The Eyes Of My Mother
In einem Regiedebüt, das nicht einmal 80 Minuten andauert, überwindet Nicolas Pesce immense Perioden von Zeit. Anhand permanenter Verwendung von Transmissionen folgt eine Situation kausal auf die andere, irrelevante Zwischenereignisse sind kein Teil dieser Erzählung. Sie umfasst Schlüsselereignisse in einer Umgebung tröstlicher Stille; gesprochen wird kaum und die artifizielle Schwarzweiß-Architektur erzeugt eine tröstliche Neutralität (eine Indie- und Kunstfilm-Attitüde wird dem jungen Filmemacher somit unweigerlich unterstellt und vielleicht auch zum Vorwurf gemacht werden). Der Ort ist nicht völlig unbestimmt, weil er auf einen Landstrich in den USA eingeschränkt werden kann, er ist aber nur einer von vielen; ebenso ziert sich die Dimension der Zeit, ihren exakten Standpunkt zu präzisieren. Man nimmt sie überhaupt nur deswegen wahr, weil man sieht, wie die Hauptfigur vom unschuldigen Kind zum Monster heranwächst; einem solchen, das die Definition von Gut und Böse allerdings nicht kennt und somit nicht mit bösartiger Intention handelt, sondern einfach, weil bestimmte Kindheitserlebnisse sie auf ein solches Handeln konditioniert haben. Im ersten Akt erscheint es angesichts der verstörenden Ereignisse oftmals unlogisch, surreal bisweilen; im weiteren Verlauf gewinnen sie allerdings eine verstörende Schlüssigkeit.
Pesce öffnet damit thematische Fässer irgendwo zwischen Mnemonik und Epigenetik; inwiefern wird das Handeln durch vergangene Erlebnisse beeinflusst, welche Rolle spielt die Erinnerung als Transportmedium in diesem Zusammenhang, und mit Blick auf die in den Titel eingebrannte Metapher des Auges: Inwiefern können sich die Anlagen der Eltern auf das Erbgut der Kinder auswirken?
Die inhaltliche und auch ästhetische Marschrichtung führt schnell zu Vergleichen mit „Frankenstein“. Pesces Verdienst liegt darin, dessen Diskurse aus der Phantastik zu lösen und auf die menschliche Psychologie anzuwenden. Obgleich sein Film eher ein düsteres Drama ist als ein Horrorfilm, hat der Regisseur dessen Schwungkräfte durchaus verinnerlicht; so ergeben Bild und Ton nicht immer zwangsläufig eine stimmige Einheit, sondern behaupten mitunter Gegenteiliges. Die Kamera schöpft Suspense aus der Statik, sie verharrt nicht selten an einer Stelle, oftmals sogar aus weiter Distanz, um ein Gefühl der Machtlosigkeit zu erzeugen, wenn sich das Unvermeidliche zuträgt. Gerade weil man stets ahnt, was als nächstes geschieht, beobachtet man jeden Zug in einem gefesselten Zustand. „The Eyes Of My Mother“ kehrt die Passivität des Mediums Film heraus und instrumentalisiert sie geschickt zur Spannungserzeugung.
Seinen im Schlussakt konventionellen Ablauf kann man ihm daher auch kaum zum Vorwurf machen. Eher schon seine sperrige Art, die aus der Abstinenz von zwischenmenschlicher Wärme resultiert (hier verstört vor allem die abweisende Art des Vaters sowie die fehlgeschlagene Annäherung zwischen der Hauptfigur und einer japanischen Studentin); allerdings sorgt Pesce gerade mit ihr dafür, dass niemand seinen Film verlässt, ohne ihm in Gedanken noch nachzuhängen.
El Perdido
Mit "El Perdido" schuf Robert Aldrich einen Western mit zwei Gesichtern. Das eine führt einen charismatischen Kirk Douglas in der Hauptrolle, einen schelmisch grinsenden Draufgänger, den nicht einmal das unvorteilhafteste Kostüm entstellen kann. Mit ihm am Steuer kann das Road Movie durch die Weiten Amerikas jederzeit eine neue Wendung nehmen; für einen Drehbuchautoren wie Dalton Trumbo bieten sich dadurch grenzenlose Möglichkeiten. Speziell im Schlussakkord werden brisante Themen angeschnitten, die man in einem US-Western jener Zeit keineswegs erwarten würde. Hier wird der episch angelegten Linie eines vermeintlichen Edelwesterns sogar der Wagemut räudiger B-Western eingeflößt. Auch Aldrich trägt seinen Teil zu den Stärken des Films bei, er erfasst auf der Reise einige wunderschöne Landschaften, die in ihrer eigenen Getragenheit erst richtig aufblühen, kümmert sich aber auch intensiv um die Charakterzeichnung, indem er ein komplexes Geflecht einer über Generationen verteilten Liebesgeschichte mit dem Alltag und Überleben auf dem Land verknüpft. Für Abwechslung in dieser recht dialoglastigen Angelegenheit sorgt zudem eine rasant geschnittene Actionsequenz inmitten eines Sandsturms.
Dann ist da aber eben auch Rock Hudson, der sicherlich gerade als Kontrast zum abenteuerlustigen Douglas engagiert wurde, jedoch eher auftritt wie dessen blasser Schatten. Immerhin reicht es zu einem passiv angelegten Paragraphenreiter, der nicht nur den Umgang mit seinem Gefangenen, sondern auch die Liebe zu einer Sache des Besitz- und Verwaltungsanspruchs macht. Regelrecht als Erholung mag man sein stocknüchternes Schauspiel allerdings empfinden, wenn man gerade mal wieder Zeuge einer Szene voller Liebesgeturtel von Douglas Richtung Dorothy Malone wurde. Der sonst so unabhängig auftretende Antiheld wird in diesen Momenten regelrecht domestiziert. Herzschmerzpoesie zwingt man seinen Lippen seitens Dialogregie auf, törichte Offenbarungen seines Innersten - hätte es damals bereits rosarote Brillen gegeben, eine wäre immer griffbereit im Halfter gewesen.
Besser wird der Kitsch weder durch drei mexikanische Gitarristen, die den Treck als wandelndes Radio begleiten, noch durch die künstlichen Studiobauten, mit denen die beeindruckenden Außenpanoramen unschön durchbrochen werden (auch wenn sie heute einen nostalgischen Charme versprühen mögen). Dabei ist es ja gar nicht so, dass die Substanz unter den pomadigen Versen der Liebe eindampfen würde. Das Dreieck Douglas - Hudson - Malone hat eben auch durchaus interessante Subtexte zu bieten und klagt mit leisen Gesten sogar den Machismus klassischer Revolverhelden an. Komplexer wird das Geflecht sogar durch den Einbezug der Nebendarsteller Carol Lynley und Joseph Cotten. Damit könnte man fast schon bei den ganz großen Genre-Klassikern anknüpfen - würden sich diese starken Momente eben nicht die Spielzeit mit den aufgedunsenen Ausflügen in die Ultraromantik teilen, was "El Perdido" im Rückblick zu einem äußerst ambivalenten Erlebnis werden lässt.
Prakti.com
Prakti.sch, dass Shawn Levy über zwei sympathische Schluffis wie Owen Wilson und Vince Vaughn verfügen kann, denn anderweitig wäre der Unsympathen-Faktor seiner Google-Commercial in Spielfilmlänge wohl so unerträglich, dass sich Bing und Yahoo demnächst über massive Zuläufe freuen dürften.
Um solche Bewegungen freizusetzen, fehlt einer Baukasten-Klamotte wie „Prakti.com“ aber selbstverständlich die Relevanz. Mit zwei arbeitslosen Trotteln, unzufriedenen Ehefrauen, tyrannischen Tutoren und freakigen Unternehmensgründern lassen sich die Schwächen oberflächlicher US-Comedy eher entlarven als Business-Mechanismen, ein simples Gemüt eher demonstrieren als Querdenkerei. Wilson und Vaughn bei der Logfile-Analyse über die Bedeutung des Wortes „Bug“ zu „Die Fliege“ und David Goldblum zu führen ist nicht halb so witzig wie geplant; einen glatzköpfigen Rollstuhlfahrer als Professor Charles Xavier zu entlarven ebensowenig. Bunte Google-Mützen mit Windrädchen sehen auf den Altherrenköpfen sicherlich noch bekloppter auf als auf jungen Erfindergeistern, haben deswegen aber noch längst nichts mit Humor zu tun. Und wenn Praktikant Wilson einer Karrierefrau aus dem Konzern schöne Augen macht und diese sich ziert, ödet die Vorhersehbarkeit des Ausgangs an wie eine alte Leier, die man jeden Tag zu hören bekommt; gleiches gilt für das Zusammenraufen der Außenseitergruppe und den Sieg des Unangepassten gegenüber Stromlinienförmigkeit und Effizienz. Dass die Marke Google im Film eben für jene Vielseitigkeit steht, lässt es als modernes, hippes Unternehmen dastehen, das sich ganz Amerika als Arbeitgeber wünscht. „Prakti.com“ wird somit zur Stellenausschreibung, das sich die Mechanismen der seichten Komödie zu eigen macht, um potenzielle Mitarbeiter zu rekrutieren. Ob das noch Film ist oder schon Werbung, ist schwer zu sagen. Sagen kann man aber: Besonders amüsant ist das nicht.
Sherlock Holmes: Juwelenraub
Tatort Zugabteil. Ob man nun mit dem maritimen Setting des direkten Vorgängers so zufrieden war, dass man wieder unbedingt auf abgegrenztem Raum drehen musste, oder ob man mit der Zugfahrt einfach Murder-Mystery-Konventionen einhalten wollte, lässt sich schwer sagen; zumindest hat sich die „Gefährliche Mission“ auf hoher See nicht gerade als hochwertige Schablone für den „Juwelenraub“ auf Eisenbahnschienen empfohlen. Dennoch verschlägt es das routinierte Duo Rathbone / Bruce erneut auf engen Raum, den es mit Mordopfern, einem wertvollen Objekt der Begierde und unzähligen Verdächtigen zu teilen gilt.
Für klassische Railway-Krimis der Marke „Eine Dame verschwindet“ im Grunde ebenso typisch wie für die Sherlock-Holmes-Reihe an sich, wird „Juwelenraub“ nur durch sein einstündiges Format, die starke Präsenz des ermittelnden Duos und deren bewährte Logik der Deduktion an einer freieren Entfaltung gehindert. Denn die Mittel sind grundsätzlich alle vorhanden: In jedem Abteil sitzt ein mysteriöser Verdächtiger und Außenansichten des fahrenden Zugs vermitteln ein Countdown-Gefühl, das Wendungen im Sekundentakt verspricht. Gegenüber der trägen Seefahrt ist das zumindest schon mal ein Vorteil in Sachen Beschleunigung, auch wenn Nigel Bruce seinen Watson wieder slapstickhaft durch Drehbuchellipsen lenkt, die ihn letztlich wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren lassen, ohne mehr aus dem Exkurs mitzunehmen als einen billigen Lacher.
Der sorgfältigen Modellierung der unzähligen Nebenfiguren allerdings schadet das Gehetze, ebenso wie dem stolzen Genie des Meisterdetektivs. Holmes hat kaum Zeit, überhaupt seinen finalen Coup in aller Ausführlichkeit darzulegen, wie soll er dann im Mittelteil sichtbar für den Zuschauer irgendwelche Schlüsse ziehen?
Mit der fehlenden Darlegung der Schlussfolgerungen werden aber ohnehin nur selbstzweckhafte Wendungen kaschiert, die den Zuschauer günstig an der Nase herumführen. Hohes Tempo entschädigt eben nicht angemessen für schwungvolles Erzählen, das galt damals ebenso wie heute...
Sherlock Holmes: Jagd auf Spieldosen
Zum vierzehnten und letzten Mal also schlüpfen Basil Rathbone und Nigel Bruce in ihre angestammten Rollen des Detektivs Sherlock Holmes und seines Partners Dr. John Watson und es scheint so, als habe das Ende der Serie während der Dreharbeiten bereits festgestanden oder sich zumindest angekündigt. Roy William Neil, der alle Teile seit „Die Geheimwaffe“ (Teil 4, 1943) inszenierte, starb noch im gleichen Jahr; zugleich strebte Rathbone nach anderen Projekten, um zu verhindern, dass man seinen Namen nur noch als Synonym für jenen Holmes' sehen würde.
Und so beginnt Watson bereits, Vorbereitungen zu treffen, um seine Memoiren und die seines alten Freundes in abenteuerliche Geschichten zu fassen, als doch noch ein letzter Fall in ihr Büro getragen wird. Dieser bedeutet gegenüber den fragwürdigen letzten Fällen des ermittelnden Duos immerhin eine Steigerung, auch wenn zu diesem Zeitpunkt keine spektakulären Veränderungen mehr zu erwarten sind. Die im deutschen Titel referenzierten Spieldosen stellen einen klassischen McGuffin dar, der Holmes' ableitende Logik auf ideale Weise in Szene setzt. Anstatt sie wie zuletzt wie ein ausgeleiertes Gimmick in luftleeren Raum zu platzieren, wird sie geschickterweise auf die akustische Ebene angewandt: Holmes, der sich in mehreren Gelegenheiten als musikalisch äußerst geschickt entpuppt, kommt der Lösung des Falls diesmal durch die Analyse von Tonleitern näher, was nicht nur den Hauptdarsteller mit einem neuen Gebiet konfrontiert, sondern auch die Reihe ein wenig von dem Generalverdacht befreit, jedes Mal aufs Neue nur den gleichen Trott zu bieten.
Zur besonderen Qualität des Drehbuchs von Frank Gruber und Leonard Lee gehört es, dass die Fakten in der Ausgangssituation sehr simpel wirken, jedoch bald in einen Fall münden, der sich verschachtelter zeigt als gedacht – ohne dass das Publikum dabei den Faden verlöre. Watson bleibt zwar auch im letzten Auftritt nur ein Stichwortgeber, trägt aber diesmal wenigstens wieder indirekt zur Auflösung des Rätsels bei, was verglichen mit seiner jüngsten Fettnäpfchentreterei einen echten Fortschritt darstellt.
Damit erreicht man zwar längst nicht die Großtaten der Reihe, die vermehrt in der mittleren Phase zu finden sind, ein versöhnlicher Abschluss ist aber gegeben für eine Reihe, die das Bild der klassischen Arthur-Conan-Doyle-Figur vielleicht mehr geprägt hat als jede spätere ihrer Inkarnationen.
Psycho Raman
Auch wenn "Psycho Raman" nicht ganz das ist, was er sich zu sein erhofft, so erweist sich der indische Thriller doch als ein hochgradig spannendes Untersuchungsobjekt im Spannungsfeld zwischen dem amerikanischen und indischen Kino. Letzteres wird im Westen breitflächig nur als Katalysator zum Ausleben positiver Gefühle über das klassische „Bollywood“ wahrgenommen. Niemand, so heißt es, feiert das Leben so sehr wie die Inder mit ihren bunten Kleidern und dem schwungvollen Tanz zu orientalischer Folklore. Drängt nun also stattdessen das Portrait eines Psychopathen auf den internationalen Markt, steht die Annahme im Raum, die Artenvielfalt des indischen Kinos solle unter Beweis gestellt werden. 2.0, das bezieht sich inhaltlich auf den Umstand, dass "Psycho Raman" nicht die wahre Geschichte eines Serienkillers im Bombay der 60er Jahre erzählt, sondern die fiktionale Geschichte eines Nachahmers in der Gegenwart. Es steht aber auch für die angepeilte Neuwahrnehmung einer Branche, die ihre alten Markenzeichen nun mit modernen Zutaten anreichert, um sein Publikum zu vergrößern.
Anstatt schwereloser Paarungstänze gibt es ergo zum Einstieg Hard Trance in einer Disco auf die Nuss, und man fühlt sich sogleich an überstilisierte amerikanische Milieustreifen von "Scarface" bis "Collateral" erinnert. Die audiovisuellen Eindrücke nehmen unter Anurag Kashyaps Regie einen großen Raum ein; speziell der Soundtrack pendelt zwischen den Extremen und versucht sich an einer neuen (digitalen) Interpretation des Begriffs "Weltmusik"; auch optisch werden die überladenen Handels- und Wohnstraßen der Großstadt nicht in dem erdig-lehmigen Ton präsentiert, den man aus Dokumentationen über das Land kennt, sondern mit den harten Farbkontrasten und dem Grit des Neo(n)-Noir. Die Kapitelstrukturierung mit comicartiger Typografie tut ihr Übriges, um dem internationalen Markt zu gefallen.
Doch auch die Charakterzeichnung gesellt sich zu dieser nach Offenheit strebenden Ausrichtung, erinnert bei der Annäherung der beiden Hauptfiguren, die auf entgegengesetzten Seiten stehen und sich doch so ähnlich sind, frappierend an "Heat". Ohne blutrünstig zu sein, wird mit Gewaltdarstellungen oder deren Andeutungen nicht gegeizt. Gerade Nawazuddin Siddiqui spielt sich als empathieloser Killer in einen regelrechten Rausch der Emotionslosigkeit, ähnelt tatsächlich zunehmend eher einem Monster als einem Menschen. Doch auch auf der anderen Seite mit Vicky Kaushal häufen sich tragische Entwicklungen, mit jenen des Monsters verknüpft durch das unsichtbare Band der Parallelmontage, die beide Entwicklungen in eine direkte Abhängigkeit zueinander setzt.
Zwischen den Zeilen erzählt "Psycho Raman", oft womöglich unterbewusst, von seinem Land und der Gesellschaft. Eine gegenüber westlichen Gesellschaften immer noch passivere Rolle der Frau ist nach wie vor erkennbar; thematisiert wird sie kaum oder jedenfalls unzureichend direkt. Gleiches ließe sich über die illustrierte Armut behaupten. Der auf Hochglanz polierten Oberfläche treiben diese unbehandelten Zustände Risse in den Lack. Sie lassen den Style-Over-Substance-Thriller vordergründig betrachtet unvollkommen erscheinen. In Wirklichkeit machen sie ihn erst gerade interessant.
Raising Cain
Kaum hat man die Szenerie von "Raising Cain" betreten, fühlt sich bereits alles irreal und beklemmend an. Es ist nur ein harmloser Laden, den man mit der Hauptdarstellerin und ihrem Ehemann betritt, aber die Stimme aus einem Fernseher dringt verschwommen wie in einem Traum ans Ohr, Weichzeichner lassen die Konturen einer Hochglanz-Marmortheke in einer Ansammlung schillernder Prismen verschwinden und die Gesichter zweier Darsteller in einem ohnehin bereits unangenehmen Dialog werden in penetranten Close-Ups studiert, so unerträglich lange, dass man selbst die Position von einem der beiden Gesprächspartner einzunehmen scheint, immer noch betäubt davon, wie falsch und inszeniert alles wirkt.
Auch "Raising Cain" ist also wieder ein typischer Psychothriller der Marke De Palma, der versucht, mit effekthascherischen Stilmitteln unter die Hirnrinde zu kriechen und dabei nicht im Traum daran denkt, jemals wieder daraus hervorzukommen. Nicht nur die omnipräsente Hitchcock-Affinität, die man ihm stets unterstellt, auch die Beharrlichkeit in seinem Vorgehen lässt ihn zum Besessenen werden, der Bild und Ton mit Drastik einsetzt, um Dinge zu unterstreichen und vor allem bestimmte Situationen permanent im Unterbewusstsein zu verankern.
So arrangiert er den Blick auf einen Kinderspielplatz wie ein Karussell, das sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht und nur noch schemenhafte Umrisse der Umwelt abbildet, in der sich zeitgleich Dinge ereignen, die für den Plot von zentraler Bedeutung sind. De Palma frönt ungehemmt seiner Vorliebe für Trugbilder, nutzt das im Grunde bereits durch Cronenberg & Co. abgetragene Motiv des Zwillings mit einem Enthusiasmus, den man anfangs vermutlich eher nicht teilt, der aber ansteckt wie eine gähnende Person. Schlüsselorte werden mehrfach besucht, immer aus einer anderen Blickwinkel; keiner von ihnen kann so etwas wie dokumentarische Objektivität für sich beanspruchen. Je stärker John Lithgow in einer seiner vielen Rollen involviert ist, desto verrückter werden die Perspektiven; von Schrägoben bis Extrem-Aufsicht ist alles dabei, beinahe schon könnte man sagen, Lithgow tänzelt mitten in die wunderbare Welt des Terry Gilliam, ohne dass De Palma ganz dessen Exzess in Sachen Ausstattung erreichen würde. Wo Lolita Davidovich involviert ist, wird es wiederum auf eine andere Art paranoid; Schemen im Hintergrund, verräterische, schnelle Bewegungen wie in einem klassischen Thriller der bodenständigen Art nahezu, würde Lithgow mit seinen tausend Gesichtern vom perfekten Familienvater über die coole Socke mit Sonnenbrille bis zum Mad Scientist und Transvestiten nicht immer wieder eine herrliche Farce machen aus dem eigentlich doch eher dem Horror als der Komödie zugehörigen Gefühl des Verfolgungswahns.
So ganz bei Trost ist aber ohnehin der gesamte Film nicht. De Palma intoniert derart grell, dass man die Virtuosität brillanter Einzelmomente wie mit dickem Neonmarker umkreist empfindet, der Unzulänglichkeiten verbergen soll und das finale Werk folglich wie eine große Scharade dastehen lässt, ein Schattenspiel vielleicht, das "Psycho" und "Wenn die Gondeln Trauer tragen" zu einer einzigen verkrüppelten Kreatur deformiert. "Raising Cain" ist dadurch aber nicht einfach nur der misslungene Versuch des Regisseurs einer an sich selbst vorgenommenen Therapiesitzung (beziehungsweise einer Selbstanalyse seiner cineastischen Obsessionen), sondern eben auch ein fabelhaftes Guilty Pleasure, das ungefragt seine Abdrücke in der Erinnerung lässt. Denn von De Palmas Psychothrillern bewahrt man am besten nur die kunst- wie lustvoll gesteigerten Klimaxe auf. Das Drumherum gilt als Verpackung und wird nicht mitgegessen.
Witchtrap
Eine nicht ganz zu Unrecht fast vergessene 80er-Videotheken-Version von "Insidious", ausgestattet mit den Hupen von Linnea Quigley, einem verhexten Anwesen, gleich zwei Medien (oder auch: Geisterjäger), den Hupen von Linnea Quigley, Panik, Blut und den Hupen von Linnea Quigley. Für mehr Erwähnenswertes reicht es nicht, richtet sich die vom Geist eines Hexers terrorisierte Gruppe doch so stromlinienförmig nach den Regeln des Genres wie der Steuerprüfer nach dem Formular. Dabei steigt der Prolog doch tollkühn gerade da ein, wo ein Haunted-House-Klassiker wie "Burnt Offerings" schon endete, verrät aber mit Dilettanten-Schnitt zur Verschleierung billiger Spezialeffekte bereits vorab, was man vom Hauptakt erwarten kann. Zwar werden ein paar platzende Köpfe und andere Spezialitäten für die Blutgeier aufgefahren, nichts aber, das man nicht als billige Kopie der Großmeister ansehen müsste. Und so lebt "Witchtrap" heute ausschließlich von seinem spröden VHS-Flair, das sich insbesondere in den langen Action-Pausen ausbreitet wie lästiger Gilb. Schade um die Hupen von Linnea Quigley.
Dealer
Nur 75 Minuten Laufzeit, aber gequatscht wird mehr als in jedem Drei-Stunden-Gangster-Epos gefüllt mit gestikulierenden Mafiosi. Noch während die Hauptfigur im Off-Kommentar ohne Punkt und Komma ihre obszöne Straßenphilosophie abfeuert, quatscht sie sich selbst live im Bild dazwischen, wird von ebenso geselligen Quarktaschen unterbrochen, kontert wieder und animiert den Off-Kommentar dazu, das Ganze folglich wieder zu kommentieren. Die Maximen des Kommunikationswissenschaftlers Grice werden regelrecht mit Füßen getreten, hoch lebe das Zeitalter ungefilterter Informationsflut. Es findet offenbar nicht nur im Internet statt, sondern auch in den dreckigen Seitenstraßen von Paris.
Abgeleitet ist all das natürlich von Referenzen wie "Lock, Stock & Two Smoking Barrels" oder "Pusher". Einen so einfachen Plot wie das Wiederbeschaffen eines fünfstelligen Geldbetrags dermaßen zu zerreden, mit epileptischen Schnitten zu segmentieren und pulsierendem Krach zu betäuben, wird gerne mal als Kunst für sich missverstanden, so auch hier.
Wenn allerdings sogar die eingeblendeten Handy-Displays aus dem vergangenen Jahrzehnt stammen, wird deutlich, wie irrelevant und abgedroschen die Instrumente sind, derer sich Jean-Luc Herbulot bedient. Gangsterbosse blumige Metaphern schwingen zu lassen, hat per se schon etwas Nachäffendes an sich, dann aber auch noch mit der Konsistenz eines französischen Gebäckstücks anzukommen, lässt sogar ganz konkret darauf schließen, dass man sich zur Vorbereitung für das Drehbuch die Cremeteilchen-Szene aus "Inglourious Basterds" angesehen hat.
Folgerichtig versucht "Dealer" dann auch mehr durch explizite Grausamkeiten zu punkten, setzt harte, schnelle Folter- und Geiselszenen ein, um Verzweiflung und Entschlossenheit innerhalb des Milieus darzustellen, verwendet Sex und Gewalt nicht zuletzt auch selbstzweckhaft, um zu beeindrucken. Hauptdarsteller XY kämpft sich wie ein Chev Chelios mit tickender Armbanduhr durch diesen Dschungel aus Waffen, Koks und Geld, dauerhaft betäubt vom inhaltslosen Gequassel seiner Interaktionspartner und von sich selbst. Welche Wege er nun genau im Rennen gegen die Zeit nimmt, lässt sich wegen der ruhelosen Wackelkamera schwer sagen; fest steht nur, der Weg wurde bereits oft gerannt. Und selten kam etwas Vernünftiges dabei heraus.
:liquid4:
The Visitor
Wenn uns der Prolog durch ein Dimensionstor auf eine andere Bewusstseinsebene führt, wissen wir normalerweise, wir haben es mit reinstem Eskapismus in Form von Fantasy oder Science Fiction zu tun. Das Bild teilt sich für die Eröffnung von "The Visitor" horizontal in grelles Orange und Azurblau; eine Kugel, augenscheinlich eine Sonne (nicht zwangsläufig unsere), taucht auf und zerteilt die Linie in der Mitte. Der Kamera den Rücken zugewandt steht die Silhouette eines Kuttenträgers im Bild, der beinahe ein Jedi sein könnte. Ein zweites Wesen nähert sich ihm, das Gesicht ebenfalls von einer Kutte verdeckt, bis diese vom Wind weggeweht wird und eine bröckelige Fratze mit funkelnden Augen entblößt. Ein heftiger Schneesturm zieht auf, die Gestalt verschwindet wieder.
Man würde nun Weltraumkitsch der Marke "Flash Gordon" erwarten oder auch Fantasy-Barbarentrash nach Luigi-Cozzi-Machart, doch Giulio Paradisi hat seine ganz eigenen, für Außenstehende wahrlich unlesbaren Pläne. Was folgt, ist nämlich eine krude Mischung aus "Der Exorzist II", "Omen II" und "Teufelskreis Alpha", die sich, man ahnt es anhand der Zusammenstellung der Referenzen, um das kindliche Erwachen dunkler Mächte dreht.
Man möchte "The Visitor" aufgrund seiner Anlage am ehesten ins Fahrwasser der Exorzismus-Welle verweisen, zumal die junge Hauptdarstellerin mit ihren glasig funkelnden Augen und ihrem unschuldigen Lächeln der diabolischen Ausstrahlung von Linda Blair in "Der Exorzist" und dessen Fortsetzung recht nahe kommt. Eher ungewöhnlich ist es für ein Rip-Off allerdings, beim Kopiervorgang derart unfokussiert zu Werke zu gehen. Immer wieder wird von der Vorlage abgelassen und anderen Inspirationen nachgejagt, so als sei ein Exorzist alleine eben nicht genug. Überambitioniert zeigt sich der Horrorthriller vor allem in Sachen Set- und Sounddesign: Mit Vorliebe arrangiert Paradisi aufwändige Katastrophensequenzen, die sich auch gerne am hellichten Tag in der Öffentlichkeit ereignen. So explodiert schon nach wenigen Filmminuten in einer prall gefüllten Basketballarena ein Korb und ein Ermittler wird von einem Raubvogel im Auto von der Straße gedrängt und in einer ferngesteuerten Kausalabfolge von Unglücken zum Tode durch Feuer verurteilt. Der harte Schnitt leiht sich so manches bei Hitchcock, anderes wiederum beim Giallo, während Komponist Franco Micalizzi das Treiben intoniert wie einen Weltuntergang, begleitet vom ohrenbetäubenden Zirpen der Vögel, die der Regisseur wiederum wie fliegende Symbole immer wieder in seine furios dirigierten Ereignisketten einbaut. Selbst die Ruhephasen sind nicht minder absurd, von Lance Henriksen als Teil einer dunklen Verschwörung bis Franco Nero als Jesus tragen sie entschieden zur Verwirrung bei.
Die Unfähigkeit, sich auf eine rote Linie einzulassen und auf eine Vision zu beschränken, lässt "The Visitor" letztlich auch nach B-Movie-Maßstäben scheitern. Sie sorgt für energisches Kopfschütteln bei jedem, der Spuren einer konsistenten Geschichte sucht. Gerade dadurch entsteht allerdings auch für ein einmaliger Zusammenschnitt von Szenen, die man in dieser Form normalerweise niemals in einem einzelnen Film sehen würde. Auch wenn die Stilmittel in Sachen Montage und Soundtrack manches Mal zu schrill ausfallen, so manch spektakuläre Sequenz kann man "The Visitor" nicht in Abrede stellen.
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Teufelskreis Alpha (The Fury)
Wer ohne mit der Wimper zu zucken Elemente eines paranoiden Agentenkrimis mit jenen eines übernatürlichen Psychothrillers in einer Parallelhandlung verknüpft, der beweist zweierlei: Dass ihm eine große Fallhöhe nicht viel auszumachen scheint. Und dass die Neugier nach merkwürdigen Genre-Cocktails höher ist als die Furcht vor dem Scheitern.
Und wie so viele von De Palmas interessantesten Werken ist eben auch „The Fury“ eines seiner gescheiterten. Als Kirk Douglas im Prolog seinen sehnigen, von unzähligen Abenteuern gezeichneten Körper aus dem Meer zieht, betritt er ein Set wie aus einem Bond-Film. Ein völlig ungewöhnliches Szenario für den Regisseur, der aber nicht lange damit fackelt, es sich zu eigen zu machen. Die kurz gezeichnete Vater-Sohn-Idylle wird schon bald mit bewährten Trümpfen des Unterhaltungskinos in Form von Feuerbällen und Schussgefechten zerstört. Dass diese zugleich auch als Ablenkungsmanöver bzw. Taschenspielertricks taugen, macht er sich für seine Zwecke zu eigen und stellt bereits innerhalb der actiongeladenen, jedoch nach Grundsätzen des New-Hollywood-Kinos noch bodenständigen Einführung klar, wo seine Interessen tatsächlich verteilt sind.
Den höchsten Preis für den offenen Umgang mit vermeintlich unvereinbaren Inhalten zahlt De Palma im Mittelteil, solange sich die Wege von Douglas und seiner Co-Darstellerin Amy Irving noch nicht gekreuzt haben. In diesem Zeitraum fühlt sich die Sichtung von „The Fury“ schizophren an, so, als sei ein imaginärer Sitznachbar Herr über die Fernbedienung und könne sich nicht entscheiden, ob er nun lieber auf einen paranoiden 70er-Thriller von Alan Pakula schalten soll oder ob ihn nicht doch eher der paranormale Coming-Of-Age-Streifen interessiert, der auf dem anderen Programm läuft. Die Grundlagen sind in beiden Fällen in De Palmas DNA verankert. Einen Grundstein hatte er erst zwei Jahre zuvor mit „Carrie“ gelegt, die andere Spur würde er in den 80ern vor allem mit „Scarface“ und „Untouchables“ noch weiter verfolgen.
Das Erzählerische gelangt jedenfalls über lange Zeit nicht zu einem gemeinsamen Nenner; also wird die leere Fläche mit filmischen Experimenten gefüllt. Obgleich sich die Form diesmal nicht mit allerletzter Konsequenz vor den Inhalt drängt, ist „The Fury“ doch reich an extravaganten Schnittfolgen, Perspektiven und Bildschichtungen, das Highlight vielleicht eine Rückprojektion, bei der die Hauptdarstellerin, während sie auf einer unsichtbaren Drehplattform synchron zum Schwenk der Kamera zum gescannten 3D-Modell objektifiziert wird, selbst zur Zuschauerin wird, während sich der Bildhintergrund in eine überdimensionale Leinwand verwandelt, auf der verborgene Geheimnisse gelüftet werden – all das ausgelöst durch eine zarte Handberührung, die eine regelrechte Explosion von Sinneseindrücken nach sich zieht und ein kleines Puzzleteil der Handlung mit krachendem Klick-Geräusch einfügt. Kino, wie es schriller, aber eben auch sinnlicher kaum sein könnte.
So wie die Handlungsebenen sich schließlich verbinden, wird dem Hauptdarsteller-Duo dann auch endlich etwas Zusammenspiel gewährt. Aus emotionaler Perspektive ein notwendiger Schritt, der spät, aber gerade noch rechtzeitig auf das furiose Finale vorbereitet, in dem Unschuld mit Terror besudelt wird, die Gesetze der Physik mit telekinetischen Phänomenen und ein in weiße Stoffe getauchtes Erholungszimmer mit einem letzten Knalleffekt aus der Effektekiste. Eine finale Metapher für die vielen kleinen Bomben, die De Palma stets aufs Neue zündet, ohne zu wissen, ob sie ihm schaden oder nutzen.
Dampfnudelblues
Anders als bei diversen Ottfried-Fischer-TV-Krimis wäre es durchaus denkbar, dass sich ein „Dampfnudelblues“ auch an ein ausländisches Publikum vermitteln ließe. Obwohl dem Genre nach ins Gebiet der klassischen Regionalkrimis zu verorten, werden die Eigenarten bavarischer Gemeindekultur in Ed Herzogs erster Verfilmung eines Romans aus Rita Falks Eberhofer-Serie weniger als Lebensgefühl gefeiert als vielmehr exponiert. Erscheint beispielsweise der karge Ortseingang der fiktiven München-Landshut-Zwischenhölle „Niederkaltenkirchen“ im Bild, so wird damit kein Heimatgefühl freigesetzt, sondern etwas Urdeutsches liebevoll demontiert. Leere Straßen und Plätze bestimmen das Landschaftsbild, in Form gehalten durch Recht und Ordnung, so dass jede Spur von Anarchie gellend ins Auge fällt. Ein „Stirb du Sau“-Graffiti wäre in dreckigen Berliner Bahnhofsvierteln oder im westdeutschen Kohlenpott nur eine Schmiererei von vielen, am Haus eines bayerischen Schulrektors ist es eine blinkende Reklametafel.
Dass der reflektierende Blick auf die Provinz von innen heraus kommt, wird jedoch anhand der Hauptfigur sichtbar. Sebastian Bezzel macht nicht nur einen großartigen Job dabei, den tumben Dorfpolizisten zu mimen, der ebenso wie Fleischer, Kommissar oder Hendl-Verkäuferin eindeutig Produkt seiner Umwelt ist. Gleichzeitig gelingt es ihm doch mit glasigem Blick zu erkennen, zu welch obskuren Auswüchsen die völkische Provinzkultur fähig ist, von der er umgeben ist – wissend, dass er ihr nicht entrinnen kann.
Als Resultat dieser Einstellung nimmt „Dampfnudelblues“ einen herrlich resignativen Charakter an, der die Relevanz jedweder Art des Handelns in Frage stellt und seine Hauptfigur wie im Tagtraum durch einen Kriminalfall stolpern lässt, der nicht nur einen Mord beinhaltet, sondern auch betrunkene Fußballer, italienische Liebhaber und Hanfanbau im elterlichen Vorgarten. Eine besondere Stellung nimmt, wie der Titel schon verrät, die deutsche Küche ein. Im Ausland (und städtisch geprägten Inland) wird ihr als schwere Hausmannskost zutiefst misstraut, also werden Franz Eberhofer und sein Sidekick Simon Schwarz mit allerhand bunten Speisen versorgt, die den Vorwurf der schweren Küche zwar nicht widerlegen können, ihn aber mit einer nicht für möglich gehaltenen Vielfalt schmücken, die mutmaßlich in den Fortsetzungen noch ausgebaut werden dürfte.
All das macht „Dampfnudelblues“ zu einer mächtig unterhaltsamen Kriminalkomödie, die sich auch wunderbar außerhalb von Bayern goutieren lässt. Ed Herzogs biedere Regie bildet in diesem Fall keinen Makel an sich, unterstützt er doch die bizarren Impressionen eines Ortes im Niemandsland, der mit einem sehr oft ins Bild gerückten Kreisverkehr bestens umschrieben ist. Nur in wenigen Fällen wird zu sehr über die Stränge geschlagen und der beschauliche Ton verfehlt – noch nicht oft genug, um sich störend auszuwirken. Bleibt zu hoffen, dass sich dieser Anteil in den Fortsetzungen nicht erhöht, nur um das Publikum bei Laune zu halten.
Demonic Toys
Wer sagt denn da noch, dass nur Kinder gerne spielen? Hat ein Erwachsener die Wahl zwischen einem Lagerhallen-dtv-Feature ohne mörderisches Spielzeug und einem Lagerhallen-dtv-Feature mit mörderischem Spielzeug, so steht die Chance recht gut, dass er sich für letztere Variante entscheidet. Der für den Videomarkt gedachten Full-Moon-Produktion „Demonic Toys“ verleiht die „Augsbluter Puppenkiste“ jedenfalls kräftig Farbe, denn ohne die abgefuckte Suicide Squad im Miniaturformat stünde die ganze Chose um einen missglückten Waffendeal ganz schön nackt da.
Dank eines Springteufel-Clowns, eines Laser-Roboters, einer Oopsy-Daisy-Puppe und eines Wer-Bärs stellt sich die Frage aber nicht. Die Referenzen lesen sich leicht: Nr. 1 vereint das Beste der Welten aus „ES“ (1990) und „Killer Klowns From Outer Space“ (1988), Nr. 2 wäre auch für einen Wachgang in Jim Wynorskis „Chopping Mall“ (1986) geeignet, Nr. 3 verzieht die Gesichtszüge so hässlich wie „Chucky“ (1988) und ein Verwandter von Nr. 4 hat schon in Stuart Gordons „Dolls“ (1987) gewütet. Dazu gibt’s den 11-jährigen Daniel Cerny als ultrafiesen Strippenzieher mit dem äußeren Erscheinungsbild eines Kindes, aber der Stimme und Mimik eines Erwachsenen. Er materialisiert sich aus dem Nichts und verformt die Welt nach eigenem Gutdünken wie Freddy aus „Nightmare on Elm Street“ (1984) und macht die 80er-Parade damit perfekt.
Das Spiel mit Größenverhältnissen konnte die Charles-Band-Company ein Jahr zuvor bereits mit der „Dollman“-Verfilmung austesten, hier kommen einige Effektverfahren deutlich sichtbar wieder zum Zuge, wenn beispielsweise eine der Figuren von dem Kinderdämon in ein Puppenhaus gezogen wird. Hinzu gesellen sich denkbar schrille On-Set-Effekte, die im Grunde den gesamten Spaß ausmachen. Was die besessenen Fabrikpuppen mit ihren Gästen anstellen, ist ähnlich schwarzhumorig, aber beinahe noch einen Tacken hinterhältiger als Chucky, Freddy und Konsorten; Kristine Rose sorgt dann in einem Sekunden-Auftritt als „Miss July“ noch für die zwei Kirschen auf der Sahne.
Man ist aufgrund dieser unterhaltsamen Zutaten zweifellos geneigt, von einem der besseren Full-Moon-Produkte zu sprechen. Der Rest vom Fest entspricht aber dann doch dem mäßig aufregenden Standard der Produktionsfirma. Graue Lagerhallen voller Kisten sind eben nicht besonders sexy und die verfügbare Bandbreite an Monsterpuppen aus der zweiten Garde wird spürbar mit Handantrieb und anderen billigen Tricks gestreckt. Das Konzept einer Gruppe verhältnismäßig harter Typen, die sich auf begrenztem Raum gegen einen übernatürlichen Gegner wehren müssen, würde man zwei Jahre später mit „Lurking Fear“ weiter ausleuchten, hier spielt die Konstellation eine eher geringe Rolle, solange der Zwergenstaat reichlich zu beißen hat.
Insgesamt wegen des „Who is Who“ aus dem Sandkasten vom Kinderspielplatz um die Ecke schwer unterhaltsam. Man darf eben nur nicht über die Trickeffekte hinaus denken, denn sonst wird’s recht öde.
Versunkene Welt
Hier werden keine Mühen gescheut, die zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alte Erstverfilmung in jeder Beziehung alt aussehen zu lassen: Knallige Farben, wohin das Auge sieht, exotische Pflanzen, spektakuläre Höhlenbauten, halbnackte Eingeborenen-Schönheiten und ein Expeditionsteam, so schrill und angriffslustig, dass zwangsläufig alle fünf Minuten Zoff auf dem Plan steht.
Alles Augenwischerei im Endeffekt, die nicht einmal besonders schwer zu durchschauen ist. Das Original von 1925 ist heute, fast 100 Jahre später ein immer noch ganz erstaunlicher Vertreter des Abenteuerfilms, nicht zuletzt wegen der fantastischen Trickeffekte von Willis O'Brien, die nach wie vor für offene Münder sorgen, nicht weniger als O'Briens anschließende Arbeit für „King Kong und die weiße Frau“. Gerade in diesem so wichtigen Punkt enttäuscht das Remake nicht nur mit Dino-Armut, sondern praktisch deren Abwesenheit. Die Verwendung der sogenannten „Slurpasaur“-Technik, bei welcher echte Tiere per Rückprojektion zu Filmmonstern umfunktioniert werden, verhindert das Wiedersehen mit den Urzeitkreaturen, die man sich von einem solchen Film erhofft. Klammert man mal den Tierschutzaspekt aus, mag eine aufgeblasene Eidechse, Spinne oder Ameise vielleicht einem Monsterfilm der Kategorie Mad Science oder Atomenergie dienlich sein, wohl kaum aber einem Stoff, der behauptet, ein Abenteuer auf einer Insel voller ausgestorbener Kreaturen bieten zu wollen. Zwar gelingt die Montage der Darsteller mit den Tieren in den meisten Fällen überraschend gut und die natürlichen Bewegungen der verwendeten Echsen und Krokodile stellen natürlich einen Vorteil gegenüber der stets mit dem Uncanney-Valley-Effekt kämpfenden Stop-Motion-Technik dar. Hinzu gesellt sich das relativ gelungene Sounddesign, das bei der Erfindung der Kampfschreie der Ungetüme reichlich Kreativität walten lässt. Durch die Vertrautheit mit dem Anblick der Tiere entsteht allerdings im Umkehrschluss eine ganz andere Variante des Uncanney Valley, die letztlich schon damals einen Hauch von Karnevalsmaskerade in die Kinosäle gebracht haben muss. Abgesehen von einer spektakulär gefilmten, ethisch aber fragwürdigen Kampfszene zwischen zwei Monstern hat „Die Versunkene Welt“ darüber hinaus kaum Bemerkenswertes zu bieten. Eine Riesenspinne ist in ihrem kurzen Auftritt anders als ihre schuppigen Kollegen sehr schlecht ins Bild einkopiert (ein Effekt, der durch die unnatürlich aggressive Kolorierung noch verstärkt wird) und sonst sieht's mau aus mit den Hauptattraktionen. Denkt man an die reiche Palette von Dinosauriern (und Primaten) zurück, die O'Brien Jahrzehnte zuvor in seiner Werkstatt zimmerte, ist das relativ enttäuschend.
Dass die Crew rund um Claude Raines so lautstark die Welle macht, hat also auch ein wenig mit Ablenkung zu tun. Um den Monster-Mangel zu kompensieren, werden ein paar fleischfressende Pflanzen ausgelegt und ein Kannibalenstamm zum Gegner erklärt. Aber auch in diesen Punkten bleibt das Abenteuer hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die Eingeborenen werden mit allen verfügbaren Klischees belegt und das Frauenbild gegenüber dem um Jahrzehnte älteren ersten Teil in gewisser Weise sogar verschlimmbessert. Wenigstens über die Kulissen lässt sich nichts Schlechtes sagen. Wenn zum Finale der Vulkan aufmuckt, gelingen durchaus hübsche Bilder bei einer abenteuerlichen Kletterei an einem Steilhang. Hier und da kann man Statisten im Off des Bildes erahnen, die Laubwerk und Schlingarme zum Rascheln bringen, doch das kommt bloß dem nicht gerade im Übermaß vorhandenen Charme des Handgemachten zugute.
Größer, weiter, besser, echter, witziger: Nicht umsonst werden Remakes dieser Sorte heute kritisch beäugt. „Die Versunkene Welt“ zeigt sich dahingehend ausbeuterisch und ist überdies nicht besonders gut gealtert. Die altehrwürdige Stop-Motion-Technik hätte auch dieses Saurier-Abenteuer besser vor dem Zahn der Zeit schützen können.
Lifeforce
„Lifeforce“ zu sehen bedeutet, einen Staffellauf zu verfolgen: Was die Ziellinie überschreitet, hat längst nichts mehr zu tun mit dem Startschuss, und wenn man auch keinem Läufer die volle Strecke zutrauen mag, so findet doch jeder von ihnen irgendwie zur Übergabe.
Was sich in den ersten Filmminuten im Weltall abspielt, ist ein häufiges Phänomen seiner Zeit: Vom Design der Kulissen bis zum Spannungsaufbau, inklusive spärlicher Musikuntermalung, bahnt sich ein astreines „Alien“-Rip-Off an, visuell eines der interessanteren. Unzulänglichkeiten der verwendeten Tricktechnik werden durch gelungene Außenaufnahmen eines regenschirmförmigen, halb organisch wirkenden Raumschiffs völlig egalisiert und im Inneren gelingen Hooper entzückende Bildkompositionen frei schwebender Weltraum-Vampire.
Der Schnitt auf das allzu irdische London kommt hart und unerwartet, wohl auch, weil „Alien“ ebenso wie die meisten seiner Epigone keinen Fuß auf die Erde gesetzt hat. Er steht stellvertretend für Hoopers weitere Vorgehensweise im Umgang mit dem Stoff, der von Natur aus nicht allzu viel Substanz verspricht. Mit der Logik eines Virenausbruchs, personifiziert durch die Nachbildung einer jungen Frau (Mathilda May), die den gesamten Film mehr oder weniger nackt durch die Gegend stolziert, hangelt sich das Skript von einer Drehbuchseite zur nächsten, verknüpft sie aber nicht auf direktem Wege mit Krankheit und Tod, sondern nimmt den Umweg über die Erotik in Form einer psychosexuellen Einordnung des Mannes. Um die hiermit bereits gewählte Lesart des Vampirismus visuell angemessen zu untermauern, erfüllt ein permanentes ektoplasmisches Knistern die Luft. Gummimonster werden mit umständlichen Digitaleffekten in einem Tanz der Lichter vereint und sorgen für ein Festival leicht durchschaubarer und doch schwer unterhaltsamer Tricks, die sich so reichhaltig über den Film verteilen, dass man beinahe schon von Überfluss sprechen könnte.
Hervorzuheben ist dabei vor allem ihre verblüffende Vielseitigkeit. Wo pneumatisch zum Leben erweckte Klappergerüste mit Schrumpelhaut und klimpernden Augen das befremdliche Gefühl reproduzieren, das man beim Anblick der Spezialeffekte aus „The Thing“ (1982) empfand, würde jeder, der einen kurzen Blick auf das apokalyptische Finale wirft, einen astreinen Zombiefilm vermuten. Eine Traumsequenz ist verdächtig nah an der berüchtigten Blowjob-Szene aus „Ghostbusters“, der ohnehin über gleißende Lichtsäulen und das Miteinander aus Handmade-Effekten und nachträglicher Bildmanipulation präsent ist. Die hakelig, aber doch irgendwie faszinierend getrickste Bildung einer Blutskulptur im Inneren eines Helikopters nimmt in gewisser Weise bereits eine Erfahrung aus „Terminator 2“ (1992) vorweg und ein kreischender Patrick Stewart, dessen Antlitz mit jenem von Mathilda May im Sekundentakt die Plätze tauscht, ist ohnehin eine Erfahrung für sich.
Man könnte nun einwenden, dass die satte Vollbelegung mit Trickeffekten Drehbuchschwächen kaschiert, dass sie Längen verschleiert, die sich ohne das Spektakel auf dem Bildschirm zwangsläufig ergeben würde. Aber warum sollte man das tun?
Madman
Mad statt bad. Verrückt, irrational, unzurechnungsfähig; nicht etwa intentional bösartig. Filme über irre Hack- und Schneidwaffenschwinger lehren uns die Quintessenz, dass ihren Monstern mit Logik und Diplomatie nicht beizukommen ist, dass man vielmehr alle Sinne beisammen haben muss, etwas Grips im Kopf und etwas Training in den Waden haben sollte, um dem Dezimierungsprozess lebendig zu entkommen. Viele ihrer Vertreter beginnen mit einem Lagerfeuer im Sommercamp (so auch das fast zeitgleich abgedrehte Konkurrenzprodukt „The Burning“), doch kaum einer ist so sehr als lebendig gewordene Lagerfeuergeschichte zu betrachten wie „Madman“. Von beachtlicher Genügsamkeit ist der Entwurf der Legende um einen Waldschrat im Holzfäller-Look, der seine Familie umgebracht und vom Dorfpöbel per Strick gerichtet worden sein soll. Es geht eigentlich auch gar nicht um die Geschichte, sondern um den Erzähler und sein Publikum: Gelingt es, die Konturen des Wahnsinnigen sichtbar zu machen?
Entsprechend ist „Madman“ vor allem an leuchtenden Silhouetten interessiert, die am Waldrand in bedrohlicher Pose verharren und vom flackernden Licht des Feuers in Bewegung versetzt werden. Im ständigen plötzlichen Auftauchen des Titelcharakters, der sich lange Zeit nur schemenhaft als zotteliger Artverwandter des Yeti zu erkennen gibt, hat das unverkennbare „Friday“-Rip-Off seine stärksten Momente. Lange bevor die hohlköpfigen Opfer von ihm Notiz nehmen, kann der Zuschauer ihn bereits sich nähern sehen und seine nächsten Züge vorausahnen. Schattenwurf und Ego- oder Schulterperspektiven lassen ihn weiter mysteriös erscheinen, während sich manch originell konzipierte, wenn auch oft mäßig umgesetzte Tötungsszene an einem Campbesucher nach dem anderen vollzieht. Die fehlende Kreativität beim fröhlichen Morden wird durch herzhaft doofe Abläufe wettgemacht: So gelingt es einem Opfer, sich wortwörtlich aus der Schlinge zu ziehen, um schließlich doch mit einem Ruck in den Ursprungszustand zurückversetzt zu werden, während ein anderes dämlich kreischend in Panik einen Kühlschrank ausräumt, um sich darin zu verstecken – während sich der Killer bei dieser lautstarken Aktion bereits im gleichen Raum befindet.
Trotz dieser zum Teil herrlich dämlichen Augenblicke kriecht die Monotonie wie dicker Nebel zwischen den Baumstämmen hervor. Anders als der Gartenscherenkiller aus „The Burning“ holt sich unser Axtmann seine Beute Stück für Stück, so wie man es eben gewohnt ist. Wenigen gelungenen Perspektiven steht das öde Schwarz einer langen Nacht in einem austauschbaren Wald mit Blockhütten entgegen. So manch einer wird auch eine zünftige Nacktszene vermissen. Die einzige Szene, die in eine solche Richtung geht, ist verseucht mit Weichzeichner, einfallslosem First-Person-Voyeurismus und irritierendem Gedudel direkt aus der Hölle. Der Cast setzt sich zudem aus etwas älteren Semestern zusammen; er ist überdies auch nicht besonders attraktiv anzusehen. Erhofft man sich nun zum Ausgleich wenigstens erwachsenes Verhalten, wird man wieder enttäuscht, denn auch hier gilt: Wenn die Schlächter in ihrem brutalen Verhalten auch wahnsinnig erscheinen mögen, so möchten sie doch vielleicht einfach nur die Welt vor Dummheit bewahren.
Und dann ist das Gemetzel irgendwann vorbei. Ohne Überraschungen, ohne großes Tamtam (hätte sich nicht wenigstens der Geschichtenerzähler als die wahre Identität des Madman entpuppen können... oder so?). Eine Ziertafel fasst das Gesehene noch in einen Rahmen. Beinahe wie in einem Märchen. Die meisten lebten nicht glücklich bis an ihr Lebensende, aber so ist das eben, wenn man den Madman aufsucht. Man bekommt, wofür man bezahlt. Und am Ende bezahlt man wieder. Wenn auch nur mit eineinhalb Stunden seiner Zeit.
Der Würgeengel
Das Ausbleiben der Befriedigung von Bedürfnissen zieht sich wie ein roter Faden durch Luis Buñuels Gesamtwerk. Der menschlichen Natur unterstellt es eine Umtriebigkeit bei der ewigen Suche nach Glück, die nicht zwangsläufig zur Erfüllung, sondern oft auch ins Verderben führt. Für „Der Würgeengel“ gießt der Regisseur diese Formel in einen Plot, der den Surrealismus, der von ihm stets so virtuos gemeistert wird, an seine Grenzen führt: Eine feine Gesellschaft trifft sich nach dem Opernbesuch für ein Bankett unter Gleichgesinnten im Anwesen eines Mitglieds und sieht sich am späten Abend trotz frei zugänglicher Ausgänge unfähig, den Speisesaal wieder zu verlassen.
Was nach heutigen Maßstäben den Zügen eines Terrorfilms gleicht, bei dem ein Wahnsinniger (oder der Rächer der Enterbten) alle Türen verriegelt und den versammelten Adel im eigenen Safte schmoren lassen will, folgt bei Buñuel natürlich weniger profanen Maßstäben. Die während des Banketts geltende Normalität rund um das Dinner, den Alkohol und den Klatsch, besiegelt durch eine gesellschaftliche Etikette, die sich unter den Oberen Zehntausend irgendwann implizit ergeben hat, transferiert schon bald ins Unwirkliche. Buñuel beginnt damit, eine unsichtbare Wand zu spinnen und lässt seinen Surrealismus unterschwellig wirken. In diesem Abschnitt sind sich die Gäste ihrer Situation noch nicht direkt gewahr, sie finden zunächst Ausreden, um doch noch die eine oder andere Minute unter den Anderen zu verweilen. Ein gemeinschaftlicher Konsens entsteht aufgrund der ungewöhnlichen Situation und fördert ein soziologisch ungemein interessantes Phänomen zutage: Die Menge verstößt, wiederum implizit, gegen die eigene Etikette und entschließt sich zur gemeinsamen Übernachtung.
Diese Art der subtilen Abweichung vom Normalen über Filmlänge aufrecht zu erhalten, hätte bedeutet, die Figuren weiterhin einfach nicht auf die Möglichkeit der Benutzung des Ausgangs hinzuweisen, sie trotz aller Widrigkeiten also weiterhin in ihrem wortlos beschlossenen Konsens brüten zu lassen. Buñuel jedoch verzichtet auf diesen Schritt, der einen weiteren Zugewinn von Surrealismus bedeutet hätte, und lässt die Figuren ihre Lage reflektieren: Im Morgengrauen entdecken sie ihre Unfähigkeit, den Raum, geschweige denn das Haus zu verlassen, sprechen diese Erkenntnis dann auch aus und überführen sie somit in den Diskurs, machen sie also für das Kollektiv transparent. Die unsichtbare Wand, die Buñuel im Diffusen errichtet hat, wird damit sichtbar, die psychische Blockade bekommt eine physikalische Dimension. An diesem Punkt erreicht der Surrealismus die Grenze zur Science Fiction: Wenn die Figuren wissen, dass sie nur den Ausgang nehmen müssen, dies aber offenbar nicht können, ist die Bedrohung nicht mehr länger eine Kopfgeburt, sondern eine ganz reale, wenn sie auch offenbar in direkter Nähe zum Phantastischen geboren wurde.
Und doch bleibt die Behauptung im Raum, das nichts Greifbares die Gäste am Verlassen des Hauses hindert – oder eben Polizei und restliche Bevölkerung am Eindringen, was ebenso unmöglich erscheint. Diese werden nicht ohne Grund durch etliche Wechsel in die Außenperspektive gezeigt, setzt der Regisseur doch offenbar ein Spiel in die Gänge, das eine perfide Wechselwirkung zwischen beiden Seiten jenseits der Blockade zu erzeugen beginnt. Damit bewahrt sich Buñuel nicht nur den surrealistischen Kern seines Werkes, sondern auch dessen Offenheit bezüglich einer Interpretation. Obgleich es schwierig ist, eine Gruppe von Lämmern nicht symbolisch zu deuten, wenn sie aus dem Nichts erscheint und treudoof mitten in den Speisesaal trabt, der inzwischen von Aristokraten besetzt ist, die zu Raubtieren degradiert wurden.
Hervorzuheben ist weiterhin, wie frisch und modern „Der Würgeengel“ mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung im technischen wie erzählerischen Sinne geblieben ist. Wo die Kostüme mit Frack, Zylinder und Rüschenkleidern ebenso wie die Architektur der Villa von vergangenen Zeiten erzählen, brechen die Wagnisse schon in der brodelnden Gerüchteküche beim Essen bahn. Es wird über die Jungfräulichkeit anderer Gäste gemunkelt, ein saftiger Kuss wird aufgedrückt, Sex in der Öffentlichkeit angedeutet. Dass Buñuel von der Tugendhaftigkeit der High Society nicht viel hält, macht er also schon deutlich, bevor er sie tief fallen lässt. Mit der Fieberwahn-Sequenz um eine sich verselbstständigende Hand zieht er zudem in Sachen Schnitt alle Register. Und das Finale nach dem eigentlichen Finale sorgt für eine „Fin“-Einblendung, die Mark und Bein erschüttern kann. Weiterhin für die These, dass der kirchliche Prunk möglicherweise nicht viel besser abschneidet als der weltliche Elfenbeinturm auf dem gegenüberliegenden Pol.
Die größte Unzugänglichkeit des Films ist im Grunde eine Blockade im Inneren des Zuschauers. Sie liegt darin zu akzeptieren, dass die deklarierten Regeln dieser ungewöhnlichen Handlung so gelten, wie sie geschrieben stehen. Nicht dazu überzugehen, zu hinterfragen, weshalb die Gäste trotz ihres offensichtlichen Leidens nicht einfach die Schwelle überschreiten, ist der Zugangsschlüssel. Bei erfolgreicher Benutzung offenbart er nicht nur einen ungemein packenden Überlebenskampf, sondern ein hochinteressantes Abbild gesellschaftlicher Zustände, die teilweise auch viele Jahrzehnte später noch Gültigkeit besitzen.
The Walking Dead – Season 6
Etablierte Charaktere verschwinden längst genauso erbarmungslos wie unzählige Minirollen, neue fädeln sich ganz nahtlos in die Gruppe oder eben auch in die Gegnerscharen ein. "The Walking Dead" ist zum niemals stoppenden Karussell geworden, welches die Figuren im fliegenden Wechsel betreten und verlassen. Je mehr der Handlungsablauf diesem Bild gleicht, desto geschlossener scheint sich das Publikum abzuwenden. Es sieht sich in der Erwartung getäuscht, jede Geschichte müsse sich auf ein Ziel, eine Pointe zubewegen. Dass sich die Serie auch nach sechs Staffeln dagegen verwehrt, eine über Jahrzehnte konditionierte Vorstellung zu bedienen, Dramaserien müssten bedingungslos einem linearen Erzählakt folgen, lässt sie mit jedem Gezeitenwechsel aus "Stellung halten" und "Angriff einleiten" nur stabiler werden - eine Stabilität, der nur noch die Sendeanstalten etwas anhaben können.
Die sechste Staffel beschäftigt sich inzwischen vornehmlich mit der Frage danach, ob die Handlungen Ricks und seiner Gefolgschaft überhaupt noch dem Guten und Aufrichtigen entsprechen, das man ihnen im Laufe der Jahre einfach unterstellt hat, oder ob man inzwischen nicht mindestens ebenso gnadenlos vorgeht wie der Feind, wenn nicht gar noch gnadenloser. An den Jagd- und Überlebensfähigkeiten der Kerngruppe zweifelt inzwischen niemand mehr. Damit gelangt die Dominanz ins Spiel, mit welcher die Gruppe auch neuen Bekanntschaften gegenübertritt. In vielen Momenten kommt gerade seitens des Anführers eine gewisse Überheblichkeit durch angesichts der vielen Erfolge bei der Verteidigung gegen die wandelnden Toten wie auch gegen menschliche Opponenten. In ihrer Anhäufung machen die vielen Kämpfe gegen Herden oder einzelne Zombies mürbe, sie führen zu teils irrationalen Entscheidungen, schwächen aber niemals die Motivation zu überleben.
In der ersten Hälfte folgt vieles den bisherigen Mustern: Die vermeintliche Sicherheit Alexandrias steht auf dem Spiel und muss in einer großen Schlacht verteidigt werden. Phasen des Chaos und Affekts werden von Phasen der Ruhe und Reflektion abgelöst, letztere erneut angetrieben von einer ausgekoppelten Charakter-Episode, in der psychologische Grundsteine für die weitere Entwicklung einer Figur gelegt werden, die wiederum einen großen Einfluss auf die gesamte Gruppe ausübt.
Was in der zweiten Hälfte geschieht, ist dagegen relativ neu. Die Konflikte verschieben sich mehr noch als in der Vergangenheit auf rivalisierende Menschengruppen, die Zombies werden zunehmend zum Hintergrund-Spezialeffekt. "Negan", ein Name, der im Diskurs längst seine Echos zieht, wird auch innerhalb der Serie unheilvoll angeteasert, aus dem Kleinen aufgebaut. Mit viel Suspense baut man Ricks Selbstüberzeugung auf kleinen Erfolgen weiter auf, nur um in kleinen Schritten die Machtverhältnisse zu verlagern - mit einem finalen Fünf-Minuten-Auftritt von Jeffrey Dean Morgan, der so viel Spielfreude an den Tag legt, dass selbst unverbesserliche Meckerer kurzzeitig wieder ein Leuchten in den Augen hatten.
Dass die siebte Staffel wohl trotz des brillanten Spannungsaufbaus und der fortlaufenden Opferung liebgewonnener Charaktere wieder in ihre alte Form zurückspringen wird, daran besteht aber wohl kein Zweifel; und genauso muss eine Serie über wandelnde Tote funktionieren.
South Park – Season 20
Immer wenn man denkt, den "South Park"-Machern müssen doch langsam die Ideen ausgehen, liefert die gesellschaftliche, politische oder soziale Wirklichkeit neue Inspiration. Und dann ist niemand früher zur Stelle als Trey Parker und Matt Stone. Zum runden Geburtstag gönnt man sich einmal mehr einen Rundumschlag gegen Online-Medien mit Fokus auf den gläsernen Bürger, dazu werden Trump-Ismen gereicht - nicht frontal mit Handkantenschlag, wie man es von der Serie vielleicht erwarten würde, sondern schön subtil durch die Instrumentalisierung eines altbekannten Charakters (Mr. Garrison), dessen äußere Merkmale, schließlich auch sein Verhalten, sich langsam demjenigen des amtierenden US-Präsidenten anpassen. Dass die Staffeln bei "South Park" inzwischen die Form eines langen Spielfilms annehmen, kommt dem gemächlichen Aufbau der politischen Satire entgegen, die es sich nun erlauben kann, über mehrere Folgen ihre volle Entfaltung zu entwickeln.
Die extreme Bissigkeit der frühen und mittleren Staffeln wird auf diese Weise allerdings nicht mehr erreicht. Die "Member-Berries" beispielsweise belegen einen kompletten Subplot, ihr subversives Potenzial wird aber durch den hohen Abstraktionsgrad verschluckt (sprechende Beeren!?), ein Problem, mit dem schon einige absurde Charaktere aus früheren Staffeln (wie "Towelie") zu kämpfen hatten.
Rick & Morty – Season 2
Eine Serie wie "Rick & Morty" müsste eigentlich episodenweise rezensiert werden, damit man den farbenfrohen Produkten intensiven Out-Of-The-Box-Brainstormings annähernd gerecht werden kann. Denn in diesem liegt die eigentliche Stärke der Serie. Sie geht von den gleichen Reliefs aus wie andere Adult Cartoons, legt aber schon die Gesetze von Ursache und Wirkung so flexibel an, dass irdische Physik kaum mehr eine Rolle zu spielen scheint. Klone sind längst keine Gäste mehr, sondern regelmäßiger Bestandteil der Handlung; Planeten und fremde Dimensionen werden mit einer Selbstverständlichkeit besucht, wie "Futurama" sie einst für den Flug zum Mond behauptete, der 1000 Jahre nach unserer Zeit zum langweiligen Retro-Vergnügungspark mutiert war. Natürlich ist bei "Rick & Morty" grundsätzlich alles möglich, was denkbar ist, und das Vorstellungsvermögen der Autoren deckt ein Vielfaches der wissenschaftstheoretischen Andeutungen ab, die ein "Big Bang Theory" beispielsweise lediglich als Vorwand für RomCom-Themen aufbauscht.
So spielt eine der völlig abgefahrenen Episoden mit parallelen Zeitlinien, die sich auf dem Zeitstrahl in Details voneinander zu unterscheiden beginnen, was erlebbare Auswirkungen auf das Sounddesign hat (Doppel-Tonspuren, bei denen zarte Abweichungen zu Vibrationen führen), derweil sich der Bildschirm zu Hause in einer regelrechten Zellmitose zu teilen beginnt. Parodien wie jene auf "The Purge" werden ganz offensiv und direkt vorgetragen; rar gesäte emotionale Augenblicke wie die Hochzeit von "Bird Person" schnell in einen Nonsens-Crime-Plot umgewandelt. Aber auch stumpfsinnige visuelle Gags bekommen ihre Chance, wie die Sonnenwesen in der brillant-dämlichen Band-Contest-Episode mit ihren dummen Visagen unter Beweis stellen.
Natürlich hat der "Alles geht"-Grundsatz seinen Preis. Sämtliche Figuren, Rick und Morty inbegriffen, bleiben wenig greifbare Karikaturen, denen man nicht trauen kann und auch nicht soll. Die Sitcom-Normalität, die im Heim der Familie Smith herrscht, erscheint durch all die Wurmlöcher und sich verschiebenden Dimensionswände erst recht wie eine falsche Kulisse, hinter der alles lauert, nur nicht die Realität. Insofern ist "Rick & Morty" aufgrund seiner hohen Dichte an raffiniert um die Ecke gedachten Gags aus kreativer Perspektive bewundernswert. Zum Liebhaben ist das aber eher ungeeignet.
Black Sails – Season 2
Man möchte zwar immer noch Schirmchendrinks bestellen und die Piraten mit Wattebäuschen bewerfen, auf dass sie ihren aufgeschminkten Schmutz abwischen können, so dass ihre Haut ebenso sehr strahlt wie ihre Zähne. Optisch bleibt die zweite Staffel "Black Sails" trotz hübscher Kostüme und Bauten nah an einer Rollenspielaufführung und ließe weiterhin Platz für ein wahrhaft grimmiges, schmutziges Konkurrenzprodukt (sofern das Publikum gleich zwei Piratenserien zu verdauen imstande wäre). Immerhin aber kommt die Storyline nun endlich in die Gänge. Nachdem man die Hauptfiguren rund um Flint, Vane, Rackham, Silver & Co. in der ersten Staffel recht planlos umherstolpern ließ, gewinnen sie nun doch noch an Kontur, Präsenz und vor allem an Charakter. Fast ausnahmslos profitieren sie von der Verdichtung der einzelnen Handlungsstränge und bauen sich gegenseitig auf, schön zu sehen am Verhältnis zwischen Flint und Vane, das im Verlauf der zehn Folgen mehrere Wendungen erfährt, ohne dass die Darsteller allzu viele Szenen miteinander abzuleisten hätten.
Auffällig ist es, dass völlig auf diese etablierten Figuren vertraut wird und manch neue Figur trotz großer Einführung schon nach kurzer Zeit keine Rolle mehr spielt. Man könnte argumentieren, dass dem reiselustigen Piratenvolk mit dieser Strategie keine Gerechtigkeit widerfährt, das Drehbuch hält jedoch mit interessanten Kniffen dagegen und gestaltet die Auseinandersetzungen zwischen Seeräubern und Kompanie wie ein Schachspiel auf hoher See, dessen Spannung darin besteht, dass sich die Bauern gegenseitig bekriegen und nicht merken, wie der König bereits Pläne schmiedet, sie allesamt über die Klinge springen zu lassen. Zugleich nehmen die Annäherungen an den Verlauf von "Die Schatzinsel" langsam Form an und münden in ein Finale, das zwar wenig spektakulär im Sinne maritimer Action ausfällt, stattdessen aber echten Abenteuergeist aufflammen lässt. Und damit gelingt der zweiten Staffel, was der ersten noch verwehrt blieb: Lust zu machen auf das, was noch kommt.
Weitere Sichtungen:
Black Butterfly
Cult Of Chucky
Maschinenland
Kung Fu Yoga
Southbound – Highway To Hell