Filmtagebuch: Vince

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Vince
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Beitrag von Vince » 05.08.2018, 13:34

Overdrive
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Klischees an sich müssen nicht unbedingt immer ein Problem sein. Geschickt überspielt, fallen sie im besten Fall nicht einmal auf. Aber dazu braucht es charismatische Darsteller, die es verstehen, ihren Charme wie einen Taschenspielertrick anzuwenden, indem sie von der Situation ablenken und auf die eigenen Vorzüge verweisen. Definitiv zu viel verlangt für dieses komplett durchschaubare "Fast and the Furious"-Rip-Off, das sich ungelenk wie ein grüner Fahrschüler ein paar PS vom großen Bruder abzuzwacken versucht und dabei in nahezu jeder Beziehung scheitert.

In der Präsentation aufgemotzter Oldtimer, Klassiker und Liebhaberstücke versucht man sich ein Alleinstellungsmerkmal zu erhaschen, das aber schon im Aufbau wieder zerfällt. Wenn die Intention war, den Blechhaufen Persönlichkeit einzuhauchen, muss man glatt feststellen, dass das selbst in "nur noch 60 Sekunden" wesentlich besser gelang. Der Grund ist in der schalen Inszenierung schnell gefunden. Die muckt zum Einstieg mit einer großen Actionszene auf, kopiert dabei aber bloß eine entsprechende Lastwagen-Szene aus der 2001er-Referenz und lässt jede Dynamik vermissen - um dann in einer Nacherzählung der üblichen Gauner-mit-Herz-Nummer zu münden, inklusive Rekrutierungsszenen, Versteigerungen, Villain-schießt-zur-Warnung-eigenen-Handlanger-nieder-Situationen und allem, was dazugehört. Mittendrin Scott Eastwood, dem stets die Coolness seines Vaters auf den Leib geschrieben wird, die er mit seinem krampfigen Silberblick allerdings nicht zu reproduzieren weiß. Mit ihm im Mittelpunkt fühlt sich alles ein bisschen langsamer an: jede Einstellung lässt ihn eine gefühlte Minute blinzeln (erst im Epilog setzt dem armen Teufel endlich mal jemand eine Sonnenbrille auf), dann sagt er seinen Text auf, dann wird wieder geblinzelt. Die Regieanweisungen sind omnipräsent, sie spiegeln sich sozusagen in den fragenden Blicken nicht nur von Eastwood, sondern vom gesamten diebischen Quartett. Das ist mit hübschen Gesichtern besetzt, die zum Teil an anderer Stelle bereits ihre Qualitäten unter Beweis stellen konnten, hier jedoch zur reinen Dekoration mutieren.

Würde man sich denn wenigstens in Sachen Action steigern, aber hier muss die blasse Eröffnungssequenz tatsächlich als Highlight herhalten. "Overdrive" ist also nicht nur schlecht gespielt und schlecht inszeniert, sondern auch noch sacköde. Ansprüche an ein Caper Movie mit Sportwagen sind generell nicht besonders hoch. So etwas darf dumm sein und sollte ein wenig Krach machen. Im besten Fall spielen ein paar Charaktervisagen mit. Erstaunlich, dass es Filme gibt, die selbst über derart niedrig gesetzte Messlatten stolpern.
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The Secret Man
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Wer in Franchise-Dimensionen denkt, aus dessen Perspektive könnte "The Secret Man" glatt als ein Sequel von "J. Edgar" durchgehen. Nicht nur visuell passt der Enthüllungsthriller um den Whistleblower Mark Felton zu den kalten Farben von Spielbergs Hoover-Biografie, auch knüpft die Handlung direkt an den Tod des langjährigen FBI-Direktors und das sich daraus ergebende Chaos an. Es wird ein vernichtendes Bild der Investigative gezeichnet, die sich durch zunehmenden Kontrollverlust definiert. In diesem Klima findet schließlich ein politischer Kampf gegen Windmühlen statt, bei dem sich erst durch Feltons hartnäckige Art in Kombination mit den Aufdeckungen der Presse der Wind dreht, bis die Dominosteine nicht länger wanken, sondern zu fallen beginnen - aufwärts Richtung Präsident Nixon.

Dass mit einem solchen Stoff Suspense und Thrill zu erzeugen sind, haben in den 70er Jahren Filme wie "Die Unbestechlichen" bewiesen. Allzu gerne würde sich "The Secret Man" dieser Richtung anschließen, wie der von vorne bis hinten brodelnde, niemals jedoch ausbrechende Score beweist, doch dazu fehlen dem Drehbuch die Reibungspunkte. Wo immer Felton (Liam Neeson) den neuen FBI-Chef (Martin Csokas) mit seiner Position konfrontiert, müssten eigentlich Pauken und Trompeten ertönen, doch Peter Landesman („Erschütternde Wahrheit“) setzt auf latente Aggressionen, die sich im Sichtbaren kaum entladen. Für trockenes Politkino oder spröde Lehrstunden in Rhetorik wiederum ist das Interesse am Spannungskino zu deutlich spürbar, so dass der Ton irgendwo zwischen geschichtlicher Aufarbeitung und Unterhaltungskino hängen bleibt, ohne sich auf eine Richtung festzulegen.

Immerhin überzeugt "The Secret Man" als Biografie insofern, als dass er einer Schattenfigur der amerikanischen Geschichte Emotionen einhaucht und sie dem Publikum überzeugend nahe bringt. Davon profitiert auch Liam Neeson, der endlich mal wieder einen Ausweg aus seinem "Taken"-Relief findet und anstatt eines Rollentypus ein Individuum verkörpern kann. Nur leider weiß das filmische Konstrukt um ihn herum trotz des hochwertigen Casts nicht genug aus dem Stoff herauszuholen.
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It Came From The Desert
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Der Anklang an die guten alten Zeiten atomverseuchter Rieseninsekten, auch er verliert seinen Glanz, wenn man ihn mit billigem Dosenbier verklebt.

Nichts gegen Teenage Party Horror, aber eine Liebesbekundung an das Genre-Kino der 50er Jahre hätte durchaus ein wenig mehr Ambitionen vertragen können. Eigentlich handelt es sich bei "It Came From The Desert" ja um eine Verfilmung des gleichnamigen Amiga-Computerspiels aus dem Jahr 1989, aber die notdürftige Rahmenhandlung um einen schüchternen Biker der Marke Surfer-Dude, seinen spatzenhirnigen Biker-Kumpel mit Football-Statur und ein biederes Dorfprinzesschen mit Asskick-Gen dürfte mit der Vorlage, aus der man im Abspann einige Ausschnitte zu sehen bekommt, nicht das Geringste zu tun haben. Auch die gelegentlichen Anspielungen auf Filmklassiker bleiben Fremdkörper, plump und bisweilen auch inkonsequent. Auf "Jurassic Park" hätte man bei derart vielen Gelegenheiten durchaus geschickter verweisen können als mit einer dümmlichen Feststellung der Marke "Das ist ja wie bei Jurassic Park", und Linnea Quigleys Striptease aus "Return Of The Living Dead" nach dem ersten Kleidungsstück wieder abzublasen, ist einerseits nicht so wirklich Sinn der Sache, andererseits vielleicht aber ganz gut so im Kontext dieses alles andere als sleazigen, sondern eher popcorntauglichen Unterhaltungsfilms für Teenager.

Die notwendigen Kontraste zum gängigen Creature-Trash werden durch einigermaßen passable Computereffekte erzeugt, mit denen wenigstens Anschluss gehalten wird an die niedere B-Kategorie der Marke "Big Ass Spider" oder "Stung". Somit hebt sich die Produktion zumindest in dieser Disziplin gerade noch ab vom wahren Bodensatz, jenen berüchtigten Fließbandhallen, in denen hundertfach schattenlose, unnatürlich gleitende Billig-Krabbler mit strukturlosen Körpern geklont werden. Was nun nicht bedeutet, dass die überdimensionalen Ameisen aus "It Came From The Desert" Meisterwerke der Rechenkunst darstellten.

Gepunktet wird immerhin in Sachen Location. Bei der Kombination aus Wüstenlandschaft und Motocross mit gigantischen Sechsbeinern im Rückspiegel stand natürlich "Arac Attack" Pate, aber die andalusische Ödnis kann sich als Schauplatz durchaus sehen lassen. Völlig inkompatibel mit dem orangefarbenen Sand unter knallblauem Himmel ist allerdings der zwischen Melancholie und Dramatik pendelnde Synthesizer-Soundtrack, der höchstens durch einen möglichen Verweis auf die Spielvorlage zu erklären ist, wohl kaum aber mit der albernen Stimmung des Films in Einklang zu bringen ist, in der eine alkoholhaltige Umgebung zur Wiege für angehende Helden wird.

Wüsste man das alles vorher, würde man diesen 90-minütigen Zeittotschläger wohl wesentlich lockerer nehmen; aber irgendwie hat man von einem Titel wie "It Came From The Desert" dann doch etwas Cooleres erwartet.
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Kikujiros Sommer
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Japan als Sandkasten, umschlungen vom Meer, bestrahlt von der Hitze der Sommersonne. Auf diesem abgesteckten Terrain nähern sich männliche Kinder, manche von ihnen körperlich längst erwachsen, gemeinsam ihren Ursprüngen; mit ein bisschen Glück am Ende auch dem Sinn ihres Daseins. Zuerst sehr zögerlich. Sie verharren anfangs in ihrer Routine, sich weigernd, sie zu durchbrechen, selbst wenn die äußeren Umstände sie regelrecht dazu auffordern. Der kleine Masao läuft zum Fussballtraining und trifft auf einen leeren Platz, weil die Sommerferien bereits begonnen haben, Ex-Gangster Kikujiro nutzt den Jungen anschließend lieber als lebendige Lostrommel beim Pferderennen, anstatt sich mit ihm auf die Suche nach seiner Mutter zu begeben, die irgendwo am anderen Ende Japans lebt.

Als "Kikujiros Sommer" schließlich doch noch zum Road Movie gerät, ist im Grunde bereits der Weg geebnet für ein wunderbares Rührstück, das weniger mit Kitsch attackiert als es vielmehr mit abwechslungsreichen Episoden voller Humor und ausgelebter Individualität überzeugt. Mit seinem jungen Co-Star ergibt der grantige Takeshi Kitano ein denkbar ausdrucksvolles Leinwandpaar ab. In diesen Beiden spiegeln sich die Kontraste aus tiefen Brennweiten und engen Close Ups, offenen Vogelperspektiven und eingegrenzten Handlungsbereichen, mit denen die Kamera spielt.
Dementsprechend sucht das Drehbuch seinen Endpunkt in einem weiten Bogen, wird aber durch einzelne Kapitel in kleine Abschnitte portioniert, die für sich genommen ziellose Ellipsen ergeben. Als die Protagonisten endlich am Ziel ankommen, entpuppt sich der Endpunkt als Fata Morgana; was bleibt, ist der Weg.

Das mag in einem gewissen Rahmen Klischees bedienen ("Der Weg ist das Ziel"), doch die unbeschwerte, natürliche Umsetzung erlaubt diese Erkenntnis nur am Rande, zumal auch schwierige Themen wie sexueller Missbrauch thematisiert werden und expressionistische Traumsequenzen alles Erlebte in ausgestellter Künstlichkeit sortieren, was nicht der Ironie entbehrt, dass es gerade die abstrakten Momente des Films sind, die seinen Realismus noch verschärfen. All das macht "Kikujiros Sommer" nicht nur für sich genommen zu einem unvergesslichen Erlebnis, sondern auch einsortiert in das Oeuvre Kitanos, das Gewalt und Schönheit immer mit ganz besonderer Handwerkskunst verknüpft hat.
:liquid8:

Mord im Orient-Express
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Er bändige keine Löwen, entgegnet Hercule Poirot einer jungen Dame, die seinen Namen fälschlicherweise "Hercules" ausspricht - und präsentiert sich somit einer neuen Generation von Zuschauern als neu aufgefrischte Kamelle, die sich ihren Platz in der Unterhaltungskultur nach wie vor verdient hat, selbst wenn die zugehörigen Buchbände inzwischen vergilbt sind. Mit harten Bandagen kämpft "Mord im Orient-Express", einer der wohl klangvollsten Titel unter den Agatha-Christie-Romanen, gegen das Vergessenwerden seines Protagonisten an.

Dabei trägt der Eifer zur Modernisierung sichtbare Früchte. Alte Kulissen in ultramoderner Präsentation, das hat schon die Méliès-Hommage "Hugo Cabret" von Martin Scorsese zum Erfolg gemacht. Ein altmodisch eingerichteter Zug, der durch eine romantische Schneelandschaft braust, beschwört erst recht die Lust am klassischen Abenteuer. Dazu schillernde Kostüme (alleine dieser Mantel, den Johnny Depp stolzierend aufträgt) und ein satt aufgestellter Star-Cast - die Voraussetzungen stimmen.

Poirot selbst wird zunächst aus Beobachterperspektive in einem Prolog charakterisiert, der eigens zum Zwecke seiner Präsentation zurechtgeschnitten ist. Wer ihm dabei zusieht, wie er zwei Eier mit Auge und Löffel abmisst, soll erkennen, dass es ihm um das Gleichgewicht geht. Und um zu verhindern, dass jemand den Sinn für Ausgeglichenheit mit Empfindlichkeit oder peniblen Anwandlungen verwechseln könnte, lässt man ihn gleich noch in einen Kuhfladen treten - einmal aus Versehen, einmal mit voller Absicht. Die mit diesen Zutaten gestrickte Persönlichkeit treibt ihn an, der nach eigenem bescheidenen Ermessen beste Detektiv zu sein, den die Welt kennt, und prompt ist die deduktive Methodik der Roman- und Filmfigur dechiffriert. Ihr nimmt das natürlich ein wenig von ihrem Geheimnis, andererseits kichert Hauptdarsteller Kenneth Branagh beim Blättern in seinen Romanen genug herum, damit ihn immer noch etwas Geheimnisvolles und Unergründliches umweht.

Wie bei so vielen Filmen „auf Achse“ zehrt der rollende Tatort von dem besonderen Gefühl, dass die Ortschaft im permanenten Wandel begriffen ist, was nicht nur ein Gefühl von Freiheit beschert, sondern auch neue Möglichkeiten für die Entwicklungen des Falls eröffnet - nicht umsonst haben sich auch Mr. Moto, Sherlock Holmes & Co. des öfteren auf Reisen begeben. Die Cinematografie wirkt - wie eben auch bei "Hugo Cabret" - überstilisiert, aber durchaus eindrucksvoll; mit den Farben der Morgenröte und des Sonnenuntergangs wird gespielt wie auf einem Aquarell. Branagh ist unter seinem außergewöhnlich frisierten Backenbart charmant, bei seinen Mitfahrern befinden sich ebenso viele Paradiesvögel wie graue Mäuse, was einmal mehr auf ein Verwirrspiel in der Beantwortung des Whodunit hindeutet (lenkt der Paradiesvogel nicht immer ab und es ist am Ende die graue Maus?). Wenn man in der richtigen Stimmung ist, kann dieser Neuanstrich einer alten Krimi-Tapete durchaus Freude bereiten.

Als der Zug schließlich wegen einer Lawine entgleist, kippt die Stimmung ein wenig. Grundsätzlich ist es ein schöner Kniff, Poirot und seine Verdächtigen miteinander auf engem Raum zu versammeln, so wie man es mit Geschworenen in einem Beratungszimmer machen würde. Das Verdächtigen-Karussell dürfte sich aber gerne mit noch mehr Elan drehen. Bevor sich der Detektiv zu seinem finalen Plädoyer aufschwingt und auf eine durchaus ungewöhnliche Auflösung stößt, geht ein wenig der Drive verloren, vielleicht weil die Einzelfiguren nicht genug auf den Prüfstand gestellt werden. Nicht zuletzt ist es auch die Tatsache, dass der Stoff bereits zum vierten Mal verfilmt wird, mit der die Euphorie für den Poirot einer neuen Generation gedämpft wird.

Dennoch bietet "Mord im Orient-Express" ein unterhaltsames, wenn auch nicht allzu tiefschürfendes Abenteuer, das verständlicherweise auf exotische Fortsetzungen hofft, denn wo Schneelandschaften sind, da folgen meist auch Dschungelgebiete und Savannen. Ob es dazu kommt, bleibt in Anbetracht des mäßigen Echos von Kritik und Publikum fraglich.
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Batman Ninja
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Mutmaßend, dass das Kind im Manne niemals völlig zum Schweigen gebracht werden kann, lassen Warner Animations und DC unter der Verkleidung avantgardistischer Animationen einen Kinder-Zeichentrick auf das erwachsene Zielpublikum los. In der Schlichtheit der Dialoge, einer (sogar gemessen an Warners MCU-Kontern) erschlagenden Gut-gegen-Böse-Naivität und einer simplen Baukasten-Dramaturgie meint man typische Samstagmorgen-Unterhaltung für die Kleinen zu erkennen. Getrieben vom Yin und Yang zieht sich ein Faible für Addition, Division, Subtraktion und Kombination durch den Plot: Es sind eben gerade so viele Superhelden nötig wie es Supervillains gibt, die das feudale Japan in Angst und Schrecken versetzen, um das Gleichgewicht der Welt wiederherzustellen. In der Folge sehen wir irre kichernde Psychopathen im halben Dutzend, alte Bekannte eben wie Poison Ivy, Deathstroke und Bane, die mit überheblichen "Hmpf"- und "Ha"-Lauten für das Publikum posieren, um sich anschließend in mechanische Verlängerungen ihrer Riesen-Egos zu schmeißen und im Sinne der klimatischen Steigerung zu einem Über-Villain nach „Transformers“-Schablone zu formen, auf dessen Schädel wohl kaum jemand anders hocken könnte als der Joker, der größte Theatraliker von allen. Und weil Batman längst seine sozialen Kompetenzen optimiert hat, rückt er mit einem gleichwertigen Arsenal an Helfern an, um dem Joker und seinem Gefolge den Garaus zu machen - was das Drehbuch zu einem ständigen Wendekurs nötigt, wer denn nun Überhand hat, garniert mit Schlüsselbegriffen wie "Überraschung", "Verräter" oder "Falle". Doch egal wer wen am elegantesten austrickst und wie lange er dazu braucht... es geht am Ende nur um die Egalisierung des Bösen, die gegenseitige Bedingung der Pole einer gemeinsam geteilten Welt. Wie damals, als die Welt noch nicht grau in grau war.

Auch wenn man heute wehmütig auf die Zeit zurückblickt, in der man solche Banalitäten zu feiern wusste, irgendwann entwachsen wir ihr alle... und blicken mit Befremdung auf das, was "Batman Ninja" inhaltlich bietet. Aber da ist ja zum Glück noch das Artdesign. Und das fällt in seiner Gesamtheit so inspiriert aus, dass es in gewissen Gesten, in abrupten Stilwechseln, in geometrischen Formen und Farbspektren seine ganz eigene Geschichte erzählt. Wäre Warner in seinen Kinofilm-Attacken auf Marvel so konsequent, ja regelrecht avantgardistisch, würde es nicht zu Wischiwaschi-Blockbustern wie "Justice League" kommen. Die augenscheinliche Kombination aus Computeranimation und Handgezeichnetem sorgt alleine schon durch den fliegenden Wechsel aus detailarmen Sequenzen und plötzlichen Bildsprengern eine unvergleichliche Dynamik, mit der sich Warner sogar alte Rechtmäßigkeiten wieder zurückerobert; Gebäudestrukturen, die sich in einer Biegung der Realität dehnen, hatte Marvels "Doctor Strange" aus den Welten von "Inception" weiterentwickelt, jetzt holt sich das Studio die Effekte mit Arschbombe-Effekt wieder zurück ins eigene Haus. Das alte Japan sieht malerisch aus; kleine Regenbogenmuster bilden das Blau am Himmel, schroffe Tuschestriche konturieren das staubige Erdreich und blitzende Technologie verrückt die Bildkomponenten wie bei einem aus der Form geratenen Zauberwürfel. Ob Action-Choreografie oder schlichte Bildkomposition, "Batman Ninja" steckt voller atemberaubender Einstellungen, die eine echte Lust am Ausprobieren verströmen. Das Gleiche kann man über Takashi Okazakis Character Design behaupten: Zwar verströmt der Joker in Aktion vielleicht nicht ganz den totalen Wahnsinn, den der Trailer noch andeutet, Batman ohne Maske sieht aus wie ein verunglückter Ken mit Doppelkinn und auch Gorilla Grodd ist alles andere als ein Designer-Glücksgriff, doch Kostüme und die grundsätzliche Integration in die - für Gotham-City-Kundige - alles andere als gewohnte Umgebung ist mehr als gelungen, zumal viele Figuren auf originelle Art die japanische Kultur adaptieren.

Nicht auszudenken, wäre der Erzählstil auch nur halb so spektakulär ausgefallen wie die Animation...
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Demolition
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Als Metapher für die Neuordnung eines aus den Fugen geratenen Lebens ist "Demolition" gerade so grobschlächtig wie der Vorschlaghammer, der auf den Putz niedergeht. Vom Gros der Dramen mit den Schwerpunkten "Liebe" und "Verlust" jedoch hebt sich die Regiearbeit von Jean-Marc Vallée in feinen Richtungsunterschieden ab, die allerdings gewichtige Auswirkung auf das Nachempfinden haben. Die beliebte Hollywood-Mär von der Vollkommenheit des Liebespaar-Konstrukts wird bis aufs Skelett abgenagt, die unsichtbare chemische Energie, die man "Liebe" nennt, bis auf die Atome demontiert und neu zusammengesetzt. Es ist tatsächlich die Denkweise eines Mechanikers, mit welcher das Drehbuch die Aufarbeitung eines plötzlichen Verlusts aufbereitet. Häuser werden eingerissen, Büroeinrichtungen in Einzelteile zerlegt, nur um zu sehen, wie die Dinge im Inneren funktionieren. Dieser Eskapismus vom Abstrakten ins Funktionale ist besonders bemerkenswert, da Jake Gyllenhaal keinen Mann spielt, der beruflich Dinge repariert, sondern einen, der für ein Unternehmen mit Zahlen jongliert.

Dazu passt der leise, auf Details verweisende Inszenierungsstil, der weniger eine nüchternen Blick auf den Hauptcharakter und dessen Umfeld wirft, sondern teilweise in dessen verzerrte Perspektive eintaucht und im Stil vieler dänischer Liebesdramen ("Reconstruction") das Unterbewusstsein mit asynchronem Bild und Ton stimuliert. Deswegen gerät "Demolition" zwar längst noch nicht zu einem Experimentalfilm; in vielen Punkten, etwa im Subplot um einen rebellischen Jungen, der Homosexualität in sich aufkeimen spürt, bleibt er klassisch amerikanisch. Aber die unterkühlte Herangehensweise lässt die bisweilen allzu naheliegende Metapher der Zerstörung, die allzu leicht ins Klischeehafte hätte abfallen können, in gewisser Weise gelingen.
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Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen
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Man musste wahrscheinlich Betty sein, um Betty überzeugend spielen zu können. Und ein wenig von der eigenen, ganz persönlichen Welt-Melancholie einbringen, wenn man den armen Tor verkörpern sollte, der ihr bedingungslos verfallen ist. Immerhin errichtet Writer-Director Jean-Jacques Beineix rund um das Hauptdarsteller-Paar unüberwindbare Mauern, durch die es gezwungen wird, sich ganz und gar mit dem Gegenüber und dem eigenen Selbst auseinanderzusetzen. Die Umwelt wird dabei völlig ausgeklammert, nur der Zuschauer bemerkt den Kontrast der intensiven, aber über die drei Stunden im Director's Cut schleichend dem Untergang geweihten Liebesbeziehung gegenüber der entschleunigenden Wirkung, die das "se la couler douce" mit französischer Sommerromantik im Hintergrund entfaltet.

Für Béatrice Dalle und Jean-Hugues Anglade bedeutet das eine Tour de Force, die "Betty Blue" weniger zu einem Sinnbild für den azurblauen Himmel werden lässt, sondern vielmehr für eine tiefe Traurigkeit, die um so einnehmender wird, wenn die heißblütige Romantik zwischen Farbeimern, Romanseiten und Pianotasten mit Ansage in reine Depression umschlägt. Dass die Figuren verzweifelt versuchen, dem Gefängnis zu entfliehen, lässt sich an der permanenten Nacktheit der Darsteller, der an Brian De Palma (oder eben Hitchcock) erinnernden Travestie in den Thriller-Momenten und der Flüchtigkeit der Bekanntschaften ablesen, die den Weg von Betty und Zorg episodenweise kreuzen, ohne seine Richtung entscheidend zu verändern. Und so ist es die Unausweichlichkeit, mit der sich dieses Liebesdrama tief in die Eingeweide ätzt und dauerhaft sein Brandzeichen darin hinterlässt.
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Jeepers Creepers 3
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2001 wurde "Jeepers Creepers" zum Überraschungserfolg und übertrug das Erbe von Stalker-Filmen wie "Duell" oder "The Hitcher" ebenso wie „Joy Ride“ aus dem gleichen Jahr auf die neue Generation. Es handelte sich immer noch Early-Twen-Horror, maßgeschneidert nach amerikanischen Legenden. Man verlagerte ihn jedoch aufs Land, dorthin, wo dich niemand schreien hört. Die potenziellen Opfer wurden über die komplette Laufzeit getrennt von ihrem gewohnten sozialen Kontext begleitet - keine Parties, keine idiotischen Kumpels, einfach nur ein junges Geschwisterpaar auf der staubigen Landstraße und ein geflügelter Dämon, der ihnen an der Klette hängt. Gina Philips und Justin Long wirkten verglichen mit dem Standard-Kanonenfutter regelrecht smart in dieser bedrohlichen Situation. Ausnahmsweise führte die Furcht einmal nicht dazu, dass man die Darsteller wie Hühner ohne Kopf im Kreis flüchten ließ; sie waren diesmal dazu in der Lage, sich gegen den übernatürlichen Gegenspieler mit Einfallsreichtum zur Wehr zu setzen. Dass diese Rezeptur stellenweise sogar im Sequel mit einem Bus voller Footballspieler aufgehen sollte, ist schon ziemlich bemerkenswert.

"Jeepers Creepers 3" trifft nun mit gehöriger Verspätung ein, wenn man nach den Marktregeln argumentiert, oder viel zu früh, wenn man die 23 Jahre zum Maßstab nimmt, die sich das Monster laut Story zwischen seinen Mahlzeiten als Urlaub genehmigt. In jedem Fall aber kommt es nicht zur richtigen Zeit zum richtigen Ort - und das spürt man am zerfahrenen Drehbuch, das verzweifelt nach einem Weg sucht, die nach wie vor äußerst merkwürdige Vampir-Abart in ein neues Handlungsgerüst zu integrieren.

Dabei ist Original-Regisseur Victor Salva sehr darauf bedacht, die Markenzeichen der Reihe zu pflegen, verschenkt die guten Ansätze aber auf vielfältige Weise. Die wildwüchsigen Hügellandschaften Louisianas ergeben ein fotogenes Setting, werden aber beinahe vollständig in Tageslicht getaucht und verzichten damit freiwillig auf spannende Deutungsspiele im Zwielicht, welches leider nur in Übergängen zum Einsatz kommt (und praktisch nie in Anwesenheit des Monsters, das stattdessen bei grellem Tageslicht völlig entmythisiert wird). In Gabrielle Haugh findet Salva einen optischen Ersatz für Philips (die zumindest ein Cameo absolvieren darf), nur dass der noch sehr jungen Darstellerin leider das Ripley-Gen ihrer Vorgängerin fehlt. Am Wichtigsten jedoch: Die Waffen und Fallen der Kreatur mögen effektvoll in der Handlung ausgestreut sein (die Auftaktszene etwa, in der sich argwöhnische Polizisten dem abgehalfterten Fahrzeug von außen nähern, erinnert auf makabre Weise an jene Momente aus der TV-Serie "Knight Rider", in der sich neugierige Passanten dem sprechenden Auto näherten und von ihm eine Lektion erteilt bekamen), was aber fehlt, ist die Essenz des Originals: Ein klar abgestecktes Szenario und das unerbittliche Gefühl von "He's coming for you!".

Immerhin gibt es wieder ein paar ästhetisch gefilmte Zeitlupen-Actionsequenzen und Bildaufteilungen (Wurfstern, Motocross-Flucht, Sprung Richtung ballernde MG) und auch manch seriengetreue Comiceinlage (gequetschter Augapfel). Auch wenn es nur die Oberflächenreize sind, die man als gelungen bezeichnen kann, so verhindern sie immerhin, dass die Reihe in die tiefsten Niederungen absackt.
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The Shape Of Water
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Der Oscar wurde wie so oft mit einer einfach gehaltenen, für Jedermann verständlichen Rassismus-Parabel geholt. Dementsprechend flach fällt die Anlage der Figuren aus, in der es vor Stereotypen wimmelt, die auf einem Maßband mit den Polen "Gut" und "Böse" ihre feste Position einnehmen. Eine Kuchen-Bar wird so zum Schauplatz von Anfeindungen gegen Homosexuelle und Afroamerikaner, und das binnen Sekunden, so als solle eine direkte Verbindungslinie zwischen den unterschiedlichen Ausformungen des Rassismus gezogen werden, die man nicht übersehen kann. Sally Hawkins ist in der Hauptrolle allerdings zweifellos von diesen Kritikpunkten ausgenommen, auch weil sie in ihren Möglichkeiten als Wirbelwind zwischen den starren Polen am wenigsten eingeschränkt bleibt. Rein darstellerisch halten viele ihrer Kollegen (Richard Jenkins, Michael Shannon, Michael Stuhlbarg...) mit, können aber bedingt durch das Drehbuch nicht gleichermaßen viel ausrichten. Wenig komplex geraten ist dann auch der Abstraktionsgehalt, den man dem Zuschauer bei der Übersetzung von Bild zu Aussage zumuten möchte. Wie schon in "The Devil's Backbone" und "Pan's Labyrinth" arbeitet Guillermo Del Toro erneut mit der Zusammenführung von Phantastik und Geschichtsfilm, doch diesmal fallen die Verflechtungen bei weitem nicht gleichermaßen reichhaltig und verschachtelt aus. Gerade sein Bürgerkriegsmärchen von 2006 hatte in diesem Punkt noch ganz andere Qualitäten vorzuweisen.

Interessant wird "The Shape Of Water" für den Cineasten vielmehr in der Form seiner Elemente (soviel zu "Nomen Est Omen"). In betörende Grünblautöne getaucht, gelingt es dem Regisseur praktisch, einen Unterwasserfilm über Land zu drehen, und wenn das auch bedeutet, dass er ganze Badezimmer mit Wasser fluten muss, um die Aura der Liebenden zur perfekten Illusion zu vervollständigen. Wer den in Sachen Artdesign herausragenden Videospiel-Klassiker "Bioshock" kennt, wird sich wünschen, die von Del Toro erschaffenen Bilder würden zu einer entsprechenden Verfilmung gehören, denn einer solchen säßen sie wie angegossen. Mit den Schwarzweißsequenzen wird dann der Ära des klassischen Hollywoods mit all seinen Monster- und Tanzfilmen auf sagenhafte Weise ein Teppich ausgelegt. Hier werden einzig mithilfe der brillanten Bildkompositionen die Dimensionen eröffnet, die in der vordergründigen Geschichte noch verschlossen bleiben.

Mutig ist es in diesem Kontext auch, wieder ein Fischwesen zum zentralen Spezialeffekt zu erklären, eine für Del Toro nicht ganz neue Figur. Angelegt ist sie natürlich in erster Linie an den "Schrecken vom Amazonas", der vor über 80 Jahren bereits mit vergleichbaren Themen spielte. Das zeitgenössische Publikum verbindet sie aber selbstverständlich zunächst einmal mit Abe Sapien aus "Hellboy"; und das nicht nur, weil es wieder Doug Jones ist, der den Fischmenschen verkörpert. Das Amphibienwesen aus dem Labortank ist als bloße Verfeinerung von Sapien zu sehen. Er ist sozusagen die Stummmfilm-Variante seines Vorgängers mit Augenmerk auf Charakterzeichnung statt Actionfiguren-Eigenschaften. Dass der Regisseur seine Lieblingsbausteine mehrfach recycelt, anstatt neue Pfade zu erkunden, könnte man ihm zum Vorwurf machen. Man könnte allerdings auch argumentieren, dass er inzwischen eine eigene Sprache erfunden hat, um Aussagen zu transportieren. Ein solch linguistischer Ansatz schmeichelt einem inhaltlich vermeintlich wenig originellen Film wie diesem natürlich besonders, denn so ist es das Gesprochene und nicht das Gemeinte, das zum Alleinstellungsmerkmal wird.

Der eigentliche Wert von "The Shape Of Water" liegt also im verschlungenen Tanz der Elemente Wasser und Luft. Gerne hätte das Drehbuch zwar tiefere Subtexte bergen und weniger auf Schwarzweiß-Pole vertrauen können. Dass das selbst bei einem Märchen kein Widerspruch sein muss, hat del Toro in der Vergangenheit ja bereits bewiesen. Visuell allerdings ist dies sein erstaunlichstes Werk.
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Die Meute lauert überall
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Den Wilden Westen in patriarchale Gesellschaftsstrukturen zu kleiden, ist ein alter Konsens. Breitbeinige Duelle in der Mittagssonne sind dafür ein ebenso aussagekräftiges Symptom wie die Kneipenschlägerei oder die Damsel In Distress. Derartige Relikte gehören zum Genre dazu und bilden einen Teil seiner Identität. Interessant wird es erst, sobald ersichtlich wird, in welcher Absicht ein Western sie verwendet: Wird er mit ihnen etwas Heldenhaftes heraufbeschwören oder doch eher die veralteten Moralvorstellungen einer überholten Ordnung hervorheben, die heute nicht mehr tragbar wäre?

Wahre Anti-Western kommen in beiden Fällen nur selten aus der Gleichung heraus, weil die Rituale an sich im Normalfall immer eine Restfaszination bewahren und eher für das Schwelgen in der Romantik frisch erschlossener Welten sprechen als dagegen. John Sherwoods Debütfilm als Regisseur (und der einzige von nur Dreien) fällt diesbezüglich jedoch aus dem Rahmen. Er verzichtet nämlich weitgehend auf ritualisierte und traditionalisierte Abläufe. Im Grunde beschränkt er sich auf eine einzige Regel: Das Recht des Mannes auf seine eigene Frau. Und lässt daraufhin das Gesetz der Wildnis walten. Es geht ums Fressen oder Gefressenwerden.

"Die Meute lauert überall", ein überaus treffender Titel übrigens, ist folglich eine gnadenlose Abrechnung mit der Männlichkeit. Harte Kerle, von denen fast jedes Szenenbild regelrecht überquillt, nehmen sich gegenseitig aus der Gleichung, um am Ende in den Besitz einer Frau zu gelangen. Die Objektifizierung des Weiblichen wird im Drehbuch früh behauptet, bekommt jedoch durch das bisweilen idiotische Gebaren der Buhlenden eine anklagende Färbung. Yvonne De Carlo ("The Munsters") und Mara Corday verbringen ihre Zeit überwiegend in eine Ecke gedrängt, abwartend, ob sich die Männer, die um sie kämpfen, am Ende womöglich gegenseitig selbst zerfleischt haben; der scheinbar einzige Ausweg aus einem zementierten Weg in die Hölle auf Erden.

Diesbezüglich darf man von einem der konsequenteren Anti-Western seiner Zeit sprechen, besteht die Besetzung doch beinahe vollständig aus Tätern und Opfern, beides in diesem Fall keine Rollen, in die man als Zuschauer schlüpfen möchte. Es ist nichts Begehrenswertes in dieser Welt zu entdecken; nichts, das es lohnen würde, sich ihr anzuschließen. Zum Teil mag dieser Eindruck allerdings auch von der handwerklichen Komponente herrühren. Wie viele B-Western mit beschränkten Mitteln verwendet auch dieser den Wilden Westen praktisch nur als Kulisse für ein minimalistisches Theaterstück, dessen Bühnenperformance in diesem Fall nicht einmal einer besonderen Choreografie bedarf. Ein paar Kostüme und Felsvorhänge, vor denen sich Statisten, Neben- und Hauptdarsteller prügeln können - das wirkt bisweilen wie das Produkt einer Massenproduktion, zumal weder Kamera noch Score besonders Hervorhebenswertes leisten. Selbst das Skript weiß abgesehen von dem Indianer-Joker nicht viele Wendungen aus dem Ärmel zu zaubern.

Sehenswert ist "Die Meute lauert überall" hauptsächlich wegen seiner mutigen Anklage gegen eine von Männern dominierte Weltordnung, weniger wegen seiner filmischen Qualitäten, obwohl man argumentieren könnte, dass das Fehlen des einen das Gelingen des anderen fördert.
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Legion – Season 1
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Während Marvel den Cosplay-Kitsch rund um Heldenposen und stylishe Superhelden-Berufskleidung in seinen großen Kinoblockbustern und den überwiegend seichten Fernsehserien fürs Heimkino weiterhin salonfähig hält, betreibt es in seinen unscheinbareren Produktionen tastend schon mal Vorsorge für die Zeit nach dem großen Knall... falls strahlende Weltenretter in bunten Effektspektakeln sich irgendwann nicht mehr an den Mann bringen lassen sollten. Ob man dabei besser beraten ist, selbstironisch das eigene Vermächtnis auf die Schippe zu nehmen („Deadpool“) oder nicht doch lieber mal einen frischen Genre-Ansatz ausprobiert („The New Mutants“), wird gerade live auf dem Markt getestet.

Völlig neben der Spur läuft „Legion“, eine in der ersten Staffel achtteilige TV-Produktion, die ihren Comic-Hintergrund komplett hinter einer experimentierfreudigen Avantgarde-Verkleidung versteckt. Wer die gleichnamige Comicfigur nicht gerade beim Namen kennt, könnte höchstens durch das vorangestellte „Marvel“-Logo und vielleicht noch das „X“ im „O“ aus dem Titelschriftzug darauf kommen, dass die ganze Angelegenheit irgendwas mit den X-Men-Comics zu tun haben könnte. Halsbrecherische Serienväter wie Bryan Fuller („Hannibal“, „American Gods“) taugen als Vergleichsobjekt zeitgenössischer Unterhaltung jedenfalls weit mehr als jede x-beliebige Superhelden-Show, die momentan im Fernsehen oder auf hiesigen Streaming-Portalen läuft. Hätte sich eine konventionelle Fließbandserie der Schizophrenie der Hauptfigur wohl von außen genähert und sie zum Vorwand genommen, um anschließend mit sauberen Spezialeffekten die Chips- und Popcorn-Tüten feierlich poppen zu lassen, wagt „Legion“ den tollkühnen Tauchgang in den Surrealismus. Erzählt aus der Perspektive der Hauptfigur, kann man nichts und niemandem trauen - den Informationen aus den Dialogen nicht und schon gar nicht den Bildern.

Die Ausstattungswut dieser visuell extravaganten Serie reicht zurück bis in die 60er Jahre, was soweit führt, dass man sich kaum traut, den Zeitraum zu bestimmen, in dem sich alles abspielt. Die britische TV-Serie „Nummer 6“ (Produktionsjahr 1967) könnte unter anderem Pate gestanden haben für die Interieurs und überhaupt die allgemeine Verunsicherung, die einen Großteil der Atmosphäre bestimmt; auch die „12 Monkeys“ haben sicherlich Eindruck hinterlassen. Hauptdarsteller Dan Stevens beobachtet mit rollenden Augen und einer pendelnden Grimasse zwischen gellender Angst und blinder Euphorie, wie in seiner psychiatrischen Anstalt Türen verschwinden, sich ganze Grundrisse verändern, Dekoration und Kulisse ausgetauscht werden, ja selbst die Farbfilter neue Schattierungen annehmen. Die Charaktere, mit denen er interagiert, sind in der nächsten Szene nicht mehr unbedingt dieselben, die sich mit ihm gerade noch freundlich unterhalten hatten; fest steht nur, irgendwo in ihm drin existieren ungewöhnliche Kräfte, die das Interesse einer Gruppe mit unbekannten Absichten geweckt hat.

Der ausstrahlende Sender FX ist wahrlich furchtlos. Immerhin wird hier ein Eiswürfel besucht, der als Kulisse für eine Astralebene herhält und zum Schauplatz von Philosophie und Karaoke wird. Menschen bleiben in Wänden stecken. Ein Mann im Tauchanzug verführt dazu, ihm durch ein Portal zu folgen. Die Zeit wird auf einer bestimmten Ebene zur Superzeitlupe verlangsamt und zum Kern zukünftiger Handlungen erklärt. Ein riesiges Paar Augen manifestiert sich per Überblende mitten in einem Wohnzimmer, als stünden wir mitten in einem übernatürlichen Giallo. Der Supervillain, Shadow King, hockt nicht etwa auf seinem Thron und wartet passiv auf die Ankunft des Helden, sondern sucht als deformierte Gestalt mit gelben Augen in fiebrigen Alptraumsequenzen immer wieder aktiv nach seinen Widersachern.

Und dennoch wird in der furiosen Mixtur aus verzerrtem Szenenbild, ausgefallener Garderobe, dissonantem Schnitt und wandlungsreichem Schauspiel das Erzählen nicht vernachlässigt, auch wenn es wie im Stakkato an die Oberfläche dringt. Bewundernswert ist es, dass man nie dem konventionellen Erzählen nachgibt. Viele Serien beginnen ungewöhnlich und enden in bekannten Mustern. Diese bleibt ein formelles Wagnis von Anfang bis Ende.

Ob nun Comic-Hintergrund oder nicht: Völlig egal. „Legion“ hätte auch als einfaches Schizophrenie-Drama mit übernatürlichen Elementen hervorragend funktioniert. So ist es nun eben die vielleicht interessanteste Comic-TV-Adaption überhaupt. Dass eine zweite Staffel schon bestätigt wurde, ist ebenso unerwartet wie erfreulich.
:liquid8:

Strike Back – Season 2
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Treffen sich ein Brite und ein Amerikaner auf dem Schlachtfeld... klingt wie der Auftakt zu einem blöden Witz? Es ist einer. Man kann Cinemax bestimmt keinen Vorwurf machen, dass sie das etwas dröge Originalkonzept mit Comic Reliefs, fetten Explosionen und reichlich Nuditäten aufpeppen wollten, nur wirkt "Project Dawn" jetzt wie eine nicht ausdefinierte Evolutionsstufe zwischen der ersten Staffel (die zumindest noch so etwas wie ein Drehbuch hatte) und dem hauseigenen "Banshee", das trotz identischer Zutaten weitaus unterhaltsamer, weil spannender geriet. Richard Armitage schaut noch kurz für einen Cameo vorbei, dann wird der komplette Cast einmal ausgetauscht und jede Hoffnung auf charmante Paarungen der Art Armitage / Bremner sind verloren. Mit Sullivan Stapleton und Philip Winchester hat man sich kaum einen Gefallen getan... Erstgenannter spielt einen amerikanischen Affenmenschen mit Zugang zu allerhand Schießeisen, der andere versucht sein eigenes Proletentum mit britischem Akzent und bitterem Ernst zu überspielen. Wie eine Doppel-007 aus der Zeit des Homo Neanderthalensis besuchen sie bei strahlendem Sonnenschein allerhand exotischer Orte (meist in unbestimmten Ostblockgebieten) und lassen alles explodieren, was sich auch nur andeutungsweise der Explosionsgefahr verdächtig macht. Menschen werden gefoltert und gerettet, Tyrannen zur Strecke gebracht und das Weltbild bekommt seine Ordnung durch Chaos zurück, verursacht durch ungebremste Egozentriker, die den Mittelpunkt der Welt in ihren eigenen Taten ausmachen.

Auf dem Papier klingt das vielleicht nach Heavy Metal, doch "Project Dawn" langweilt mit einem völlig uninteressanten Handlungsbogen, der einerseits die Szenarien wechselt wie die tägliche Unterhose, andererseits eine übergreifende Erzählung zu etablieren versucht. Am Ende ist beides für die Tonne und man konsumiert nur noch für die kurzen Schauwerte, die alle paar Minuten mal aufblitzen. In der Zwischenzeit kann man den Einkaufszettel für den nächsten Tag schreiben oder Hemden bügeln. Man verpasst bloß Nichtigkeiten.

Zugutehalten kann man Cinemax, dass Serien wie diese heute kaum noch gemacht werden. Für "Banshee" reicht das zum Alleinstellungsmerkmal. In reaktionären Luftblasen wie "Strike Back" meint man aber den Grund gefunden zu haben, weshalb sich die Serienlandschaft längst von den 80ern und 90ern emanzipiert hat.
:liquid4:

Weitere Sichtungen:
Plan B – Scheiß auf Plan A
Bad Asses / Bad Asses on the Bayou
Accident Man

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Beitrag von StS » 05.08.2018, 14:04

Jip, "Legion" ist dufte... "Strike Back" bei mir aber so etwas wie ein "Guilty Pleasure" :wink:

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Beitrag von Vince » 05.08.2018, 14:25

Ich weiß auch nicht... "Banshee" mag ich ja aus den gleichen Gründen, aber irgendwie konnte ich mit der zweiten Staffel "Strike Back" nix anfangen.

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Beitrag von gelini71 » 05.08.2018, 15:30

Was ist nur aus dem Actionfilmforum geworden ? :lol:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Beitrag von SFI » 06.08.2018, 04:06

Vielmehr könnte man sich fragen was aus dem Actionfilm wurde. :lol:
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„Fate: Protects fools, little children and ships named Enterprise.“

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Beitrag von gelini71 » 06.08.2018, 12:12

in den 80igern und 90igern hättet ihr diese Serie abgöttisch geliebt :wink:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Beitrag von SFI » 06.08.2018, 13:52

Aber wohl nur als VHS Cut Version erhältlich gewesen. :lol:
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„Fate: Protects fools, little children and ships named Enterprise.“

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Beitrag von Vince » 06.08.2018, 13:53

In den 80ern hab ich auch Knight Rider und A-Team geliebt. Die sind inzwischen ungenießbar!

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Beitrag von freeman » 06.08.2018, 17:05

Trotzdem waren sie in den 80ern geil. So wie Strike Back ab Staffel zwei heute geil ist. *Widersprüche werden nicht mal zur Kenntnis genommen* ;-)

In diesem Sinne:
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Beitrag von Vince » 15.09.2018, 03:41

Happy Death Day
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Mit Zeitschleifen, Wiederholungen und Déjà-Vus muss sich der Analyst des Genres „Slasher“ schon deswegen auseinandersetzen, weil seine Vertreter ja genau das immer wieder abliefern. Die Opfer werden gehenkt, geschlitzt, gehängt, gesprengt, erschossen, ersäuft, überfahren, versengt... egal wie, am Ende steht fast immer ein (meist degenerierter) Typ mit der Maske da und lacht sich ins Fäustchen. Um auf diese Regel hinzuweisen, kommt das berüchtigte Trial & Error von "Groundhog Day" eben gerade recht: Es geht um die Variation des Wiederkehrenden bei immer gleichem Resultat.

Vielleicht liegt der Zusammenhang aber auch ein wenig zu nahe. Nach all den Meta-Slashern, die seit "Scream" die Wahrnehmung des Publikums für die Regeln stilechten Gemetzels geschärft haben, erhofft man sich von einem Film mit einer so spielerischen Prämisse vor allem originelle Drehbuchkniffe und Stalker-Varianten, die mit Trick 17 um die Ecke denken und dabei möglichst eine echte Expertise in Sachen Jason & Michael unter Beweis stellen. Doch der vorgezeichnete Weg der zickigen Hauptfigur Tree (Jessica Rothe) ist eine verhältnismäßig gerade Linie. Harold Ramis' Romantikkomödie von 1993 wird nicht nur als leichte Inspiration aufgegriffen, sondern regelrecht zum stützenden Krückstock umfunktioniert, das Prinzip Liebesfilm 1:1 auf den Horrorfilm angewandt.

Wir wachen also in der chaotischen Studentenbude eines One-Night-Stands auf und werden zunächst im Murmeltier-Stil mit allerlei Pavlov-Reflexen überschüttet. Ein Handy-Wecker mit grauenvollem Klingelton, ein Typ mit einem blöden Spruch (der nach 10 Wiederholungen nicht gerade besser wird), Rasensprenger, die wie auf Kommando zu rotieren beginnen. Das kommt einem schnell bekannt vor, die gewünschte Alternation der Mechanismen eines Zeitschleifenfilms bleibt aber leider aus. Rothe, bei der anfangs noch alles nach einer mäßig talentierten Schauspielerin mit nichtssagender Tussi-Mimik aussieht, beweist mit der Zeit immerhin ein selbstironisches Talent, das zum Teil darüber hinwegsehen lässt, dass sie schlenkerfreie Pfade in den sicheren Tod mit Wiedergeburt durchschreiten muss. Doch so gut ist sie auch wieder nicht, dass sie vergessen ließe, wie viel Potenzial in der möglichen Kreuzung von Handlungsvarianten einfach nicht genutzt wird.

Die Twists in der Auflösung entsprechen am Ende in etwa dem Repertoire eines soliden Genre-Vertreters und genügen damit nicht den Ansprüchen an einen Meta-Slasher, der immerhin Zugang zu den Regeln von außen genießt und sie theoretisch nach Belieben manipulieren könnte. Selbiges gibt er aber nur vor. Das ist milde enttäuschend, gerade nach den Vorschusslorbeeren.
:liquid5:

Geostorm
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Der Film zur Klimawandel-Debatte. Man nehme:

einen tatkräftigen Helden, der gleich am Anfang wider die Justiz, aber pro Menschheit agiert und sich damit ins Abseits manövriert (und in unsere Herzen)
ein Töchterlein, damit sich der Überlebenskampf auch lohnt
Michael-Bay-Sonnenuntergangsromantik mit wehenden Gräsern und Blutorangenhimmel, weil die Welt doch zu schön ist, um sie zu verlieren
ein Multikulti-Team der Sorte "Armageddon", damit sich das Ganze weltweit möglichst gut verkauft (unter der Leitung jedoch von den Weltmächten USA und China... sind ja folgerichtig auch die größten Filmmärkte, und, naja... so viel Stolz muss sein)
zünftige Weltraum-Action mit Splitterteilen vor schwarzem Vakuum, weil das so schön Hi-Tech aussieht und an „Gravity“ erinnert
Wetterphänomene, soweit die Vorstellungskraft der Autoren und Effektleute reicht. Zieh dich warm an, Emmerich!

Man bekommt:

>>
Bigger-Budget-Rührsuppe auf dem Trash-Pegel von "The Core".

Ehrlich, man kann vielleicht sogar seinen Spaß haben mit diesem SciFi-Katastrophenfilm, der mit einem Auge auf zeitgenössische Polit-Debatten schielt und mit dem anderen auf ungezügelte Unterhaltung. Die aus dieser Anspruchsschere entstehende Scheinheiligkeit sollte man für den reuelosen Genuss aber ausklammern können. Und es ist schwer, den bitteren Ernst zu akzeptieren, mit dem Gerard Butler am Wetter herumbastelt, um ein Ungleichgewicht auszumerzen, das da unten auf der Erdkugel immerhin so coole (oder hotte, je nach Phänomen) Effektspektakel erzeugt. Natürlich möchten wir darüber staunen, wie ein Dorf in Afghanistan einfriert, obwohl ein Meter weiter entfernt knapp 50 Grad herrschen, wir wollen dicke Flutwellen durch Abu Dhabi pflügen sehen, Tornados wie gnadenlose Furien in Aktion erleben. Nach Barcelona fliegt man gerne in den Sommerurlaub... sofern man als Grillwürstchen auf dem Asphalt enden will. Und natürlich haben wir uns alle nach einer Rückkehr von "Godzilla" gesehnt. Ach, Moment, das sind ja nur explodierende Straßen und einstürzende Hochhäuser zwischen Feuersäulen. Also quasi "Godzilla" in unsichtbar. Ob Gareth Edwards womöglich Second-Unit-Director im Tokyo-Abschnitt mit Daniel Wu war?

Überhaupt ist der Umgang mit Länderklischees bemerkenswert offensiv, nicht nur was die Japaner und ihren Gojira-Komplex angeht. So beschwert sich der Brite über die Cowboy-Attitüde Butlers, ordnet sich ihm aber im Endeffekt aber wie jede der Nationen unter, die mit ihren kleinen Flaggen jeweils ein Stück Nationalstolz am Arm tragen, der als kleines Quadrat gerade eben noch geduldet wird. Erstaunlich, dass sich das schwarz-rot-goldene Quadrat auf dem Overall von Alexandra Maria Lara sogar zum Second Lead aufplustern darf. Aus amerikanischer Perspektive muss diese Entscheidung wohl irgendwas mit der Assoziation Merkel zu tun haben.

Die Schaulust an Wetter-Abnormitäten verurteilt "Geostorm" dabei nicht etwa, sondern reicht dem Publikum auch noch das Popcorn. Liefert Spezialeffekte nicht als Warnung, sondern als Schmankerl. Was ja in Ordnung wäre, würde man nicht zeitgleich mit dem grünen Daumen wedeln. Und wenn die Effekte dann wenigstens noch aus einem Guss wären... wer auch immer für das Konzeptdesign verantwortlich war, orderte seinerzeit als Kind im altmodischen Süßwarenladen vermutlich auch stets mit der Bemerkung "Egal, Hauptsache bunt gemischt".

Man muss da schon von einem Kandidaten für den gröbsten Unfug des Jahres sprechen. Positiv zu vermerken ist, dass der Unterhaltungswert eigentlich nur in den theoretischen, nicht-aktionsbezogenen Dialogen in den Keller fällt. Und von denen gibt es nicht viele, weil im Grunde alle paar Minuten irgendwo etwas schmilzt, einfriert, aufgewirbelt, überflutet oder in die Luft gesprengt wird. Noch selten hat ein Film allerdings seinen eigenen Stoff derart falsch eingeschätzt.
:liquid4:

Professor Marston and the Wonder Women
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Dass unter all den gescheiterten DC-Comicverfilmungen ausgerechnet "Wonder Woman" viel beachtet wurde, gereicht der Filmbiografie über ihren Erfinder natürlich zum Vorteil. Man kann es der Außenpräsentation inklusive Poster und Filmtitel, die ungeübten Beobachtern ein typisches Sequel versprechen (jetzt mit noch mehr Wonder Women!), kaum verdenken, dass sie sich an den Kinoerfolg anheften. "Professor Marston and the Wonder Women" wird von vielen Zuschauern nun wohl konsumiert wie eine Dokumentation zum Film mit Gal Gadot im Bonusmaterial der DVD.

Doch auch wenn die erste Einstellung einen Böllerwagen voller Comics zeigt... die Handlung des sehr wohl filmischen und in keiner Weise dokumentarischen Biopics geht weit über die weibliche Superheldin aus dem Titel hinaus, ja sogar weit über das Leben ihres Schöpfers William Marston. Es zeigt allerdings, welche gesellschaftlichen Kräfte hinter dem simplen Tuschestrich eines vermeintlich so banalen Comicheftchens tatsächlich walten. Seinen Schwerpunkt legt das Drehbuch darauf, Verbindungen zu ziehen zwischen gesellschaftlichen Umständen, den sich daraus ergebenden sozialen Fesseln, der Kollision dieser Fesseln mit individuellen Bedürfnissen, bevor am Ende der Kette der unbedingte Willen zur Emanzipation entsteht, der sich mit Synergie-Effekten nicht nur in Wissenschaft (Erfindung des Lügendetektors) und Kunst (Erfindung einer Comicfigur) entlädt, sondern nicht zuletzt auch im Ausleben geheimster Fantasien.

Ein Anspruch auf historische Korrektheit besteht schon deswegen nicht, weil Marston und seine Gespielinnen, der Konstellation nach ein infernales Trio im Grunde wie aus der Villain-Abteilung eines Comics, erfrischenderweise nur Nebendarsteller in ihrer eigenen Geschichte sind. Im Fokus steht das engstirnige Amerika der 40er Jahre, einer Welt aus kleinen Häusern mit Gärten auf symmetrischen Grundstücken, bewohnt von klassischen Familien mit Vater, Mutter, Kind. Entsprechend leistet man es sich, die ungewöhnliche Beziehung zwischen Marston, seiner Frau und seiner Assistentin zu einem Akt sexueller Befreiung auszugestalten, der sich gegen alle Widerstände durchsetzt. Regisseurin Angela Robinson treibt Luke Evans, Rebecca Hall und Bella Heathcote dazu an, dieser Interpretation strikt zu folgen, auch wenn historische Berichte mitunter andere Zustände überliefern, da seitens Marston viel Druck und Zwang eingeflossen sein soll.

Dies zu ignorieren, ist dann legitim, wenn eine Figur nicht Zentrum der Betrachtung ist, sondern lediglich ein Instrument, um auf andere Dinge hinzuweisen. Und gerade das beherrscht "Professor Marston and the Wonder Women" brillant. Denn niemand, der diesen Film gesehen hat, wird anschließend im Medium Comic nur noch reine Bespaßung für Kinder und Erwachsene sehen.
:liquid7:

U.H.F. - Sender mit beschränkter Hoffnung
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Von der Zeit wurde diese zum Kinofilm aufgeblasene Quasi-Werkschau des Weird Al Yankovich nicht etwa deswegen zum Kult erklärt, weil sie besonders geistreich gewesen wäre in dem Versuch, die amerikanische Film- und Fernsehkultur zu parodieren. Im Gegenteil, der nach Monty-Python-Manier aus Sketchen zusammengefügte Flickenteppich von Film ist unsauber vernäht, und die Versuche, die Pointen zum Platzen zu bringen, gleichen dem Bild eines Mannes, der mit rotem Kopf erfolglos versucht, das Volumen eines Luftballons auf die Probe zu stellen. Schließlich muss sich das Publikum mit vielen bunten Luftblasen zufrieden geben, denen es nie vergönnt sein wird, in Fetzen gesprengt zu werden. Ob da nun der Abenteurer mit der Peitsche vor einer riesigen Felskugel um den Erdball flüchtet oder Sylvester Stallones Gipsabdruck für die aus Plastik nachgebildete Muskelmasse eines wild um sich feuernden Idioten herhalten muss... am Ende ist da immer nur ein seltsamer Typ mit Fliegerbrille, der ebenso in diese Zeit gehört wie die Popkultur, derer er sich annimmt.

"U.H.F." ist von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht besonders witzig, milde ausgedrückt. Und doch ist das Vermächtnis eines Akkordeonspielers für das Kino ebenso zur Existenz berechtigt wie beispielsweise ein "8 Mile" mit Eminem. Yankovich ist kein Schauspieler; in den meisten Szenen schaut er so ausdruckslos aus der Wäsche wie eine grasende Kuh auf der Weide und hat dadurch entscheidenden Anteil daran, dass viele Gags nicht zünden wollen. Doch strahlt er damit eine gewisse Authentizität aus, die sich in letzter Instanz dann wohl durchgesetzt hat, als sich die Filmgeschichte dafür entscheiden musste, ob sie dieses Machwerk um eine Underdog-Radiostation für immer verscharren oder doch in der Ahnenhalle von Hollywoods Obskuritäten ausstellen wollte.

Umringt von Darstellern wie Michael Richards, die ähnlich funktionieren wie Weird Al selbst, wird ein Schuh draus. Das völlig naive Finale nimmt im Grunde bereits vorweg, wie ein Adam Sandler in den 90er Jahren viele seiner erfolgreichen Komödien ausklingen lassen würde: Während die Underdogs den Fieslingen voller Genugtuung die Hosen runterziehen, wird das Publikum vor dem Fernseher sozusagen live in die Situation gezogen, vertreten durch Statisten, die den Helden wie in einer Arena umringen und ihm zujubeln, während er die düsteren Pläne des Widersachers mit den Winkelzügen eines ausgebufften Anwalts, mit seinen eigenen Waffen also, genüsslich zerschlägt.
Das Herz der Masse zu gewinnen, kann manchmal so einfach sein.
:liquid6:

Pit Stop
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In Jack Hills Racing-Drama "Pit Stop" bestimmt die Flüchtigkeit der Spotlights das Muster. Anfangs sind es die Scheinwerfer der Straßenlaternen oder beleuchtete Geschäfte, in denen die erfolgshungrigen Rennfahrer für Sekundenbruchteile in Szene gesetzt werden, bevor sie wieder im Dunkel der Nacht verschwinden; schließlich fängt sie das Flutlicht in der Figure-8-Arena ein. Dort kreuzen wettstreitende Wagen fortwährend ihre Spur und provozieren mit verrückten Manövern Unfälle. Das scherenschnittartig gestaltete und eigentlich nicht mehr der Produktionszeit entsprechende Schwarzweiß wird bei Stunts ebenso wie bei Dialogszenen eingesetzt wie das Chiaroscuro alter B-Movie-Noir-Thriller. Es lässt viele Winkel im Dunkeln, nicht zuletzt jene Bestandteile in den Gesichtern der Fahrer, die ihre wahren Emotionen und Beweggründe verraten würden, wäre die Optik mit High-Key-Elementen versehen. Stattdessen wird die Fratze des Siegeswillens nach außen gekehrt, wofür sich das kantige, von breiten Zahnreihen besetzte Gesicht von Nebendarsteller Sid Haig für Hill erneut als ideales Transportmedium erweist.

Das Grieselig-Schmutzige der Bilder geht einher mit einem tragischen Ablauf des Plots. Dieser lässt die Anspannung vor dem Wettbewerb regelmäßig in ausgelassenen Parties danach entweichen; der Soundtrack spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle und weist den Film deutlich als ein Relikt der 60er Jahre aus. Und während der ewige Kreislauf von Sieg und Niederlage, von Angriff und Verteidigung seine Kreise zieht, wird hinten in den Werkstätten sowie beim Pillow Talk in den Betten ein Drama vorbereitet, das mit harten Plotwendungen für eine überraschende emotionale Tiefe im Abgang sorgt.

Zugleich ist "Pit Stop" aber auch eine frühe Form von Actionfilm mit spektakulären Renneinlagen, die eine Nutzung von Zeitraffern nicht einmal nötig gehabt hätten, um sich als Hingucker zu qualifizieren. Noch dazu überzeugt die charismatische Besetzung, obwohl Richard Davalos in der Hauptrolle eine vergleichsweise glatte Ausstrahlung hat. Vorwerfen kann man Hill vielleicht, dass er die relativ dramatischen Inhalte insgesamt doch eher dröge beziehungsweise unterkühlt in Szene setzt; andererseits unterstreicht das die besonderen Eigenarten eines Films, der völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint.
:liquid7:

Die Eiserne Rose
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Man könnte sagen, dies ist Jean Rollins Geisterfilm. Schon die malerischen Impressionen des kleinen Küstendorfs geben zum Vorspann die Stimmung an, und selbst als mit scharfem Kontrast der Szenenwechsel mitten auf eine Hochzeitsfeier erfolgt, geht es darum, die auserwählten Hauptfiguren, einen Mann und eine Frau, vom Puls der Gemeinde zu isolieren. Die Kommunikation zwischen ihnen erfolgt durch die tanzende und feiernde Menge hindurch stillschweigend über Blicke, verstärkt durch die scharfe Semiotik der Schnittmontage; für die ahnungslose Hochzeitsgesellschaft wird der Gedankenaustausch in einem obskuren Gedicht verschlüsselt, das der Mann zur Irritation der meisten Anwesenden zum Besten gibt.

Schnitt zurück ins Freie. Es folgen symbolisch aufgeladene Schlüsselbilder wie der Kopf eines Zuges, der aus dichtem Nebel ragt und zur Bühne für die Frau wird, die darauf für mögliche Aushangfotos posiert. Später wird auch der Clown wieder einen bizarren Kurzauftritt haben, der Rollins Werke immer mal wieder heimsuchen würde. Die Dialoge bleiben sparsam und in ihrer Semantik vage. Sie spiegeln damit die Handlung, die sich in einer großen Ellipse erschöpft. Man kann nicht umhin, schon in der reinen Inhaltsbeschreibung ein Bildnis zu entdecken: Ein Paar, das in der Nacht auf einem labyrinthischen Friedhof eingesperrt wird und nicht mehr den Weg zum Ausgang findet.

Erwartungsgemäß inszeniert Rollin die gotischen Relikte aus Stein und Eisen, überwuchert mit wild wachsendem Grün, von Meisterhand; schließlich befindet er sich voll und ganz in seinem Element, wenn er derartige Kulissen zur Verfügung hat. Obwohl er diesmal - abgesehen von einer Szene an seinem ebenfalls gerne besuchten Strand - fast völlig auf Nacktszenen verzichtet, spielt die Ästhetik wieder eine große Rolle, wo die Handlung jeglichen Kommentar verweigert.

Seine Spannung bezieht das surrealistisch angehauchte Umherirren zwischen den Toten hauptsächlich aus dem sich verändernden Verhältnis zwischen Françoise Pascal und Hugues Quester. Die Dominanzverhältnisse verschieben sich mehrfach. Die Stimmung mäandert ständig zwischen Panik und innerer Ruhe. Die traumwandlerische, diffuse Art der Inszenierung trügt, denn tatsächlich arrangiert Rollin hier das uralte Spiel der Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau. Er stellt Fragen bezüglich Führungsqualität, Vertrauen und dem Umgang mit Macht, nach selbstzerstörerischen Tendenzen und der eigentümlichen Dynamik, die sich zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts ergeben, wobei er den Friedhof unmissverständlich, aber doch mit aller gebührenden Zurückhaltung als zentrales Symbol für den Kreislauf des Lebens versteht.

Klammert man die offensive Symbolik, angeführt durch die "Eiserne Rose" aus dem Titel, völlig aus, so mag man einen ereignislosen Erfahrungsbericht über eine Nacht auf dem Friedhof vorfinden, ganz ohne Monster und Vampire, geschmückt mit nur wenigen unheimlichen Gestalten anderer Art. Entschließt man sich aber dazu, die Subtexte anzunehmen und den ein oder anderen Holzhammer zu verzeihen, so wird aus dem Camping in der Gruft eine durchaus sinnliche Erfahrung.
:liquid8:

Der Seidene Faden
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Gäbe es Oscar Bait, die es primär auf den Kostüm-Oscar abgesehen hat, sie müsste wohl aussehen wie "Der seidene Faden". Das im London der 50er Jahre angesiedelte Beziehungsdrama von Paul T. Anderson verwendet immerhin Nadel und Faden, um die komplizierte Zusammenkunft zwischen einem Schneider und seiner Frau aufzuarbeiten. Die Farbentsättigung täuscht nicht darüber hinweg, dass der "Phantom Thread" eine gellende Metapher für das unsichtbare Band ist, das zwei völlig ungleiche, sich magnetisch gegenseitig abstoßende Charaktere wider aller Naturgesetze zusammenhält.

Dass sich ein P. T. Anderson mit seiner Art, Themen aufzubereiten, dem direkten Verständnis des Publikums entzieht, ist ja nun nichts Neues. Zugänglicher als die verkopft gedachten Vorgängerwerke "Inherent Vice" und "The Master" ist sein neuester Streich aber dennoch - trotz der irritierend gezeichneten Machtverhältnisse, die jegliche Dynamik in der Zusammenkunft der Hauptfiguren bestimmen. Mag es dem in RomCom-Kastenformen denkenden Normalbürger auch schwer in den Kopf gehen, die so umständlich wirkende Abfolge von Distanzierungs- und Annäherungsversuchen ist mindestens so authentisch wie sie irrational ist. Sollte der Film den Teilauftrag haben, die Realität in der ein oder anderen Weise abzubilden, so sind derart ungewöhnliche Konstrukte gegenüber dem Gros romantischer Dramen und Komödien noch vollkommen unterrepräsentiert. Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps sind faszinierend in ihren Rollen, letztere dabei fast schon so ein radikaler Gegenentwurf zur klassischen Kostümfilm-Schönheit, dass es beinahe wieder zu viel ist.

"Der seidene Faden" ist ein hässlicher Film, voller Ängste und Depressionen, voller Demütigung und unerfüllter Bedürfnisse, gefangen in ausgewrungenen, kargen Mise-en-scènes; dann aber auch wieder voller Wunder und kleiner Besonderheiten. Wie die Einzigartigkeit, die man in einer Situation spürt, die eigentlich durch soziale Fesseln zustande kam. Die auf eine ganz und gar prunklose Weise betörenden Aspekte Kostüm und Ausstattung sind bloß ein hübscher Nebeneffekt dessen.
:liquid7:

Paddington 2
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Entgegen der gemütlichen Art der pelzigen Hauptfigur, dafür aber auf einer Linie mit klassischen Sequel-Rezepturen, ist "Paddington 2" eine äußerst turbulente Angelegenheit. Selbst kleinste Tagträumereien verwandeln sich in aufregende Achterbahnfahrten, kreativ zum Leben erweckt von den Animatoren, die weit mehr zu tun haben als einfach nur einen Bären zu animieren. Die aufgeschlagene Seite eines 3D-Faltbuchs verwandelt sich in ein begehbares Panorama voller Pappfiguren, eine Verfolgungsjagd entlang der Themse nimmt die verrücktesten Irrwege und allerorten trifft man auf skurrile Comic-Charaktere. Darunter Hugh Grant, der sich im Grinsekatze-Modus ganz böse selbst aufs Korn nimmt, und Brendan Gleeson, der als Gefängniskoch eben gerade das darstellt, was man landsläufig einen "brummigen Bären" nennt - kein Wunder, dass er sich nach Anlaufschwierigkeiten so gut mit Paddington versteht.

Konsequent ist es da nur, dass der Fokus von Paddingtons Familie ein wenig abrückt. Spürbar hat sich der Teddy in der britischen Hauptstadt inzwischen eingegroovt, da braucht es nicht mehr zwangsläufig das behütete Heim als Rückzugsort für alle Fälle. Selbst Sally Hawkins greift erst spät aktiv in den Handlungsablauf ein. Alles in allem ist die Story der Fortsetzung eine Angelegenheit zwischen Paddington und seinem manischen Widersacher, der das von Nicole Kidman im ersten Teil zum Leben erweckte Disney-Flair weiterpflegt und noch eine Spur Tim Burton drauflegt.

Das flotte Tempo nagt zwar spürbar an der Gemütlichkeit, die der Vorgänger zwischen den Schauwerten noch zu bieten wusste, Charme hat die Nummer aber durchaus immer noch. Insbesondere in den Knast-Szenen werden Kinder auf amüsante Art an alte Filmklischees herangeführt, wenn beispielsweise rote Socken und schwarzweiß geringelte Knastuniformen eine unliebsame Begegnung in der Waschmaschine machen. Für das erwachsene Publikum hätten es gerne noch ein, zwei exklusive Gags mehr sein dürfen, doch insgesamt gelingt es auch "Paddington 2", herzliche Familienunterhaltung zu liefern, trotz der Zugeständnisse, die aber ja so viele Fortsetzungen machen müssen.
:liquid6:

Insidious - The Last Key
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Überraschend: Der von Ideengeber Leigh Wannell persönlich inszenierte "Insidious 3" fühlte sich bereits wie ein schlichter Ableger für den Videomarkt an und ließ nichts Gutes für die Zukunft der Franchise erahnen, doch Newcomer Adam Robitel strebt mit "Insidious: The Last Key" zumindest audiovisuell wieder den effektvollen Konzepthorror an, mit dem die Franchise (samt "Conjuring" und Ablegern) einst ihren Anfang nahm.

Damit kehrt die Serie unerwartet zu ihren alten Tugenden zurück. Gleichwohl nimmt sie nicht völlig Abstand vom Versatzstück-Prinzip, mit dem die Horror-Elemente wie Module miteinander verknüpft werden: Wieder steht ein neues Monster im Mittelpunkt ("neu" ist dieser Tage allerdings relativ, wenn Javier Botet unter der Maske steckt), wieder ist ein neuer Einzelfall zu lösen unter Leitung eines Mediums, dem es schon seit Jahren widerstrebt, diesen Job zu machen. Die an verdunkelte Theaterkulissen erinnernde Geisterwelt ist längst ein zu wichtiges Markenzeichen, um es einfach auszulassen. Und die "Geisterjäger", bereits im ersten Teil Lieblingszielscheibe der Kritik, tänzeln inzwischen mit der Zuverlässigkeit von Ebbe und Flut durch die Strophen, um dem Publikum nach dem Horror im Refrain etwas Erleichterung zu verschaffen. Denn wer brav die bittere Medizin schluckt, soll sich danach auch über ein leckeres Eis freuen dürfen.

Gar keine Frage, Robitel präsentiert sich hier nicht gerade als Neuerfinder, doch die zur Verfügung stehenden Legosteine setzt er so motiviert zusammen wie ein Videospiel-Nerd sein Level im Editor eines Computerspiels. Man braucht nicht einmal zwangsläufig das Wissen der vorherigen Teile, um zu ahnen, wann und wie die Jump-Scare-Konventionen gebrochen werden. Die Stimme kommt aus dem Schrank, doch ist dort auch die sprechende Kreatur? Der geöffnete Koffer versperrt die Sicht nach hinten, doch wird tatsächlich eine Fratze dahinter warten, wenn der Koffer geschlossen wird? So langsam weiß der Zuschauer, wie der Hase läuft... und trotzdem lässt man sich irgendwie gerne verschaukeln, einfach weil es ein unterhaltsames Rätselspiel sein kann, wann und wo die Fantasie der Autoren das nächste Mal zuschlägt.

Und die Spielfreude, die ist ausgeprägter als im dritten Teil, der schematisch den immer einfallsloseren Fortsetzungen eines handelsüblichen Slasher-Streifens zu ähneln begann. "The Last Key" hat wenigstens wieder den Hauch des Originalen. Dazu bietet er noch ein wenig unverbindlichen Quatsch, der den Überraschungsei-Süchtigen in uns anspricht... obwohl hinter der Schokolade immer nur eine Plastikfigur wartet, möchten wir immer wieder hinter die Schale blicken. Einfach, weil es so schön kribbelt.
:liquid5: ,5

Hagazussa - Der Hexenfluch
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"The VVitch" nicht als Referenz zu nennen, hieße, das Offensichtliche zu leugnen. Von der Thematik über die avantgardistische Bildsprache bis zur bedingungslosen Vermeidung jedweder Genre-Zwangsjacke ist die Sage aus Neuengland mit ihrem Pendant aus den tiefsten österreichischen Bergen eng verwandt - und doch sind völlig eigenständige Werke mit unterschiedlichen Schwerpunkten das Ergebnis. Lukas Feigelfeld gelingt schon alleine deswegen Originäres, weil er sich dabei voll und ganz auf die Eigenarten und Besonderheiten heimischer Folklore bezieht.

In unheimlich langen Einstellungen, die permanent die Geduldsgrenze des Betrachters auf den Prüfstand stellen, wird Mythologisches schleichend in die Psychologie überführt. Leere Blicke ins Dickicht der Wälder erzeugen eine egoperspektivische Wahrnehmung, die den Zuschauer an der Entstehung des Wahnsinns im Kopf der Hauptfigur teilhaben lassen. Man wird unmittelbar Zeuge, wie der Tag mithilfe eines weichen, fast unsichtbaren Zeitraffers dem Abend weicht und die Schatten im Gehölz immer größer werden. Wie sich darin Gestalten bilden, die der isolierten Hauptfigur nach dem Verstand trachten. Ein giftiger Cocktail aus gestörtem Mutterverhältnis (dessen Vererbungslehre starke Gemeinsamkeiten mit "The Eyes Of My Mother" pflegt), Krankheit und Vereinsamung breitet sich in einer Aura der Ereignislosigkeit unbemerkt aus. Begleitet von einem zähflüssigen Drone-Soundtrack leiten Bergpanoramen Szenen-Übergänge ein, wie sie anderswo als Werbung für den Heimaturlaub verwendet werden.

Das sorgt für einen extrem naturalistischen Anstrich, der fast schon in einen Superrealismus mündet, sind Schnee und Baumrinde, aber auch der Schein des Feuers in der Berghütte stellenweise so greifbar, dass man sie vor dem Fernseher riechen und schmecken kann. Doch diese Eindrücke werden nur geschaffen, um sie wieder zu brechen. Mit radikalem Symbolismus beispielsweise, dem auch die Kapitel-Unterteilung mit Überschriften wie "Horn" oder "Feuer" gehorcht. Zudem mit chemischem Surrealismus, der nicht nur seltsam vertraute Stimmen aus dem Wald erklingen lässt und so einem äußerst subtilen Grusel dem gängigen Jump Scare vorzieht, sondern außerdem dafür sorgt, dass man den gezeigten Bildern nicht unmittelbar trauen kann. Erst im Nachgang, wenn man wieder dazu in der Lage ist, die im Pilzrausch wahrgenommenen Phantome zu deuten, offenbaren sich während der Transformation der Hauptfigur Dinge, die kein Blut benötigen, um das Grauen in Gedanken entstehen zu lassen.

Selbst wenn man keine Vetteln mit Hakennase erwartet, die geifernd in ihren Kesseln kleine Kinder kochen, selbst wenn man (etwa durch den Trailer) auf etwas Ambitioniertes eingestellt ist, kann man sich von der kompromisslosen, extrem minimalistischen Regieführung schnell vor den Kopf gestoßen fühlen. Kunst um der Kunst willen? A(rthouse)ffektierte Umdeutung des Heimatfilms? Möglich. Gleichzeitig verbirgt sich hinter "Hagazussa" aber eine stark gespielte, ausdrucksvoll gefilmte Studie der psychologischen Stadien der Isolation.
:liquid7: ,5

Motorrad - The Last Ride
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Selbst wenn sie versuchen, ihrer Natur zu entkommen... Slasher schlachten eben nun mal Dinge aus. Im durchaus ambitionierten "Motorrad" ist es das ikonische Bild des anonymen Motorradfahrers, der sich in der Filmgeschichte stets als silhouettenhafte, bedrohliche Erscheinung am Horizont gefiel. Regisseur Vicente Amorim setzt sie also entsprechend exzessiv in Szene und reitet regelrecht auf den stummen Drohgebärden der Unbekannten herum. Das alte Verschwinden-von-einer-Sekunde-auf-die-nächste-Spiel, das viele Geistererscheinungen - und natürlich Batman! - perfektioniert haben, wird in Dauerschleife wiederholt, möglich gemacht durch Kamerafahrten, die den panischen Kopfbewegungen der Opfer folgen und die Angreifer so für Sekundenbruchteile aus den Augen verlieren. Sind die Erscheinungen in Schwarz dann doch mal im Bild, verschmelzen sie mit den höchsten Erhebungen der brasilianischen Kiesel- und Schiefergebirge. Dabei lassen sie weder Identität noch Motivation erkennen, doch dafür gibt es an ihrem Ziel keinerlei Zweifel: Die Gruppe junger Biker, die sich in ihr Revier verirrt hat, muss sterben.

Hervorhebenswert ist es, dass es nicht etwa ein einzelner Psychopath in Lederkluft auf die Gruppe abgesehen hat, sondern ein ganzes Rudel, das zahlenmäßig in etwa ebenbürtig erscheint. Alleine mit dieser Konstellation offenbart Amorim seine Motivation, den augenscheinlich schichten Aufbau eines gewöhnlichen Slashers mit einem metaphysischen Unterbau zu versehen, kann man den Kampf der einen Gruppe gegen die andere doch als psychologische Spiegelung verstehen, mit der die Figuren quasi gegen sich selbst antreten. Dazu werden allerdings innerhalb der Gruppe nicht ausreichend Charakteranalysen ausgestreut und durch Konflikte gebündelt. Das Interesse des Zuschauers für das Schicksal der Figuren bleibt weitestgehend flach; es fällt schwer, Sympathien oder überhaupt irgendeine Form emotionalen Bezugs zu ihnen aufzubauen, denn wenn sie nicht gerade munter Klischees abarbeiten (was nicht zuletzt auf die hübsche Außenseiterin mit Insider-Kenntnissen zutrifft), handelt es sich bei ihnen einfach um leere Hüllen.

Ob, wann und wie es die einzelnen Mitglieder der Gruppe erwischt, wird daher weniger zur Frage der Sorge als vielmehr danach, wann der Action-Horror-Hybrid wohl endlich wieder einen seiner beiden Genre-Joker aus dem Hut zaubert. Gestorben wird dann immerhin recht abwechslungsreich und vor allem nicht ganz wehrlos, da auf beiden Seiten Verluste zu verzeichnen sind. Die ausgeblichene Optik, die andeutungsweise schon ins Schwarzweiß übergeht, lässt allerdings wenig Freude an potenziellen Farbklecksern wie Blut und Feuer aufkommen. Der hohe Kontrast schärft immerhin den Blick auf die staubig-steinige Umgebung, der den Boden besonders hart und das Wasser besonders klar erscheinen lässt. Er steigert das Mittendrin-Gefühl, hat im Endeffekt aber auch seinen Anteil daran, dass die Geschehnisse unter dem Strich völlig kalt lassen.

Respekt dafür, dass "Motorrad" ohne Frage anders ist als andere seiner Art, aber aus dem angedeutet psychologisierten Ansatz hätte man viel mehr herausholen müssen.
:liquid4:

Vikings - Season 4.1/4.2
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Die Genügsamkeit der ersten Staffel war trügerisch. Sie schlug schon bald in eine unstillbare Gier nach Ausbreitung um, in der Horizontale (thematische Fächerung) ebenso wie in die Vertikale (historischer Zeitstrahl). Nicht nur mauserten sich die einfachen Bauern Ragnar Lodbrok und Lagherta in kürzester Zeit zu Anführern, auch ihr Nachwuchs strebte in Windeseile nach den großen Fußstapfen der Eltern. Der weitgehend auf mündlich überlieferten Sagen basierenden Geschichte der Wikinger, die "Vikings" mit einem Zoom-Out ausbreitet, geht es also nicht einfach nur um eine Beschreibung eines damals herrschenden Status Quo, sondern vor allem um die Dynamik, mit der sich die Grundpfeiler einer Kultur von barbarischen Kriegern und Brandschatzern mit den Jahrzehnten verändert haben - speziell im Kontakt mit höher gebildeten Kulturen aus dem angelsächsischen Raum, aber auch im Hadern mit den eigenen Dämonen.

In der diesmal 20-teiligen, auf zwei Hälften aufgeteilten vierten Staffel wird dieser Fokus auf sprunghafte Entwicklungen nun völlig auf die Spitze getrieben. Wer bereits Probleme hatte, die Umbesetzung des Björn in der zweiten Staffel mit dem bulligen, hochgewachsenen Alexander Ludwig zu akzeptieren, der wird nun endgültig kapitulieren. Während alles um sie herum rasanten Entwicklungen unterliegt, ist einer Kathryn Winnick zum Beispiel nichts von den angeblich verstrichenen Jahrzehnten anzumerken. Sie müsste laut Geschichtsverlauf irgendwo in ihren 50ern sein, doch ihr Äußeres verschweigt mindestens 20 gelebte Jahre. Ähnlich verhält es sich mit Travis Fimmel. Auch wenn man ihm nach den zermürbenden Geschehnissen der letzten Staffeln (insbesondere der bitteren Niederlage vor den Pariser Toren in Staffel 3) großzügige Augenringe verpasst hat, seine blauen Augen strahlen dennoch in jugendlichem Wahnsinn aus ihnen hervor. Der Erstgeborene Björn, inzwischen endgültig zum martialischen Hünen mutiert, ringt im Schnee mit einem Bären und legt seine Mannesprüfung ab. Und so rücken plötzlich weitere Söhne Ragnars in den Fokus, die bis dato kaum eine Rolle spielten. Kurz vor Mitte der Staffel werden die Vier mit einem harten Schnitt plötzlich zu erwachsenen Männern und bestimmen fortan maßgeblich den weiteren Ablauf der Staffel.

Ein hohes Abstraktionsvermögen in Bezug auf einzelne Rollenneubesetzungen wird also ebenso vorausgesetzt wie die Bereitschaft, mit einem einzigen Schnitt auch mal großzügige Perioden von einigen Jahren zu überspringen. Dramaturgisch setzt das die Serie erstmals vor eklatante Probleme, denn mit der ausgeweiteten Episodenanzahl geht auch eine Ausweitung von Irrwegen einher. Die Liebe der Kinder zu ihren Eltern mag in gewisser Weise das Gerüst beisammen halten, doch drumherum müssen Freundschaftskrisen überwunden (Ragnar und Floki), Blutsverrat beglichen (Ragnar und Rollo), Mythologie gepflegt und zwischendurch auch mal das ein oder andere Volk beraubt werden. Nebenher wächst das Dorf der Wikinger zu einer beachtlichen Kleinstadt an, die allerhand neue Figuren eingliedert. Sehr wichtige Figuren sterben, andere werden nie wieder die sein, die sie waren. Das ist ein wenig viel für eine einzelne Staffel. Es gibt zwar Momente, in denen plötzlich alles organisch zusammenzulaufen scheint, doch im Abgang nimmt das vierte Jahr an der Seite der Wikinger eine konfuse, fast planlose Form an, die führerlos durch die wilde See treibt. Bleibt zu hoffen, dass die neue Generation um Björn oder gar Ivar, den Knochenlosen das Heft in die Hand zu nehmen fähig ist.
:liquid7:

True Blood - Season 7
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Ich bin ja keiner, der Sachen gerne unvollendet lässt, aber "True Blood" hat mich nach der üblen sechsten Staffel wirklich auf den Prüfstand gestellt. Drei, vier Sommer später habe ich mich nun aber endlich überwunden und die Sache abgeschlossen. Und hey, es hat gar nicht so weh getan. Die lange Pause war vielleicht nötig, so dass ich den Nonsens um Hep-V und den "wahren Tod" mit dem gebührenden Unernst über mich ergehen lassen konnte. Wer früher aussteigen will, sollte einfach nach Staffel 3 oder 4 den Schlussstrich ziehen.
:liquid4:

Californication - Season 7
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Misst man die Anarchie einer Serie über die Liebe und das Leben daran, wie viele Töpfchen und Deckelchen am Ende der letzten Staffel trotz aller Komplikationen zueinander gefunden haben, so entpuppt sich "Californication" in der vom Abendrot geschwängerten Finalfoge als romantische Hausfrauenkost. Der Wolfspelz des rebellischen Single-Mannes mit der herben Note von Zedernholz wurde aber zugegebenermaßen über all die Jahre mit Stil getragen. Duchovnys halbbiografische Darstellung des sexbesessenen Hank Moody schwankte stets zuverlässig in einer fatalistischen Mischung aus Zynismus, Lakonie und leichtfertiger Take-It-Easy-Attitüde, die mit dem kalifornischen Setting aus Palmen, Filmproduktionsstudios und Sportwagen das ideale Biotop vorfand.

Die letzte Staffel zelebriert das zunächst wie eine niemals endende Party und macht das ohnehin bereits komplizierte Beziehungsgeflecht durch die Einführung von Heather Graham und Oliver Cooper noch etwas komplizierter, beginnt aber bald damit, die Köder für eine sanfte Zusammenführung aller Handlungsstränge auszulegen. Zweifel daran, ob das alles ewig so weitergehen kann, werden an die Oberfläche getrieben; nicht nur beim Hauptdarsteller, sondern beim gesamten Main Cast. Glücklicherweise sägt das nicht an der Glaubwürdigkeit der Figuren, sondern erweist sich als eine durchaus nachvollziehbare Entwicklung.

Bisweilen übertreiben es die Autoren immer noch mit den sich überschlagenden Ereignissen und entlassen dabei insbesondere "Fleischmützchen" und Moody-Sohn Levon nur selten mit Würde aus einer Szene. Und dennoch gelingt der Schlenker in die Vernunft. Dass selbst eine ausdefinierte Männerserie wie diese mit großen Gefühlen endet, stärkt die Hypothese, dass die Bedürfnisse von Mann und Frau sich vielleicht gar nicht so sehr unterscheiden, eben gerade so wie es die ursprüngliche These von "Californication" aussagt. Auch wenn das letzte Bild, Hanks verlassener Wagen mit offener Tür vor einem Sonnenuntergang, noch einmal tiefste Männerromantik bedient.
:liquid7:


Weitere Sichtungen:
Meg
Criminal Squad
Kickboxer - Die Abrechnung
Geheimagent Barrett greift ein
The Last Man On Earth
Alles Geld der Welt
Pacific Rim: Uprising
Killer Beach

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Beitrag von Sir Jay » 23.10.2018, 08:35

den uhf empfand ich sehr mau.

bin mit der erwartungshaltung herangegangen eine Spaßgranate wie Hot Shots 2 serviert zu bekommen - ich wurde stark enttäuscht...

die dvd zum Film habe ich nem hamburger kino-magazin gespendet :lol:

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Beitrag von Vince » 23.10.2018, 16:02

Ja, schrieb ich ja auch, dass ich den Humor als sehr verkrampft empfunden habe. Es hat nicht diesen Hilariosity-Faktor, den man bei dieser Art Film eigentlich erwartet (und durch "Hot Shots" bzw. die "Nackte Kanone" gewohnt ist). Aber irgendwie hatte er trotzdem was, so als Dokument der späten 80er.

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Beitrag von gelini71 » 23.10.2018, 16:31

Ich war damals auch von dem enttäuscht (so sehr das ich bis heute nicht den Drang habe den nochmal zu schauen :lol:), vor allen weil ja die Musikparodien von Weird Al Yankovich wirklich lustig waren.
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Beitrag von Vince » 01.11.2018, 14:27

Killing Of A Sacred Deer
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Der nächste große Schritt Richtung internationaler Anerkennung ist vollzogen. Für sein US-Debüt verbiegt sich Yorgos Lanthimos (noch) nicht, es handelt sich erneut um eine rätselhafte Schlüsselbox voller chiffrierter Dialoge. "Killing Of A Sacred Deer" ist ein weiteres kunstvoll geschnitztes Unikat, wie man sie bereits in seinen früheren Werken serviert bekam. Die theriomorphen, das Tier im Menschen behandelnden Ansätze seiner letzten Arbeit "The Lobster" übertragen sich in gewisser Weise auf eine Anklage gegen die "Götter in Weiß", deren hochpräzise Operationsinstrumente im Angesicht unerklärlicher Phänomene zu den hilflosen Schaufelbaggern eines Hummers degradiert werden. Es ist also wieder, so auch der Bezug zu "Dogtooth", der Gottkomplex des Menschen, dem in der gewohnt unterkühlten Dialogregie des Griechen eine Demontage bevorsteht.

Passend dazu bilden die Schatten der Fenster Kruzifixe an der Wand, so wie überhaupt jedes Szenenbild mit derselben religiösen Symbolik durchzogen ist, die auch dem Titel anhaftet. Am anderen Ende der Skala wartet jedoch bereits das Primitive, Instinktgetriebene. Nicht ganz ohne Humor integriert Lanthimos eine Szene, in Hauptdarsteller Colin Farrell dem neugierigen Schützling seine Brust- und Achselbehaarung präsentiert. In den Gesprächen des Chirurgen mit seinem Umfeld geht es darüber hinaus hauptsächlich um Banalitäten. Kartoffelpüree beispielsweise, das zum Symbol für die Entfremdung in der Ehe wird, oder die Erörterung der Vorteile einer Uhr mit Metall- statt Lederarmband. Dabei sind in diesen Dialogen viele Verweise auf die Hauptthematik verborgen. Wenn die Uhr für Präzision steht und das Metall für Beständigkeit, so werden die Vorlieben des Sprechenden zu Symptomen dessen, was er ideologisch verkörpert: Zuverlässigkeit, Expertise und absolute Kontrolle.

Als Lanthimos seiner Hauptfigur jene Kontrolle mit einem Paukenschlag entzieht, gleicht der Effekt einem unerwarteten Schlag in die Magengrube. Bewusst trennt der Regisseur Bildinhalte von seinem unruhigen, bisweilen regelrecht paranoiden Soundtrack. Lange, ruhige, übersichtliche Einstellungen werden gezeigt, doch konterkariert werden sie mit schrillen Streicher-Einsätzen, die bisweilen auch die emotionslosen Dialoge übertünchen.

An Farrell lässt sich anschaulich demonstrieren, weshalb so viele Regisseure aus dem Indie-Umfeld einen Vorteil darin sehen, mehrfach mit den gleichen Darstellern zu arbeiten, denn den bärtigen Mann mit Göttermaske, dessen Leben durch einen Jungen plötzlich aus den Fugen gerät, könnte man kaum nuancierter anlegen. Nicole Kidman fügt sich mit schrillem Blick und operiert wirkenden Gesichtskonturen nahtlos in das Ensemble ein. Und Barry Keoghan weiß genau, warum er die Bedrohung, die von seiner Figur ausgeht, aus einem Quell von Unschuld nährt. Beinahe fremdgesteuert agiert er und erschafft so einen wahrhaft beängstigenden Charakter mit leicht autistischen Zügen, der nicht einfach im Begriff ist, eine Familie zu zerstören, sondern das gesellschaftliche Trugbild einer perfekten Familie, die zu Viert ihren Vorzeigetraum lebt.

Für das große Hollywood zeigt Lanthimos, im Gegensatz etwa zu seinem Kollegen Denis Villeneuve, vielleicht noch zu wenig Allrounderfähigkeiten, weil er zum wiederholten Mal einfach einen Film über dysfunktionale Kommunikation dreht, den man unmöglich einem speziellen Genre zuordnen kann. Innerhalb dieser speziellen Disziplin ist er aber inzwischen zum Meister gereift und sollten die großen Studios noch einmal eine Produktion ohne einstürzende Hochhäuser und mit mehr als zwei Seiten Dialogtext planen, wäre dieser Mann sicher zu großen Taten in der Lage.
:liquid8:


Der Blob (1958)
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Kleine Sekundenrennen und Hahnenkämpfe um verfügbare Backfische boten sich die männlichen Jugendlichen in Filmen der 50er zuhauf, und als das Drehbuch den spannungsreichen Einstieg um eine außerirdische Substanz ohne Form und Namen abrupt für einen mehrminütigen Austausch unter Halbstarken an der Ampel unterbricht, könnte man glauben, der Film habe seine eigene packende Grundidee für banale Zeitgeist-Konversation geopfert. Dabei sind diese kleinen Exkurse, die so deutlich auf die 50er verweisen, essentiell für den "Blob", der bunt wie nur wenige B-Movies seiner Zeit den Generationenwandel illustriert.

So begründet Steve McQueen in Rollen wie diesen seinen Ruf, furchtlose Draufgänger mit Schlitzohr besonders gut spielen zu können. Hinter sich zieht er eine junge Gefolgschaft, die den deutlich älteren Mitbürgern gegenübersteht - Polizisten und Ärzte beispielsweise, Amtsträger in wichtigen Funktionen. Sie müssen erst einmal vom Ausmaß der Gefahr überzeugt werden, denn sie alleine sind es, die Einfluss nehmen können auf den Kampf gegen die unbekannte Bedrohung von außen.

Beim Blob muss es sich natürlich unter Berücksichtigung des Entstehungsjahrs um eine Metapher für den am Horizont drohenden Kommunismus handeln. Heute lässt er sich auf jede Art von Furcht vor Gleichschaltung abbilden. Eine Fortsetzung in den 70ern, ein Remake in den 80ern und viele weitere Neuverfilmungspläne belegen, dass der Interpretationsspielraum eines undefinierbaren Balls aus buntem Schleim prinzipiell grenzenlos ist. Der Kosmos, den das spielende Kind in einer Masse Knete sieht, lässt sich eben auch auf eine Alien-Invasion übertragen.

Also blasen Yeaworth Jr. und Doughton Jr. die unterschätzte Gefahr, den Klumpen am Stock, über 80 Minuten zum unzerstörbaren Monstrum auf, das sich zum Finale nicht ganz zufällig ausgerechnet in einem Kino niederlässt, einem damaligen Zentrum für kulturelles Zusammentreffen. Aus der Methodik bei der Bekämpfung des Blobs kann man ebenso viel über Amerika lesen wie aus der Pointe über die amerikanische Einschätzung des großen Gegners; gleichzeitig ist "Blob" aber auch ein herrlich vergnügliches Monster Movie, das in allen Regenbogenfarben leuchtet.
:liquid7:

The Long Hair Of Death
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Bavas Gothic-Klassiker "Die Stunde, wenn Dracula kommt" wirft lange Schatten auf diese im 15. Jahrhundert angesiedelte Schauergeschichte um Mord, Rache und Gerechtigkeit. Nicht nur flitzt Barbara Steele regelmäßig durch die Gänge eines Schlosses, dessen versteinerte Innereien den Hauptschauplatz ausmachen... vom Prolog bis zum finalen Klimax erinnert überhaupt so ziemlich alles an Bavas einflussreichen Schwarzweißfilm. Dessen Meisterschaft im Umgang mit Schattenwurf, generell mit der Tiefe des Raumes, erreicht Antonio Margheriti allerdings nicht. Altbackene Kostüme, schwülstige Dialoge, karge Einrichtung und eine verhältnismäßig helle Ausleuchtung (bedenkt man, wie viele Passagen im Keller und / oder in der Nacht spielen) rücken eher auf zu einem Shakespeare'schen Bühnenstück.

Akzente werden hauptsächlich durch den überdramatisierten Score gesetzt. Schon bei der Nahaufnahme eines Bechers, der mit einer verräterischen Flüssigkeit gefüllt wird, überschlägt er sich regelrecht vor Aufregung; eine in der Gesamtwirkung recht auffällige Kompensation der, trotz Bava-Inspiration, zurückhaltenden Regie, die eher auf radikale Bildinhalte vertraut (eine Vebrennung auf dem Scheiterhaufen beispielsweise oder das für jene Zeit ungewöhnliche Aufblitzen nackter Haut) anstatt aus eigenem Antrieb Dynamik zu erzeugen. Dies geschieht frühestens im Grande Finale, wenn der unkonventionelle Schnitt das Geisterhafte aus Bavas expressionistischsten Werken wie "Der Dämon und die Jungfrau" als übersinnliches Verwirrspiel neu aufbereitet und so das Filmische doch noch einmal herausstellt. Ein recht spektakuläres Ende, das vielleicht nicht ganz repräsentativ für den Film im Ganzen steht, ihm aber einen soliden Ausklang verpasst. Wer seine Bavas bereits brav durchexerziert hat, darf hier durchaus einen Blick riskieren.
:liquid6:

Charley Varrick - Der große Coup
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...denn sie wussten nicht, was sie taten: Geschichten über Banküberfälle durch Amateure leben von der Panik, die sie verbreiten. Von der Spontaneität, mit der im Affekt Entscheidungen getroffen werden müssen. Schnellschüsse und Kurzschlusshandlungen sind die präferierte Würze derartiger Drehbücher, immer fest gekoppelt an ungefilterte Emotionen: Angst, Wut, Euphorie, Verzweiflung.

Doch nicht so mit Charley Varrick. Obwohl das Drehbuch ihm schon nach wenigen Minuten allen Grund gibt, komplett seine Fassung zu verlieren, schlängelt er sich aalglatt durch jede noch so brisante Situation und lässt sich keine Gefühlsregung am Gesicht ablesen. Als seine eigene Frau nach dem pannen- und folgenreichen Überfall auf eine Bank in seinen Armen stirbt, nimmt er dies mit einem trübsinnigen Blick allenfalls zur Kenntnis, und als ihm schließlich dämmert, wem das gestohlene Geld tatsächlich gehört, mahnt er seinen heißblütigen Komplizen lediglich zur Vorsicht und hält sich selbst dann noch unter Kontrolle, als dieser reagiert wie ein eingeschnapptes Kind.

In "Charley Varrick", diesem schlicht nach der Hauptfigur benannten Heist-Thriller, sorgt also nicht nur der aufgewirbelte Staub der Fluchtwagen für trockenes Klima, sondern auch die Hauptfigur und mit ihr das Gros der Besetzung, die unter anderem einen Auftragskiller (Joe Don Baker) umfasst, der ebenso sorgfältig charakterisiert wird wie Varrick selbst - und aus der Charakterzeichnung ebenso aalglatt herauskommt. Don Siegel liegt viel daran, aufzuzeigen, dass der Coup nicht nur Auswirkungen für die Protagonisten hat, sondern für unzählige beteiligte Parteien. Ohne dabei je die trübsinnige Ödnis Nevadas zu verlassen, schaltet er gerne zwischen den Schauplätzen um und zieht vom Filialleiter der ausgeraubten Bank bis zur Prostituierten unzählige Fäden - ein Merkmal, das schnell zu Tarantino-Vergleichen führt, gerade wenn gewisse Charaktere wie Bakers gnadenlos vorgehender Killer derart stilisiert werden wie hier geschehen.

Und ja, der kaum eine Miene verziehende Varrick stellt unter Beweis, dass sich der Thrill nicht nur aus angsterfüllten Gesichtern ziehen lässt, sondern eben auch aus einer Maske der Abgeklärtheit. Professionelles Vorgehen kann den Zuschauer mit raffinierten Winkelzügen ebenso in den Bann ziehen wie eine Verzweiflungstat.

Nicht, dass sich deswegen die grundsätzlichen Abläufe ändern würden. Es geht eben trotz allem viel schief und nicht zuletzt viel zu Bruch: Eine größere Fluchtszene mit reichlich Blechschaden und wegfliegenden Motorhauben sorgt für ein frühes Action-Highlight, unmittelbar gefolgt von einer brachialen Autoexplosion und dem Versprechen, dass es überall und immer knallen kann. Drohungen und Prügel halten die Spannung permanent aufrecht. Das Finale zitiert sogar Hitchcocks "Unsichtbaren Dritten" (wie könnte man bei einem tief fliegenden Piloten über Flachland auch nicht daran denken) und liefert im Anschluss eine denkwürdige Hatz zwischen Land- und Luftfahrzeug inklusive spektakulärem Überschlag.

Walter Matthau mag während der Dreharbeiten viel über die Motivation der Charaktere und die Situationslogik gemosert haben, doch der ersehnte Bruch mit seinen komödiantischen Rollen ist ihm zweifellos vergönnt. Eine satte Dosis schwarzen Humors ändert nichts daran: Charley Varrick kann es in Sachen Coolness alleine mit der gesamten "Ocean's 11"-Crew aufnehmen.
:liquid7:


Tanz der Totenköpfe
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Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die altmodischen Hammer-Produktionen ihre Hochphase nur wenige Jahre zuvor hatten, wirkt dieser britische Herrenhaus-Horrorfilm erstaunlich modern, experimentell und bisweilen gar nicht very british. Es könnte beinahe ein Vorfahre heutiger US-Produktionen über paranormale Geschehnisse sein. Tief im Bild liegende Brennpunkte mit auffälligen Kanten und Formen im Vordergrund, dynamische Zeiteinblendungen, Figurenkonstellationen wie im modernen Horror-Kino und ein Hauch Grittyness für die Authentizität. Die Blutlinie reicht von "Paranormal Activity" über "Poltergeist" hin zu "Bis das Blut gefriert". Mit der viktorianischen Ausstattungswut typischer Ghost-Mansion-Filme hält sich John Hough trotz des pompösen Settings dagegen weniger auf, lieber experimentiert er mit der Gruppendynamik, lässt rationale Skeptiker auf übernatürliche Medien treffen und irritiert mit abwechslungsreichen Ausformungen des Horrors. Unheimliche Schatten in der Dusche sind ebenso Programm wie leuchtende Spezialeffekte (zum Exzess dann ausgereizt in den 80ern, aber beispielsweise auch schon in "The Asphyx" von 1972). Manchmal reicht auch einfach eine weggewehte Bettdecke, eine aufschlagende Tür oder das irrationale Grinsen einer vom Unsichtbaren Besessenen, um den Rücken mit kalten Schauern zu massieren.

Das Drehbuch soll die Romanvorlage in Sachen Sex und Gewalt ein wenig abgemildert haben, eine in gewissem Sinn morbide Stimmung hat sich aber durchaus in die Verfilmung gerettet. Nach dem Dezimierungsprinzip arbeitet das Skript zielstrebig auf seine finale Enthüllung hin und hinterlässt dabei allerhand gespenstische Effekte. Die Schlussfolgerungen der Hausbesucher bringen etwas Detektivisches in den Ablauf. Wäre Sherlock Holmes auf einen zweiten Baskerville-Hund gestoßen und hätte mit den modernsten Errungenschaften der Wissenschaft in einem großen Team an der Lösung des Falls arbeiten wollen, wäre vielleicht Vergleichbares aus der Gleichung gekommen.

Die unterkühlte Erzählweise ist sicherlich Geschmackssache. Es sind eher unbekannte, aber überwiegend starke Darsteller an Bord, die trotz bemerkenswerter Leistung und manch theatralischer Szene nicht durch den schweren Vorhang des wissenschaftlichen Vorwands greifen können, mit dem Hough in der Regie seine Handschrift hinterlässt. Eine trockene Off-Stimme, die Ursache und Wirkung mit teilnahmslosem Timbre in der Stimme für den Zuschauer verknüpft, fehlte gerade noch, um diese Eindrücke abzurunden. Dafür funktionieren die meisten seiner Gruseleffekte heute immer noch.
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Die Dunkelste Stunde
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Dank der komplexen Erzählstruktur mit vielen invers verknüpften Handlungssträngen hätte "The Darkest Hour" in der Hauptsache ein Geschichtsfilm werden können. Doch die energetisch gezeichnete, schillernde Hauptfigur macht schnell eine Biografie daraus. Wenn nicht gar ein Ehrendenkmal für einen Mann, der im Ausgang des Zweiten Weltkriegs eine entscheidende Rolle einnahm. Gary Oldman liefert genau die Show, die man im Oscar-Lande sehen möchte: Eine hervorragende Maske, die gleich noch den Award für das beste Make-Up sicherte, lässt eben genug Transparenz für den Darsteller dahinter. Als Churchill knurrt und bellt Oldman wie ein aggressiver Hund, er verunsichert Gegner wie enge Vertraute, bindet letztere allerdings auch durch einen feinen Sinn für ironisch verpackten Humor an sich, den er mit einer Reflektion seiner eigenen Entscheidungen verknüpft. Lily James als seine Sekretärin Elizabeth ist ein Spiegel dieses Wechselbads der Gefühle, ständig zittern ihre Mundwinkel vor Verunsicherung, dann wieder liest man so etwas wie das Urvertrauen in ihren Augen, wie es eine Tochter dem Vater gegenüber empfindet. Dass selbst King George (Ben Mendelsohn) im Umgang mit dem hitzköpfigen Premier diesem Gefühlschaos ausgesetzt ist, auch wenn er es als souveränes Regierungshaupt zu verbergen weiß, illustriert die unerschütterliche Stärke eines Mannes, dessen Selbstzweifel Joe Wright allerdings ebenso zu thematisieren weiß. Und trotz der bitteren Kriegshintergründe und der harschen Art Churchills liest sich sein Portrait manchmal wie eine leichte Komödie. Bei aller Dunkelheit, die sich in den tiefen Schwarz- und Dunkelbrauntönen der Bildkompositionen niederschlägt, und der Hektik, die in Räumen voller gestikulierender Anzugträger aufgebaut wird, findet Wright immer wieder Momente des Lachens und der Erleichterung.

Dass weder die Kriegsgräuel gezeigt werden noch der deutsche Feind aus seiner Unsichtbarkeit tritt, hat ausnahmsweise weder etwas mit Unvollständigkeit zu tun noch mit fehlendem Interesse gegenüber der anderen Seite; es zeigt einfach auf, wie sehr Großbritannien zu jener Zeit mit sich selbst beschäftigt war. Das Bemühen, ein Mittel gegen Deutschlands Machtzuwachs zu finden spaltet die Interessengruppen, die im Film auftreten, so tief, dass selbst die Amerikaner nur am Rande auftreten. Wenn "The Darkest Hour" im Zuge dessen eines verdeutlicht, dann ist es die Ohnmacht der Diplomatie, die angesichts des gnadenlosen Vorgehens Hitlers zur Passivität verdammt wird.

Von der Kamera über den Score bis in den Cast hinein dirigiert der Regisseur eine Sinfonie in runden Bögen, in der nichts dem Zufall oder der Experimentierfreude überlassen wird. Die Kostüme sitzen ebenso wie die Ausstattung, abstrakte Entscheidungen an langen Tischen werden mit dem Faktor "Mensch" aufgewogen (U-Bahn-Szene), ein politischer Handlungsträger wird vom gedruckten Namen in den Geschichtsbüchern zum greifbaren Menschen gemacht. Natürlich muss damit von einer virtuosen Lehrstunde in Sachen Weltgeschichte gesprochen werden. Wagemutiges, expressives Kino geht allerdings anders.
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Tremors 6 - Ein kalter Tag in der Hölle
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Schauplatz: Nunavut, Kanada. Ein riesiger Graboide durchbricht die ewige Eisdecke auf dem wirklich cool gezeichneten Poster. Zielkunde? Videotheken... äh 'tschuldigung, VOD-Kunde. Was auch sonst beim sechsten Teil einer Reihe, die sich um Earthworm Jim auf Steroiden dreht. Es sieht diesmal alles nach einem radikalem Schauplatzwechsel aus. Schließlich hatte das Gewürm in „Tremors 5 – Bloodlines“ noch die afrikanische Savanne unter sengender Sonne umgepflügt. Aber keine Sorge, liebe Waffennarren, die Badehosen dürfen anbehalten werden, der Pelzmantel kann zu Hause bleiben. Schmelzende Polkappen sorgen dafür, dass die Graboiden auch im nördlichsten Kanada weder neue Durchschlagskraft entwickeln noch die Evolution mit weiteren Arschknaller-Abkömmlingen beleidigen müssen: Nr. 6 funktioniert im Grunde exakt nach dem gleichen Muster wie Nr. 5.

Zwar findet der Prolog noch im Eis statt und ein durchaus stattlich animiertes Exemplar darf eine kleine Gruppe von niedlichen Early-Twen-Wissenschaftlern verhackstücken, doch kaum hat Burt Gummer das Feindland im schneeweißen Tarn-Overall betreten, ist der Boden braun und bröckelig wie das Brownie-Topping im Ben & Jerry's. Für Regisseur Don Michael Paul ist die vorgeschobene Umwelt-Message ein idealer Vorwand, nichts an der Rezeptur ändern zu müssen. Also steckt er Platzhirsch Michael Gross mitsamt Sidekick Jamie Kennedy erneut mit naiven, gleichwohl euphorischen Hilfsbedürftigen unter eine Decke und dirigiert ein Hickelkasten-Spiel zwischen Sendemasten, Forschungsstationen, elektrischen Zäunen und Geländewagen. Es ist ein Experiment mit der Erwartungshaltung des Zielpublikums: Wie kann ich diese bei möglichst geringem Aufwand möglichst exakt erfüllen?

So bleibt die Qualität der Creature-CGI auf dem respektablen Niveau des Vorgängers, etwas Animatronik wird zur Freude der Creature-Feature-Fans alter Schule ebenfalls verwendet und die Regie ist wieder als solider Standard zu bezeichnen. Den Rest besorgt die originalgetreue Hauptdarsteller-Paarung und das ein oder andere hübsche Newcomer-Gesicht in einer Nebenrolle. Auf einen neuen Zielgruppenkreis hat man es spürbar nicht abgesehen, dieser Film ist exklusiv für jene gedacht, die sich bereits furchtlos durch die ersten fünf Teile gegraben haben. Alle anderen dürften sowieso den Scheibenwischer zeigen, wenn sie das Wort „Arschknaller“ inmitten einer bierernst vorgetragenen wissenschaftlichen Kategorisierung hören.

Dass der neue Schauplatz nicht die erhoffte Abwechslung in Form von Gletscherspalten und anderen Späßen bringt, ist schon eine gewisse Enttäuschung, im Umkehrschluss darf man froh sein, dass der Drehbuchautor keinen Anlass sah, um den Arschknallern keine weiteren Nachfahren zu bescheren (Bauchklatscher? Sackjodler?). Wer 28 Jahre nach dem ersten Teil immer noch „Tremors“ schaut, befindet sich in einem dankenswert genügsamen Gemütszustand. Man ist schon damit zufrieden, einfach mal 90 Minuten auf der Couch dem dummen Gequatsche von Gross und Kennedy zu lauschen, das sich ohne Punkt und Komma zwischen den Beiden ergießt. Alles andere, selbst die Graboiden-Action, gerät da beinahe zur Nebensache. Keine Frage: Solange es Gross persönlich ist, der seine Berrettas spazieren führt, wird man sich noch jeden kommenden Teil ansehen – halb gelangweilt, halb amüsiert.
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Red Sparrow
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Wäre Filmkritik Psychologie, so würde mancher Psychologe den Agenten-Thriller „Red Sparrow“ vielleicht als den radikalen Versuch des Patienten-Duos Lawrence/Lawrence deuten, die Eierschalen der gemeinsamen Young-Adult-Zeit endgültig abzustreifen. Genug gespielt, jetzt wird’s ernst, sagen schon die sehenswerten Originalschauplätze: Ein in der Realität anstatt in der Dystopie verankerter Agenten-Plot, aufgemischt durch schonungslose Szenen voller Gewalt, Sex und Demütigung – als wäre James Bond zeit seiner Existenz immer eine lächerliche Comicfigur gewesen und werde nun in die schmuddelige Realität übertragen, diesmal ohne Abenteuer-Romantik und mit all den hässlichen Seiten des Agentendaseins.

Gleichwohl ist Francis Lawrences Regiestil immer noch leicht auszumachen. Schon der „Mockingjay“-Abschluss bediente sich der grauen Ästhetik eines Antikriegsfilms und delektierte sich an den breiten Flächen imperialistischer Architektur, vor deren Fassade er seine Darsteller wie Ameisen inszenierte. Das wiederholt er nun bei den Aufnahmen in der prunkvollen Ungarischen Staatsoper, die neben einigen Cafés und anderen Orten verstohlener Agenten-Kommunikation den von Staub bedeckten Glanz der Neurenaissance einbringt. Ferner wird die Optik des Films von zahlreichen Außendrehs in Budapest oder Wien geprägt, die manchem Agoraphobiker die Schweißperlen auf die Stirn treiben können. Den Mix aus kargen, detailarmen Kastenaufnahmen und visueller Opulenz muss man allerdings mögen, er kommt streckenweise wieder uneinheitlich daher und lässt eine klare Linie vermissen.

Ein Problem, das auch die Handlung betrifft, denn: Spätestens als sich die Hauptdarstellerin im Sinne der Kunst nicht nur vor einem Zimmer voller Genossen entblößt, sondern somit vor der ganzen Welt, wird aus dem angepeilten Realismus reinster Pulp, wie man ihn nur selten auf diesem Mainstream-Level unter die Augen bekommt. Die rote Bedrohung, über Jahre hinweg ein schlafender Riese, ist auf einmal wieder so präsent, als hätten wir die 80er Jahre niemals hinter uns gelassen. Überhaupt gestaltet sich die zeitliche Einordnung schwierig; auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Handlung in der Gegenwart angesiedelt ist, verwischen Disketten, Schnurtelefone und andere Relikte veralteter Technologie (und Mode... und Autos... und Gebäude...) sämtliche Spuren einer Zeitlinie, die nachzuverfolgen wäre.

Während der Patient also mutmaßlich der irrigen Annahme unterliegt, er modernisiere das Genre des Thrillers mit ungewöhnlichem Wagemut, indem er sich der heutigen Möglichkeiten bedient und ohne Rücksicht auf Verluste zu radikalen Darstellungen führt, gerät ihm das Ergebnis glatt zum Gegenteil: Einer hoffnungslosen Rückkehr zu alten amerikanischen Traumata, der protektionistischen Angst vor dem Rest der Welt. Über die Diskrepanz dessen, was „Red Sparrow“ sein will und dem, wozu er sich entwickelt, kann man sich amüsieren, aber irgendwo passt der völlig absurde Tonfall dann auch wieder zu Trump-Land und wird in naher Zukunft vielleicht sogar exemplarisch angeführt werden, wenn es um das Filmemachen in Zeiten des neuen Protektionismus geht.
:liquid5:


The Church
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Bruchstücke eines Argento-Spiegels, mühsam zur eigenen Vision zusammengeklebt. Ein wilder Goblin im Bastrock hätte für die wirre Montage der Szenen verantwortlich sein können, dabei steuert er lediglich die Klangkulisse bei. Hamburg und Budapest verschmelzen zur Gothic-Megacity. Eine Infrastruktur wie ein Pentagramm, in dessen Mitte der Turm einer Kathedrale thront. Erbaut auf einem Massengrab, durchlöchert von den Spuren moderner Zivilisation: Eine U-Bahn rast wie eine verirrte Pistolenkugel durch die Adern des blutgetränkten Bodens und lässt das mächtige Fresko in der Kirchenhalle erbeben.

Michele Soavis Vision, die dunkle Geschichte der Kirche in einen Horrorfilm zu gießen, ist eine zutiefst zerrissene. Seine großen Ambitionen sieht man ihm in der wirklich meisterhaften Komposition einzelner Sequenzen an. Wiederholt spielt er mit langen, schwebenden Kamerafahrten, die nahezu das Maximum aus den atmosphärischen Setpieces herausholen. Die Tonspur wird gelegentlich selbst zum Hauptquell des Horrors und das Bild fügt sich in Komplizenschaft der reinen Suggestion. Optische Spezialeffekte kommen trotzdem regelmäßig zum Zuge - und glänzen mit Vielfalt, Abwechslungs- und Einfallsreichtum, die niemals überstrapaziert wird. Berge aus lehmigen Menschenkörpern wie auf Peter Paul Rubens „Der Höllensturz der Verdammten“ oder die plötzliche Manifestation eines Gemäldes von Boris Vallejo erscheinen und verschwinden so plötzlich, als hätte man sie gar nicht gesehen, sondern bloß fantasiert.

Die Beseitigung der Spuren zur "Démoni"-Reihe von Lamberto Bava, mit der man "The Church" ursprünglich in Verbindung bringen wollte, hat allerdings klaffende Lücken im Drehbuch hinterlassen. Dass man mit einem Mittelalter-Prolog beginnt und einen enormen Zeitsprung in die Gegenwart vollzieht, mag ja für das Subgenre noch Konsens sein; so unterstreicht man schließlich die Macht des Bösen, die auf dem Überdauern von Jahrhunderten basiert. Doch einmal in der Gegenwart angekommen, gelingt es Soavi nicht, das Chaos zu jenem edlen Gemälde zu sortieren, das ihm vorschwebte. Den Subplots fehlt oft der Bezug zum Kernthema, sie funktionieren mitunter wie autonome Kurzgeschichten mit ihren eigenen visuellen Pointen, die eigene Stimmungen verfolgen und nur wenige Konsequenzen für das Universum haben, in dem sie spielen.

Ein Qualitätsmerkmal ist das nicht gerade. Und doch kann "The Church" große Freude bereiten, gerade weil es sich eben nicht um das Werk eines Meisters handelt, sondern um eine spektakuläre Ruine, die in hoher Taktfrequenz die besten Momente aus den Arbeiten von Argento oder Carpenter wie grelle Bitze aus Déjà-Vus ins Bewusstsein jagt.
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Winchester - Das Haus der Verdammten
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Dass das „Based on a True Story“-Emblem für phantastische Filme in aller Regel eher ein Abtörner als ein Heißmacher ist, hat sich immer noch nicht herumgesprochen. Im Fall von „Winchester“ liefert es aber zumindest ein vielversprechendes Setpiece (auch wenn Darren Lynn Bousman 2016 mit „Abattoir“ eine vergleichbare Idee aufgriff). Ein labyrinthisches Landhaus, das permanent im Aufbau begriffen ist? So etwas hat bezogen auf den klassischen Haunted-House-Horror schon psychologische Meta-Qualitäten, verspricht man sich aus dem Irrgarten mit verwinkelten Raumkonstruktionen doch einen dementsprechend verdrehten Geisteszustand der Hausherrin und somit ein packendes Katz-und-Maus-Spiel mit schiefen Winkeln, Dead Ends und unvorhersehbaren Begegnungen.

Die Spierig-Brüder sind nun der Ansicht, der Zuschauer müsse zunächst einmal über die Funktionsweise eines Labyrinths aufgeklärt werden, also beginnen sie ihre Handlung mit einem Rundgang durch das Haus. Jason Clarke wird von Hausherrin Helen Mirren auf gewisse Eigenarten des Gasthauses aufmerksam gemacht und der Zuschauer identifiziert auf Anhieb Mechanismen, die sich für mögliche Grusel-Sequenzen in den späteren Akten eignen könnten: Was mögen die Geister wohl mit den Sprachröhren anstellen, mit denen die Räume verbunden sind? Wie eignet sich wohl der wie in der Warteschlange einer Themenpark-Attraktion angelegte verschlungene Gang zum obersten Raum für eine Verfolgungsjagd?

Die Ahnung von zukünftigen Schockmomenten soll Suspense schüren, am Ende schürt sie aber bloß eines: enttäuschte Erwartungen. Harte Buh-Effekte werden stumpf aufgelöst, ohne zur Handlung etwas beigetragen zu haben, Subplots verebben irgendwann wie einige der exzentrisch verlegten Gänge einfach im Nichts. Mirren müht sich redlich, die dunkle Eminenz zu markieren, findet sich aber zwischen Autismus und Rätselhaftigkeit gefangen, ohne dabei von einem wahrhaft interessanten Charakterprofil profitieren zu können. Clarke bleibt im Umkehrschluss trotz diverser Begegnungen mit Geistern viel zu sehr Herr seiner Sinne, als dass sich der Zuschauer durch seine Haut hindurch allzu stark fürchten könnte.

Und dann ist da am Ende eben wieder die enttäuschende Schuldfrage, mit der die Motivation der Geister in rationale Muster gepresst wird. An diesem Punkt sind nicht einmal mehr die „13 Geister“ (2001) fern. Mit den Erwartungen an ein geschmackvolles Horror-Drama mit historischen Bezügen blickt man ziemlich entgeistert auf das finale Ergebnis...
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Die Rückkehr der Zombies
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Mutter Erde holt sich ihre Oberfläche zurück! Andrea Bianchi zeigt sich besessen von der Vorstellung, wie der verwesende Körper eines Leichnams wieder zu dem Humus wird, aus dem er entstand. Viel deutlicher als die Zombie-Marionettenspieler Umberto Lenzi („Großangriff der Zombies“) und Lucio Fulci („Woodoo“, „Ein Zombie hing am Glockenseil“) gestaltet er seine Zombies als wahrhaftig tote Hülsen. Vergleiche lassen sich am ehesten zur Erscheinung der „reitenden Leichen“ ziehen. Die Statisten schlurfen mit modrigen Lumpen durch die Pampa, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, sich aus dem Gras zu erheben, in das sie einst bissen. Regenwürmer und Maden tragen sie als lebende Spezialeffekte auf der lehmigen Maske (und halten sie auf Regieanweisung direkt vor die Kamera, damit es sich auch schön windet und kringelt), ihre Gesamterscheinung verschmilzt per Tarneffekt mit dem verwilderten Garten, der die Hauptkulisse ausmacht. Ihr Blut ist braun und lässt eher an Schlamm und Regenwasser denken als an Körperflüssigkeiten. Wache Augäpfel lugen nur selten hinter dem Make-Up hervor, meist sind die Zombie-Imitatoren angewiesen, mit geschlossenen Augen durch die Gegend zu wanken... oder es wurde ihnen gleich ein gähnendes Loch geschminkt.

Der zugehörige Film besteht fast ausschließlich aus strategischen Fluchtrouten durch die Gräser und Etagen der alten Villa, die zum Dreh angemietet wurde. Für dumm verkauft wird das Publikum nicht; hanebüchene Erklärungen spart man sich einfach. Dynamik ergibt sich hauptsächlich aus wechselnden Zahlenverhältnissen zwischen Jägern und Gejagten oder unvorhergesehenen Hindernissen wie einer Bärenfalle, womit die wirklich, wirklich langsame Fortbewegungsweise der Zombies mühselig kompensiert wird. In einigen Szenen ist man über die plötzlich signifikant ansteigende Intelligenz der Kreaturen aus dem Erdreich erstaunt (das Teamwork bei der Verwendung einer Sense oder eines Rammbocks hat Applaus verdient). Andererseits, was kann bei italienischen Zombies noch überraschen? Einer von ihnen hat zwei Jahre zuvor sogar mal gegen einen Hai gekämpft...

Überraschend ist eher, dass die endlose Zirkulation sich wiederholender Verfolgungen mit der Zeit sogar einen Rhythmus entwickelt, der zu einem echten Spaß ausartet. Das gilt selbst ohne Berücksichtigung des Subplots um einen leicht degeneriert wirkenden Sohn (Peter Bark) und seine ödipale Besessenheit gegenüber der Mutter, die noch ein paar Extrapunkte einfährt - ebenso wie der keck gesetzte Schlusspunkt.
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Valerie - Eine Woche voller Wunder
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Der Prager Frühling kokettiert bereits mit dem Herbst und lässt mit diesem assoziativen Wachtraum seine letzten Knospen in einem Farbenmeer aufgehen. Man hat das Gefühl, die kitschigen Zierränder eines staubigen Märchenbuchs tief aus der mitteleuropäischen Folklore würden den Bildrand umschmeicheln. Jaromil Jireš komponiert seine Einstellungen demzufolge nicht wie Durchgangsstationen für eine gewöhnliche Filmhandlung, sondern eher wie handgefertigte Kunstschnitte, die aktiv durchzublättern sind, möchte man aus ihnen einen Zusammenhang herstellen. Der im klassischen Format 1,33:1 gehaltene Bildausschnitt scheint sich in zwei identische Hälften aufzuteilen; was immer man auf der linken Seite findet, wird sich auf der rechten Seite widerspiegeln. Es entsteht so etwas wie filmische Mitose.

Das sexuelle Erwachen der Hauptfigur, das dank der naiven Spielweise der erst 13-jährigen Jaroslava Schallerová stets ein Widerspruch in sich bleibt, formt sich also Szene für Szene aufs Neue. Jireš erkundet unterschiedliche Wege der Entfaltung und lässt im Zuge dessen die Figuren aus Valeries Umfeld stets Masken tragen oder in neue Rollen schlüpfen. Interessant dabei ist, dass der Avantgardismus der Neuen Welle durchaus das Traditionelle sucht, um gegen die Zensur aufzubegehren. „Valerie“ ist klar beeinflusst vom deutschen Expressionismus, allerdings ebenso sehr von tschechischen Volksmärchen, platzend jedoch vor Allegorien, karikiert durch Fratzen des Horrors oder des Wahnsinns. Blut auf weißem Stoff, schwarze Umhänge, die ein Loch in das helle Tageslicht reißen (ohnehin herrscht ein ungewöhnlich helles Ambiente für einen Vampirfilm...). Der durchdringende Surrealismus aus verlaufenden Farben in synchronen Mustern wird dabei als Ausdruck verstanden, um das von der Zensur Beschlagnahmte wiederzubeschaffen und die Bigotterie des Regimes bloßzustellen. Und er nähert sich unvermittelt. Ein kleiner Schnitt nur, und schon ist alles anders als noch vor Sekunden.

Die Besonderheit liegt darin, dass es trotz der gesellschaftlichen und politischen Lesarten, trotz der teilweise radikalen Mittel aus dem Bereich surrealistischen Horrors und Erotik letztlich ein Kindermärchen bleibt, geprägt von unschuldigem Denken. Fantasie darf hier noch Fantasie sein – erbaut auf zarten Gespinsten und zerbrechlich genug, dass es jede erdenkliche Form annehmen kann.
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Elvira - Herrscherin der Dunkelheit
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Ein Film, der sich maßgeschneidert wie eine zweite Haut auf der markanten Figur von Cassandra Peterson niederlegt und ausschließlich dazu gemacht scheint, ihr zu dienen. Jeder Fetzen Handlung kreist radial um die Attraktion in der Hauptrolle; ihre Belange sind zugleich die Belange des Films. Im Rückblick scheint es so, als sei vieles in Aufsicht gefilmt worden; vielleicht, weil die Kamera wie ein unwürdiger Wurm im Staub kriecht.

Wie so viele Geschichten, die um extravagante Charaktere herum aufgebaut sind, erzählt auch „Elvira“ von der Anziehungskraft des Ungewöhnlichen, die das Alltägliche in eine Ausnahmesituation versetzt. Es ist kein Zufall, der die Radiomoderatorin mit Las-Vegas-Ambitionen zunächst in ein abgehalftertes Kaff zieht, denn es geht wie so oft in der Unterhaltungsbranche um schrille Kontraste.

Peterson indes verschmilzt mit ihrer Rolle und es ist schwer auszumachen, ob es bei all dem ländlichen Affentheater mit Erbschaftsstreits und Hausrenovierungen nun um sie oder um ihre Kunstfigur geht. Dass sie schlussendlich kein Original ist, sondern ein Epigon auf Basis von Maila Nurmi („Vampira“) und Carolyn Jones („Morticia Addams“), arbeitet sie dabei durchaus in ihre Rolle ein, indem sie sich ironisch als naiv verkauft und selbst im Tête-à-Tête mit einem Dorftrottel noch ungeschickt verhält; wie eine Anfängerin, die völlig natürlich zu dem exotischen Geschöpf heranwächst, das sich von allem abhebt, mit dem sie in Berührung kommt.

Der zur Schau gestellte Humor ist dementsprechend oberflächlich, weil er die Raffinessen der Postmoderne nicht zur Verfügung hat. Dem besonderen Charme der Hauptdarstellerin ist es aber zu verdanken, dass man trotz der platten Gags über große Oberweiten und schmale Taillen voll auf seine Kosten kommt, selbst wenn sich der Ausflug auf die Kinoleinwand wie ein Werbefilm anfühlt. Aber das könnte man schließlich auch von Yankovichs „UHF“ behaupten...
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Call Me By Your Name
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Ein italienisches Landhaus auf einer Wiese im Nirgendwo. Unkontrolliert wachsendes Gras. Saftige Pfirsiche und Orangen, die direkt vom Baum gepflückt werden. Ein Fluss und die Spiegelung der Sonne auf der Wasseroberfläche. Das summende Geräusch von Mücken, die im Abendrot ihre kleinen Tänze aufführen. In Reichweite ein kleiner Ort, der fast nur aus Pflastersteinen, alten Gebäuden und Brunnen zu bestehen scheint.

Als breite man das perfekte Biotop aus, um die Liebe natürlich gedeihen zu lassen. Guadagninos „Call Me By Your Name“ macht ein klares Statement, denn wenn die Anziehungskraft zwischen zwei Menschen selbst in einem so friedlich gezeichneten Klima wie diesem italienischen Nirgendwo des Jahres 1983 so defensive Richtungen einschlägt, ist es um das Konzept vom „leben und leben lassen“ schlecht bestellt.

Es ist ein sinnlicher Film, der Momentaufnahmen durch die Augen der Figuren sehen und durch ihre Haut spüren lässt. Er erzeugt Sehnsüchte nach dem Verlorenen, das hätte möglich sein können; nicht nur auf die spezielle Geschichte bezogen, die nach Vorlage des Romans von André Aciman entstanden ist, sondern auch im Allgemeinen. Man möchte selbst vor Ort (und Zeit) sein und eigene Erfahrungen sammeln, die persönlichen Ausprägungen entsprechen, ganz egal, wie diese auch ausfallen mögen.

Dieses Verlangen kann der Film erzeugen, weil er die klassischen Wendungen „normaler“ Filme geschickt umgeht – von den Dialogen über den Schnitt bis ins Sounddesign hinein. Armie Hammer und Timothée Chalamet liefern eine unglaubliche Tiefe ab, während sie in der sommerlichen Aura baden, die sich um ihre bedeutungslos kleinen Gestalten erstreckt wie ein Meer, das Rhythmen aus wilden Wellengängen und sanfter See komponiert wie eine Sinfonie der Klassik.

So muss „Call Me By Your Name“ nicht einmal ausschließlich dem queeren Publikum gehören, trägt er doch Sehnsüchte in sich, die einem jeden Menschen gehören...
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Daredevil - Season 2
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Auch wenn Staffel 1 noch viele andere Qualitäten vorzuweisen hatte, es besteht wohl kaum ein Zweifel daran, dass Vincent D'Onofrio ihr Highlight war. Mit völliger Berechtigung wurde ihm mittendrin ein ausschweifender Origin-Exkurs gewidmet und was immer auch später im düsteren Hell's Kitchen geschah, die Spur führte ausnahmslos immer zu ihm. Vielleicht war er es am Ende, der "Daredevil" zum König der Comic-Serien krönte, vielleicht war er der Unterschiedmacher, den es brauchte, um die Konkurrenz vollständig abzuschütteln.

Zweimal aufeinanderfolgend die gleiche Karte ausspielen konnte man jedoch nicht, so viel stand fest. Was bisher geschah, hatte etwas von dem Prolog einer langen Fehde zwischen Erzfeinden, und die Serie tut gut daran, das Potenzial eines erneuten Aufeinandertreffens noch ein wenig im Unvollendeten köcheln zu lassen. Dennoch: Ein solches Schwergewicht muss man erst einmal kompensieren - eine Mammutaufgabe, die dem Autorenteam durch die Einführung zweier alter Bekannter erstaunlich gut gelingt.

Anstatt plump einen weiteren Über-Gegner zu installieren, wird zunächst das Loch greifbar gemacht, das Fisks Abwesenheit in Hell's Kitchen hinterlassen hat. Aufstrebende Gangster wittern ihre Gelegenheit, zum Super-Prädatoren aufzusteigen und schalten sich unter Einfluss dieses Irrglaubens gegenseitig aus (eine frühe Sequenz um ein irisches Syndikat spielt dabei herrlich mit den Zuschauererwartungen); Medien und Justiz scheinen völlig aus dem Konzept gebracht. Der so wunderbar in Schwarz-, Rot- und kranke Ockertöne getauchte Grobschnitt der Stadt fungiert weiterhin als Moloch für Kriminelle, die braven Bürgern das Leben schwer machen, doch ein Bruch ist spürbar. Die Autoren verstehen es nach dieser Aufbereitung wahrlich, den Neuzugängen einen angemessenen Empfang zu bereiten und sie mit Paukenschlägen in die Handlung zu werfen. Als Jon Bernthal und kurz darauf Élodie Yung endlich auf den Plan treten, wird jeglicher Vergleich zu einer Figur wie Wilson Fisk vermieden und für Hauptcharakter Matt Murdock / Daredevil ergibt sich eine völlig neue Konstellation.

Mögen das gepimpte Kostüm des blinden Rächers und die prominenten Neuzugänge das Comic-Flair auch deutlich anheben, insgesamt bleibt "Daredevil" erfreulicherweise seiner erdigen Ausrichtung treu. Mit ikonischen Elementen aus der Vorlage wird zunächst immer nur subtil gespielt (etwa im Punisher-Schädel, der sich in einer Röntgen-Aufnahme bereits ankündigt), damit sich diese über viele Episoden hinweg natürlich entwickeln können. Schmutzige Hände werden auch weiterhin nicht gescheut; das Gewaltlevel ist für eine Produktion dieser Art erstaunlich hoch. Hauptsächlich erfüllt es den Zweck, die hochprofessionell choreografierten Action-Einlagen mit einer gesunden Härte auszustatten. Diese überzeugen auch ansonsten mit fein austarierter Konzeption, die sogar gewisse Assoziationen zu den berüchtigten Plansequenzen aus "Oldboy" oder "The Villainess" erzeugt, was für eine TV-Serie mehr als bemerkenswert ist.

Insgesamt bleiben die Stärken und Schwächen in etwa die gleichen. Die Dialoge könnten definitiv mehr Feinschliff vertragen, in einigen Momenten wirken sie regelrecht cheesy, insbesondere, wenn es gilt, Freundschaften zu retten, die zu zerbrechen drohen. Andererseits bleibt die Chemie zwischen Charlie Cox, Deborah Ann Woll und Elden Henson so gut wie eh und je, vielleicht auch, weil mit Bernthal und Yung neue Impulse von außen Einfluss nehmen auf das einst so verschworene Dreigespann. Und auch wenn das Drehbuch am Ende einfach Puzzleteile zusammensteckt, die sich durch die Charakterzeichnung ergeben: Nach dem Kingpin werden nun auch der Punisher und Elektra mit Interpretationen geehrt, die ihnen alle Ehre machen.

Hoffentlich hat die Produktionspause im Jahr 2017 nur Gutes für die bald startende dritte Staffel zu bedeuten, denn es braucht Energie und Inspiration, um eine solche Serie auf dem gleichen Niveau weiterzuführen. Ein Jahr ohne den Roten ist ein Opfer, das man dafür gerne bringt.
:liquid8:


Mad Men - Season 6
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Die 60er laufen in die Zielgerade ein. Martin Luther King und Robert Kennedy werden erschossen, „Planet der Affen“ feiert seinen Kinostart und irgendwo dazwischen knüpfen die Autoren mit ungebrochener Motivation ihre Handlungsstränge rund um Werbeleute und ihre Kunden, deren kleine Geschichten nach wie vor gesellschaftliche Kontexte auf subtile Weise abbilden.

So zerbröckeln zunehmend die festen Familienstrukturen, die noch ein Jahrzehnt zuvor das unbestrittene Zentrum amerikanischer Gesellschaftsordnung bildeten. Subplots um Affären und One-Night-Stands werden im Vergleich zu früheren Staffeln sinnvoll variiert, der Wunsch nach Freiheit und Individualität bei Mann und Frau nicht ganz ohne Konsequenzen ausgedrückt. In Episode 8 beispielsweise findet eine vortrefflich geschriebene Einbruchsszene statt, bei der Dons Kinder nicht nur völlig alleine mit einer Einbrecherin im Apartment konfrontiert werden, sondern damit die Geborgenheit bröckeln sehen und zugleich die Fassade des zivilisierten Miteinanders.

Die Serie bewahrt dabei die Fähigkeit, ihr reichhaltiges Repertoire an unterschiedlichen Figuren voll zu nutzen und ihre Fäden ineinander greifen zu lassen, wobei einige Figuren naturgemäß intensiver behandelt werden als andere. Es ist vielleicht diesmal wieder Peggy (Elisabeth Moss), die herausragt; als womöglich stärkste Frau der Serie verkörpert sie den Aufstieg der Frauenrechte wie keine andere, durchlebt jedoch diesmal durch Ted (Kevin Rahm) eine emotionale Achterbahnfahrt, die ihren natürlichen beruflichen Aufstieg mit Schlaglöchern im Bereich des Privaten versieht. Ihr Auf und Ab trägt entscheidend dazu bei, eine wilde Zeit der Umbrüche nachzuzeichnen – eine der ganz großen Stärken von „Mad Men“, und das aus der Distanz, ohne jemals völlig in die Hotspots eintauchen zu müssen.
:liquid8:

Weitere Sichtungen:
Men Of War
Piranhas (1978)
Black Panther
Wind River
Brimstone
Das Grauen auf Schloss Witley
Venom
Rock 'n Roll High School
The Dunwich Horror
Operation 12 Strong
Daddy's Home 2
The Commuter
Tomb Raider (2018)

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Beitrag von StS » 01.11.2018, 14:58

Schön, dass Dir "the Killing Of A Sacred Deer" ebenfalls gefallen hat.
Alles andere hätte mich auch gewurdet... bzw. wäre Frevel gewesen :wink:

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Beitrag von McClane » 02.11.2018, 18:34

Liegen wir bei "Red Sparrow" ja nicht so weit auseinander wie es in Timos Thread klang. Würd dem so 5,5/10 geben und das meiste, was du schreibst, täte ich wohl unterschreiben.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]

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Beitrag von Vince » 03.11.2018, 07:18

@StS: Jau, bei dieser Art Film liegen wir ja sowieso selten weit auseinander. Grundsätzlich gilt sowieso: Wenn die Zuschauer gespalten sind und der eine von Meisterwerk redet, der andere von Schund, dann handelt es sich in der Regel um einen hochinteressanten Film.

@McClane: Ne, hatte dir doch auch teilweise zugestimmt bei deiner Begründung, das passt schon so. ;)

Zwischen zwei Leben - The Mountain Between Us
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[Spoiler-Andeutungen im letzten Abschnitt!]
Man konnte es befürchten und es hat sich bestätigt: Im Titel steckt mehr von einer schwülstigen Metapher, als einem lieb sein kann. „The Mountain Between Us“ ist weniger ein Film über den Überlebenskampf zweier Städter nach einem Flugzeugabsturz, sondern letztlich ein triviales Annäherungs-Drama. Nicht etwa die Kälte der schneebedeckten Gebirgslandschaft wird zum Antagonisten erklärt, sondern die vom Leben in der Zivilisation errichtete Blockade in den Köpfen der Überlebenden.

Hany Abu-Assad unterliegt dabei der fixen Idee, große Gefühle seien dazu in der Lage, physische Widerstände völlig aus der Angeln zu heben. Dass er nicht zumindest beides koexistieren lässt und gleichermaßen sorgfältig behandelt, geht zu guter Letzt auf Kosten der Dramaturgie. Niemand mag in einem mit Kate Winslet und Idris Elba besetzten Film einen harten Survival-Thriller erwartet haben, aber die ungewöhnliche Situation im Nirgendwo, die eigentlich volle Aufmerksamkeit erfordern sollte, wird nur verschwommener, je länger das ungleiche Paar in ihr verharren muss. Das ist schon recht ungewöhnlich, gewinnt das Survival-Kino doch gewöhnlich erst dadurch seine Intensität, dass die banalen Belange der Zivilisation angesichts der Gefahren in den Hintergrund gedrängt werden. Die Wahrnehmung der Umweltfaktoren sollte somit eher an Schärfe gewinnen anstatt verlieren; hier ist das Gegenteil der Fall. Zu durchschaubar bleiben auch die Versuche, Thriller-Elemente als Katalysator für Einsamkeit und Sehnsucht einzuspannen; der Hund, der als Seitenbegleiter immerzu die Sorge des Zuschauers bündelt („wieso war der denn jetzt so lange nicht im Bild?“), die so offensichtlich entgegengesetzten Überlebensstrategien der Figuren (Aussitzen vs. Erkunden)... auch wenn es sicherlich legitim ist, primäre Bedürfnisse zu verwenden, um sekundäre Bedürfnisse auszuarbeiten, so sollte das doch nicht derart plakativ geschehen wie hier.

Vielleicht klingt das dramatischer als es in Wirklichkeit ist, da Winslet und Elba immerhin gestandene Schauspieler sind und mit ihrem Können so manchen Szene abfedern, die droht, ins Kitschige abzugleiten. Den Todesstoß jedoch wissen sie bei all ihrer Ausstrahlung nicht zu verhindern, diesen Schlusspunkt kurz vor der Abblende, wenn Berge plötzlich im Nichts verschwinden und Magnete freie Bahn haben...
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Weltengänger
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Wie man weiß, verliert sich russische Fantasy auf Zelluloid oft in schwer nachvollziehbare Dimensionen aus überladenen Spezialeffekten und merkwürdigen Story-Pfaden, die manchmal durch einen gewöhnungsbedürftigen Ausdruck im Regie- und Schauspielhandwerk noch befremdlicher wirken können. „Weltengänger“ macht da keine Ausnahme, lässt sich aber immerhin ein wenig Zeit damit, sein Publikum abzuhängen. Der erste Akt illustriert erfolgreich jene Art von Szenario, bei dem der Protagonist hilflos mit ansehen muss, wie sich seine vertraute Umgebung langsam auflöst. Assoziationen zu den Verschwörungsthrillern der 70er Jahre erlauben ein Eintauchen in die Geschichte, zumal Hauptdarsteller Nikita Volkov dazu in der Lage scheint, die Verwirrung seiner Figur über die zerbröckelnde Realität glaubhaft zu transportieren.

Kaum hat sich jedoch die Spezialeffekte-Box der Pandora geöffnet, scheitert auch diese Lukianenko-Verfilmung im Sinne einer Romanadaption. Moskau im Schnee und Palmenstrände mit kristallklarem Wasser mögen als Postkartenansichten Sehnsüchte nach der magischen Ferne wecken, die meisten generierten Welten in diesem Film bleiben jedoch Oberflächenlack für den Trailer-Einsatz, die mit Lukianenkos fein konstruierten Paralleluniversen nicht das Geringste zu tun haben. Überhaupt mischt Sergey Mokritskiy der Vorlage reichlich Farbe bei, Süßigkeiten für die Augen eben, damit das Fehlen von Kontext beim Auftauchen riesiger Matrjoschkas mit integrierten Maschinengewehren nicht noch während des Films auffällt.

Russland hat sicherlich wesentlich beklopptere Streifen zu bieten, aber wenn man Hollywood-Blockbuster für ihre Oberflächlichkeit kritisiert, so muss dieser Maßstab auch für Produktionen aus dem Osten gelten, wenn sie abgesehen von einem brauchbaren Hauptdarsteller, einer gelungenen Exposition und ein paar netten Bildern im SciFi-Fantasy-Kernteil nicht viel zu bieten haben.
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The Greatest Showman
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Dass „Greatest Showman“ keine richtige Biografie über die äußerst ambivalente Persönlichkeit P.T. Barnum geworden ist – geschenkt. Im Mittelpunkt steht die reine Performance. Der Song, die Choreografie. Die Menschen und ihre Zeit gehen im Kandis der Tanzeinlagen unter; der von Charmebolzen Hugh Jackman gespielte Barnum darf seine wahre Gestalt die meiste Zeit hinter der Show verbergen. Nur selten blitzen seine Schattenseiten auf, und wenn, dann werden sie bei weitem nicht konsequent genug verfolgt. Michelle Williams hat im Zuge dessen nichts Besseres zu tun, als mit den Kindern in der Ecke zu hocken und ihrem Ernährer zuzujubeln. Legitim ist das trotzdem, wenn dafür am Ende eine große Show geliefert wird.

Auch die Entscheidung, Musik des 19. Jahrhunderts in moderne Pop-Nummern zu verwandeln, ist nicht per se verwerflich. In der TV-Serie „Westworld“ hat das beispielsweise mit Hilfe eines Western-Pianos (im umgekehrten Sinn: Moderne Stücke altmodisch aufbereitet) sehr gut funktioniert. Die Bühnennummern im vorliegenden Musical sind spürbar mit dem Schwung der heutigen Zeit aufgezogen. Flotte Trapez-Akrobatik, fliegende Wechsel der Tanzpartner, die meist im Duett, manchmal auch in großen Gruppen auftreten (Zendaya und Efron, Efron und Jackman, Jackman und Williams... hier macht's jeder mit jedem), offensive Kommunikation mit dem Publikum und Momente der Stille, die als ironisch augenzwinkernde Pseudo-Ruhepausen nur den nächsten Höhepunkt ins Visier nehmen. Das Gespielte orientiert sich an zeitgenössischem Pop, der noch einmal extra geschliffen wurde für den großen Sprung vom Musikvideo in die Kinosäle. Was leider auch die mindeste Maßnahme darstellt, um überhaupt noch etwas aus dem gewählten Ansatz zu retten. Schließlich befindet sich die Popmusik dieser Tage auf einem dermaßen erbärmlichen Niveau, dass selbst die auf Hochglanz polierten Nummern der vorliegenden Hollywood-Varieté anmuten wie ein American-Idol-Special mit Zirkus-Kulisse.

Dem verabscheuungswürdigen Ethos gemäß, das Instant-Superstar-Fabriken aus dem Fernsehen regelmäßig an den Tag legen, werden zwischen den geschmetterten Zeilen auch Minderheiten-Themen abgehandelt. Das ehrliche, kraftvolle Statement von Tod Brownings „Freaks“ ist ganz, ganz weit entfernt. Über Barnums Zwerge, Affenmenschen und bärtige Frauen soll vielmehr das Abnormale bestaunt und beklatscht werden, nach dem Motto: Wow, diese fette Frau hat ja eine schöne Stimme! Dieser kleine Wicht hat ja Gefühle! Anstatt jedoch die dadurch erzeugte Sensationsgier vorzuführen (der Zirkus hätte diesbezüglich die perfekte Manege abgegeben), schließt man sich ihr an, vorgebend, die Artenvielfalt zu feiern, ohne jedoch die Selbstverständlichkeit in ihr zu erkennen.

Was macht das aus „Greatest Showman“? Es ist ein okay gesungenes, nett choreografiertes Musical mit extrovertierten Darstellern und hübschen Retro-Kulissen, das aber mit dem Kleister kontemporärer Pop-Muzak nicht gerade heller scheint. Eine Biografie, die sich mit ihrem eigenen Betrachtungsgegenstand keinen Deut kritisch auseinandersetzt; und ein Ausgrenzungsdrama, das bestehende Missstände nicht etwa ausbessert, sondern das Potenzial hat, sie ungewollt weiter zu zementieren.
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Preacher - Season 3
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Wenn es im Moment einen Comic in Serienform gibt, der den Druck der Farbe in der Luft und die Haptik der Seiten als Erinnerung auf den Fingerspitzen hinterlässt... man suche ihn bitte nicht bei einem von Marvels TV-Ablegern. Wahrscheinlicher findet man ihn in diesem unscheinbaren kleinen AMC-Groschenheft namens „Preacher“, das es gerade in seine dritte Ausgabe geschafft hat – und spätestens jetzt nicht mehr wegzudenken ist aus der Spitzenliga der aktuell laufenden TV-Serien.

Goldgelber Weizen, ein von weißen Wattewolken geflockter Azurhimmel, ein paar Blutspritzer auf dem staubigen Pfad und ein Dalmatiner auf zwei Beinen, so in etwa gestaltet sich das Cover-Artwork, respektive die Grundstimmung der dritten Staffel. Das Trio Infernale nimmt angesichts der einschneidenden Ereignisse aus Staffel 2 inzwischen getrennte Wege, das Skript verfolgt in den zehn neuen Folgen dementsprechend drei miteinander verwobene Main Plots, die öfter als bisher gewohnt auch den Zug in die Vergangenheit nehmen. Sepiafarbene Rückblenden machen einen beachtlichen Teil der Handlung aus, ohne jedoch den Weg auf das aktuelle Tagesgeschehen zu versperren; denn mehr über Jesse, Tulip und Cassidy zu erfahren, ist der entscheidende Schlüssel, will man die einmal mehr abgefahrenen Ereignisse der Gegenwart nachvollziehen können.

Ruth Negga (im Dauerkonflikt mit dem Saint of Killers und Satans Abgesandter Sidney) und Joseph Gilgun (mit einer Vampirsekte an der Backe, deren Anführer frappierende Ähnlichkeit mit Antonio Banders in „Interview mit einem Vampir“ hat) bekommen in ihren Plots wieder ihre Highlights, aber es ist erneut Dominic Cooper, der in der Titelrolle das klare Zentrum bildet. In seinem Handlungsstrang tauchen die ganzen coolen Figuren auf und machen die coolen Dinge. Speziell die beiden Hillbilly-Handlanger einer Voodoo-Hexe (Jeremy Childs und Colin Cunningham) halten den Priester schwer auf Trab, aber auch das schmierige Treiben des Allvaters (Jonny Coyne) legt nahe, dass nun endlich die richtig abgefahrenen Charaktere von der Leine gelassen werden. Es ist jedenfalls ein Genuss, den feinen Herr Starr (Pip Torrens) in der Pose des Duckmäusertums verharren zu sehen, wann immer sich díe geistliche Fettkugel mit Klecker-Robe im gleichen Raum befindet. Etwas ungewöhnlich dass Arseface (Ian Coletti) und Hitler aka „Hilter“ (Noah Taylor) nun doch wieder kleinere Nebenrollen einnehmen, nachdem es Ende der zweiten Staffel so aussah, als würden sie künftig eine gewichtige Rolle spielen.

Die Charakterzeichnung dieser und anderer Figuren führt bei Interaktion zu einer herb-zynischen Humor-Ausschüttung, die längst zum Markenzeichen dieser schwer unterhaltsamen Serie geworden ist, die glücklicherweise nie zu ernst wird und dennoch in den Bergen von Comic-Pulp (alleine dieser Teufel...) haufenweise Nachdenkenswertes vergräbt. Das Warten auf die vierte Staffel fällt nun schwerer denn je.
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Vince
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 24.12.2018, 08:10

Trick 'r Treat
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Dass ein guter Halloween-Episodenfilm neben gutem Handwerk auch ein magisches Händchen benötigt, hat vor drei Jahren erst wieder „Tales Of Halloween“ bewiesen. Der wies von alldem nämlich nicht allzu viel vor. Die Vormachtstellung von „Trick 'r Treat“ aus dem Jahr 2007 blieb ganz und gar unangetastet. Das hat seinen Grund:

- viele Köche verderben den Brei. Während bei „Tales Of Halloween“ 11 Regisseure und 14 Drehbuchautoren mehr oder weniger ihr eigenes Süppchen kochten und mit ihren Resultaten trotzdem einen geschlossenen Film vorlegen mussten, zeichnet Michael Dougherty für Drehbuch und Regie ganz alleine verantwortlich. Er muss bei der Verknüpfung der Einzelteile keine fremden Fäden aufnehmen, sondern kann von der Konzeptphase an ganz genau Handlungsablauf und audiovisuelle Gestaltung selbst bestimmen. Durch eine glückliche Fügung der Umstände erweist sich der „X-Men 2“-Autor als äußerst geschickter Strippenzieher. Arge Qualitätsschwankungen zwischen den einzelnen Episoden muss man nicht erwarten, woraus alleine schon ein deutlich angenehmeres Seherlebnis resultiert.

- Die Pointe ist der beste Freund des Erzählers. Kurzfilme, insbesondere jene rund um Feiertage, neigen zu finalen Plottwists, die den zuvor gepflegten Spannungsaufbau legitimieren sollen. Diese sind in der Regel geprägt durch einfache moralische Implikationen, die sich von jenen aus Kindermärchen kaum abheben, auch weil oft keine Zeit bleibt, um komplexere Auflösungen anzubieten. Gerade wenn die Zielgruppe im Bereich Horror gesucht wird, kann das zu Diskrepanzen zwischen härteren grafischen Darstellungen und einem eher kindgerechten Erzählstil führen. In „Trick 'r Treat“ muten zwar einige Auflösungen auf den ersten Blick ähnlich simpel an, verbergen aber auf den zweiten Blick morbide Abgründe, die spürbar die Substanz erhöhen, einhergehend mit einer Verdichtung der Atmosphäre. Dabei bleiben die einzelnen Erzählungen trotzdem sehr eigenständig, werden sorgfältig aufbereitet und von überzeugenden Darstellern in originellen Kostümen getragen (alleine diese Disney-Kostüme der Mädchengruppe... mit Blick auf das Thema der Episode keine zufällige Wahl).

- Ein guter Knoten ist die halbe Miete. Nicht jedes einzelne Story-Detail mag sich absolut passgenau in den Episoden-Komplex integrieren, insgesamt überzeugen die Übergänge von einer Episode zur nächsten aber mit organischen Verflechtungen und wirklich raffiniert gesetzten Querbezügen, die von begleitenden Konstanten (etwa dem kleinen Kürbiskopf namens „Sam“) zusätzlich verdichtet werden. Das dadurch erzeugte Echtzeit-Erlebnis verstärkt das Gefühl, man kämpfe sich hier durch eine einzige Nacht, in der sich auf engem Raum viele kleine Geschichten ereignen.

- Lebe den Feiertag. Dougherty vermittelt den Eindruck, echte Freude daran empfunden zu haben, eine Welt aus Kürbisköpfen, Bettlaken und rot-goldenem Blattwerk entworfen zu haben, ebenso wie er Jahre später mit „Krampus“ die eigentümliche Weihnachtsstimmung treffen würde. „Trick 'r Treat“ ist in Sachen Farben, Ausleuchtung und Setdesign konkurrenzlos herbstlich, romantisch-düster und vermeidet doch über weite Strecken den typischen Deko-Kitsch, für den gerade Halloween nur allzu empfänglich ist.

An diesen Qualitäten hat sich binnen zehn Jahren nichts geändert. Wie hoch das einzustufen ist, zeigt sich schon daran, dass es in dieser langen Zeit niemandem gelungen ist, an Doughertys Flickwerk vorbeizuziehen und ihm das Zepter zu entreißen. Vielleicht gelingt es Dougherty ja demnächst selbst mit „Trick 'r Treat 2“...
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Homesman
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In schillernder Breite thematisiert Tommy Lee Jones den unterprivilegierten Stand der Frau im Wilden Westen und damit einhergehend ihr Leid, das ebenso vielfältig wie herzzerreißend zur Ausgangslage erklärt wird. Männer, die sich auf die eine oder andere Weise von ihrer Führungskraft losgesagt haben und die Frauen durch ihre Abstinenz dazu verdammen, auf sich alleine gestellt in einer Welt zu überleben, die immer noch von patriarchalen Denkmustern durchzogen ist. Als Folge dessen sieht man Frauen, die über den Infektionstod ihrer Kinder den Verstand verloren haben und solche, die ein schreiendes Baby wie eine schwere Last im Plumpsklo versenken, um Erleichterung zu finden. Hilary Swank indes spielt eine vordergründig starke Frau, deren Schwächen allerdings gleich in der Eröffnungssequenz offengelegt werden: Sie findet wegen ihrer dominanten Art keinen Mann, der sie heiraten und mit ihr das Feld bestellen würde, wird also ganz direkt Opfer vorgezeichneter Gesellschaftsstrukturen, die starke Frauen einerseits nicht dulden und schwache Frauen im Stich lassen.

Dementsprechend leer, karg und öde fühlt sich die Kutschfahrt durch die endlosen Weiten der Prärie an. An der trostlosen Auslegung archaischer Muster hat der Regisseur seit „Three Burials“ (2005) wenig geändert. Oft ist weit und breit nichts zu sehen als der Horizont, einmal erwähnt Swanks Figur sogar, dass sie manchmal richtige Bäume vermissen würde.

An einem solchen trifft sie schließlich den von Tommy Lee Jones selbst gespielten Briggs, ebenfalls alleine gelassen auf seinem Pferd mit einem Strick um den Hals. Ab hier verändert sich die Dynamik der Geschichte erstmals und bei weitem nicht zum letzten Mal. Die episodische Anmutung des zweiten Abschnitts kann eine verwirrende Wirkung haben und in Ratlosigkeit münden. Wenigstens der harte, völlig unerwartete Cut etwa zur Filmmitte hin ist jedoch ein erzählerischer Kniff, der das gewählte Thema noch einmal mit aller Bitterkeit unterstreicht. Spätestens hier hebt sich Jones' vierte Arbeit auf dem Regiestuhl von allen Standards ab.

Spätere Episoden mögen die Wirkung Endresultats vielleicht wieder ein wenig verwässern... Die Begegnung mit Tim Blake Nelson mag noch dazu beitragen, den Beschützer und seine Fracht enger aneinander zu binden, die Hotelepisode allerdings sticht mit ihrer Note herb-zynischen Humors radikal aus dem Gesamtbild. Als dann kurz vor Ende noch Meryl Streep auftaucht, ist das vielleicht schon wieder zu viel der prominenten Gastbeiträge. Trotzdem brennt „Homesman“ als unkonventioneller, gesellschaftskritischer und dabei leicht sentimentaler Western lange nach.
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Ghost Stories
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Vermeintlich nur ein weiterer Anthologiefilm aus der Horror-Ecke, der kleine Gruselgeschichten um unerklärliche Phänomene assoziativ miteinander verbindet. Ein Detektiv (Andy Nyman, nicht etwa Martin Freeman, wie uns die Werbeabteilung weismachen will; der spielt nur eine Nebenrolle) fungiert als Tourguide bei einer Geisterbahnfahrt, die es weniger auf Blut als vielmehr auf hochstehende Nackenhaare abgesehen hat. Die präsentierten Geistergeschichten erzeugen beim Zusehen allesamt ein um sich greifendes Gefühl der Unbehaglichkeit, das der Ausbreitung von Kälte ähnlich ist und deswegen am besten im dunklen Wohnzimmer bei brennendem Kamin goutiert wird. Und das liegt nicht nur an den übernatürlichen Erscheinungen; schon die Erzähler irritieren den Gesprächspartner im Handlungsrahmen mit unberechenbarem Verhalten und unheimlichen Interview-Schauplätzen.

Die einzelnen Episoden ergeben im Sinne einer abgeschlossenen Pointe dabei noch wenig Sinn, ein Schuh wird erst draus, wenn man sie puzzle-artig miteinander kombiniert. Zu diesem Zweck wird viel Wert auf die formelle Ebene gelegt; man könnte sogar sagen, dass die Form den Inhalt aus dem Bild schiebt, je näher man der endgültigen Auflösung kommt. Rote Heringe verteilen sich wie Brotkrumen durch die einzelnen Geschichten. Geht es einmal noch um ein blasses Mädchen im gelben Kleid, das unerklärlicherweise durch eine alte Aufbewahrungsanstalt schleicht, taucht sie beim nächsten Mal in Form einer Puppe in einem Laufstall auf. Solche Überleitungen verteilen sich zuhauf über den gesamten Film, selbst die Rahmenhandlung bleibt von Schattenbildern aus dem Zwischenreich nicht verschont. Die Fassaden, die dem Film als Kulisse dienen, werden am Ende mehrfach durchstoßen; man gewährt uns sozusagen kurze Blicke hinter die Kulissen der Produktion, beziehungsweise hinter die Kulissen der Psychologie des Antwortsuchenden.

Wenn die Fäden schließlich alle miteinander verknüpft werden, ist natürlich auch viel Gimmickhaftes im Spiel. So manch bedeutungsvoll erscheinendes Filmrätsel entpuppt sich als semantisch leer. Falls bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgerungen, eröffnen sich spätestens jetzt Parallelen zu der traumartigen Atmosphäre vieler Stephen-King-TV-Filme, insbesondere wenn man an "Riding The Bullet" von Mick Garris denkt. Wer deren sonderbare Grundstimmung noch einmal in einer handwerklich hochwertigeren Umsetzung genießen möchte, ist bei "Ghost Stories" ohne Zweifel an der richtigen Adresse.
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Game Night
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Frontalansichten kleiner Häuser in beschaulichen Vorstadtgebieten sind eine klassische Lösung, wenn es um Establishing Shots in Komödien geht. So fühlt man sich auf Augenhöhe mit den Charakteren; man müsste im Grunde nur die Straße überqueren und könnte an die Tür klopfen. Bei "Game Night" wird hingegen in cineastischen Dimensionen gedacht: Aus Helikopterperspektive zeigt man uns den computergenerierten Modellbausatz eines amerikanischen Vororts mit perfekt gedeckten Hausdächern, portionierten Gärten und detailliert modellierten Miniaturbäumen entlang einer Straße, die in einer Kreisverkehr-Sackgasse endet. Der Clou: Das Ganze soll an ein Spielbrett erinnern. Als die Kamera schließlich in einer dynamischen Fahrt näher heranzoomt, werden die echten Darsteller sichtbar und das vermeintliche Spielfeld entpuppt sich als gelackte Spießer-Realität.

Ein brillanter Kunstgriff, rein konzeptionell betrachtet. Hitchcock hätte seine Thriller heute wahrscheinlich mit ähnlichen Mitteln präpariert, um doppelte Böden auszulegen, Twists zu garnieren und die Postmoderne zum Brettspiel zu erklären. Und es kommt noch besser: Aufwändig geplante Actioneinlagen in raffinierten Kamerawinkeln eingefangen, Knobeleien, die eher an Escape Rooms als an altbackene Schnitzeljagden erinnern, derbe Knalleffekte und der gelegentliche Ausritt jenseits der Grenzen der Comedy-Blackbox: Das moderne Zielpublikum bekommt ordentlich was geboten.

Nur ist Komödie leider immer ein bisschen eigen, was unterstützende Stilmittel angeht. Je mehr der filmische Rahmen an der Planung der Gags aktiv beteiligt ist, desto weniger Entfaltung bekommen die Darsteller zugesprochen. Comedians waren einmal das absolute Zentrum einer jeden Komödie; von Buster Keaton bis Jim Carrey bestimmten sie praktisch im Alleingang die Art des Humors. Jason Bateman und Rachel McAdams könnte man in diesem Event-Film hingegen relativ verlustfrei austauschen. Heute scheint jeder völlig besessen vom Nerdtum an sich zu sein; von extravaganten, individuellen Persönlichkeiten lässt sich das Publikum weniger anziehen. Und die Filmstudios reagieren darauf. Anstatt es einfach dabei zu belassen, dass sich eine Gruppe von Freunden gerne zu Spieleabenden verabredet, muss in einer Rückblende gleich noch gezeigt werden, dass sogar die Hochzeit von Max und Annie wie ein großer Spieleabend inszeniert war. Das kleinkarierte Spießbürgertum wird zum ironischen Party-Motto. Die Charaktere sind bei dieser Entwicklung aber die Leidtragenden. Sie werden bewusst auf eine einzelne Dimension reduziert, damit man das Produkt vermarkten kann als "der Film mit dem Spieleabend".

Diese Defizite sind allerdings eher eine Krankheit Hollywoods als dieser speziellen Produktion. "Game Night" zählt sicherlich trotzdem zu den besseren Komödien der letzten Jahre. Die Grundidee ist präzise ausgearbeitet, das Tempo ist schnell, die Besetzung hochkarätig und die Wendungen originell. Etwas Abrüstung der filmischen Hilfsmittel, ein wenig Vertrauen in die Alleinunterhalterqualitäten komödiantisch begabter Darsteller wäre allerdings auch mal wieder wünschenswert.
:liquid6:

The Disaster Artist
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Als Meta-Film über das Filmemachen ist "The Disaster Artist" interessanterweise ein Mahnmal für jeden ambitionierten Jungschauspieler, der sich dazu entschließt, nach Hollywood zu gehen. Der klassisch-amerikanische Aufbau eines typischen Road Movies vom Boden bis zur Spitze, mit dem traditionell eher die Imitation gefördert werden soll, täuscht keineswegs darüber hinweg. Auch wenn sich Tommy Wiseau am Ende in einer Dunstwolke aus später Anerkennung durch Verkultung wiederfindet, die Melancholie des Unerreichten steht dennoch im Raum. Wiseau ist eine durch und durch tragische Figur; und wenn diese Semi-Biografie eines richtig gut macht, dann die klaffende Lücke zu zeigen, die zwischen der Selbstwahrnehmung des Künstlers und der Fremdwahrnehmung durch sein Publikum besteht.

Szenen aus "The Room" werden nahezu 1:1 rekonstruiert und lediglich durch die ledernen Fratzen der Franco-Brüder und ihrer Co-Stars zur Parodie. Sie legen einen Ausdruck der Übertriebenheit an den Tag, der sich allerdings ganz schön strecken muss, um mit den Originalen mithalten zu können. Zwischen diesen nachprüfbaren Ausschnitten wird spekuliert und interpretiert, was das Zeug hält - in Hotelzimmern, auf Parties, am Straßenrand bei der Gedenkstätte von James Dean. Erfreulicherweise schert sich das Drehbuch einen feuchten Kehricht darum, wie überhaupt die Rahmenbedingungen für so eine ungewöhnliche Produktion zustande kommen konnten. Die Herkunft der Geldquelle, über die Wiseau verfügte, wird nicht weiter hinterfragt; insofern handelt es sich auch nur bedingt um eine Geschichte über die schwierigen Bedingungen in der Filmindustrie. Abseits der selektiven Auswahlprozesse der Hollywood-Mogule wird auch die kreative Selbstdarstellung des Künstlers hinterfragt.

Letztendlich ist gar nicht so einfach zu beantworten, ob "The Disaster Artist" nun dazu auffordert, den eigenen Träumen vom Filmgeschäft nachzujagen oder ob er davor warnt. Ohne Frage macht er neugierig auf den ominösen Film, um den sich alles dreht. Je nach persönlichem Gefallen oder Missfallen entscheidet man dann vermutlich selbst über die Antwort.
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Aus dem Nichts
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Scheinbar unvermittelt bricht der Horror ins Leben ein. Eine Sekunde verändert alles. Vor einem Büro für Steuern und Übersetzungen explodiert eine Nagelbombe und löscht eine Familie aus. Übrig bleibt nur eine Mutter und der verzweifelte Wunsch nach Gerechtigkeit.

Der Titel "Aus dem Nichts" beschreibt eine Ohnmacht, die darin liegt, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, ohne noch in den Verlauf eingreifen zu können. Nicht zuletzt beschreibt er eine gewisse Naivität in Bezug auf die Annahme, der Rassismus könne inzwischen besiegt worden sein. Vielleicht handelt es sich dabei aber sogar um die bewusst gefällte Entscheidung, die Augen zu verschließen vor dem Hass gegenüber dem Fremden, der schon immer im Verborgenen gelauert hat. Fatih Akin zeichnet dabei ein recht vages Modell der Xenophobie, indem er die Beweggründe für die Tat im Abstrakten lässt. Womit er letztlich eindeutige Stellung bezieht: In die Position eines Menschen, der andere Menschen aus niedrigen Beweggründen tötet, kann und will er sich nicht hineinversetzen.

Man könnte Akin vorwerfen, dass er viele Eimer schwarzer und weißer Farbe benötigt, um die Grautöne auf die Leinwand zu bringen. Gerade die Szenen vor Gericht provozieren die Empörung regelrecht mit himmelschreienden Ungerechtigkeiten und arroganten Strafverteidigern (jedes abschließende "Danke" aus dem Munde von Johannes Krisch nach Abschluss seiner dünnen Vorträge brennt wie Feuer auf der Haut). Deutlich als "gut" oder "böse" konnotierte Figuren (der Anklageanwalt und der Vater des Täters beispielsweise auf der einen Seite, die Täter selbst und ihre Helfer auf der anderen) besetzen das Spielfeld wie in einer Kriegssituation. Später gerät das im Ansatz so realistische Drama sogar zum hollywoodreifen Selbstjustizthriller. Dennoch gelingt es dem Regisseur, viele kleine Konflikte einzubauen, die wie ein chemischer Bauplan zur Eskalation funktionieren: Überforderte Beamte, ein handlungsunfähiges Justizsystem, soziale Missstände, die Tücken sozialer Medien und Reibungspunkte zwischen den unterschiedlichen Religionen verbinden sich zu einer gefährlichen Mischung, die in diesem Fall zu irreversiblen Geschehnissen führt.

Darüber hinaus versteht es Akin wie derzeit kaum ein zweiter Filmemacher in Deutschland, Empathie für die Figuren zu erzeugen und die Tragik nacherlebbar zu machen. Zu verdanken hat er das allerdings auch einer herausragenden Leistung Diane Krugers, vielleicht sogar der besten, die sie jemals gezeigt hat. Ihre Auftritte wirken so ungeschminkt und direkt, dass sie auch dabei helfen, die aus dramaturgischen Gründen überspitzt dargestellten Ereignisse der zweiten Hälfte in portionsgerechte Stücke zu schneiden.
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I, Tonya
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Eher ein zynischer Kommentar zur Gattung des biografischen Films im Allgemeinen als ein Charakterportrait über eine White-Trash-Eisläuferin ist "I, Tonya" geworden. Schon dadurch hebt er sich wie ein schwarzes Schaf von der weißen Herde verklärender Personenkulte ab, denen man in dieser filmischen Spielart immer wieder begegnet. Es ist aber kein Klamauk wie "Walk Hard", der mit dem Publikumswissen über andere populäre Biografien spielt und offensiv Witze über das Offensichtliche reißt; vielmehr geht es darum, die narrativen Mechanismen dieser Filmsorte zu entziffern, auseinanderzunehmen und nonkonform wieder zusammenzusetzen. So sehen wir also eine Pechmarie aus dem niedersten Proletariat als Titelfigur in einem Konstrukt, das für Heldinnen gezimmert ist; wir erleben häusliche Gewalt, die mit Coen'schem Humorverständnis verharmlost wird anstatt mit Tragik beschwert; und eine Kleingangsterballade eingebettet in den Kontext der Olympischen Winterspiele 1994, einer Zeit, die absolut authentisch anhand von Ausstattung und Mode wieder zum Leben erweckt wird.

Kein Zufall, dass dieser widerspenstige Ansatz die Person Tonya Harding im Endeffekt doch wieder perfekt beschreibt, denn es sind ja gerade die widersprüchlichen Aussagen aus den Interviews mit ihr, ihrer Mutter und ihrem Ex-Mann, die überhaupt dazu inspirierten, die Disziplin "Biopic" so radikal neu anzugehen. Robbie, Stan und Janney mögen postmodern wie frühe Tarantino-, Ritchie- oder eben Coen-Charaktere erscheinen, doch selbst dies passt ja zum behandelten Zeitabschnitt, der zugleich die Erfolgsstunde von "Pulp Fiction" und seinen Thronfolgern war. Die Ambivalenzen, die man gegenüber Harding empfindet, liegen folglich nicht bleischwer im Magen, sondern gehen mit dem befreienden Gefühl einher, dass nicht immer alles bis ins letzte Detail aufgelöst werden muss. Scheiße passiert eben manchmal einfach.
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Downsizing
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Dass Alexander Paynes Ausflug ins Fiktionale durchaus einen Versuch wert war, zeigt zumindest die erste Hälfte. Wie von diesem Regisseur zu erwarten, nimmt er das SciFi-Element "Schrumpf-Technik" nicht als Anlass für fröhliche Effekttreiberei, sondern stellt sie einfach als zusätzlichen Regler zur Lösung ökonomischer Probleme auf dem längst schwer belasteten Planeten Erde zur Verfügung. Er zeigt modellartig auf, welche Konsequenzen die Erfindung und der Gebrauch einer solchen wissenschaftlichen Errungenschaft hätte. Zwar berücksichtigt "Downsizing" bei weitem nicht alle Parameter wissenschaftlicher, sozialpolitischer und biologischer Fragestellungen, aber doch genug, um ein glaubwürdiges Szenario zu erschaffen, das mit vielen kleinen Details und der Berücksichtigung von Unwägbarkeiten zum Leben erweckt wird. Eine neues Rassendenken wird angedeutet (die endgültigen Konsequenzen eines solchen Denkens können in einem einzelnen Film natürlich nicht vollständig abgehandelt werden), Gottkomplexe der Wissenschaft analysiert, die hedonistische Lebensweise des Menschen vorgeführt. Der Verkleinerungsprozess selbst wird interessanterweise wie ein "kleiner Tod" inszeniert, mit schmerzvollen Abschieden von den groß gebliebenen Verwandten und Freunden und der Unsicherheit, was den Patienten auf der anderen Seite erwartet.

In der zweiten Hälfte lässt sich Payne allerdings zu sehr von den schrullig geschriebenen Figuren überwältigen und für Handlungsdetails einnehmen, die angesichts der grenzenlosen Möglichkeiten im Umgang mit der Thematik wie Peanuts erscheinen. Natürlich erzeugt das Quartett aus Matt Damon, Christoph Waltz, Rolf Lassgård und Hong Chau aus komödiantischer Sicht viel Dynamik und sorgt durchgehend für Amusement, der Plot scheint mit zunehmender Zeit jedoch von der viel interessanteren Makroperspektive abzurücken und sich nur noch auf die Befindlichkeiten seiner Hauptfiguren zu konzentrieren. So schön die norwegische Natur als Schauplatz für das Schlusskapitel auch anzusehen ist, am Ende hat man das Gefühl, wider Willen vom Handlungsfokus fortgerissen worden zu sein - und niemals zu erfahren, wie und warum der Mensch sich tatsächlich selbst zerstört. So gesehen ist "Downsizing" näher an der Realität dran, als ein Film vielleicht sein sollte...
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Lady Bird
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An den Eckpfeilern des Coming-Of-Age, in diesem Fall seiner Unterkategorie "Coming-Out-Of-The-Boondocks", ändert auch Greta Gerwig nichts. Die aufrührerische Teenagerzeit der rebellischen Lady Bird lässt sich im Rückblick bequem auf jugendliches Trial-and-Error reduzieren. Es ist wieder eine Reise voller falscher Abzweigungen, an deren Ende die unvermeidliche Erkenntnis steht, dass man vielleicht doch einen naiven Blick auf die Welt hatte. Das ist eine universelle Erkenntnis, die für das Sacramento aus dem Jahr 2002 ebenso gilt wie für jeden anderen Platz und jede andere Zeit. Deswegen fungiert die autobiografische Verortung mit Songs aus den 90ern und ohne den technologischen Fortschritt des 21. Jahrhunderts wie ein beliebiges Exempel für eine Wahrheit: Filme über weibliche Teenager nehmen stets den gleichen Verlauf, genauso wie es eben solche über Männer in der Midlife-Crisis tun oder alleinerziehende Mütter - weil der Mensch trotz seiner individuellen Ausformungen am Ende immer den gleichen Mustern folgt.

Doch gerade weil jedes Drama über das Aufwachsen in der Provinz grob dieselben Motive aufgreift, ist es Gerwig hoch anzurechnen, dass sie einen ganz eigenen Aussdruck findet, um ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die immer noch so schrecklich junge, für den Independent-Film aber fast schon ikonenhafte Saoirse Ronan hat bei der Annahme der Rolle wieder den richtigen Riecher bewiesen, ist "Lady Bird" doch nicht bloß ein einfacher Print einer rebellischen Göre, die sie bei weniger sorgfältiger Figurenzeichnung einfach hätte werden können, sondern ein Ausbund an Persönlichkeit, voller Alleinstellungsmerkmale gegenüber ihren Altersgenossinen, und das, obwohl sie ihr Handeln und ihre selbst erwählte Identität voll und ganz nach Klischees ausrichtet, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Das führt dazu, dass die Regisseurin bei der Verfilmung ihres eigenen Drehbuchs völlig unverbindlich durch die kurzlebigen Entwicklungsphasen ihrer Hauptfigur hechtet, einzelne Szenen nicht einmal mehr miteinander verknüpft, sondern zur Seite schiebt wie Wegwischbilder. Ewige Freundschaften enden einfach so aus dem Nichts, um ebenso unproblematisch wieder aufgenommen zu werden; Ideale und Überzeugungen verkehren sich durch kleine Erschütterungen des auf Stelzen erbauten Weltbilds ins Gegenteil. Die Theatralik von heute ist morgen bereits wieder vergessen. Obwohl dadurch auch sehr harte Themen angegangen werden, die normalerweise schwer auf einer Handlung lasten, gelingt es Gerwig auf diese Weise, ein leichtfüßiges Seherlebnis zu erzeugen; außerdem zeichnet sie Lady Bird damit als einen Menschen voller Fehler, der akrobatisch zwischen totalem Selbstbewusstsein und vermindertem Selbstwertgefühl balanciert und bei diesem Balanceakt allerhand falsche Entscheidungen trifft.

Die Zielgruppe schränkt sich natürlich schon durch das Thema massiv ein, doch selbst wer sich nicht dazu zählen würde, ist vermutlich dazu in der Lage, einen Blick hinter die Klischees des Coming-Of-Age zu werfen und mehr darin zu sehen als die Oberfläche.
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Krakatit
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Von bestechender Alptraumlogik in Bewegung versetzt, irrt Karel Čapeks Romanfigur 26 Jahre nach ihrer Erfindung durch ihre eigene Verfilmung und hadert mit den weitreichenden Konsequenzen ihrer Entdeckungen. Die Odyssee des Sprengstoff-Entdeckers Prokop beginnt mit gemäßigtem Surrealismus an einem Flusssteg unter Laternenschein, der bisweilen an die verschwommenen nächtlichen Idyllen der Filme von Orson Welles erinnert. Leicht scheint auch der deutsche Expressionismus durch, ebenso wie die Melancholie des poetischen Realismus von Frankreichs Häfen. Otakar Vávra liefert eingeschwärzte Bilderbögen, die Karel Höger als luzider Traumwandler mit Selbstzweifeln torkelnd durchstreift. Er ist sich seiner selbst bewusst sowie der Rolle, die er spielt, doch weiß er nicht, ob seine Träume reine Illusionen sind oder Abbilder des tatsächlich Erlebten.

Nach Vollendung des so stimmungsvoll initiierten ersten Akts verliert Vávra das Unwirkliche zunächst leider ein wenig aus den Augen, als er sich darauf konzentriert, die Story zu erden und mit handfester Kriegspolitik zu verknüpfen. Diese Entwicklung ist in ihrer aufrüttelnden Wirkung gleichbedeutend mit einem gewaltsamen Erwachen aus der REM-Schlafphase; um so ungewöhnlicher, dass „Krakatit“ in einigen Einstellungen der zweiten Hälfte trotzdem wieder surreal wird, diesmal im regelrecht kafkaesken Ausmaß. Der Regisseur hebt diese Momente der Abkehr vom Linearen oftmals hervor wie gerahmte Ausstellungsstücke. In einer Sequenz beispielsweise verliert eine Frau ihre Gesichtszüge - nicht nur ein trickreicher Spezialeffekt, sondern durch Spotlight-Beleuchtung und die vom Fokus zurückweichende Kamera außerdem als Klimax inszeniert. An anderer Stelle hetzt der Protagonist als Silhouette über einen offenen Platz, der in lächerlich große Betonplatten gerastert ist und das Ziel, eine Fabrik am Horizont, unerreichbar scheinen lässt.

Mit solchen surrealistischen Kunstgriffen wird bezweckt, den Kontrollverlust und die Machtlosigkeit des Entdeckers gegenüber seiner Entdeckung zu veranschaulichen. Jede von Prokops Handlungen scheint vergiftet mit dem Kassandra-Syndrom, zu wissen, dass etwas Grauenvolles an die Oberfläche gerungen ist, gepaart mit der Unfähigkeit, die schrecklichen Folgen eindämmen zu können. Das macht „Krakatit“, benannt nach einer Vulkaninsel, die sich durch eine gewaltige Eruption Ende des 19. Jahrhunderts selbst zerstörte, natürlich zur brennenden Allegorie auf und Warnung vor dem Krieg, insbesondere jenem unter der Verwendung von Waffen, die der Mensch nicht unter Kontrolle hat (namentlich: Die Atombombe).

Die Überbetonung symbolischer Bemühungen wird Vávra in Kritiken gerne angelastet. Man neigt dazu, sich dieser Position anzuschließen, wenn die mehrdeutigen Subtexte der Vorlage für eine „filmische Botschaft“ eingedampft werden, die auf ähnlich einfachen Argumentationsverstärkern basiert wie ein „The Day The Earth Stood Still“, der wenige Jahre später in Amerika erschien. Und doch tut man ihm damit vielleicht Unrecht. Wenn Prokop seiner Angebeteten erläutert, dass jeder Stoff explosives Potenzial in sich trägt, während sie sich das Gesicht mit Puder schminkt, wird in kleinen Gesten das Bewusstsein für Existenz und dessen chemische Grundlagen erweitert. Dann klärt sich die Frage nach Traum oder Wirklichkeit direkt vor unseren Augen.
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Sing
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Um das gleich vorab zu klären: Regie, Animation und Character Design dieses ebenso turbulenten wie knallbunten Abenteuers durch die Welt der Popmusik bietet kaum Angriffsflächen. Mit dynamischen Fast-Motion-Schwenks durch die überfüllten Straßen, die dank hupender Autos und einem Sammelsurium an unterschiedlichsten Passanten alleine schon unheimlich viel Leben in den Film bringen, werden die Lebenswege ausgewählter Charaktere auf organische Weise miteinander verknüpft und zu einem Ziel geführt, das nach altem Regelwerk der Dramaturgie eine Massenveranstaltung sein muss, hier in Form einer Show rund um Tanz und Gesang. Die Story konzentriert sich gemäß des gewählten Themas auf starke Gegensätze; eine kleine Maus mit gigantischem Ego etwa im Kontrast zu einem Elefantenmädchen ohne Selbstbewusstsein, eine Rockröhre mit Pop im Herzen oder ein Gorilla, der nicht in die Fußstapfen seines kriminellen Vaters treten will. Die Anthropomorphismen der mit Tieren bevölkerten Fantasie-Großstadt wird anders als in "Zoomania" nicht subversiv durchleuchtet, sondern einfach als Stilmittel verwendet, um Charakterzeichnungen zu verwenden, die man ebenso gut in einem mit Menschen gedrehten Realfilm hätte unterbringen können; tatsächlich ist "Sing" in gewisser Weise sogar die animierte Variante des ebenfalls gerade erst erschienenen "The Greatest Showman".

Im Zuge dessen interessiert sich der hauptsächlich auf Kinder und jüngere Heranwachsende abzielende Animationsfilm leider kaum wirklich für die "echten" Persönlichkeiten, sondern nur für die jeweiligen Bühnenfiguren, auch wenn er Gegenteiliges propagiert. Eine Vielfalt von Arten und Persönlichkeiten jedenfalls wird nicht erreicht, wenn man die Bühne als einzig nennenswerte Endstation individueller Entfaltung darstellt - das ewige Missverständnis des TV-Formats "Castingshow" und somit auch dasjenige dieses Films, der sich zudem der Altehrwürdigkeit des Theaters bedient, um die Kurzlebigkeit beliebiger Pop-Schnulzen zu zelebrieren. Der Soundtrack verfügt zwar über einige gute Nummern, verwässert diese aber mit belangloser Instant-Suppe aus dem Zufallsgenerator, wie er nun schon seit fast 20 Jahren die kontemporäre Popmusik dominiert.

Anders als ein "Greatest Showman" kann "Sing" aber zumindest streckenweise auf den Charme der Tierwelt zählen, der im Zusammenspiel der Spezies zumindest hin und wieder ein paar Lacher zu provozieren weiß. Und die obligatorische Gesangsnummer für den Abspann ist dieses Mal dank der Thematik ausnahmsweise nicht völlig aus der Luft gegriffen...
:liquid4:

Shocker
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Die Blaupause, die Wes Craven mit seinem Horrorklassiker "A Nightmare On Elm Street" schuf, erwies sich als reichhaltig genug, um im Laufe der Jahre sechs Fortsetzungen, ein Crossover und ein Remake mit ihr zu nähren. Dabei erkannte Craven ihre wahre Fülle bereits 1989, als er aus ihr gleich einen weiteren, einen Nicht-Freddy-Schocker modellierte, der unter gewissen Umständen ebenso einfach zur Reihe hätte geraten können. "Shocker", der Teenager-Schreck mit dem Elektro-Mann, orientiert sich nur allzu offensichtlich an der Rubberband-Reality aus den Teenager-Alpträumen mit dem Messerhandschuh-Mann, als dass man ihm einfach eine zufällige Ähnlichkeit unterstellen könnte. Nein, was Craven hier macht, ist bewusstes Arbeiten nach vorhandenen Konstruktionsplänen.

Dabei würde man "Shocker" nicht in seiner Gänze erfassen, stempelte man ihn als einfallslosen Freddy-Klon ab, der nach Nummer-Sicher-Fahrplan vorgeht. Der Reiz liegt ja schließlich gerade darin zu erleben, wie und in welchen Punkten der Meister von seiner bewährten Rezeptur abweichen würde. So lässt das Gesamtkonzept zwar in vielen Aspekten an die Markenzeichen der "Nightmare"-Serie denken. Das beginnt schon beim narrativen Aufbau und der Charakterisierung des Monsters, das in einer für Horrorfilm-Antagonisten ungewöhnlich intimen Eröffnung den Zuschauer daran teilhaben lässt, wie ein vergleichsweise gewöhnlicher Mann aus der unteren Mittelschicht (hier ein Hausmeister, dort ein TV-Techniker) durch seine ausgelebten Triebe zu etwas Unmenschlichem mutiert. Die Parallelen reichen hinein bis in die Bildkomposition bestimmter Szenen; wenn ein Zimmer mit blauem Licht geflutet wird, die weißen Vorhänge wehen und ein Mordopfer des Killers als blutbesudelte Geistererscheinung aus der Badewanne tritt, steht man bereits mit einem Bein in Freddys Twilight Zone.

Und doch begnügt sich Craven nicht mit der reinen Wiederholung, sondern bringt neue Elemente ein, die "Shocker" zu einem eigenständigen Erlebnis machen. Die Medienkritik ist beispielsweise ein permanenter Begleiter im Drehbuch (und bereitet so bereits gewisse Schwerpunkte aus der "Scream"-Reihe vor). Sie sorgt für ein selbstreferenzielles Verständnis der eigenen Materie und erlaubt es dem Regisseur insbesondere im Finale, völlig steil zu gehen und den konventionellen Weg klassischer Slasher-Filme durch die exzessive Nutzung phantastischer Elemente weit hinter sich zu lassen. Das Zapping durch die amerikanische Wohnzimmerunterhaltung der spätern 80er mag tricktechnisch schlecht gealtert sein, wirbelt Mitch Pileggi (der früher gerne punkig-fiese Rollen angenommen hat, bevor er als FBI-Direktor Skinner in "Akte X" einen völlig anderen Weg einschlug) doch wie ein Copy-and-Paste-Männchen begleitet von elektrischem Leuchten durch die Dimensionen und kabbelt sich mit einem torfnasigen Football-Jugendstar (Peter Berg), was die ganze Chose per se schon ins Komödiantische zerrt, weit mehr als der erste "Nightmare", der mit seinen infernalischen Heizungskellern, Blutfontänen und den Kratzgeräuschen von Metall auf Blech ungleich düsterer und ekliger ausfiel.

Natürlich kommt der Kabelmann trotz seiner Fähigkeiten im Leben nicht an die ikonische Strahlkraft des Pizzagesichts mit dem Ringelpulli heran, womit "Shocker" völlig zu Recht im Schatten seines Ursprungs geblieben ist. Andererseits ist es doch hochinteressant zu sehen, wie man erfolgreiche Rezepte zur Grundlage für experimentelle Neukreationen verwenden kann.
:liquid6:

Death Machine
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Wenn man nicht gerade Lust hat, die echten 90er-Jahre-Klassiker aus der heiligen Dreifaltigkeit Action, Horror und Science Fiction durchzuackern, kann man sich auch einfach zwei knappe Stunden "Death Machine" gönnen... und bekommt puren 90er-Zeitgeist hochkonzentriert im Mixer püriert und in den Thermobecher eingefüllt. Ängste aus Kabeln und Metall, nichts beschriebe das Genre-Kino dieser Zeit treffender als die Entfremdung vom Fleischlichen, wie es die 80er noch geprägt hatte. Der neue Feind ist die Technologie, seine Abgesandten sind Killerroboter und Hacker. Da passt es doch, wenn man Ikonen wie den Terminator oder RoboCop zu etwas Monströsem aufbläst, in diesem Fall eine von sensorischen Reizen getriebene, völlig gefühllos agierende Tötungsmaschine in Form eines überdimensionalen Raubtiers, dem man weder eine Kugel in den Kopf jagen noch ein Messer in den Brustkorb rammen kann.

"Death Machine" hat einfach alles, was seine Referenzen einst zur Vorgabe machten: Skrupellose Manager und Karrieristen, knallharte Special Forces, einen fiesen Sonderling und Nebenfiguren, so offensichtlich nach bekannten Regisseuren und Filmfiguren benannt, dass es schmerzt. Das gesamte Setdesign lebt von anonymen Büroflächen, die nach und nach von dem einen großen Spezialeffekt niedergerissen werden wie Träume von einer zivilisierten Zukunft in einer digitalisierten Gesellschaft. Der Techno-Vibe, den Regisseur Stephen Norrington später auch "Blade" beimischen würde, pulsiert bereits mit Hochdruck, während Brad Dourif als Freak mit kränklichem Teint in einer Zentrale voller Schmuddelheftchen und Actionfiguren die Anzugträgerschaft gehörig auf Trab hält mit einer Erfindung, die wie eine Verlängerung seines Intellekts funktioniert. Wie üblich schlägt hier die Intelligenz des befremdlichen Außenseiters die Schaumschlägerei des Restfelds, einhergehend mit der Erkenntnis, dass Vertrauen in die Kontrollierbarkeit neuer Technologie so naiv ist, dass man genauso gut dem Inneren von Pandoras Box einen Freischein erteilen könnte.

Natürlich ist das alles kreuzblöde, aber dank der effektvoll montierten Spezialeffekte (in Sachen On-Set-Tricks sticht der Kampf in einem Aufzug heraus, ansonsten wird viel fehlendes Budget mit Schnitttechniken und Monster-Vision kaschiert) und der gellenden Selbstironie darf man dieses Worst-Of-Best der wichtigsten Genrewerke der 80er und 90er fünfzehn Jahre nach dem als nahe Zukunft gesetzten Handlungsjahr 2003 durchaus mit dem Schmunzeln nehmen, das ihm gebührt.
:liquid6:

Vampire gegen Herakles
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Wenn Mario Bava den Pinsel führt, impliziert seine Strichführung stets die Entkopplung von den grauen Vorgaben der Realität. An das Machbare muss er sich ebenso wenig halten wie er die griechische Mythologie adäquat abbilden muss. Unendliche Vorräte an Styropor und Farbe verleihen ihm die Macht, die Welt in alle möglichen Farben und Formen zu gießen, sie elastisch zu gestalten und mit der Fähigkeit auszustatten, ihre Erscheinung von einer Szene zur nächsten völlig zu verändern. Kaum liegen Herkules und sein Freund Theseus lachend auf einer Wiese und erfreuen sich am Leben, da hängen sie plötzlich an einem Seil über brodelnder Lava in der Unterwelt. Oder sie springen in einer von Pappfelsen abstrahierten Studiokulisse ins Ungewisse, um einen Schnitt später bei Tageslicht in einem See zu landen, der ganz offensichtlich nicht zu den Studiobauten gehört, von denen man noch Momente zuvor umgeben war. Zwischen diesen teils radikalen Wechseln von Bildhintergründen liegen oft nur wenige Sekunden, wenn nicht gar Wimpernschläge. Heimatfolklore und Unheimliches aus dem Schattenreich gehen Hand in Hand. Man glaubt schon bald, wie ein Grashüpfer in einer Galerie von einem Gemälde zum nächsten zu springen. Während man mit einem Bein noch in Renoirs impressionistischen Wiesenbüscheln steht, tritt man mit dem anderen bereits in die Pfütze einer zerfließenden Uhr aus dem Repertoire Dalís.

Natürlich ist das bezogen auf die visuelle Komponente Bava mit Haut und Haar, auch wenn sich die Produktionsvorgaben offensichtlich wie ein Korsett um die Farbenpracht zwängen, das der gleichzeitige Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann auch mit der ungewöhnlich klingenden Paarung aus Sandalen- und Vampirfilm nicht zu sprengen versteht. Die chauvinistischen Absonderungen Giorgio Ardissons sind in ihrer Schärfe durchaus bemerkenswert, ebenso wie die widerstandslose Fügung des Frauenbilds in diese Richtungsvorgabe. Es gibt sogar viel schwarzen Humor, mit dem die allgegenwärtige Dunkelheit von Tod und Missgunst überspielt wird. Inhaltlich lässt sich aber kaum mehr aus der Heldenposse ziehen als aus jedem beliebigen Low-Budget-Epos, das irgendwann mal im Italien der 60er und 70er Jahre entstanden ist.

Doch gerade wegen des leuchtenden Neuanstrichs altbackener mythologischer Schinken schaut man sich "Vampire gegen Herakles" ja heute noch an. Auch wenn die Genre-Paarung aus dem Titel nicht ganz so absurd ist, wie sie zunächst klingt (Herkules hat schließlich schon Gegner von ganz anderem Format zur Strecke gebracht), sie hält auf gewisse Weise doch genau das, was sie verspricht: Fragmente des gotischen Horrorfilms eingebettet in eine griechische Tragödie von wahrhaftigem Schenkelklopferformat.
:liquid7:

Todesschrei des gelben Tigers
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Für den „Todesschrei des gelben Tigers“ lässt Vielfilmer Chang Cheh seinen hüpfenden und chargierenden Venom Mob in ein wahres Wechselbad der Gefühle tauchen. Die Eröffnung hinter den Credits ist noch wie ein Theaterstück nach einer klassischen Tragödie geschrieben, die Reduktion des Sets auf die Kämpfer und ihre Bewegungen in minimalistischer Kulisse hat sogar eine beinahe opernhafte Anmut. Der Kampf um Leben und Tod vereint berühmte Volkshelden und Unterdrücker der chinesischen Geschichte auf dem Schlachtfeld, das durch Stilmittel wie den Freeze Frame mitten in der Bewegung eine besonders irreale, aber eben auch betont filmische Wirkung bekommt.

Als daraufhin in die Haupthandlung gewechselt wird, kann man ob des Wechsels in exzessive Taugenichts-Comedy irritiert sein. Der Tonfall schwingt von fatalistischer Betrübnis übergangslos in eine Posse über gelangweilte Lausbuben (Lo Mang, Kuo Chui), die den ganzen Tag nur Unsinn im Kopf haben und davon träumen, ihren langweiligen Jobs zu entfliehen, um sich in den Dienst einer ehrenhaften Sache zu stellen. Die Studiobauten bewahren dabei stets ihren künstlichen Charakter, sie verhehlen ihren gefertigten Charme nie und bieten sich somit als vielseitiges Trainings- und Kampfareal an. Der Mob hat gerade im Mittelteil einen seiner humoristischen Gipfel zu erklimmen und verbindet diesen mit lockeren bis spielerischen Kampfchoreografien.

Diese erfüllen letztlich wenig überraschend einen Trainingszweck für den Ernstfall, der mit einem überlangen, äußerst abwechslungsreich inszenierten Martial-Arts-Finale zur Stimmung des Auftakts zurückkehrt. Die Konstellation leiht sich dabei Elemente des Samurai-Klassikers „Die glorreichen Sieben“ und resultiert standesgemäß in einer pathetischen letzten Einstellung.

Da steckt nicht allzu viel dahinter, aber Cheh gelingt zwischen den Stimmungsschwankungen immerhin ein temporeiches, mit flottem Kung-Fu-Krawall gespicktes Besatzungsabenteuer auf engem Raum, das seine primitiven Unterhaltungsabsichten erfreulicherweise nicht hinter einer prätentiös in die Länge gezogenen Geschichte verbirgt.
:liquid6:

The Mermaid
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Eine infantile Fantasy-Romanze über Meermenschen, inklusive werbetafelgroßer Umwelt-Message... mag sein, dass ein westliches Publikum hier vielleicht gerade noch halbinteressiert die Ohren spitzt, seit "Aquaman" im Kino läuft, aber grundsätzlich bekommt man mit so etwas vermutlich nur ein paar Märchenfreunde vor der Mattscheibe versammelt, die gerne hören, dass am Ende alles gut wird.

Doch wenn ein Mann dafür geschaffen ist, dem kitschigen Feelgood-Movie in Zeiten ambivalenter Kinocharaktere zu einem Comeback zu verhelfen, dass ist das wohl Stephen Chow. In diesem Leben wird der "Kung Fu Hustle"-Regisseur wohl nicht mehr erwachsen, was ihm alle Zeit der Welt verschafft, seinen Blick aus naiven Kinderaugen zu schärfen.

Optisch unterscheidet sich "The Mermaid" zunächst kaum von den Gloss-Picture-Produktionen, die typischerweise den Teil des chinesischen Blockbusterkinos bestimmen, der gen Westen herüberschwappt. Farben wie aus der gemischten Süßwarenabteilung, digital weggewachste Strukturen und eine grundsätzliche Linienführung, die einem lachenden Mondgesicht entspricht. Trotz ein, zwei gezeigter Grausamkeiten am Leben unter dem Meer fühlt sich Chows Regie weich wie ein Daunenbett an, so dass selbst die unfreiwillige Selbstverstümmelung eines Oktopus-Mannes so unschuldig erscheint wie der Anblick eines pausbäckigen Kindes, das in seinen kandierten Apfel beißt.

Die Spezialeffekte dürfen in diesem Zusammenhang dann auch sehr unfertig aussehen, solange sie nur gehörig Schwung erzeugen, was über furiose Kamerafahrten geschieht, mit denen beispielsweise eine halb im Wasser stehende Halfpipe zur Sprungschanze mit Wasserspritzgarantie umfunktioniert wird. Die äußerst befremdlichen Arbeitsnachweise der CGI-Künstler tragen sogar entscheidend zur Comedy bei, mit der es Chow letztendlich wieder gelingt, sich von den langweilig perfekten Produktionen der heimischen Konkurrenz abzuheben. Man kann kaum anders, als den unbeholfen watschelnden Flossen der Hauptfigur mit Faszination zu folgen, zumal auch die Casting-Abteilung ihren Job bei der oberen Hälfte der Meerjungfrau hervorragend gemacht hat, denn Newcomerin Lin Yun bringt nicht einfach nur Niedlichkeit mit, sondern ein auch ein ausgeprägtes Gespür für komödiantisches Timing.

So nimmt Chow romantische Gefühle und den klassischen Romeo-und-Julia-Komplex mit unnachahmlicher Leichtigkeit, die es ihm erspart, mit allzu ironischem Gebahren auf RomComs und Plots mit durchschaubarer Schwarzweißzeichnung zu reagieren, um sich von ihnen abzuheben. Das ist Kitsch, der sich ausnahmsweise mal wieder gut anfühlt.
:liquid7:

Lord Of Illusions
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Clive Barkers Adaption seiner eigenen Kurzgeschichte ist als blinder Sturz in die zylindrische Dimension der Magie angelegt. Leben und Tod werden nur noch als Durchgangsportale verstanden, reflektiert durch ein hervorragendes Setdesign und pointiert eingesetzte Splatter- oder anderweitige Spezialeffekte. Die Kulissen werden bestimmt von Rissen im Putz und Löchern in den Wänden, die symbolisch einen Blick auf die Dornen hinter den Rosenblüten erlauben, sowie abstrakten Gebilden aus Knochen und Fleischresten, die eine Trennung von Geist und Fleisch behaupten. Die Pole des Schmerzes und der Lust werden auf diese Weise wie schon in den anderen Regiearbeiten Barkers miteinander verbunden, wobei die Lust diesmal von der Macht über das Publikum herrührt, oder mehr noch, von der Erhebung über die Gesetze der Physik.

Der Versuch, Detective-Noir-Versatzstücke mit Horrorvisionen und einer enormen Bandbreite an illusionistischen Tricks zu verknüpfen, ist aus der Retrospektive heraus betrachtet ein tollkühnes Unterfangen und zeichnet den Horrorfilm nachhaltig als eines der experimentierfreudigsten Genres aus. Die rasanten Schauplatz- und Stimmungswechsel, etwa vom fiebrig inszenierten Auftakt in der Mojave-Wüste mit hartem Schnitt ins verregnete Chicago und von dort ins sonnige L.A., verhindern möglicherweise die Ausbreitung einer in sich geschlossenen Atmsophäre, verdichten die Ermittlungen des Privatdetektivs aber zu einer Spirale aus Irrwegen, aus der man eine Inspiration durch die Noir-Filme der 30er und 40er Jahre ablesen kann.

Bakula schlägt sich unerwartet gut mit Dreitagebart, Unterhemd und Schulterholster; ebenso wurden Famke Janssens Qualitäten als Femme Fatale schon in frühen Jahren entdeckt. Gleichwohl begrenzen sich die wirklich gelungenen Aspekte der Story auf die visuelle Gestaltung. Stutzt man "Lord Of Illusions" auf die nackte Handlung zurück, wird man auf einen recht dünnen Plot stoßen, der mit all seinen Ablenkungsmanövern und Zauberstücken nicht verbergen kann, dass ihm bloß eine Kurzgeschichte zugrunde liegt.

Aber warum sollte man eine solche Reduzierung vornehmen, wenn Regie und Ausstattung so betörend ausfallen, dass selbst die hoffnungslos veralteten CGI-Effekte einer sich im Raum entfaltenden Entität den kruden Genre-Mix aus Okkultem, Surrealistischem, Kriminalfilm und transzendentalem Körperhorror irgendwie bereichern - als glatte, nichtorganische Fremdkörper, die aus einem völlig anderen Universum stammen müssen.
:liquid7:

The Expanse - Season 1
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Für einen einfallsreichen und mit recherchiertem Wissen ausgestatteten Romanautoren ist es ein Leichtes, die Requisiten für seine Vision zu beschaffen. Asteroidengürtel-Bergbau? Ein besiedelter Mars? Er muss sie bloß beschreiben und schon existieren sie (die verlebte Erde voller Umweltkatastrophen und verstrittener Parteien, nun, dafür braucht es nicht einmal mehr den Einfallsreichtum). Adaptionen von Science-Fiction-Romanen in ein visuelles Medium sind nicht umsonst so risikobehaftet. Schließlich reicht es hier nicht, das Drehbuch in die Kamera zu halten, man muss das ganze Szenario schon auch irgendwie sichtbar machen. "The Expanse" ist dahingehend in seiner ersten Staffel ein kühnes Unterfangen, basiert die Syfy-Produktion doch auf einer Vorlage, die mehr als großzügig Räume öffnet, die weit über die Erde als Schauplatz hinausreichen und letzten Endes alle gefüllt werden möchten. Dies mit dem neuen Serien-Standard von zehn Episoden zu bewerkstelligen, ist praktisch unmöglich.

Deswegen liegt der Fokus hauptsächlich darauf, den Raum mit überzeugenden Produktionswerten und dichter Atmosphäre dreidimensional abzustecken. Bereits im Piloten überzeugt "The Expanse" mit kraftvollen Bildern, die frei im All schweben und Relikte menschlicher Kolonialisierung im Weltall vor dem Sternenmeer ganz ohne Pathos, dafür mit einer Menge Warnschilder einfängt. Der Kinofilm "Gravity" von 2013 scheint bei der Gestaltung von All-Sequenzen jedenfalls weiterhin einen starken Einfluss auszuüben. Auch die Innenkulissen überzeugen mit unaufdringlichem Design, das die Fortentwicklung der Technologie nachfühlbar macht, auch anhand kleinerer Gerätschaften wie Handys aus transparentem Material (Thomas Jane trägt charmanterweise eines mit "gesprungenem Glas" - beruhigend, dass sich nicht alles ändert). Sollte es noch zu der geplanten Verfilmung des Videospiels "Mass Effect" kommen, könnte man sich dieses Produktionsdesign durchaus zum Vorbild nehmen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass bezüglich der Beziehungen zwischen den Interessensgruppen, generell der gesamten kulturellen Ordnung im abgebildeten 23. Jahrhundert lediglich Andeutungen gemacht werden können. Die Spannungen zwischen den Bewohnern des Asteroidengürtels, des Mars und den zurückgebliebenen "Terrariern" (Erdbewohnern) sind spürbar, ebenso wie Spannungen zwischen Arm und Reich oder Politik und Volk zur Allegorie auf gegenwärtige Probleme unserer Welt taugen; bis zum Kern werden sie aber allesamt noch nicht ergründet. Was nicht heißen muss, dass die Charaktere allesamt oberflächlich blieben. Im Gegenteil, von Stereotypen hält sich die Figurenzeichnung so weit wie möglich fern. Wenn, ist es als Stilmittel gewollt: So bringt der linkisch auftretende, unangepasst agierende Joe Miller (Thomas Jane mit gewöhnungsbedürftiger Iro-Frisur) eine Menge Detective-Noir-Flair ein und damit ein wenig Altmodisches in die Zukunft.

Staffel 1 bietet einen vielversprechenden Auftakt für eine Romanadaption mit Potenzial, die noch längst nicht aus dem Vollen schöpft. Aber wie oft haben wir schon gesehen, dass ein Konzept erst im zweiten oder dritten Jahr so richtig aufblüht. Diese Zeit sollte man einem ambitionierten Projekt in jedem Fall geben. Insofern schön, dass die zwischenzeitlich eingestellte Serie nun doch weitergeführt wird.
:liquid6:

Weitere Sichtungen:

Scanners - Trilogie
Vengeance - Pfad der Vergeltung
Ballad In Blood
Summer Of '84
Revenge
A Beautiful Day
Rampage - Big Meets Bigger
Wildling
Mayhem
Deadpool 2
Evilspeak
Roger Corman's Death Race 2050

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 24.12.2018, 09:15

Death Machine
Der nachdrücklich erklärte Lieblingsfilm einer Freundin. Erinnere mich noch, als ich ihr Scheibe zu Beginn der 2000er besorgte, afair im Jewel Case von UFA für 20€, ich voller Stolz auf die FSK 18 uncut hinwies (sie kannte ja nur die TV Fassung) und sie nur so: "Ach das ist mir egal ob da paar Minuten fehlen". :rambo:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 24.12.2018, 10:53

SFI hat geschrieben:
24.12.2018, 09:15
"Ach das ist mir egal ob da paar Minuten fehlen". :rambo:
DEN Spruch kenne ich nur zu gut :roll:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 24.12.2018, 14:24

Der Tatbestand für unsereins indes unerträglich. :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 24.12.2018, 15:31

Vince hat geschrieben:
24.12.2018, 08:10
Diese Defizite sind allerdings eher eine Krankheit Hollywoods als dieser speziellen Produktion. "Game Night" zählt sicherlich trotzdem zu den besseren Komödien der letzten Jahre. Die Grundidee ist präzise ausgearbeitet, das Tempo ist schnell, die Besetzung hochkarätig und die Wendungen originell. Etwas Abrüstung der filmischen Hilfsmittel, ein wenig Vertrauen in die Alleinunterhalterqualitäten komödiantisch begabter Darsteller wäre allerdings auch mal wieder wünschenswert.
Geht mir leider auch so, dass Hollywood in den letzten Jahren wenige klassische Komödien geliefert hat (also jetzt nicht so Sachen wie "Deadpool" oder "The Nice Guys"), die wirklich lustig waren. In "Game Night" hatte ich große Hoffungen gesetzt, komme aber auch über 6/10 nicht hinaus. Einziger anderer (noch ungesehener) Hoffungsträger ist "Blockers". Die letzten Hollywoodkomödien traditioneller Art, die ich sehr lustig fand, waren "Wir sind die Millers" und "Playing It Cool". Wenn man sich überlegt, dass zu Apatow-Hochzeiten allein aus dessen Schmiede ein bis zwei Knaller pro Jahr kamen, dann waren die letzten Jahre echt enttäuschend.
Vince hat geschrieben:
24.12.2018, 08:10
Der Versuch, Detective-Noir-Versatzstücke mit Horrorvisionen und einer enormen Bandbreite an illusionistischen Tricks zu verknüpfen, ist aus der Retrospektive heraus betrachtet ein tollkühnes Unterfangen und zeichnet den Horrorfilm nachhaltig als eines der experimentierfreudigsten Genres aus.
Wenn dir die Mischung zusagt, dann kann ich noch "Cast a Deadly Spell" alias "Hexenjagd in L.A." empfehlen, der kürzlich auf DVD hierzulande erschienen ist. Ein Film-Noir-Private-Eye-Film in einer Welt, in der auch Monster und Hexerei existieren (Lovecraft ahoi). Nutzt das Potential nicht vollends aus und kann seine TV-Herkunft nicht immer verbergen (gerade budgetmäßig), ist aber allein vom Szenario her schwer sympathisch - also zumindest für mich und für dich wahrscheinlich auch.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]

Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 24.12.2018, 16:33

SFI hat geschrieben:
24.12.2018, 14:24
Der Tatbestand für unsereins indes unerträglich. :lol:
Ebenso wie der Spruch "eine Minute mehr macht daraus keinen anderen Film" :roll:
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 25.12.2018, 08:26

@McClane: Danke für den Tipp, hab mir mal den Trailer angesehen, sieht sehr interessant aus und Fred Ward passt sehr gut auf so eine Rolle. Schade, dass wieder nur eine DVD veröffentlicht wurde und nicht gleichzeitig auch eine BR...

Noch vergessen zu erwähnen:

Shameless - Season 7
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Nach sieben Staffeln ist zwar auch "Shameless" nicht mehr vor absurden Drehbuchwendungen gefeit. Man muss ja schließlich irgendwie alle vorherigen Familienkatastrophen in den Schatten stellen, um halbwegs relevant zu bleiben. Nachdem Frank am Ende der sechsten Staffel die Hochzeit seiner Tochter gecrasht hatte und als Quittung vom eigenen Nachwuchs gemeinschaftlich im Fluss versenkt wurde, ist es nicht mehr so einfach, auf dem Teppich zu bleiben. Das Herz hat die Fatality-Soap aus den tiefsten Schmutzschichten der amerikanischen Gesellschaft allerdings am rechten Fleck bewahrt, so dass die ein oder andere Übertreibung ebenso wie manch vorhersehbare Wendung gar nicht mehr so stark ins Gewicht fällt.

In fast all seinen Subplots jedenfalls bleibt die Serie um William H. Macy und Emmy Rossum jedenfalls auf einem erstaunlich hohen Niveau, das es schwer macht, den typischen Qualitätsabfall auszumachen, der fast jede lang laufende, geskriptete Show irgendwann heimsucht. Vielleicht liegt es daran, dass die Häufung der Pannen und falschen Entscheidungen erst recht das Lachen der Verzweiflung betont, das so zentral für ihre moralische Aussage ist.
Interessant, dass dieses Kleben an Pech oder Unvermögen auch dann noch an den Figuren haftet, wenn sie sich grundsätzlich in eine positive Richtung entwickeln: So wagt Fiona den Schritt zur Eigentümerin eines Waschsalons und spekuliert mit Immobilien, Ian ist auf bestem Wege, die turbulenten Zeiten mit Mickey hinter sich zu lassen, Frank zeigt neben seinen vielen hässlichen Visagen auch mal ein wenig Herz und selbst für Liam beginnt mit dem Schulstart ein wichtiger neuer Abschnitt im Leben (was auch bedeutet, dass er ab sofort nicht mehr nur als niedliche Requisite im Bild hockt). Die Gallaghers sind aber allesamt Stigmatisierte, die ihrer Herkunft nicht entrinnen können. Und je öfter das Schicksal zuschlägt, desto verständnisvoller blickt man auf eine Fiona, die trotz allem am Ende noch einen Tanz für ihren Vater übrig hat.
:liquid8:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 02.01.2019, 09:30

Statistik 2018

FILME
gesehene Filme: 306 (2017: 279, 2016: 247, 2015: 227, 2014: 297)
- davon Mehrfachsichtungen: 63
- davon Filme aus 2018: 50 (basierend auf deutscher Erstveröffentlichung, d.h. entweder Kinostart oder Heimkinorelease)
Kinobesuche: 8 (2017: 10, 2016: 7, 2015: 9)
prozentuale Verteilung Blu-ray / DVD / VOD / Kino: 66 % / 11% / 21 % / 3% (aufgerundet)

SERIEN
gesehe Serienstaffeln: 37 (2017: 41, 2016: 47, 2015: 47, 2014: 47)
- davon Mehrfachsichtungen: 4
prozentuale Verteilung Blu-ray / DVD / VOD: 33 % / 50% / 17 % (aufgerundet)

Bei mir macht sich also in den letzten Jahren eine Serienmüdigkeit bemerkbar, da die Anzahl der gesehenen Serienstaffeln trotz der gefühlt immer kleiner werdenden Gesamtlaufzeiten der Staffeln (zB "Rick & Morty" mit seinen 10x20 Min. oder Jean-Claude Van Johnson, die kaum über die Laufzeit eines längeren Films hinausgeht) immer weiter abnimmt. Außerdem habe ich immerhin vier Staffeln daraus nicht zum ersten Mal gesehen. Ich habe zwar immer noch ungesehene Staffelboxen auf Halde, aber das wird schon weniger, weil einfach nicht viel Interessantes dazukommt.
Dabei spielt aber auch mit ein, dass zB. Netflix seine (zum Teil) interessanten Serien für Nicht-Abonnenten unter Verschluss hält und gewisse Studios darauf verzichten, weiter Blu-rays rauszubringen (The Strain, Fargo) oder gleich komplett die Veröffentlichung auf physischen Datenträgern einzustampfen (Hell On Wheels).
Filme haben mich wieder mehr begeistert; wenn man mal durch die Plastik-Oberfläche der Massenabfertigungsfilme gedrungen ist, konnte man 2018 viele tolle Filme entdecken. Davon abgesehen werkeln einige Labels fleißig daran, starke Veröffentlichungen zu Klassikern, zu bislang vernachlässigten Kultfilmen und auch Obskuritäten für ein spezielles Publikum herauszubringen. Capelight, Koch, Anolis und Wicked-Vision stehen hier für mich wieder ganz oben (zusammen mit Bildstörung, wobei die 2018 nur sehr wenig herausgebracht haben - ich glaube die letzte VÖ stammt von Mai oder so). Tatsächlich habe ich eine große Menge von persönlichen Must-Sees gar nicht mehr geschafft.

Highlight 2018:
Hereditary
- Was für ein brillanter Schlusspunkt. Das war tatsächlich der vorletzte Film, den ich 2018 gesehen habe (der letzte war ein Rewatch von End Of Days) und dann kommt da so ein Kracher. Steht für mich auch stellvertretend dafür, was der Horrorfilm inzwischen wieder drauf hat.

Follow Ups:
Mission: Impossible - Fallout (bester US-Actioner seit vielen Jahren - und das bei einem sechsten Teil)
Avengers - Infinity War (superepischer Ultra-Bombast)
Call Me By Your Name (Der Sommerfilm des Jahres)
A Beautiful Day (Untergrund-Melancholie geht immer)
The Disaster Artist (schöne Meta-Reflektion über Hollywood)
Hagazussa - Der Hexenfluch (Hexenhorror funktioniert auch in deutschsprachig)
Revenge (Rape&Revenge auf höchster Intensitätsstufe)
I, Tonya (endlich mal wieder eine Filmbiografie mit einem interessanten Narrationsansatz)
Der seidene Faden (eine hochkomplexe Beschreibung zwischenmenschlicher Dynamik)
Wind River (packender Grenzlandthriller)

War okay:
Ready Player One (zwar künstliche Welt mit dem typischen Schlag Spielberg-Kitsch, aber er hat seine Momente und gewinnt bei Zweitsichtung im Heimkino sogar noch dazu)
Game Night (beste Komödie, was leider viel über die aktuelle Verfassung der Komödien aussagt, die inzwischen überwiegend in Mischformen zB. mit Action stattfindet)
A Quiet Place (nettes Konzept, aber jetzt nicht der Innovationskracher, der daraus gemacht wird)
Summer Of 84 (NOCH macht die überstilisierte 80er Atmo Spaß)
Accident Man (unterhaltsamstes B-Action-Flick)
Batman Ninja (Optik Wow, Inhalt Au!)
Alles Geld der Welt (wobei die Produktionsgeschichte fast interessanter ist als der Film)
Die Dunkelste Stunde (ausformuliert bis ins letzte Detail)
Lady Bird (als Teenage-Indie-Drama nicht mein Steckenpferd, aber die Regisseurin trifft die zeitlich-örtliche Stimmung so gut, dass die Geschichte universell anwendbar wird)
The Shape Of Water (Optik und Ausstattung herausragend, inhaltlich aber leicht enttäuschend)
Professor Marston & The Wonder Women (nach I, Tonya die originellste Filmbiografie)
Mayhem (ein frischer Blick auf Zomnbie-Infektionen)
The Villainess (überzeugt mit herausragenden Action-Plansequenzen, erzählerisch guter Durchschnitt)
Ghost Stories (wie ein nostalgischer Ausflug zu den King-TV-Adaptionen der 90er, nur hochwertiger)
Ant-Man And The Wasp (gerade noch kurz vor der Grenze zu Meh)

Meh:
Deadpool 2 (da werden mir ein paar Meta-Rollen zuviel gepurzelt - hektisch, unsauber, aber dann doch nicht ganz ohne Reiz)
Black Panther (Ethno-Kitsch)
Insidious: The Last Key (nicht mehr wirklich gut, aber für mich zumindest wieder etwas besser als Teil 3)
Criminal Squad (oder: Baby-Heat)
The Commuter (insgesamt ganz okay gemacht, aber die 69-Hours-Epigone hängen einem schon etwas zum Hals raus)
Jurassic World - Das gefallene Königreich (ein Film mit Dinos muss schon viel falsch machen, wenn er bei mir nicht über Mittelmaß hinauskommt)
Kickboxer - Die Abrechnung (wenn Mike Tyson der beste Schauspieler eines Films ist...)
Red Sparrow (obskure Mainstream-Exploitation)
Tremors 6 (dasselbe wie immer, nur halt diesmal mit ein paar Schneeflocken und weißen Tarnanzügen)
Wildling (konnte mich nicht richtig packen)
Downsizing (Payne schafft es nicht, das SciFi-Element richtig zu verwerten)
Operation: 12 Strong (schon wieder komplett aus dem Gedächtnis gelöscht)

Enttäuschungen:
Meg (so ein Riesenvieh und dann so geringe Schauwerte)
Tomb Raider (ausdruckslose Hauptdarstellerin hüpft durch billige Kulissen ohne Abenteuerflair)
Venom (Rückfall in alte Videotheken-Zeiten)
Motorrad - The Last Ride (experimentierfreudig, aber unter dem Strich unästhetisch)
Weltengänger (die jährliche Ration russischer Bestseller-Verschrottung)
It Came From The Desert (das hätte man sich viel spaßiger vorgestellt)
Jeepers Creepers 3 (müde Rückkehr ohne Biss)
Pacific Rim: Uprising (Robo-Action für Teenager - perfekter Moment für ein Murtaugh-Zitat)
Winchester - Das Haus der Verdammten (tolles Setpiece, das leider komplett verschenkt wird)

Schlechtester Film des Jahres:
The Greatest Showman (verlogene Popsülze)

Guilty-Pleasure-Spezialpreis:
Rampage - Big Meets Bigger (besteht zwar fast nur aus Blockbuster-Recyclingmaterialien, macht aber aus unerfindlichen Gründen einen Heidenspaß)
Aquaman (quietschbunte Wasserwunderwelt)


Must Sees, die ich noch nicht geschafft habe:
Mandy (die saugeile Deluxe Edition von Koch liegt bereit, aber der Zeitpunkt muss stimmen)
Suspiria (wird wohl genau das, was ich mir unter einem wahren Remake vorstelle - nämlich KEINE Kopie oder unterwürfige Verbeugung vor dem Original)
Climax (Noé ist immer für den netten Aufreger zwischendurch gut)
The House That Jack Built (von Trier ist... siehe Noé)
Isle Of Dogs (ich vergöttere diesen Animationsstil)
Predator: Upgrade (trotz der durchwachsenen Kritiken bleiben Resthoffnungen auf ein Guilty Pleasure)
Halloween (siehe Predator)
Ghostland (konkurrierte schon mit Hereditary um die letzte Sichtung des Jahres 2018, hat aber knapp verloren)
Brawl In Cell Bock 99 (kommt ja jetzt doch uncut über Capelight, bei mir liegt aber schon die UK-BR bereit)
Solo (um halt mitreden zu können)
Sicario 2 (ich hoffe auf Sicario mit einem Hauch von B-Movie)
und vieeele andere...

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