Filmtagebuch: Vince

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gelini71
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 16.04.2019, 06:07

Ich sehe bei dem Thema eine deutliche Parallele zur Musikindustrie vor einigen Jahren in Sachen Downloads - erst ignorieren, dann sehen das es eine Markt dafür gibt, dann unbedingt was eigenes aus den Boden stampfen, sich eine blutige Nase holen weil es floppt um dann am Ende alles bei Apple oder amazon zu bekommen :lol:
Wird beim Streaming genauso laufen - es werden am Ende nur zwei bis drei große Anbieter übrig bleiben.....
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 16.04.2019, 06:53

Sky und Maxdome. :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 16.04.2019, 09:56

Sky vor allen wegen seiner genial programmierten App :00000694
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 16.04.2019, 18:15

Das ist noch das kleinere Ärgernis. Afaik gibts bei Sky Ticket nur 720p. :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 16.04.2019, 18:29

Reicht doch - ein Scheißprogramm wird auch in 4K nicht besser :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von freeman » 17.04.2019, 18:38

Und mehr schafft doch eh kein Handy... und dafür ist Sky Ticket ja nunmal in erster Linie gemacht. Die hams net so mit Vorreiterschaft und so ;-)

In diesem Sinne:
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Re:

Beitrag von Cinefreak » 30.04.2019, 11:07

McClane hat geschrieben:
17.09.2017, 18:04
Vince hat geschrieben:The Accountant

Das hat seinen Reiz, hätte aber gerne noch pulpiger inszeniert werden dürfen.
War auch einer meiner Gedanken: Eigentlich ist die Prämisse vom weltbesten Buchhalter, der zudem noch Mega-Assassine ist, eigentlich kompletter Pulp, der aber mit heiligem Ernst aufgezogen wird. Interessant wie sich das "gehobene" Kino in letzter Zeit teilweise extrem offen bei Pulp- und Exploitationsachen bedient (siehe auch "Nocturnal Animals").
den haben wir kürzlich zusammen geschaut...ich fand ihn ziemlich unübersichtlich, etwas verworren. Zudem hat mich die Action nicht so richtig gerissen, auf ultimative Shootouts oder Explosionen wartet man eher vergeblich. Als Thriller ok, aber ich denke, da wäre mehr drin gewesen
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 02.06.2019, 08:23

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
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Drei Halbsätze. Eine Anklage. Geschrieben in riesigen schwarzen Buchstaben auf roter Grundfläche. Verteilt auf drei unübersehbaren Werbetafeln, mit denen eine einzelne Person ihren Bedürfnissen vor aller Augen Luft macht. Vielleicht ist „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ gar nicht so hinterwäldlerisch, wie er sich gibt mit seinen „Fargo“-Dialogen und seiner vorausgeschickten Dummbräsigkeit. Vielleicht ist es ein Film, der über die wiedererstarkende Öffentlichkeitsrhetorik reflektiert, bei der dem größten Schreihals die größte Aufmerksamkeit zuteil wird.

Denn wo die einfach verständlichen, in Form und Inhalt wie von einem Profi gestalteten Plakate einen schlichten Ausgangspunkt bilden, der die Wirkung einer Startpistole bei einem Marathon erzeugt, da entwickelt sich innerhalb der Beckenränder der fiktiven Gemeinde aus dem Filmtitel eine bisweilen unmöglich vorherzusehende Dynamik zwischen den beteiligten Personen, die immer wieder neue unerwartete Allianzen und Rivalitäten generiert.

Martin McDonagh zeigt damit eindrucksvoll auf, dass die Dinge bei weitem nicht immer so simpel sind, wie sie manchmal aus der eigenen Perspektive erscheinen. Starke Frauen können innerlich gebrochen sein, rassistische Polizisten ein gutes Herz haben, bürokratische Sesselfurzer hilfreich sein. Dass es dabei stets auf die Perspektive ankommt, unterstreicht der Film, indem er unentwegt um seine Figuren kreist, sie von stereotypen Vorurteilen wegzerrt und mit einer individuellen Note versieht. Selbstredend, dass gerade Kaliber wie Frances McDormand, Woody Harrelson und Sam Rockwell in einem solchen Ambiente brillieren, aber diesmal hat bis in die kleinsten Nebenrollen hinein einfach jeder Darsteller Anteil an dem facettenreichen Gesamtbild, das Ebbing trotz seiner rückständigen, an alte Western erinnernden Leitmelodie abgibt.

Was den Fall der vergewaltigten und verbrannten Tochter angeht, so werden die Bewohner von ihm nicht etwa magisch angezogen wie die engagierten Pöbel in „Frankenstein“ oder Fritz Langs „M“ - nur wegen des lauten Aufschreis ihrer Mutter kehrt er ins kollektive Bewusstsein zurück, so wie man sich eben auch in der mit Reizen überfluteten Realität nur noch mit blinkender Reklametafel Gehör verschaffen kann. Die Kritik an einer zu komplex geratenen Welt ist ebenso sehr hörbar wie die Sehnsucht nach einfachen Lösungen und klaren Sachverhalten.

Dass es uns von dieser uramerikanischen Kleinstadtgeschichte nicht so einfach gemacht wird, versteht sich von selbst. Einer Reihe von zutiefst befriedigenden Feldzügen einer verbitterten Mutter (alleine die Ansprache an den Priester ist eine Sichtung wert) folgt ein Ende, das zu kompliziert ist, um zum Märchen auszuarten... und das einen ohnehin bereits sehr guten Film durch brillant gesetzte Subtexte endgültig abrundet.
:liquid9:

Sauerkrautkoma
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Na siehst, du musst den Eberhofer gar net nach Italien schicken, um ihm einen Kulturschock zu verpassen. Es reicht schon, ihn in in die benachbarte Großstadt München zu versetzen. Unter lauter Hochdeutsch sprechender City-Twens wird der hochgewachsene Dorfpolizist mit dem trüben Blick plötzlich zur obskuren Randerscheinung, die es zu meiden gilt, wenn man seinen guten Ruf bewahren will. Und wenn man Franzl fragt, der sich mit Kumpel Rudi ein Selbstmörderapartment mit Kindertapete zu horrenden Mietpreisen teilen muss, dann beruht das wohl auf Gegenseitigkeit.

So wird „Sauerkrautkoma“ auch zur Heimweh-Ode an den kleinen Flecken Land, aus dem man stammt und in das man normalerweise nie wieder zurückkehrt. Für eine Jubiläums-Dorffeier mit ganz grauenvoller Schlagermusik (der musikalische Tiefpunkt der Reihe, was viel bedeutet) kehrt sogar ein ehemaliger Niederkaltenkirchener (Gedeon Burkhard) zurück, der seinen gehässigen Spitznamen „Fleischi“ hinter sich gelassen hat, um als erfolgreicher Geschäftsmann durch die Welt zu pilgern. Ein Hauch von „Manta Manta“ weht durch die Luft, wenn sich der gelackte Bonze ins Proletariat begibt, um mit seinen Erfolgen zu prahlen und dem Heimatverbundenen sein einziges Spielzeug wegzunehmen. Dass die Susi keine Gelegenheit auslässt, ihrem bayerischen Prinzen zu zeigen, dass ihr globaler Marktwert nach wie vor beachtlich ist, resultiert erneut in einem Hasch-mich-Spiel mit pausenlosem Trotz und eingeschnappter Schnute. Langsam wird’s albern, aber nicht anders kennen wir es von der Liebe...

Derweil schreitet im Hintergrund ein erfreulich nüchtern inszenierter Fall um eine Kofferraumleiche voran, der keine fiesen Villain-Gesichter benötigt, um interessant zu wirken. Es braucht bloß einen zynischen Gerichtsmediziner, einen Haushalt voller Verdächtiger aus der wohlhabenden Gesellschaftsschicht und ein paar unglückliche Verbindungen zur Eberhofer-Familie, die übrigens endlich zum Kern bayerischer Kochkunst vorgestoßen ist, dem international berüchtigten Sauerkraut, das für so manche Magenverstimmung sorgt, aber auch für feucht-fröhliche Runden in heiterer Gesellschaft. Insgesamt ein erstaunlich bodenständiger fünfter Teil mit einem Schauspielerensemble, dem kaum Spielfreude abhanden gekommen ist.
:liquid7:

Sie nannten ihn Spencer
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Hier handelt es sich weniger um eine biografische Dokumentation im ursprünglichen Sinne, sondern vielmehr um den Versuch, Nostalgie zu entfachen und das Phänomen "Bud Spencer" gebührend zu feiern. Was gäbe es auch Informatives über diesen Mann zu berichten, das nicht ohnehin schon jeder weiß, der es seit Kindheitstagen mit dem Dampfhammer hält? Den "seriösen" Ansatz verwerfen die Macher mit Augenzwinkern schon nach wenigen Minuten: Trockene Interviews werden lieblos auf Italienisch mit deutschen Untertiteln eingeblendet, bevor uns Terence-Hill-Synchronstimme Thomas Danneberg erlöst und den Startschuss gibt für einen liebevoll montierten Vorspann, der reichlich Farbe in das Grau-in-Grau der Retrospektive pfeffert und die Marschrichtung angibt für den ab sofort angeschlagenen Ton.

In Sachen Regie und Schnitt ergibt sich im Anschluss eine Collage, die ohne jeden Zweifel von Fans für Fans angefertigt wurde. In jeder einzelnen Montage spürt man den Enthusiasmus und das Feingespür, mit dem die passenden Sprüche aus dem legendären Repertoire Rainer Brandts ausgewählt werden, als ginge es darum, die passende Bohnensorte zum edlen Wein zu finden. Und was wäre ein solches Unternehmen ohne die Ohrwürmer der Oliver Onions? Gemischt mit den gut dosierten (d.h. nicht omnipräsenten, aber stets zur richtigen Zeit zurückkehrenden) Worten Dannebergs und den Audio-Zitaten der vier Fäuste ergibt sich auf der Tonspur ein Feuerwerk an Memorabilia, das übermenschliche Kräfte freizusetzen weiß.

Die Struktur der Handlung folgt dabei einem klassischen Road Movie. Man hat erkannt, dass der Fan-Kult um den italienischen Schauspieler der Kern seines Schaffens ist, also führen uns zwei Fans als Repräsentanten der Zuschauer durch den Film. Anfangs noch getrennt voneinander, lassen sie uns an ihrer Geschichte teilhaben, bevor sie auf einer Convention erstmals aufeinandertreffen und sich dazu entschließen, ihrem großen Idol zu nachreisen, was aus dramaturgischen Gründen mit vielen Rückschlägen und Zwischenstationen verbunden ist. Auch wenn die Protagonisten einen grundsätzlich sympathischen, sehr selbstironischen Eindruck machen, so nimmt man die geskriptet anmutende Zusammenkunft der Beiden doch sehr zwiespältig auf. Den Anspruch an Authentizität kann das Werk in dieser Hinsicht nicht aufrecht erhalten; bereits die Ähnlichkeit ihrer äußeren Erscheinung zu Spencer und Hill hat nichts mit Zufällen zu tun, sondern dient lediglich dazu, dass sie sich nach Art der Filme gegenseitig anpflaumen können. Immerhin pfeift jeder von ihnen auf politische Korrektheit und treibt erfrischend offen Späße mit den Handicaps des jeweils anderen, was durchaus erfrischend herüberkommt.

Fremdscham wird jedoch freigesetzt, wenn sie begleitet vom Kamerateam an den Türen ehemaliger Wegbegleiter klopfen und stammelnd wie kleine Kinder zu Halloween vortragen müssen, auf welcher Mission sie sind - insbesondere, weil die erste Reaktion der Besuchten ausnahmsweise alles andere als geskriptet wirkt, sieht man in ihren Gesichtern doch zunächst nur Verwirrung und Ablehnung. Und doch ist es schön, all die Bekannten von früher wiederzusehen, darunter die eingangs genannten Oliver Onions oder Stamm-Prügelknabe Riccardo Pizzuti, der sich trotz der vielen blauen Bohnen, die er in seiner Karriere kassiert hat, ziemlich gut gehalten hat. Andere Prominente wie Rainer Brandt oder Terence Hill kommen in Interviews außerhalb der Haupthandlung zusätzlich zur Sprache.

Eigentlich macht "Sie nannten ihn Spencer" genau das Richtige: Er setzt die passenden Schwerpunkte, um eine Ahnung davon zu geben, was den Kult um den 2016 verstorbenen Carlo Pedersoli ausmacht und weshalb diese stumpfsinnigen Prügelkomödien aus den 70er und 80er Jahren immer noch in aller Munde sind. Die Montage in Sachen Ton- und Bildschnitt setzt regelrechte Frühlingsgefühle frei. Allerdings erzwingt die Haupthandlung die Bezüge zwischen den Fans und den Stars zu sehr, was bisweilen in verkrampft wirkenden Situationen resultiert, die das forsche Duo immerhin manchmal mit respektlosen Sprüchen zu kontern weiß.
:liquid6:

Bird Box
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Wer braucht schon Metaphern, wenn man die Augenbinde auch wörtlich nehmen kann, dachten sich Millionen von Zuschauern und hatten einfach Spaß mit ihrer dümmlichen "Bird Box"-Challenge - wie das Kleinkind, das am Rascheln des Geschenkpapiers mehr Interesse zeigt als am eigentlichen Geschenk. Vielleicht ist es der Film auch selbst schuld. Schon wieder wird ein Haus voller Überlebender zum sozialpädagogischen Experiment. Welch buntes Viertel das sein muss, in dem Alte, Junge, Schwarze, Weiße, Gesellige, Alleinstehende, Introvertierte und Extrovertierte als perfekte Haribo-Mischung in die Tüte gefüllt werden, damit im Angesicht der drohenden Apokalypse die Labormäuse unter der Käseglocke beobachtet werden können.

Der intensive Auftakt mit seiner herben, naturgebundenen Optik und den bedrohlichen Eindrücken von willenlos den Tod umarmenden Befallenen hätte jedenfalls eine einfallsreichere Weiterverarbeitung verdient gehabt. Was wie ein ambitioniertes Re-Imagining von M. Night Shyamalans "The Happening" beginnt, der sein vorhandenes Horror-Potenzial nicht nutzen konnte, fügt sich schließlich standardisierten Erzählmethoden, die sich völlig auf ihre rohe Prämisse verlassen und mit isolierten Suspense-Situationen zu punkten versuchen - Autofahrten im abgedunkelten Auto per GPS und blinde Navigation über einen wilden Fluss inklusive. Die Parallelmontage, mit der zwei zeitlich voneinander getrennte Ebenen verknüpft werden, bringt kaum inhaltlichen Zugewinn; genauso gut hätte man sich ganz auf den Survival-Faktor konzentrieren und die Vergangenheit in Mimik und Verhalten andeuten können.

Zumindest bleibt "Bird Box" auf einer oberflächlichen Ebene durchweg packend, auch weil die Überlebensregeln nicht ganz so festgezurrt sind wie bei "A Quiet Place", dem anderen Horrorfilm der Sinne im Jahr 2018. Sein großes Ziel allerdings, als Parabel auf Bindungsängste zu fungieren, verbaut man sich schon mit der Hauptfigur, die das Shoegazing als Abwehrstrategie gegen Sozialkontakte so verbissen praktiziert, dass sie selbst ihre Kinder nur "Junge" und "Mädchen" nennt. So gesehen eine repräsentative Vertreterin der stereotypen Darstellung von Charakteren, die in diesem Film angewendet wird.
:liquid5:

The Man Who Killed Don Quixote
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Das Monstrum hat endlich einen Ausweg aus der Produktionshölle gefunden. Als es seinen fettleibigen, mit viel zu vielen Mythen gefütterten Körper mühsam über die Pforten zur Realität schleift, hinterlässt es unzählige Anekdoten fehlgeschlagener Finanzierungen, verhinderter oder verstorbener Darsteller, mehrere Neuentwürfe und nicht zuletzt einen völlig verzweifelten Regisseur, der im Kampf gegen den größten Dämonen seiner Karriere einfach nie aufgeben wollte. Doch was sich da schlussendlich, zwanzig Jahre nach den ersten Bemühungen, auf der Leinwand manifestiert, ist nicht das Epos, dass sich die Hoffnungen über Jahre still und heimlich als Luftschloss erträumten. So viel war noch zu erwarten; aber wie sich herausstellt, ist es nicht einmal der Versuch, etwas Episches zu schaffen. "The Man Who Killed Don Quixote" ist écriture automatique in seiner reinsten Form, das Erbrochene eines Kranken, der sich radikal gesund kotzt. Rücksicht auf die Historie des Projekts nimmt Terry Gilliam dabei keine, womit er gewissermaßen eingesteht, sich jahrelang für eine irrationale Obsession aufgeopfert zu haben.

Gilliam wusste, dass sein "Don Quixote" in der Imagination wohl das größere Werk geblieben wäre. Weil es jedoch therapeutisch sinnvoll sein kann, das Unvollendete - egal wie - zu vollenden, bekommen wir nun eine kreischende Metapher zu Gesicht, die mit blinkenden Pfeilen auf das Leiden ihres Erschaffers verweist. Dessen Windmühlen sind drei große, fette Riesen, die sich höhnisch lachend in Zeitlupe vor den Horizont stellen und ihn mit ihren überdimensionalen Leibern verstellen. Wie dieser überzeichnete Surrealismus aus einer Szene im letzten Abschnitt funktioniert auch der gesamte Film: Ein profaner Filmdreh wird zum Auslöser einer Kette absurder Ereignisse, mit denen sich die Verrücktheit des Herrn auf den Geisteszustand des Dieners überträgt. Dass Don Quixote dabei für das Filmprojekt steht und Sancho Pansa für Terry Gilliam, ist nicht allzu schwer zu erraten, ebenso wenig, wohin die Reise führt.

Was ein Frederico Fellini in "Achteinhalb" jedoch zu einer brillanten Selbstanalyse zu formen wusste, an deren Entstehen der Betrachter aus der Mittendrin-Perspektive praktisch live teilhaben kann, bleibt "The Man Who Killed Don Quixote" über weite Strecken sperrig und anstrengend. Derweil Adam Driver in der Karikatur eines abgehobenen Künstlers versinkt, hockt Jonathan Pryce wie ein neonfarbenes Ausrufezeichen auf seiner Rosinante und versetzt sich selbst und alles um ihn herum in eine Hysterie, der zu entkommen unmöglich ist. Die Kombination dieser beiden Elemente ergibt einen Humor, der ganz ähnlich funktioniert wie jener aus Gilliams Eskapismus-Fantasie "Brazil", aber eben doch wieder so anders erscheint, dass er nur sehr schwer zu ertragen ist. Selbiges gilt für das merkwürdige Nebeneinander von Semi-Dokumentarischem und Märchenhaftem in Bonbonfarben. Die Sets erscheinen teilweise mit Bedacht ausgewählt und erzeugen schöne Momente, verströmen dann aber wieder so viel hässliches Chaos, dass man kaum in die Vision eintauchen kann.

Hier ist ein Werk entstanden, wie es Künstler unter Laken in ihren Ateliers oder Schriftsteller in ihren Schreibtischschubladen verstecken, um gelegentlich in einsamen Momenten einen Blick darauf zu werfen. Schade für Terry Gilliam, dass ein Film schon wegen der vielen Produktionsbeteiligten niemals eine vollständig private Angelegenheit sein kann.
:liquid4:

Fascination
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Feldwege und Wiesen, durch die stürmisch der Wind bläst. Dann ein junger Kerl (Jean-Pierre Lemaire) mit schelmischem Blick und wirrem Blondschopf, der ruhelos die Landschaft durchzieht, bevor er sich mit einer Frau anlegt, die vom gleichen Schlag zu sein scheint wie er. Ihr kommen bald zwei Verbündete zur Hilfe, er bleibt alleine zurück und muss sich ins offene Land zurückziehen.

„Fascination“ beginnt wie ein typischer Outlaw-Western, der mitten in der Prärie das Schicksal einer Gruppe Gesetzloser verfolgt. „Herrin der toten Stadt“ mit Gregory Peck soll Jean Rollin als Inspiration gedient haben; nur, dass bei Rollin eben keine Prärien durchstreift werden, sondern französisches Hinterland; und dass anstatt einer Geisterstadt natürlich ein verlassenes Chateau als Rückzugsort wartet.

Spätestens hier wird die Realität wieder von der typisch Rollin'schen, assoziativen Traumlogik eingeholt. Gerade noch sind alle Gedanken des Gauners bei so etwas Profanem wie seiner Beute, da trifft er in dem auf unheimliche Weise stillen Anwesen auf zwei junge Frauen, die sich als Zimmermädchen vorstellig machen. Im Affekt reagiert er seinem Naturell gemäß und nimmt die Beiden als Geiseln, doch die reagieren nicht verängstigt, sondern amüsiert...

Allerdings schickt Rollin schon im Prolog einen Vorboten des Surrealismus voraus, indem er eine Adlige im weißen Gewand ein Schlachthaus besuchen und dort ein Kristallglas voller Blut trinken lässt (für diese Szene wiederum wird J.F. Gueldrys Gemälde „Die Bluttrinker“ verantwortlich gemacht). Dabei entgeht einem nicht die aus heftigen Kontrasten bestehende, dennoch auf seltsame Art unterschwellige Erotik, mit der auch Walerian Borowczyk seine Werke ausstattete. Doch erst wenn Franca Maï und Brigitte Lahaie die Szenerie betreten, sind wir endgültig in die Gedankenwelt des Regisseurs eingedrungen, die nach einem Geflecht symbolischer Verknüpfungen ausgerichtet sind, welche man kaum sinnvoll bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen kann.

Besser genießt man die Arrangements, die Rollin in so vielen seiner Werke wie aus dem Unterbewusstsein heraus gelingen. Die unter ihrem schwarzen Cape nackte Lahaie, die auf der Brücke vor dem Schloss ihre Sense schwingt, ist so ein unvergesslicher Augenblick im Schaffen dieses hoffnungslosen Romantikers, der wieder Sehnsüchte und Ängste in einem großen Topf verrührt und mit latenten Spuren des Vampirfilms versetzt, sich sogar in ihren Klischees suhlt, ohne jemals auch nur einen Reißzahn zeigen zu müssen. Das Wesen des Vampirs liegt für ihn eben tief unter der Haut des Raubtiers; es wabert im ständigen Wandel wie der Fluss der Gezeiten. Vielleicht lässt sich damit der auffällig inszenierte Wechsel vom Tag zur Nacht deuten, der „Fascination“ seine besonders im letzten Akt unwirkliche Stimmung verleiht; oder das Spiel, das die beiden Furien mit dem Eindringling und auch miteinander treiben.
:liquid8:

Lords Of Chaos
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Gut, dass eine Texttafel zu Beginn darauf hinweist, dass die hier gezeigten Taten nicht verherrlicht werden sollen. Sonst könnte man nämlich stellenweise tatsächlich auf den Gedanken kommen, Åkerlund wolle am Beispiel einer düsteren Subkultur ein romantisiertes Coming-Of-Age-Abenteuer komponieren, das trotz all der geschilderten Ausweglosigkeiten Sehnsüchte danach wecken kann, selbst Teil einer so verschworenen Gemeinschaft zu sein.

Zumindest geht der Regisseur, der einst selbst in der Szene aktiv war, durch seinen Inszenierungsstil recht oft eine Allianz mit der Euphorie eines Kirchen verbrennenden Varg Vikernes ein, der als Antagonist eine fast schon disney-ähnliche Verwandlung durchmacht. Es ist letztlich die oft erlebte Geschichte vom introvertierten Außenseiter, der in eine Wolke dunkler Magie gerät und sich unter ihrem Einfluss in ein Monster verwandelt, das nichts mehr mit der ursprünglichen Person zu tun hat – nur eben ohne die für Kindermärchen typische Rückverwandlung. So läuft das eben nicht in der Realität.

Jene Realität, also die gesammelten Fakten und Erfahrungsberichte zur Geschichte der Black-Metal-Band Mayhem, dient Åkerlund als Strukturierungshilfe, die er allerdings nach Belieben zu dramaturgischen Zwecken aufbauscht, auch mit unlauteren Mitteln, wenn nötig – von Details wie einem Scorpions-Patch auf Vargs Kutte bis hin zu ganzen Subplots, zu denen auch eine frei erfundene Liebesgeschichte gehört, so wie es sich eben für ein Disney-Märchen gehört. Hauptfigur Euronymous ist in alldem so etwas wie der wertneutrale Reflektor der Kultur, die er repräsentiert – der Erzähler, der den Zuschauer an die Hand nimmt und ihm erklärt, wie seine Leute ticken. Er befindet sich sozusagen im Auge des Sturms, mitten im Sweet Spot, mit idealem Blick auf die Geschehnisse.

Dabei entsteht ein zugänglicher, schwer unterhaltsamer Film, der sich Erzählmethoden bedient, die den meisten Zuschauern wohl vertraut sein dürfte. Man könnte sagen, es wird ihnen erlaubt, dem omnipräsenten Geruch des Todes zu trotzen und länger in der für sie unwirtlichen Umgebung zu verharren, weil sie die Sicherheit haben, jederzeit in ihre behütete Normalität zurückkehren zu können; selbst wenn sie sich mit Black Metal nicht auskennen, so wissen sie doch mit dessen Präsentation umzugehen.

Kein Film also, der bei echten Insidern übermäßige Begeisterungsstürme auslösen dürfte, denn dazu ist die Aufmachung zu kommerziell und der Zugang nicht sperrig genug. Ein Film für die ganze Familie also? Das nun wiederum nicht; was nämlich bei diesem Film überrascht, ist die beängstigende Authentizität, mit der die Momente der Eskalation eingefangen werden. Obwohl sich Åkerlund zwischenzeitlich auch zu äußerst plumpen Spielereien verleiten lässt (die stilistisch verfremdeten Horror-Visionen hätten nicht unbedingt sein müssen), gelingen ihm mindestens drei morbide Höhepunkte. Alleine die Inszenierung des Selbstmordes von Mayhem-Sänger Dead ist an Realismus kaum zu übertreffen. Weniger ist damit die Umsetzung der Effekte gemeint (wenngleich auch diese von empfindlichen Naturen eher gemieden werden sollten), sondern vielmehr das nahezu willenlose Hineingleiten in den Suizid, das nichts mit dem melodramatischen Märtyrertum Hollywoods zu tun hat, sondern vielmehr einer kausalen Abfolge von Missgeschicken gleicht, die in letzter Konsequenz zum herbeigesehnten Ende führen. Als Kontrast dazu folgen dann später noch zwei Hinrichtungen, diesmal also Sterbeszenen von Menschen, die leben wollen. In allen Fällen jedoch wird das Sterben als kompliziert dargestellt; fast so, als kämpfe der Puls im Körper gegen die permanenten Schnitt- und Stichverletzungen auf eigene Kraft unerbittlich um sein Leben, egal ob der Besitzer des Körpers den Kampf schon aufgegeben hat oder nicht.

Das sind schockierende Momente der bitteren Wahrheit in einer ansonsten zugänglich aufbereiteten Rückschau auf die norwegische Black-Metal-Keimzelle der 90er, die man möglichst kritisch-differenziert betrachten sollte, um ihr im Positiven wie Negativen gerecht zu werden. Eines muss man Åkerlund lassen, ihm ist hier auch dank seiner überwiegend starken Darsteller (herauszuheben Rory Culkin als Euronymous und Emory Cohen als Varg, aber auch Jack Kilmer als Dead) etwas gelungen, das zumindest nicht kalt lässt.
:liquid6:

It Comes At Night
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Zuletzt setzten einige Horror-Thriller darauf, das Vermeiden der Nutzung oder Wahrnehmung bestimmter Sinne zur Überlebensregel zu erklären. In "A Quiet Place" und "Don't Breathe" sollte man besser keine Geräusche machen, in "Bird Box" führt das Sehen direkt in den Wahnsinn und somit in den Tod. "It Comes At Night" setzt zwar im direkten Vergleich auf eher konventionelle Überlebensregeln aus dem Dunstkreis des Seuchen- und Zombiefilms: Handschuhe und Gasmasken müssen unter bestimmten Bedingungen getragen werden, die Nacht ist tabu, vertraut wird nur der eigenen Familie. In einer gewissen Weise ist trotzdem ein hoher Bezug zur Sinneswahrnehmung gegeben. Nicht ohne Grund sieht man einen Hund auf dem Filmplakat, der in die Dunkelheit bellt. Es handelt sich bloß um ein Kammerspiel in einer kleinen Waldhütte, doch die Unterkunft verwandelt sich vor Drew Daniels' Kamera in ein hölzernes Labyrinth. In Zeitlupe schwebt die Linse körperlos durch die Gänge und schärft dabei das Bewusstsein für den Raum. Es ist manchmal schwer zu sagen, ob hier die Perspektive des Jungen eingenommen wird, aus dessen Perspektive sich zumindest die Szenen im Haus abspielen, oder eine figurenneutrale Eminenz, die in Anlehnung an Viren-Thriller wie "Outbreak" eine Verbreitung des Todes andeutet. Eine knallrot gestrichene Tür signalisiert den Point-of-No-Return, vor dessen Schwelle immer wieder Bedrohungen lauern, die aber konsequent unsichtbar bleiben. Dazu komponiert Brian McOmber einen Score, der sich in einer frühen Szene zunächst dröhnend dem Jump-Scare-Prinzip anschließt, um sich dann ausgerechnet in den vielen Alptraumszenen in Zurückhaltung zu üben.

Selbstverständlich führt ein solches Endzeit-Kammerspiel wieder zu der alten Erkenntnis, dass es kein Monster aus dem Wald ist, vor dem man sich fürchten muss, sondern der Mensch in Not. Das ist soweit nichts Neues. Trey Edward Shults, der mit dem Drehbuch eigene Traumata verarbeitete, findet zwar technisch hochinteressante Wege, zu dieser Erkenntnis zu gelangen, allerdings vermag er es nicht, ihr etwas Neues abzugewinnen. In dieser Hinsicht bleibt "It Comes At Night" so fahl wie abgenagte Knochen im Mondschein. Eine Empfehlung aussprechen kann man also für jene, die gut gespielte, kompakt und zielstrebig aufgezogene Thriller auf engem Raum zu schätzen wissen, ohne zwangsläufig zu erwarten, dass am Ende etwas anderes geschieht als die Eingliederung in den Konsens.
:liquid6:

Die Unglaublichen 2
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Schon dass der Maulwurf-Cliffhanger wieder aufgegriffen und die Originalstory somit nahtlos fortgesetzt wird, zeigt ein erfrischendes Desinteresse an der rasanten Entwicklung des Superheldenfilms in den 14 Jahren seit "Die Unglaublichen". Es wird ohnehin bereits genug über die neuesten Messlatten Marvels gesprochen, da ist es schön, dass sich mal wieder jemand völlig unbeeindruckt von dem Kräftemessen zeigt und seinen Blick lieber in die Vergangenheit richtet.

Es ist aber nicht so, dass Brad Bird sich mit einer einfachen Kopie seines Erfolgs von 2004 begnügt. Agententhriller-Fanfaren lässt Komponist Michael Giacchino zwar immer noch erklingen, ansonsten hat sich das Bond-Flair des ersten Teils aber ein Stück weit verabschiedet. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass ein greifbarer Gegenspieler diesmal fehlt - und mit ihm die größenwahnsinnigen Festungen, die es zu infiltrieren gilt. Es ist eher die Stadt, die sich zum Hauptkontrahenten der Familie Parr aufbäumt. Als die Politik dem Superheldentum Grenzen aufzuerlegen beginnt, begibt man sich in die Sphären von "Watchmen", indem man das übernatürliche Element "Superkraft" in den reglementierten Alltag einbindet. Folglich werden die Schneisen der Zerstörung thematisiert, die nicht nur Bösewichte, sondern auch Helden hinterlassen. Prompt tritt der Staat als eine Art unsichtbarer Superroboter in Erscheinung und zieht alle Antipathien auf sich. Natürlich gibt es auch wieder einen herkömmlichen Feind in Form eines Hypnose-Spezialisten, der auch über das TV-Signal Gedanken beeinflussen kann (Medienkritik inklusive). Dieser tritt aber eher als Katalysator einer größeren Problematik in Erscheinung.

Für das Drehbuch ist das eventuell etwas zu viel Input, möchte es die Handlung doch eigentlich so einfach wie möglich halten. Dadurch gelingt es Bird leider nicht immer, die Spannung zu halten. Er muss sich mit raffiniert geschriebenen Actionsequenzen aus der Affäre schlagen (Elastigirls Motorradverfolgungsjagd ist zugegeben ein Hi-Tech-Highlight unter den Computeranimationsfilmen), doch die Aufmerksamkeitskurve erleidet immer wieder Hänger, weil viele Nebenfiguren relativ uninteressant geschrieben sind. Dass sich die Familie hingegen seit damals kaum weiterentwickelt hat, gehört zum Konzept: Die in Sachen Animationsqualität selbstverständlich stark optimierte Umgebung wirkt sich nicht auf das expressionistische Figurendesign mit seinen kantig-runden Gesichtsformen, Wespentaillen und Pappaufsteller-Silhouetten aus. Das immerhin nutzt Bird für ein gelungenes Spiel mit den Rollenbildern, wenn er Elastigirl in den Kampf ziehen lässt, während Mr. Incredible in einem Apartment mit 50er-Futurismus-Design die Kinder hütet (was natürlich zu reichlich Slapstick mit Publikumsliebling Jack-Jack führt).

Der Retro-Anstrich steht der Fortsetzung also umringt von hochmodernen State-of-Art-Superheldenfilmen fast noch besser als das Original, das allerdings in Sachen Story und Ausführung mindestens eine ganze Klasse besser ist. Zumindest da macht die deutlich bessere Animation den Kohl auch nicht mehr fett.
(knapp) :liquid7:

Flesh and Blood - The Hammer Heritage of Horror
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„Flesh And Blood – The Hammer Heritage of Horror“ ist eine Retrospektive auf das einflussreiche Erbe des britischen Studios, das 1935 seinen ersten Film produzierte (eine Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Komödie!). Mit Blick auf das Entstehungsjahr handelt es sich sozusagen um eine späte Grabrede, die sehr ausführlich des Verstorbenen gedenkt, Bilder und Videos von ihm teilt und allerlei Weggefährten dazu einlädt, an der feierlichen Veranstaltung teilzunehmen. Es ist insofern eine ganz besondere Dokumentation, als dass sowohl Peter Cushing als auch Christopher Lee als Erzähler gewonnen werden konnten. Für Erstgenannten war es das finale Engagement, erlag er doch nur drei Monate nach den Aufnahmen, im Sommer des Jahres 1994, seinem Krebs.

Weil es diese beiden Legenden sind, die selbst durch die Geschichte führen, bekommt die Dokumentation einen angenehm persönlichen Anstrich. Ted Newsom arrangiert als Autor und Regisseur eine ausholende und mit vielen Informationen angereicherte Reise zu den Anfängen Hammers und weist hier auf die stilistische Bandbreite hin, die bei dem öffentlichen Fokus auf die Horrorfilme gerne übersehen wird. Da es jedoch gerade die Horrorfilme sind, an denen das Publikum interessiert ist, verengt sich der Fokus zunehmend auf die Blütephase – womit im Grunde genau das gezeigt wird, was man sehen möchte. Ob Dracula oder Captain Clegg, ob Sherlock Holmes oder Frankenstein, der Schneemensch oder die Mumie – unter Garantie wird man im Anschluss eine nicht zu bändigende Lust verspüren, den Abend mit einem Best-Of der spektakulärsten Monster zu beenden.

Natürlich verliert der Ton dadurch einen Hauch an Seriosität und journalistischer Neutralität, aber wenn Leute wie Joe Dante, Ray Harryhausen, Caroline Munro, Jimmy Sangster oder Raquel Welch ihre Erfahrungen und Einschätzungen zum Besten geben, unterstützt von diesen wunderbar abwechslungsreichen Filmausschnitten (oder Fantasieausflügen) in kräftigem Technicolor, dann ist das mindestens genauso nahrhaft wie das Wissen, das zutage tritt, wenn man einen analytischen Ansatz verfolgt. Dass es um primitive Antriebe geht, verrät ja schließlich schon der Titel.

Als Appetizer für die Zusammenstellung eines eigenen Videoabends voller angelaufener britischer Horrorschinken empfiehlt sich „Flesh And Blood“ jedenfalls auch nach einem Vierteljahrhundert noch.
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Caprona - Das vergessene Land
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Filme wie diese lassen träumen, die Welt wäre tatsächlich so groß und und unerschlossen, dass sie derart große Geheimnisse bergen könnte wie ein ganzes Ökosystem voller ausgestorbener Arten. Heute mehr denn je. Jenseits des verborgenen Landes dirigiert Kevin Connor einen tristen Kriegsfilm nautischer Art, in dem Doug McClure sich als kantiger, von seinen Fähigkeiten überzeugter Vorzeige-Amerikaner mit einer deutschen U-Boot-Besatzung anlegt. Es entsteht ein dröges Abenteuer auf See, in dem der Nebel so dicht ist, dass die gelegentlichen Gefechte mit feindlichen Schiffen zu einer Art "Schiffe versenken" mutieren, während die Kapitäne an Bord ihre (Gehirn-) Muskeln spielen lassen.

Ist aber einmal der verborgene Zugang ins unerschlossene Land gefunden, wird "Caprona" zu einem völlig anderen Film. Der blinde Fleck in der Zerstörungswut des Menschen wird äußerst fantasiereich ausgestaltet, angereichert mit spektakulären Landschaften und detailliert ausgearbeiteten Dinosauriern, die zwar mit Handpuppen anstatt Stop-Motion zum Leben erweckt wurden, aber dennoch den typischen Harryhausen-Look geerbt haben - was sie zu besonders geschmeidigen Animationen befähigt, ohne dass sie deswegen wie Plastikspielzeug aussehen. Durch das HD-Bild werden inzwischen zwar die Fäden der Pteranodons sichtbar, doch gerade der Wechsel zwischen Panoramen, in denen die enorme Größe der Kreaturen deutlich wird, und den Nahaufnahmen, in denen die unerreichbaren Geschöpfe in direkten Kontakt mit den Darstellern gelangen, ist mehr als gelungen. Noch dazu kann man sich über Artenvielfalt nicht beschweren; wer als Kind das "Was ist Was" der populärsten Dinosaurier verschlungen hat, wird viele Bekannte wiederfinden, umschrieben mit charmanter Prä-Jurassic-Park-Terminologie.

Dass sich eine einzelne Frau (Susan Penhaligon), hübsch, jung und blond, in einer ansonsten reinen Männergruppe durch den Dschungel schlägt, gehört zu jenen albernen Klischees des Abenteuerfilms, die über Jahre zur Tradition gereift sind. Vor allem Kinder dürften auf ein weiteres anspringen, den Eingeborenen nämlich, der sich gegen seine Natur mit den Eindringlingen anfreundet und ihnen nicht nur als Fremdenführer dient, sondern auch noch im Kampf zur Seite steht. Wie man so schön sagt: Da ist für die ganze Familie was dabei.
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Banshee – Season 3
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Nehmen wir die wie ein Fresko inszenierte Kirchenballerei im Finale mal heraus (und natürlich diverse Sexszenen), ging es in der zweiten Staffel ausnahmsweise mal nicht um Entladung, sondern um Spannungsaufbau. Die Differenzen zwischen den beteiligten Parteien wurden vor allem unter der Oberfläche zum Kochen gebracht, was eine durchaus spannungsreiche, aber auch eskalationsarme Struktur zur Folge hatte. Bei einer solchen Steilvorlage lässt sich die dritte Staffel nicht lange bitten und liefert wieder eine Dauerejakulation von ausgelebten Rachefantasien.

Zu diesem Zweck werden alte Feindschaften zwischen den amerikanischen Völkern und Lebensstilen neu entflammt und gleich noch ein paar zusätzliche mit in den Topf geworfen. Nazis werden neuerdings am Rande behandelt, bei weitem aber nicht leidenschaftslos; das Militär zeigt seine verschlagene Seite in einem Heist-Subplot, der in der finalen Folge seinen Höhepunkt erfährt. Hacker jagen sich gegenseitig, Vater-Tochter-Probleme werden thematisiert und natürlich rappelt es immer noch unentwegt, wo immer sich Kai Proctor (Ulrich Thomsen) gerade aufhält. Seine Nichte Rebecca (Lili Simmons) sorgt für Ärger im Business und Proctors Untergebener Clay (Matthew Rauch) liefert sich mit Nola (Odette Annable) einen der intensivsten Zweikämpfe der gesamten Serie, und zwar in einer Inszenierung und mit solch einer gnadenlosen Härte, dass einem der Atem stockt. Nicht zuletzt lässt Geno Segers als außer Kontrolle geratener Kriegerhäuptling die Grenze zwischen dem Handeln nach Tradition und reiner Psychopathie zusammenstürzen und mausert sich so zum härtesten Widersacher unseres falschen Sheriffs, so dass man eine finalen Konfrontation über viele Folgen hinweg herbeisehnt.

Das ist reaktionärer Wahnsinn, ein Bullentanz durch die bunte Vielfalt ländlicher Reviere mit der Selbstjustiz als einzig gültigem Gesetz. Mehr als je zuvor baut "Banshee" auf das befriedigende Gefühl, Arschlöcher dabei anzufeuern, wie sie noch viel größere Arschlöcher um die Ecke bringen. Und weil explodierende Dinge so viel schöner anzusehen sind als implodierende Dinge, ist dies vielleicht die beste Staffel bisher.
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Future Man – Season 2
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Während die erste Staffel einen besonders langen Zeitreisetunnel vom amerikanischen Sender Hulu ins deutsche Amazon Prime zu durchqueren hatte, kommt die zweite Staffel nun relativ zeitnah zu uns und fühlt sich dadurch wie ein hastig zusammengebauter Nachklapp an. Man würde jetzt gerne sagen, dass die Qualität der neuen dreizehn Folgen diesen Eindruck schnell pulverisiert; stattdessen bestätigt er ihn. Wo der infantile Humor unverändert auf seinen geistigen Erschaffer verweist, der in der letzten Folge einen nur allzu typischen Gastauftritt absolviert, da reduzieren sich doch leider die Mittel und Wege der Umsetzung; als habe jemand eine Drossel in die Zeitmaschine eingebaut. Wo die erste Staffel noch reich war an bereisten Epochen und zugehörigen Zitaten aus Film und Kultur, da ist die zweite Staffel hauptsächlich reich an Joshs; genug jedenfalls, dass Wolf zu der Feststellung gelangt, die berühmte Nadel im Josh-Haufen gefunden zu haben.

Das ist schön für Fans des Dreigestirns aus Josh Hutcherson, Derek Wilson und Eliza Coupe, denn von ihnen bekommt man mehr als genug in allen möglichen Variationen. Insbesondere Letztgenannte darf ihr komödiantisches Repertoire mit der wirklich gelungenen Darbietung einer geistig minderbemittelten Teenager-Göre aufstocken. Auch Haley Joel Osments Rolle wurde massiv vergrößert. Der ehemalige Kinder-Star, der inzwischen aussieht wie ein junger Al Borland, bereichert das Ensemble mit einer hochmotivierten, sehr physischen Leistung, die ihren Höhepunkt in einer abgefahrenen Musical-Nummer findet, die wie eine Live-Umsetzung eines "Family Guy"-Spektakels wirkt.

Doch bei der Konzentration auf diesen Kern wird nahezu alles andere schwer vernachlässigt. Das Drehbuch beispielsweise entpuppt sich als extrem sprunghaft. Das ist nicht zwangsläufig ungewöhnlich beim Thema Zeitreisen, aber hier werden fragmentarisch neue Ansätze geformt und im Aufbau begriffen wieder fallen gelassen. Und trotzdem ist man gezwungen, endlos viel Zeit an nicht allzu interessanten Orten zu verbringen. Weder der Plotstrang um Wolf und seine vier Ehepartner noch die nicht enden wollenden Zwiegespräche zwischen Tiger und Stu im hell erleuchteten Flügel-Raum sind interessant genug, als dass man immer wieder Zeit dort verbringen möchte. Und dann fällt plötzlich auf: Trotz der vielen Joshs, herrscht nicht doch irgendwie am Ende Josh-Mangel, dafür, dass er immerhin die Hauptfigur ist?

Es gibt natürlich trotzdem wieder eine gute Handvoll guter Gags, aber sie nähern sich aus dem toten Winkel. Das Skript ist zu bruchstückhaft, die Schauplätze zu variationsarm und die Anspielungen auf Popkultur nicht vernetzt genug, als dass der Humor organisch in das große Ganze eingebunden wäre. Um die Eindrücke zu krönen, macht die Abschlussfolge noch mal eben ein neues Fass auf - und eine dritte Staffel, die bereits als finale Staffel bestätigt ist, unumgänglich. Hoffentlich kann der Knoten darin wieder aufgelöst werden; er erscheint nämlich, Stand jetzt, unentwirrbar.
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Fear The Walking Dead - Season 4
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Es hat sich mal wieder eine Menge verändert bei „Fear The Walking Dead“ und wie schon beim Sprung von der zweiten in die dritte Staffel hat der Slogan „Never Change a Running System“ auch diesmal keine Chance. Die neuen Showrunner Andrew Chambliss und Ian Goldberg kappen nicht nur radikal die bisherige Storyline zugunsten eines erzählerischen Neuanfangs, sondern rotieren den Cast auf radikalste Weise, erproben neue Möglichkeiten, die Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen und werkeln fleißig an der Optik; ja, sogar eine aufgepeppte Titeleinblendung mit neuem Jingle und dynamischem Bezug auf den Inhalt der jeweiligen Folge wird ausprobiert.

Das bedeutet leider auch, dass die zuletzt geäußerte Feststellung, der Ableger sei auf dem besten Weg, qualitativ mit dem Original gleichzuziehen, wieder hinfällig ist. Die vierte Staffel ist nach der zweiten die schlechteste geworden. Woran das liegt, ist auf den ersten Blick gar nicht so einfach auszumachen. Praktisch sämtliche Neuzugänge schlagen nämlich ein wie eine Bombe. Allen voran Garret Dillahunt. Mit einem Selbstgespräch von philosophischer Qualität verhilft er der Staffel zu einem sehr starken Einstieg und mausert sich zu einem absoluten Sympathieträger, den die Serie dringend benötigt hat. Vor allem seine Rückblick-Episode, die zugleich den Einstieg der überraschend gut ins Ensemble passenden Jenna Elfman bedeutet, verleiht ihm sehr viel Tiefe. Dazu steigt auch noch Lenny James aus der Hauptserie quer ein. Auch wenn man vielleicht irgendwann größere Crossover-Bemühungen sehen würde, der Morgan-Darsteller macht einen guten Anfang und passt zu den reisenden Clarks als Wanderer wesentlich besser als ins statische Alexandria. In der zweiten Hälfte wird er sogar fast zum alleinigen Antrieb der Handlung, die wesentlich von ihm und seiner Einstellung zu Leben und Tod geprägt ist. Und dann kommt noch Maggie Grace als Journalistin dazu, die einen dokumentarischen Aspekt in die Geschichte einfließen lässt und in der ersten Staffelhälfte so direkt einwirkt auf die verwendeten Erzählmittel.

Doch selbst wenn die Chemie unter den Darstellern stimmt und eine gewisse Vision zweifellos vorhanden ist; in der Umsetzung ergeben sich eklatante Schwächen. Beginnend bei der Optik, die im Gegensatz zu den farbenfrohen Flashbacks so extrem entfärbt ist, dass einem die damit getroffene Aussage regelrecht ins Gesicht springt. Früher war eben alles besser. Überhaupt können die Zeitsprünge, von denen die erste Hälfte durchsetzt ist, als ambitioniert, aber in vielerlei Hinsicht gescheitert betrachtet werden. Sie geben den Autoren die Möglichkeit, bereits gestorbene Charaktere zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückzubringen, so dass man posthum noch mehr über sie erfährt; faktisch wird diese Möglichkeit aber eher für nostalgische Rückblicke mit Träne im Augenwinkel genutzt als für handfeste Charakterzeichnung. Immerhin ist manche Entwicklung aus soziologischer Perspektive durchaus spannend (etwa das Verhältnis zwischen Alicia und Charlie). Doch selbst dieser Pluspunkt verwandelt sich am Ende in ein dickes Minus: Wenn Tonya Pinkins im zweiten Teil als Antagonistin aufgebaut wird und anderen Lebenden unentwegt ihr merkwürdiges Mantra aufdrängt (wer Anderen hilft, ist schwach), verwandeln sich jegliche Ansätze differenzierter Charakterstudie in überzeichnete Comic-Reliefs, die eine weitere, zunächst eher egoistische Figur mit ihrem heldenhaften letzten Einsatz noch bestätigt. Nein, das ging schon besser.
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Weitere Sichtungen:
Death Note
The Curse
Die Rache des Pharao
Hammer House Of Horror - Die komplette Serie
Die Verfluchten
Die wahren Memoiren eines internationalen Killers
Haus der Todsünden
Upgrade
Savage Dog
Die tödlichen Bienen
Godzilla II: King Of The Monsters
Avengers: Endgame
Das Spiel (Gerald's Game)
Hunter Killer
Day of the Dead: Bloodline

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 17.08.2019, 13:59

Leichen unter brennender Sonne
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Der Extreme-Close-Up auf das starrende Auge, den Cattet und Forzani so gerne nutzen, hat Thriller und Science Fiction bereichert, Horror und Western. Warum sollte man sich bei seiner Reproduktion also auf den Giallo beschränken?

Mit seinem Drittwerk „Leichen unter brennender Sonne“ bleibt das französische Paar seinen Fetischen treu und zitiert auch weiterhin Vertreter des Giallo, bricht aber ansonsten radikal mit der bisher gewohnten Genre-Einbettung. Eine Erhöhung auf den bronzefarbenen Schieferklippen der sattgrünen Küstenlandschaft von Korsika wird zum Zentrum einer Belagerungssituation erklärt, das Refugium eines Malers verwandelt sich in ein Western-Fort und schon sind wir mitten in einem Genre, das mindestens seit Leone prall gefüllt ist mit zugekniffenen Augen und unsichtbaren Kugeln, die zwischen ihnen die Plätze tauschen.

Keine Frage, hier arbeiten Crash Zooms, Dolly Zooms, harte Gegenlichtaufnahmen und schnelle Schnitte in hoher Taktfrequenz daran, den Orientierungssinn des Rezipienten durcheinander zu bringen. Statt Blut spritzt auch mal Gold, Glitter oder Farbe; schwer zu sagen, wenn man von der knallenden Sonne am hellblauen Himmel geblendet wird. Bondage-Szenarien und noch weitaus extravagantere S/M-Fantasien werden in ästhetischen Montagen zum Kunstwerk ausgestaltet, während auf der Tonspur wie üblich das Leder in ohrenbetäubender Lautstärke knarzt. Dazu springt die Chronologie im Dreieck: Der schmerzerfüllte Todesschrei einer angeschossenen Polizistin wird wie ein Zeitstempel eingesetzt, anhand dessen ersichtlich wird, wie die Regisseure die Uhr an einem gewissen Punkt immer wieder zurückdrehen, um die Schlüsselszene noch aus einer weiteren Perspektive zu beleuchten.

Auf den Inhalt kommt es nicht an, sondern auf die Wirkung. Und die ist wie gewohnt angesiedelt zwischen konkurrenzloser Extravaganz und vollkommener Redundanz. Wenn Cattet und Forzani einem Medium neben dem Film besonders nahe stehen, dann wohl der Malerei: Für manchen ein Meisterwerk des Action Painting, das unheimlich viel über die Handlungsmuster seines Erschaffers verrät, für andere ein undurchdringliches Gewirr aus sinnlosen Farbklecksen. Diesmal aber mit einem ganz frischen Motiv, dem Start einer neuen Phase womöglich – sofern ein Künstlerfond weiterhin bereit ist, derart kompromissloses Experimentieren zu subventionieren.
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Searching
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Hauptdarsteller John Cho soll ja zunächst nicht an das Gelingen des ungewöhnlichen Konzepts geglaubt haben. Ein ganzer Film, der sein Videomaterial ausschließlich über Desktop-Hintergründe, Überwachungskameras und Drohnen erzeugt, klingt in der Tat irgendwie nach einer dramaturgischen Totgeburt. Vielleicht brauchte es ja gerade so einen skeptischen Hauptdarsteller, damit das ungewöhnliche Projekt gelingen konnte, denn er passt hervorragend zu der altmodischen Hauptfigur David Kim, die er verkörpert. Und so wird aus einem zeitgeistigen Gimmick-Streifen eine harte Abrechnung mit der nach Belieben manipulierbaren virtuellen Scheinwelt, die irgendwann in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren durch moderne Kommunikationstunnel aufgeblasen wurde.

"Searching" beginnt mit einer äußerst gelungenen Montage, in der die letzten gemeinsamen Jahre einer kleinen Familie in Ausschnitten zusammengefasst werden, bevor die Mutter offenbar an Krebs stirbt, wie die zunehmend trauriger werdenden Blicke in die Kamera verraten. Die Jahre werden quasi in Windows-Versionen gezählt, fließend verändert sich das Design der Fenster, deren Evolution nicht nur diese Kleinfamilie mitgemacht hat, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch der Zuschauer. Längst ausgestorbene Messenger wie ICQ fungieren als Meilensteine für die Vergangenheit, auf Fotos und in Videos werden kurzlebige Trends festgehalten, die kommen und gehen wie Sonne und Mond.

Das ursprünglich als Kurzfilm konzipierte Projekt soll an dieser Einleitung so sehr gewachsen sein, dass man schließlich doch entschied, einen vollständigen Film zu drehen. Auch wenn im nachfolgenden Thriller sicher nicht alle Rädchen sauber ineinander greifen: Das Experiment hat sich durchaus gelohnt. Erfolgreich hält Aneesh Chaganty die Spannung in einem Vakuum, während sich Kims Ungeduld in Besorgnis und schließlich in Panik verwandelt, als seine Tochter plötzlich nicht mehr auffindbar ist. Da wir in der Eröffnungsmontage nur wenig mehr von ihr sehen als inszeniertes Lächeln für die Kamera, hält sich unser Wissen über die vermisste Figur in Grenzen - anders als bei ihrem Vater, dessen echte Reaktionen auf ein echtes Problem live auf dem Bildschirm zu beobachten sind. Der Clou liegt nun darin, dass sich die Persönlichkeit der Tochter erst nach und nach mit jedem Klick, jeder neuen Webseite und jedem Video wie ein Mosaik erschließt.

Es ist nur allzu leicht vorstellbar, dass der Cutter hier einen Höllenjob zu erledigen hatte. Gerade der Aufbau und die Abfolge der Suchparameter ist nicht nur relevant, um auf Story-Ebene irgendwann zur Auflösung zu gelangen (profan gesagt, um "den Fall zu lösen"), sondern auch, um zu verstehen, wie Informationsverteilung im Internet funktioniert, welche Möglichkeiten sie eröffnet und wo sie einen blinden Fleck erzeugt. Wenn Kim bei seiner Suche einen Zwischenerfolg verbuchen kann, wird gleich ein Cluster von neuen Pfaden freigelegt. Manche von ihnen werden sogar unerwartet humorvoll als Sackgasse ausgebaut (Stichwort: Justin Bieber), andere führen auf eine falsche Fährte.

Auch wenn die eigentliche Auflösung nicht völlig rund aufgeht, gelingt der Inhalt doch insofern, als dass er das Formale stark einbezieht und eine Wechselwirkung in Gang bringt, die zu diesem Zeitpunkt zumindest als ungewöhnlich, wenn nicht sogar einzigartig bezeichnet werden kann. Ohne Pferdefuß geht es aber natürlich nicht: Aufgrund der einfachen technischen Reproduzierbarkeit ist bereits eine Welle von Imitationen zu erwarten, so wie wir sie nach "Blair Witch Project" zu überstehen hatten. Dann wohl leider mit vielen mittelmäßigen bis schlechten Beiträgen, denn: "Searching" mag linear aussehen, ist aber als verfilmter Hypertext das komplette Gegenteil. Wer sich einfach sein Smartphone schnappen und einen Film drehen will, sollte lieber bei Found Footage bleiben.
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Stalker
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Muss auch 3 Monate nach Sichtung noch sacken.
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Velvet Buzzsaw
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Die Welt, betrachtet aus der Perspektive des Kunstwerks, muss ein grauenvoller Ort sein. Tausend Augen richten sich in einem sterilen Raum auf dich und werfen dir Blicke zu, die wahlweise abschätzig, fragend oder angewidert sein können. Beinahe, als würdest du auf einem Seziertisch in einem UFO liegen und wärst einem Alien ausgeliefert, das deine Anatomie studiert. Bevor es dich lustlos frisst und sich dem nächsten Objekt widmet.

Dan Gilroy dreht den Spieß um und erlaubt die Erwiderung der bohrenden Blicke. Jetzt soll es die Kunst sein, die den Kritiker verschlingt. Um das zu erreichen, muss sich der Writer-Director weiter in die Satire hinein wagen als bei seinem viel beachteten Regiedebüt „Nightcrawler“. Es gilt schriller zu werden, karikaturistischer, übertriebener. Auch der magische Schritt durch den Spiegel in die Phantastik wird in gewisser Weise verlangt. Also plündert Gilroy seinen Werkzeugkasten und bringt verlaufene Farben zutage, mit der sich Realität (oder: Objektivität) und Wahnsinn (oder Subjektivität) vermischen.

Vor allem Jake Gyllenhaal, der in „Nightcrawler“ noch eine der wenigen gelungenen Varianten des Method Acting präsentierte, bekommt die Lizenz zum „Freak Out“ erteilt und lässt auch gleich mal schön die Murmel rollen. Gemeinsam mit Toni Collette darf er einen besonders schrägen Moment der spontanen Lach-Hysterie zum Besten geben. Ansonsten bleibt seine Performance allerdings seltsam gebremst. Wenn man schon alle Klischees des metrosexuellen, empathielosen Kritiker-Arschlochs zusammentrommelt, dann sollte man darin doch auch bitte völlig aufgehen; ansonsten wirkt es wie im vorliegenden Fall nämlich wie ein billiges Vorurteil. Ein Kritikpunkt, der im abgeschwächten Maß auch für alle anderen Akteure gilt, die sich allesamt ebenso dem Bild gemäß verhalten, dass man aus der Ferne von der Kunstszene in LA haben könnte.

Und leider ist die lauwarme Schauspielführung kein Einzelfall. Den Horror inszeniert Gilroy genauso halbgar, beinahe als fühle er sich nicht so recht wohl dabei, den übernatürlichen Elementen wirklich den Zugang zu seiner Arbeit zu gewähren. Ganz allgemein wirkt der Berührungspunkt zwischen Szeneportrait und metaphorischer Verkleidung unnötig zaghaft. Dabei sind die zugrunde liegenden Ideen oft durchaus originell geraten. Es gibt ein paar tolle Einstellungen zu bestaunen und wirklich ironisch ausgeführte Todesszenen in den unmöglichsten Konstellationen werden realisiert.

Wäre das alles doch bloß nicht so ganz ohne jedes Selbstbewusstsein umgesetzt. Gilroy soll sich gerne wieder an derartigen Stoffen probieren, unterhaltsamer als „Roman J. Israel, Esq.“ klingt so etwas allemal. Dann aber doch auch mal bitte so richtig tief in die Gülle greifen. Niemals sollte man sich zu schade sein, auch bei den Meistern des Trash noch etwas zu lernen.
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Bad Times At The El Royale
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"Bad Times At The El Royale" bietet Ausstattung, Darsteller, Kamera und Musik vom Allerfeinsten. Sollte mal jemand im aussterbenden Format des linearen Fernsehens irgendwann in diesen Film reinzappen - ganz egal an welche Stelle - wird derjenige wohl für ein paar Minuten in Hypnose verharren und sich fragen, ob sich da in der vorherigen Auswertung unbemerkt ein Meisterwerk vor ihm versteckt hat.

Wie wichtig allerdings nicht nur die Ingredienzien sind, sondern gerade deren Verbindung, das wird dann klar, wenn man den zweieinhalbstündigen Ensemble-Thriller wie eigentlich vorgesehen am Stück anschaut. Mit dem Kontext geht auch ein beachtlicher Teil der Faszination für das skurrile Grenzlandhotel und seine Besucher flöten. Je mehr der Betrachter mit Informationen angefüttert wird, desto weniger interessant erscheint das Gesamtbild. Geheimgänge, Abhörwanzen, Doppelidentitäten - mit der Paranoia der Nixon-Ära ist ein übergreifendes Thema gewählt, das wie geschaffen ist für Hitchcock'sche Genre- und Figurenkonstellationen, aber wo es den Vorbildern nicht an einer gemeinsamen Erfahrbarkeit der Situation mangelt - sei es die Party in "Cocktail für eine Leiche" oder das Boot in "Das Rettungsboot" - wirken die Überkreuzungen bei Drew Goddard konstruiert, hochgradig zufällig und sehr bemüht.

Während die erste Hälfte diese Problematik noch relativ gut im Griff hat, auch weil man immer noch wie benebelt ist von dem Look des charismatischen Schauplatzes und vom Produktionsdesign im Allgemeinen, scheitert die zweite Hälfte und dort vor allem der letzte Akt mit Chris Hemsworth an ihr. Auf einmal fällt das ganze Konstrukt zu einer bloßen Groteske zusammen, die mit eskalierender Waffengewalt erzwingen will, was im Suspense-Kino der 60er Jahre noch mit einer einfachen Dialogzeile zu erreichen gewesen wäre: Einen von Fremden gemeinsam erlebten Konsens. Vermutlich möchte Goddard ja sogar darauf hinaus, dass sich die multikulturelle amerikanische Identität eben aus Fragmenten bildet; seiner Arbeit verhilft das aber auch nicht zu mehr Geschlossenheit.
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Der Hund von Baskerville
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Das Haus der geheimnisvollen Uhren
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Ein relativ gewöhnlicher Kinder-Gruselfilm von einem nicht ganz so gewöhnlichen Kinder-Gruselfilmregisseur. Wer wie Eli Roth über Jahre hinweg seine Signatur im Erwachsenen-Horrorfilm hinterlassen hat und sich plötzlich einem jüngeren Publikum zuwendet, dem wird gerne vorgeworfen, sich kreativ zurückzuentwickeln und bloß auf ein größeres Publikum aus zu sein. Obwohl letztgenannter Vorwurf sicherlich nicht völlig entkräftet werden kann, ist es ein Trugschluss zu glauben, der Dreh eines Kinder- bzw. Familienfilms sei anspruchsloser als der Umgang mit den ganz harten Bandagen. So wie die Death-Metal-Kapelle sicherlich zunächst Probleme damit hätte, die Regeln des Pop Rock zu begreifen, dürfte ein Film wie "Das Haus der geheimnisvollen Uhren" trotz seiner stromlinienförmigen Anmutung sicher eine Herausforderung sein für den Mann, der ansonsten Kannibalen, Sadisten und fleichfressende Bakterien in der Vita stehen hat.

Wenn er nun auch das Subgenre nicht mit einer Revolution beehrt, so ist ihm zumindest eine glaubwürdige Imitation des "Schauermärchens für normale Leute" gelungen. Wüsste man es nicht besser, käme man kaum auf den Gedanken, dass jemand den Regiestuhl besetzt, dessen restliche Arbeit das Zielpublikum nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würde. Manche Kreatur sowie das Make-Up von Kyle McLachlan könnte womöglich die ganz zarten Gemüter verstören und auch die Umdeutung vermeintlich vertrauensvoller Charaktere (Lorenza Izzo traut man als Traumerscheinung des Jungen im Grunde vom ersten Augenblick an nicht über den Weg) konterkariert die Erwartungen, die ein Kind an einen solchen Film stellen könnte. Ansonsten handelt es sich aber um einen typischen Vertreter seiner Gattung: Es gibt unheimliche Ausleuchtung, viele Momente der Entlastung durch witzige Zwischensequenzen und eine überbordende Theatralik, die einen immer ein wenig an Vincent Prices' starrende Augen denken lässt. Jack Black ist längst ein Spezialist für die Art Rolle, die er spielt, nimmt er im Grunde doch beinahe seine Arbeit an der Verfilmung von L.R. Stines "Gänsehaut" wieder auf und wäre bei anderer Körperstatur sicher auch ein hervorragender Scrooge, Grinch oder Graf Olaf gewesen. Seine exzentrische Erscheinung sorgt bei aller Düsternis stets für Heiterkeit, gerade wenn er sich mit Cate Blanchett kabbelt, die eine nicht weniger stereotype Figur mit der gleichen Souveränität zum Leben erweckt. Owen Vaccaro zieht derweil alle Außenseiter (und ist das in gewisser Weise nicht jedes Kind?) auf seine Seite mit seiner nerdigen, schwächlichen, aber auch forschen Erscheinung.

Natürlich kann man Roth im Umkehrschluss nun vorwerfen, er habe seine persönliche Note für eine Produktion geopfert, die jeder Auftragsregisseur mit ein wenig Kleingeld in der Tasche genauso gut hinbekommen hätte. Die ausdrucksvoll dekorierte Villa, in der sich Onkel und Neffe auf die Suche nach der tickenden Uhr machen, ist von innen wie außen ein echter Hingucker, die aufgebotenen Monster sind zahl- und abwechslungsreich, ohne in irgendeiner Art und Weise etwas Besonderes zu bieten. Ein wenig fühlt man sich an die jüngeren, harmloseren Filme Tim Burtons erinnert, nur eben ohne die Tragik eines gefallenen Regisseurs, der überhaupt nichts anderes mehr zu können scheint. Für Roth ist es zunächst einmal nur ein harmloser Ausflug in ein fremdes Fach, der als solcher durchaus solide Zerstreuung bietet. Solange er daraus jetzt keine Serie macht, ist alles gut.
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Ballon
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Ein kleiner Schritt für das deutsche Kino, ein großer Sprung für den Regisseur. Deutsche Filmförderung kennt ohnehin nichts anderes als Komödien und Geschichtsdramen, aber für Michael "Bully" Herbig ist es aus der Entfernung betrachtet schon ein kühner Schritt vom ewigen Spaßvogel ins dramatische Fach. Dass er ihn scheinbar so mühelos stemmt, hat ihm viel Respekt und Bewunderung eingebracht, was aber hauptsächlich an der begrenzten Fantasie des Publikums liegt, das sich offenbar nicht vorstellen kann, dass eine Indianer-Astronauten-Sissy auch mal Butter bei die Fische geben kann.

"Ballon" ist aber keine dröge Kunde jüngerer deutscher Vergangenheit wie so viele heimische Produktionen, die sich meist an der Nazizeit austoben, sondern ein voll auf Spannung geeichtes Spiel auf Zeit, das sich den kompletten Werkzeugkasten von Kollege Thriller borgt. Wenn Herbig seine Signatur verrät, dann wahrscheinlich über Ausstattung und Komposition, die er ebenso wie schon in "Der Schuh des Manitu" nach dem Vorbild amerikanischer Cinemascope-Megalomanie ausrichtet. Das ist schon richtiges Kino mit memorablen Bildern und eindringlichen Momenten, das in Sachen Schauwerte eine nahezu perfekte Hollywood-Kopie liefert.

Dass Herbig sein Handwerk voll unter Kontrolle hat, könnte man allerdings auch als eine mit düsteren Wolken und leuchtenden Stoffbahnen erzeugte Illusion bezeichnen. Zwar weiß er ganz genau, welche Zutaten er benötigt und wie er sie beschaffen muss, notfalls auf unorthodoxem Wege. Bemerkenswert ist es, wie er die mühsam zusammengekratzten Millionen dazu aufwendet, eine vierzig Jahre alte Vergangenheit neu zu erschaffen. Doch leider tut er dies ohne Gespür für die Abmessungen der verschiedenen Zutaten, die im Idealfall zu einem nahtlosen Ganzen zusammenspielen sollen. Vor allem der Score donnert wie eine rote Warnleuchte über jeden kleinen Fehler, den sich die Strelzyks erlauben. Ob sich nun das Kind im Kindergarten verplappert, eine Verkäuferin Verdacht schöpft oder ein wichtiger Gegenstand vergessen wird - das Drehbuch lässt kein Klischee einer Hetzjagd aus und die Musik drückt einen auch noch mit der Nase rein.

Die Handlung wird vorangetrieben von einem Thomas Kretschmann im Dobermann-Modus, an dessen berechenbar unberechenbarem Verhalten gegenüber seinen Untergebenen das repressive Vorgehen der DDR immerhin spürbar wird, wenn Herbig auch sonst schon keinen Tauchgang in die Abgründe der Exekutive wagt (und erst recht nicht in die noch viel tieferen Abgründe der Entscheidungsträger). Obgleich der Cast grundsätzlich sehr gut aufgestellt ist und mit Friedrich Mücke, Karoline Schuch sowie den Kinder- bzw. Jugenddarstellern Tilman Döbler und Jonas Holdenrieder ein starkes Zentrum bildet, so gibt es in solchen Filmen doch immer einen, der maßlos übertreibt - in diesem Fall wäre das Ronald Kukulies, der chargierend den kumpelhaft-gefährlichen Stasi-Nachbarn gibt, dessen Auftritte allesamt wirken wie Adrenalin verabreicht durch ein Megaphon.

Das passt aber sehr gut zu dem angeschlagenen Gesamtton. "Ballon" eignet sich bestimmt als Gegenbeispiel für das Klischee, der deutsche Film sei nur zu Fernsehfilmen für den Sonntagnachmittag in der Lage. Dieser hier hat es immerhin in den Schulunterricht geschafft, wo er in einer Reihe mit "Schindlers Liste" und "Operation Walküre" seinen Zweck als leicht verdauliche Schnupperstunde für Lernbegierige im Geschichtskurs seinen Zweck erfüllen darf. Aber auch wenn es vor allem bei dem persönlichen Bezug zum Thema, den Herbig vorweisen kann, schwer fallen mag: Manchmal sind die leisen Töne wirkungsvoller.
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Gänsehaut 2
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Wenn der Star von Bord geht und die trotz allem geplante Fortsetzung ohne ihn auskommen muss, dann setzt das normalerweise eine unaufhaltsame Kettenreaktion in Gang, an deren Ende nicht gerade ein sehenswertes Produkt wartet. Kein Star, kein Werbeobjekt. Kein Werbeobjekt, keine Resonanz. Keine Resonanz, kein Budget. Kein Budget, keine Fortsetzung, die man ohne jede Scham als solche bezeichnen könnte.

Doch „Gänsehaut 2“ hat ein paar Überraschungen parat. Dazu gehört, dass Jack Black eben doch mit dabei ist, auch wenn er nicht in den Credits geführt wird und in seinen paar Minuten Einsatzzeit gegen Ende der Partie einen nicht gerade essentiellen Beitrag leisten darf. Viel überraschender jedoch: Der unbeschwerte Monster-Spaß, den Teil 1 ermöglichte, erlebt nicht die befürchtete Talfahrt, sondern pendelt sich auf einem Level ein, das zumindest noch in der gleichen Liga zu verorten ist.

Abstriche sind natürlich dennoch zu machen. „Gänsehaut“ war insgesamt atmosphärisch dichter und hatte auch eine Geschichte zu bieten, die zumindest den Ansprüchen von Kinounterhaltung für Kinder genügt, bei der sich auch dem älteren Publikum nicht die Zehennägel aufrollen. Wenn der zweite Teil Defizite aufweist, dann in diesem Punkt: Das Drehbuch ähnelt dem Baukastensatz, der für TV-Filme aus dem Nachmittagsprogramm vorgesehen ist. Erwachsene spielen praktisch keine Rolle mehr; wenn sie einen Auftritt haben, dann als dumpfbackige, fantasielose Paragraphenreiter, die mit Scheuklappen durch die Welt rennen. Auch der größtenteils ausgetauschte Cast ist ein typisches Symptom von dtv-Ware. Immerhin ist eine der Hauptrollen mit „ES“-Kinderstar Jeremy Ray Taylor besetzt und Ken „Mr. Chow“ Jeong darf als benachbarter Super-Weirdo die halbe Dekoration des Films in seinem Vorgarten verwalten.

An der Menge und Qualität der Spezialeffekte allerdings gibt es nichts zu meckern. Das kunterbunte Nebeneinander aus Galle spuckenden Kürbissen, Gummibärchen-Armeen und alten Bekannten wie dem Yeti oder dem Werwolf ist zwar nicht besonders organisch in die Umgebung eingebunden, trägt aber zu einem vielfältigen Bonbonlook bei, der Wonnegefühle freisetzt wie eine fabrikneue Tafel Schokolade. Die allgegenwärtigen Ansprüche an realistische Spezialeffekte werden wie schon beim Vorgänger geflissentlich ignoriert und die Konsequenz, mit der das geschieht, kann nur das Herz erfreuen. Mit dem stark von „Frankenstein“ inspirierten, in Plasma-Grün getauchten Schlussteil formt sich Stines Lexikon des monströsen Allerlei dann sogar noch zu einem ganz konkreten Filmzitat, das die kleineren Zuschauer spielerisch an alte Filmklassiker heranführt.

Das ändert zwar nichts an dem eher zweitklassigen Gesamteindruck, aber nachdem man bereits Kinderanimation aus dem Super-RTL-Programm erwartet hatte, entpuppt sich „Gänsehaut 2“ doch noch als positive Überraschung.
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Hotel Transsilvanien 3
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Da kannst du trotzig in die Faust beißen und die Luft anhalten, bis die Adern auf dem Hals wie kleine Purpur-Tentakel leuchten: Wenn eine Filmserie nur lange genug läuft, wird sie irgendwann einen Tapetenwechsel vollziehen und die Welt da draußen erkunden wollen. Ganz egal, wie sehr sie sich dem Heimatfilm verbunden fühlt. Das nennt man dann wohl die Furcht vor dem Stillstand. Bei „Hotel Transsilvanien“ läuft das auf ein ziemliches Problem hinaus, denn wenn die völlig ausgeflippte Animationsreihe auch nur einen Fels in der Brandung hatte, dann war es das Schlosshotel in den Karpaten, ein nie versiegender Quell wunderbarer Erinnerungen an viele alte Monsterfilme, die zumindest zwei Filme lang für ausreichend Inspiration sorgte.

Während jedoch Gestalten wie Jason Voorhees, Urhörnchen Scrat, der Leprechaun, die Critters oder der tapfere kleine Toaster Weltraumtourismus betrieben, zieht es die Draculas fürs Erste „nur“ ins Bermuda-Dreieck. Der Gedanke ist klar: Bermuda-Shorts über elfenbeinblasser Haut und bunte Hawaiihemden zu düsteren Gothic-Gesichtern sollen gar lustige Kontraste bilden, nach Art von: Ach schaut mal, die Gruftis wagen sich an die Sonne! Immerhin, Sonne hat's gar nicht so viel auf der Kreuzfahrt, denn schließlich befinden wir uns ja quasi in der Twilight-Zone, dort, wo all die verschollenen Schiffe landen. Dadurch, dass der Himmel stets in unheilvollem graublau vor sich hin grummelt, ist es beinahe so, als hätte man ein Stück Heimat auf Reisen mitgenommen. Gut so, denn das quietschbunte Filmposter drohte alle Alpträume einer typischen Outsider-Komödie wahr werden zu lassen, in der normale Menschen mit dem Finger auf das Obskure zeigen.

Obwohl die Kreuzfahrt also nicht halb so unerträglich ausfällt wie erwartet, hat sich doch insgesamt zu viel Buntes in die Tüte geschmuggelt und man vermisst das Hotel in dem Moment, in dem es im toten Winkel des Drehbuchs verschwindet. Die Story rund um Dracula, seinen Erzfeind Van Helsing und seine ominöse Love Interest ist reinste Verzweiflung und lässt nicht gerade viel Potenzial für einen möglichen vierten Teil zurück; wenn schon so etwas verfilmt wird, kann ja nicht mehr viel in der Hinterhand bleiben. Zu allem Überfluss wird die fragwürdige Tradition vom „Tanz in den Abspann“ diesmal auch noch auf das komplette Finale ausgedehnt, inklusive äußerst fragwürdiger Musikauswahl (auch wenn die üblen Nummern immerhin aus dem Koffer des Bösewichts stammen).

Zumindest die Charaktere lassen sich von den Schirmchendrinks nicht die Laune verderben und drehen weiter fleißig am Rad. Die Franchise bleibt schon deswegen wertvoll, weil sie zu den wenigen standhaften Rebellen gehört, die sich standhaft gegen die Disney-Pixar-Weltherrschaft zur Wehr setzen und die niemals ein „Dreamworks Face“ aufsetzen würden, weil sie ihr ganz eigenes Repertoire an bekloppten Gesichtsausdrücken mitbringen.

Ob das aber auf lange Sicht reicht? Sollte man bei Sony Pictures bereits über die Trilogie hinaus denken, kann man nur hoffen, dass sie der Versuchung widerstehen, die Monster Connection ins Weltall zu schießen. Echtes Monster-Flair gibt’s eben nur in Rumänien.
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Suspiria
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Unantastbar ist das Klang- und Farbenspiel eines Dario Argento in seiner Blütezeit. Diese eine Wahrheit muss im Raum gestanden haben, als sich Luca Guadagnino dazu verpflichtete, die Regiearbeiten bei der Neuauflage von "Suspiria" zu übernehmen. Die bisherige Themenauswahl und der Stil des Italieners ließen das befürchtete zweite Bad in einem Kessel Buntem ohnehin in weite Ferne rücken. Man durfte hoffen, dass gerade er um die Möglichkeit wusste, zum Kern eines geschätzten Kunstwerks auch über Alternativwege vordringen zu können. Und dass dieser Weg, dem Original zu huldigen, im Endeffekt deutlich mehr Früchte tragen würde als eine bloße Kopie mit dezenter Signatur des Kopisten, um die Illusion von Individualität zu erzeugen.

Obgleich man nun wiederum glauben könnte, Guadagnino flüchte vor seinem eigenen Bezugsobjekt, indem er alles möglichst anders mache, geschieht in den ausgeblichenen Sepiafarben des RAF-Berlins, im wehklagenden Score von Thom Yorke und in der kindlichen Typografie des Titels Gegenteiliges: Aus einem selbst errichteten Wirkungsfeld heraus wird ein Parallelpfad erschaffen, der sich, auch wenn er entscheidende Aspekte und wichtige Szenen des Originals unter Umständen ignoriert, im Endeffekt niemals allzu weit von diesem entfernt.

Diese Erschaffung eines Parallelismus wiederum gelingt Guadagnino mit dem Auge und dem Ohr eines Meisters. Trockene, wild zwischen Körperlichkeit (Spiegelraum-Szene) und Körperlosigkeit (die völlig effektlose Art und Weise, wie sich eine Person gegen Ende einfach in Luft auflöst) rotierende Spezialeffekte setzen den physikalischen Rahmen, vor dem ein filterloser Realismus zu wirken beginnt, der gelegentlich ohne jedwede Übergangsschwelle ins Übernatürliche kippt. Auch wenn man bei Schnitt und Dramaturgie eine Tendenz unterstellen kann, das Antiklimatische regelrecht herauszufordern, auch wenn der finale Akt aufzeigt, dass hier wahrlich kein Horror-Experte den Dirigentenstab führt und diesbezügliche Versuche zur gewöhnungsbedürftigen Outsiderkunst ausarten, so ist "Suspiria" doch ein wunderschöner, ästhetischer, nach einer betont synthetischen Definition sogar sinnlicher Film geworden, in der jede einzelne Sequenz mit reinster Semantik verwoben ist. Einfach alles scheint hier etwas zu bedeuten: Der Schnee, der auf die Straßen Berlins fällt, die Bomben, die im Hintergrund explodieren. Der Ausdruck im Tanz, zwischen Boden und Luft. Das Seufzen, das sich aus der Rückblende mit der kranken Mutter in den Bahnhof überträgt. Die rein weibliche Hauptbesetzung. Das Gekicher der Hexen in dem kleinen Raum mit dem entblößten Mann, die Schritte, die in die Eingeweide der Akademie führen.Es wird plötzlich eine unentdeckte Quelle an Potenzial angezapft, die seit Jahrzehnten in der Genre-Arbeit Argentos schlummerte. Unter diesem Aspekt betrachtet ist Guadagninos Werk womöglich die ideale Entsprechung dessen, was ein Remake leisten kann und sollte.

Wenn es jedoch darum geht, wie gut dieser Film für sich selbst steht, ist eine Neubewertung erforderlich, die erwartungsgemäß zu hohen Diskrepanzen in der Bewertung führen kann. Während die eine Gruppe sieht, wie sich die Nachwehen des Nationalsozialismus als dunkler Schatten über die gesamte Handlung legen, endet der Schatten für die andere Gruppe bereits nach dem Prolog und fristet ein isoliertes Dasein. Für manchen Beobachter gehört Guadagnino wie ein Ari Aster, Robert Eggers oder Jordan Peele zu jener illustren Gruppe von Horrorfilm-Avantgardisten, die das Genre aus seiner Autonomie führen und es wieder zum Teil gesellschaftlicher Kultur machen wollen, ein anderer wiederum sieht das Werk eines kühlen Designers, dem die Form so wichtig ist, dass eine angemessene Umsetzung des Inhalts in Frage gestellt wird.

Im Grunde ist das eine weitere Parallele zum Original, welches immer wieder als Beispiel herangezogen wird, wenn der Begriff „Style Over Substance“ diskutiert wird. Während man jedoch dazu neigt, Argento seine Nachlässigkeit beim Thema inhaltlicher Kohärenz nachzusehen (denn dafür leuchtet es ja schön bunt), wird Guadagnino für eine ähnliche Zielsetzung mit anderer Methodik härter angegangen. Seine Suche nach einem Sinn bleibt aber nicht ohne Ziel; die matriarchalen Strukturen, die er ähnlich wie zum Beispiel Nicolas Pesce in „The Eyes Of My Mother“ mit einer Art Vererbungslehre verknüpft, führen direkt in eine reichhaltige Vision, die jeden Diskurs wert ist.
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Mortal Engines
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Welches Ungleichgewicht entsteht, wenn die Concept Art alle übrigen Kategorien des Filmhandwerks vollkommen überstrahlt, lässt sich ganz wunderbar an der rollenden Dystopie "Mortal Engines" ablesen. Die Trailer profitieren noch von den nie zuvor gesehenen Bildern mobiler Städte, die von noch viel größeren Städten in der laufenden Bewegung verschluckt werden. Eine derartig kühne SciFi-Konzeption widerspricht immerhin vielen Jahrtausenden menschlicher Siedlungsgeschichte, die nun einfach gekreuzt wird mit der Geschichte der Mobilität. Wem schon Wohnwagen und Hausboote suspekt sind, der wird hier erst recht stutzen. Aber auch alle anderen dürften aufgrund des architektonischen Umfangs der Ungetüme mit den Ohren schlackern, zumal im Design durch die Steampunk- und Industrial-Anleihen eher die Vintage-Schiene bedient wird. Man könnte das Gefühl bekommen, dem normalen Kinogänger, der ohnehin immer den Finger am Logik-Abzug hat, ist das alles ein wenig too much. Zumindest würde Peter Jacksons Drehbuch nach dem Buch von Philip Reeve sehr hart an den Erklärungen der Hintergründe feilen müssen. Eine starke Background-Story wäre nötig, um die längst eingebrannten Bilder von Städten auf Rädern zu stützen.

Doch was soll man sagen, die fahrenden Städte bleiben ein auf sich selbst verweisendes Argument. Natürlich ist es spektakulär, wie die Kamera um die riesigen Flaggschiffe kreist und zwischen dem ausgedorrten Boden und der höchsten Stelle der Festung permanent Aufzug fährt, womit ein immersives Gefühl für die gewaltigen Dimensionen erzeugt wird. Aber, egal wie man sich verrenkt, es geht am Ende eben nicht um die Sets, sondern immer um die Figuren. Reeve bzw. Jackson sind sich dessen auch völlig bewusst. Es gibt große Emotionen, vorgetragen in bedeutungsvollen Momenten wichtiger Entscheidungen. An Gefühlschaos mangelt es ebenso wenig wie an Taten im Affekt, die zu brutalen Konsequenzen führen. Woran es aber fehlt, sind ausgerechnet jene menschlichen Makel, von denen man wohl glaubte, sie der Heldin einfach in Form einer großen Gesichtsnarbe verpassen zu können. Aber so einfach ist es nicht.

Möglicherweise hat das Buch hier einen Vorteil, denn während die trotz der Vermummung immer noch zu niedliche Hera Hilmar den eng gefassten Hollywood-Regeln für Identifikationsfiguren entspricht, kann sich der Leser immer seine eigene Heldin ausmalen. Eine Feststellung, die auf Co-Star Robert Sheehan ebenso zutrifft. Das gesamte Figurenrepertoire erinnert auf unangenehme Weise an den kurz entflammten und schnell wieder abgestorbenen Zweig des Young-Adult-Movies, was sicherlich auch auf die Themen aus dem Dunstkreis "Dystopie und Rebellion" zurückzuführen ist. Statt einer Zukunftsversion des imperialistischen Roms aus Cäsars Tagen wie bei "Die Tribute von Panem" gibt es eben diesmal Dampfmaschinen aus dem Do-It-Yourself-Katalog, aber solche "Skins" ändern am eigentlichen Modell nicht viel. Und das stammt hier leider mal wieder aus einem Baukastensatz.
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Judgment Night
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Authentizität ist eine nette Sache, aber wenn sie der Grundidee im Weg steht, sollte man nicht zögern, sie schleunigst aus dem Weg zu räumen. Das dachte sich wohl auch Stephen Hopkins, dessen "Judgment Night" bestimmt nicht so sehr von seinen knackigen Kontrasten profitieren könnte, wenn er sich darum gekümmert hätte, was glaubwürdig ist und was nicht. Für das, was er vorhat, braucht er Schwarzweißzeichnungen, Vorurteile, Klischees und alles, was er sonst noch so finden kann. Würde man das Herrenquartett im geliehenen Wohnmobil jedenfalls nicht so gewaltsam in einen abrupten Situations- und Stimmungswechsel schubsen, käme der Auswärtsspiel-Charakter zu kurz, der nur eine Ecke hinter der Abzweigung vom Hauptpfad sehr schnell zu wirken beginnt.

Also schlucken wir verständnisvoll herunter, dass Peter Greenes Gang-Boss so gezeichnet ist, dass man von ihm eigentlich leise, strategisch kluge Vorgehensweisen erwarten würde, er stattdessen aber mit seinen Männern wie ein Elefant durch das Viertel poltert, um die Zeugen seiner Straftaten unschädlich zu machen (wobei er theoretisch Dutzende weiterer Zeugen verursachen müsste). Ebenfalls nicken wir ab, dass Obdachlose in diesem Film grundsätzlich wie Rudel von Hyänen agieren und dass im Grunde der komplette Ablauf der Jagd präpariert wirkt, abgesteckt mit Streckenbegrenzungen wie bei einem organisierten Marathon.

Völlig egal, denn die Situationen, die Hopkins aus dem Dunkeln zieht, könnten die Spannung kaum effektiver weiterleiten. Die einzelnen Situationen gehen ineinander über wie miteinander verknotete Taschentücher, eine Aneinanderkettung, die sich von Anfang bis Ende durch den Film zieht und für Non-Stop Anspannung sorgt. Dazu kommen überaus gelungene Nachtaufnahmen, in denen durch das Zusammenspiel von Straßenbeleuchtung und Schattenwurf starke Bilder entstehen, weiterhin ein innovatives Soundtrack-Konzept, das 25 Jahre später immer noch zündet und den Retro-Bonus dabei gerne mitnimmt.

So gerät "Judgment Night" zum kleinen Bruder von "Predator 2" - ein perfekt geschmiertes Actionthriller-Getriebe, bei der die hässlichsten Ecken der Großstadt zum Urwald umgedeutet werden. Nüchtern betrachtet macht Hopkins kaum mehr als die Mechaniken abzurufen, die er benötigt. Die laufen dafür aber wie ein Uhrwerk.
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The Ballad of Buster Scruggs
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Coen & Coen spielen: Buster Scruggs' Greatest Hits und andere Balladen. Ein Episoden-Western wie ein ausschweifendes Country-Album, das eine Vorstellung von der unermesslichen Vielfalt amerikanischer Gründerkultur geben möchte, indem es sie möglichst breit abbildet. Jeder Song ausgestattet mit einer ganz eigenen Färbung, eigenen Charakteren und eigenen Lehren. Wenn den Coens ein Road Movie wie „Inside Llweyn Davis“ angemessen erschien, um dem Folk auf die Spur zu kommen, dann erschließt sich auch ihre Motivation, das Western-Genre in 20-Minuten-Häppchen zu portionieren. Nachdem bereits zwei vollwertige Western zur Werkschau der Coens gehören („No Country For Old Men“, „True Grit“) und viele ihrer weiteren Arbeiten (wenn nicht alle) mit klaren Referenzen ausgestattet sind, ist womöglich irgendwann die Erkenntnis gereift, dass man zehn Regie-Karrieren und mehr in dieses weite Feld investieren könnte... und es am Ende doch nicht im vollen Umfang erschlossen hätte.

Da ist es gar kein schlechter Deal, wenn wir anstatt der sechs Western, die nun niemals gedreht werden, sechs Grundszenarien in einem Film zusammengefasst bekommen. Was nicht bedeutet, dass es sich bei den einzelnen Folgen um unausgereifte Rohschnitte handelt. Im Gegenteil; begonnen bei der ersten Einstellung des reitenden und singenden Buster Scruggs ist jede folgende Minute bis ins Feinste durchkomponiert und mit der tragischen, bisweilen auch komischen Poesie durchsetzt, wie sie den Coens schon immer zu eigen war. Hinzu kommen für jedes einzelne Kapitel ganz spezielle Eigenschaften. Man muss nur einmal die mit einem kräftigen Farbschema versehene Heimatfilm-Landschaft betrachten, die Tom Waits als Goldsucher umgräbt. Oder den begrenzten Raum der abschließenden Postkutschen-Folge, die anders als alle vorhergehenden Folgen auf Kammerspiel- und Ensemble-Werkzeuge setzt und einem Kapitel aus Tarantinos „The Hateful Eight“ dadurch verdammt nahe kommt. Oder man vergleiche die Taktart, die der Bankräuber-Story um James Franco ihr Tempo verleiht, mit der Story um den Treck, der ganz gemächlich Anlauf nimmt. Oder auch den schwarzen Humor der Eröffnung (Tim Blake Nelson brennt ein regelrechtes Feuerwerk ab) mit der Bitterkeit, die sich in der Geschichte um den Theatermimen ohne Gliedmaßen ausbreitet.

Diese Vielfalt ist der Schlüssel zum Gelingen der kuriosen Geschichtensammlung, die zu jedem Zeitpunkt den charakteristischen Stempel der beiden Regisseure trägt und dennoch dazu in der Lage ist, immer wieder neue Schwerpunkte zu setzen und Perspektiven einzunehmen. Dass dabei auch noch die handwerkliche Klasse bestehen bleibt, an die man sich längst gewöhnt hat, setzt das i-Tüpfelchen auf diese Arbeit, die aus gemeiner Ironie heraus überhaupt kein „i“ im Titel trägt...
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Blackkklansman
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Bei den berüchtigten Spike-Lee-Joints muss man immer ein bisschen vorsichtig sein. Die Schwarzweißmalerei ist sein liebster Kunststil; das betrifft nicht nur seine Themenauswahl, sondern auch seinen rhetorischen Stil. Er ist jemand, den man aus weiter Entfernung mit einem Prediger verwechseln könnte, einer, der mit der gleichen Aggression die eigene, als Outsider-Sicht verstandene Perspektive im gleichen Stil verteidigt wie seine Gegner, bei denen es sich gewöhnlich um die Etablierten und Institutionellen handelt. Mit dem Black-Power-Anführer Kwame Ture (gespielt von Corey Hawkins) teilt er genug Eigenschaften, dass man fast von einer Selbstreferenz sprechen könnte. Doch gerade in seiner parolenhaften Artikulation sollte man Lee niemals unterschätzen; zwischen den unterdrückten, wütenden Afroamerikanern und den debilen weißen Rassistenschweinen, die in "BlacKkKlansman" die Flanken bilden, ruht nämlich ein kleiner Kosmos gelebter Gleichheit, der nicht viel Aufhebens um sich selbst macht.

Die Story des schwarzen Polizisten Ron Stallworth, der Anfang der 70er den Ku-Klux-Klan unterwanderte, ist wie gemacht für jemanden wie Lee. Ein schwarzer Cop, der sich mit seinem weißen Kollegen eine Undercover-Identität teilt und so einen Weg in den inneren Kreis der Kapuzenträger findet... das ist nicht nur eine unglaubliche Story, das hat auch die naive Wünschelrutenkraft eines Fantasy-Rassismusdramas aus der Gattung Bodyswitch ("... und am nächsten Morgen wachte der Nazi auf und war schwarz wie die Nacht."). Wenn man damit dann auch noch den KKK-Anführer David Duke so richtig an der Nase herumführen kann (jede Minute Filmgold: der schmächtige Topher Grace mit All-American-Moustache in der Pose eines gütigen Halbgottes): um so besser.

John David Washington und Adam Driver sind dabei die Brillengläser einer gemeinsam geteilten Sicht auf die Welt: Ihre Blickwinkel sind niemals vollständig synchron, verlaufen aber beim Blick in die Mitte zu einer Einheit, die somit zu Lees ultimativem Argument für Rassengleichheit wird. In den unverbindlichen Gesprächen zwischen den Jobpartnern, etwa bei der Einstimmung auf die Einsätze in den Büros der Polizeistation, spielt der Film all seine Stärken aus. Vor dem Hintergrund der aufwühlenden Bürgerrechtsbewegungen ist die besonnene, fast unpolitische Methodik der Beiden wahres Balsam. Sie bewegen sich gewissermaßen durch den blinden Fleck öffentlicher Aufmerksamkeit und sind vielleicht auch deshalb so unsichtbar für ihre Zielobjekte, weil sie in erster Linie eben nicht aus dem Hass heraus agieren, sondern auf Grundlage eines nüchternen Gerechtigkeitsempfindens - oder auch einfach nur aus Pflichtgefühl gegenüber dem eigenen Beruf.

Diese emotionale Selbstbeherrschung beansprucht der Regisseur keineswegs für sich selbst. Kurz vor Ende spannt er endgültig den (auch vorher schon spürbaren) Bogen zur Gegenwart, indem er dokumentarische Bilder der Rassendemonstrationen von 2017 einblendet (herber Stoff, der wirklich betroffen macht) und mit Erklärungsversuchen des amtierenden Präsidenten kombiniert, die kaum noch eine andere Regung zulassen als tiefes Bedauern. Lee macht sich also gewissermaßen für einen Moment zu einem "Partner in Crime" seines weißen Kollegen Michael Moore. Ein wunderbar eingefädelter Parallelismus zur Filmhandlung. Wenn man so will, erklärt Lee seine Hauptfiguren dadurch zu seinen persönlichen Helden; Fähigkeiten und Eigenschaften bewundernd, die er selbst nicht sein Eigen nennen kann.
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Underground Werewolf
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Mit einem brandheißen Pageturner sollte man bei diesem Lebend-Comic eher nicht rechnen, aber zum Herumlungern auf dem Dachboden zwischen zerfledderten Heftseiten ist "Underground Werewolf" durchaus zu gebrauchen. Das plüschige Ungetüm aus Tinte und Pelz vermag die Gänsehaut zwar nicht gerade zu stimulieren, sehr wohl aber wohlige Schauer der Vergnüglichkeit auszulösen, wenn es seine Opfer mit der Wendigkeit eines Bodybuilders auf Steroiden durch winzig kleine Zimmer jagt.

Die späten 80er und frühen 90er waren ohnehin ganz groß, wenn es darum ging, erfundene Geschichten lebendig werden zu lassen. Charles Band kehrt hier die Krümel von den großen Kuchen zusammen und verwertet sie in einem charismatischen Haus mit potenziell entflammbarer Holz-Innenverkleidung, die als Zusammenkunft einer abstrusen Mischung aus Kunststudenten dienen soll - schön, dass man seinerzeit schon so fortschrittlich war, den Pulp-Comic als Kunstform anzuerkennen. Debrah Farentino macht in der Hauptrolle zwar eher den Eindruck einer schnöseligen Neureichen, die sich undercover unter jenen bewegt, die mal am Hungertuch nagen werden, aber so wirklich interessieren solche Details niemanden in der Art Film, mit der wir es hier zu tun haben. In Yvonne De Carlo findet sie immerhin einen starken Konterpart, während Jeffrey Combs im Prolog für ein wenig B-Glamour sorgt.

Letztlich hat Buechlers Heuler wenig mehr zu bieten als ein paar kompetent angefertigte Tuschezeichnungen, ein überdimensionales Monsterkostüm und ein wenig Blut, aber mit seinen kaum mehr als 70 Minuten ist der Spuk angenehm schnell vorbei und dank der flotten Regie bleiben einem echte Längen erspart. Mit einem "Cult Classic" allerdings hat das alles nichts zu tun.
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Isle Of Dogs
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Als Parabel auf eine allgegenwärtige, immer akuter werdende Problemverdrängungskultur ist Wes Andersons neue Arbeit von ungewohnt politischer Strichführung. Sie lässt sich auf eine Vielzahl zeitgenössischer Debatten ein: Das Thema Umwelt und Ressourcen schimmert sichtbar durch das chaotisch-verspielte Szenenbild, aber auch der Umgang mit den Ausgestoßenen und Heimatlosen, mit Kranken und Schwachen ist ein Leitthema seiner Dystopie. Und obwohl ästhetisch kaum Unterschiede bestehen zwischen seinen akribisch verzierten Realfilmen und dieser Miniaturkunst der Puppen und Schaukastenlandschaften, so hat "Isle of Dogs" als Animationsfilm interessanterweise weit weniger von einem Märchen als vielmehr von einem harten Weckruf, den es zunächst einmal zu verarbeiten gilt.

Indes bleibt der Regisseur in der Wahl seiner Werkzeuge für seine Verhältnisse ungewöhnlich fantasielos. So naheliegend die Anleihen an die japanische Kultur in Hinblick auf die angeschnittenen Themen sein mögen, weder der Müllinsel noch der Gesellschaft aus streunenden Hunden kann man als Bildnis mehr zutrauen, als dass sie das zu Erwartende abbildeten. Zu sehr verlässt sich der Regisseur auf seinen eigenwilligen, zweifellos auch individuellen Animationsstil, wird doch hauptsächlich das Artdesign als Bedeutungs- und Geschmacksträger verwendet, weniger die Geschichte selbst, die lediglich einen groben Konstruktionsplan beisteuert. Die klapprige, wenig ästhetische Erscheinung der Vierbeiner sucht aktiv das Mitleid des Zuschauers und verwendet dazu (anfangs eher wenig erfolgreich) ein exzentrisches Humorverständnis, das Anthropomorphismen immer wieder gegen realistische Verhaltensweisen des Hundes ausspielt. Wo die majestätischen Namen auf den Halsbändern einen Kontrast zum Zustand ihrer Träger ergeben und trockene Nieser die Stille durchbrechen, um fast geräuschlos in den Müllbergen zu verschwinden, wird man dazu angehalten, die Persönlichkeiten der Tiere zu bemerken und angesichts der gezeigten Situation Scham zu empfinden. Das gelingt nur bedingt, denn auch wenn die Abkehr von den aufdringlichen Emoticon-Schemata der erfolgreichsten Animationsschmieden wahrhaft erholsam ist, für eine herzerwärmende Geschichte von einem Jungen auf der Suche nach seinem verschollenen Hund ist diese Vision womöglich eine Spur zu alienesk.

Es wird manchem Betrachter wohl dennoch möglich sein, "Isle of Dogs" von ganzem Herzen zu lieben, denn seine Belange sind aufrecht und seine Artikulationsmittel unkopierbar. Ein Unikat zweifelsohne, auch wenn Anderson offenbar mehr aus seinen Inhalten zu schöpfen weiß, wenn er sich mit Leidenschaft der Leichtigkeit hingibt.
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The Untold Story
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Kurzkritik ist noch in Arbeit, hat mir aber wegen des bekloppten Hauptdarstellers und der typischen 90er Machart gut gefallen.
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Dracula
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Endlich mal das Hammer-Original nachgeholt... aber wie schon der 30er mit Lugosi fällt er unter den Monster-Klassikern gemessen an ihrem Status für mich doch deutlich ab. Er ist spürbar näher an der literarischen Vorlage (aber nicht so nah wie Coppolas Adaption) und überzeugt mit einer schönen Ausstattung und hat natürlich Christopher Lee auf seiner Seite, aber vielleicht kenne ich die Geschichte schon so in- und auswendig, dass mich das alles für eine Neusichtung nicht mehr komplett überraschen konnte. Trotzdem natürlich ein schöner Film, den man auf jeden Fall mal gesehen haben sollte.
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Cabal
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Kurzkommentar ggf. noch in Arbeit, aber für mich klar der schwächste unter Barkers Regiearbeiten. Sehenswert vor allem wegen der schieren Masse an Creature Effects, aber dafür hat das alles auch diesen Hang zum Kitsch und lässt das Mythologische vermissen, das es abbilden möchte.
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Mid90s
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Es wäre ein Trugschluss zu glauben, ein Film über die Skater-Subkultur der 90er Jahre stehe und falle ausschließlich mit der Auswahl der T-Shirt-Motive und der Musikstücke für den Soundtrack. Jede hoch budgetierte Hollywood-Produktion ist dazu in der Lage, derartige Recherche zu betreiben, Experten zu Rate zu ziehen und die perfekte Illusion eines Orts in einer Zeit zu erzeugen, die bereits ein Vierteljahrhundert in der Vergangenheit liegt. Die Kunst liegt darin, die Notwendigkeit einer Illusion zu durchbrechen. Jonah Hill gelingt das in seinem Regiedebüt wenigstens über weite Strecken überragend.

Denn "Mid90s" ist gewissermaßen selbst ein Kind der 90er. Mit seinem tatsächlichen Entstehungsjahr hat er keinen Wissensvorsprung gemein, er reflektiert nicht aus gereifter Perspektive, sondern erinnert sich nur. Und das tut er dermaßen bildhaft, dass gerade die Gesten, der Slang und gewisse Einzelmomente wie heftiger Déjà-Vu-Regen auf das Erinnerungszentrum des 80er-Jahrgangs niederprasselt. Es ist eben nicht die Panorama-Einstellung einer bis auf den letzten Bordstein nachgebildeten Vergangenheit, mit der man die Authentizität einfängt; es ist die völlig aus dem Kontext gerissene Momentaufnahme in 16mm, die ein möglicherweise völlig banales Ereignis beinhaltet; aber ein solches, das es eben nur einmal im Leben gab.

Hills Skript tut demnach gut daran, nicht zu viel Story zu kanalisieren. Sein Film atmet nicht in den dramatischen Wendepunkten, sondern zwischen den Kontexten, wenn die Figuren getrieben von ihrer inneren Motivation miteinander agieren und soziale Regeln zu greifen beginnen, ohne dass sie sich dessen bewusst wären. Vielleicht lässt Hill seinen jungen Hauptdarsteller Sunny Suljic eine Spur zu oft grinsen, wenn er innerhalb seines Freundeskreises Fortschritte verzeichnet; davon abgesehen ist aber auch die Schauspielführung derart authentisch, dass man kaum Schauspieler vor sich zu sehen glaubt, sondern vielmehr echte Jugendliche. Das gilt für Suljic ebenso wie sämtliche Darsteller aus der Skater-Gruppe, aber auch für Lucas Hedges, der unheimlich viele Facetten in eine Figur bringt, die unter falschen Voraussetzungen zum klischeehaften Bully geraten wäre.

Seinen Höhepunkt verzeichnet "Mid90s" kurz vor dem Klimax, der seinerseits ein eher unnötiges Zugeständnis an klassische Filmdramaturgie darstellt. Bis zu jenem Zeitpunkt driftet die Handlung einfach von Tag zu Tag, als sich langsam andeutet, dass der geschlossene Kreis mit der Sorglosigkeit der Jugendjahre zerbrechen wird. In dieser Phase erreicht Hill die Intensität von "Kids", wenn er die dämmernde Erkenntnis in den Gesichtern der Darsteller einfängt, ohne groß Aufhebens darum zu machen. Das Schicksal greift schließlich als harter Einschnitt in den natürlichen Verlauf der Entwicklung ein und wird zum Meta-Kommentar, für den kein Anlass bestand. Bis dahin allerdings hat es kaum jemals so eine realistische Zeitreise in die 90er gegeben.
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Spider-Man - A New Universe
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"What if...", lautet der Titel einer angekündigten Marvel-Serie. Was Spider-Man angeht, können sie die verheißungsvollen Gedankenspiele um das Was-wäre-wenn jetzt beruhigt stecken lassen, denn Sony Pictures waren schneller und haben genau das bereits in die Tat umgesetzt. "Into The Spider-Verse" ist der mitgefilmte Fall einer klitzekleinen Spinne in eine gigantische Schüssel voller Dimensions-Salat, zubereitet aus den frisch gedruckten Papierfetzen eines Comicheftes.

In mehrfacher Hinsicht bricht das Drehbuch von Phil Lord und Rodney Rothman mit konservativen Vorstellungen eingefleischter Comic-Nerds, auch wenn sie sich dazu bereits existierender Comicfiguren bedienen. Es ist nur allzu gut vorstellbar, dass es Fans gibt, denen die Vermischung der Spinnen-DNA Peter Parkers mit einem höchstmöglichen Maß an vielfältigen Mitstreitern - weiblich, schwarz, schwarzweiß, alt, tierisch, Manga - komplett quer sitzt. Spider-Mans erste Inkarnation des 21. Jahrhunderts, Tobey Maguire, wird im peinlichsten Moment seiner Karriere auf den Arm genommen, das unendliche Origin-Erzählbedürfnis des alten Märchenonkels Marvel in einer narrativen Ellipse parodiert. Und dann kommt ein Miles Morales daher, gefühlt 50 Zentimeter groß und schlechte R'n'B-Musik schief mitsingend tritt er ungewollt in Fußstapfen, die ihm längst nicht passen.

Aber die Autoren können sich all dies und noch viel, viel mehr erlauben, denn wir haben es ja mit einem Animationsfilm zu tun. Animation steht hier gewissermaßen für "Meta", das Nicht-Eigentliche, der Übungsplatz also, auf dem man sich austoben kann. Und Mann, lange hatte die Superhelden-Akademie nicht mehr so viel Spaß am Ausprobieren. Passt so ein blödes Spider-Schwein mitsamt der Assoziationen zu den Looney Tunes und "Simpsons - Der Film" überhaupt in eine ambitionierte Produktion aus den Animationsstudios von Sony? Warum nicht? Einen Schuss Bogart-Tristesse auf den Regenbogen gegossen? Kann man ja mal probieren, es wird schon nichts dabei kaputt gehen. "Drawn Together" lässt übrigens schön grüßen.

Der Animationsstil, der in den After Credits von "Venom" noch so unattraktiv wirkte, spielt auf zwei Stunden übertragen plötzlich seinen revolutionären Charakter aus. Natürlich sind die schrillen Farben und das schnelle Tempo ebenso wie die meisten Hauptfiguren hauptsächlich auf ein junges Publikum justiert; ohne Schutzcreme wird sich mancher Erwachsener eine radioaktive Vergiftung abholen. Der gelungene Schnitt und die stets hochinteressanten Experimente mit Bilddimensionen und Perspektiven wirken aber nicht zufallsgeneriert, sondern erzeugen eine egoperspektivische Illusion, mit der man sich selbst durch die Comic-Panels schwingt, die ihrerseits durch Bildbegrenzungen, Sprechblasen und Schraffuren in Erscheinung treten.

Zerstört wird hier jedenfalls nichts. Im Gegenteil, es werden fantastische Gebilde erschaffen und neue Pfade erkundet, wenn nicht gar frisch angebaut. Das gilt nicht zwangsläufig für den Main Plot, der mit archetypischen Vater-Sohn-Onkel-Konstellationen und klassischen Welteroberungsplänen nicht halb so innovativ ist wie die Art des Films, tote Bilder zum Leben zu erwecken. Aber beim Sprung durch die Dimensionstore ist es eben auch wichtig, dass sich manche Dinge nie ändern. Damit man nicht komplett die Haftung an der Zimmerdecke verliert.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 17.08.2019, 14:00

Und Teil 2 des Postings (habe die Zeichenbegrenzung geknackt, scheiße, ich sollte mal regelmäßiger updaten)

Good Omens
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Zwischen "Good Omens" und den bereits entstandenen Fernseh-Zweiteilern einiger Scheibenwelt-Romane (von "Hogfather" 2006 bis "Going Postal" 2010) liegt nun mehr als ein Jahrzehnt und eine beachtlich voranschreitende Evolution der Fernsehunterhaltung. Ferner gehört die neueste Pratchett-Verfilmung selbst nicht zur Scheibenwelt-Reihe und Neil Gaiman hatte auch noch als Fremdkörper seine Finger im Spiel. Und doch haben diese unterschiedlichen Entstehungsbedingungen nichts daran geändert, dass sich eine Terry-Pratchett-Adaption unabhängig von Ort (einer der führenden Streaming-Anbieter) und Zeit (2019) immer sehr ähnlich anfühlt.

Man könnte sagen, Pratchetts Schreibstil ist so eigentümlich, dass er durch jedes Wort eines jeden Satzes einer jeden Dialogzeile eines jeden Schauspielers dringt. Die Mini-Serie spaltet sich nicht bloß in ihre sechs Episoden, sondern in viele weitere Fragmente, womit sie die vielen Kreisel und Zirkel des Buches imitiert. Kleine Bündel von Szenarien werden aufbereitet, in denen mindestens zwei, maximal aber eine gute Handvoll skurriler Gestalten beieinander stehen und sich feingeistige Bonmots gefüllt mit Zynismus, Ironie und weiteren Spitzfindigkeiten um die Ohren hauen. Die Sets sind jeweils blumige Entsprechungen der Stimmungen, die in diesen Grüppchen herrschen - manchmal werden sie akkurat abgebildet, manchmal geschieht das genaue Gegenteil und aus einer Trauerweide wird ein Freudentanz oder aus einem Höhepunkt ein Antiklimax. Pratchett-Stoffe sind eben besonders gut darin, bedeutungsvolle Gesten zu einem albernen Witz herunterzuspielen. Das beherrschen in dieser Form sonst nur Monty Python und Douglas Adams.

David Tennant und Michael Sheen spielen die Pole in dem Theaterstück der sich ständig verändernden Kulissen. Nicht zuletzt spielen sie aber auch beste Kumpels, deren Freundschaft über Jahrtausende hinweg zu einem festen Band gewachsen ist. Und das tun sie mit einer solchen Freude an den jeweiligen Gegensätzen ihrer Partner, dass die Serie zum Plädoyer für frei gelebte Vielfalt wird. Klar, dass das einer Gruppe frommer Christen nicht passt, die prompt einen Affront wittern und sich zum Verfassen eines Protestschreibens entschließen - wobei sie nebenbei ihre Unfähigkeit demonstrieren, zwischen dem großen A und dem großen N zu unterscheiden, was in Hinblick auf das Thema der Serie, die verschwimmenden Grenzen von Himmel und Hölle, zu allerfeinster Realsatire wird.

Sowohl von dem unnachahmlichen Wortwitz als auch von der allgemeinen Stimmung (Quintessenz: Alles wird gut!) kann man sich jedenfalls durchaus anstecken lassen. Allerdings ist "Good Omens" selbst in bewegten Bildern mehr Buch als Serie. Cineastische Werte lässt sie regelmäßig schleifen: Die vielen Spezialeffekte sind von sehr durchwachsener, uneinheitlicher Qualität, auch das Produktionsdesign lässt keine klare Linie erkennen und der Fluss der Erzählung bockt regelmäßig wie eine Hochgeschwindigkeitsachterbahn, in die man zu viele Stopps eingebaut hat. Das sind ähnliche Schwächen, wie man sie schon den Verfilmungen aus dem letzten Jahrzehnt unterstellen konnte. Das legt den Schluss nahe, dass dieser spezielle Autor so fest in seinem Medium verwurzelt ist, dass es selbst in Zeiten der verrücktesten Serien-Experimente (Gaiman selbst ist ja gerade mit dem Musterbeispiel "American Gods" am Start) immer noch unmöglich erscheint, ihn in ein neues Medium zu transferieren.

Insofern ist es wohl so eine typische Love-it-or-hate-it-Kiste. Entweder man kann die Mängel in Bezug auf das Adaptive ausblenden und geht auf in dem verzwirbelten Humorverständnis oder man fragt sich eben, was dieses Gehampel zwischen Himmel und Hölle eigentlich soll. Sollte man sich zwischen diesen Optionen nicht entscheiden können, leidet man womöglich unheilbar an Agnostizismus.
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Too Old To Die Young
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Noch immer nicht geschafft, etwas dazu zu schreiben, aber ist wie erwartet ein Statement gegen Massenunterhaltung und ein träges kleines Universum für sich selbst mit einer nicht-irdischen Zusammensetzung der Atmosphäre, wodurch jede Bewegung etwas länger dauert. Halt wie auf dem Mond.
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The Punisher - Season 1 + 2
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Wie baut man ein Mikroversum um einen Mann, der eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will? Gar nicht so einfach, den Einzelgänger mit Verlust-Trauma im Zentrum einer Serie festzunageln. Der Wunsch nach einem "Punisher"-Spin-Off ist derweil durchaus nachvollziehbar; wann immer Jon Bernthal in der Mutterserie "Daredevil" aus dem Schatten hervorstieß, haben seine Aufräumaktionen schließlich frischen Wind in die Handlung gebracht.

Bernthals Darstellung rechtfertigt dann auch die Entscheidung, ihm einen eigenen Spielplatz zu spendieren. Bei den Filmen wird nach wie vor herzhaft gestritten, wer denn nun die beste Inkarnation Frank Castles ist, da prügelt sich der Neue aus dem Streaming-Zeitalter wie ein Boxer mit stoischer Miene an den Kollegen vorbei und empfiehlt sich als neuer Vorzeige-Bestrafer. Weil die nach inzwischen zwei Staffeln abgeschlossene Serie von Steve Lightfoot in den vielen Dialogen einen hochgradig psychoanalytischen Charakter annimmt, wird dem Hauptdarsteller die Möglichkeit zuteil, aus der archaischen Verkörperung der Mann gewordenen Exekutive, einem alten Relikt der 80er Jahre, etwas Tiefschürfendes zu ziehen. Und das funktioniert nur deswegen, weil dieser Castle nicht einfach ein grobmotorischer Schlägertyp ist, sondern jemand, der in Momenten von fast autistischem Charakter mit Narben überdeckt, was früher einmal ein sozialer, fürsorglicher Mensch gewesen sein muss.

Deswegen fordert das Drehbuch den störrischen Antihelden immer wieder heraus mit Charakteren, die sich ihm eng verbunden fühlen, obwohl sie oftmals auf der "anderen Seite" stehen. Amber Rose Revah knüpft hier als Special Agent Dinah Madani vielleicht das engste Band, aber auch viele andere schmiegen sich tief in seine private Zone: Alte Freunde vom Militär, das besonders für die Hintergründe der ersten Staffel eine wichtige Rolle spielt, ein Hacker (Ebon Moss-Bachrach), der gemeinsame Erfahrungen mit Castle teilt, später die Teenagerin Amy (Giorgia Whigham), die den Beschützerinstinkt zu wecken verspricht, der sich in der konfusen Gefühlswelt der Hauptfigur zu väterlicher Fürsorge zu entwickeln verspricht...

Weil "Daredevil" in der Kategorie "Action, Stunts & Gewalt" so schön vorgelegt hat, erwartet man das natürlich erst recht bei jemandem, der mit einem Totenkopf-Motiv auf der kugelsicheren Weste durch die Gegend läuft. So steigert sich vor allem das Finale der ersten 13 Folgen in wilde Raserei mit äußerst blutigen Finishern und Hinrichtungen von Fieslingen, die man regelrecht als befriedigend bezeichnen kann. Dabei ist man vor allem darauf bedacht, den Punisher nicht zu sauber aus den Gemetzeln zurückkehren zu lassen. Die Menge an Schnittwunden, Faustschlägen und Einschusslöchern, die er hinnehmen muss, reichen manchem Militärveteranen für zwei Leben. Viele Situationen verlässt er halbtot, das Gesicht völlig zu Brei geprügelt; hier wird eben auch der Masochist im Publikum bedient.

Solche Momente völliger Eskalation bleiben allerdings auf ein Mindestmaß beschränkt. Es ist weniger eine Action-Serie als vielmehr ein Drama mit Action-Spitzen, entpuppt sich die Serie doch im Ganzen als überraschend dialoglastig. Zunächst geht diese Marschrichtung dank einiger Geistesblitze der Dialogschreiber auch auf. Gerade die Lieberman-Storyline hat einige psychologische Raffinessen zu bieten, zumal Lieberman als Figur streckenweise fast noch interessanter ist als der Punisher selbst. In der zweiten Staffel allerdings geht vieles zu Bruch; die Neuzugänge funktionieren nicht (Giorgia Whigham ist die Inkarnation des berühmten Klotzes am Bein und Floria Limas Militärpsychologin möchte man am liebsten ihr eigenes Diplom in den Rachen stopfen) und die Restbestände der Vorgängerstaffel haben Mühe, in ihre neuen Rollen zu finden (Ben Barnes). Da kommt die Entscheidung, die Serie einzustellen, dann auch gerade zur rechten Zeit; noch ein solcher Entwicklungsschub bei den Figuren und der Punisher kann sich gleich zu Dr. Freud auf die Couch legen...
:liquid6:

The Real Ghostbusters + Slimer!
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Habe die komplette Serie, ein Liebling aus Kindheitstagen, nochmal in wenigen Monaten durchgezogen und war überrascht, wie gut sie auch aus der Perspektive eines Erwachsenen noch funktioniert. Das ist schon mehr als eine Kinderserie, zumindest bis sich in den späteren Staffeln der Ton ändert. Gerade Janine und Slimer profitieren nicht besonders von den späteren Veränderungen, obwohl oder gerade weil Letzterer immer mehr Screentime und mehr Dialog bekommt.
:liquid8:
Das Slimer-Spin-Off ist dann ein frecher Abklatsch typischer Warner-Cartoons und hat tonal nichts mehr mit der Hauptserie gemeinsam.

Weitere Sichtungen:
Frankensteins Monster im Kampf gegen Ghidorah
Creed II
The Night Comes For Us
Glass
Kin
Operation: Overlord
Graf Zaroff - Genie des Bösen
Die Brut des Bösen
Monstrum
Triple Threat
The Watcher - Willkommen im Motor Way Hotel
Kannibalinnen im Avocado-Dschungel des Todes
Transylvania 6-5000
Skyscraper
Dark Waters (+ Kurzfilme "Dream Car", "Caruncula" und "Never Ever After")
Love Death & Robots - Season 1
The Friendly Beast (+ Kurzfilme "Die Hand, die streichelt" und "Keine Bewegung!")

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Cinefreak » 17.08.2019, 14:18

Judgement Night fand ich damals sehr stark
Unser neuestes Projekt: https://open.spotify.com/show/35s3iDdkQ12ikEFT9hOoTP - Talk rund um Filme und Serien

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 17.08.2019, 15:07

Welche Masse! :shock: Phättes Dito zu Buster Scruggs und Mid90s. :cool:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 18.08.2019, 11:51

Cinefreak hat geschrieben:
17.08.2019, 14:18
Judgement Night fand ich damals sehr stark
Ist er auch noch immer, imo

ABER @ Vince: kann es sein, dass Du Peter Greene und Denis Leary durcheinandergebracht hast? :shock: :wink:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 18.08.2019, 13:23

Welche Masse! :shock: Phättes Dito zu Buster Scruggs und Mid90s. :cool:
Ach, so viel ist das gar nicht, ich hab ja immerhin auch viele Wochen nix gepostet. Eigentlich schaf ich derzeit nur recht wenig, komme vielleicht so auf 4 Filme pro Woche maximal. Oft auch nur drei. Gab mal Zeiten, da waren das sieben pro Woche.

@StS: oh, du könntest Recht haben. Die spielen ja beide im Film mit und ich finde, das sind auch so halbwegs ähnliche Typen. Ich weiß grad gar nicht mehr, wen dann Peter Greene gespielt hat, nen einfaches Gangmitglied vermutlich?

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 18.08.2019, 15:30

Vince hat geschrieben:
18.08.2019, 13:23
Welche Masse! :shock: Phättes Dito zu Buster Scruggs und Mid90s. :cool:
Ach, so viel ist das gar nicht, ich hab ja immerhin auch viele Wochen nix gepostet. Eigentlich schaf ich derzeit nur recht wenig, komme vielleicht so auf 4 Filme pro Woche maximal. Oft auch nur drei. Gab mal Zeiten, da waren das sieben pro Woche.

@StS: oh, du könntest Recht haben. Die spielen ja beide im Film mit und ich finde, das sind auch so halbwegs ähnliche Typen. Ich weiß grad gar nicht mehr, wen dann Peter Greene gespielt hat, nen einfaches Gangmitglied vermutlich?
Greene war einer aus seiner Truppe, ja. :wink:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von LivingDead » 18.08.2019, 18:45

Schon ein in der Summe heftiger Roman, den du da nieder geschrieben hast. :D

"Stalker" fand ich damals auch stark. Einer der Filme, die ich mir unbedingt nochmal geben müsste, es mir bisher aber wohl zu schwer fiel.
"Bad Times..." empfand ich ebenso. Optisch starker Film, der seine inhaltlichen Defizite aber durch ebendiese zu kaschieren versucht. Gerade im letzten Akt macht sich dies doch schmerzlich bemerkbar. Auf gewisse Weise sehenswert war der Streifen dennoch.
Und jap, "Suspiria" war stark. Das Original habe ich allerdings bis dato nicht gesehen. :oops:
"Judgment Night" finde ich auch immer noch gut. Hab den irgendwie immer ein bisschen mit Hills "Trespass" zusammen gebracht. Aber natürlich bietet sich auch der "Predator 2"-Vergleich an. Nicht nur wegen des Regisseurs.
Ansonsten Dito zum Spider-Man und Punisher.

"Buster Scruggs" und Refns Serie muss ich noch dringend nachholen.
Mit freundlichem Gruß
LivingDead

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von freeman » 19.08.2019, 19:42

Dachte immer, wir hätten eigentlich eine Judgement Night Review. Erstaunlich, dass nicht... "Searching" hat mir ebenfalls gut gefallen. War ja nun nicht der erste Vertreter dieser "Art Film", aber definitiv einer der spannendsten.

In diesem Sinne:
freeman

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 25.08.2019, 10:52

Shaft
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Mit Sonnenbrille und karierten Hosen über die Straße schlurfen, ohne sich um die heranfahrenden Autos zu kümmern... ist das noch cool oder qualifiziert das schon fürs Altersheim? Schwer zu sagen im "Shaft" der dritten Generation, der den geschmeidigen Ruf des schwarzen Dynamits nach dem Motto "Alles oder Nichts" in die Runde wirft und nicht unbedingt als Gewinner vom Tisch geht.

Aus dem straighten Actionkrimi mit zwei bockstarken Gegenspielern, mit der die Franchise vor 19 Jahren ins Eisfach geschoben wurde, ist jedenfalls eine alberne Generationenkomödie geworden, bei der die Shafts hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt sind, weil in den Reihen der Verbrecher offenbar nicht genug Gemüse nachgewachsen ist. Natürlich war schon die 2000er Ausgabe mit Samuel L. Jackson in der Blütezeit nicht vor Peinlichkeiten gefeit, wenn vom Weiß- und Schwarz- bis zum Knäckebrot die ganze Palette von Rassen- und Potenzthemen mit überdeutlichem Augenzwinkern weggesoult wurde, doch dahinter steckte immer noch ein beinharter Rassismus-Thriller, so dass auch ernsthaft-verbissen aufspielende Darsteller wie Toni Collette und Christian Bale nicht fehl am Platz wirkten, sondern den Ton des Filmes bereicherten.

Beim Shaft 2019 hingegen dauert es nur wenige Tage, da hat man glatt den kompletten Aufhänger vergessen. Man erinnert sich bald nur noch an die Kondome, die Papa Shaft seinem Sohn zum Kindergeburtstag hat schicken lassen, an kuriose Tanzduelle in der Disco und an den glänzenden Bart Jacksons, der soeben beim Sex gestört wurde. Noch dazu stellt das Drehbuch eine These auf, der Neuzugang Jessie Usher nicht standhalten kann: Coolness sei erlernbar. Aber selbst das Shaft-Intensivprogramm macht aus einem weichgespülten Bücherwurm keinen eiskalten Privatdetektiv. Der aus dem Generationenkonflikt gewonnene Humor mag auf ein sehr spezielles Publikum zugeschnitten sein und für dieses auch funktionieren. Problematisch wird es eben nur, wenn diese Art von Selbstverballhornung alles ist, was so ein Film an Reflektion zustande bringt. Trotz Roundtree (der aber auch erst sehr spät eingreift), trotz Jackson in Hochform - auch ein Shaft braucht einen anständigen Fall, um sich seine Glatze daran geschmeidig zu polieren.
:liquid4:

(Jetzt auch mit richtigem Kurzkommentar):
Cabal
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Als Karneval der surrealen Masken kann Clive Barkers zweite und vorletzte Regiearbeit nach wie vor eine gewisse Faszination ausüben, zumal es eine aussterbende Handwerkskunst ist, die hier ausgestellt wird. In den ausgefallenen Kulissen eines verwilderten Gartens voller Ruinen mitsamt eines unterirdischen Labyrinths scheint die Zeit verlangsamt; die Farne wehen in leichter Bewegung im Wind, das ausgeprägte Filmkorn scheint die Physik stoppen zu wollen und die Monster rauschen wie Geister an der Kamera vorbei. Man benötigt an einigen Stellen schon eine Standbildfunktion und muss eine Bild-für-Bild-Analyse anfertigen, um jedes einzelne Kostüm zu würdigen. Das Creature- und Artdesign folgt dabei überdeutlich den großen Fußstapfen von "Hellraiser". Es ist vom Wunsch beseelt, eine unergründliche Dimension der Dunkelheit zu erschaffen, die in Bezug auf Geist, Fleisch, Lust und Schmerz nach völlig anderen Regeln ausgelegt ist als die unsere.

Gerade dies gelingt dem Autoren nach seinem vielbeachteten Regiedebüt allerdings diesmal nicht. Nachdem er das Reich der Kreaturen mit einer Kultur und sogar einem sozialen Konstrukt ausstattet, wird es nicht mehr länger von der Aura des Unergründlichen umweht. Man sieht nur noch Schauspieler unter monströsem Latex anstatt der Dämonen in Menschengestalt, die in "Hellraiser" für Alpträume sorgten. Selbst wenn die Maskenbildner zu drastischen Mitteln greifen und Haut von Muskelsträngen lösen, bleibt es am Ende eben nur eine Verkleidung. Einzig David Cronenberg und seine Scarecrow-Maske verschmelzen zu einer überzeugenden Abnormität, was auch seiner beängstigend klinischen Darstellung zu verdanken ist. Einem Film wie "Freaks" hat gerade das zu seiner Menschlichkeit verholfen; entsprechend kontraproduktiv wirkt es sich in Barkers Welt des Horrors aus.

Auch Hauptdarsteller Craig Sheffer bleibt als Grenzgänger zwischen den Dimensionen blass, zumal sich die Motivation für sein Handeln als ein reines Stereotyp entpuppt. Es bleibt also nur das stimmungsvolle Ambiente und die spektakuläre Masse an handgemachten Effekten aus der Oberklasse, wegen derer "Cabal" in gewisser Weise sehenswert geblieben ist.
:liquid6:

1922
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Das "verräterische Herz" pocht diesmal nicht unter Holzdielen, sondern aus einem verschütteten Brunnen heraus, doch das anklagende Geräusch bleibt dasselbe. Risse in der Wand, wuselnde Ratten, die an die Oberfläche dringen, derartige Metaphern für das nagende Gewissen ziehen sich wie ein roter Faden durch die klassische Schauerliteratur. Stephen King hat diesem Allgemeinplatz mit seiner Novelle "1922" wohl einfach seinen eigenen Stempel aufzudrücken versucht, um sich in die Garde amerikanischer Schriftsteller einzureihen, die gerne auf Tuchfühlung mit ihren Wurzeln gehen.

Diese Grundlagen machen aus Zak Hilditchs Verfilmung automatisch eine hochgradig altmodische Angelegenheit, deren Ablauf nicht allzu schwer vorherzusagen ist. Das gilt erst recht bei dem sehr beschränkten Handlungsrahmen, der sich lediglich um 70 Hektar Land und altmodische Wertvorstellungen dreht. Was soll man da auch groß experimentieren?

Doch natürlich gehört gerade die Vorahnung zu den Haupteigenschaften des Suspense. Insofern könnte man auch sagen, dass die Vorhersehbarkeit des Drehbuchs zu seinen Stärken gehört. Gerade weil man weiß, was passieren wird, gewinnt das Unvermeidliche eine gewisse Intensität. Hinzu kommt die äußerst hochwertige Produktion: Der Kamera gelingen edle Einstellungen außerhalb und beklemmende Perspektiven innerhalb des Hauses, Thomas Jane legt sich enorm ins Zeug und Mike Patton entwirft einen grollenden Soundtrack, der das Drama bereits in den Abgrund des Horrors zieht, bevor die Schuldgefühle Unheimliches auf der Leinwand manifestieren. Vor allem Anfang und Mittelteil sind dadurch von dunklem Fatalismus durchzogen, der sich in der Einsamkeit spielend durchsetzt. Klug auch, dass dabei das begrenzte Budget im Auge behalten wird. Abgesehen von einer weniger gelungenen Einstellung, in der für Sekundenbruchteile schlecht ausgearbeitete CGI zum Einsatz kommen, beschränkt man sich auf dunkle Schatten im Flur, verfilzte Nagetiere auf dem Fußboden und ein wenig Make-Up für Heimkehrende aus dem Reich der Toten. Ein später noch hastig eingearbeiteter Subplot der Marke "Bonnie & Clyde" erscheint seltsam abseitig, was aber wiederum zur Perspektive des Familienvaters passt, aus dessen Sichtfenster heraus der Wahnsinn schließlich langsam in die Leinwand tröpfelt.

Dessen ungeachtet bleibt nicht allzu viel zurück, denn letztlich ist "1922" nichts anderes als der x-te Rückgriff auf die Werkzeuge des Edgar Allen Poe. Für die Dauer seiner Laufzeit verbreitet die King-Adaption eine beklemmende Stimmung, von der aber Minuten nach dem Abspann bereits nichts mehr zu spüren ist. Für eine Nachwirkung darüber hinaus hätte das Schicksal der Farmerfamilie vielleicht weniger nach historischem Holzschnitt und mehr nach menschlicher Tragödie aussehen müssen - obwohl gerade Thomas Jane alles in die Waagschale legt, um den Film in die letztere Richtung kippen zu lassen.
(Gute)
:liquid5:

One Cut of The Dead
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Schon wieder so ein bescheuerter Amateurfilm in Digitalkamera-Optik. Natürlich mal wieder im Found-Footage-Stil. Mit Zombies. Blau angemalt, als wolle man Tom Savini, dem Meister der Make-Up-Effekte, huldigen. Dabei winden sich bei weitem schon genug Fans in dessen Staub. Ein Wunder auch, dass das Filmteam überhaupt noch eine leerstehende Fabrikanlage gefunden hat; man sollte glauben, dass sie alle schon auf Monate ausgebucht sind. Entweder von anderen Nachwuchs-Hitchcocks, die Weißgottwas auf ihr eigenes Talent geben, oder von irgendeiner dahergelaufenen Heavy-Metal-Kapelle, die sich gerade für ihr neues Musikvideo filmen lässt. Immerhin können dann in der Drehpause alle zusammen Mittagessen gehen und den Black-Metal-Musikvideoregisseuren aus dem Wald gleich noch ein Bierchen vorbeibringen. "One Cut Of The Dead" bringt sich in Position wie so ziemlich jede Billighorrorproduktion aus aller Herren Länder: Hässliche Kulissen, schwachsinnige Dialoge, massig Anschlussfehler, eine Kameraführung, die seekrank macht, Schauspieler, die als Äquivalent für Notdurft durchgehen, kein Interesse an Dramaturgie oder Kontinuität. Und dann ist das Ganze auch noch ein Meta-Film, der die Dreharbeiten in die Handlung mit einbezieht, also auf das allseits berüchtigte Film-im-Filmgerüst herauszoomt. Da ist er wieder, jener Hauch von Postmoderne, für den der Amateurfilmer besonders anfällig ist, weil er regelrecht berauscht ist von dem bloßen Umstand, dass er hier überhaupt gerade einen Film dreht.

Als dann aber nach etwa einer halben Stunde der Abspann einsetzt, geht es endlich los. Ja, es bleibt meta und die Fähigkeiten der Filmemacher-im-Film verwandeln sich vom Neustart wachgeküsst auch nicht gerade von der Kröte in eine wunderschöne Prinzessin, aber plötzlich hat dieser Film etwas zu sagen, was andere allerhöchstens zu implizieren wussten. Im Schnitt wurde die verdammt mutige Entscheidung gefällt, das "One Cut" wirklich durchzuziehen und ewig lange darauf zu beharren, dass es sich hier um handelsüblichen Trash handelt, der von den direkt Beteiligten abgefeiert und vom Rest der Welt in der Tonne entsorgt wird. Schließlich werden nun 33% aller Zuschauer (diese Zahl ist natürlich eine reine Schätzung ohne statistische Grundlage) niemals erfahren, worum es eigentlich geht, weil sie schon beim ersten Heulkrampf des Zombie-Opfers abschalten.

Dabei ist "One Cut Of The Dead" in einer harsch gewordenen Kritiker-Kultur, in der sich jeder Kritiker nennen darf, der mal einen Film gesehen hat, von besonderer Relevanz. Es ist schließlich zum Volkssport geworden, Filme in der Luft zu zerreißen. Je härter, desto besser, müssen doch fleißig Likes geerntet und Follower an Land gezogen werden.

Indem nun die Mühe und der Einfallsreichtum direkt auf der Leinwand gezeigt werden, mit denen sogar noch ein Schundwerk wie "One Cut Of The Dead" versehen ist, gewinnt man natürlich nicht den zynischen Kritiker, der durchaus zu Recht einwirft, dass es nicht um den Aufwand geht, sondern um das Ergebnis, und dass der Einwurf "mach es doch erst einmal selbst besser" ein inhaltsleeres Totschlagargument ist. Trotzdem ist es schön, dass sich mal wieder jemand die Mühe macht, das in Schieflage geratene Verhältnis zwischen Produktion und Rezeption zu thematisieren. Wenn es dann auch noch in einer so charmanten, fast schon knuffeligen Art und Weise geschieht, um so besser. Es muss ja nicht immer gleich der Stinkefinger sein.
:liquid7:

Stranger Things / Stranger Things 2 / Stranger Things 3
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"Stranger Zone" wäre ein schöner Alternativtitel gewesen, wenn man es sich recht überlegt. Schließlich liegt es in der Absicht der Duffer-Brüder, Zonen zu überschreiten. Vom Digitalen ins Analoge, vom Normalen ins Paranormale, vom Jahr 2016 ins Jahr 1983. Selbst die Buchstaben des neonrot leuchtenden, langsam von außen ins Bild gefahrenen Titels sind eine typographische Nachbildung der "Twilight Zone" und der "Dead Zone". Der Kaninchenbau ist nur einen Schritt weit entfernt; in der Asthöhle eines Baumes im angrenzenden Wald vielleicht oder auch gleich hinter der Tapete der Wohnzimmerwand. Die Figuren gleiten zwar regelrecht willenlos durch das Erlebte, durchstoßen dabei aber ungewollt harte Barrieren, als würden sie in einer Kabine mit aktiviertem Steigbügel durch eine Geisterbahn gefahren werden, während sich alle paar Meter die Szenerie komplett verwandelt. So viel zur Wahrnehmung einer Gruppe Heranwachsender; so viel zum Coming-Of-Age.

So wie sich die Felgen der BMX-Räder im Mondschein spiegeln und die Zimmer der Jugendlichen mit Postern von Mystery- und Horrorklassikern tapeziert sind, muss man sich keinerlei Hoffnung machen, dass die echten 80er Jahre wieder zum Leben erweckt werden, so wie sie damals erlebt wurden. "Stranger Things" ist vielmehr eine Schein- und Kunstwelt, gebunden an Phänomene der damaligen Popkultur. Die gesamte Ästhetik der Produktion bezieht sich auf die fiktive Filmrealität, die zu jener Zeit das Kino beherrschte. Wenn man davon ausgeht, dass es im Phantastischen Kino der 80er hauptsächlich um Eskapismus ging, könnte man also sogar behaupten, mit den 80ern im eigentlichen Sinne habe das alles gar nicht viel zu tun. Das eigentliche Monster der ersten Staffel ist also vielleicht nicht der Demogorgon, der bemerkenswerterweise - gar nicht mal so stilecht- mit dem Computer zum Leben erweckt wurde anstatt durch Animatronik und Puppeneffekte. Es ist die Serie selbst, ein perfider Gestaltwandler, der sich als etwas ausgibt, das er nicht ist.

Die Trigger funktionieren natürlich dennoch. Angehörige der Geburtenjahrgänge 70er bis frühe 80er müssten schon sehr emotionslos sein, um diese Serie nicht zumindest mit einem nervösen Zucken zu registrieren. Schließlich ist eine komplette Generation gerade durch all diese bunten Klassiker miteinander verbunden, die von den Duffers so eifrig zitiert werden. Weil die zunächst achtteilige Serie auch noch die Dramaturgie eines langen Kinofilms verfolgt, wird es wohl auch nicht viele Querein- oder Aussteiger gegeben haben; wenn man überhaupt Pausen einlegt, dann am Ende einer Staffel. Die Folgestaffeln würden das filmische Konzept dann auch fortführen; eine große "2" bzw. "3" hinter der Titeleinblendung zeugt davon, dass man sich eher als klassische Movie Franchise versteht.

So wird man also von vorne bis hinten mit Fragmenten bedient, die an das drei Jahrzehnte jüngere Ich in uns appellieren, und das mit einer analytischen Präzision, die mehr als berechnend wirkt. Der Netflix-Kunde ist hier die Art König, die von von ihren Dienern genau das bekommt, was sich in ihren Gesichtern ablesen lässt... was bekanntermaßen nicht immer zum Glück führt. Vielleicht fühlt sich das Ende der ersten Staffel deshalb so leer an, vielleicht bleibt deshalb trotz allerbester Unterhaltung ohne eine Spur von Leerlauf so wenig zurück: Was fehlt, ist das überraschende Moment, die eine schief gespielte Note oder eben der kleine Kniff, der gerade deswegen so gut passt, weil er nicht so schrecklich vorhersehbar ist.

Dabei macht gerade die erste Staffel nichts offenkundig falsch. Kinder zu den Leads zu erklären, ist eine riskante Entscheidung, die aber letztlich belohnt wird. Angetrieben von teils außergewöhnlichen Darstellern ist ihre Gruppendynamik zweifellos das Herz der Serie, wobei vor allem Finn Wolfhard, Gaten Matarazzo und natürlich Millie Bobby Brown wie Sprungfedern auf den Kreislauf der Kleinstadtkonstruktion einwirken. Dazu kommen sehr gut gecastete Erwachsenen-Darsteller wie Winona Ryder und David Harbour. All diese Figuren sind natürlich reinste Abziehbilder der Marke "Goonies" oder "Monster Squad", aber so gut wie alle Hauptfiguren wissen die Klischees sehr charmant über den Bildschirm zu geleiten. Lediglich bei den Nebenfiguren wie Nancy (Natalia Dyer) und Steven (Joe Keery) geht der Plan noch nicht ganz auf, die Schablonen zu durchbrechen und mit ungewöhnlichen Entwicklungen zu überraschen.

Die zweite Staffel ist vielleicht auch deswegen die schwächste, weil es ihr nicht gelingt, an diesem Umstand etwas zu verändern. Obgleich sie sich angeboten hätte, eine komplett neue Bedrohung auf den Plan zu bringen, begnügt sie sich lieber damit, die Mythologie der ersten Staffel nach Vorbild des "Alien"-Zyklus auszudehnen. Neue Nebenfiguren wie die jungenhafte Max (Sadie Sink) und ihr rüpelhafter Bruder Billy (Dacre Montgomery) oder der herzlich-naive Everyman Bob (Sean Astin) erweitern das Repertoire und zementieren den Eindruck, dass jetzt alles ein bisschen größer und vielfältiger wirkt. Neben dem Cast gilt das auch für das Setting, die Effekte, die Menge der Subplots und die Bedrohung, die durch einen spinnenartigen Monolithen erweitert wird. Nebenbei erkundet die mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Eleven ihre Ursprünge im Stil einer Origin-Geschichte, was die ganze Geschichte viel zu nah an den Rand aktueller Superheldenverfilmungen befördert - ein Bezug zur Jetztzeit, den man eigentlich um jeden Preis hätte verhindern müssen. Überhaupt zeigt eine letzte herzzerreißende Szene auf dem Schulball, dass es längst nicht mehr die Monster und Spezialeffekte sind, bei denen die Serie ihre Stärken ausspielt, sondern die immer noch sehr jungen Charaktere, die einem langsam ans Herz wachsen.

Es würde aber letztlich bis zur dritten Staffel dauern, bevor sich das Abziehbild von der Vorlage endlich komplett lösen würde. Nicht nur die Darsteller haben nach zwei Jahren Drehpause einen gewaltigen Schuss in die Höhe gemacht, auch die Welt, in der sie leben, hat sich extrem gewandelt. Eine große Mall wird zum Hauptschauplatz von "Stranger Things 3". Oft in Aufsicht abgefilmt, verheißt sie für die frisch gebackenen Teenager eine aufregende Zukunft, die zugleich einen Abschied von der Ungezwungenheit aus Kindheitstagen bedeutet. Selbst wenn die Serie im dritten Jahr mit einigen Charakteren eine Spur zu hysterisch umgeht (allen voran David Harbour, dessen Rolle zum lebenden HD-Männchen in Miami-Vice-Montur umgeschrieben wurde, womit er aber die Coolness eines Tom Selleck auch wieder herzhaft demontiert), weiß sie doch wieder besonders schöne Dinge mit der zentralen Gruppe anzustellen. Und diesmal funktionieren sogar die Nebenfiguren: Joe Keery hat sich längst vom Ekelpaket zum Sympathieträger gemausert, Maya Hawke kitzelt diese Eigenschaften vielleicht erst aus ihm heraus, Dacre Montgomery gibt der bis dahin deformierten Bedrohung ein menschliches Gesicht und Sadie Sink, so nervig ihre Rolle inzwischen auch angelegt ist, stellt Wunderbares mit dem Dreh- und Angelpunkt der Serie an, denn durch sie wird Millie Bobby Brown zur ganz normalen Teenagerin, die sich so irrational verhält, wie sich Mädchen in diesem Alter eben verhalten - was herrliche Szenen rund um die Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Geschlechtern zur Folge hat.

Darüber hinaus hängen die Filmzitate diesmal nicht mehr bloß an der Wand, sondern sind schlüssig in den Plot eingebettet. Die Zombies von George A. Romero, das "Ding" und die "Körperfresser" legen sich auf das Kleinstadtgebälk nieder und sorgen für die bislang schönsten Bilder der gesamten Serie, die natürlich aufgrund des anhaltenden Erfolgs inzwischen auch mehr Budget zur Verfügung hat. So fleischig-schleimig, wie die Kreatur inzwischen Menschen in sich aufsaugt, könnte man beinahe vergessen, dass die sich auflösenden Körper offensichtlich wieder nur mit dem Computer realisiert wurden. Und doch - was wären das für tolle Bilder gewesen, hätte man für das Finale im Feuerwerk eine gigantische animatronische Puppe in der Mall aufgestellt. Dann hätten die Duffer-Brüder die Herzen der Zielgruppe vielleicht ein für allemal gewonnen.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von MarS » 26.08.2019, 12:03

Nach 3 Staffeln Stranger Things bin ich doch ziemlich ernüchtert. Klar sind die Zitate gut eingearbeitet, sie sorgen aber auch dafür, dass die Serie insgesamt recht spannungsfrei bleibt. Gerade Staffel 2 und 3 zeigen fast ausschließlich schon gesehenes. An sich ist das ja nichts unübliches. Hier fühlt es sich aber so runtergespult an. Allgemein ist mir dies Serie zu viel Fanservice, wobei es aber alles nur nach 80er aussieht, es sich aber überhaupt nicht danach anfühlt. War mir alles zu sehr aufgesetzt. Insgesamt fehlt es der Serie zudem an Inhalt. Wirklich viel passiert in den 3 Staffeln ja nicht. Ein großer Vorteil ist aber, dass sich die Serie nicht zu Ernst nimmt.

Vom großen Hype ist bei mir jedenfalls nicht viel angekommen.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 26.08.2019, 17:54

Ist ja genau meine Rede. Die 7/10 drücken schon auch milde Enttäuschung aus, denn eigentlich müsste es bei diesem Stoff bei mir für 9/10 reichen, wenn richtig gut gemacht.
Allerdings finde ich halt schon, dass sich die Serie gerade jetzt in der dritten Staffel etwas von den Schablonen zu lösen beginnt.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 27.08.2019, 10:01

Obwohl wir bei der Bewertung jetzt keine Welten auseinander sind (bei mir sind es inzwischen knappe 9/10), kann ich deine/eure Einschätzung in diversen Punkten nicht teilen.

Zum einen halte ich Season 2 klar für die beste: Das "Aliens"-Style-Finale, der verstärkte Coming-of-Age-Aspekt (den ich in Season 3 dann mehr mochte als den Mainplot), die fantastische Winterballsequenz - die Staffel hat (für mich) viele Magic Moments. Auch den Bezug zu den Superhelden/Superkräften halte ich nicht für deplatziert: Bereits in den 1980ern waren "Batman"- und "Superman"-Filme Kassenschlager und die Comics wurden von den Kindern massenhaft gelesen - in Seasion 3 startet Max (die auch überhaupt nicht nervig finde) ja ihr Mentoring von Eleven über den Comicbezug.
Ich finde auch auch nicht, dass (zu) wenig passiert. Es sei denn, man geht vom reinen Verschwörungsplot aus. Denn da ist ja auch viel Zwischenmenschliches drin.

Zum anderen zur Frage der Schablonenhaftigkeit bzw. fehlenden Eighties-Atmosphäre. Ich mit Baujahr 1983 habe jetzt nur Kindheitserinnerungen an die 80er, aber ich frage mich: Wie soll das gehen, echte Eighties-Atmosphäre? Dass "Stranger Things" Fanträume bebildert, da gehe ich d'accord, aber die Erweckung vergangener Jahrzehnte durch Figuren, visuelle Codes etc. erfolgt doch vor allem über die Popkultur - Tarantino macht es doch auch nicht wirklich anders. Ich finde "Stranger Things" da schon "authentischer" als die ganzen bemühten Retro-Trash-Geschichten ("Kung Fury", "Commando Ninja" usw.), die ja das Bild vermitteln, dass jeder Film der 1980er so durchgeknallt wie "Buckaroo Banzai" oder "Lance - Stirb niemals jung" gewesen wäre. Noch näher dran sehe ich allenfalls vielleicht "House of the Devil" (aber auch der ruft die Codes eines bestimmten Subgenres ab, des Italohorrors der 1980er, nur eben gänzlich ironiefrei) und eventuell noch die "Es"-Verfilmung von 2017 (und der ist ja nicht unerheblich von "Stranger Things" beeinflusst). Ich finde es auch schön, dass die Zitate oft nicht um des Zitats willen da sind, sondern auch Bedeutung haben - z.B. wenn in einem Kino "The Stuff" läuft und ein ähnliches Monster durch die Gegend marodiert.
Auch aus den Schablonen wird ja immer mal wieder ausgebrochen:
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Da mag Season 3 tatsächlich am stärksten sein - etwa wenn die angedeutete Dork-Jock-Romanze eine ganz andere Wendung nimmt als in den Teen-Comedys der 1980er. Aber ich bin mir sicher, dass ich solche Momente auch in den vorigen Staffeln finde, ich jetzt gerade nicht mehr so parat habe.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von StS » 27.08.2019, 13:17

Als jemand, der als Kind in den 80ern in den USA gelebt hat, habe ich mich an sehr viele Dinge erinnern können, welche die Serie zeigt. Auch wenn ich genau das Jahrzehnt in Filmen per se nicht so prickend finde, da modisch und so ein Albtraum :wink: ...die Ausstattung ist schon klasse zusammengestellt worden. Ansonsten bin ich innerhalb dieser Diskussion eher bei Nils, da ich meine Wertung der bisherigen 3 Seasons auch klar oberhalb einer 7/10 sehe. Ob das nun alles "atmosphärisch dicht" ist... nunja. Aber ich hatte mein Vergnügen mit den vielen Zitaten und "Sight-Gags".

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von MarS » 27.08.2019, 15:28

Puh, nach dem vielen Gegenwind, muss ich erst mal aufräumen.

Erst mal vorweg: Stranger Things ist technisch sauber umgesetzt und wahrlich besser als viele andere Retro-(Trash)-Veröffentlichungen. Ich erwarte auch keine "echte Eighties-Atmosphäre". Ich hätte mir aber mehr Flair gewünscht. Als Beispiel sei mal The Hole von Joe Dante genannt, der das Feeling der alten Tage besser eingefangen hatte. Gerade die bekannten 80er Coming-of-Age-Filme bestachen dadurch, dass sie hochgradig sympathisch waren und das ist Stranger Things nur bedingt. Mich haben die Charaktere jedenfalls nur wenig erreicht.

Ich finde nicht, dass da zwischenmenschlich einiges passiert. Die Beziehungskisten sind bis auf wenige Wendungen und Aufplusterungen, welche teils witzig und teils zum Kopfschütteln sind, relativ geradlinig. Gerade so manche Nebengeschichte, wie die von Elfi in Staffel 2, hätte man doch besser gelassen. Wenn das sympathischer rüber gebracht worden wäre, dann wäre das aber sonst sogar ein Pluspunkt für mich. Wenn dann aber wiederum der phantastische Teil, also der Mainplot um die mehr bieten würde. In Staffel 1 war die Parallelwelt interessant, aber auch da streckte sich die Sache schon. In Staffel 2 und 3 stopft man das Ganze dann in eine Zitat- und Reminiszenz-Welt, wobei der Ansatz aus Staffel 1 weitestgehend verpufft. Und somit kommt man dann zu den Hauptschauwerten der Serie Zitate und Anspielungen auf die 80er, Fanservice pur. Ich gönne jedem seinen Spaß damit. Mich erreicht Stranger Things damit aber nur zu Teilen.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 27.08.2019, 16:16

Zum anderen zur Frage der Schablonenhaftigkeit bzw. fehlenden Eighties-Atmosphäre. Ich mit Baujahr 1983 habe jetzt nur Kindheitserinnerungen an die 80er, aber ich frage mich: Wie soll das gehen, echte Eighties-Atmosphäre? Dass "Stranger Things" Fanträume bebildert, da gehe ich d'accord, aber die Erweckung vergangener Jahrzehnte durch Figuren, visuelle Codes etc. erfolgt doch vor allem über die Popkultur - Tarantino macht es doch auch nicht wirklich anders.
Diese Fragestellung ist exakt die, auf die ich mich in meiner neulichen Mid90s Bewertung bezog. Der Streifen hat genau das geschafft, hingegen ist es ansonsten, wie du richtig erwähnst, immer nur ein reiner Zitatereigen durch zeitgenössische Gimmicks.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von McClane » 27.08.2019, 17:07

@ MarS

Natürlich, wenn dich die Figuren nicht erreichen, dann kann man nichts machen. Ich kann ja auch nur meine Sicht der Dinge darlegen, denn mich persönlich hat die Mike-Eleven-Beziehung (Elfi ist vermutlich der Name in der deutschen Synchro) eben sehr angesprochen. Zählt für mich zu den Herzstücken der Serie; wenn das für einen nicht funktioniert, dann wird es schwer.
"The Hole" dagegen fand ich ganz nett, aber der hat mich nicht umgehauen, gerade als ich ihn beim zweiten Mal als Abschluss einer Joe-Dante-Retro sah.

@ SFI

"Mid90s" hab ich trotz Interesse bisher noch nicht gesehen. Aber auch hier bleibt die Frage: Was sind die echten 1990er für jemanden? Für den einen Grunge ist vielleicht das Nineties-Gefühl, für den anderen Rave - und beide haben je nach Subkultur recht. Die technischen Aspekte, die du da aufzählst, mögen das verstärken, sind jetzt aber nicht genuin Nineties. Wie gesagt: ohne den Film gesehen zu haben, nach Sichtung kann ich das besser beurteilen.
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