublade) mit der trockenen Pointe einer Kirmes-Geisterbahn inszeniert, animatronische Effekte in ungünstigen Winkeln gefilmt, so dass sich im Gesamtbild eine uneinheitliche, allerdings ungemein bunte Linie ergibt, der zu folgen nach Anlaufschwierigkeiten in den zähen ersten Minuten einfach Freude bereitet.

Zu dieser bizarr-seltsamen Haltung gegenüber Spinnen-Horror, die durchaus auch „Arachnophobia“ inspiriert haben könnte (ganz konkret in der Schuppen-Sequenz), gesellt sich eine kneifende Parodie auf das Backwood- und Landvolk; wie es sich für guten Trash gehört, kann man dabei nie so genau sagen, ob diese Parodie in vollem Bewusstsein für das Parodistische gedreht wurde oder ob es sich um einen klassischen Fall von unbemerkter Selbstüberrumpelung handelt. Die Akteure übertreffen sich jedenfalls regelmäßig mit dumpfbackigen Textzeilen, die kein normaler Mensch jemals aufsagen würde. Wenn die Riesenspinne mal wieder einen von ihnen mit viel roter Soße in ihr Fass-artiges, rotierendes Maul stopft, könnte man glatt behaupten: Da hat aber wer einen Clown gefrühstückt...
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Slime City
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„City“ bedeutet hier eigentlich nur: Klinker vorstädtischer Hausfassaden in abgeranzten Vierteln und vielleicht noch eine schwarze Bande in einem Hinterhof. „Street Trash“ war da schon der temporeichere und chaotischere Metro-Schauplatz, um den Schleim triefen zu lassen; so trägt sein gemäßigtes Pendant „Slime City“ gerade in den ersten Minuten vor allem den authentischen Mief eines Gelegenheits-Amateurfilms mit sich, der von den tristen Bildern verlassener Wohngebiete, grauer Mietflure und karger Linoleum-Fußböden dominiert wird. „Basket Case“ lässt grüßen.

Wahre Fans des Schmelzfilms lassen sich von derlei Oberflächlichkeiten natürlich nicht abschrecken, sondern heißen sie womöglich sogar als geeignetes Ambiente willkommen. Spätestens als der Protagonist sich mit seinem Nachbar, einem schrägen Punk-Verschnitt, zum abstrusen Dinner in dessen Wohnung trifft, geht der Spaß los: Das Abendessen besteht aus bläulicher und grünlicher Joghurt-Pampe, als wäre die Einladung als solche nicht schon abstrus genug. Und dann tanzt noch eine Rockerbraut in schwarzen Strapsen durch die Hausflure, eine typische Gestalt vieler Coming-Of-Age- und College-Filme jener Zeit.

Spät wird es, bevor die Effektleute sich endlich austoben dürfen. Lange Zeit bestehen die Schleimeffekte daraus, Hauptdarsteller Robert Sabin mit zähflüssiger Masse einzureiben und als Hommage an den „Unsichtbaren“ zu bandagieren, um ihn in der nächsten Szene wie aus dem Ei gepellt einen neuen Tag beginnen zu lassen. Die typische Dramaturgie anderer Filme über körperlichen Verfall (vgl. „Der Planet Saturn lässt schön grüßen“, „Die Fliege“) wird somit vermieden, vielmehr verfolgt Greg Lamberson eine an Superhelden im Anfangsstadium, Werwolffilme oder ganz spezifisch Jekyll & Hyde angelehnte Linie, die einen permanenten Wechsel zwischen Normalzustand und (unkontrolliertem) Alter-Ego mit sich führt.

In den Exzess steigert sich Lambersons Arbeit zu keiner Zeit, was seinen gegenüber den genannten Vertretern etwas unbekannteren Stand erklären dürfte: Weder in Sachen Ekel noch Splatter oder Sex schlägt sie über die Stränge, gleichwohl das Finale eines der durchaus beachtenswerten Sorte ist, wird hier doch auf einfallsreiche Weise mit doppelten Böden, aufwendiger Maske und liebevollen Details gearbeitet. Doch auch der Weg dorthin macht Spaß, sofern man auf absurde Begegnungen unterschiedlichster Menschenschläge irgendwo in den tiefsten Winkeln der New Yorker Gedärme steht.
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Der Unsichtbare Gast
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Seit „Julia's Eyes“ und spätestens „The Body“ wissen wir ja, wie sich die Rädchen in Oriol Paulos Getriebe drehen. Insofern verwundert es weder noch überrascht es, dass sich der Plot seines neuen Thrillers „Der Unsichtbare Gast“ im Laufe des zentralen Verhörs der Hauptfigur immer wieder revidiert und neu positioniert. Was hier geschieht, ist mehr als der klassische Plottwist oder Doppel-Plottwist, der das Gesehene „nur“ in einen neuen Kontext setzt; es ist die völlige Aufhebung der Vertrauenswürdigkeit dessen, was man im Kino mit eigenen Augen und Ohren sieht und hört und somit ein ideales Beispiel dafür, dass Film 24 Mal in der Sekunde lügt.

Während die Fähigkeiten des Regisseurs, Spannung und atmosphärische Dichte zu erzeugen, immer noch unanfechtbar sind, mag man zu dem fortlaufend mutierenden Szenario stehen, wie man möchte. Die Akteure wechseln Täter- und Opferrolle fast minütlich; jeder Einzelne, insbesondere aber Hauptdarsteller Mario Casas, verdient sich das absolute Misstrauen des Zuschauers. Der Regisseur verlangt seinen Akteuren einiges ab, lässt sie andererseits aber kaum an das Publikum heran; an den – trotz Barcelona und Umgebung – kühl inszenierten Schauplätzen stehen sie wie Geister in der Landschaft und man muss ihnen zutrauen, dass sie jederzeit ihr wahres Gesicht offenbaren, auch wenn sich das Skript die Freiheit nimmt, einmal festgesetzte Darstellungen nach Belieben auch wieder zu revidieren.

Das unstete Filmerleben sorgt nach zwei Dritteln leider für eine gewisse Unzufriedenheit, die von der durchweg hohen Spannung nicht mehr aufgefangen werden kann. Aus Handlungsfreiheit wird eben irgendwann Willkür, die auch an der Integrität des Künstlers zweifeln lassen kann; Paulo bewegt sich hier auf einem sehr schmalen Grat, auch wenn er mit „Der Unsichtbare Gast“ wahrscheinlich sein wildestes Werk abliefert.
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Die Folterkammer des Vampirs
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Die Regieanweisungen sind deutlich zu erkennen, als „Requiem Pour Un Vampire“ seine Pforten völlig Rollin-untypisch mit einer Autoverfolgungsjagd eröffnet: erzeugt Tempo, vermittelt Dynamik! Von der statischen Kamera weg bewegt sich das Gefährt, dessen Insassen auf einen Verfolger schießen, der nur Augenblicke später den Aufnahmewinkel passiert. Doch die Bewegung, tatsächlich träge aus dem Stand heraus erzeugt, führt in die Irre. Nachfolgend wird der Regisseur entschlossener denn je zur Traumwandlerei zurückkehren und mit surrealer Anmut einmal mehr die Ereignislosigkeit zelebrieren, indem er Marie-Pierre Castel und Mireille Dargent in Clownskostümen auf eine quälend lang anmutende Reise durch den Wald schickt, die irgendwann im Zentrum des Rollin'schen Vampirkosmos mündet, einem mittelalterlichen Rundschloss. Karg, verwinkelt, verlassen.

Obwohl ein Manifest der Ereignislosigkeit, findet man in dieser Arbeit wohl die Essenz seines Werks besonders unverfälscht vor. Den manchmal ausgelaugt wirkenden Bildkompositionen, zusätzlich entfremdet durch behelfsmäßig arrangierte Requisiten und Gimmicks (diesmal mit einer besonderen Entartung der Klassik: die Bedeckung der Scham durch eine Gummifledermaus), raffen sich unverhofft zu poetischen Momenten auf.
Abgesehen von einer völlig in Rotlicht getauchten Kerker-Erotikszene spiegeln sich solche Momente diesmal allerdings nur vereinzelt in bestimmten Einstellungen, bei denen es sich auch mal um die Aufnahme einer Wasserpfütze handeln kann. Das Entjungferungs-Motiv wird durch die Vampir-Metaphorik nur teilweise verhüllt; Andeutungen vermischen sich mit Konkretheiten, ohne dass dabei so explizite Montagetechniken zum Einsatz kämen wie noch bei „Le Frisson Des Vampires“.

Wenn man also bei Rollin von „gepflegter Langeweile“ spricht, bezieht man sich dabei auf „Requiem Pour Un Vampire“ womöglich etwas mehr als auf andere seiner dichten Filmografie.
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The Other Side Of The Door
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Liest man mittlerweile den Namen „Javier Botet“ im Vorspann eines Horrorfilms, kann man sich schon mal darauf einstellen, dass langgliedrige Hungerhaken mit der altbewährten „Ringu“-Fortbewegungsmethode auf dem Bildschirm erscheinen werden, auch wenn sie vielleicht mal nicht unbedingt in den Plot passen – verkrüppelt, verrenkt und das Gesicht verborgen wie ein Kleinkrimineller vor der Tankstellenkamera. Addiert man nun noch die selten bis nie lächelnden Hauptdarsteller Sarah Wayne Callies und Jeremy Sisto hinzu, hat man bereits ein repräsentatives Abbild des fertigen Films: Humorloser, unterkühlter Geisterhorror mit Kleinfamiliendrama, der sich faul dem Strom anpasst, der solche Filme in Massen produziert.

Die Rezeptur ist schrecklich durchschaubar: Man nehme ein Verlusttrauma, einen Neuanfang und eine Heimsuchung und bereite den Weg für die am Ende des Weges – oder in diesem Fall auf der anderen Seite der Tür – wartende Katharsis... um dem daraus resultierenden Frieden vielleicht noch einen fiesen Twist hinterherzujagen. Damit der Zuschauer auch schön durchgerüttelt wird.

Das zerschnittene Band zwischen Mutter und Sohn führt folgerichtig zu nächtlichen Heimsuchungen, unerklärlichen Begegnungen und unangenehmen Eindringlingen in die „comfort zone“, meist verpackt in relativ billige Jump Scares. Ihre Exklusivität versucht die Produktion sich dadurch zu erringen, dass der Schauplatz in Indien angesiedelt ist, tatsächlich wird das exotische Setting aber kaum genutzt. Das Drehbuch ist dermaßen in seine Standards vertieft, dass es die kulturellen Möglichkeiten überhaupt nicht zu begreifen scheint; nur Oberflächlichkeiten verbinden die Handlung mit dem ungewöhnlichen Ort, die amerikanische Mechanik des Horrors wird dadurch jedoch kaum tangiert.

Kein Geisterhorror-Allesfresser bricht sich einen Zahn dabei, 90 Minuten in diesen Film zu investieren, doch Gelegenheitsgucker sollten ihn gemeinsam mit Filmen wie „Visions“ oder „Don't Knock Twice“ eher aussortieren.
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The Great Wall
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Vielleicht bürgte der Name Zhang Yimou für einen gewissen Anspruch, vielleicht wurden falsche Erwartungen auch dadurch geschürt, dass die besondere grüne Zutat des Films im Vorfeld weitestgehend unter Verschluss gehalten wurde, aber irgendwie hat man etwas Erhabeneres erwartet als die verfilmte Variante eines anspruchslosen Tower-Defense-Computerspiels.

Möchte man „The Great Wall“ tatsächlich als Monster-Parabel auf Kriegsakte zwischen unterschiedlichen Völkern verstehen oder anderweitig mit Bedeutung aufladen, muss man sich erst durch eine meterdicke Zuckerschicht simpler Blockbuster-Bespaßung für einen globalen Markt fressen, der die amerikanisch-asiatische Majorität der Weltbevölkerung zu gleichen Teilen zufriedenstellen soll. Dass ein „White Savior“ aus diesem Konzept entsteigen und eine entsprechende Diskussion entfachen würde, war wohl ein einzuschätzendes Risiko für das Studio.

Bleibt man nun in der Zuckerschicht stecken und ringt gar nicht zum Kern vor, würde man wenigstens darauf hoffen, dass „Human vs. Monster“ als Kriegsszenario sein Rock-Potenzial unter Beweis stellt, doch dem ist nicht so: Was die Chinesische Mauer von außen attackiert, erinnert an die Mutationen aus „Evolution“, einer Komödie, die ursprünglich als Horrorfilm konzipiert war. Mächtige, angriffslustige, über den eigenen Eifer stolpernde Reptilienartige, deren Künstlichkeit wie ein schwarzer Zensurbalken über dem liegt, das sie eigentlich darstellen sollen, einem feindlichen Volk. Die gegnerischen Linien überrennen sie ohne jedes Gespür für Dramatik, unabhängig davon, dass Yimou mit furiosen Schwenks und Perspektiven ein paar epische Hintergründe und sogar neuartige Kamerafahrten einfangen lässt.

Matt Damon bewies zuletzt ein recht gutes Näschen für seine Rollenwahl, erweist seiner Reputation mit dieser Produktion aber nicht gerade einen Bärendienst: Lange war er nicht mehr so schlecht wie in der Rolle des Einzelkämpfers William Garin, die auf vielerlei Ebenen an seine verschrobene Darstellung in „Brothers Grimm“ erinnert, wie überhaupt die gesamte Konstellation. Bleibt zu hoffen, dass sich zukünftige Generationen eher an „King Kong“ als an „The Great Wall“ denken, wenn es um großflächiges Monsterkino im Jahr 2017 geht.
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Shameless – Season 4
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Mit den Babyproduktionsversuchen im Akkord betrat die bis dahin so leichtfüßig zwischen der „bright“- und der „dark side of life“ schwebende Serie ein wenig unerwartet Comicgefilde, obwohl sämtlichen Charakteren das Comichafte bei genauerem Hinsehen schon immer in den Knochen lag. Doch im Abgang hat „Shameless“ beim Versuch, sich noch weiter in seine Abnormität zu steigern, etwas von seiner Tiefgründigkeit verloren.

Die fünfte Staffel bleibt weiterhin dabei, Schicksalsschlag auf Schicksalsschlag zu stapeln, bis die persönlichen Krisen zu exzessiven Dramen ausarten, nur um das Ganze dann mit einem Schulterzucken doch wieder ans Komödiantische auszuliefern – eine grundsätzlich gelungene Rezeptur, die sich jedoch aufgrund ihrer permanenten Wiederholung seit dem dritten Jahr leicht abzunutzen beginnt. Aber nur ein Blick in die Augen von William H. Macy, während er in seinem finalen Auftritt der vierten Staffel vor dem pathetisch in die Kamera strömenden Licht des Morgengrauens seinen Trotz in den Himmel schreit, und man weiß, warum es immer noch lohnenswert ist, den Gallaghers zuzuschauen. Von allzu übertriebenen Drehbucheinfällen hält man sich diesmal glücklicherweise fern, dennoch wird mit Franks Leber-Odyssee und Fionas zunehmender Verantwortungslosigkeit eine Menge harter Tobak aufgetischt, der um nicht minder aufwühlende Subplots erweitert wird, in denen fast jede Nebenfigur im Zentrum stehen darf.
Was dann allerdings kurz nach Einsetzen des Abspanns von Episode 12 geschieht, hat man vorhersehen können...
:liquid7:

Game Of Thrones – Season 5
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Nur noch in Einzelsträngen weiß sich die inzwischen zur pompösen Rüsche angewachsene Fantasy-Mittelalterserie, aufgrund ihres Settings und ihrer Produktionswerte nach wie vor ein Unikat in der komplex gewordenen Serienlandschaft, fortzubewegen. Die schiere Menge an Handlungsebenen, die zur Verknüpfung der zahlreichen Drehorte zwingend notwendig ist, zwingt die Autoren spürbar dazu, immer wieder von Einzelfiguren abzublenden, um sich anderen zu widmen, im Vertrauen darauf, dass sich der Zuschauer an die Komplexität dieser Figuren erinnert und ihre Abwesenheit damit kompensiert. Eine Taktik mit wackligen Beinen, die zwar noch funktioniert, jedoch langsam auf gewisse Abnutzungserscheinungen stößt: So muss man zwar in Kauf nehmen, dass ein Tyrion ein unstetes Leben mit Spektakel, Aufregung, aber auch Monotonie zu leben scheint. Dass sich ausgerechnet die „Mutter der Drachen“ hingegen mit ihrer Hilflosigkeit abzufinden beginnt, kann fast schon nicht mehr als spannungsförderndes Element durchgehen (in der Hoffnung, sie möge wie aus dem Nichts plötzlich die Drachen steigen lassen und Chaos und Unheil über ihre Feinde kommen lassen), sondern ist unter dem Stichwort „verpasster Zeitpunkt“ zu verbuchen.

Trotz einer Opferungsfreudigkeit, die an Schlachthäuser erinnert, wuseln jedenfalls immer noch unzählige spannende Charaktere in und um Königsmund, was wohl einerseits ihrer DNA aus den Martin-Büchern zuzuschreiben ist, andererseits dem Umstand, dass sich auch deren Serien-Verfilmung einfach nicht aus der Ruhe bringen lassen will und anfangs wie heute sehr viel Zeit in fein geschliffene Dialoge investiert – jedenfalls, wenn die Regie endlich wieder zum gewünschten Schauplatz rotiert hat.

Angesichts der Qualität dessen, was schlussendlich auf dem Bildschirm geschieht, fällt dann auch die Unsichtbarkeit dessen, was gerade nicht geschieht, nicht mehr so stark ins Gewicht. Die Serie reicht nicht mehr einfach nur Satz und Wort als spartanisches Wasser und Brot wie in ihren Anfangstagen, sondern tischt mitunter reichhaltige Früchte auf, die letztlich auch als der dringend benötigte Handlungsantrieb fungieren: Dazu gehört mit Sicherheit die Schlacht gegen die Weißen Wanderer oder die Auftritte der Drachen, beides in direkter Tradition (aber ohne den Kinotopp) von „Der Herr der Ringe“; aber auch andere Sequenzen, die auf ungebräuchliche Art emotional aufwühlen, wie der finale Gang der Schande, der für die nächste Staffel gleich wieder das Feuer der Vergeltung entfacht.
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Weitere Sichtungen:
Assassin's Creed
The Trust
The Monster
The Girl On The Train
Wonder Woman
The Void

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Beitrag von McClane » 29.06.2017, 08:20

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