Filmtagebuch: Vince

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McClane
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Beitrag von McClane » 02.11.2018, 18:34

Liegen wir bei "Red Sparrow" ja nicht so weit auseinander wie es in Timos Thread klang. Würd dem so 5,5/10 geben und das meiste, was du schreibst, täte ich wohl unterschreiben.
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Beitrag von Vince » 03.11.2018, 07:18

@StS: Jau, bei dieser Art Film liegen wir ja sowieso selten weit auseinander. Grundsätzlich gilt sowieso: Wenn die Zuschauer gespalten sind und der eine von Meisterwerk redet, der andere von Schund, dann handelt es sich in der Regel um einen hochinteressanten Film.

@McClane: Ne, hatte dir doch auch teilweise zugestimmt bei deiner Begründung, das passt schon so. ;)

Zwischen zwei Leben - The Mountain Between Us
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[Spoiler-Andeutungen im letzten Abschnitt!]
Man konnte es befürchten und es hat sich bestätigt: Im Titel steckt mehr von einer schwülstigen Metapher, als einem lieb sein kann. „The Mountain Between Us“ ist weniger ein Film über den Überlebenskampf zweier Städter nach einem Flugzeugabsturz, sondern letztlich ein triviales Annäherungs-Drama. Nicht etwa die Kälte der schneebedeckten Gebirgslandschaft wird zum Antagonisten erklärt, sondern die vom Leben in der Zivilisation errichtete Blockade in den Köpfen der Überlebenden.

Hany Abu-Assad unterliegt dabei der fixen Idee, große Gefühle seien dazu in der Lage, physische Widerstände völlig aus der Angeln zu heben. Dass er nicht zumindest beides koexistieren lässt und gleichermaßen sorgfältig behandelt, geht zu guter Letzt auf Kosten der Dramaturgie. Niemand mag in einem mit Kate Winslet und Idris Elba besetzten Film einen harten Survival-Thriller erwartet haben, aber die ungewöhnliche Situation im Nirgendwo, die eigentlich volle Aufmerksamkeit erfordern sollte, wird nur verschwommener, je länger das ungleiche Paar in ihr verharren muss. Das ist schon recht ungewöhnlich, gewinnt das Survival-Kino doch gewöhnlich erst dadurch seine Intensität, dass die banalen Belange der Zivilisation angesichts der Gefahren in den Hintergrund gedrängt werden. Die Wahrnehmung der Umweltfaktoren sollte somit eher an Schärfe gewinnen anstatt verlieren; hier ist das Gegenteil der Fall. Zu durchschaubar bleiben auch die Versuche, Thriller-Elemente als Katalysator für Einsamkeit und Sehnsucht einzuspannen; der Hund, der als Seitenbegleiter immerzu die Sorge des Zuschauers bündelt („wieso war der denn jetzt so lange nicht im Bild?“), die so offensichtlich entgegengesetzten Überlebensstrategien der Figuren (Aussitzen vs. Erkunden)... auch wenn es sicherlich legitim ist, primäre Bedürfnisse zu verwenden, um sekundäre Bedürfnisse auszuarbeiten, so sollte das doch nicht derart plakativ geschehen wie hier.

Vielleicht klingt das dramatischer als es in Wirklichkeit ist, da Winslet und Elba immerhin gestandene Schauspieler sind und mit ihrem Können so manchen Szene abfedern, die droht, ins Kitschige abzugleiten. Den Todesstoß jedoch wissen sie bei all ihrer Ausstrahlung nicht zu verhindern, diesen Schlusspunkt kurz vor der Abblende, wenn Berge plötzlich im Nichts verschwinden und Magnete freie Bahn haben...
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Weltengänger
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Wie man weiß, verliert sich russische Fantasy auf Zelluloid oft in schwer nachvollziehbare Dimensionen aus überladenen Spezialeffekten und merkwürdigen Story-Pfaden, die manchmal durch einen gewöhnungsbedürftigen Ausdruck im Regie- und Schauspielhandwerk noch befremdlicher wirken können. „Weltengänger“ macht da keine Ausnahme, lässt sich aber immerhin ein wenig Zeit damit, sein Publikum abzuhängen. Der erste Akt illustriert erfolgreich jene Art von Szenario, bei dem der Protagonist hilflos mit ansehen muss, wie sich seine vertraute Umgebung langsam auflöst. Assoziationen zu den Verschwörungsthrillern der 70er Jahre erlauben ein Eintauchen in die Geschichte, zumal Hauptdarsteller Nikita Volkov dazu in der Lage scheint, die Verwirrung seiner Figur über die zerbröckelnde Realität glaubhaft zu transportieren.

Kaum hat sich jedoch die Spezialeffekte-Box der Pandora geöffnet, scheitert auch diese Lukianenko-Verfilmung im Sinne einer Romanadaption. Moskau im Schnee und Palmenstrände mit kristallklarem Wasser mögen als Postkartenansichten Sehnsüchte nach der magischen Ferne wecken, die meisten generierten Welten in diesem Film bleiben jedoch Oberflächenlack für den Trailer-Einsatz, die mit Lukianenkos fein konstruierten Paralleluniversen nicht das Geringste zu tun haben. Überhaupt mischt Sergey Mokritskiy der Vorlage reichlich Farbe bei, Süßigkeiten für die Augen eben, damit das Fehlen von Kontext beim Auftauchen riesiger Matrjoschkas mit integrierten Maschinengewehren nicht noch während des Films auffällt.

Russland hat sicherlich wesentlich beklopptere Streifen zu bieten, aber wenn man Hollywood-Blockbuster für ihre Oberflächlichkeit kritisiert, so muss dieser Maßstab auch für Produktionen aus dem Osten gelten, wenn sie abgesehen von einem brauchbaren Hauptdarsteller, einer gelungenen Exposition und ein paar netten Bildern im SciFi-Fantasy-Kernteil nicht viel zu bieten haben.
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The Greatest Showman
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Dass „Greatest Showman“ keine richtige Biografie über die äußerst ambivalente Persönlichkeit P.T. Barnum geworden ist – geschenkt. Im Mittelpunkt steht die reine Performance. Der Song, die Choreografie. Die Menschen und ihre Zeit gehen im Kandis der Tanzeinlagen unter; der von Charmebolzen Hugh Jackman gespielte Barnum darf seine wahre Gestalt die meiste Zeit hinter der Show verbergen. Nur selten blitzen seine Schattenseiten auf, und wenn, dann werden sie bei weitem nicht konsequent genug verfolgt. Michelle Williams hat im Zuge dessen nichts Besseres zu tun, als mit den Kindern in der Ecke zu hocken und ihrem Ernährer zuzujubeln. Legitim ist das trotzdem, wenn dafür am Ende eine große Show geliefert wird.

Auch die Entscheidung, Musik des 19. Jahrhunderts in moderne Pop-Nummern zu verwandeln, ist nicht per se verwerflich. In der TV-Serie „Westworld“ hat das beispielsweise mit Hilfe eines Western-Pianos (im umgekehrten Sinn: Moderne Stücke altmodisch aufbereitet) sehr gut funktioniert. Die Bühnennummern im vorliegenden Musical sind spürbar mit dem Schwung der heutigen Zeit aufgezogen. Flotte Trapez-Akrobatik, fliegende Wechsel der Tanzpartner, die meist im Duett, manchmal auch in großen Gruppen auftreten (Zendaya und Efron, Efron und Jackman, Jackman und Williams... hier macht's jeder mit jedem), offensive Kommunikation mit dem Publikum und Momente der Stille, die als ironisch augenzwinkernde Pseudo-Ruhepausen nur den nächsten Höhepunkt ins Visier nehmen. Das Gespielte orientiert sich an zeitgenössischem Pop, der noch einmal extra geschliffen wurde für den großen Sprung vom Musikvideo in die Kinosäle. Was leider auch die mindeste Maßnahme darstellt, um überhaupt noch etwas aus dem gewählten Ansatz zu retten. Schließlich befindet sich die Popmusik dieser Tage auf einem dermaßen erbärmlichen Niveau, dass selbst die auf Hochglanz polierten Nummern der vorliegenden Hollywood-Varieté anmuten wie ein American-Idol-Special mit Zirkus-Kulisse.

Dem verabscheuungswürdigen Ethos gemäß, das Instant-Superstar-Fabriken aus dem Fernsehen regelmäßig an den Tag legen, werden zwischen den geschmetterten Zeilen auch Minderheiten-Themen abgehandelt. Das ehrliche, kraftvolle Statement von Tod Brownings „Freaks“ ist ganz, ganz weit entfernt. Über Barnums Zwerge, Affenmenschen und bärtige Frauen soll vielmehr das Abnormale bestaunt und beklatscht werden, nach dem Motto: Wow, diese fette Frau hat ja eine schöne Stimme! Dieser kleine Wicht hat ja Gefühle! Anstatt jedoch die dadurch erzeugte Sensationsgier vorzuführen (der Zirkus hätte diesbezüglich die perfekte Manege abgegeben), schließt man sich ihr an, vorgebend, die Artenvielfalt zu feiern, ohne jedoch die Selbstverständlichkeit in ihr zu erkennen.

Was macht das aus „Greatest Showman“? Es ist ein okay gesungenes, nett choreografiertes Musical mit extrovertierten Darstellern und hübschen Retro-Kulissen, das aber mit dem Kleister kontemporärer Pop-Muzak nicht gerade heller scheint. Eine Biografie, die sich mit ihrem eigenen Betrachtungsgegenstand keinen Deut kritisch auseinandersetzt; und ein Ausgrenzungsdrama, das bestehende Missstände nicht etwa ausbessert, sondern das Potenzial hat, sie ungewollt weiter zu zementieren.
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Preacher - Season 3
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Wenn es im Moment einen Comic in Serienform gibt, der den Druck der Farbe in der Luft und die Haptik der Seiten als Erinnerung auf den Fingerspitzen hinterlässt... man suche ihn bitte nicht bei einem von Marvels TV-Ablegern. Wahrscheinlicher findet man ihn in diesem unscheinbaren kleinen AMC-Groschenheft namens „Preacher“, das es gerade in seine dritte Ausgabe geschafft hat – und spätestens jetzt nicht mehr wegzudenken ist aus der Spitzenliga der aktuell laufenden TV-Serien.

Goldgelber Weizen, ein von weißen Wattewolken geflockter Azurhimmel, ein paar Blutspritzer auf dem staubigen Pfad und ein Dalmatiner auf zwei Beinen, so in etwa gestaltet sich das Cover-Artwork, respektive die Grundstimmung der dritten Staffel. Das Trio Infernale nimmt angesichts der einschneidenden Ereignisse aus Staffel 2 inzwischen getrennte Wege, das Skript verfolgt in den zehn neuen Folgen dementsprechend drei miteinander verwobene Main Plots, die öfter als bisher gewohnt auch den Zug in die Vergangenheit nehmen. Sepiafarbene Rückblenden machen einen beachtlichen Teil der Handlung aus, ohne jedoch den Weg auf das aktuelle Tagesgeschehen zu versperren; denn mehr über Jesse, Tulip und Cassidy zu erfahren, ist der entscheidende Schlüssel, will man die einmal mehr abgefahrenen Ereignisse der Gegenwart nachvollziehen können.

Ruth Negga (im Dauerkonflikt mit dem Saint of Killers und Satans Abgesandter Sidney) und Joseph Gilgun (mit einer Vampirsekte an der Backe, deren Anführer frappierende Ähnlichkeit mit Antonio Banders in „Interview mit einem Vampir“ hat) bekommen in ihren Plots wieder ihre Highlights, aber es ist erneut Dominic Cooper, der in der Titelrolle das klare Zentrum bildet. In seinem Handlungsstrang tauchen die ganzen coolen Figuren auf und machen die coolen Dinge. Speziell die beiden Hillbilly-Handlanger einer Voodoo-Hexe (Jeremy Childs und Colin Cunningham) halten den Priester schwer auf Trab, aber auch das schmierige Treiben des Allvaters (Jonny Coyne) legt nahe, dass nun endlich die richtig abgefahrenen Charaktere von der Leine gelassen werden. Es ist jedenfalls ein Genuss, den feinen Herr Starr (Pip Torrens) in der Pose des Duckmäusertums verharren zu sehen, wann immer sich díe geistliche Fettkugel mit Klecker-Robe im gleichen Raum befindet. Etwas ungewöhnlich dass Arseface (Ian Coletti) und Hitler aka „Hilter“ (Noah Taylor) nun doch wieder kleinere Nebenrollen einnehmen, nachdem es Ende der zweiten Staffel so aussah, als würden sie künftig eine gewichtige Rolle spielen.

Die Charakterzeichnung dieser und anderer Figuren führt bei Interaktion zu einer herb-zynischen Humor-Ausschüttung, die längst zum Markenzeichen dieser schwer unterhaltsamen Serie geworden ist, die glücklicherweise nie zu ernst wird und dennoch in den Bergen von Comic-Pulp (alleine dieser Teufel...) haufenweise Nachdenkenswertes vergräbt. Das Warten auf die vierte Staffel fällt nun schwerer denn je.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 24.12.2018, 08:10

Trick 'r Treat
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Dass ein guter Halloween-Episodenfilm neben gutem Handwerk auch ein magisches Händchen benötigt, hat vor drei Jahren erst wieder „Tales Of Halloween“ bewiesen. Der wies von alldem nämlich nicht allzu viel vor. Die Vormachtstellung von „Trick 'r Treat“ aus dem Jahr 2007 blieb ganz und gar unangetastet. Das hat seinen Grund:

- viele Köche verderben den Brei. Während bei „Tales Of Halloween“ 11 Regisseure und 14 Drehbuchautoren mehr oder weniger ihr eigenes Süppchen kochten und mit ihren Resultaten trotzdem einen geschlossenen Film vorlegen mussten, zeichnet Michael Dougherty für Drehbuch und Regie ganz alleine verantwortlich. Er muss bei der Verknüpfung der Einzelteile keine fremden Fäden aufnehmen, sondern kann von der Konzeptphase an ganz genau Handlungsablauf und audiovisuelle Gestaltung selbst bestimmen. Durch eine glückliche Fügung der Umstände erweist sich der „X-Men 2“-Autor als äußerst geschickter Strippenzieher. Arge Qualitätsschwankungen zwischen den einzelnen Episoden muss man nicht erwarten, woraus alleine schon ein deutlich angenehmeres Seherlebnis resultiert.

- Die Pointe ist der beste Freund des Erzählers. Kurzfilme, insbesondere jene rund um Feiertage, neigen zu finalen Plottwists, die den zuvor gepflegten Spannungsaufbau legitimieren sollen. Diese sind in der Regel geprägt durch einfache moralische Implikationen, die sich von jenen aus Kindermärchen kaum abheben, auch weil oft keine Zeit bleibt, um komplexere Auflösungen anzubieten. Gerade wenn die Zielgruppe im Bereich Horror gesucht wird, kann das zu Diskrepanzen zwischen härteren grafischen Darstellungen und einem eher kindgerechten Erzählstil führen. In „Trick 'r Treat“ muten zwar einige Auflösungen auf den ersten Blick ähnlich simpel an, verbergen aber auf den zweiten Blick morbide Abgründe, die spürbar die Substanz erhöhen, einhergehend mit einer Verdichtung der Atmosphäre. Dabei bleiben die einzelnen Erzählungen trotzdem sehr eigenständig, werden sorgfältig aufbereitet und von überzeugenden Darstellern in originellen Kostümen getragen (alleine diese Disney-Kostüme der Mädchengruppe... mit Blick auf das Thema der Episode keine zufällige Wahl).

- Ein guter Knoten ist die halbe Miete. Nicht jedes einzelne Story-Detail mag sich absolut passgenau in den Episoden-Komplex integrieren, insgesamt überzeugen die Übergänge von einer Episode zur nächsten aber mit organischen Verflechtungen und wirklich raffiniert gesetzten Querbezügen, die von begleitenden Konstanten (etwa dem kleinen Kürbiskopf namens „Sam“) zusätzlich verdichtet werden. Das dadurch erzeugte Echtzeit-Erlebnis verstärkt das Gefühl, man kämpfe sich hier durch eine einzige Nacht, in der sich auf engem Raum viele kleine Geschichten ereignen.

- Lebe den Feiertag. Dougherty vermittelt den Eindruck, echte Freude daran empfunden zu haben, eine Welt aus Kürbisköpfen, Bettlaken und rot-goldenem Blattwerk entworfen zu haben, ebenso wie er Jahre später mit „Krampus“ die eigentümliche Weihnachtsstimmung treffen würde. „Trick 'r Treat“ ist in Sachen Farben, Ausleuchtung und Setdesign konkurrenzlos herbstlich, romantisch-düster und vermeidet doch über weite Strecken den typischen Deko-Kitsch, für den gerade Halloween nur allzu empfänglich ist.

An diesen Qualitäten hat sich binnen zehn Jahren nichts geändert. Wie hoch das einzustufen ist, zeigt sich schon daran, dass es in dieser langen Zeit niemandem gelungen ist, an Doughertys Flickwerk vorbeizuziehen und ihm das Zepter zu entreißen. Vielleicht gelingt es Dougherty ja demnächst selbst mit „Trick 'r Treat 2“...
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Homesman
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In schillernder Breite thematisiert Tommy Lee Jones den unterprivilegierten Stand der Frau im Wilden Westen und damit einhergehend ihr Leid, das ebenso vielfältig wie herzzerreißend zur Ausgangslage erklärt wird. Männer, die sich auf die eine oder andere Weise von ihrer Führungskraft losgesagt haben und die Frauen durch ihre Abstinenz dazu verdammen, auf sich alleine gestellt in einer Welt zu überleben, die immer noch von patriarchalen Denkmustern durchzogen ist. Als Folge dessen sieht man Frauen, die über den Infektionstod ihrer Kinder den Verstand verloren haben und solche, die ein schreiendes Baby wie eine schwere Last im Plumpsklo versenken, um Erleichterung zu finden. Hilary Swank indes spielt eine vordergründig starke Frau, deren Schwächen allerdings gleich in der Eröffnungssequenz offengelegt werden: Sie findet wegen ihrer dominanten Art keinen Mann, der sie heiraten und mit ihr das Feld bestellen würde, wird also ganz direkt Opfer vorgezeichneter Gesellschaftsstrukturen, die starke Frauen einerseits nicht dulden und schwache Frauen im Stich lassen.

Dementsprechend leer, karg und öde fühlt sich die Kutschfahrt durch die endlosen Weiten der Prärie an. An der trostlosen Auslegung archaischer Muster hat der Regisseur seit „Three Burials“ (2005) wenig geändert. Oft ist weit und breit nichts zu sehen als der Horizont, einmal erwähnt Swanks Figur sogar, dass sie manchmal richtige Bäume vermissen würde.

An einem solchen trifft sie schließlich den von Tommy Lee Jones selbst gespielten Briggs, ebenfalls alleine gelassen auf seinem Pferd mit einem Strick um den Hals. Ab hier verändert sich die Dynamik der Geschichte erstmals und bei weitem nicht zum letzten Mal. Die episodische Anmutung des zweiten Abschnitts kann eine verwirrende Wirkung haben und in Ratlosigkeit münden. Wenigstens der harte, völlig unerwartete Cut etwa zur Filmmitte hin ist jedoch ein erzählerischer Kniff, der das gewählte Thema noch einmal mit aller Bitterkeit unterstreicht. Spätestens hier hebt sich Jones' vierte Arbeit auf dem Regiestuhl von allen Standards ab.

Spätere Episoden mögen die Wirkung Endresultats vielleicht wieder ein wenig verwässern... Die Begegnung mit Tim Blake Nelson mag noch dazu beitragen, den Beschützer und seine Fracht enger aneinander zu binden, die Hotelepisode allerdings sticht mit ihrer Note herb-zynischen Humors radikal aus dem Gesamtbild. Als dann kurz vor Ende noch Meryl Streep auftaucht, ist das vielleicht schon wieder zu viel der prominenten Gastbeiträge. Trotzdem brennt „Homesman“ als unkonventioneller, gesellschaftskritischer und dabei leicht sentimentaler Western lange nach.
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Ghost Stories
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Vermeintlich nur ein weiterer Anthologiefilm aus der Horror-Ecke, der kleine Gruselgeschichten um unerklärliche Phänomene assoziativ miteinander verbindet. Ein Detektiv (Andy Nyman, nicht etwa Martin Freeman, wie uns die Werbeabteilung weismachen will; der spielt nur eine Nebenrolle) fungiert als Tourguide bei einer Geisterbahnfahrt, die es weniger auf Blut als vielmehr auf hochstehende Nackenhaare abgesehen hat. Die präsentierten Geistergeschichten erzeugen beim Zusehen allesamt ein um sich greifendes Gefühl der Unbehaglichkeit, das der Ausbreitung von Kälte ähnlich ist und deswegen am besten im dunklen Wohnzimmer bei brennendem Kamin goutiert wird. Und das liegt nicht nur an den übernatürlichen Erscheinungen; schon die Erzähler irritieren den Gesprächspartner im Handlungsrahmen mit unberechenbarem Verhalten und unheimlichen Interview-Schauplätzen.

Die einzelnen Episoden ergeben im Sinne einer abgeschlossenen Pointe dabei noch wenig Sinn, ein Schuh wird erst draus, wenn man sie puzzle-artig miteinander kombiniert. Zu diesem Zweck wird viel Wert auf die formelle Ebene gelegt; man könnte sogar sagen, dass die Form den Inhalt aus dem Bild schiebt, je näher man der endgültigen Auflösung kommt. Rote Heringe verteilen sich wie Brotkrumen durch die einzelnen Geschichten. Geht es einmal noch um ein blasses Mädchen im gelben Kleid, das unerklärlicherweise durch eine alte Aufbewahrungsanstalt schleicht, taucht sie beim nächsten Mal in Form einer Puppe in einem Laufstall auf. Solche Überleitungen verteilen sich zuhauf über den gesamten Film, selbst die Rahmenhandlung bleibt von Schattenbildern aus dem Zwischenreich nicht verschont. Die Fassaden, die dem Film als Kulisse dienen, werden am Ende mehrfach durchstoßen; man gewährt uns sozusagen kurze Blicke hinter die Kulissen der Produktion, beziehungsweise hinter die Kulissen der Psychologie des Antwortsuchenden.

Wenn die Fäden schließlich alle miteinander verknüpft werden, ist natürlich auch viel Gimmickhaftes im Spiel. So manch bedeutungsvoll erscheinendes Filmrätsel entpuppt sich als semantisch leer. Falls bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgerungen, eröffnen sich spätestens jetzt Parallelen zu der traumartigen Atmosphäre vieler Stephen-King-TV-Filme, insbesondere wenn man an "Riding The Bullet" von Mick Garris denkt. Wer deren sonderbare Grundstimmung noch einmal in einer handwerklich hochwertigeren Umsetzung genießen möchte, ist bei "Ghost Stories" ohne Zweifel an der richtigen Adresse.
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Game Night
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Frontalansichten kleiner Häuser in beschaulichen Vorstadtgebieten sind eine klassische Lösung, wenn es um Establishing Shots in Komödien geht. So fühlt man sich auf Augenhöhe mit den Charakteren; man müsste im Grunde nur die Straße überqueren und könnte an die Tür klopfen. Bei "Game Night" wird hingegen in cineastischen Dimensionen gedacht: Aus Helikopterperspektive zeigt man uns den computergenerierten Modellbausatz eines amerikanischen Vororts mit perfekt gedeckten Hausdächern, portionierten Gärten und detailliert modellierten Miniaturbäumen entlang einer Straße, die in einer Kreisverkehr-Sackgasse endet. Der Clou: Das Ganze soll an ein Spielbrett erinnern. Als die Kamera schließlich in einer dynamischen Fahrt näher heranzoomt, werden die echten Darsteller sichtbar und das vermeintliche Spielfeld entpuppt sich als gelackte Spießer-Realität.

Ein brillanter Kunstgriff, rein konzeptionell betrachtet. Hitchcock hätte seine Thriller heute wahrscheinlich mit ähnlichen Mitteln präpariert, um doppelte Böden auszulegen, Twists zu garnieren und die Postmoderne zum Brettspiel zu erklären. Und es kommt noch besser: Aufwändig geplante Actioneinlagen in raffinierten Kamerawinkeln eingefangen, Knobeleien, die eher an Escape Rooms als an altbackene Schnitzeljagden erinnern, derbe Knalleffekte und der gelegentliche Ausritt jenseits der Grenzen der Comedy-Blackbox: Das moderne Zielpublikum bekommt ordentlich was geboten.

Nur ist Komödie leider immer ein bisschen eigen, was unterstützende Stilmittel angeht. Je mehr der filmische Rahmen an der Planung der Gags aktiv beteiligt ist, desto weniger Entfaltung bekommen die Darsteller zugesprochen. Comedians waren einmal das absolute Zentrum einer jeden Komödie; von Buster Keaton bis Jim Carrey bestimmten sie praktisch im Alleingang die Art des Humors. Jason Bateman und Rachel McAdams könnte man in diesem Event-Film hingegen relativ verlustfrei austauschen. Heute scheint jeder völlig besessen vom Nerdtum an sich zu sein; von extravaganten, individuellen Persönlichkeiten lässt sich das Publikum weniger anziehen. Und die Filmstudios reagieren darauf. Anstatt es einfach dabei zu belassen, dass sich eine Gruppe von Freunden gerne zu Spieleabenden verabredet, muss in einer Rückblende gleich noch gezeigt werden, dass sogar die Hochzeit von Max und Annie wie ein großer Spieleabend inszeniert war. Das kleinkarierte Spießbürgertum wird zum ironischen Party-Motto. Die Charaktere sind bei dieser Entwicklung aber die Leidtragenden. Sie werden bewusst auf eine einzelne Dimension reduziert, damit man das Produkt vermarkten kann als "der Film mit dem Spieleabend".

Diese Defizite sind allerdings eher eine Krankheit Hollywoods als dieser speziellen Produktion. "Game Night" zählt sicherlich trotzdem zu den besseren Komödien der letzten Jahre. Die Grundidee ist präzise ausgearbeitet, das Tempo ist schnell, die Besetzung hochkarätig und die Wendungen originell. Etwas Abrüstung der filmischen Hilfsmittel, ein wenig Vertrauen in die Alleinunterhalterqualitäten komödiantisch begabter Darsteller wäre allerdings auch mal wieder wünschenswert.
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The Disaster Artist
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Als Meta-Film über das Filmemachen ist "The Disaster Artist" interessanterweise ein Mahnmal für jeden ambitionierten Jungschauspieler, der sich dazu entschließt, nach Hollywood zu gehen. Der klassisch-amerikanische Aufbau eines typischen Road Movies vom Boden bis zur Spitze, mit dem traditionell eher die Imitation gefördert werden soll, täuscht keineswegs darüber hinweg. Auch wenn sich Tommy Wiseau am Ende in einer Dunstwolke aus später Anerkennung durch Verkultung wiederfindet, die Melancholie des Unerreichten steht dennoch im Raum. Wiseau ist eine durch und durch tragische Figur; und wenn diese Semi-Biografie eines richtig gut macht, dann die klaffende Lücke zu zeigen, die zwischen der Selbstwahrnehmung des Künstlers und der Fremdwahrnehmung durch sein Publikum besteht.

Szenen aus "The Room" werden nahezu 1:1 rekonstruiert und lediglich durch die ledernen Fratzen der Franco-Brüder und ihrer Co-Stars zur Parodie. Sie legen einen Ausdruck der Übertriebenheit an den Tag, der sich allerdings ganz schön strecken muss, um mit den Originalen mithalten zu können. Zwischen diesen nachprüfbaren Ausschnitten wird spekuliert und interpretiert, was das Zeug hält - in Hotelzimmern, auf Parties, am Straßenrand bei der Gedenkstätte von James Dean. Erfreulicherweise schert sich das Drehbuch einen feuchten Kehricht darum, wie überhaupt die Rahmenbedingungen für so eine ungewöhnliche Produktion zustande kommen konnten. Die Herkunft der Geldquelle, über die Wiseau verfügte, wird nicht weiter hinterfragt; insofern handelt es sich auch nur bedingt um eine Geschichte über die schwierigen Bedingungen in der Filmindustrie. Abseits der selektiven Auswahlprozesse der Hollywood-Mogule wird auch die kreative Selbstdarstellung des Künstlers hinterfragt.

Letztendlich ist gar nicht so einfach zu beantworten, ob "The Disaster Artist" nun dazu auffordert, den eigenen Träumen vom Filmgeschäft nachzujagen oder ob er davor warnt. Ohne Frage macht er neugierig auf den ominösen Film, um den sich alles dreht. Je nach persönlichem Gefallen oder Missfallen entscheidet man dann vermutlich selbst über die Antwort.
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Aus dem Nichts
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Scheinbar unvermittelt bricht der Horror ins Leben ein. Eine Sekunde verändert alles. Vor einem Büro für Steuern und Übersetzungen explodiert eine Nagelbombe und löscht eine Familie aus. Übrig bleibt nur eine Mutter und der verzweifelte Wunsch nach Gerechtigkeit.

Der Titel "Aus dem Nichts" beschreibt eine Ohnmacht, die darin liegt, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, ohne noch in den Verlauf eingreifen zu können. Nicht zuletzt beschreibt er eine gewisse Naivität in Bezug auf die Annahme, der Rassismus könne inzwischen besiegt worden sein. Vielleicht handelt es sich dabei aber sogar um die bewusst gefällte Entscheidung, die Augen zu verschließen vor dem Hass gegenüber dem Fremden, der schon immer im Verborgenen gelauert hat. Fatih Akin zeichnet dabei ein recht vages Modell der Xenophobie, indem er die Beweggründe für die Tat im Abstrakten lässt. Womit er letztlich eindeutige Stellung bezieht: In die Position eines Menschen, der andere Menschen aus niedrigen Beweggründen tötet, kann und will er sich nicht hineinversetzen.

Man könnte Akin vorwerfen, dass er viele Eimer schwarzer und weißer Farbe benötigt, um die Grautöne auf die Leinwand zu bringen. Gerade die Szenen vor Gericht provozieren die Empörung regelrecht mit himmelschreienden Ungerechtigkeiten und arroganten Strafverteidigern (jedes abschließende "Danke" aus dem Munde von Johannes Krisch nach Abschluss seiner dünnen Vorträge brennt wie Feuer auf der Haut). Deutlich als "gut" oder "böse" konnotierte Figuren (der Anklageanwalt und der Vater des Täters beispielsweise auf der einen Seite, die Täter selbst und ihre Helfer auf der anderen) besetzen das Spielfeld wie in einer Kriegssituation. Später gerät das im Ansatz so realistische Drama sogar zum hollywoodreifen Selbstjustizthriller. Dennoch gelingt es dem Regisseur, viele kleine Konflikte einzubauen, die wie ein chemischer Bauplan zur Eskalation funktionieren: Überforderte Beamte, ein handlungsunfähiges Justizsystem, soziale Missstände, die Tücken sozialer Medien und Reibungspunkte zwischen den unterschiedlichen Religionen verbinden sich zu einer gefährlichen Mischung, die in diesem Fall zu irreversiblen Geschehnissen führt.

Darüber hinaus versteht es Akin wie derzeit kaum ein zweiter Filmemacher in Deutschland, Empathie für die Figuren zu erzeugen und die Tragik nacherlebbar zu machen. Zu verdanken hat er das allerdings auch einer herausragenden Leistung Diane Krugers, vielleicht sogar der besten, die sie jemals gezeigt hat. Ihre Auftritte wirken so ungeschminkt und direkt, dass sie auch dabei helfen, die aus dramaturgischen Gründen überspitzt dargestellten Ereignisse der zweiten Hälfte in portionsgerechte Stücke zu schneiden.
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I, Tonya
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Eher ein zynischer Kommentar zur Gattung des biografischen Films im Allgemeinen als ein Charakterportrait über eine White-Trash-Eisläuferin ist "I, Tonya" geworden. Schon dadurch hebt er sich wie ein schwarzes Schaf von der weißen Herde verklärender Personenkulte ab, denen man in dieser filmischen Spielart immer wieder begegnet. Es ist aber kein Klamauk wie "Walk Hard", der mit dem Publikumswissen über andere populäre Biografien spielt und offensiv Witze über das Offensichtliche reißt; vielmehr geht es darum, die narrativen Mechanismen dieser Filmsorte zu entziffern, auseinanderzunehmen und nonkonform wieder zusammenzusetzen. So sehen wir also eine Pechmarie aus dem niedersten Proletariat als Titelfigur in einem Konstrukt, das für Heldinnen gezimmert ist; wir erleben häusliche Gewalt, die mit Coen'schem Humorverständnis verharmlost wird anstatt mit Tragik beschwert; und eine Kleingangsterballade eingebettet in den Kontext der Olympischen Winterspiele 1994, einer Zeit, die absolut authentisch anhand von Ausstattung und Mode wieder zum Leben erweckt wird.

Kein Zufall, dass dieser widerspenstige Ansatz die Person Tonya Harding im Endeffekt doch wieder perfekt beschreibt, denn es sind ja gerade die widersprüchlichen Aussagen aus den Interviews mit ihr, ihrer Mutter und ihrem Ex-Mann, die überhaupt dazu inspirierten, die Disziplin "Biopic" so radikal neu anzugehen. Robbie, Stan und Janney mögen postmodern wie frühe Tarantino-, Ritchie- oder eben Coen-Charaktere erscheinen, doch selbst dies passt ja zum behandelten Zeitabschnitt, der zugleich die Erfolgsstunde von "Pulp Fiction" und seinen Thronfolgern war. Die Ambivalenzen, die man gegenüber Harding empfindet, liegen folglich nicht bleischwer im Magen, sondern gehen mit dem befreienden Gefühl einher, dass nicht immer alles bis ins letzte Detail aufgelöst werden muss. Scheiße passiert eben manchmal einfach.
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Downsizing
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Dass Alexander Paynes Ausflug ins Fiktionale durchaus einen Versuch wert war, zeigt zumindest die erste Hälfte. Wie von diesem Regisseur zu erwarten, nimmt er das SciFi-Element "Schrumpf-Technik" nicht als Anlass für fröhliche Effekttreiberei, sondern stellt sie einfach als zusätzlichen Regler zur Lösung ökonomischer Probleme auf dem längst schwer belasteten Planeten Erde zur Verfügung. Er zeigt modellartig auf, welche Konsequenzen die Erfindung und der Gebrauch einer solchen wissenschaftlichen Errungenschaft hätte. Zwar berücksichtigt "Downsizing" bei weitem nicht alle Parameter wissenschaftlicher, sozialpolitischer und biologischer Fragestellungen, aber doch genug, um ein glaubwürdiges Szenario zu erschaffen, das mit vielen kleinen Details und der Berücksichtigung von Unwägbarkeiten zum Leben erweckt wird. Eine neues Rassendenken wird angedeutet (die endgültigen Konsequenzen eines solchen Denkens können in einem einzelnen Film natürlich nicht vollständig abgehandelt werden), Gottkomplexe der Wissenschaft analysiert, die hedonistische Lebensweise des Menschen vorgeführt. Der Verkleinerungsprozess selbst wird interessanterweise wie ein "kleiner Tod" inszeniert, mit schmerzvollen Abschieden von den groß gebliebenen Verwandten und Freunden und der Unsicherheit, was den Patienten auf der anderen Seite erwartet.

In der zweiten Hälfte lässt sich Payne allerdings zu sehr von den schrullig geschriebenen Figuren überwältigen und für Handlungsdetails einnehmen, die angesichts der grenzenlosen Möglichkeiten im Umgang mit der Thematik wie Peanuts erscheinen. Natürlich erzeugt das Quartett aus Matt Damon, Christoph Waltz, Rolf Lassgård und Hong Chau aus komödiantischer Sicht viel Dynamik und sorgt durchgehend für Amusement, der Plot scheint mit zunehmender Zeit jedoch von der viel interessanteren Makroperspektive abzurücken und sich nur noch auf die Befindlichkeiten seiner Hauptfiguren zu konzentrieren. So schön die norwegische Natur als Schauplatz für das Schlusskapitel auch anzusehen ist, am Ende hat man das Gefühl, wider Willen vom Handlungsfokus fortgerissen worden zu sein - und niemals zu erfahren, wie und warum der Mensch sich tatsächlich selbst zerstört. So gesehen ist "Downsizing" näher an der Realität dran, als ein Film vielleicht sein sollte...
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Lady Bird
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An den Eckpfeilern des Coming-Of-Age, in diesem Fall seiner Unterkategorie "Coming-Out-Of-The-Boondocks", ändert auch Greta Gerwig nichts. Die aufrührerische Teenagerzeit der rebellischen Lady Bird lässt sich im Rückblick bequem auf jugendliches Trial-and-Error reduzieren. Es ist wieder eine Reise voller falscher Abzweigungen, an deren Ende die unvermeidliche Erkenntnis steht, dass man vielleicht doch einen naiven Blick auf die Welt hatte. Das ist eine universelle Erkenntnis, die für das Sacramento aus dem Jahr 2002 ebenso gilt wie für jeden anderen Platz und jede andere Zeit. Deswegen fungiert die autobiografische Verortung mit Songs aus den 90ern und ohne den technologischen Fortschritt des 21. Jahrhunderts wie ein beliebiges Exempel für eine Wahrheit: Filme über weibliche Teenager nehmen stets den gleichen Verlauf, genauso wie es eben solche über Männer in der Midlife-Crisis tun oder alleinerziehende Mütter - weil der Mensch trotz seiner individuellen Ausformungen am Ende immer den gleichen Mustern folgt.

Doch gerade weil jedes Drama über das Aufwachsen in der Provinz grob dieselben Motive aufgreift, ist es Gerwig hoch anzurechnen, dass sie einen ganz eigenen Aussdruck findet, um ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die immer noch so schrecklich junge, für den Independent-Film aber fast schon ikonenhafte Saoirse Ronan hat bei der Annahme der Rolle wieder den richtigen Riecher bewiesen, ist "Lady Bird" doch nicht bloß ein einfacher Print einer rebellischen Göre, die sie bei weniger sorgfältiger Figurenzeichnung einfach hätte werden können, sondern ein Ausbund an Persönlichkeit, voller Alleinstellungsmerkmale gegenüber ihren Altersgenossinen, und das, obwohl sie ihr Handeln und ihre selbst erwählte Identität voll und ganz nach Klischees ausrichtet, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Das führt dazu, dass die Regisseurin bei der Verfilmung ihres eigenen Drehbuchs völlig unverbindlich durch die kurzlebigen Entwicklungsphasen ihrer Hauptfigur hechtet, einzelne Szenen nicht einmal mehr miteinander verknüpft, sondern zur Seite schiebt wie Wegwischbilder. Ewige Freundschaften enden einfach so aus dem Nichts, um ebenso unproblematisch wieder aufgenommen zu werden; Ideale und Überzeugungen verkehren sich durch kleine Erschütterungen des auf Stelzen erbauten Weltbilds ins Gegenteil. Die Theatralik von heute ist morgen bereits wieder vergessen. Obwohl dadurch auch sehr harte Themen angegangen werden, die normalerweise schwer auf einer Handlung lasten, gelingt es Gerwig auf diese Weise, ein leichtfüßiges Seherlebnis zu erzeugen; außerdem zeichnet sie Lady Bird damit als einen Menschen voller Fehler, der akrobatisch zwischen totalem Selbstbewusstsein und vermindertem Selbstwertgefühl balanciert und bei diesem Balanceakt allerhand falsche Entscheidungen trifft.

Die Zielgruppe schränkt sich natürlich schon durch das Thema massiv ein, doch selbst wer sich nicht dazu zählen würde, ist vermutlich dazu in der Lage, einen Blick hinter die Klischees des Coming-Of-Age zu werfen und mehr darin zu sehen als die Oberfläche.
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Krakatit
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Von bestechender Alptraumlogik in Bewegung versetzt, irrt Karel Čapeks Romanfigur 26 Jahre nach ihrer Erfindung durch ihre eigene Verfilmung und hadert mit den weitreichenden Konsequenzen ihrer Entdeckungen. Die Odyssee des Sprengstoff-Entdeckers Prokop beginnt mit gemäßigtem Surrealismus an einem Flusssteg unter Laternenschein, der bisweilen an die verschwommenen nächtlichen Idyllen der Filme von Orson Welles erinnert. Leicht scheint auch der deutsche Expressionismus durch, ebenso wie die Melancholie des poetischen Realismus von Frankreichs Häfen. Otakar Vávra liefert eingeschwärzte Bilderbögen, die Karel Höger als luzider Traumwandler mit Selbstzweifeln torkelnd durchstreift. Er ist sich seiner selbst bewusst sowie der Rolle, die er spielt, doch weiß er nicht, ob seine Träume reine Illusionen sind oder Abbilder des tatsächlich Erlebten.

Nach Vollendung des so stimmungsvoll initiierten ersten Akts verliert Vávra das Unwirkliche zunächst leider ein wenig aus den Augen, als er sich darauf konzentriert, die Story zu erden und mit handfester Kriegspolitik zu verknüpfen. Diese Entwicklung ist in ihrer aufrüttelnden Wirkung gleichbedeutend mit einem gewaltsamen Erwachen aus der REM-Schlafphase; um so ungewöhnlicher, dass „Krakatit“ in einigen Einstellungen der zweiten Hälfte trotzdem wieder surreal wird, diesmal im regelrecht kafkaesken Ausmaß. Der Regisseur hebt diese Momente der Abkehr vom Linearen oftmals hervor wie gerahmte Ausstellungsstücke. In einer Sequenz beispielsweise verliert eine Frau ihre Gesichtszüge - nicht nur ein trickreicher Spezialeffekt, sondern durch Spotlight-Beleuchtung und die vom Fokus zurückweichende Kamera außerdem als Klimax inszeniert. An anderer Stelle hetzt der Protagonist als Silhouette über einen offenen Platz, der in lächerlich große Betonplatten gerastert ist und das Ziel, eine Fabrik am Horizont, unerreichbar scheinen lässt.

Mit solchen surrealistischen Kunstgriffen wird bezweckt, den Kontrollverlust und die Machtlosigkeit des Entdeckers gegenüber seiner Entdeckung zu veranschaulichen. Jede von Prokops Handlungen scheint vergiftet mit dem Kassandra-Syndrom, zu wissen, dass etwas Grauenvolles an die Oberfläche gerungen ist, gepaart mit der Unfähigkeit, die schrecklichen Folgen eindämmen zu können. Das macht „Krakatit“, benannt nach einer Vulkaninsel, die sich durch eine gewaltige Eruption Ende des 19. Jahrhunderts selbst zerstörte, natürlich zur brennenden Allegorie auf und Warnung vor dem Krieg, insbesondere jenem unter der Verwendung von Waffen, die der Mensch nicht unter Kontrolle hat (namentlich: Die Atombombe).

Die Überbetonung symbolischer Bemühungen wird Vávra in Kritiken gerne angelastet. Man neigt dazu, sich dieser Position anzuschließen, wenn die mehrdeutigen Subtexte der Vorlage für eine „filmische Botschaft“ eingedampft werden, die auf ähnlich einfachen Argumentationsverstärkern basiert wie ein „The Day The Earth Stood Still“, der wenige Jahre später in Amerika erschien. Und doch tut man ihm damit vielleicht Unrecht. Wenn Prokop seiner Angebeteten erläutert, dass jeder Stoff explosives Potenzial in sich trägt, während sie sich das Gesicht mit Puder schminkt, wird in kleinen Gesten das Bewusstsein für Existenz und dessen chemische Grundlagen erweitert. Dann klärt sich die Frage nach Traum oder Wirklichkeit direkt vor unseren Augen.
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Sing
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Um das gleich vorab zu klären: Regie, Animation und Character Design dieses ebenso turbulenten wie knallbunten Abenteuers durch die Welt der Popmusik bietet kaum Angriffsflächen. Mit dynamischen Fast-Motion-Schwenks durch die überfüllten Straßen, die dank hupender Autos und einem Sammelsurium an unterschiedlichsten Passanten alleine schon unheimlich viel Leben in den Film bringen, werden die Lebenswege ausgewählter Charaktere auf organische Weise miteinander verknüpft und zu einem Ziel geführt, das nach altem Regelwerk der Dramaturgie eine Massenveranstaltung sein muss, hier in Form einer Show rund um Tanz und Gesang. Die Story konzentriert sich gemäß des gewählten Themas auf starke Gegensätze; eine kleine Maus mit gigantischem Ego etwa im Kontrast zu einem Elefantenmädchen ohne Selbstbewusstsein, eine Rockröhre mit Pop im Herzen oder ein Gorilla, der nicht in die Fußstapfen seines kriminellen Vaters treten will. Die Anthropomorphismen der mit Tieren bevölkerten Fantasie-Großstadt wird anders als in "Zoomania" nicht subversiv durchleuchtet, sondern einfach als Stilmittel verwendet, um Charakterzeichnungen zu verwenden, die man ebenso gut in einem mit Menschen gedrehten Realfilm hätte unterbringen können; tatsächlich ist "Sing" in gewisser Weise sogar die animierte Variante des ebenfalls gerade erst erschienenen "The Greatest Showman".

Im Zuge dessen interessiert sich der hauptsächlich auf Kinder und jüngere Heranwachsende abzielende Animationsfilm leider kaum wirklich für die "echten" Persönlichkeiten, sondern nur für die jeweiligen Bühnenfiguren, auch wenn er Gegenteiliges propagiert. Eine Vielfalt von Arten und Persönlichkeiten jedenfalls wird nicht erreicht, wenn man die Bühne als einzig nennenswerte Endstation individueller Entfaltung darstellt - das ewige Missverständnis des TV-Formats "Castingshow" und somit auch dasjenige dieses Films, der sich zudem der Altehrwürdigkeit des Theaters bedient, um die Kurzlebigkeit beliebiger Pop-Schnulzen zu zelebrieren. Der Soundtrack verfügt zwar über einige gute Nummern, verwässert diese aber mit belangloser Instant-Suppe aus dem Zufallsgenerator, wie er nun schon seit fast 20 Jahren die kontemporäre Popmusik dominiert.

Anders als ein "Greatest Showman" kann "Sing" aber zumindest streckenweise auf den Charme der Tierwelt zählen, der im Zusammenspiel der Spezies zumindest hin und wieder ein paar Lacher zu provozieren weiß. Und die obligatorische Gesangsnummer für den Abspann ist dieses Mal dank der Thematik ausnahmsweise nicht völlig aus der Luft gegriffen...
:liquid4:

Shocker
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Die Blaupause, die Wes Craven mit seinem Horrorklassiker "A Nightmare On Elm Street" schuf, erwies sich als reichhaltig genug, um im Laufe der Jahre sechs Fortsetzungen, ein Crossover und ein Remake mit ihr zu nähren. Dabei erkannte Craven ihre wahre Fülle bereits 1989, als er aus ihr gleich einen weiteren, einen Nicht-Freddy-Schocker modellierte, der unter gewissen Umständen ebenso einfach zur Reihe hätte geraten können. "Shocker", der Teenager-Schreck mit dem Elektro-Mann, orientiert sich nur allzu offensichtlich an der Rubberband-Reality aus den Teenager-Alpträumen mit dem Messerhandschuh-Mann, als dass man ihm einfach eine zufällige Ähnlichkeit unterstellen könnte. Nein, was Craven hier macht, ist bewusstes Arbeiten nach vorhandenen Konstruktionsplänen.

Dabei würde man "Shocker" nicht in seiner Gänze erfassen, stempelte man ihn als einfallslosen Freddy-Klon ab, der nach Nummer-Sicher-Fahrplan vorgeht. Der Reiz liegt ja schließlich gerade darin zu erleben, wie und in welchen Punkten der Meister von seiner bewährten Rezeptur abweichen würde. So lässt das Gesamtkonzept zwar in vielen Aspekten an die Markenzeichen der "Nightmare"-Serie denken. Das beginnt schon beim narrativen Aufbau und der Charakterisierung des Monsters, das in einer für Horrorfilm-Antagonisten ungewöhnlich intimen Eröffnung den Zuschauer daran teilhaben lässt, wie ein vergleichsweise gewöhnlicher Mann aus der unteren Mittelschicht (hier ein Hausmeister, dort ein TV-Techniker) durch seine ausgelebten Triebe zu etwas Unmenschlichem mutiert. Die Parallelen reichen hinein bis in die Bildkomposition bestimmter Szenen; wenn ein Zimmer mit blauem Licht geflutet wird, die weißen Vorhänge wehen und ein Mordopfer des Killers als blutbesudelte Geistererscheinung aus der Badewanne tritt, steht man bereits mit einem Bein in Freddys Twilight Zone.

Und doch begnügt sich Craven nicht mit der reinen Wiederholung, sondern bringt neue Elemente ein, die "Shocker" zu einem eigenständigen Erlebnis machen. Die Medienkritik ist beispielsweise ein permanenter Begleiter im Drehbuch (und bereitet so bereits gewisse Schwerpunkte aus der "Scream"-Reihe vor). Sie sorgt für ein selbstreferenzielles Verständnis der eigenen Materie und erlaubt es dem Regisseur insbesondere im Finale, völlig steil zu gehen und den konventionellen Weg klassischer Slasher-Filme durch die exzessive Nutzung phantastischer Elemente weit hinter sich zu lassen. Das Zapping durch die amerikanische Wohnzimmerunterhaltung der spätern 80er mag tricktechnisch schlecht gealtert sein, wirbelt Mitch Pileggi (der früher gerne punkig-fiese Rollen angenommen hat, bevor er als FBI-Direktor Skinner in "Akte X" einen völlig anderen Weg einschlug) doch wie ein Copy-and-Paste-Männchen begleitet von elektrischem Leuchten durch die Dimensionen und kabbelt sich mit einem torfnasigen Football-Jugendstar (Peter Berg), was die ganze Chose per se schon ins Komödiantische zerrt, weit mehr als der erste "Nightmare", der mit seinen infernalischen Heizungskellern, Blutfontänen und den Kratzgeräuschen von Metall auf Blech ungleich düsterer und ekliger ausfiel.

Natürlich kommt der Kabelmann trotz seiner Fähigkeiten im Leben nicht an die ikonische Strahlkraft des Pizzagesichts mit dem Ringelpulli heran, womit "Shocker" völlig zu Recht im Schatten seines Ursprungs geblieben ist. Andererseits ist es doch hochinteressant zu sehen, wie man erfolgreiche Rezepte zur Grundlage für experimentelle Neukreationen verwenden kann.
:liquid6:

Death Machine
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Wenn man nicht gerade Lust hat, die echten 90er-Jahre-Klassiker aus der heiligen Dreifaltigkeit Action, Horror und Science Fiction durchzuackern, kann man sich auch einfach zwei knappe Stunden "Death Machine" gönnen... und bekommt puren 90er-Zeitgeist hochkonzentriert im Mixer püriert und in den Thermobecher eingefüllt. Ängste aus Kabeln und Metall, nichts beschriebe das Genre-Kino dieser Zeit treffender als die Entfremdung vom Fleischlichen, wie es die 80er noch geprägt hatte. Der neue Feind ist die Technologie, seine Abgesandten sind Killerroboter und Hacker. Da passt es doch, wenn man Ikonen wie den Terminator oder RoboCop zu etwas Monströsem aufbläst, in diesem Fall eine von sensorischen Reizen getriebene, völlig gefühllos agierende Tötungsmaschine in Form eines überdimensionalen Raubtiers, dem man weder eine Kugel in den Kopf jagen noch ein Messer in den Brustkorb rammen kann.

"Death Machine" hat einfach alles, was seine Referenzen einst zur Vorgabe machten: Skrupellose Manager und Karrieristen, knallharte Special Forces, einen fiesen Sonderling und Nebenfiguren, so offensichtlich nach bekannten Regisseuren und Filmfiguren benannt, dass es schmerzt. Das gesamte Setdesign lebt von anonymen Büroflächen, die nach und nach von dem einen großen Spezialeffekt niedergerissen werden wie Träume von einer zivilisierten Zukunft in einer digitalisierten Gesellschaft. Der Techno-Vibe, den Regisseur Stephen Norrington später auch "Blade" beimischen würde, pulsiert bereits mit Hochdruck, während Brad Dourif als Freak mit kränklichem Teint in einer Zentrale voller Schmuddelheftchen und Actionfiguren die Anzugträgerschaft gehörig auf Trab hält mit einer Erfindung, die wie eine Verlängerung seines Intellekts funktioniert. Wie üblich schlägt hier die Intelligenz des befremdlichen Außenseiters die Schaumschlägerei des Restfelds, einhergehend mit der Erkenntnis, dass Vertrauen in die Kontrollierbarkeit neuer Technologie so naiv ist, dass man genauso gut dem Inneren von Pandoras Box einen Freischein erteilen könnte.

Natürlich ist das alles kreuzblöde, aber dank der effektvoll montierten Spezialeffekte (in Sachen On-Set-Tricks sticht der Kampf in einem Aufzug heraus, ansonsten wird viel fehlendes Budget mit Schnitttechniken und Monster-Vision kaschiert) und der gellenden Selbstironie darf man dieses Worst-Of-Best der wichtigsten Genrewerke der 80er und 90er fünfzehn Jahre nach dem als nahe Zukunft gesetzten Handlungsjahr 2003 durchaus mit dem Schmunzeln nehmen, das ihm gebührt.
:liquid6:

Vampire gegen Herakles
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Wenn Mario Bava den Pinsel führt, impliziert seine Strichführung stets die Entkopplung von den grauen Vorgaben der Realität. An das Machbare muss er sich ebenso wenig halten wie er die griechische Mythologie adäquat abbilden muss. Unendliche Vorräte an Styropor und Farbe verleihen ihm die Macht, die Welt in alle möglichen Farben und Formen zu gießen, sie elastisch zu gestalten und mit der Fähigkeit auszustatten, ihre Erscheinung von einer Szene zur nächsten völlig zu verändern. Kaum liegen Herkules und sein Freund Theseus lachend auf einer Wiese und erfreuen sich am Leben, da hängen sie plötzlich an einem Seil über brodelnder Lava in der Unterwelt. Oder sie springen in einer von Pappfelsen abstrahierten Studiokulisse ins Ungewisse, um einen Schnitt später bei Tageslicht in einem See zu landen, der ganz offensichtlich nicht zu den Studiobauten gehört, von denen man noch Momente zuvor umgeben war. Zwischen diesen teils radikalen Wechseln von Bildhintergründen liegen oft nur wenige Sekunden, wenn nicht gar Wimpernschläge. Heimatfolklore und Unheimliches aus dem Schattenreich gehen Hand in Hand. Man glaubt schon bald, wie ein Grashüpfer in einer Galerie von einem Gemälde zum nächsten zu springen. Während man mit einem Bein noch in Renoirs impressionistischen Wiesenbüscheln steht, tritt man mit dem anderen bereits in die Pfütze einer zerfließenden Uhr aus dem Repertoire Dalís.

Natürlich ist das bezogen auf die visuelle Komponente Bava mit Haut und Haar, auch wenn sich die Produktionsvorgaben offensichtlich wie ein Korsett um die Farbenpracht zwängen, das der gleichzeitige Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann auch mit der ungewöhnlich klingenden Paarung aus Sandalen- und Vampirfilm nicht zu sprengen versteht. Die chauvinistischen Absonderungen Giorgio Ardissons sind in ihrer Schärfe durchaus bemerkenswert, ebenso wie die widerstandslose Fügung des Frauenbilds in diese Richtungsvorgabe. Es gibt sogar viel schwarzen Humor, mit dem die allgegenwärtige Dunkelheit von Tod und Missgunst überspielt wird. Inhaltlich lässt sich aber kaum mehr aus der Heldenposse ziehen als aus jedem beliebigen Low-Budget-Epos, das irgendwann mal im Italien der 60er und 70er Jahre entstanden ist.

Doch gerade wegen des leuchtenden Neuanstrichs altbackener mythologischer Schinken schaut man sich "Vampire gegen Herakles" ja heute noch an. Auch wenn die Genre-Paarung aus dem Titel nicht ganz so absurd ist, wie sie zunächst klingt (Herkules hat schließlich schon Gegner von ganz anderem Format zur Strecke gebracht), sie hält auf gewisse Weise doch genau das, was sie verspricht: Fragmente des gotischen Horrorfilms eingebettet in eine griechische Tragödie von wahrhaftigem Schenkelklopferformat.
:liquid7:

Todesschrei des gelben Tigers
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Für den „Todesschrei des gelben Tigers“ lässt Vielfilmer Chang Cheh seinen hüpfenden und chargierenden Venom Mob in ein wahres Wechselbad der Gefühle tauchen. Die Eröffnung hinter den Credits ist noch wie ein Theaterstück nach einer klassischen Tragödie geschrieben, die Reduktion des Sets auf die Kämpfer und ihre Bewegungen in minimalistischer Kulisse hat sogar eine beinahe opernhafte Anmut. Der Kampf um Leben und Tod vereint berühmte Volkshelden und Unterdrücker der chinesischen Geschichte auf dem Schlachtfeld, das durch Stilmittel wie den Freeze Frame mitten in der Bewegung eine besonders irreale, aber eben auch betont filmische Wirkung bekommt.

Als daraufhin in die Haupthandlung gewechselt wird, kann man ob des Wechsels in exzessive Taugenichts-Comedy irritiert sein. Der Tonfall schwingt von fatalistischer Betrübnis übergangslos in eine Posse über gelangweilte Lausbuben (Lo Mang, Kuo Chui), die den ganzen Tag nur Unsinn im Kopf haben und davon träumen, ihren langweiligen Jobs zu entfliehen, um sich in den Dienst einer ehrenhaften Sache zu stellen. Die Studiobauten bewahren dabei stets ihren künstlichen Charakter, sie verhehlen ihren gefertigten Charme nie und bieten sich somit als vielseitiges Trainings- und Kampfareal an. Der Mob hat gerade im Mittelteil einen seiner humoristischen Gipfel zu erklimmen und verbindet diesen mit lockeren bis spielerischen Kampfchoreografien.

Diese erfüllen letztlich wenig überraschend einen Trainingszweck für den Ernstfall, der mit einem überlangen, äußerst abwechslungsreich inszenierten Martial-Arts-Finale zur Stimmung des Auftakts zurückkehrt. Die Konstellation leiht sich dabei Elemente des Samurai-Klassikers „Die glorreichen Sieben“ und resultiert standesgemäß in einer pathetischen letzten Einstellung.

Da steckt nicht allzu viel dahinter, aber Cheh gelingt zwischen den Stimmungsschwankungen immerhin ein temporeiches, mit flottem Kung-Fu-Krawall gespicktes Besatzungsabenteuer auf engem Raum, das seine primitiven Unterhaltungsabsichten erfreulicherweise nicht hinter einer prätentiös in die Länge gezogenen Geschichte verbirgt.
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The Mermaid
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Eine infantile Fantasy-Romanze über Meermenschen, inklusive werbetafelgroßer Umwelt-Message... mag sein, dass ein westliches Publikum hier vielleicht gerade noch halbinteressiert die Ohren spitzt, seit "Aquaman" im Kino läuft, aber grundsätzlich bekommt man mit so etwas vermutlich nur ein paar Märchenfreunde vor der Mattscheibe versammelt, die gerne hören, dass am Ende alles gut wird.

Doch wenn ein Mann dafür geschaffen ist, dem kitschigen Feelgood-Movie in Zeiten ambivalenter Kinocharaktere zu einem Comeback zu verhelfen, dass ist das wohl Stephen Chow. In diesem Leben wird der "Kung Fu Hustle"-Regisseur wohl nicht mehr erwachsen, was ihm alle Zeit der Welt verschafft, seinen Blick aus naiven Kinderaugen zu schärfen.

Optisch unterscheidet sich "The Mermaid" zunächst kaum von den Gloss-Picture-Produktionen, die typischerweise den Teil des chinesischen Blockbusterkinos bestimmen, der gen Westen herüberschwappt. Farben wie aus der gemischten Süßwarenabteilung, digital weggewachste Strukturen und eine grundsätzliche Linienführung, die einem lachenden Mondgesicht entspricht. Trotz ein, zwei gezeigter Grausamkeiten am Leben unter dem Meer fühlt sich Chows Regie weich wie ein Daunenbett an, so dass selbst die unfreiwillige Selbstverstümmelung eines Oktopus-Mannes so unschuldig erscheint wie der Anblick eines pausbäckigen Kindes, das in seinen kandierten Apfel beißt.

Die Spezialeffekte dürfen in diesem Zusammenhang dann auch sehr unfertig aussehen, solange sie nur gehörig Schwung erzeugen, was über furiose Kamerafahrten geschieht, mit denen beispielsweise eine halb im Wasser stehende Halfpipe zur Sprungschanze mit Wasserspritzgarantie umfunktioniert wird. Die äußerst befremdlichen Arbeitsnachweise der CGI-Künstler tragen sogar entscheidend zur Comedy bei, mit der es Chow letztendlich wieder gelingt, sich von den langweilig perfekten Produktionen der heimischen Konkurrenz abzuheben. Man kann kaum anders, als den unbeholfen watschelnden Flossen der Hauptfigur mit Faszination zu folgen, zumal auch die Casting-Abteilung ihren Job bei der oberen Hälfte der Meerjungfrau hervorragend gemacht hat, denn Newcomerin Lin Yun bringt nicht einfach nur Niedlichkeit mit, sondern ein auch ein ausgeprägtes Gespür für komödiantisches Timing.

So nimmt Chow romantische Gefühle und den klassischen Romeo-und-Julia-Komplex mit unnachahmlicher Leichtigkeit, die es ihm erspart, mit allzu ironischem Gebahren auf RomComs und Plots mit durchschaubarer Schwarzweißzeichnung zu reagieren, um sich von ihnen abzuheben. Das ist Kitsch, der sich ausnahmsweise mal wieder gut anfühlt.
:liquid7:

Lord Of Illusions
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Clive Barkers Adaption seiner eigenen Kurzgeschichte ist als blinder Sturz in die zylindrische Dimension der Magie angelegt. Leben und Tod werden nur noch als Durchgangsportale verstanden, reflektiert durch ein hervorragendes Setdesign und pointiert eingesetzte Splatter- oder anderweitige Spezialeffekte. Die Kulissen werden bestimmt von Rissen im Putz und Löchern in den Wänden, die symbolisch einen Blick auf die Dornen hinter den Rosenblüten erlauben, sowie abstrakten Gebilden aus Knochen und Fleischresten, die eine Trennung von Geist und Fleisch behaupten. Die Pole des Schmerzes und der Lust werden auf diese Weise wie schon in den anderen Regiearbeiten Barkers miteinander verbunden, wobei die Lust diesmal von der Macht über das Publikum herrührt, oder mehr noch, von der Erhebung über die Gesetze der Physik.

Der Versuch, Detective-Noir-Versatzstücke mit Horrorvisionen und einer enormen Bandbreite an illusionistischen Tricks zu verknüpfen, ist aus der Retrospektive heraus betrachtet ein tollkühnes Unterfangen und zeichnet den Horrorfilm nachhaltig als eines der experimentierfreudigsten Genres aus. Die rasanten Schauplatz- und Stimmungswechsel, etwa vom fiebrig inszenierten Auftakt in der Mojave-Wüste mit hartem Schnitt ins verregnete Chicago und von dort ins sonnige L.A., verhindern möglicherweise die Ausbreitung einer in sich geschlossenen Atmsophäre, verdichten die Ermittlungen des Privatdetektivs aber zu einer Spirale aus Irrwegen, aus der man eine Inspiration durch die Noir-Filme der 30er und 40er Jahre ablesen kann.

Bakula schlägt sich unerwartet gut mit Dreitagebart, Unterhemd und Schulterholster; ebenso wurden Famke Janssens Qualitäten als Femme Fatale schon in frühen Jahren entdeckt. Gleichwohl begrenzen sich die wirklich gelungenen Aspekte der Story auf die visuelle Gestaltung. Stutzt man "Lord Of Illusions" auf die nackte Handlung zurück, wird man auf einen recht dünnen Plot stoßen, der mit all seinen Ablenkungsmanövern und Zauberstücken nicht verbergen kann, dass ihm bloß eine Kurzgeschichte zugrunde liegt.

Aber warum sollte man eine solche Reduzierung vornehmen, wenn Regie und Ausstattung so betörend ausfallen, dass selbst die hoffnungslos veralteten CGI-Effekte einer sich im Raum entfaltenden Entität den kruden Genre-Mix aus Okkultem, Surrealistischem, Kriminalfilm und transzendentalem Körperhorror irgendwie bereichern - als glatte, nichtorganische Fremdkörper, die aus einem völlig anderen Universum stammen müssen.
:liquid7:

The Expanse - Season 1
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Für einen einfallsreichen und mit recherchiertem Wissen ausgestatteten Romanautoren ist es ein Leichtes, die Requisiten für seine Vision zu beschaffen. Asteroidengürtel-Bergbau? Ein besiedelter Mars? Er muss sie bloß beschreiben und schon existieren sie (die verlebte Erde voller Umweltkatastrophen und verstrittener Parteien, nun, dafür braucht es nicht einmal mehr den Einfallsreichtum). Adaptionen von Science-Fiction-Romanen in ein visuelles Medium sind nicht umsonst so risikobehaftet. Schließlich reicht es hier nicht, das Drehbuch in die Kamera zu halten, man muss das ganze Szenario schon auch irgendwie sichtbar machen. "The Expanse" ist dahingehend in seiner ersten Staffel ein kühnes Unterfangen, basiert die Syfy-Produktion doch auf einer Vorlage, die mehr als großzügig Räume öffnet, die weit über die Erde als Schauplatz hinausreichen und letzten Endes alle gefüllt werden möchten. Dies mit dem neuen Serien-Standard von zehn Episoden zu bewerkstelligen, ist praktisch unmöglich.

Deswegen liegt der Fokus hauptsächlich darauf, den Raum mit überzeugenden Produktionswerten und dichter Atmosphäre dreidimensional abzustecken. Bereits im Piloten überzeugt "The Expanse" mit kraftvollen Bildern, die frei im All schweben und Relikte menschlicher Kolonialisierung im Weltall vor dem Sternenmeer ganz ohne Pathos, dafür mit einer Menge Warnschilder einfängt. Der Kinofilm "Gravity" von 2013 scheint bei der Gestaltung von All-Sequenzen jedenfalls weiterhin einen starken Einfluss auszuüben. Auch die Innenkulissen überzeugen mit unaufdringlichem Design, das die Fortentwicklung der Technologie nachfühlbar macht, auch anhand kleinerer Gerätschaften wie Handys aus transparentem Material (Thomas Jane trägt charmanterweise eines mit "gesprungenem Glas" - beruhigend, dass sich nicht alles ändert). Sollte es noch zu der geplanten Verfilmung des Videospiels "Mass Effect" kommen, könnte man sich dieses Produktionsdesign durchaus zum Vorbild nehmen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass bezüglich der Beziehungen zwischen den Interessensgruppen, generell der gesamten kulturellen Ordnung im abgebildeten 23. Jahrhundert lediglich Andeutungen gemacht werden können. Die Spannungen zwischen den Bewohnern des Asteroidengürtels, des Mars und den zurückgebliebenen "Terrariern" (Erdbewohnern) sind spürbar, ebenso wie Spannungen zwischen Arm und Reich oder Politik und Volk zur Allegorie auf gegenwärtige Probleme unserer Welt taugen; bis zum Kern werden sie aber allesamt noch nicht ergründet. Was nicht heißen muss, dass die Charaktere allesamt oberflächlich blieben. Im Gegenteil, von Stereotypen hält sich die Figurenzeichnung so weit wie möglich fern. Wenn, ist es als Stilmittel gewollt: So bringt der linkisch auftretende, unangepasst agierende Joe Miller (Thomas Jane mit gewöhnungsbedürftiger Iro-Frisur) eine Menge Detective-Noir-Flair ein und damit ein wenig Altmodisches in die Zukunft.

Staffel 1 bietet einen vielversprechenden Auftakt für eine Romanadaption mit Potenzial, die noch längst nicht aus dem Vollen schöpft. Aber wie oft haben wir schon gesehen, dass ein Konzept erst im zweiten oder dritten Jahr so richtig aufblüht. Diese Zeit sollte man einem ambitionierten Projekt in jedem Fall geben. Insofern schön, dass die zwischenzeitlich eingestellte Serie nun doch weitergeführt wird.
:liquid6:

Weitere Sichtungen:

Scanners - Trilogie
Vengeance - Pfad der Vergeltung
Ballad In Blood
Summer Of '84
Revenge
A Beautiful Day
Rampage - Big Meets Bigger
Wildling
Mayhem
Deadpool 2
Evilspeak
Roger Corman's Death Race 2050

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 24.12.2018, 09:15

Death Machine
Der nachdrücklich erklärte Lieblingsfilm einer Freundin. Erinnere mich noch, als ich ihr Scheibe zu Beginn der 2000er besorgte, afair im Jewel Case von UFA für 20€, ich voller Stolz auf die FSK 18 uncut hinwies (sie kannte ja nur die TV Fassung) und sie nur so: "Ach das ist mir egal ob da paar Minuten fehlen". :rambo:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 24.12.2018, 10:53

SFI hat geschrieben:
24.12.2018, 09:15
"Ach das ist mir egal ob da paar Minuten fehlen". :rambo:
DEN Spruch kenne ich nur zu gut :roll:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 24.12.2018, 14:24

Der Tatbestand für unsereins indes unerträglich. :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 24.12.2018, 15:31

Vince hat geschrieben:
24.12.2018, 08:10
Diese Defizite sind allerdings eher eine Krankheit Hollywoods als dieser speziellen Produktion. "Game Night" zählt sicherlich trotzdem zu den besseren Komödien der letzten Jahre. Die Grundidee ist präzise ausgearbeitet, das Tempo ist schnell, die Besetzung hochkarätig und die Wendungen originell. Etwas Abrüstung der filmischen Hilfsmittel, ein wenig Vertrauen in die Alleinunterhalterqualitäten komödiantisch begabter Darsteller wäre allerdings auch mal wieder wünschenswert.
Geht mir leider auch so, dass Hollywood in den letzten Jahren wenige klassische Komödien geliefert hat (also jetzt nicht so Sachen wie "Deadpool" oder "The Nice Guys"), die wirklich lustig waren. In "Game Night" hatte ich große Hoffungen gesetzt, komme aber auch über 6/10 nicht hinaus. Einziger anderer (noch ungesehener) Hoffungsträger ist "Blockers". Die letzten Hollywoodkomödien traditioneller Art, die ich sehr lustig fand, waren "Wir sind die Millers" und "Playing It Cool". Wenn man sich überlegt, dass zu Apatow-Hochzeiten allein aus dessen Schmiede ein bis zwei Knaller pro Jahr kamen, dann waren die letzten Jahre echt enttäuschend.
Vince hat geschrieben:
24.12.2018, 08:10
Der Versuch, Detective-Noir-Versatzstücke mit Horrorvisionen und einer enormen Bandbreite an illusionistischen Tricks zu verknüpfen, ist aus der Retrospektive heraus betrachtet ein tollkühnes Unterfangen und zeichnet den Horrorfilm nachhaltig als eines der experimentierfreudigsten Genres aus.
Wenn dir die Mischung zusagt, dann kann ich noch "Cast a Deadly Spell" alias "Hexenjagd in L.A." empfehlen, der kürzlich auf DVD hierzulande erschienen ist. Ein Film-Noir-Private-Eye-Film in einer Welt, in der auch Monster und Hexerei existieren (Lovecraft ahoi). Nutzt das Potential nicht vollends aus und kann seine TV-Herkunft nicht immer verbergen (gerade budgetmäßig), ist aber allein vom Szenario her schwer sympathisch - also zumindest für mich und für dich wahrscheinlich auch.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]

Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 24.12.2018, 16:33

SFI hat geschrieben:
24.12.2018, 14:24
Der Tatbestand für unsereins indes unerträglich. :lol:
Ebenso wie der Spruch "eine Minute mehr macht daraus keinen anderen Film" :roll:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 25.12.2018, 08:26

@McClane: Danke für den Tipp, hab mir mal den Trailer angesehen, sieht sehr interessant aus und Fred Ward passt sehr gut auf so eine Rolle. Schade, dass wieder nur eine DVD veröffentlicht wurde und nicht gleichzeitig auch eine BR...

Noch vergessen zu erwähnen:

Shameless - Season 7
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Nach sieben Staffeln ist zwar auch "Shameless" nicht mehr vor absurden Drehbuchwendungen gefeit. Man muss ja schließlich irgendwie alle vorherigen Familienkatastrophen in den Schatten stellen, um halbwegs relevant zu bleiben. Nachdem Frank am Ende der sechsten Staffel die Hochzeit seiner Tochter gecrasht hatte und als Quittung vom eigenen Nachwuchs gemeinschaftlich im Fluss versenkt wurde, ist es nicht mehr so einfach, auf dem Teppich zu bleiben. Das Herz hat die Fatality-Soap aus den tiefsten Schmutzschichten der amerikanischen Gesellschaft allerdings am rechten Fleck bewahrt, so dass die ein oder andere Übertreibung ebenso wie manch vorhersehbare Wendung gar nicht mehr so stark ins Gewicht fällt.

In fast all seinen Subplots jedenfalls bleibt die Serie um William H. Macy und Emmy Rossum jedenfalls auf einem erstaunlich hohen Niveau, das es schwer macht, den typischen Qualitätsabfall auszumachen, der fast jede lang laufende, geskriptete Show irgendwann heimsucht. Vielleicht liegt es daran, dass die Häufung der Pannen und falschen Entscheidungen erst recht das Lachen der Verzweiflung betont, das so zentral für ihre moralische Aussage ist.
Interessant, dass dieses Kleben an Pech oder Unvermögen auch dann noch an den Figuren haftet, wenn sie sich grundsätzlich in eine positive Richtung entwickeln: So wagt Fiona den Schritt zur Eigentümerin eines Waschsalons und spekuliert mit Immobilien, Ian ist auf bestem Wege, die turbulenten Zeiten mit Mickey hinter sich zu lassen, Frank zeigt neben seinen vielen hässlichen Visagen auch mal ein wenig Herz und selbst für Liam beginnt mit dem Schulstart ein wichtiger neuer Abschnitt im Leben (was auch bedeutet, dass er ab sofort nicht mehr nur als niedliche Requisite im Bild hockt). Die Gallaghers sind aber allesamt Stigmatisierte, die ihrer Herkunft nicht entrinnen können. Und je öfter das Schicksal zuschlägt, desto verständnisvoller blickt man auf eine Fiona, die trotz allem am Ende noch einen Tanz für ihren Vater übrig hat.
:liquid8:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 02.01.2019, 09:30

Statistik 2018

FILME
gesehene Filme: 306 (2017: 279, 2016: 247, 2015: 227, 2014: 297)
- davon Mehrfachsichtungen: 63
- davon Filme aus 2018: 50 (basierend auf deutscher Erstveröffentlichung, d.h. entweder Kinostart oder Heimkinorelease)
Kinobesuche: 8 (2017: 10, 2016: 7, 2015: 9)
prozentuale Verteilung Blu-ray / DVD / VOD / Kino: 66 % / 11% / 21 % / 3% (aufgerundet)

SERIEN
gesehe Serienstaffeln: 37 (2017: 41, 2016: 47, 2015: 47, 2014: 47)
- davon Mehrfachsichtungen: 4
prozentuale Verteilung Blu-ray / DVD / VOD: 33 % / 50% / 17 % (aufgerundet)

Bei mir macht sich also in den letzten Jahren eine Serienmüdigkeit bemerkbar, da die Anzahl der gesehenen Serienstaffeln trotz der gefühlt immer kleiner werdenden Gesamtlaufzeiten der Staffeln (zB "Rick & Morty" mit seinen 10x20 Min. oder Jean-Claude Van Johnson, die kaum über die Laufzeit eines längeren Films hinausgeht) immer weiter abnimmt. Außerdem habe ich immerhin vier Staffeln daraus nicht zum ersten Mal gesehen. Ich habe zwar immer noch ungesehene Staffelboxen auf Halde, aber das wird schon weniger, weil einfach nicht viel Interessantes dazukommt.
Dabei spielt aber auch mit ein, dass zB. Netflix seine (zum Teil) interessanten Serien für Nicht-Abonnenten unter Verschluss hält und gewisse Studios darauf verzichten, weiter Blu-rays rauszubringen (The Strain, Fargo) oder gleich komplett die Veröffentlichung auf physischen Datenträgern einzustampfen (Hell On Wheels).
Filme haben mich wieder mehr begeistert; wenn man mal durch die Plastik-Oberfläche der Massenabfertigungsfilme gedrungen ist, konnte man 2018 viele tolle Filme entdecken. Davon abgesehen werkeln einige Labels fleißig daran, starke Veröffentlichungen zu Klassikern, zu bislang vernachlässigten Kultfilmen und auch Obskuritäten für ein spezielles Publikum herauszubringen. Capelight, Koch, Anolis und Wicked-Vision stehen hier für mich wieder ganz oben (zusammen mit Bildstörung, wobei die 2018 nur sehr wenig herausgebracht haben - ich glaube die letzte VÖ stammt von Mai oder so). Tatsächlich habe ich eine große Menge von persönlichen Must-Sees gar nicht mehr geschafft.

Highlight 2018:
Hereditary
- Was für ein brillanter Schlusspunkt. Das war tatsächlich der vorletzte Film, den ich 2018 gesehen habe (der letzte war ein Rewatch von End Of Days) und dann kommt da so ein Kracher. Steht für mich auch stellvertretend dafür, was der Horrorfilm inzwischen wieder drauf hat.

Follow Ups:
Mission: Impossible - Fallout (bester US-Actioner seit vielen Jahren - und das bei einem sechsten Teil)
Avengers - Infinity War (superepischer Ultra-Bombast)
Call Me By Your Name (Der Sommerfilm des Jahres)
A Beautiful Day (Untergrund-Melancholie geht immer)
The Disaster Artist (schöne Meta-Reflektion über Hollywood)
Hagazussa - Der Hexenfluch (Hexenhorror funktioniert auch in deutschsprachig)
Revenge (Rape&Revenge auf höchster Intensitätsstufe)
I, Tonya (endlich mal wieder eine Filmbiografie mit einem interessanten Narrationsansatz)
Der seidene Faden (eine hochkomplexe Beschreibung zwischenmenschlicher Dynamik)
Wind River (packender Grenzlandthriller)

War okay:
Ready Player One (zwar künstliche Welt mit dem typischen Schlag Spielberg-Kitsch, aber er hat seine Momente und gewinnt bei Zweitsichtung im Heimkino sogar noch dazu)
Game Night (beste Komödie, was leider viel über die aktuelle Verfassung der Komödien aussagt, die inzwischen überwiegend in Mischformen zB. mit Action stattfindet)
A Quiet Place (nettes Konzept, aber jetzt nicht der Innovationskracher, der daraus gemacht wird)
Summer Of 84 (NOCH macht die überstilisierte 80er Atmo Spaß)
Accident Man (unterhaltsamstes B-Action-Flick)
Batman Ninja (Optik Wow, Inhalt Au!)
Alles Geld der Welt (wobei die Produktionsgeschichte fast interessanter ist als der Film)
Die Dunkelste Stunde (ausformuliert bis ins letzte Detail)
Lady Bird (als Teenage-Indie-Drama nicht mein Steckenpferd, aber die Regisseurin trifft die zeitlich-örtliche Stimmung so gut, dass die Geschichte universell anwendbar wird)
The Shape Of Water (Optik und Ausstattung herausragend, inhaltlich aber leicht enttäuschend)
Professor Marston & The Wonder Women (nach I, Tonya die originellste Filmbiografie)
Mayhem (ein frischer Blick auf Zomnbie-Infektionen)
The Villainess (überzeugt mit herausragenden Action-Plansequenzen, erzählerisch guter Durchschnitt)
Ghost Stories (wie ein nostalgischer Ausflug zu den King-TV-Adaptionen der 90er, nur hochwertiger)
Ant-Man And The Wasp (gerade noch kurz vor der Grenze zu Meh)

Meh:
Deadpool 2 (da werden mir ein paar Meta-Rollen zuviel gepurzelt - hektisch, unsauber, aber dann doch nicht ganz ohne Reiz)
Black Panther (Ethno-Kitsch)
Insidious: The Last Key (nicht mehr wirklich gut, aber für mich zumindest wieder etwas besser als Teil 3)
Criminal Squad (oder: Baby-Heat)
The Commuter (insgesamt ganz okay gemacht, aber die 69-Hours-Epigone hängen einem schon etwas zum Hals raus)
Jurassic World - Das gefallene Königreich (ein Film mit Dinos muss schon viel falsch machen, wenn er bei mir nicht über Mittelmaß hinauskommt)
Kickboxer - Die Abrechnung (wenn Mike Tyson der beste Schauspieler eines Films ist...)
Red Sparrow (obskure Mainstream-Exploitation)
Tremors 6 (dasselbe wie immer, nur halt diesmal mit ein paar Schneeflocken und weißen Tarnanzügen)
Wildling (konnte mich nicht richtig packen)
Downsizing (Payne schafft es nicht, das SciFi-Element richtig zu verwerten)
Operation: 12 Strong (schon wieder komplett aus dem Gedächtnis gelöscht)

Enttäuschungen:
Meg (so ein Riesenvieh und dann so geringe Schauwerte)
Tomb Raider (ausdruckslose Hauptdarstellerin hüpft durch billige Kulissen ohne Abenteuerflair)
Venom (Rückfall in alte Videotheken-Zeiten)
Motorrad - The Last Ride (experimentierfreudig, aber unter dem Strich unästhetisch)
Weltengänger (die jährliche Ration russischer Bestseller-Verschrottung)
It Came From The Desert (das hätte man sich viel spaßiger vorgestellt)
Jeepers Creepers 3 (müde Rückkehr ohne Biss)
Pacific Rim: Uprising (Robo-Action für Teenager - perfekter Moment für ein Murtaugh-Zitat)
Winchester - Das Haus der Verdammten (tolles Setpiece, das leider komplett verschenkt wird)

Schlechtester Film des Jahres:
The Greatest Showman (verlogene Popsülze)

Guilty-Pleasure-Spezialpreis:
Rampage - Big Meets Bigger (besteht zwar fast nur aus Blockbuster-Recyclingmaterialien, macht aber aus unerfindlichen Gründen einen Heidenspaß)
Aquaman (quietschbunte Wasserwunderwelt)


Must Sees, die ich noch nicht geschafft habe:
Mandy (die saugeile Deluxe Edition von Koch liegt bereit, aber der Zeitpunkt muss stimmen)
Suspiria (wird wohl genau das, was ich mir unter einem wahren Remake vorstelle - nämlich KEINE Kopie oder unterwürfige Verbeugung vor dem Original)
Climax (Noé ist immer für den netten Aufreger zwischendurch gut)
The House That Jack Built (von Trier ist... siehe Noé)
Isle Of Dogs (ich vergöttere diesen Animationsstil)
Predator: Upgrade (trotz der durchwachsenen Kritiken bleiben Resthoffnungen auf ein Guilty Pleasure)
Halloween (siehe Predator)
Ghostland (konkurrierte schon mit Hereditary um die letzte Sichtung des Jahres 2018, hat aber knapp verloren)
Brawl In Cell Bock 99 (kommt ja jetzt doch uncut über Capelight, bei mir liegt aber schon die UK-BR bereit)
Solo (um halt mitreden zu können)
Sicario 2 (ich hoffe auf Sicario mit einem Hauch von B-Movie)
und vieeele andere...

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 02.01.2019, 09:39

Statistiknerd :lol:
Filme haben mich wieder mehr begeistert; wenn man mal durch die Plastik-Oberfläche der Massenabfertigungsfilme gedrungen ist, konnte man 2018 viele tolle Filme entdecken.
Eine treffende Aussage, die wohl auch meine Filmmüdigkeit spiegelt, denn das Plastik war (Faulheit?) 2018 für mich hart. Ich glaube, ich muss mich die Tage durch deinen 306 Filme :!: Konsum wühlen und auf Perlentauchgang gehen. Leider sind auch bei mir noch etliche potentielle Massenabfertigungen aus 2018 auf der Leihliste.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 02.01.2019, 09:54

Vince hat geschrieben:
02.01.2019, 09:30
Highlight 2018:
Hereditary
- Was für ein brillanter Schlusspunkt. Das war tatsächlich der vorletzte Film, den ich 2018 gesehen habe (der letzte war ein Rewatch von End Of Days) und dann kommt da so ein Kracher. Steht für mich auch stellvertretend dafür, was der Horrorfilm inzwischen wieder drauf hat.
Jau, der ist echt stark.
Ansonsten auch diverse Übereinstimmungen mit meiner (nur niocht zu Papier gebrachten) 2018er List.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 03.03.2019, 14:10

Das Tagebuch hab ich jetzt ein bisschen arg lange schleifen lassen, da kam jetzt ein bisschen was zusammen:

Deadly Games
Bild
Dass wir heute vom Kevinismus sprechen anstatt von einem Thomasismus, liegt daran, dass „Kevin Allein zu Haus“ erstens eine amerikanische Mainstream-Produktion ist und zweitens aus dem recht simplen Konzept „schutzloser Junge verteidigt sich gegen Einbrecher“ mit bemerkenswerter Treffsicherheit eine Mischung aus Slapstick und weihnachtlicher Rührseligkeit anstimmt, der die Welt einfach nicht widerstehen konnte und kann. Der niedliche Blondschopf erhascht im Zuge der Verteidigung seines Hauses einen ersten Blick auf die Härte des wahren Lebens (in Form seiner ganz und gar nicht festlich gestimmten Gegner), was den Erwachsenen an den eigenen Moment des Erwachens aus der Kindheit erinnert – und das schöne Gefühl familiärer Geborgenheit um so willkommener erscheinen lässt.

Thomas aus dem französischen Thriller „Deadly Games“ gelangt schon ein Jahr vorher in eine ähnliche Situation, doch sein Versteckspiel mit einem psychopathischen Weihnachtsmann wird anders als das von Kevin nicht jedes Jahr zu Weihnachten im Free-TV ausgestrahlt. Möglicherweise, weil es weniger schöne Assoziationen hervorruft. In der stillen Vereinbarung zwischen dem Jungen und seinem geisteskranken Gegner (mit dem Gemüt eines Jungen), dass der Weihnachtsmann echt sei, liegt immerhin die Verleugnung der Realität verborgen, die zu zeigen René Manzor sich nicht scheut. Wenn der Film nicht auf Anhieb die Wärme eines brennenden Kamins verströmt, liegt das daran, dass er mit dem Stress und dem Überlebenskampf im Job einsteigt, der frappierende Ähnlichkeiten zur Simpsons-Weihnachtsepisode „Simpsons Roasting on an Open Fire“ aufweist, die ebenfalls im Jahr 1989 erstmals ausgestrahlt wurde.

Tatsächlich strömt die gesamte Handlung im folgenden eine melancholische Bitterkeit aus, obwohl die Handlung eigentlich genau wie beim amerikanischen Pendant auf Slapstick-Situationen ausgelegt ist. Das gesamte Anwesen wird von der Hauptfigur mit Referenzen zum Actionfilm der 80er Jahre gespickt. Es wird im Eiltempo von einem Raum zum nächsten geschlittert, über Geländer und durch Geheimgänge, wobei der Heimvorteil des Jungen gegenüber der körperlichen Überlegenheit des Mannes ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis herstellt. Und trotz des hohen Tempos ist immer Zeit für ein wenig Nächstenliebe. Alain Lalanne mag als Elfjähriger mit grausamer Vokuhila bisweilen wie ein unausstehlicher Rotzlöffel wirken, der Umgang mit seinem ebenfalls daheim verweilenden Großvater könnte aber liebevoller kaum sein. Und Patrick Floersheim liefert als unberechenbarer Eindringling eine unvergessene Leistung ab.
:liquid7:

Der Autovampir
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Jeder Autofahrer kennt dieses mulmige Gefühl, wenn er auf die Anzeige der Zapfsäule blickt und mit den Augen verfolgt, wie sich der zu zahlende Betrag mit jedem Tropfen Kraftstoff laufend erhöht. Die Nachkommastellen rotieren so schnell, dass jede Relation von Angebot und Preis verschwimmt. Zur Kasse geht man völlig benommen, aus dem Tritt gebracht durch diesen Akt des freiwilligen und doch sonderbar willenlosen Handelns. Vielleicht sind es gar nicht die aufsteigenden Dämpfe, wegen denen man sich beim Tanken so unbehaglich fühlt; vielleicht ist es einfach das Wissen, dass man gerade ausgesaugt wurde wie von einem Vampir.

Die Verbindung zwischen Automobil und Vampirismus ist eine abstrakte, voller Exzentrik und Absurdität. Somit hat man sie schnell als Trash eingeordnet, wo es doch schon problematisch genug ist, einem Publikum überhaupt menschliche Eigenschaften durch den Benzintank einzuflößen. Wenn der penetrante Tanklaster aus Spielbergs „Duell“, der diabolische Lincoln aus „The Car“ oder die eifersüchtige „Christine“ aus Carpenters King-Adaption menschliche Charakterzüge aufweisen, dann liegt das daran, dass ihnen vom Drehbuch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung angedichtet wird und damit zum Ausbruch aus der autonomen Funktionsweise, die ein Auto eben zum Auto macht.

„Der Autovampir“ ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswert origineller Film, der sich mit solch geradlinigen Genre-Horrorfilmen über Autos weniger vergleichen lässt als mit wesentlich abstrakteren Filmkonzepten. Juraj Herz greift sich die wenig naheliegende Idee eines mit Blut betriebenen Autos völlig unbekümmert und verarbeitet sie zu einer bösen Satire über Medien (Paparazzi spielen eine entscheidende Rolle bei der Auswertung der Unfälle, die im Film stattfinden) und die Automobilindustrie, ohne Angst davor, die Verbindungslinie zwischen der Funktionsweise eines Automotors und vampirischen Verhaltensweisen könnte möglicherweise zu dünn sein.

Man muss sich also nicht wundern, wenn der Regisseur die Möglichkeiten, die ihm das Medium bietet, einfach nutzt. Noch zwei Jahre bevor David Cronenberg (der sich mit „Fast Company“ und „Crash“ selbst ebenfalls dem Thema Auto widmete) „Videodrome“ drehte, lässt Herz seine Hauptfigur mit dem Arm wie Butter durch die Motorhaube des Vampirautos greifen und nimmt damit bereits die berühmte Effektsequenz vorweg, in der James Woods eine Videokassette in die Bauchhöhle geschoben wird. Die Übergänge zwischen ernstzunehmendem Thriller und krudem B-Movie werden ebenso fließend vorangetrieben wie sie abrupt in den Film editiert werden. Hartes Metall wird einfach aufgeweicht, Mechanisches für Biologisches zugänglich gemacht. Das beginnt bei der Figurenzeichnung (allen voraus eine toughe Rettungswagenfahrerin und ein leicht zerstreut wirkender Arzt, der Licht in den surrealen Tunnel werfen möchte, in den er irgendwie geraten ist) und endet in groben Szenenwechseln, die mit harten Schnitten immer wieder die Stimmung zugunsten schwarzer Komödie, surrealem Horror, sleazigem Thriller oder Action-Krimi kippen.

Der schwarz lackierte „Ferat Vampir“, ein Skoda aus der Supersport-Reihe, wacht über alldem wie eine dunkle Eminenz und verleiht dem Film Charakter und Schnitt, ohne selbst so sehr Anthropomorphismen zu unterliegen wie seine berühmten Filmstar-Kollegen auf vier Rädern (schon gar nicht wie der schwarze Trans-Am, der mit vielen Ähnlichkeiten im Design kurz darauf in einer albernen SciFi-Action-Krimiserie in den USA gegen das Verbrechen kämpfte). Vielmehr ist er das Resultat einer vom Menschen erschaffenen, blutsaugenden Industrie.

Zurück bleiben Dinge, die man vorher unter Garantie als Cronenberg-Patente eingestuft hätte: abgefressene Fußsohlen, nicht-ergonomische, dem Körper widersprechende Bedieninstrumente, metallisch-organische Verbindungen und Autorennen mit fatalem Ausgang. Dazu gesellen sich surreale Besuche in der Leichenhalle mit unkonventionellen Ritualen (zur Begrüßung ein Biss in die Hand – wer kennt es nicht?) und ein Hauch von Trash – eine betörende Mischung.
:liquid7:

Holidays - Surviving Them Is Hell
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Jedem Feiertag wohnt etwas Böses inne, dachten sich neun Regisseure und erdachten prompt sieben Kurzgeschichten für sieben Feiertage, die sich hier zur Anthologie "Holidays" vereinen. Was den Zuschauer vor ein schwieriges Rätsel stellt: Was ist eigentlich der beste Zeitpunkt des Jahres, um sich so etwas anzusehen?

Hat man sich einmal auf ein passendes Datum geeinigt (ich empfehle als Kompromiss die kalten Januartage; wer ganz hart drauf ist, macht es vielleicht im feiertagslosen Juni), so trifft man auf eine recht traditionelle Ansammlung von Erzählungen, deren stumpfe Pointen typisch sind für die weniger liebevollen Vertreter dieser Filmgattung. So versuchen die meisten Beiträge, den symbolischen Grundgedanken des jeweiligen Feiertags auf pervertierte Art und Weise wörtlich zu nehmen. Die sture Übersetzung des Symbolischen ins Reale soll dabei für den Horror sorgen. Ausgerechnet der "Valentine's Day"-Auftakt ist dabei besonders plump geraten. Das ist allerdings auch dem wenig ergiebigen Thema anzurechnen, muss das Herz doch die wohl älteste Metapher der Menschheitsgeschichte sein. An dieser ersten Episode reizt allenfalls das völlig überzeichnete Mobbing im Sinne altbekannter High-School-Klischees; die Auflösung dagegen kündigt sich durch seinen Aasgeruch bereits lange vorher an.

"St. Patrick's Day" macht es da mit einer kreativen Regieleistung und vor allem einer teuflischen Jungdarstellerin etwas besser, könnte durch seine surreale, mit Wischeffekten und Doppelbildern versehene Inszenierung allerdings auch den ein oder anderen Zuschauer abschrecken, spätestens wenn er schließlich in einem esoterischen Heidentanz mündet.

Nicholas McCarthy hat mit "Easter" ohne Zweifel das coolste Monster der Sammlung zu bieten. Die Mischung aus Jesus-Zombie und Man-Bunny, die hier bei Nacht durch ein Wohnzimmer stolpert und kleine Küken aus den Wunden in seiner Hand verliert, bietet einen wahrhaft verstörenden Anblick, zumal nächtliche Aussichten auf mannsgroße Hasen in dunklen Wohnzimmern die Erinnerungen an "Donnie Darko" wachküssen. Dramaturgisch ist dieser Kurzfilm allerdings weniger ausgereift, fühlt er sich doch an wie ein aus dem Kontext gerissener Schnipsel aus einem Langspielfilm, der nie die Ehre hatte, gedreht zu werden.

Auch "Mother's Day" nimmt sein Sujet sehr wörtlich, bleibt aber dem mütterlichen Grundgedanken fern. Er konzentriert sich auf den biologischen Vorgang der Schwangerschaft, driftet allerdings am Ende ähnlich wie "St. Patricks Day" zu sehr in kultische Gefilde ab und hat überdies so wenige Schauwerte zu bieten, dass sich zumindest der finale Schockeffekt ein wenig hervorhebt.

Dem Muttertag gleich den Vatertag folgen zu lassen, liegt natürlich nahe (hoch lebe die Gleichberechtigung), das Resultat indes weicht stilistisch deutlich ab: Keiner der anderen Feiertage ist näher dran an den klassischen Twilight-Zone-Stories. Es gibt Audiobotschaften, Paralleldimensionen und jede Menge Farbfilter, ganz nach alter Hausmannskost. Eine metaphorische Lesart wird immerhin angeboten, jedoch nicht allzu spannend verpackt: Unter dem Strich bleibt die Suche einer Tochter nach ihrem Vater in Bezug auf die Handlung doch recht öde.

Dann hätten wir da noch "Halloween", zurechtgeklopft mit dem Holzhammer, der geschwungen wird vom wohl prominentesten Regisseur an Bord, Kevin Smith. Jenen scheint Halloween als solches nicht sonderlich zu interessieren (warum auch, mit "Tales Of Halloween" kann man sich ohnehin nicht messen). Seine Geschichte hätte ebenso gut vor dem Hintergrund jedes anderen Feiertags spielen können, was ihr durchaus eine interessante Meta-Stellung verleiht. Das karge Milieu-Setting mit Tarantino-Reißbrettcharakteren und unflätiger Gossensprache sammelt allerdings keine Sympathiepunkte. Entsprechend der Geschwätzigkeit dieses Kurzfilms basiert dann auch die Auflösung auf der Doppeldeutigkeit eines Oneliners, den man wahlweise schlagfertig oder primitiv finden kann.

Um Weihnachten kommt natürlich keine Feiertagssammlung herum, also läuft Seth Green in bester "Turbo Man"-Schwarzenegger-Manier am heiligen Vorabend durch die Gegend, um ein ganz besonderes Geschenk aufzutreiben - und sich dabei die Hände ordentlich schmutzig zu machen. Eine passable Folge, die zwar auf altbekannte Weise den wahren Sinn hinter dem Geschenkewahn hinterfragt, dabei aber auf visuell interessante Weise mit virtueller Realität experimentiert.

Den Schlusspunkt setzt logischerweise "New Year's Eve" mit einem Jahreswechsel, der zur Showbühne für Lorenza Izzo und Andrew Bowen wird. Ein richtiger Knaller ist auch diese Dating-Episode nicht, zumal man den Twist erneut Meilen gegen den Wind riecht, aber doch ein netter Kommentar zum Thema Einsamkeit - mit einem Schuss Psycho-Wahnsinn, der ironischerweise in so mancher Einstellung fast normaler wirkt als das sogenannte "perfekte Date".
:liquid5:

Hardcover
Bild
Inwiefern die Beschreibungen aus einem fiktiven Roman einen Nachahmungseffekt in der Realität auslösen können, ist eine Frage, die zuletzt wohl im vergangenen Jahrhundert gestellt wurde. Bücher werden zwar nach wie vor gelesen, einen allzu starken Einfluss auf die Psyche der Leser traut man ihnen aber eher nicht mehr zu, sind doch Medien wie Videospiele, Filme und Internet der allgemeinen Wahrnehmung zufolge viel lauter, greller und somit potenziell gefährlicher. Wenn Tibor Takács in "I, Madman" also einen Wahnsinnigen aus einem Buch entspringen lässt, dann hat das dreißig Jahre später einen altbackenen, ja fast historischen Charme; als ob man der alten Stadtbibliothek neben dem neu eröffneten Virtual-Reality-Center bewusst den Vorzug gibt, weil man einfach in meditativer Stille den Duft und die Haptik der Seiten in sich aufnehmen will.

Was nicht bedeuten soll, dass Takács einen leisen Film gedreht habe. Türen werden aufgestoßen, Blitze erhellen die Nacht, der Wind stößt Fenster auf und die Fratze des Buhmanns pirscht sich in Vorbereitung auf einen saftigen Jump Scare aus dem Dunklen an. Die Nachahmer-Thematik wird auf offensive Weise in die Phantastik überführt, dank eines fast übernatürlich erscheinenden Monsters und einer fast Lovecraft'schen Versunkenheit in das erzählerische "Ich" des Romans, der sich nach und nach in der Welt einer Büchernärrin manifestiert.

Bezüglich des Spiels mit den Ebenen des Erfundenen und der Wirklichkeit ist es nicht einmal ein besonders raffinierter Film. Das Drehbuch ist relativ flach in seiner Struktur und lebt hauptsächlich von den unheimlichen Begegnungen bei Nacht, ungesehen von Freundeskreis und Polizei, die folglich nicht bereit sind, auch nur eine Minute an das Übernatürliche zu glauben. Es bleibt bei der Intimität zwischen dem Besucher und der Heimgesuchten, beeinflusst von frühen Vampirfilmen oder vielleicht auch dem "Phantom der Oper", dem Randall William Cooks Kreatur aus dem Roman nicht nur wegen seines entstellten Äußeren und seiner vermummten Erscheinung eine Menge Inspiration zu entziehen scheint.

Dementsprechend hat "I, Madman" seine Stärken vor allem im atmosphärischen Aufbau. Schon der Buchladen gibt eine wundervolle Kulisse ab mit all der Ware, die regelrecht die Treppen und Regale verstopft. Wenn Jenny Wright aber nachts alleine auf ihrer Couch sitzt und im Buch schmökert, während sie den prasselnden Regen bei geöffnetem Fenster mit Blick zum Hof als stimmungsvolle Untermalung nutzt, kommt sogar Hitchcock-Stimmung auf. Auch wenn es letztlich bei solchen Oberflächenreizen bleibt und das Potenzial der Story nicht genutzt werden kann, haben diese Stimmungselemente bis heute ihren Wert bewahrt, wenn nicht sogar gesteigert.
:liquid6:

The Death Of Stalin
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Natürlich bleibt einem der Klos im Hals stecken beim Gedanken an die Begleitumstände zur Zeit von Stalins Tod, so dass der herrlich trocken inszenierte Humor auch mal in Grabesstille versanden kann. Sicherlich haben die Opfer von Stalins Herrschaft es nicht verdient, nur im Off der Kamera zu leiden, ungehört und ungesehen vom Publikum, das sich derweil von einer politischen Farce unterhalten lässt, die sich quasi wie auf einer Theaterbühne abspielt. Doch fallen diese Aspekte gar nicht erst in das Wirken dieser bitterbösen Satire, die vielmehr dazu bestimmt ist, jeden Zug ihrer Schachfiguren zu ganz genau zu beobachten, anstatt den Blick neben das Feld zu werfen. "The Death Of Stalin" lebt von seiner allgegenwärtigen Atmosphäre der Furcht, die wie giftiger Nebel in den Kopf der Akteure steigt und sie zu willenlos hampelnden Marionetten ihrer eigenen Macht- und Geltungsgier macht. Armando Iannucci versteht es hervorragend, dieser beklemmenden Situation, in der jedes falsche Wort das letzte sein kann, komödiantisches Potenzial zu entlocken; und das nicht etwa, um sich über die russischen Machthaber oder deren Thronschubser lustig zu machen (nun ja, vielleicht ein wenig), sondern vielmehr um aufzuzeigen, wie schrecklich würdelos sich der Mensch verhält, wenn er dazu gezwungen ist, sich in einem Haifischbecken zu behaupten. Das Lachen über all die hochdekorierten Geier, Schlangen, Schweine und Koyoten in ihren Uniformen voller Medaillen kommt aus tiefster Galle, denn es ist nah genug an der Realität, dass man zugleich bitterlich mit dem Kopf schütteln möchte, aber doch auch wieder keine historisch korrekte Wiedergabe von Tatsachen.

Die darin liegende Diskrepanz wird von Akteuren wie Steve Buscemi, Jason Isaacs, Michael Palin oder Simon Russell Beale vortrefflich überbrückt. Grau oder kahl gewordene Amtsträger in Lauerstellung, die sich gegenseitig schwarze Peter oder zumindest bedeutungslose Aufgaben zuschieben, um sich selbst einen taktischen Vorteil zu verschaffen? Iannucci hat Recht: Das ist ebenso witzig wie tragisch.
:liquid7:

Flucht vor dem Tode
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Outlaw Bill Doolan war immerhin Begründer der Bande "The Wild Bunch", die nicht zuletzt durch Sam Peckinpah an Bekanntheit erlangt hat. Man hätte ihn sich aufgrund dessen vielleicht etwas einschüchternder vorgestellt, mehr als jemanden, der seines eigenen Schicksals Schmied ist. In "Return Of The Bad Men" (1948) mit Robert Armstrong und Randolph Scott ist er sogar Anführer der wohl berühmtesten "Kids" der Western-Geschichte, Sundance und Billy. Hier nun wird er wie ein Blatt im Wind von einer Situation zur nächsten getrieben und regelrecht zu seinen Entscheidungen genötigt. Gefangen in einer Schere zwischen den Auflagen des Gesetzes und den Trieben der eigenen Gruppe scheint der Verlauf seines Weges längst besiegelt; Audie Murphys jugendlich-weiche Gesichtszüge und seine schmale Statur entsprechen diesem Eindruck. Ob er nun unter den geifernden, buckelnden Halunken seiner eigenen Gruppe die Position zu halten hat oder den prüfenden Blicken der Fährtenleser entkommen muss, Herr der Lage ist er selten.

Doch es ist nicht Hauptdarsteller Murphy, sondern Regisseur Budd Boetticher, der diese Eindrücke letztlich zementiert. Sein erster Western von vielen legt bereits ein Mordstempo an den Tag. Schon in der Eröffnungsszene drehen sich die Dialoge um etwas, das bereits geschehen ist, bevor auch diese Szene in Windeseile zur Vergangenheit gehört, als sich im Minutentakt neue Situationen ergeben. Zufälle werden ebenso hastig wie Bekanntschaften gesponnen, kleine Ereignisse führen im Schnellvorlauf zu großen, ja selbst die Liebe, für die sich ein Revolverheld auch mal gerne mit seiner Angebeteten in den Sonnenuntergang legt, erblüht wie im Zeitraffer. Passenderweise adaptiert Boetticher, obgleich er es mit den Details nicht immer so genau nimmt, ausgerechnet den synchron ausgeführten Raubüberfall auf zwei Banken gleichzeitig; so etwas Abenteuerliches passt schließlich zur unverbindlichen Szenenmontage.

In der Konsequenz leiden natürlich Charakterzeichnung und andere Dinge, die einfach Zeit benötigen, wenn man sie ordentlich umsetzen möchte. Im besten Fall amüsiert man sich über den schelmenhaften Spießrutenlauf eines jungen Kerls, der gerade erst aus der Haft entlassen wurde und schon wieder ein halbes Dutzend neuer Coups auf der Tagesplanung stehen hat, doch zu oft ärgert man sich auch über unausgearbeitete, skizzenhafte Figuren, die das ungenutzte Potenzial in sich tragen, einen stärkeren Einfluss auf den Handlungsverlauf auszuüben. "Cimarron Kid" trägt die Züge eines Epos, das man um mehr als die Hälfte an essenzieller Vertiefung beschnitten hat. Übrig bleiben relativ actionreiche, aber auch sehr hölzerne Momente.
:liquid4:

Knight Moves
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Mit seiner Tendenz zu kühler Optik, lasziven Posen und aufgebauschtem Schauspiel gehört "Knight Moves" sicherlich zu den archetypischen Thrillern der 90er Jahre. Seine zeitliche Nähe zu "Basic Instinct" ist kein Zufall; damals wurden funkelnden Großstädten gerne die verrückten Regeln von Psychopathen aufgedrängt (vgl. auch "Die Hard With A Vengeance", 1995; "The Game", 1997). Charaktere werden dann zu Spielfiguren, Polizeiermittlungen zu (teils blinden) Spielzügen, Stadtviertel zu Spielfeldern. Mittendrin rätselhafte Tatorte mit ungewöhnlich drapierten Leichen, die sich wie Bilderrätsel lesen lassen, mit deren Hilfe man sich als Zuschauer aktiv an der Auflösung des Whodunit versuchen und eine Wette mit dem Film eingehen kann: Wetten, ich errate den Mörder, bevor du ihn entlarvst?

In dieser Disziplin erweist sich Carl Schenkels Arbeit allerdings als wenig geübt, hält die Enthüllung doch in keiner Weise den großen Klassikern dieser Zeit (zB. "Sieben", 1995) stand, selbst wenn man dieses kleine Detail unbeachtet lässt, das einen schon recht früh auf das richtige Pferd tippen lässt. In der Schwarzweiß-Eröffnung mit blutroten Credits und bedrohlichem Orchester ist immerhin etwas Exzentrisches verborgen, das trotzdem einen gewissen Genuss nach Guilty-Pleasure-Art verspricht, gerade jetzt, da Jahrzehnte vergangen sind und man jene Dinge zu schätzen lernt, die es so heute nicht mehr gibt, weil sie mit der Zeit zum Klischee wurden oder politisch einfach nicht mehr tragbar sind: Daniel Baldwin etwa, der die Hauptfigur permanent auf dem Kieker hat, oder das etwas abschätzige Frauenbild, das abgesehen von einem halben Dutzend Bettgespielinnen lediglich eine Psychologin in einem als weich empfundenen Beruf (gerade im Kontrast zu den harten Hunden vom Polizeirevier) vorzuweisen hat, die sich dann auch noch in die bis zum Ende zum Kreis der Verdächtigen zählende Hauptfigur verliebt (ganz wie im wahren Leben, waren die Beiden zum Zeitpunkt des Drehs doch bereits miteinander verheiratet). Die Art und Weise, wie Christopher Lambert das Schachgenie darstellt, wird heute auch höchstens noch von Nicolas Cage in seinen weniger bekannten B-Movies gepflegt und ist somit ebenfalls zum seltenen Vergnügen geworden.

Für Feinkost-Experten hat "Knight Moves" also vermutlich nicht allzu viel zu bieten; im Direktvergleich mit den großen Thrillern seiner Zeit ist er völlig zu Recht untergegangen. Überhaupt das Schachspiel zum Aufhänger der Story zu machen, eine der ältesten Spiele-Metaphern der Geschichte, zeugt von einer platten, reißerischen Taktik, die bis ins hektische Finale hinein auch voll durchgezogen wird. Doch das soll nicht daran hindern, die ganze Farce in all ihrer 90er-Jahre-Herrlichkeit zu genießen.
:liquid6:

Der Grosse Eisenbahnraub
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Klassisch-modern oder eben einfach zeitlos könnte man Michael Crichtons Herangehensweise an seine eigene Romanverfilmung bezeichnen. Nimmt man den "Grossen Eisenbahnraub" in eine Schere zwischen "Frankie und seine Spießgesellen" (1960) und "Ocean's 11" (2001), so muss man zur Feststellung gelangen, dass sich bei den lupenreinen Eigenschaften des Caper-Movies über Jahrzehnte hinweg fast nichts geändert hat. Sieht man von einigen langwierigen Passagen in der Schlüsselsuche ab, die den Hauptteil der Handlung ausmachen, so reichten Tempo und Schauwerte vermutlich auch noch heutigen Ansprüchen, was die Regie selbst 40 Jahre später noch taufrisch wirken lässt. Spannung und komödiantische Einlagen sorgen für einen wohlfühlenden Austausch von An- und Entspannung; bei der Beschaffung der Schlüssel zum begehrten Tresor wird exzessiv mit Timing und Zeitdruck gespielt, was insbesondere beim minutiös vorbereiteten und fast wie eine Plansequenz inszenierten Einbruch in eine Bahnhofsstation für so manchen Adrenalinschub sorgt. Ein solcher tritt ohnehin spätestens dann auf, wenn Sean Connery auf dem Höhepunkt des Films bei 90 Kilometern pro Stunde über ein Zugdach läuft und Hindernissen ausweicht. Im Vergleich mit den Materialschlachten, die man heute gewohnt ist, mag so ein vermeintlich simpler Stunt bescheiden sein, seine Wirkung verfehlt er allerdings nicht.

Den Star-Appeal hat das Gaunerstück aktuellen Filmen sogar weit voraus. Sean Connery und Donald Sutherland verströmen zusammen eine Präsenz, für die das Breitbild kaum ausreicht. Ihr Gentleman-Humor passt zur Heist-Thematik ebenso gut wie zur portraitierten Zeit, die dank opulenter Kostüme und Bauten regelrecht auflebt. Natürlich wird das Bild des sympathischen Gauners mit Herz in Tradition alter Robin-Hood-Sagen weiter gepflegt (wie sollte man einem Connery seine Schandtaten auch übel nehmen); insofern bewegt man sich stromlinienförmig durch das vorgedruckte Regelwerk. "Der Grosse Eisenbahnraub" ist sicher kein Film, der in irgendeiner Art und Weise dazu prädestiniert war, Geschichte zu schreiben, das Herz hat er aber am rechten Fleck.
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David Lynch - The Art Life
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Scheinbar unaufgefordert gibt David Lynch die Anekdoten seines Lebens zum Besten. Mit völlig nüchternem Tonfall arbeitet er sich durch die einzelnen Stationen seines Daseins. Seine Interviewpartner finden sich dabei völlig aus der Tonspur entfernt, aus dem Bild ohnehin. Auch wenn man die Regie und den Schnitt hinter der sorgfältig aufgebauten Dokumentation spürt, so erweckt sie doch den Anschein, ihrem Protagonisten völlig die Kontrolle überlassen zu wollen. Lynchs Stimme transzendiert in einen nie versiegenden Off-Kommentar, der unabhängig von externen Vorgaben agiert. Das jedenfalls könnte man beinahe glauben, denn in der Kombination aus biografischen Details und obskuren Erlebnisberichten ist eindeutig etwas verborgen, das man heute als "lynchesk" bezeichnen würde. Derweil ist der Lynch vor der Kamera von seinem akustischen Pendant völlig separiert, denn er spricht niemals und ergibt somit nie eine Einheit mit dem Sprecher, so dass nicht nur die Dokumentarfilmer eine Distanz zur Biografie erzeugen, sondern interessanterweise auch der Gegenstand der Biografie selbst. Auch schaut er nicht in die Kamera, sondern geht einfach der Arbeit in seinem Atelier auf den Hollywood Hills nach. So wie er umgeben ist von Tischen, Leinwänden und Werkzeugkästen, während er zumeist im Profil von der Seite gefilmt wird, entfaltet sich eine Szenerie wie aus einem kubistischen Picasso-Gemälde. Eine Aneinanderreihung flacher Kastenformen in idyllischer Umgebung (Staubwolken, die im hellen Licht tanzen, Materialien, die überall griffbereit liegen, so als stünde der Künstler mitten in seinem eigenen Malkasten), die bald überspült wird mit den Alpträumen von Lynchs Leinwänden und seiner ähnlich alptraumhaften Musik (wie erschienen auf den Alben "Crazy Clown Time" und "The Big Dream").

Die Fotos aus seiner Zeit als Kind, Jugendlicher und heranwachsender Mann verbinden sich organisch mit den Werken aus Malerei, Musik und Film; wer die nach eigener Aussage schöne und behütete Kindheit des Erschaffers so verstörender Werke als Widerspruch begreift, wagt damit vielleicht nur einen oberflächlichen Blick auf die Umstände zu werfen. Die über mehrere Jahre hinweg gedrehte Dokumentation ist um die Erläuterung der Kontexte jedoch ebenso bemüht wie um Zurückhaltung, so dass man am Ende zu einem Verständnis der Person gelangt, das in etwa der Traumlogik seiner Werke entspricht. Die dabei eingesetzten Hilfsmittel sind subtil, aber wirkungsvoll. Man sieht in einer verwackelten 8mm-Aufnahme aus der Kindheit einen weißen Zaun und fühlt sich sogleich an "Blue Velvet" erinnert; dann hält die Kamera aus dem fahrenden Auto auf eine Straße und prompt ruft man im Kopf die Bilder aus der Eröffnungs- und Endsequenz aus "Lost Highway" ab.

"The Art Life" bleibt in letzter Konsequenz angemessen distanziert, um das Gesamtwerk nicht zu entmystifizieren, gräbt andererseits aber an den tiefsten Wurzeln, ohne dass man dies besonders merken würde. Der Blick auf David Lynch verändert sich nicht grundlegend, wenn man sich bereits anderweitig mit seinem Werk beschäftigt hat, aber vielleicht wird das Milchglas ein wenig transparenter. Ein Balanceakt, den diese Biografie gekonnt ausführt.
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Hotel Artemis
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Eine weitere Apokalypse, von der man nichts mitbekommt außer die Randerscheinungen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es ist kostengünstig und regt im besten Fall auch noch die Vorstellungskraft an. Der Nachteil: Wenn man sich dumm anstellt, sieht es so aus, als wolle man sich einfach nur billig um die eigentlichen Schauwerte drücken.

Auf das "Hotel Artemis" jedenfalls fällt höchstens hin und wieder mal der Scheinwerfer, wenn sich zufällig eine abgefeuerte Leuchtrakete ins Viertel verirrt oder schwer gepanzerte Cops (der martialischen Judge-Dredd-Schule) einen Gesetzesbrecher um den Block jagen, in dem das marode wirkende Gebäude sich versteckt wie ein Transformer im Vorgarten. Ein paar Bankräuber mit futuristischen Totenkopfmasken lassen das Chaos von "The Dark Knight" wieder aufleben, während der neonfarbene Wahnsinn von draußen an das strikt abgeriegelte Gebäude hämmert, als werde gerade die Purge Night gefeiert. Innen hält Jodie Foster als Chef-Krankenschwester das Zepter, die wie ein greisenhaftes Überbleibsel ihrer "Panic Room"-Figur die Spreu vom Weizen trennt, indem sie souverän entscheidet, wer reingelassen wird und welche Regeln unter ihrer Obhut gelten. Sie ist nur wenige Sekunden im Bild, da ist bereits glasklar, dass sie nicht nur das schauspielerische Highlight des dystopischen Kammerspiels sein wird, sondern überhaupt jeden anderen Aspekt dieser Produktion übertrifft. Die Agoraphobie ihrer Rolle mag eine selbstzweckhafte Barriere um den eingeschränkten Geltungsbereich der Handlung ziehen, sie wird aber unverschämt gut gespielt. So gut sogar, dass man glauben könnte, dieser Film zimmert allen hart arbeitenden Kräften des Gesundheitswesens das längst überfällige Denkmal.

Obgleich der restliche Cast in der Pflicht steht, Tarantinoismen nicht aussterben zu lassen (wobei die Codenamen der Patienten basierend auf den vergebenen Zimmern mehr als hilfreich sind), tragen auch sie ihren Teil zur Unterhaltung bei. Bei hastigen Gelegenheitskonversationen in Gemeinschaftsräumen oder zwischen Tür und Angel ergeben sich fetzige Wortgefechte, die fast mehr Action austeilen als die eigentliche physische Variante, die sich in ein paar Kabinettstückchen wie kurzen Schießereien, Handgemengen und artistischen Martial-Arts-Einlagen (im Abendkleid) erschöpfen. Dabei werden diverse Stereotypen so künstlich am Leben erhalten wie der angeschossene Bankräuber im Operationssaal: Zachary Quinto etwa als aggressives Papasöhnchen mit Psycho-Potenzial, Jeff Goldblum als enigmatischer Gangsterboss, der nicht einmal mehr furchteinflößend auftreten muss, um sich des Respekts seines Umfelds sicher zu sein, oder Charlie Day als legitimer Nachfolger von Rob Schneider. Nur Dave Bautista ist irgendwie sein ganz eigenes Klischee, ein knuddeliger Riese, der dem Modell Türsteher etwas Herzliches hinzufügt, das man immer wieder gerne sieht.

Während das in düstere Ecken versunkene und nur von den grellen Signalfarben der eigenen Reklametafel beleuchtete Hotel eine durchaus stimmungsvolle Kulisse abgibt, weiß das Drehbuch mit der ewigen Mexican-Standoff-Situation allerdings leider recht wenig anzufangen. Erinnerungsstücke aus der Vergangenheit werden umständlich an das situative Szenario montiert und die Motivation der Figuren bleibt vergleichsweise oberflächlich. Dass man wenig darüber erfährt, was da draußen vor sich geht, wirkt dadurch weniger geheimnisvoll als vielmehr unbefriedigend. Die Regie lässt darüber hinaus eine klare Linie vermissen, verirrt sich immer wieder in Sackgassen und trägt dazu bei, dass den gar nicht so dummen nächtlichen Smalltalks nicht mehr Tiefe zu entnehmen ist. Wenn man bedenkt, welche Dinge ein Alfred Hitchcock bis Sonnenaufgang in einem Apartment mit einem Mörder, einer Leiche und einigen Partygästen bewegen konnte; dagegen fühlt sich eine Nacht im Hotel Artemis an, als sei die Zeit stehen geblieben.
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Deadgirl
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Ein Hauch von „Kids“ weht durch die Kellergewölbe, in denen zwei Jugendliche eine nackte Unbekannte unter einer Plastikplane finden, nicht wissend, was sie nun mit ihrer ungewöhnlichen Entdeckung anstellen sollen (dass es sich in diesem Fall eigentlich um Twens handelt, könnte ein Indiz dafür sein, dass Kinder sich inzwischen mit dem Erwachsenwerden mehr Zeit lassen als noch in den 90ern). Die experimentelle Fantasy-Prämisse – eine unsterbliche Zombie-Braut - taugt dazu, nicht nur den moralischen Kompass der heranwachsenden Finder aus dem Takt zu bringen, sondern auch den Zeigefinger der empörten Moralinstanzen. Wo sich unreife Coming-Of-Ager nämlich an einer hilflosen Frau vergehen, ist Entrüstung vorprogrammiert. Insbesondere gilt dies, wenn dem Opfer auch noch sämtliche Züge eines mit Selbstbestimmung bedachten, menschlichen Wesens genommen werden, wenn es also quasi zum Vieh reduziert wird, das genutzt werden kann wie ein Gebrauchsgegenstand.

Manch einem genügt das vielleicht schon, den Stab über „Deadgirl“ zu brechen. Sofern man allerdings willens und in der Lage ist, Inhalt und Aussage getrennt voneinander zu betrachten, fällt auf, dass die Regie von Marcel Sarmiento und Gadi Harel eine beträchtliche Distanz zu den meist unmoralisch handelnden Figuren aufzubauen versteht. Weder fährt die Kamera voyeuristisch über den entblößten Körper Jenny Spains, noch macht sich die Form anderweitig zum Komplizen der Täter, wie man es erwarten würde, wären niedere Beweggründe im Spiel.

Dass dieser Spiegel einer perspektivlosen, selbstzerstörerischen Jugend keine höhere Relevanz erlangt, liegt allerdings nicht nur an dem schwierigen Thema; es fehlt vielleicht auch das Besondere im Detail, der finale Schliff im Dialogbuch beispielsweise oder das schauspielerische Vermögen, vielleicht auch einfach die Authentizität, die ein Larry Clark dank seiner Beobachtungsgabe aus Generationen bezog, die weit von seiner eigenen entfernt waren.
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Gotti
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Wenn man genau hinschaut, sieht man das Fegefeuer der Produktionshölle eifrig in den Hintergründen lodern. Es flackert im uneinheitlichen Szenenbild, in der Sprunghaftigkeit des willkürlich durch die Epochen hüpfenden Drehbuchs und der Lustlosigkeit der Akteure, die überhaupt nicht an ihre Rollen gebunden zu sein scheinen. Selbst als John Travolta sich in der Eröffnungssequenz nach House-Of-Cards-Art wie ein Moderator direkt an sein Publikum richtet, hinter ihm die Brooklyn Bridge zur imposanten Postkartenansicht aufgetürmt, versandet dieser initiale Aufputscher ganz merkwürdig im Nichts und verrät vom Fleck weg, dass es um einen echten Plan nicht gut bestellt ist.

Folglich wirkt diese Biografie über einen der ganz großen Namen der Cosa Nostra so, als habe sie im Grunde nichts Relevantes über ihn zu erzählen. Anstatt John Gotti tief auszuleuchten, wird seine Geschichte mit Scorsese-Standards aus der Gattung des Mafiafilms überschüttet, was den Hauptcharakter zur Holzmarionette werden lässt. Gesten werden im Kleinen imitiert und das Epische im Großen. Tragische Vorfälle im Umfeld des Gambino-Clans werden wie emotionale Trigger bedient, sie heischen aus kalter Berechnung um jede Träne, die der Zuschauer entbehren kann.

Travolta hat nicht viel entgegenzusetzen, um die Versäumnisse der Produktion zumindest mit einer spektakulären One-Man-Show vergessen zu machen; er bevorzugt es, sich hinter der durchaus gelungenen Maske zu verstecken, die immerhin jedem der beschriebenen Jahrzehnte einen anderen Mann zu servieren weiß. Spencer Lofranco chargiert als Gottis Sohn wie einer der Krays aus der jüngsten Verfilmung mit doppeltem Tom Hardy, der Rest erlangt höchstens die Wirkung von Abziehbildern der bekanntesten Darsteller von Mafiosi, von denen mit Joe Pesci einer im Laufe der Vorproduktion verprellt wurde.

Es fehlt an echtem Drama, destilliert aus einem individuell nachgezeichneten Lebenswerk einer Vita, die mit Sicherheit mehr Filmstoff hergegeben hätte. Dieser Gotti ist eine blasse Kopie filmischer Vorbilder und folglich nicht sein eigener Herr.
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Espen und die Legende vom Bergkönig
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Ein hoffnungslos naives, gleichwohl angenehm von sämtlichen Herr-der-Ringe-Trends befreites Fantasy-Märchen aus dem tiefen Norwegen, das im Grunde nur durch seine gelegentlich eingesetzten Computereffekte dem aktuellen Jahrzehnt zuzuordnen ist. Einflüsse aus der germanischen und kaukasischen Folklore spiegeln sich in der Berglandschaft, die allerhand naturverbundene Kreaturen über ihre bemoosten Wanderflächen kreuchen lässt, während der leicht einfältige, aber gutherzige Titelheld eine Reise quasi "wie aus dem Märchenbuch" antritt, oder vielleicht auch wie aus "Donkey Kong": Es gilt schließlich, einen riesigen Rabauken aufzuspüren und die Prinzessin aus seinen Klauen zu befreien.

Gefilmt ist das Ganze in ansteckenden Signalfarben; die Bäume ertränken das Bild mit Chlorophyll, wie man es seit "Troll 2" nicht mehr gesehen hat. Der Himmel strahlt so kräftig, wie Dorothy ihn über dem Königreich Oz empfunden haben muss. Eine bewusst von naturalistischen Vorgaben abweichende Designentscheidung, mit der sich die Fantasy wieder in ein Wunderland verwandelt, das arm an Parallelismen zur Realität ist und dafür um so reicher an Ausdruck. Der verwunschene Wald, den Espen durchkreuzt, ist dabei gefüllt mit unverhofften Überraschungen, die das Drehbuch in autonome Einzelepisoden aufgliedert. Der Protagonist rennt mit dem Kopf durch die Wand wie einst Atreju in der "Unendlichen Geschichte", um ziemlich verrückte Dinge zu erleben, die sich in der Regel hinter unauffällig platzierten Brotkrumen verstecken - einem Korb voller goldener Äpfel beispielsweise, der die hungrigen Wanderer betört und einen Klassiker nach sich zieht, die nymphenhafte Verlockung schöner Frauen, hinter denen sich hässliche Kreaturen verbergen.

Ob die sklavische Einhaltung alter Märchentraditionen heute noch zieht, ist die andere Frage, zumal die vollkommene Illusion einer fremden Welt zumindest durch die Computereffekte verfehlt wird - man hätte hier vielleicht auch einfach mal wieder auf animatronische Effekte setzen können (wenn Straßenumzüge überdimensionale Pappfiguren zusammengebastelt bekommen, sollte das für eine Filmproduktion eigentlich auch keine unergründliche Kunst sein). Einen wahrhaftigen Märchenfilm ohne postmoderne Wendungen wie toughe Action-Prinzessinnen oder sprechende Esel allerdings hat man schon viele Jahre nicht gesehen - dafür gibt's einen Sonderbonus.
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Absurd
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Das höhlenmenschartige Make-Up aus „Anthropophagous“ mag verschwunden sein, doch der paralysierte Blick in den zornig-leeren Augen George Eastmans ist immer noch der gleiche. Man möchte gerne glauben, dass tief in der Motorik des bärtigen Unzerstörbaren die Gene des „Man-Eaters“ verborgen sind und seine Bewegungen koordinieren, erst recht, wenn er sich an den Spitzen eines Zauns ungeschickterweise die Bauchdecke aufreißt und erneut mit seinen eigenen Gedärmen konfrontiert wird. Wenn in der späteren Einordnung des Films Parallelen zum Maskenmann Michael Myers aus „Halloween“ gezogen wurden, dann liegt das vor allem daran, dass die zombiehafte, zur einer Artikulation jenseits stöhnender Laute nicht fähige Kreatur ihre Opfer mit einer vergleichbaren Hartnäckigkeit verfolgt und dabei allerhand Verletzungen einsteckt, ohne dass sie ihn nennenswert von seinem primitiven Ziel abbringen würden.

Joe D'Amatos Quasi-Sequel zu seinem Vorgängerfilm wird so zum Stalker-Movie mit gemütlichem Nordic-Walking-Tempo. Im günstigsten Fall erfreut man sich dabei an nächtlichen Impressionen einer kleinen Ortschaft nördlich von Rom, im ungünstigsten Fall nimmt „Absurd“ aber leider auch in Sachen Spannung und Aufregung deren Eigenschaften an. Es gibt wenig Attraktives an Setpieces wie Waldstraßen oder einem Kaff mit hochgeklappten Bürgersteigen, wo man allenfalls mal einen Alkoholiker mit seiner Flasche die Kreuzung überqueren sieht. Gerade die erste Hälfte wird so aufgrund ausbleibender Schauwerte zu einem wahren Geduldsspiel. Die zweite Hälfte könnte man dank der anschwellenden Dramaturgie zwar als die spannendere bezeichnen, die letzten Minuten sogar als brauchbaren Suspense (wegen des strategisch eingesetzten Handicap-Final-Girls mitsamt „Child in Distress“), doch zu diesem Zeitpunkt haben die absolut regelmäßig, fast schon rhythmisch eingesetzten Gore-Effekte einem das Hirn schon völlig bräsig gemacht. Eine Szene rund um einen Backofen sticht zwar mit ihrem zur Schau gestellten Sadismus heraus, ansonsten dominiert aber das typische Posieren für die Kamera in Ekelsituationen, wenn Eastman beispielsweise gefühlte Minuten mit angewinkeltem Arm den rotierenden Bohrer hält, bevor er sich einen Ruck gibt und das Leiden seines Opfers endlich beendet. Hauptsache, die Bauern haben es schön lange spritzen sehen.
Wenn man das italienische Schmuddelkino nicht gerade aus Prinzip vergöttert, wird man wohl trotz des versöhnlichen Finishs kaum mit Partylaune aus diesen 90 Minuten hervorgehen. Wenn Eastman seinen Foltereien so pünktlich nachgeht wie ein Fahrplan die Busse ankündigt, bleibt irgendwo der Spaß auf der Strecke.
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Futureman - Season 1
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Die Identifikationsfigur sei der Nerd! Seine Passion sei das Videospiel, sein Genre die Retro-SciFi! Möge er mit seinen wunderlichen Begleitern aus der Polygonwelt unzählige Zeitzonen durchkreuzen, auf dass die Autoren einen endlosen Vorrat an Filmzitaten einarbeiten können. Reichlich soll es zu lachen geben, eher über als mit dem milchgesichtigen Retter der Menschheit. So gebieten es jedenfalls die Experten von der Marktanalyse, sofern der US-Sender Hulu mit seiner neuen Serie einen kommerziellen Erfolg feiern möchte.

"Futureman" hat demnach einfach alles, was in den letzten Jahren beim Publikum eingeschlagen ist wie eine Bombe... und ziert sich nicht, das gesamte Arsenal schon in der Auftaktstaffel hemmungslos abzufeuern. Obwohl der SciFi-Action-Comedy-Mix auf altbekannte Rollenmuster vertraut, allen voran auf den jugendlichen Nixchecker, der vom Versager zum Helden des Tages wird, war wohl kaum ein Serienstart des vergangenen Jahres so typisch "2010er" wie dieser. Insbesondere betrifft das die ausgeprägte Affinität zu allem, was die 80er an Popkultur hinterlassen haben. Aufgrund der allgegenwärtigen Zeitreise-Thematik werden zwar auch mal die 40er oder 60er besucht, erwartungsgemäß spucken die 80er aber die meiste Lava und lassen allerlei unverblümte Zitate ins Bild regnen.

Dass es dabei an Werken wie "Zurück in die Zukunft" oder "Terminator" kein Weg vorbeiführen würde, war vorherzusehen, allerdings hätte man derart bekannte Meilensteine der Popkultur gerne noch subtiler in die Liste der Referenzen einbinden können. So keimt nun der Verdacht auf, dass man sein Publikum für dumm hält (was andererseits natürlich eine korrekte Beobachtung sein mag). Aber machen wir uns nichts vor, wenn der Held bei der Ankunft seiner zeitreisenden Besucher versehentlich auf selbige ejakuliert, ist im folgenden nicht viel Feingespür zu erwarten (ein Blick auf die Regisseursliste mit Seth Rogen erklärt dann auch einiges).

Trotz der bisweilen äußerst primitiven Gangart ist die Einbettung der virtuellen Welt in die unterschiedlichen Zeitebenen der Realität aber streckenweise erstaunlich witzig geraten, was hauptsächlich am gut harmonierenden Main Cast liegt. Josh Hutcherson ist als Mischung aus Marty McFly ("Zurück in die Zukunft") und Morty ("Rick & Morty") die ideale Identifikationsfigur für die durchschnittliche Couchkartoffel. In triangulärer Verbindung mit seinen Co-Stars fungiert er quasi als Weichstelle, die zum Auffanglager für alle Arten von Gags wird. Eliza Coupe könnte auch eine Warrior Princess in der geplanten "He-Man"-Verfilmung spielen, zumal sie die dafür notwendige Ironie unter Beweis stellt. Derek Wilson serviert derweil eine Karikatur von Actionhelden der Marke Michael Biehn und generiert durch den gezielten Bruch von Männlichkeitsregeln einige der größten Lacher, bevor er die Kurbel gegen Ende dann doch ein wenig überspannt. Hinzu gesellen sich schrille Nebenfiguren, von Akteuren wie Keith David, Haley Joel Osmont oder Ed Begley, Jr. teils mit der gleichen Lust an der Selbsterniedrigung verkörpert wie sie Hutchinson an den Tag legt.

Dass die Produktion offenbar nicht über ein grenzenloses Budget verfügte, verstärkt sogar noch einmal den parodistischen Effekt, hat man doch mitunter das Gefühl, eine Reihe von trashigen Kurzfilmen mit Stock Footage und anderen Handicaps zu sehen. Auf ein einheitliches Produktionsdesign oder runde Storybögen wurde anscheinend auch weniger Wert gelegt als auf ereignisreiche Drehbücher mit überraschenden Wendungen. Hier hat man sich vielleicht ein Beispiel an "Ash vs Evil Dead" genommen und versucht, dessen Rhythmus auf ein neues Genre zu übertragen. Hier wie dort ist das mit vergleichbaren Problemen verbunden, die aber stets zuverlässig zu frischen Ideen führen; alleine James Camerons Haus in der Zukunft (mitsamt künstlicher Intelligenz SIGORN-E) ist die investierte Zeit wert.

Aller Konventionsbrüche zum Trotz ist einem Produkt wie "Futureman" die Marktkalkulation natürlich von der Nase abzulesen. Das gut aufeinander abgestimmte Hauptdarstellertrio sorgt aber dafür, dass die ganze Nummer am Ende nicht zu berechnend wirkt.
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Penny Dreadful - Season 2
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Groschenromane mögen vielleicht davon leben, dass ihre reißerischen Geschichten völlig unverbindlich und zusammenhanglos miteinander in einen Kontext gesetzt werden. Der ersten Staffel von "Penny Dreadful" hat diese Vorgabe nicht viel gebracht. Das unkontrollierte Nebeneinander der berühmtesten Monster des viktorianischen Zeitalters erwies sich als großes Manko, wusste man den 10-Cent-Appeal der Konzeptidee doch kaum organisch in die edlen Produktionswerte einzubinden. Rückblickend wurde je nach Geschmack zu wenig Ironisches in die Präsentation gelegt oder eben einfach nicht genug Mühen in die Verknüpfung der Subplots, je nachdem, ob man die sensationelle Variante bevorzugte oder die geschmackvolle. Zurück blieben interessante Ansätze aus zweierlei Denkrichtungen, die sich gegenseitig egalisierten - und damit eine Serie, die auf hohem Niveau viele Möglichkeiten vergab.

Die zweite Staffel bietet diesbezüglich ein deutlich verbessertes Feintuning. Sie stellt somit in Aussicht, dass sich Pulp und Prunk nicht ausschließen müssen. "Penny Dreadful" sieht immer noch exquisit aus, nimmt die Schicksale der Geplagten nach wie vor ernst und weiß das wilde Durcheinander von Themenfeldern diesmal doch erstaunlich gut unter einen Hut zu bringen. Es ist fast so, als habe man das Spielfeld einmal neu sortiert und ließe das Repertoire an Figuren einfach von Neuem beginnen. So sind nun Charaktere fest miteinander verbunden, die zuvor nur am Rande miteinander agierten (Eva Green als Vanessa Ives und Josh Hartnett als Ethan Chandler), andere nehmen gleich ganz neue Rollen ein (Billie Piper als Lady Frankenstein) oder vertiefen die Anlagen, die sie in Staffel 1 etablierten (Rory Kinnear als Frankenstein-Kreatur, Reeve Carney als Dorian Gray). Der dominante Main Plot rund um eine vampirische Bedrohung wurde im gleichen Verhältnis gegen einen diabolischen Hexenzirkel ausgetauscht. Und siehe da, plötzlich fließt alles ineinander. Spielend scheinen sich die Handlungsstränge zu umschlingen, selbst wenn sie ihrer Anlage nach unvereinbar erscheinen. Ab der sechsten Epsidoe explodieren als Folge dessen immer wieder kleine Höhepunkte innerhalb der Dramaturgie, bis zur finalen Konfrontation in Episode 10 ein nicht mehr endendes Feuerwerk. Visuelle Highlights wie der Blutball aus Episode 6 sind dabei ebenso behilflich wie die schaurig-schönen Settings, ein Hexenhaus in den Moorfeldern beispielsweise, ein Wachsfigurenkabinett oder die liebevoll ausgestattete Schlosskulisse.

Das alleine sorgt bereits für eine satte Aufwertung. Besiegelt wird diese noch durch das seltene Gefühl, einen runden Abschluss erleben zu dürfen. Nachdem alle Paukenschläge verklungen sind, wird nämlich auf Cliffhanger-Orgien verzichtet und die Energie stattdessen in gelungene Abschlüsse mit feinen Zwischentönen gelegt. Selbst, wenn keine dritte Staffel mehr gefolgt wäre, hätte der zweite Band also einen würdevollen Weg gefunden, den Buchdeckel zu schließen.
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Rick & Morty - Season 3
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Die Sitcom-Fassade hat "Rick & Morty" in seinem dritten Jahr im Grunde nicht mehr nötig. Anstatt die Storylines noch mühselig mit einem eröffnenden Akt im Familienhaus der Smiths nach klassischer Simpsons-Rezeptur in Position zu bringen, sind wir oft schon mittendrin in den hirnverknotenden Abenteuern des Mad Scientists und seines Sidekicks, wenn die erste Spielminute zu zählen beginnt. Man hat beim Einstieg das Gefühl, zu spät auf einer fetten Party angekommen zu sein, die längst voll im Gange ist. Minutenlang ist man also erst einmal beschäftigt damit, Zeit und Raum zu ordnen. Wo sind wir eigentlich und worum geht's heute? Für Rick & Morty der ganz normale Alltag, könnte man meinen; doch gerade die Routine wird in einer herzzerreißenden Ruhephase in einem Anfall von akuter Selbstreflektion gebrochen, wenn die Beiden in Schrei- und Heulkrämpfe ausbrechen, weil sie in diesem Höllentempo nicht weitermachen können.

Im krassen Widerspruch dazu schwingt sich die dritte Staffel erstmals spürbar zu Entwicklungen bei den Charakteren und zwischenmenschlichen Beziehungen auf. Obwohl der Wahnsinn rückblickend ein weiteres Mal auf die Spitze getrieben zu werden scheint, so schmuggeln sich doch immer wieder fast unbemerkt ruhigere Momente ein, die sich mit den Veränderungen im Leben der Familie befassen. Das traurige Single-Leben des Vaters wird ebenso beleuchtet wie die Bedürfnisse der Kinder nach Therapie und Selbstanalyse oder Ricks weichere Seiten. Erstaunlich, dass so etwas in gerade einmal 10x20 Minuten voller Doppelgänger, Paralleluniversen und um zehn Ecken gedachter Aliens überhaupt möglich ist.

Trotzdem reicht die Zeit wieder für völlig abgefahrene Gedankenexperimente. Herausragend natürlich die Gurken-Episode "Pickle Rick", die nicht zu Unrecht das Cover-Artwork ziert, könnte ihr Aufbau die Eigenschaften der kompletten Serie doch kaum treffender auf den Punkt bringen: Sie beginnt bei Null und steigert sich binnen Minuten in eine regelrechte Explosion von schrägen Einfällen.
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The Walking Dead - Season 7
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Der Akt äußerster Grausamkeit, mit dem die siebte Staffel eröffnet wird, kommt durch den Cliffhanger der sechsten Staffel zwar nicht unverhofft, trifft sein Ziel (unsere Empathie) jedoch mit voller Wucht. Derartige Gewaltexzesse in einer TV-Serie wären noch vor wenigen Jahren völlig unvorstellbar gewesen, insbesondere da sie aus niederen Beweggründen vom Menschen am Menschen begangen werden und Figuren treffen, die man einen langen Weg begleitet hat, dessen abruptes Ende den Überlebenskampf im ersten Moment völlig sinnlos erscheinen lässt. Entsprechend paralysiert reagieren die Verbleibenden auf die neue Situation, inklusive Anführer Rick, dessen Stärke und Selbstbewusstsein in dem Moment zerschlagen werden, als "Lucille" auf einen Schädel trifft. Der vorherrschende Status Quo ist von einer Sekunde auf die nächste völlig auf den Kopf stellt.

Dabei ist die Argumentation der Serienmacher durchaus schlüssig: Hätte man alles Explizite ausgespart, wäre der neue König unter den Antagonisten nicht der, der er ist. Negan (Jeffrey Dean Morgan), ein permanent milde lächelnder Soziopath mit Baseballschläger, ist nicht einfach irgendein aus dem Hut gezauberter neuer Gegenspieler; er bestimmt die neuen Regeln auf dem Spielfeld. Er legt die Restriktionen ebenso hart fest wie die Freiheiten, die Ricks gespaltene Gruppe in den folgenden Ereignissen erfährt. Seine anfangs noch schwer durchschaubare Persönlichkeit legt die Grundlage für alle nachfolgenden Entscheidungen der Machthabenden. Und mehr denn je wird die Zombieserie zum sozialen Experiment.
Es mag eine unbequeme Staffel sein, denn sie stellt schonungslos die Schwächen der Gruppe bloß, deren Werdegang wir seit sieben Jahren verfolgen - im Gegensatz zur sechsten Staffel, die dies nur unterschwellig tat. Die Machtlosigkeit des einst so starken Anführers wird immer wieder vorgeführt; Andrew Lincoln ist sehr damit beschäftigt, im Staub zu kriechen, zu flehen und um Gnade zu betteln. Den Balanceakt an der Schwelle zur Gebrochenheit untermalt er schauspielerisch immer wieder mit dem wild entschlossenen Blick aufkeimender Rebellion - ein Blick, der dem geschulten Auge seines offenbar intelligenten Gegners keineswegs entgeht.

Während sich zwischen Rick und Negan so ein psychologisches Schachduell entwickelt, das Nebenfiguren wie Carl, Daryl oder Eugene in Subplots geschickt als Bauern einsetzt, verschiebt das Hauptskript seinen Fokus immer mehr zwischen verschiedenen Gruppen aus Überlebenden, wobei neben Ricks Gruppe und den Saviors mit den Scavengers, Oceanside und dem Königreich drei bisweilen sehr exotische neue Vereinigungen eingeführt werden. Taktik und Strategie im Umgang mit Fremden, mit Feinden und Verbündeten nehmen eine zunehmend größere Rolle ein.

Mögen die Setpieces sich mit Alexandria und umliegender Waldlandschaft kaum geändert haben und weiter den Unmut enttäuschter ehemaliger Fans auf sich ziehen (ebenso wie die fortschreitende Bedeutungslosigkeit der Zombies, die dennoch mit viel Liebe zum Make-Up in Dutzenden durch die Gegend wanken), so unterscheidet sich Staffel 7 doch wieder grundlegend von allen anderen Staffeln. Ungeduldige Naturen mögen zwar die Position vertreten, dass der Fall "Negan" spätestens am Ende der Staffel hätte zu den Akten gelegt werden müssen, aber manchmal geht die Gleichung eben nicht so glatt auf, wie man sich das vorstellt. Das Pathos der letzten Episode lässt immerhin erschaudern und hält das Versprechen, dass die Karten auch für Staffel 8 wieder ganz neu gemischt werden.
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Weitere Sichtungen:

Ant-Man And The Wasp
Aquaman
Escape Plan 2
Frankenstein und die Ungeheuer aus dem Meer
Frankensteins Höllenbrut
Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster
Ghostland
Hereditary
Humanity Bureau, The
Mandy
Peelers
Pitchfork
Predator - Upgrade
Schneeflöckchen
Siberia - Tödliche Nähe
Stille Nacht, Horror Nacht
Strangers 2 - Opfernacht, The

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Vince
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 13.04.2019, 12:42

Paterson
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"Paterson", ein Film über einen poetisch veranlagten Busfahrer namens Paterson in der amerikanischen Stadt Paterson, macht von außen betrachtet womöglich den Anschein eines hochtrabenden Kunstfilms. Sein Trick ist es aber, genau das nicht zu sein. Es steckt nicht mehr Tiefsinn in der gezeigten Arbeitswoche oder der Art ihrer Präsentation als im Leben selbst; Routinen und Muster, wohin das Auge blickt, sich wiederholende Abläufe, die immerzu versprechen, spektakulär gebrochen zu werden; dies ist doch schließlich ein Film, da müssen doch Dinge passieren. Aber nichts dergleichen geschieht. Jim Jarmusch beobachtet einfach nur die Oberfläche der Existenz, lässt die künstliche Dramaturgie fast aller anderen Filme im Nichts verschwinden und setzt so die vielen kleinen Wirbel in den Vordergrund, die man beobachten kann, wenn man sich einfach mal auf das ungefilterte Hier und Jetzt konzentriert.

Der leeren Abläufe wegen ist "Paterson" aber noch längst kein leerer Film. Jarmusch gelingt es durch seine Beobachtungsgabe, soziale Muster auf den Punkt wiederzugeben, ohne dazu besondere Akzente setzen zu müssen. Alleine zwischen dem Busfahrer und seiner Ehefrau entfaltet sich eine wunderschöne Beschreibung verdrehter Harmonie, die zwischen introvertierten und extrovertierten Menschen entstehen kann, sowie der Zwänge und Macken, die mit beneidenswerter gegenseitiger Rücksichtnahme aufgefangen werden. Stundenlang könnte man Adam Driver und Golshifteh Farahani dabei zuhören, wie sie sich über kleine Ereignisse in ihrem Leben unterhalten, Tiefe und Substanz völlig in die Gestik verlagernd. Das Haushalten und Ausleben persönlicher Freiräume wird zum Strategiespiel zwischen Anforderungen des Berufs und Bedürfnissen des Partners.

Und so nimmt langsam auch der Film die Gestalt dessen an, was er so meisterlich zu beschreiben weiß. Nach dem metaphysisch angehauchten "Only Lovers Left Alive" ist "Paterson" wieder ein Jarmusch der 90er Jahre, in seinen Zwischenepisoden wie damals "Night On Earth" oder "Mystery Train" interessiert an Zufallsbegegnungen, aber diesmal fast noch mehr an der Rückkehr des Bekannten in Form von Gewohnheiten und gesellschaftlichen Regeln. Keine Elfenbeintürme, nur einfache Paar- und Kreuzreime, verfasst in einer universellen Sprache, die vom Kind bis zum Poeten überall verstanden wird.
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Anon
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Die Ängste der Vernetzungsgesellschaft sind spielbestimmend in der futuristischen Dystopie von "Anon". Andrew Niccol geht sowohl das Drehbuch als auch die Regie mit der Entdeckerfreude eines Ingenieurs an, der ein bis in die technischen Details komplett ausformuliertes Konzept zum Thema Überwachung und Anonymität ausgetüftelt hat und es nun seinem fachinteressierten Publikum als Modell präsentieren möchte. Dementsprechend wird zuerst viel theoretisiert und dann am praktischen Beispiel veranschaulicht. Nur die Hälfte der Zukunftsvision offenbart sich über erklärende Dialoge, die andere Hälfte wird über die handwerkliche Rekonstruktion am Fallbeispiel vermittelt, in diesem Fall einer Reihe von Mordfällen, die im irgendwo im Bereich des toten Punkts geschehen, den das eigentlich allgegenwärtige Auge des Gesetzes nicht im Blick hat. Es wird im Zuge dessen viel mit Kamerawinkeln gearbeitet, mit Perspektiven und räumlich-zeitlichen Abläufen. Die Auswertung von Daten ist Gegenstand der Handlung, was nicht weniger bedeutet, als dass der auf "Mittendrin statt nur dabei" geeichte Zuschauer sich damit begnügen muss, ebenso wie die ermittelnde Hauptfigur immer erst dann einzutreffen, wenn die eigentlichen Ereignisse bereits Vergangenheit sind. Einflüsse aus der jüngeren Computerspielgeschichte spiegeln sich in dieser Erzählstruktur; so erinnern die Methoden, auf die der Detective am Ort des Verbrechens zurückgreifen kann, an die virtuellen Gadgets der jüngsten Batman-Videospiele, wo man ebenfalls vergangene Geschehnisse vor- und zurückspulen konnte, um den Fall zu lösen.

Für eine Zukunftsvision, die sich derart zeitgenössischer Quellen bedient, überrascht allerdings das altbacken wirkende Produktionsdesign, das dem Hirn eines Architekten der 70er Jahre hätte entspringen können. Graue Hochhausreihen, dunkle Apartments, leere Straßen und die Abwesenheit einer Pflanzen- und Tierwelt sorgen für einen trostlosen Ausblick auf eine robotische Zukunft. Ungeduldige Naturen mögen das Freudlose in der Optik als Anlass nehmen, dem Vortragenden nicht mehr länger zuzuhören. Sie verlieren die Geduld, weil "Anon" relativ actionarm inszeniert ist und dafür, dass er nun nicht gerade zu den raffiniertesten SciFi-Konzepten der Filmgeschichte aufschließen kann, zu sehr ins Passive zwingt. Clive Owens Detective-Noir- und Amanda Seyfrieds Femme-Fatale-Spielart trägt auch nicht dazu bei, dass man sich schnell in die Situation eingedacht hat. Gesetzt den Fall, dass man sich gegen alle Widerstände trotzdem in das Konzept einzudenken bereit ist, bekommt man immerhin eine inhaltlich ausformulierte, technisch sauber dargebotene Dystopie geboten, die dem Drang der digitalisierten Welt nach totalitärer Überwachung die Meinung geigt wie es ein Vulkanier machen würde: Mit bestechender Logik.
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Absurd
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Das höhlenmenschartige Make-Up aus „Anthropophagous“ mag verschwunden sein, doch der paralysierte Blick in den zornig-leeren Augen George Eastmans ist immer noch der gleiche. Man möchte gerne glauben, dass tief in der Motorik des bärtigen Unzerstörbaren die Gene des „Man-Eaters“ verborgen sind und seine Bewegungen koordinieren, erst recht, wenn er sich an den Spitzen eines Zauns ungeschickterweise die Bauchdecke aufreißt und erneut mit seinen eigenen Gedärmen konfrontiert wird. Wenn in der späteren Einordnung des Films Parallelen zum Maskenmann Michael Myers aus „Halloween“ gezogen wurden, dann liegt das vor allem daran, dass die zombiehafte, zur einer Artikulation jenseits stöhnender Laute nicht fähige Kreatur ihre Opfer mit einer vergleichbaren Hartnäckigkeit verfolgt und dabei allerhand Verletzungen einsteckt, ohne dass sie ihn nennenswert von seinem primitiven Ziel abbringen würden.

Joe D'Amatos Quasi-Sequel zu seinem Vorgängerfilm wird so zum Stalker-Movie mit gemütlichem Nordic-Walking-Tempo. Im günstigsten Fall erfreut man sich dabei an nächtlichen Impressionen einer kleinen Ortschaft nördlich von Rom, im ungünstigsten Fall nimmt „Absurd“ aber leider auch in Sachen Spannung und Aufregung deren Eigenschaften an. Es gibt wenig Attraktives an Setpieces wie Waldstraßen oder einem Kaff mit hochgeklappten Bürgersteigen, wo man allenfalls mal einen Alkoholiker mit seiner Flasche die Kreuzung überqueren sieht. Gerade die erste Hälfte wird so aufgrund ausbleibender Schauwerte zu einem wahren Geduldsspiel. Die zweite Hälfte könnte man dank der anschwellenden Dramaturgie zwar als die spannendere bezeichnen, die letzten Minuten sogar als brauchbaren Suspense (wegen des strategisch eingesetzten Handicap-Final-Girls mitsamt Kind in Not), doch zu diesem Zeitpunkt haben die absolut regelmäßig, fast schon rhythmisch eingesetzten Gore-Effekte einem das Hirn schon völlig bräsig gemacht. Eine Szene rund um einen Backofen sticht zwar mit ihrem zur Schau gestellten Sadismus heraus, ansonsten dominiert aber das typische Posieren für die Kamera in Ekelsituationen, wenn Eastman beispielsweise gefühlte Minuten mit angewinkeltem Arm den rotierenden Bohrer hält, bevor er sich einen Ruck gibt und das Leiden seines Opfers endlich beendet. Hauptsache, die Bauern haben es schön lange spritzen sehen.

Wenn man das italienische Schmuddelkino nicht gerade aus Prinzip vergöttert, wird man wohl trotz des versöhnlichen Finishs kaum mit Partylaune aus diesen 90 Minuten hervorgehen. Wenn Eastman seinen Foltereien so pünktlich nachgeht wie ein Fahrplan die Busse ankündigt, bleibt irgendwo der Spaß auf der Strecke.
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Trumbo
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Die besten Filmbiografien sind immer noch jene, in denen es weniger um die Persönlichkeit geht als vielmehr um die Wechselwirkung mit ihrem Umfeld. „Trumbo“ gibt vor, den steinigen Weg eines begnadeten Drehbuchautoren nachzuzeichnen, blickt dem System Hollywood dabei aber still und heimlich mit prüfendem Blick unter die Haube... und attestiert ihm verheerende Gesundheitswerte, die höchstwahrscheinlich auch für das heutige System noch Gültigkeit besäßen.

Auch wenn in den letzten Minuten eine gewisse Bewunderung durchschlägt für den Mann, der gegen so viele Widerstände ankämpfen musste (eine offenbar unumgängliche Konvention dieser Filmsorte, die viel mit posthumer Würdigung zu tun hat), unter dem Strich geht es nicht darum, wie entschlossen Trumbo trotzdem seinen eigenen Weg ging. Vielmehr wird der Leuchtkegel auf die Verursacher gelenkt: Warum reflektiert die Oberfläche der glamourösen Starfabrik nicht den geringsten Funken Wahrheit darüber, nach welcher Logik sich die Zahnräder von innen tatsächlich drehen?

Noch heute werden einzelne Akteure aufgrund moralischer Verfehlungen öffentlichkeitswirksam an den Pranger gestellt und verurteilt von Institutionen, die im Grunde nur der eigenen Verurteilung entgehen möchten; wie das Schwarze Loch, das dem Mond seine dunkle Seite vorwirft. Zu Zeiten des Kalten Kriegs ging es dabei eben um kommunistisches Gedankengut, das zu zensieren sei. Die Metapher der Zensur ist allgegenwärtig: Über die Blacklist werden Drehbücher aus dem Verkehr gezogen, über das Ghostwriting Identitäten verschleiert. „Trumbo“ entwirft das glamouröse Bild eines stolzen Hollywood, so blütenweiß und vornehm wie Bogarts Smoking in „Casablanca“, dominiert von Hardlinern wie John Wayne (David James Elliott) und Hedda Hopper (Hellen Mirren). Es ist aber zugleich ein Ort der Angst vor der roten Bedrohung, nicht zuletzt vor der Macht des Wortes; schließlich könnte sich gerade ein Drehbuchautor relativ einfach Zugang zum Bewusstsein der Bevölkerung verschaffen und ihre Gedanken vergiften.

Der interessante Kniff des Skripts von „Trumbo“ liegt darin, dass das hier gezeichnete Hollywood trotz seiner Ängste und Vorbehalte auf Autoren wie Dalton Trumbo angewiesen ist. Das Prinzip der Ausnutzung wird hier kongenial auf den Kopf gestellt: Erscheint es zunächst so, als werde die Notlage des Autoren mit dem ruinierten Ruf ausgenutzt, so ist es tatsächlich er, der die Lücken im System angreift, und zwar effektiver als seine Arbeitskollegen, die sich in Verweigerung üben. Die daraus bezogene Genugtuung empfindet man natürlich ebenfalls nur durch das manipulative Drehbuch von John McNamara, nichtsdestotrotz ist es wohltuend, die Entwicklung zu verfolgen – insbesondere mit den teils wirklich brillant getroffenen Hollywood-Altstars, unter denen die Verkörperungen Edward G. Robinsons (Michael Stuhlbarg), Kirk Douglas' (Dean O'Gorman) und Otto Premingers (Christian Berkel) ganz besonders herausstechen. Auch Bryan Cranston ist wie immer ein Erlebnis.

Darüber hinaus lohnt sich „Trumbo“ einfach für jeden, der gerne auf die goldenen Zeiten der amerikanischen Filmbranche zurückblickt. Das Produktionsdesign ist eine Wucht. Süße Nostalgie ist durchaus erlaubt, wird aber mit einer großen Portion bitterem Gemüse gereicht. Alles im Sinne eines gesunden Rückblicks, aus dem man hoffentlich die entsprechenden Rückschlüsse für die Gegenwart zieht.
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Polar
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Die Screenshot-Tätowierer sind zurück! Von der Bildfläche verschwunden irgendwann Mitte der 2000er, als auch die härtesten Videotheken-Clerks endlich genug hatten von drittklassigen Pulp-Fiction-Trittbrettfahrern, feiern sie in der Graphic-Novel-Posse „Polar“ ihr Comeback. Endlich dürfen wir uns wieder auf eingefrorene Bildhintergründe freuen, die mit Brands der Rollennamen in altmodischer Textura-Schriftart getaggt werden. Dazu genießen wir den Fahrtwind des Zooms auf eine Villa mit Swimming Pool und das Stechen in den Augen beim Genuss der Farbpalette, die ausschließlich aus steilen Kontrasten besteht. Alles in allem eine Kombination, mit der die Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre mit einem Wisch revidiert wird. Das gilt zumindest für Regisseur Jonas Åkerlund. Der steht jetzt nämlich prompt wieder auf dem Stand seines Regiedebüts „Spun“, das im Jahr 2002 noch eine respektable Arbeit war, heute aber stellvertretend für den nervig-überdrehten Umgang mit Farbfiltern, Schnitt und Kameraarbeit ist.

Keine guten Aussichten, um mit den offensichtlichen Vorbildern „John Wick“ und „The Equalizer“ mithalten zu können. Glück für Åkerlund: Er darf mit Mads Mikkelsen arbeiten. Und dessen Coolness rettet dann auch mal eben den kompletten Film. Ein degenerierter Kohlkopf, der sich selbst „Blut“ nennt und verkrampft auf links gedrehte Suicide Squads als Laufburschen auf die Straße schickt, sollte sich geehrt fühlen, dass ein richtiger Motherfucker wie Mad Mads stückweise seine Gefolgschaft dezimiert, bis nur noch der kleine Mann im hohen Schloss übrig ist. Das wortkarge Auftreten Mikkelsens, sinnbildlich gespiegelt durch ein friedliches Haus am See, ist zwar auch nur eine Masche, aber wenigstens eine, die funktioniert. Falls nötig, ist der Held der Geschichte traurig und verletzlich, bringt einen mit seinen merkwürdigen Marotten sogar zum Lachen (seine Angewohnheit, etwas störrisch abzulehnen und - nach einem effektvoll gesetzten Schnitt - dann doch widerwillig getan zu haben) und zeigt vor allem am Ende seinen weichen Kern. Aber wenn es die Situation erfordert, lässt er den Actionhelden in sich heraus und sorgt für einen anständigen Bodycount. „Polar“ kommt vielleicht etwas schwerer in die Gänge als die Herren Wick und McCall, aber wenn es einmal losgeht, gibt es kein Halten mehr. Zu diesem Zeitpunkt hat die Regie dann auch endlich Fahrt aufgenommen und nutzt den aufgebauten Boost, ohne noch einen Hänger zu riskieren.

Wenn man schließlich kurz vor dem Abspann mehr oder weniger gefragt wird, ob man denn gerne sehen möchte, wie Mikkelsen in einer Fortsetzung noch weitere Schurken über den Haufen ballert, verfällt man über diese Aussicht zwar nicht gerade in Jubelstürme. Vielleicht murmelt man aber leise vor sich hin: „would... bang... again“.
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Cold Skin - Insel der Kreaturen
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Xavier Gens' durchaus ambitionierte Parabel auf Völkerverständigung und Isolation scheitert bereits im Ansatz an seiner abgedroschenen erzählerischen Perspektive. Diese ist natürlich von der Ich-Perspektive aus Albert Sánchez Piñols Vorlage geerbt und auch inhaltlich begründet. Man kann den grüblerischen Denker mit Tinte und Feder regelrecht vor sich sehen; jenen stillen Beobachter, der sich voller Furcht seinen Weg zu Draculas Schloss bahnte, oder jenen, der an Bord des Walfangschiffs von Captain Ahab ging, um unglaubliche Abenteuer auf hoher See mit einem riesigen Wal für die Nachwelt zu dokumentieren. Er spricht zu uns wie zu einem guten Freund – verletzlich, offen und gierend nach Empathie.

Mit den richtigen Dialogen, Schauspielern und entsprechenden Bedingungen am Set (Kulisse, Beleuchtung, Kamera...) ließe sich aus diesem Ansatz natürlich immer noch einiges herausholen. „Cold Skin“ allerdings macht die Kunst der Konfrontation mit der eigenen Natur wider aller Bemühungen nicht greifbar. Weil er schlichtweg nicht unter die Haut geht.

Vielleicht ist schon das gewählte Bild nicht ganz geschickt gewählt: Fischmenschen wurden bereits mehrfach für ähnliche Zwecke genutzt, erst kürzlich wieder im oscarprämierten „The Shape Of Water“. Mit mäßig computeranimierten Horden nächtlich attackierender Wasserkreaturen kann man nur als Verlierer vom Platz gehen. Wenn nicht einmal die äußere Form der Parabel etwas Neues ist, wie kann es da der Inhalt sein?

Für die menschlichen Figuren gilt dies im gleichen Maß. Der brummige Einzelgänger, den Ray Stevenson zu spielen hat, ist mit all seinen Eigenschaften nicht der Erste seiner Art. Es hat nichts Originäres an sich, mehr über ihn und sein Verhältnis zu den Wesen zu erfahren. Das ist fatal, weil das über die nächtlichen Attacken strukturierte Drehbuch darauf ausgelegt ist, in jeder Nacht eine neue Facette des Charakters zu enthüllen. Auch Aura Garrido, die ein auf dem Leuchtturm geduldetes weibliches Exemplar der Angreifer spielt, kann nur wenig dazu beitragen, in dem Zusammenstoß der Kulturen eine bislang unentdeckte Besonderheit zu finden. Sämtliche Figuren stehen so im Dienste ihrer Rollenstereotypen. Es gelingt ihnen nicht, einmalige Charaktere zu erzeugen, von denen man etwas lernen könnte, das es in keinem Film zuvor jemals gegeben hätte.

So erstickt „Cold Skin“ letztlich an seinen eigenen hohen Ansprüchen, die er nicht erfüllen kann, weil in allen Disziplinen die letzte Besonderheit fehlt: Im Drehbuch, in der Charakterzeichnung und erst recht im Filmende, das so viel aussagt und doch so wenig.
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Your Name - Gestern, heute und für immer
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Kein Wunder, dass dieses romantische Coming-Of-Age-Drama die halbe Welt im Sturm erobert hat. Makoto Shinkai, kreativer Alleinverantwortlicher von „Your Name.“, lässt Wellen der visuellen Überwältigung über den Betrachter rollen und gedenkt nicht damit aufzuhören, bis der Abspann einsetzt. Die Animatoren erschaffen ein Meisterwerk emotionaler Manipulation. In zweidimensionaler Perspektive verharren sie, um sich dort in den kleinsten Details aus Bewegung und Struktur zu verlieren, um dann unvermittelt zu einer vogelfreien, unberechenbaren Kamerafahrt zu beschleunigen. Der gesamte Film scheint wie in Aufsicht gefilmt. Niemals ist der Blick in den Himmel verhangen. Wolken und andere Elemente spielen im Auge der Tiefe ein Ballett vor endlos blauer Bühne. Dazu erfüllt der schnelle High-School-Rock der Radwimps die Luft, die aber im Angesicht des Wolkenspiels etwas Elegisches einzufangen versuchen, das fast wie die isländischen Flüsterer von Sigur Rós anmutet.

Zudem ist die auf den ersten Blick ausgelutschte Körpertausch-Idee auch noch mit dem Bewusstsein für das Besondere ausgestattet, das aus gewöhnlichen Ideen, die jeder haben kann, etwas Außergewöhnliches macht. Die vermutlich in der japanischen Mythologie verwurzelte Symbolik des geknüpften Bands verfügt über eine universelle Allgemeingültigkeit. Historisch-Kulturelles aus Japan wird zwar zusätzlich thematisiert, eingewoben jedoch in eine technisierte Gegenwart, die der Globalisierung wegen einen offenen Zugriff von überall erlaubt – fast wie ein Public-Domain-Inhalt. Dazu kommen sympathisch-schusselige Charaktere, mit denen man lachen und sich um sie sorgen kann, die Pathos mit Humor zu brechen wissen oder umgekehrt. Außerdem bietet dieses Werk eine mit spürbarer Liebe und Sorgfalt zum Leben erweckte Kulisse aus Bahnhöfen, Wohnungen, städtisch-öffentlichen Lokalitäten und einer wie aus einer erfundenen Welt gestohlenen Krater- und Seelandschaft.

Dass so etwas vom Auge direkt ins Herz geht, ist verständlich. Gefährlich ist allerdings die sich wiederholende klimatische Steigerung mitsamt retardierender Momente und aller möglichen Kniffe, um das emotionale Zentrum bis auf den letzten Tropfen auszuquetschen. Schon die Eröffnungssequenz liest sich praktisch wie ein Abspann, trunken vor der Sehnsucht nach der Unendlichkeit. Die im Kern bodenständige Geschichte um zwei Jugendliche auf der Suche nach ihrer Bestimmung wird mit einem Himmelsbett an Bedeutung überdacht, das sich auf langer Strecke als Belastung entpuppen kann. „Your Name.“ ist kein Film der leisen Töne; introvertierte Handlungsmuster haben keine Chance auf Durchsetzung. Es geht darum, das eigene Innenleben in die Welt zu schreien und dabei möglichst eine Explosion von Sternen auszulösen. Darin ist eine gewisse Gefahr der Ermüdung gegeben; wenn über eine Zeitspanne von über 100 Minuten immer wieder Höhepunkte markiert werden, ist ein solches Risiko naturgemäß vorhanden.

Trotzdem ist „Your Name.“ ein durch und durch schöner Film, weil er gar keine besondere Mitarbeit oder Vorbereitung vom Zuschauer verlangt. Man wird auf dem fliegenden Teppich einfach mitgetragen – ob man will oder nicht.
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IO
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Wenn man nicht über die Mittel verfügt, eine große Science-Fiction-Vision in aller Pracht auf die Leinwand zu befördern, ist es eine beliebte Taktik, die visuellen Höhepunkte auf kurze Ausschnitte zu begrenzen und die restliche Laufzeit mit ihren Spuren auszuschmücken. Dann muss der Paukenschlag aber auch richtig sitzen, wenn es soweit ist. Fast noch wichtiger, das Drumherum sollte natürlich auch interessant gestaltet sein. Wer nur eine kurze Sneak Peek auf die sterbende Erde der Zukunft zu bieten hat und die übrige Zeit in ein wortkarges Kammerspiel voller ungezeigter Dinge investiert, sollte jedenfalls genug inhaltliche Substanz in der Hinterhand haben. Nur so lässt man sein Publikum verstehen, dass es um die Bilder im eigenen Kopf geht, nicht um die Bilder auf der Leinwand.

In beiderlei Hinsicht zeigt das Zwei-Personen-Drama "IO" Ambitionen, aber leider auch spürbare Defizite. Die unerfahren und dadurch relativ ausdruckslos wirkende Margaret Qualley ist eine zumindest ungewöhnliche Wahl für die schwierige Aufgabe, den ersten Akt eines Filmes ohne unterstützende Nebendarsteller völlig alleine zu bewältigen. Bei einer Big-Budget-Produktion mit einem Superstar wie Matt Damon unter der Hand eines etablierten Regisseurs wie Ridley Scott funktioniert so etwas natürlich ohne Weiteres; aber auch und gerade Indie-Regisseure wie Duncan Jones haben mit Filmen wie "Moon" eigentlich bewiesen, dass man mit dem richtigen Darsteller (in jenem Fall Sam Rockwell) die halbe Miete schon im Sack hat, möchte man sein SciFi-Konzept auf einer Solo-Performance aufbauen. Schaut man jedoch Qualley bei ihrem geregelten Alltag zu, wie sie auf ihrem luftigen Rückzugsort als futuristische Heidi Bienen züchtet und Daten auswertet, sieht man darin allenfalls eine Art Konsens der Art Science-Fiction-Literatur, die sich mit dem Ende der Bewohnbarkeit des Planeten Erde befasst, kaum jedoch eigene ausgereifte Ideen. Der große Sturm, der zunächst wie ein Bote des Todes dämonisiert wird, entpuppt sich rein audiovisuell als laues Lüftchen; die späteren Bilder ausgestorbener Urbanität muten wie computergenerierte Screenshots an, die mit ein paar dynamischen Effekten angereichert wurden.

Zu allem Überdruss wird es nicht unbedingt besser, als Anthony Mackie im Ballon zur Hauptdarstellerin stößt, also sozusagen der heimatverbundenen Heidi ihren Jules Verne serviert. Wenn Jonathan Helpert bei der Koordination seiner beiden Darsteller auch so etwas wie unerfüllte Romantik inszenieren wollte, dann ist es jene der trockenen Art, die lieber im Boden versinken würde als auch nur einen Hauch von ausgelebter Emotion zuzulassen. Schön, dass man damit die Kitschfalle umkurvt, aber als wäre die Atmosphäre ohnehin nicht bereits arm an Sauerstoff, gesellt sich eben auch noch die fehlende Chemie der Akteure dazu, die sich bei weitem nicht nur auf eine potenzielle Liebesgeschichte beschränkt, sondern auch ins Thematische eindringt.

Grenzen erschaffen Möglichkeiten; die müssen aber auch genutzt werden. "IO" wirkt wie eine eine Schraffur, nur eine Vorstufe zum fertigen Produkt. Inhaltlich ist es sinnvoll, nicht alles bis ins Detail auszubuchstabieren, aber wenn selbst das Konzept unfertig wirkt, vermögen auch die diffusesten Andeutungen nicht die Fantasie anzuregen.
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Feinde - Hostiles
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Zwei Todfeinde, durch die Situation aneinander gebunden und dazu gezwungen, dem jeweils anderen zu vertrauen? Wenn das mal nicht nach einem typischen Drama über Vorurteile und Rassismus klingt, wie es der Tränendrüse alljährlich zur Oscar-Saison aufgezwungen wird. Der älteste Stammeskonflikt der amerikanischen Geschichte wird einmal mehr heruntergebrochen auf das Verhältnis zwischen zwei (repräsentativen?) Anführern, aus deren Geschichte es zu lernen gilt. Mit dem Unterschied, dass es sich diesmal um einen freudlosen Western handelt, der mit der rührseligen Best-Picture-Bildsprache weniger gemein hat als mit einem garstigen Independent-Streifen... und aus dieser Garstigkeit all seine Kraft zieht.

So macht der gnadenlose Einstieg gleich deutlich, dass es hier trotz eines Gefangenentransports im Main Plot nicht darum gehen wird, Gefangene zu machen. Das Land ist groß und weit, der Blick darauf aber immer wieder verstellt durch lange Grashalme, staubigen Boden und Galgen, die von Bäumen hängen. Der Treck, der bereits durchgehend mit inneren Konflikten zu kämpfen hat, wird zu allem Überdruss auch noch ständig von außen attackiert, was in hektische, unübersichtliche Situationen mündet. Regisseur Scott Cooper macht klar, dass seine Protagonisten sich ihre teilweise herzzerreißenden Tragödien durch stures, verbittertes Verhalten selbst verdient haben; Wes Studis versteinerte Maske, die toten, leeren Augen von Rosamund Pike und Christian Bales überanstrengte Trauermiene sprechen Bände.

Die antirassistische Aussage von „Hostiles“ kommt also mit Fanfaren und viel Theatralik, was der Abrechnung mit dieser trostlosen westlichen Welt in den letzten Zügen einer Epoche allerdings wenig von ihrer Bestimmtheit nimmt. Um diesen Film schnell zu vergessen, ist er schlichtweg zu intensiv und erdrückend.
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Bright
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Wenn irgendwann mal jemand auf die Anfänge des Streaming-Zeitalters zurückblickt, könnte "Bright" womöglich zum Anschauungsbeispiel für das strategische Vorgehen von Netflix werden. Noch vor wenigen Jahren wäre es völlig undenkbar gewesen, dass jemand mitten in L.A. Dreharbeiten für einen Cop-Thriller mit Elfen, Orks und Magie in Auftrag gibt; erst recht, wenn einer der größten Filmstars der 90er die Hauptrolle spielt und für derartigen Humbug mit Sicherheit auch entsprechend vergütet wird. Nicht nur handelt es sich aufgrund der genannten Parameter um eine schweineteure Produktion, ihre Realisierung stellt auch die Zurechnungsfähigkeit im wirtschaftlichen Sinne in Frage; wohl kein Studio bei Verstand würde einen völlig aus der Luft gegriffenen Genre-Clash wie diesen über die normale Verwertungskette inklusive Kino durchwinken. Es gibt eben keine vernünftigen Anhaltspunkte dafür, weshalb eine Art "Training Day mit Feenstaub" beim Publikum funktionieren sollte, geschweige denn bei der Kritik; aktuelle Kino-Trends werden von einer solchen Mixtur jedenfalls nicht unbedingt reflektiert und um eine etablierte Marke handelt es sich ebenfalls nicht.

Bedenkt man aber, dass Streaming anders funktioniert als Kino, erschließt sich die Denkweise schon eher. Der Name muss möglichst klangvoll sein und das Konzept muss sich von allem anderen abheben. Das Geld fließt, um einzigartigen Content jenseits der bewährten Formeln zu erzeugen. Wer sich bei Netflix gelangweilt durch das Programm wühlt, ist schließlich bei der Auswahl experimentierfreudiger als jemand, der gerade für einen Kinoabend eine Menge Geld in die Hand genommen hat und somit Risikoüberlegungen anstellt, die normalerweise mit "Nummer sicher" enden. Man könnte nun dazu versucht sein, der neu entdeckten Vielseitigkeit mit Jubelstürmen zu begegnen. Doch es geht gar nicht um kreative Freiheit. Es geht nur darum, im unübersichtlichen Streaming-Urwald wahrgenommen zu werden... und das merkt man zumindest diesem merkwürdigen Abkömmling einer neuen Distributionsstrategie in jeder Minute an.

Wie selbstverständlich koexistieren hier Märchengestalten und Menschen miteinander auf engem Raum - und das in einem Genre, das eigentlich einen großen Wert auf Authentizität legt und dadurch immer ein wenig ernst wirkt, wenn nicht sogar verbissen. Mit David Ayer sitzt auch noch ein Mann auf dem Regiestuhl, der als Muttersprachler dieser Spielart durchgeht. "Harsh Times" hat er gedreht, "Street Kings" und "End Of Watch", dazu die Drehbücher von "Training Day" und "Dark Blue" geschrieben. "Bright" scheint ganz und gar in diese Reihe zu passen... nur, dass diesmal irgendein Witzbold heimlich Fantasy-Sticker draufgeklebt hat. Man sollte meinen, dass schon durch die reine Präsenz von Elfen und Orks das Eis bricht und der Weg frei ist für einen ironischen Blick auf den Cop-Film. Aber nein. Will Smith als rassistischer Cop (oho, welch Wendung, der Schwarze ist ein Rassist) und Edgerton-Ork bilden ein völlig merkwürdiges Doppel, das sich der Absurdität ihres Anblicks nicht bewusst zu sein scheint und demzufolge weder besonders ernst noch besonders witzig mit sich selbst und der Umgebung interagiert. Eine milde Form von Ironie breitet sich im Polizeiwagen auf Streife aus, gerade genug, um sich nicht der Parodie verdächtig zu machen. Anders gesagt: Einen fantasieloseren Umgang mit der Ork-Situation könnte man sich gar nicht vorstellen.

Zu Beginn ist das Drehbuch zumindest noch ein wenig an sozialen Themen interessiert, versucht es doch, Hierarchien von Märchenfiguren auf das reale Großstadt-Amerika zu übertragen, indem es beispielsweise das Elfenvolk in ein Viertel für Snobs und Neureiche einquartiert (Beverly Hills und Malibu, zieht euch warm an). Je mehr es aber um den Lichtstab-McGuffin geht, desto weniger interessiert Ayer das Drumherum. Die von Beginn an platte Umkehrung von Rassismusthemen verschwindet mit der Zeit völlig im Äther und damit auch der letzte Rest Chemie zwischen Smith und Edgerton. Dabei bleibt es immer gefällig und kurzweilig, aber gerade so, dass man auf der Couch nicht vor den Socken einschläft. Denn Dinge von Belang passieren nicht mehr.

"Bright" mag durch seine ungewöhnliche Genre-Paarung per se ein gewisses Publikum anziehen und auch ein paar Fans haben, einfach weil man nicht so oft Drachen am Himmel fliegen sieht, während die Polizeistreife durch die engen Straßen L.A.s fährt und Ausschau nach Orks hält, die man verhaften kann. Es gibt Action, kräftige Bilder und zumindest einen großen Namen im Cast. Das war es aber auch schon.
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The Mermaid - Lake Of The Dead
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So also sieht das Ergebnis aus, wenn der russische Schüler bei der Klassenarbeit vom amerikanischen Mitschüler abschreibt... und nicht merkt, dass sein Sitznachbar der dümmste Schüler in der ganzen Klasse ist.

Normalerweise haben russische Fantasy- und Märchenfilme ja ihre ganz eigene Aura, aber wenn die Zutat Horror im Rezept steht, bevorzugt man wohl eher den Import aus dem Ausland. An "The Mermaid" jedenfalls fühlt sich nur wenig russisch an, was man nun je nach Präferenzen als Vor- oder Nachteil auslegen kann. Das Produktionsland wird am ehesten noch durch die slawischen Gesichtszüge der Darsteller verraten, ansonsten könnte der Dreh genauso gut im Camp Crystal Lake stattgefunden haben.

Es ist ein Film, den ein Teenager mit Horror-Affinitäten für einen romantischen Abend mit seiner Love Interest auswählen würde... es geht ja schließlich um Liebe und so. Dort, wo normalerweise unvorsichtige Jugendliche baden, schwimmt nun eben ein Meerjungmonster, das der weiblichen Eifersucht nicht gerade eben eine hübsche Visage im Spiegel entgegen hält. Die visuellen Tricks rund um die Filmattraktion wirken stets unausgearbeitet und tragen nur selten zum Gelingen der müden Jump Scares bei, gehören aber ansonsten noch zu den Höhepunkten. Immerhin wird einigermaßen kreativ mit den morphologischen Eigenschaften der Kreatur gespielt, die in diesem Fall ihre gestaltwandlerischen Fähigkeiten irgendwo zwischen Wasserleiche, Tiefseefisch und Poltergeist verteilt und damit wenigstens für eine gewisse Abwechslung sorgt. Dazu gehört auch, dass ihr Wirkungsbereich bei weitem nicht auf den titelgebenden See beschränkt ist. Sie hockt auch in Kellern oder versteckt sich unter Bettdecken. Zudem verwandelt sie Schwimmbäder gerne mal in ihren heimischen Tümpel oder wendet anderweitig Teleportationstechnologie an, um die träumenden Nichtsnutze wieder in den nächtlichen See zu befördern.

Das hilfsbedürftige Drehbuch, die vergessenswerten Schauspielleistungen und die kantenlose Regie ersticken allerdings die letzten Hoffnungen darauf, das Etikett "austauschbar" mal stecken lassen zu können. Da ist es nur gut, dass wir beim Thema "Meerjungfrau" inzwischen die Qual der Wahl haben. Im Zweifel sei daher der Blick nach China ("The Mermaid") oder Polen ("The Lure") empfohlen.
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Resident Evil: Vendetta
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Vielleicht darf man bei einem Budget von gerade einmal 100.000 Dollar auch einfach nicht zu viel erwarten, aber gemessen an momentanen CGI-Qualitätsstandards bietet "Resident Evil: Vendetta" als immerhin dritter Teil seiner Art einfach zu wenig. Völlig tote Bildhintergründe ist man vielleicht von Animationsserien im Kinderprogramm gewohnt, nicht aber von Erwachsenen-Unterhaltung im Spielfilmformat. Beleuchtungseffekte durch Alarmsirenen oder Taschenlampen scheinen nahezu alleine für dynamische Effekte sorgen zu müssen. Fast sämtliche Mühen sind offenbar in das wichtigste Element geflossen, die Mimik der Figuren nämlich, die trotz reduzierter Texturen mit realistischen Darstellungen von Emotionen überzeugt. Auch wenn der Fokus unter Berücksichtigung der offenbar begrenzten Mittel sicherlich richtig gewählt ist, insgesamt sorgen die Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Bausteinen für ein sehr unfertiges Gesamtbild.

Mängel in der Animation werden dann mit furiosen Kamerafahrten überspielt, die physikalisch unmögliche Verrenkungen der Fan-Lieblinge Chris Redfield und Leon S. Kennedy einfangen. Der Schusswaffengebrauch wird wie schon vor 20 Jahren in "Matrix" zur Martial-Arts-Kunst umgedeutet, die Langsamkeit des Zombie-Daseins wie in "28 Days Later" mit Raketenantrieb verstärkt. Wenn zwei Zombie-Rottweiler den Motorrad fahrenden (oder viel mehr Kunststücke auf einem Motorrad ausführenden) Leon bei gefühlten 200 Meilen pro Stunde über eine Autobahn jagen, bleibt die Furcht irgendwo am Ausgangspunkt zurück und die Action gerät in den Vordergrund - wie zu den schlechtesten Zeiten der Videospielreihe mit "Resident Evil 5" und "6". Etwas besser macht es da schon die Infiltration eines mit Zombies und üblen Fallen gespickten Herrenhauses in der Einführung, doch lebt diese auch nur von den Schlüsselbildern der Reihe, ohne ihnen etwas Neues hinzufügen zu können. Was im Übrigen auch für das Finale gilt, das zum wiederholten Male dieselbe Formel anwendet: Eine Dosis Bioimpfstoff und der fein gekleidete Fiesling verwandelt sich in eine noch fiesere Mutation, deren Auswüchse nur durch die limitierte Fantasie der Autoren gebremst werden können.

Mit Seitenblick auf die (hoffentlich nun endgültig beendete) Live-Action-Reihe mit Milla Jovovich ist verständlich, dass sich Fans an diesen kleinen Schimmer von Werkstreue klammern. Aber wenn man ehrlich ist, hätte auch die CGI-Filmreihe mal einen Neustart nötig. Der Reset-Knopf hat auch der Videospielvorlage gut getan, wie "Resident Evil 7" bewies. Setzt etwas Vergleichbares in Filmformat um und wir haben eine ganz andere Diskussionsgrundlage.
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Bleach
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Ein kolossaler Seelenfresser, der mit markerschütterndem Bass nach seiner Nahrung verlangt, ist mit seinem dreiteiligen Auftritt das strukturierende Highlight der Manga-Verfilmung "Bleach". Trampelnd, wuselnd und sich windend bringt er Schauwerte aus der Phantastik in einen japanischen Vorort, der mit seiner Harmonie aus Stadt und Natur bereits eine ganz eigene Idylle bietet, in der sich Coming-Of-Age ungehindert entfalten kann. Doch wenn die Kreatur in Form eines riesenhaften Trolls, einer monumentalen Spinne oder eines formlosen Tentakelwesens auf den Plan tritt, spielt das Fantasy-Abenteuer seine visuellen Stärken voll aus.

Eigentlich jedoch geht es um einen angehenden Jäger des Übernatürlichen in der Ausbildung, mit allem, was dazugehört: Kampftraining, Schulalltag, Ablenkung durch das schöne Geschlecht und Familienangelegenheiten. Dazu noch ein Prolog, in dem die Vorgeschichte der Hauptfigur aufgearbeitet wird. Die Bestandteile, aus denen sich das Leben Ichigos zusammensetzt, erscheinen so simpel, dass sie widerstandslos in die Schablone für Teenager-Fantasy passen, aus dem Kapitel: Dinge, die man nur sehen kann, wenn einem gerade die ersten Haare am Körper wachsen. In den Begegnungen zwischen Ichigo und den Geistern, aber auch in seinem Umgang mit Mitschülern und Familie wird locker aufgeschlagener Humor geboten, der die schwer im Magen liegende Origin-Geschichte ein wenig abfedert. Ein tiefes Trauertal wie in "Sieben Minuten bis Mitternacht" muss man also nicht durchwaten, statt Downer-Pille gibt's im Zweifelsfall motivierende Schwertkämpfe gegen dunkle Mächte, die sich vor dem öffentlichen Auge verstecken wie der Riese in Spielbergs "BFG" vor der Zivilisation. Für die Hauptfigur sind sie aber so greifbar wie das eigene Riesen-Katana; für den Zuschauer der Höhepunkt eines recht harmlosen, aber bekömmlichen Abenteuers aus 1001 Manga-Seiten.
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Maniacs - Die Horror-Bande
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Dieser doch recht eigenwillige Vertreter des 80er-Jahre-Horrorfilms lässt ein völlig unberechenbares Sammelsurium von nachtaktiven Monstern auf San Francisco los. Das Ziel ist wie üblich eine Gruppe von Teenagern, die sich gemäß ihrer Zeit präsentieren: Schrecklich gekleidet, schrecklich frisiert und immer mit einem Kaugummi in Griffnähe. Die Zusammenstellung ihrer schlitzfreudigen Gegenspieler macht den Anschein, als solle mit ihr der Urschlamm der Stadtgeschichte wiederbelebt werden, wenngleich offen bleibt, was beispielsweise ein Shogun in dieser illustren Sammlung zu suchen hat. Das allgemeine Auftreten der Herrschaften allerdings mahnt weniger an japanische Kriegskultur als vielmehr an amerikanische Banden aus den Rocker- oder Punk-Milieus. Was mit proletenhafter Aufdringlichkeit beginnt, steigert sich bald in ein kollektives Agreement zum Slasher-Streifzug; als habe sich eine kleine Gruppe dazu entschlossen, einen frühen Testlauf für die Purge-Nacht zu starten.

Die Schauplätze pendeln dabei zwischen der mittelständischen Biederkeit von Vorstadthäusern und Abschlussbällen einerseits und Rockkonzerten, Gammelei im Stadtpark und U-Bahn-Stationen andererseits. Relativ willkürlich attackieren die Maniacs ihre Opfer meist nach den Regeln des Slasher- oder Stalker-Films. Die recht unterschiedlichen Settings versucht man für abwechslungsreiche Teenie-Jagden zu nutzen, doch die blasse Regie verhindert jede Andeutung filmischen Ausdrucks. Da ist es kein Wunder, wenn der Eskalationsversuch nach "Carrie"-Art aufgrund verfehlten Suspense Buildings dann auch völlig in die Hose geht. "Neon Maniacs" hat viel Buntes zu bieten, verklebt in Omas Süßigkeiten-Einmachglas aber zum faden Klumpen, der selbst durch die 80er-Brille jede Appetitlichkeit verloren hat.
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Elizabeth Harvest
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Der Trailer zeigte einen wohlhabenden Mann, der seine viel jüngere Gattin durch sein Haus führte und ihr dabei alle Freiheiten zusicherte; nur von diesem einen Raum im Untergeschoss solle sie sich fernhalten. Endlose Geheimniskrämerei stand nun zu befürchten, bis sich die schreckliche Wahrheit im Grande Finale offenbaren würde und all die schrecklichen Vorahnungen durch merkwürdige Vorgänge im Haus endlich einen Sinn ergäben.

Es ist erfrischend, dass der fertige Film nicht diesen ausgetretenen Pfad des Suspense-Kinos bis zum bitteren Ende beschreitet, sondern schon recht früh von ihm abweicht. In einem frühen Moment der unerwarteten Eskalation ist man so vom generischen Ablauf vergleichbarer Plots überzeugt, dass man meint, einer verkappten Traumsequenz aufzusitzen, die sich schon in der nächsten Szene wieder auflösen wird; doch Sebastian Gutierrez, der die Story angeblich zehn Jahre schwanger trug, setzt seine Vision konsequent durch und wagt den Tauchgang in unbekannte Gewässer.

Das birgt natürlich Gefahren in Bezug auf eine kohärente Erzählstruktur. Von einer ausgereiften, auf den Punkt austarierten Geschichte mag man trotz der langen Entwicklungszeit eher nicht reden, denn zu sehr nimmt das Formelle die Trial-and-Error-Gestalt seines Inhalts an. Der von Ciarán Hinds manisch-impulsiv angelegte Wissenschaftler und die von Abbey Lee als einfältig-naiv, ja fast dümmlich interpretierte Ehefrau tragen zu einem trashigen Charme bei, der dezente Aromen eines Films von Brian de Palma freisetzt, zumal sich auch Hitchcocks Signatur in jedem Raum der futuristischen Villa abzeichnet.

"Elizabeth Harvest" ist im folgenden wechselhaft und unverbindlich, dabei fast so schrill wie ein Argento in der Blütezeit. Feste Regeln scheinen ihm nichts zu bedeuten. Das geschmackvolle, auf Robustheit und Beständigkeit ausgelegte Dekor wirkt wie ein scharfer Kontrast zum Wankelmut, den das Drehbuch mit jeder neuen Seite unter Beweis stellt. Die Überraschungen verlieren dadurch langfristig natürlich an Effet, das Unerwartete wird zum Erwartbaren und obgleich die Handlung auf nur einen Schauplatz und vier Hauptfiguren (plus ein Gastdarsteller) begrenzt ist, gleicht sie zunehmend einem unentwirrbaren Garnknäuel.

Unbestreitbar hat das seinen Reiz, aber der ist eher kurzfristiger Natur. Es ist wie mit einem Spiegellabyrinth auf dem Jahrmarkt: Interessant, diese Erfahrung einmal gemacht zu haben, doch hat man erst einmal wieder herausgefunden, ist der Bedarf fürs Erste gedeckt.
:liquid5: ,5

American Animals
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Immerhin ein seltener Einblick in die Psyche junger Krimineller wird in „American Animals“ geboten. Die Schauspieler vermitteln die Verunsicherung während der Tat, die realen Personen zeigen in Interview-Zwischenschnitten durch verzogene Mimik und Momente des betretenen Schweigens, dass es auch 15 Jahre später noch weh tut, sich an die damalige Zeit zu erinnern. Dies ist eben keine Milieustudie, kein Portrait von Menschen, die durch ihr Umfeld zum kriminellen Handeln gezwungen wurden. Es geht vielmehr um eine Gruppe von Individuen, die sich gegenseitig dazu bringen, etwas zu tun, das nicht ihrem soziologischen Profil entspricht. Der Film lehrt uns somit, dass Verhalten nicht immer prognostizierbar ist; dass selbst und gerade ein “normaler“ Lebenslauf zur Desillusionierung führen kann.

Mit Evan Peters und Barry Keoghan muss es ein Leichtes sein, die Schwerpunkte auf das Drama missverstandener Jugend zu legen, wirken die Beiden doch selbst in ihren bekannteren Rollen immer ein wenig wie abwesende Träumer, ganz zu schweigen von ihren spezielleren Auftritten. Beim Casting kann man also schon mal den grünen Haken setzen. Und dennoch wirkt der Film seltsam freudlos in seiner ganzen Herangehensweise, als wolle er um jeden Preis betonen, dass kein Überfall jemals ein Kavaliersdelikt ist, selbst wenn er mit schlechtem Gewissen ausgeführt wird. Ein wenig mehr schwarzer Humor jedenfalls wäre aufgrund des amateurhaft geplanten und umgesetzten Raubs nicht fehl am Platz gewesen. Stattdessen wird fortwährend mit leerem Blick in die Nacht gestarrt und mitunter sogar schiefe Symbolik eingebaut.

Die Absichten sind aller Ehren wert, doch je mehr die Regie das Bemühen um Neutralität signalisiert, desto leidenschaftsloser wird das Resultat. „American Animals“ ist mit Sicherheit ein ambitionierter Film, der wohl auch viele Kritiker und Zuschauer erreicht hat. Diesem Kanon kann ich mich leider nicht ganz anschließen.
:liquid5:

The Nun
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Als Ausstattungsfest ist er durchaus zu gebrauchen, dieser nun bereits fünfte und demnach völlig nährstoffarme Eintrag in das merkwürdige Universe-Gebilde von „The Conjuring“. In rumänischen Klostern wird eben nicht allzu oft gefilmt, und so erfreuen wir uns an einem erfrischenden Tapetenwechsel nicht nur auf die Reihe bezogen. Gruftige Kellergewölbe und mit Gras überwucherte Grabflächen gehörten vielleicht vor 30 oder 40 Jahren zum Standard-Repertoire des Horrorfilms, heute korrodieren solche Bilder eher im Andenken an längst vergangene Tage.

Schön, dass „The Nun“ über seine volle Laufzeit an den altmodischen Kulissen festhält und selbst bei seinen wenigen Vorstößen in die Zukunft bloß im Vintage der 70er landet, in denen die Hauptfilme angesiedelt sind. So bleibt die Atmosphäre schön luftdicht versiegelt und beweist Durchhaltevermögen, anstatt sich schon nach dem Prolog zu verdünnisieren. Auch die Titelfigur profitiert vom überdurchschnittlich sehenswerten Produktionsdesign: Bei einem Dämonen im Nonnenkostüm kommt es eben auch ganz entscheidend auf die Präsentation an. Die ergibt im Zusammenspiel von Beleuchtung, Kamera und Maske eine geschlossene Einheit, die sich als Ausgangsbasis für effektvollen Grusel bewährt.

Dass diese Vorlage nicht genutzt wird, hat mehrere Gründe, deren Probleme zumeist im feststeckenden Getriebe des zeitgenössischen Mainstream-Horrorfilms ihre Wurzel haben. Es ist zwar keine neue Entwicklung, dass erfolgreiche Ideen auch dann fortgesetzt werden, wenn es – vom lieben Geld abgesehen – keine plausiblen Gründe für dieses Vorgehen gibt. Aber wohl nie waren die niederen Beweggründe der Produzenten durchschaubarer als bei der aktuell umgehenden Neuentdeckung des Konzepts „Filmuniversum“. So viel Eindruck die dämonische Nonne als Nebenfigur hinterlassen hat, von selbst wäre man wohl eher nicht auf die Idee gekommen, ihr einen eigenen Film zu spendieren. Zu Recht; das Drehbuch ist behelfsmäßig anhand von Schablonen zusammengesetztes Flickwerk. Was man einem anspruchslosen B-Movie noch durchgehen lässt, damit muss man den Teil eines solchen „Universums“, das sich stets als bedeutungsvoll verkauft, längst nicht davonkommen lassen.

Darüber hinaus wird, wenngleich dies keine Überraschung darstellt, zu sehr auf Jump-Scare-Mechaniken vertraut, vor allem aber auf ein Rezept, das bis zur Ermüdung immer wieder durchkonjugiert wird: Eine gerade noch aus dem Nichts manifestierte Erscheinung ist (meist unscharf) im Hintergrund zu sehen und gerät durch Kameraschwenks oder Schnitte aus dem Bildausschnitt, nur um bei der Rückkehr in die ursprüngliche Position verschwunden zu sein. Oder Dinge werden zu einem Zeitpunkt in aller Ausführlichkeit erklärt, um garantiert zu einem anderen Zeitpunkt in einer Horrorsequenz zurückzukehren (Glocke am Grab). Diese Art des Inszenierens erzeugt den Schein aufwändig komponierter Szenen, in Wirklichkeit jedoch wird aus Faulheit einfach im Konsens gebrandschatzt... ja, selbst die erinnerungswürdige Portrait-Szene aus „The Conjuring 2“ wird in einer weit weniger effektiven Variante neu interpretiert.

„The Nun“ ist also eine Produktion mit Fließbandcharakter und hat lediglich das Glück auf seiner Seite, immer noch auf ein herrlich garstiges Filmmonster zurückgreifen zu können, das auf Phobien abzielt, die eher selten abgerufen werden. Dazu sind Location und historisches Setting vortrefflich gewählt, was sich am stimmungsvollen Ambiente zweifelsfrei ablesen lässt. Das ist immerhin etwas. Bei weitem aber nicht genug, um die Notwendigkeit dieses Spin-Offs zu rechtfertigen.
:liquid5:

Triple Frontier
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Das südamerikanische Dreiländereck zwischen Brasilien, Kolumbien und Peru steht in „Triple Frontier“ sinnbildlich für den rechtsfreien Raum, in den sich die Protagonisten des Films wagen, um erstmals in ihrem Leben nicht der Regierung zu dienen, sondern sich selbst. J.C.Chandor setzt im Aufbau seines Films vieles daran, das Special-Forces-Quintett in der Ausführung seines Plans von der geregelten Zivilisation zu isolieren. Es gibt keine Szenen mit ehemaligen Vorgesetzten der Eliteeinheit, auch keine Kommunikation mit Freunden und Familie von außerhalb; es werden nicht einmal die Mitglieder des Drogenkartells tiefer charakterisiert, auf die man es abgesehen hat, treten diese doch allenfalls als anonyme Soldaten in Erscheinung, die mit gezückter Waffe einen Raum betreten und in Sekundenbruchteilen zur Leiche werden. Der Regisseur schafft so eine Luftblase um die Männer, die sich von ihrem Land fallen gelassen fühlen und in dieser Auffassung gegenseitig unterstützen.

Die schwere Enttäuschung muss dann auch als alleinige Erklärung dafür dienen, dass sich Vollprofis während des überraschend schlecht geplanten Einsatzes von ihrer Habgier übermannen lassen und so den Erfolg der Mission aufs Spiel setzen. Die darauf folgende Eskalation allerdings lässt offene Fragen zur Motivation der Figuren weniger bedeutend erscheinen, entwickelt sich aus den zunächst glimpflich erscheinenden Fehlentscheidungen doch bald ein wahrer Schmetterlingseffekt aus fatalen Kausalfolgen. Dauernd werden die Männer zu neuen Improvisationen gezwungen, bis sich das Szenario zu einer Farce entwickelt, womit der Sinn des Einsatzes zu einem gewissen Zeitpunkt in Frage gestellt wird. Chandor weiß das mit einprägsamen Momenten zu unterstreichen, in denen der Wert des entwendeten Geldes seine Relation verliert.

Ein Actionfeuerwerk ist indessen nicht zu erwarten, wohl aber gut dosierte Actioneinlagen, die stets zur Generierung einer neuen, noch fataleren Situation führen. An Spannung mangelt es in diesem Aufbau jedenfalls nicht, zumindest wenn man dazu bereit ist, sich gleichzeitig auf die gruppendynamischen Aspekte einzulassen, die einen recht hohen Anteil der Screentime in Anspruch nehmen. Wegen des charakterstarken Casts um Pedro Pascal, Garrett Hedlund, Charlie Hunnam, Oscar Isaac und Ben Affleck gelingt das aber problemlos, denn alle Fünf tragen Entscheidendes zur Chemie der Gruppe bei, so dass man sich als Zuschauer jederzeit in das Szenario einfühlen kann.
:liquid7:

Fargo – Season 3
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Vielleicht sind es die veränderten Farbfilter, die sich jetzt wie ein milchig-grauer Schleier über das Bild legen, vielleicht ist es auch die Tatsache, dass das titelgebende Fargo in North Dakota erstmals nicht mehr besucht wird, aber irgendwas ist freudloser, trister, kontrastärmer als in den hervorragenden ersten beiden Staffeln. Dabei sind die Zutaten alle gegeben: Ewan McGregor scheint wie geschaffen für eine Hauptrolle in der Krimiserie, erst recht, wenn er in einer Doppelrolle ein Zwillingspaar spielt, das sich hauptsächlich durch die geschmacklose Frisurenwahl voneinander unterscheidet. Mary Elizabeth Winstead hat in ihrer Schauspielkarriere zumindest mal Kontakt gehabt mit dem ewigen Eis und bringt all ihre Erfahrung mit hoch gekrempelten Armen ein; von Michael Stuhlbarg darf man auch dann Wundertaten erwarten, wenn sein Gesicht hinter einem wahren Besen von Schnäuzer versteckt ist. Und David Thewlis mit britischem Kunstgebiss, meine Güte, lasst die Show beginnen!

Thewlis ist dann auch derjenige, der die hohen Erwartungen sogar noch übertreffen kann. Als Vertreter einer zwielichtigen Firma hockt er wie ein grienender Mephisto über der Schulter der traditionell von der Situation überforderten Hauptfigur, die nur ein Spielball in den Händen ihres Strippenziehers ist. Eklige Close-Ups seiner fauligen Prothese, die er mit dem Zahnstocher bearbeitet, tragen zur Diabolisierung dieses Geistes bei, der im Grunde keinen Mensch darstellt, sondern nur eine Idee.

Mit McGregors Stussy-Brüdern allerdings, und vielleicht liegt gerade hier das Problem, kann man sich anfangs nicht so recht anfreunden. Im Vergleich mit den verlorenen Seelen, die Martin Freeman und Kirsten Dunst / Jesse Plemons spielten, möchte man ihnen auf Anhieb weniger Mitleid zuteil werden lassen. Vielleicht hat man den zögerlichen Geschäftsmann und den kleinkriminellen Blutsverwandten mit seiner forschen Freundin einfach schon zu oft gesehen, auf jeden Fall zieht ihre Notlage anfangs nur wenig Interesse auf sich. Noch dazu scheint der Fall selbst einfach weniger herzugeben; er enthält eben nicht diesen tiefschwarzen Grundton und wirkt im Abschluss mancher Subplots auch öfter mal gekünstelt.

In der zweiten Staffelhälfte fangen sich die Autoren allerdings und ziehen ihre mühselig ausgeworfenen Köder wieder an Land. Was anfangs noch nach überreizten Stereotypen aussieht, entpuppt sich später oft als kluger Bruch mit Konventionen. Besonders Winsteads Rolle profitiert davon, verhält sich ihre Figur doch nicht ganz adäquat zu den ersten Eindrücken, die man von ihr hat. Das vage Ende bleibt vielleicht die letzte Antwort schuldig, ist aber so souverän inszeniert und gespielt, dass man die Staffel mit einem guten Bauchgefühl verlässt. Die dritte Staffel ist nicht wie die ersten beiden über alle Zweifel erhaben, gehört in einer zunehmend auf Masse statt Klasse setzenden Serienlandschaft aber trotzdem wieder zu den Diamanten.
:liquid7:

House Of Cards – Season 5
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Ass, König, Dame, Bube, 10. Spätestens jetzt ist "House Of Cards" eine Serie wie ein Royal Flush. Kein Wunder, dass sich in der fünften Staffel von Beginn an die Stimmung einer bevorstehenden Aufdeckung des finalen Blatts entfaltet. Mit Blick auf das aalglatte Auftreten der Politiker könnte man auch von einer Demaskierung sprechen.

Für Kevin Spaceys Realität als Person öffentlichen Interesses mag sich das Omen der Enthüllung bewahrheitet haben. Die Serie selbst, in der er hiermit letztmals als Präsident der Vereinigten Staaten mitwirkt, beweist leider nicht ganz so viel Konsequenz wie die Öffentlichkeit, als sie Spaceys Karriere beendete. Obwohl der Plot einen mitreißenden Einstieg wählt mit einem wild entschlossenen Protagonisten, der nach wie vor sein unverblühtes Charisma auf der Leinwand wirken lässt, endet er ohne richtigen Abschluss und ohne endgültig unter die Fassade der falschen Kreaturen in Kostümen und Anzügen gedrungen zu sein. In Hoffnung auf weitere gute Quoten mit einer sechsten Staffel (die allerdings ohne Spacey zur wenig aussichtsreichen Abschiedstour werden würde) wird die seltene Gelegenheit ausgeschlagen, den runden Abschluss einem ordinären Schaulaufen vorzuziehen.

Dabei wird in der Darstellung des Wahlkampfs zwischen Präsident Underwood und Herausforderer Gouverneur Will Conway (Joel Kinnaman) ziemlich viel richtig gemacht. Überraschen kann der Ausgang nicht mehr (man hat dem Präsidenten inzwischen wohl schon zu lange über die Schulter geschaut), aber ohne zu allzu heftigen Maßnahmen greifen zu müssen, entfaltet sich zwischen den Beiden ein fintenreiches Fernduell, das sich wie ein Ballett der Aale in einem Gartenteich verfolgen lässt. Auch die Schach-Metapher ist dank der vielen Nebenfiguren mit ihren Spezialfähigkeiten auf und abseits des Brettes greifbarer denn je. Spaß macht das Nachverfolgen der Züge, weil man nie hundertprozentig wissen kann, was im Kopf des Spielers vorgeht, selbst wenn man glaubt, ihn durchschaut zu haben. Der komplette Cast ist dabei in Hochform: Spacey und Wright sind ohnehin eine Bank, aber auch Kelly, Kinnaman, Campbell und alle anderen Bauern im Kabinett sind mit vollem Elan bei der Sache.

Nachdem dieser Handlungsbogen allerdings vorzeitig aufgelöst wird, steht die Serie vor dem Problem der Neustrukturierung, halb bemüht, die Überleitung elegant über die Bühne zu bekommen. Das gelingt nicht ganz so sauber wie erhofft. Wenn plötzlich eine weitere Figur zum Zuschauer zu sprechen gedenkt, wirkt das aufgesetzt, was den intendierten Überraschungseffekt deutlich abschwächt. Vorbereitungen für die Spacey-freie Zone wurden zwar nun getroffen; es müsste aber mit dem Teufel zugehen, wenn dem Royal Flush nun noch eine 9 folgen würde.
:liquid7:

Weitere Sichtungen:
Altered Carbon – Season 1
Auslöschung
The Bad Batch
The Equalizer 2
The First Purge
Future World
Hellboy – Call of Darkness
México Barbaro
Mile 22
Mothra bedroht die Welt
Rasputin – Der wahnsinnige Mönch
Sirenengesang
Slender Man
Solo – A Star Wars Story

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 13.04.2019, 15:04

Ziemlich oft :26

"Bright" haben wir übrigens auch schon als Review :wink:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 13.04.2019, 15:47

Bei dieser Ladung an Eindrücken sieht man genau das Muster, welches ich die Tage noch anmerkte: Bei den Netflix Eigenproduktionen taugt nix zum Hit. :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 13.04.2019, 16:04

Dabei ist Netflix doch so coooooooooooooooooooooooooool :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 14.04.2019, 09:02

Ich glaube mit cool verband man eher das moderne neue Sehverhalten weg vom linearen TV und nicht die Qualität des Inhalts. :lol: Wobei es ja mitunter sehr gute Einkäufe gibt, aber nix gescheites Eigenständiges. :!:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 14.04.2019, 10:43

Der Erfolg der japanischen Auräumtrulla zeigt mir das die breite Masse auch den Exklusiven Inhalt cool findet :wink:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von freeman » 15.04.2019, 18:50

Oder schlicht nix besseres findet :wink:

In diesem Sinne:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 15.04.2019, 19:45

@StS: :26 und danke, trag ich noch nach!
@Netflix: Ja, Meisterwerke suche ich auch noch, aber im Sinne von Trial & Error kommen da teilweise schon ganz spannende Sachen raus. Auch wenn nicht alles Gold ist, was glänzt, bisher bin ich eigentlich recht angetan nicht nur von der Serien- sondern auch Filmauswahl, wo letztere doch immer eher belächelt wird bei Netflix. Kann aber gut sein, dass ich demnächst mit den interessanten Sachen durch bin...

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von freeman » 15.04.2019, 19:53

Ich denke mal, Netflix geht eh bald pleite. Auf dem letzten Weekend of Hell wurden dann alle Netflix Serien und Filme auch als Blu-rays Marke Eigenbau angeboten. Es setzt sich fort: Physische Raubkopien machen das Streaming kaputt. :lol: Ich find das irgendwie echt witzig.

In diesem Sinne:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 15.04.2019, 20:09

Ich denke, so lange es nur wenige Streaminganbieter gab, ist das illegale Streamen und Downloaden durchaus zurückgegangen, aber das wird sich wieder verstärken, wenn erstmal die ganzen neuen Anbieter auf dem Markt sind und man gezwungen ist, zehn Abos abzuschließen, um alles zu sehen, was einen interessiert...

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 16.04.2019, 06:07

Ich sehe bei dem Thema eine deutliche Parallele zur Musikindustrie vor einigen Jahren in Sachen Downloads - erst ignorieren, dann sehen das es eine Markt dafür gibt, dann unbedingt was eigenes aus den Boden stampfen, sich eine blutige Nase holen weil es floppt um dann am Ende alles bei Apple oder amazon zu bekommen :lol:
Wird beim Streaming genauso laufen - es werden am Ende nur zwei bis drei große Anbieter übrig bleiben.....
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 16.04.2019, 06:53

Sky und Maxdome. :lol:
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