Filmtagebuch: Vince

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Vince
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 03.01.2021, 15:33

Tja, da glaubt man, Corona hat einem das komplette Kinojahr versaut und mit Hunderten von verschobenen Kinostarts dafür gesorgt, dass uns Filmjunkies der neue Stoff verwehrt bleibt. Und dann zählt man als Resümee alle gesichteten Filme zusammen, die erstmals 2020 in Deutschland erschienen sind... und jetzt liege ich nur acht Filme hinter meiner Vorjahresliste. Möglich machen es diverse Streaming-Starts sowie vor allem die Mühen einiger Filmlabels, auch weiterhin den Markt für physische Medien zu bedienen.

Dafür hat es bei mir leider diesmal nur zu einem Kinobesuch gereicht – vermutlich ein trauriger Rekord für die Ewigkeit. Den Jahresbeginn habe ich wegen mäßig interessanter Kinostarts ausgelassen, wer konnte denn da auch ahnen, wie sich das Jahr danach entwickeln würde? „Tenet“ war dann aber fällig und wird mir wegen der Seltenheit der Gelegenheit in besonderer Erinnerung bleiben.

Ansonsten stand das Jahr wie immer auch im Zeichen der Wiederentdeckung vergessener Nischenfilme. Einige deutsche Labels machen sich unermüdlich um den Erhalt solcher unscheinbaren Werke der Vergangenheit verdient und versorgen sie mit liebevoller Aufbereitung, inklusive historischer Einordnung durch herangezogene Filmwissenschaftler und Experten. Das kann kein Stream bieten. Auch im Ausland werden regelmäßig mit hohem Aufwand Filme gewürdigt, die man weder bei Netflix noch bei Amazon noch woanders findet. Streaming bleibt somit auch in diesem Jahr maximal ideales Ergänzungsfutter, um Filme und Serien anzutesten und auf kreative Eigenproduktionen zurückzugreifen, aber kein Ersatz für die eigene Filmsammlung, zumal die Streams gerade auf modernen UHD TVs immer noch weit hinter der Qualität einer guten Blu-ray liegen (wie man wieder sehr gut beobachten konnte, als nach Corona-Ausbruch bei führenden Streaming-Anbietern die Datenrate gedrosselt wurde, was zu deutlich sichtbarer Artefaktbildung führte).

Meine wahren Highlights 2020 sind daher nicht in der folgenden Liste zu finden, sondern in mach spektakulärer Veröffentlichung älterer Werke durch Labels wie Anolis, Capelight, Koch, Wicked Vision oder Subkultur... gekrönt vielleicht vom einzigen Bildstörung-Release 2020, dem Antikriegsfilm-Meisterwerk „Komm und sieh“ in einer brillanten Edition.

Im folgenden aber eine Liste und kurze Beschreibung der Filme, die 2020 erstmals in Deutschland veröffentlicht wurden und noch im gleichen Jahr von mir gesehen werden konnten. Als kleine Ergänzung vorab noch eine zusätzliche Liste der 2020 veröffentlichten Serienstaffeln.

1. The Haunting of Bly Manor – Eigentlich ein unverschämt gutes Gruseldrama, würde man nicht ständig mit die noch einmal viel besseren ersten Staffel und mit der ebenfalls viel besseren Vorlage „The Innocents“ vergleichen. (7/10)
2. Das Damengambit – Wer einem Mainstream-Publikum die Faszination Schach vermitteln kann, muss einfach irgendwas richtig gemacht haben. Trotz der vorzüglichen Ausstattung, Schauspieler, Spannungsschrauben und aller anderen Qualitäten leidet die Miniserie allerdings akut unter Biopic-Klischeeritis.
3. Dracula (BBC) – Der dreiste Plottwist zum Ende der zweiten Episode führt zu einem qualitativ stark abfallenden Endspurt, bis dahin ist „Dracula“ aber eine gelungene Neuadaption mit einer pragmatisch-frechen Van Helsing und einem charmant-doofen Grafen. (7/10)
4. South Park Staffel 23 – Als die Macher Tegridy Farms den Rücken kehren, ist man endlich wieder auf ihrer Seite. „The Fractured But Whole“ durchzuspielen hat allerdings in diesem Jahr mehr Spaß gemacht. (6/10)
5. Truth Seekers Staffel 1 – Wer auf ein Comeback des Pegg/Frost-Dreamteams hofft, wird angesichts der fünf Minuten Screentime für Pegg enttäuscht sein. Frost sorgt mit seinem neuen Partner Samson Kayo trotzdem für witzige Ghostbusters-Unterhaltung in britischen Vorstädten. Aber letztlich war Bud Spencer ohne Terence Hill ja auch nur halb so gut... (6/10)
6. High Score – Viele interessante Interviewpartner in einer mehrteiligen Dokumentation über die bunte Geschichte des Videospiels, aber viele Dinge bleiben zu oberflächlich oder werden gar nicht erst thematisiert – auch weil man immer wieder in themenfremde Schwerpunkte abdriftet. (6/10)7
7. Umbrella Academy Staffel 2 – Obwohl Luther, Nummer 5 und Klaus das Unterhaltungslevel hoch halten, frage ich mich, wo das restliche Publikum eine Steigerung gegenüber der ersten Staffel zu sehen meint. (5/10)


1. I'm Thinking of Ending Things – Ein durch Zeit und Raum springender Gedankenstrom durch Fragmente von Erinnerung und Dasein. (8,5/10)
2. Uncut Gems – Dass Adam Sandler es eigentlich kann, hat er zuvor bereits hin und wieder bewiesen, aber das hier? (8/10)
3. Nightingale – Revenge Deluxe. (8/10)
4. 1917 – Egal wie sehr der Stil hier die Essenz bestimmt, man kann nicht anders als mit weit geöffneten Augen durch diesen Tunnel zu marschieren. (8/10)
5. Miss Zombie – woran Jim Jarmusch scheiterte, da sollte Sabu sich besser schlagen: Den bereits vom Mainstream vereinnahmten Zombiefilm ins Arthouse zu übersetzen. (8/10)
6. Monsieur Killerstyle – Leck mich, was für eine Jacke. Leck mich, was für Filme man über so eine Jacke machen kann. (7,5/10)
7. Vivarium – Menschen sind die einzigen Lebewesen, die sich selbst freiwillig in einen Glaskasten sperren. (7,5/10)
8. His House – Der Trailer versucht verständlicherweise, Assoziationen zu Jordan Peele zu erzeugen. Babak Anvaris "Under the Shadow" trifft es aber noch besser. Trotz inhalticher Schwachpunkte - der vielleicht gruseligste Horrorfilm des Jahres. (7/10)
9. The Devil All The Time – Ein schweifender Blick über die Fäden, mit denen der Teufel Generationen verknüpft. (7/10)
10. Tenet – Legt den Rückwärtsgang ein und fühlt, wie der Fahrtwind aus dem Gesicht strömt. (7/10)
11. Der Unsichtbare – Unsichtbare Spezialeffekte können so kostengünstig sein... und doch so intensiv. (7/10)
12. Die Farbe aus dem All – man wusste es eigentlich schon immer... irgendwas ist falsch an der Farbe Pink. (7/10)
13. Der Schacht – ein Filmkonzept wie ein Balkendiagramm, aber die Präsentation ist dafür äußerst bildhaft. (7/10)
14. Knives Out – hat sich in der Kategorie „wie führe ich ein postmodern geschultes Publikum mit einem Whodunit der alten Schule an der Nase herum“ achtbar geschlagen. (7/10)
15. Les Misérables – wenn Wut die engen Gassen von Paris überschwemmt. (6,5/10)
16. The Gentlemen – ob er sich gerade in den 60er Jahren befand, im finsteren Mittelalter oder in einem arabischen Märchen... dies ist der Beweis, dass Guy Ritchie in Wirklichkeit nie weiter als zwei Blocks von seinen britischen Pubs entfernt war. (6/10)
17. Underwater – es geht eben nichts über das Survival-Konzept von „Aliens“. (6/10)
18. Come to Daddy – ganz und gar nicht das, was man erwarten würde. Egal, was man erwartet hat. (6/10)
19. Sonic – Der Film – Dank des überarbeiteten Igel-Designs und Jim Carrey im Oldschool-Modus ein willkommener Sprung zurück in die frühen 90er. (6/10)
20. Informer – schnörkellos und solide. (6/10)
21. Vast of Night – Alien-Umrisse gedeutet durch den flackernden Röhrenbildschirm. (6/10)
22. The Hunt – Betty Gilpin mäht mit einem so bitterem Ernst durch die Menschenjagd-Satire, dass man sie für eine Reinkarnation von Buster Keaton halten könnte. (6/10)
23. Sputnik – Das starke Alien-Design überstrahlt die manchmal zu spröde Handlung. (5,5/10)
24. The Lodge – twistgeschüttelter Hüttenkoller mit Frostbeulen. (5/10)
25. VFW – Veteransploitation unter blauroten Neonröhren. (5/10)
26. The Old Guard - „Aalglatt“, wie man so schön bei Netflix sagt. (5/10)
27. Spenser Confidential – Buddy-Movie-Berieselung, die man sieht und vergisst. (5/10)
28. Coma – eine niedliche Bebilderung des menschlichen Unterbewusstseins mit bombastischen Bildern und wenig Substanz. (5/10)
29. Spongebob Movie – Sponge on the Run – Ohne Garys Miau geht in Bikini Bottom eben nichts. (5/10)
30. Extraction – eine hübsche Plansequenz, dicke Production Values und Chris Hemsworth machen noch keinen guten Film. (5/10)
31. Scars of Xavier – aus dem Kopf eines Serienkillers. (5/10)
32. Nightmare Radio – Hätte man anstatt des teilnahmslosen Dödels eine richtige Kultfigur ans Mikro gesetzt, wäre das dank einiger gruseliger Viecher einer der empfehlenswerteren Episoden-Horrorfilme geworden. (5/10)
33. The Wave – Immer wenn man gerade vorspulen möchte, kommt einem der Film zuvor und macht's einfach selbst. (5/10)
34. Fantasy Island – Fantasy hätte man auch dem Drehbuchautor gewünscht. (4,5/10)
35. Ip Man 4 – wer könnte die Villainisierung des Karate absurder auf die Spitze treiben als Scott Adkins im R.-Lee-Ermey-Modus? (4/10)
36. Jay & Silent Bob Reboot – Oh my god, what happened? (4/10)
37. Borat 2 – wenn man sich schon der Methoden des Gegners bedienen muss, kann man es auch gleich sein lassen. (4/10)
38. Brahms – The Boy 2 – Hoffen wir mal, dass nicht noch ein dritter Junge auf die Welt kommt. (4/10)
39. Last Girl Standing – Wenn der Alptraum für das Final Girl nach dem letzten Standoff weitergeht, ist das für sie sicher der Horror. Für den Zuschauer aber nur bedingt. (4/10)
40. Bloodshot – unkaputtbarer Superschrott wie aus den 00er Jahren. (4/10)
41. Mexico Barbaro II – den Mexikanern gehen langsam die Geschichten aus. (4/10)
42. Killing Gunther – Arnie stand mal für Kino. Das hier steht für Video-on-Demand. (4/10)
43. I See You – Wenn man irgendwie einen anderen Film gesehen hat als alle anderen. (4/10)
44. Hubie Halloween – zeigt gemeinsam mit „Uncut Gems“ Adam Sandlers enorme schauspielerische Bandbreite. (4/10)
45. Doom Annihilation – rückt den Vorgänger plötzlich in ein ganz helles Licht. (3/10)
46. Birds of Prey – und man dachte noch, es geht gar nicht schlimmer als in „Suicide Squad“. (3/10)
47. The Ice Cream Truck – I Scream, You Scream, We All Scream for another Ice Cream flavour! (2/10)

Statistik:

FILME
gesehene Filme: 324 (2019: 253, 2018: 306, 2017: 279, 2016: 247, 2015: 227, 2014: 297)
- davon Mehrfachsichtungen: 58
- davon Filme aus 2020: 47 (basierend auf deutscher Erstveröffentlichung, d.h. entweder Kinostart oder Heimkinorelease)
Kinobesuche: 1 (2019: 8, 2018: 8, 2017: 10, 2016: 7, 2015: 9)
prozentuale Verteilung Blu-ray / DVD / VOD / Kino: 64 % / 4% / 32 % / 0,31% (aufgerundet) (2019: 56 % / 8% / 33 % / 3%, 2018: 66 % / 11% / 21 % / 3%)
prozentuale Verteilung amazon Prime / Netflix / Youtube: 70 % / 29 % / 1%

SERIEN
gesehe Serienstaffeln: 52 (2019: 47, 2018: 37, 2017: 41, 2016: 47, 2015: 47, 2014: 47)
prozentuale Verteilung Blu-ray / DVD / VOD: 17,3 % / 42,3% / 40,3 % (aufgerundet) (2019: 36 % / 26% / 38 %, 2018: 33 % / 50% / 17 % )
prozentuale Verteilung amazon Prime / Netflix: 27 % / 73 %

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 03.01.2021, 16:13

Was für Zahlen und dann auch noch Reviews und Lohnsklaventum. Deine Frau schmeißt den Haushalt? :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 03.01.2021, 16:22

Ich gebe zu, ohne Frau wär das etwas schwieriger, aber ich mach auch meinen Teil im Haushalt. Wir Beide sind wahrscheinlich die einzigen bügelnden Männer Deutschlands. :lol:
Ich muss dazu sagen, ich rechne in die Filme auch Kurzfilme und da kamen dieses Jahr alleine schon durch die Buster-Keaton-Box einige zusammen. Netto sinds dann vielleicht so 280 Langfilme. Und bei den Serien war sehr viel Kurzes dabei, zB. Damengambit mit 7 Folgen, Chernobyl mit 5 Folgen und die IT Crowd Staffeln mit je nur 4-6 Folgen. Und in 2020 habe ich aufgehört, zu jedem Film einen Kurzkommentar zu schreiben. Eigentlich habe ich fast nur noch meine Auftragsreviews geschrieben oder dann maximal ein Lückenreview, wenn ich gerade keine Promos da hatte. An den normalen Knechttagen ist so ein Film oder auch mal zwei Episoden einer Serie einfach auch Pflichtprogramm, um runterzukommen. Ich glaube, ohne Filme würde ich wahnsinnig werden.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 03.01.2021, 16:30

Wir Beide sind wahrscheinlich die einzigen bügelnden Männer Deutschlands.
Ich bin mir sicher, der Gummibär ist der Hausmann-Nerd und kann alles. :lol: Aber ja, es stimmt schon, die typischen 20-24 Folgen Staffeln sind durch den Fokus auf Streaming Seltenheit geworden.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Nachtwaechter » 03.01.2021, 16:51

SFI hat geschrieben:
03.01.2021, 16:30
Wir Beide sind wahrscheinlich die einzigen bügelnden Männer Deutschlands.
Ich bin mir sicher, der Gummibär ist der Hausmann-Nerd und kann alles. :lol: Aber ja, es stimmt schon, die typischen 20-24 Folgen Staffeln sind durch den Fokus auf Streaming Seltenheit geworden.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von gelini71 » 03.01.2021, 16:58

SFI hat geschrieben:
03.01.2021, 16:30
Ich bin mir sicher, der Gummibär ist der Hausmann-Nerd und kann alles. :lol:
Ich muß Dich / Euch in diesem Punkt kräftig enttäuschen - ich kann nicht bügeln und meine Frau erlaubt es mir auch nicht es zu lernen. Das macht sie selber.
Ich mache keine Rechtschreibfehler, ich gebe Wörtern lediglich eine individuelle Note

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von deBohli » 07.01.2021, 11:10

Monsieur Killerstyle
Wie ich den "deutschen" Titel dieses Films hasse. :lol:
Aber: Als ich dieses Werk 2019 im Kino gesehen hatte, platzierte es sich sofort auf der Bestenliste des Jahres und für immer in meiner ewigen Top-Ten. Welch genial absurdes Stück, und im französischen O-Ton unwiderstehlich sexy. Plus: Adèle Haenel ist eine Göttin.

Ansonsten habe ich vieles auf deiner Liste noch nicht gesehen. Und würde einiges höher werten.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 24.01.2021, 10:35

Letzten Kommentar übersehen... ja, der Titel ist schon bescheuert und hat auch gar nichts mit dem Originaltitel zu tun, aber in diesem Fall finde ich den Titel so bescheuert, dass er mir wieder gefällt. Und der Film ohnehin. Dupieux ist einfach ein starker Regisseur. Seine Filme holen bei mir zwar nie die ganz hohen Noten, aber sie sorgen immer für ein ganz besonderes Erlebnis. Ich mag den Stil einfach.

So, hin und wieder komme ich dann doch auch mal außer der Reihe der "normalen" Reviews zu nem Kurzkommentar:

Systemsprenger
Bild
In der bitteren Alltagsrealität befindet sich die Komfortzone deutscher Filmerzählung. Mitten in ihr Herz hinein pflanzt Nora Fingscheidt ein unbequemes Erziehungsdrama, das auf den ersten Blick auch sehr gut zu seinen Artverwandten zu passen scheint: Filmförder-Logos, biedere Fernsehoptik mit grauen Agenturgebäuden und soziale Problemherde, wohin das Auge blickt. Dann bekommt Benni ihren ersten Wutanfall. Die Lautsprecher röhren, pinke Sterne explodieren... und „Systemsprenger“ hebt zwar nicht gleich ab in seine eigenen Sphären, hängt seine Mitspieler aber mit wüsten Hakenschlägen ab und findet sie bald als kleine Punkte im Rückspiegel wieder.

Warum? Weil eben nicht die Ideallinie abgelaufen wird, wo Vorurteile und Erwartungen des Publikums bestätigt werden, damit die Filmemacher selbst Bestätigung erfahren. Weil wohl noch selten derart schonungslos die Grenzen eines Sozialsystems aufgezeigt wurden. Und weil dabei keine Zeigefinger erhoben werden; nicht gegen die Mutter, nicht gegen die Erzieher und schon gar nicht gegen das Kind, das als verlorener Partikel am Rande der Blase taumelt und nach der Sonne greift, von der eigenen Schwerkraft aber immer wieder nach außen gezogen wird. Die Suche nach Schuldigen ist Fingscheidt ebenso fremd wie missionarische Gedanken, die schon so manch gut gemeinte Weltverbesserungsfantasie postwendend ins Saure umschlagen ließen.

„Systemsprenger“ ist dabei gespickt mit verflucht guten, würdevoll abliefernden Nebendarstellern, gekrönt jedoch von einer alles niederreißenden Jungdarstellerin, die nahtlos extrovertierte Fröhlichkeit und schmerzerfüllte Orientierungslosigkeit zu einem verzweifelten Hilfeschrei ausformuliert. Fluchend, zeternd und in Erscheinung tretend stets als unberechenbare Gefahr, zieht sie dennoch jedes Mitgefühl auf sich; eine Leistung, die kaum hoch genug einzuschätzen ist.

Unterstützung bekommt sie dabei nicht nur von ihren Co-Stars, sondern vor allem von der Autorin und Regisseurin, die ihr erlaubt, weit mehr zu sein als nur das Fallbeispiel aus einer Statistik. In der androgynen Präsentation der Hauptfigur steckt viel Symbolik in Bezug auf die Unfähigkeit des Systems, die Wanderer zwischen den Welten aufzufangen; das am Flughafen angelegte Finale kann man sogar als Umkehrung einer klassischen Romantic Comedy lesen, in der Bruchstücke typischerweise wieder zueinanderfinden. Diese Momente machen ein so sorgfältig erschaffenes Portrait eines hoffnungslosen Einzelfalls zu einer Erinnerung daran, dass die Ränder sozialer Wirklichkeit aus zerbrechlichem Glas bestehen.
:liquid8:

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Cinefreak » 24.01.2021, 18:31

Systemsprenger sah ich mit meiner besten Freundin im Kino, und sie, die in diesem Bereich arbeitet, musste sich an manchen Stellen die Hände vors Gesicht halten. War ne harte, aber anspruchsvolle Nummer, und das ENde interpretiere ich ähnlich wie bei Fickende Fische als offen...Bewertung sehe ich sehr ähnlich
Unser neuestes Projekt: https://open.spotify.com/show/35s3iDdkQ12ikEFT9hOoTP - Talk rund um Filme und Serien

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von deBohli » 25.01.2021, 07:39

Vince hat geschrieben:
24.01.2021, 10:35
Letzten Kommentar übersehen... ja, der Titel ist schon bescheuert und hat auch gar nichts mit dem Originaltitel zu tun, aber in diesem Fall finde ich den Titel so bescheuert, dass er mir wieder gefällt. Und der Film ohnehin.
Leider passt der Titel inhaltlich trotzdem, wenn sich Jean Dujardin zu einem "Putain! Le style malade!" hinreissen lässt, dann ist die Übersetzung nicht ganz falsch. Habe mir übrigens die Tage noch ein paar weitere Film von Dupieux bestellt, bei "Le Daim" warte ich noch. Da widerstrebt es mir, die deutsche BD ins Regal zu stellen.

Zu "Systemsprenger" gehe ich konform.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 24.10.2021, 15:38

Ich habe kürzlich mal die Mr. Moto-Reihe beendet, und da die nicht bei den Actionfreunden landen, pack ich die mal hier rein:

Bild

Think Fast, Mr. Moto (Mr. Moto und der Schmuggler-Ring
Peter Lorre begründet in dieser ersten „Mr. Moto“-Episode einen neuen Typus von Detektiv: Exotisch, höflich, undurchschaubar, auch liebenswürdig, aber hart, wenn es sein muss. Lorres Wandlungsfähigkeit gehört zu den Highlights des Films, der angemessen mit einer Schiffsfahrt zwischen Orient und Okzident eingeleitet wird und dort allerhand an Verschwörung aufdeckt.
:liquid7:

Thank You, Mr. Moto (Mr. Moto und der China-Schatz)
Wer noch Restzweifel hegte, ob Peter Lorre als Mr. Moto nicht doch womöglich der knuddelige Gentleman sein könnte, als der er manchmal den Anschein macht, dem werden sie gleich zu Beginn seines zweiten Abenteuers ausgetrieben. In der Eröffnungsszene übernachtet der Detektiv nämlich in der Wüste Gobi, als sich ein Mann in sein Zelt schleicht. Pech für den Eindringling, dass sein Opfer üblicherweise nur mit einem Auge schläft. Er wird überwältigt, ohne mit der Wimper zu zucken getötet und gleich an Ort und Stelle im Sand unter dem Zelt verscharrt. Benimmt sich etwa so ein Gentleman?

Vorhang auf für einen mehr als zwielichtigen Schnüffler von einem Helden, den man im folgenden in gar nicht so heldenhaften Posen erleben wird: Auf der Flucht vor der Polizei, beim Vortäuschen von Telefongesprächen, ins Halbdunkel getaucht am Schauplatz eines frischen Mordes. Lorres bizarre Maskierung, die, verstörend genug, oftmals unter einer weiteren Maskierung liegt, sein offensichtliches Stuntdouble in Kampfszenen, seine vorgetäuschte Höflichkeit und Naivität, seine Liebe zu Katzen und gleichzeitige Kaltschnäuzigkeit gegenüber seinen Widersachern... all das führt zu einem äußerst irritierenden Uncanney-Valley-Zerreffekt dessen, was Sir Arthur Conan Doyle im 19. Jahrhundert zum Standard erhoben hat.

Die Beklemmung, mit der man Mr. Motos Handeln beim Erstkontakt vielleicht noch wahrgenommen hat, hat sich jedoch inzwischen verflüchtigt. Man muss ihn eben nur besser kennenlernen, wie man so schön sagt – und bekommt im Gegenzug Zugang zu einem äußerst faszinierenden Charakter, gerade weil er eben nicht dem klassischen Profil entspricht. Noch dazu hat der zweite Teil gegenüber dem Schiffsset seines Vorgängers die schönere Kulisse zu bieten: Geschmückte Altstraßen mit exotischen Antiquitätenläden (in denen ein zwielichtiger John Carradine billige Fälschungen verscherbelt) und gut besuchte High-Society-Parties machen dieses Abenteuer zum Ausstattungsfest. Dazu das farbenfrohe Kunstmilieu mit seinen schillernden Gestalten, die das Schwarzweißbild dieses alten Krimis beinahe bunt erscheinen lassen. Da kann man nur sagen: Thank you, Mr. Moto.
:liquid7:

Mr. Moto Takes A Chance (Mr. Moto und der Dschungelprinz)
Mr. Moto mag ein Verkleidungskünstler sein. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass er wie ein Tourist in Tarnfarben und mit Taschen bepackt durch den Dschungel streift. Nein, als Dandy steht er da im Gehölz mit seinem weißen, etwas zu schlabbrigen Anzug und den dazu passenden Handschuhen, das glatt gekämmte Haar keinen Millimeter verrückt. Dass er wie ein Paradiesvogel aus der Landschaft ragt, bedeutet wiederum keineswegs, dass er sich nicht an die Gepflogenheiten seiner Gastgeber zu halten weiß. Während die amerikanischen Dokumentarfilmer mitsamt ihres dämonischen Seelenfängers (aka Kamera) gefangen genommen werden, weil mitten in der Aufnahme das liebste Betthupferl des Stammeshaupts ermordet wird, hält sich der Detektiv erst einmal vornehm aus der Sache heraus. Wer wäre er denn auch schon, sich anzumaßen, die Bräuche der Eingeborenen zu hinterfragen?

Bevor die Geschehnisse eskalieren, läuft die Handlung erst einmal ein wenig zäh an, allerdings profitiert der Einsatz in Kambodscha von der ersten Minute an von dem exotischen Setting mit all den Bambushütten, Tigerfallen und hübsch für die Kamera drapierten Kleintieren. „King Kong“ und die „Tarzan“-Filme der 20er und 30er Jahre stellen hier offensichtlich den Rahmen. Peter Lorre bei den Ermittlungen zuzuschauen, ist wie immer ein Spektakel, ob er nun als der höflich-verschlagene Moto in Erscheinung tritt, als den wir ihn kennen, oder als greisenhafter Urwald-Guru, für den es auch mal drei Stunden in die Maske ging. Aufreiben darf er sich diesmal an George Regas, der als hundsgemeiner Hohepriester uralte Feindbilder beschwört, im Laufe der Geschehnisse jedoch standesgemäß bloßgestellt wird.

Im Finale wird es selbst für Moto-Verhältnisse ungewöhnlich actionreich; man könnte beinah auf den Gedanken kommen, hier werden schon mal Indiana-Jones'sche Verhältnisse auf die Spur gebracht. Und während Peter Lorre mit kindlicher Freude wie auf dem Jahrmarkt zum ersten Mal den Abzug drückt und dabei gleich auf Bösewichte zielt anstatt auf Schießbudenfiguren, denken wir uns: Der Mann weiß die Gelegenheiten zu nutzen, die sich ihm im Leben bieten.
:liquid7:

Mysterious Mr. Moto (Mr. Moto und der Kronleuchter)
Irgendwie möchte man bezweifeln, dass einen Mr. Moto Gewissensbisse dabei plagen, wenn er die Identität eines Mörders annimmt, um so einem anderen Mörder zur Flucht aus dem Gefängnis zu verhelfen. Auch als stoppelbärtiger Verbrecher im Overall geht Peter Lorre wieder völlig in seinem absurden Erscheinungsbild auf und schert sich nicht darum, dass er dabei einem aufgebrachten Al Capone ähnelt, den man gerade enteignet hat und der sich nun seine rechtmäßige Macht zurückzuholen gedenkt. Dass er schließlich einen Großteil seines neuen Falls als unterwürfiger Diener getarnt verbringt und sich an der Bar auch mal ohne Gegenwehr herumschubsen lässt (unter anderem von Regisseur Norman Foster in einem Cameo), gehört zur Wandlungsfähigkeit des Charakters, den er als strategisches Instrument einsetzt, um den latenten Rassismus seiner Mitspieler gegen sie zu richten, egal, ob es sich dabei um einen einfachen Zollbeamten oder einen verschlagenen Bösewicht handelt. Diese Taktik wird sogar über die innerfilmische Handlung hinaus an der Realität angewandt: In einer Szene gegen Ende setzt Lorre nämlich zum Höhepunkt seiner Scharade an, indem er mit Verweis auf das „entartete“ Kunstverständnis der Nazis sogar als konservativer deutscher Kunstkritiker in Erscheinung tritt, der sich auf einer Vernissage völlig daneben benimmt.

Ungeachtet der wieder einmal abenteuerlichen Eskapaden des Hauptdarstellers ist „Mr. Moto und der Kronleuchter“ eigentlich ein recht elegant aufgezogener Fall, dessen Ausstattung mit der Exotik des Dschungel-Vorgängers nicht mehr viel gemein hat. Spielbestimmend ist vielmehr der Low-Key-Stil der Kriminalfilme jener Zeit, was Lorre letztendlich aber nur noch mehr Gelegenheit gibt, sein raffiniertes Verwirrspiel zu arrangieren und sich dabei im Halbdunkel zu verstecken.

Wem also die Ermittlungen von Bogart und Welles zu dröge sind, der bekommt im fünften Moto-Fall eine abwechslungsreiche, schwer unterhaltsame Alternative geboten. Spätestens, wenn sich Lorres Stuntdouble mit waghalsigen Hechtsprüngen seinen Weg zur Aufhängung des Kronleuchters bahnt, steht fest: Vor seinen früheren Einsätzen muss sich dieser nicht verstecken.
:liquid7:

Mr. Moto's Gamble (Mr. Moto und der Wettbetrug)
Eine Lektion aus großen Worten eröffnet den Fall, eine weitere redselige Lektion schließt ihn ab. Ist es etwa ein Lehrkörper, den wir diesmal in sein Abenteuer begleiten? Jedenfalls sehen wir diesmal nicht etwa Mr. Moto, der in die Gestalt anderer Personen schlüpft. Vielmehr schlüpft nun Charlie Chan in die Gestalt von Mr. Moto, um die eigenen Weisheiten in in Form von Sprichwörtern an den Zuschauer zu tragen. Ursprünglich nämlich als Charlie-Chan-Abenteuer konzipiert, bleibt „Mr. Moto und der Wettbetrug“ spürbar im Theoretischen verhaftet, auch wenn mit dem Boxsport ein Milieu zum Schauplatz erklärt wird, in dem es mit geschwungenen Fäusten zur Sache geht. Ein klassisches Einsatzgebiet des Kriminalfilms, das die Action ins Scheinwerferlicht verlagert, um heimlich den Fokus auf den unbeleuchteten Rand zu werfen, wo man als Detektiv die wahren Geheimnisse aufdecken kann.

Peter Lorre selbst bleibt demzufolge diesmal auch im flügellahmen Geltungsrahmen seiner Kollegen Chan oder auch Holmes gefangen und begnügt sich mit deduktiven Schlussfolgerungen, anstatt die Widersacher wie üblich mit Verkleidungen, artistischen Einlagen und moralisch fragwürdigen Entscheidungen zu verblüffen. Einmal lässt er sich zu seinem Schulterwurf hinreißen, ansonsten bleibt der Sitzplatztausch beim Boxkampf das akrobatische Highlight des Detektivs, der lieber mit einer Aura des Allwissenden im Hintergrund verweilt und beobachtet, was vor sich geht.

Dass es sich - trotz des Fehlens der typischen Moto-Trademarks – unter den konventionellen Kriminalfilmen dennoch um einen der besseren handelt, ist vor allem einigen Figuren aus dem Umfeld Motos anzurechnen. Vor allem das Doppel Keye Luke (in seinem einzigen Auftritt als Lee Chan außerhalb der Charlie-Chan-Reihe) und Boxer-Schauspieler Maxie Rosenbloom sorgt für eine Abfolge wunderbarer Running Gags und komödiantischer Verstrickungen, wobei insbesondere Letzterer als Kleptomane mit selbsttherapeutischen Absichten so manchen Lacher auf seiner Seite hat. Erfreulich außerdem der kleine Gastauftritt von Lon Chaney Jr.

Sofern man verschmerzen kann, dass Peter Lorre bedingt durch das adaptierte Drehbuch an der kurzen Leine gehalten wird, ist also auch „Mr. Moto und der Wettbetrug“ ein nettes Vergnügen, das mit reichlich Wortwitz, einem stringenten Erzähltempo, moderater Spannung und einem starken Ensemble an Nebendarstellern bei der Stange hält.
:liquid6:

Mr. Moto's Last Warning (Mr. Moto und die Flotte)
Als die Silhouette des nahenden Zweiten Weltkriegs am Horizont auftauchte, legte sich ihr Schatten auf die Filmindustrie nieder und machte auch um die abenteuerliche Detektivreihe mit Peter Lorre keinen Bogen. In „Mr. Moto und die Flotte“ bestimmen jedenfalls politische Manöver den Kurs der Handlung: Frankreich und England sollen gegeneinander aufgebracht werden, denn die Übungen der Royal Navy mit der französischen Flotte werden von Unbekannten sabotiert. Das ist doch ein Fall für... Teru Shimada?

Dass auf einmal der japanisch-amerikanische Schauspieler, der Jahrzehnte später im Bond-Streifen „Man lebt nur zweimal“ mitspielte, ins Bild rückt und sich anstelle von Lorre als Mr. Moto ausgibt, ist dabei viel weniger verwirrend als die undurchsichtige Verschwörung, auf der das Drehbuch seinen Fall aufbaut. Verkleidungen und Verwirrspiele, wenn auch diesmal mit einer vermeintlichen Neubesetzung auf die Spitze getrieben, gehören eben zum Job eines Handkanten-Detektivs dazu, wie Lorre in einer späteren Szene seufzend feststellt und damit seine vorangegangenen fünf Fälle reflektiert. Doch die Komplexität des neuesten Falls ist ungewöhnlich. Eine unsichtbare feindliche Organisation, deren Herkunft völlig unklar ist, zwielichtige Gestalten, die einer nach dem anderen aus dem Boden sprießen und als krönende Ablenkung ein Bauchredner (Ricardo Cortez), der sinnbildlich für die Unmenge an falschen Fährten steht, von denen einige in Sackgassen enden und andere wieder zum Anfang führen.

Beruhigend, dass Mr. Moto, also das Original, dennoch stets den Kopf über Wasser zu halten weiß und das Puzzle aufwändig, aber gekonnt erneut in nur wenig mehr als einer Stunde löst, wobei er dem Zuschauer das finale Puzzlestück, Schelm der er ist, vorenthält. Es mag in der Vergangenheit aufregendere Einsätze und im Sinne des Entertainments spannendere Geschichten gegeben haben, doch Lorre und sein Stuntman werden zumindest wieder auf ganzer Linie gefordert. Nach dem etwas hüftsteifen Vorgänger ist wieder mehr Körpereinsatz gefragt und auch die grauen Zellen müssen angestrengt werden. Lorre tangiert all das selbstverständlich kaum; ob nun als abgeklärter Moto oder als naiv-höflicher Mr. Kiroki, ohne Mühe stiehlt er jedem Konterpart die Show, selbst wenn der Puppen zum Sprechen bringen kann.
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Mr. Moto in Danger Island (Mr. Moto und die geheimnisvolle Insel)
Schmuggler enttarnen wie in „...und der Schmugglerring“, durch den Urwald waten wie in „... und der Dschungelprinz“, sich im Ring austoben wie in „...und der Wettbetrug“ - obwohl die Story von „Mr. Moto und die geheimnisvolle Insel“ ursprünglich auf dem Roman „Murder in Trinidad“ basiert, der 1934 zunächst mit Nigel Bruce verfilmt wurde und eigentlich für einen weiteren Charlie-Chan-Streifen auserkoren war, schaut sie sich im Moto-Universum wie ein Best-Of der einprägsamsten Momente in der abwechslungsreichen Karriere des japanischen Detektivs.

Das bedeutet natürlich auch, dass nicht mehr viel Neues geboten wird in der Reihe, die nun bereits sämtliche Ablenkungsmanöver und alle Varianten der verschleierten Kriminalität durchexerziert hat. Die von Peter Lorre entworfene Hauptfigur hat allerdings auch durch ihren exzessiven Einsatz (acht Filme in drei Jahren) keinen Deut an Faszination verloren. Es macht immer noch einen Heidenspaß, die mimischen Veränderungen in seinem ausdrucksreichen Gesicht zu beobachten, während den Nebenfiguren langsam dämmert, welche Spielchen er mit ihnen treibt.

Nach Unterhaltungsgesichtspunkten gewertet spielt das siebte Moto-Abenteuer jedenfalls im oberen Bereich mit. Gleich zu Beginn sieht man Moto im Publikum eines Ringkampfes, als er der Dame zu seiner Rechten versichert, dass ein solcher Kampf zu großen Teilen aus Show besteht. Der Schnitt entlarvt erst danach, dass Moto so nah am Ring sitzt, dass die Wrestler seine Ausführungen mitbekommen und sich einer von ihnen darüber chauffiert. Sekunden später findet sich Moto selbst im Ring wieder und zeigt, dass er nicht nur Experte im Schauspiel ist, sondern auch im Körpervollkontakt.

Der bewährte Jiu-Jitsu-Schulterwurf wird fortan nicht nur ein häufig angewendeter Running Gag des Films, sondern auch Teil des Verbrüderungsrituals mit Twister McGurk, demjenigen Wrestler, der von Motos Einmischung profitierte. Warren Hymer legt ihn ähnlich tollpatschig an wie Max Rosenbloom seinen Boxer ein Jahr zuvor in „Mr. Moto und der Wettbetrug“. Moto hat also diesmal einen gutmütigen Trottel als Sidekick an seiner Seite, der seinem Partner geistig und akrobatisch unterlegen ist, jedoch durch seine Gutmütigkeit und Loyalität hilfsbereit zur Seite steht. Möglicherweise erklärt Hymers Präsenz den Umstand, dass Lorre diesmal nicht gefordert ist, zeitweise in die Rolle des höflich-naiven Klischee-Asiaten zu schlüpfen, um seine Widersacher abzulenken; dazu hat er ja schließlich nun seinen Assistenten.

So witzig es auch anzusehen ist, wie der Schmugglerring zerschlagen wird, so sehr bleibt Neu-Regisseur Herbert I. Leeds letztlich in den Basics verhaftet. Sofern man sich aber damit arrangieren kann, dass der Hut mit Überraschungen inzwischen vollständig ausgeräumt ist, eignet sich auch dieser Moto-Fall als ideales Futter für ein nostalgisches Double Feature.
:liquid6:

Mr. Moto Takes A Vacation (Mr. Moto und sein Lockvogel)
Als Abschluss einer flotten Serie von acht einstündigen Filmen binnen drei Jahren warf die 20th Century Fox noch einen finalen Auftritt des exzentrischen Jiu-Jitsu-Detektivs Mr. Kentaro Moto auf den Markt. Darin möchte der Titelheld eigentlich endlich mal Urlaub machen, wird aber durch einen mysteriösen Dieb namens Metaxa daran gehindert, weil der es auf ein wertvolles Museumsstück abgesehen hat, das in einem Museum in San Francisco ausgestellt werden soll. Ob Moto wusste, dass er seinen langersehnten Urlaub zwar nicht während der Handlung, aber bald darauf bekommen würde – und dass er deutlich länger dauern würde als geahnt?

„Mr. Moto und sein Lockvogel“ ist nach Veröffentlichungsdatum geordnet der letzte Film der achtteiligen Reihe, wurde aber noch vor „Mr. Moto und die geheimnisvolle Insel“ gedreht. Weil jedoch Herbert Leeds auf der Insel die Regie übernahm, ist es zumindest für Stammregisseur Norman Foster der wahrhaft letzte von insgesamt sechs Einsätzen. Und in Sachen Action, Tempo und Unterhaltung lässt er sich nicht lumpen, liefert er doch eine seiner temporeichsten Arbeiten. Der Plot ist ständig in Bewegung, es gibt Verfolgungsjagden per Auto in Kombination aus waghalsigen On-Set-Stunts und getricksten Nahaufnahmen mit Rückprojektion, es werden in ungewöhnlichen Kamerawinkeln Fluchtwege über Häuserdächer eingefangen und natürlich wird auch mit akrobatischen Zweikämpfen und erheiternden Sidekicks wieder nicht gespart. Der Streifen ist reich an interessanten Sets, die ähnlich wie bei dem anderen „letzten Moto“ einem Best Of der markantesten Schauplätze gleichkommen, begonnen mit einem Passagierschiff, das den Bogen zum ersten Eintrag in die Serie schlägt. Das stets im Akt befindliche Treiben des Diebs mit ungeklärter Identität lässt Freunde des gepflegten Whodunit mal vom aufregenden Whodoesit kosten, das zu manch stimmungsvollem Augenblick führt, etwa wenn der Maskierte draußen im Regen hockt und mit einer Waffe auf Mr. Moto zielt, der sich soeben in seinem warmen Zimmer in Sicherheit wähnt.

Eine gewisse Müdigkeit trotz aller oberflächlichen Schauwerte dennoch zu spüren. Obgleich das Tempo bei den ersten Filmen vielleicht etwas weniger hoch war, so strahlte die Auswahl der Sets, der Aufbau der Dialoge und die Aufbereitung der Kriminalfälle zu Beginn der Reihe mehr Sorgfalt und mehr Besonderes aus. Peter Lorre selbst war Profi genug, sich mögliche Routinen nicht ansehen zu lassen, er ist und bleibt auch im achten Teil eine Wucht und bringt immer noch die nötige Größe in die Rolle, damit der Zuschauer nicht nur einen ungarisch-amerikanischen Darsteller in der Haut eines Japaners akzeptiert, sondern auch alle Begleitumstände, die ein derartiger Umgang mit Stereotypen mit sich bringt (vom Blackfacing, das diesmal in einer Szene bei einer Nebenfigur zu sehen ist, bis zur erprobten Sekundär-Identität des Mr. Moto als einfältiger Klischee-Asiate wie aus einem Lucky-Luke-Comic). Aber es bleibt nicht unbemerkt, dass sich Twists und Marotten längst wiederholen. Man kann sie als liebgewonnene Eigenschaften der Franchise immer noch begrüßen, der für das vollständige Gelingen der Moto-Rezeptur so wichtige Überraschungseffekt ist aber verpufft.

Selbst wenn die Realität Hollywood nicht kurze Zeit später eingeholt hätte und eine japanische Hauptfigur in einem amerikanischen Film untragbar geworden wäre, wer weiß, wie lange Lorre überhaupt noch zur Verfügung gestanden hätte. Mit Penny Singleton, die von 1938 bis 1950 immerhin 28 Filme lang als Hausfrau Blondie auftrat und übrigens ebenso wie Mr. Moto einen Film mit dem Titel „...Takes a Vacation“ mit ihrer Präsenz beehrte (und zwar im gleichen Jahr... hatten die Beiden etwa einen gemeinsamen Urlaub geplant?), wäre er aufgrund anderer Verpflichtungen wohl kaum gleichgezogen. Vermutlich ist es gut so. Heute, mehr als 80 Jahre später, kann man alle Teile reuelos am Stück schauen, ohne dass die leichten Abnutzungserscheinungen dem Unterhaltungswert wirklich etwas anhaben könnten.
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 04.01.2022, 19:08

Resümee 2021:

:liquid9:
Dune
Eine nahezu perfekte SciFi-Illusion.

:liquid8:
Titane
Die körperlichen Transformationsschmerzen der Hauptfigur werden auf den Zuschauer übertragen und die Phantomschmerzen sind noch Monate später in den Knochen zu spüren.

The Empty Man
Bitte nicht mit Slender Man oder Bye Bye Man verwechseln: Unheimlich, intensiv und nicht ohne ironisches Zwinkern mausert sich „The Empty Man“ zu einem der packendsten Filme des Jahres.

:liquid7:
Possessor
David Cronenbergs DNA übernimmt langsam die Kontrolle über Körper und Geist seines Sohnes Brandon. Sie produziert nicht etwa einen identischen Cronenberg-Klon, sondern eher eine Art Mutation mit verschobenen Konturen. So gesehen also genau das, was man sich von der Fortführung der Cronenberg-Linie erhofft.

Strange Dreams
Alleine die Traumsequenzen sind die Erfahrung schon wert. Eine Reise ins Unterbewusstsein, die sich nicht einfach durch den nächsten Film in der Watchlist abschütteln lässt.

Don't Look Up
Wenn sich Satire in Realität verwandelt, bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

The Last Duel
Eine Geschichte, drei Perspektiven und Nuancen, die spielentscheidend werden: Ridley Scott hat nichts von seinem feinen Instinkt verloren.

The Bloodhound
Ein minimalistisches Indie-Kammerspiel um einen exzentrischen Gastgeber und seinen irritierten Besucher, das als Dracula-Paralleluniversum bei weitem noch nicht zureichend beschrieben ist.

The Night House
Eher Verlustbewältigungsdrama als Horrorfilm, kann „The Night House“ immerhin mit einer sehr guten Hauptdarstellerin, einer atmosphärischen Seehaus-Kulisse und brillanter Kameraarbeit sowie angenehm dezenten Computereffekten aufwarten, mit denen die getrübte Wahrnehmung der Protagonistin auf der Leinwand regelrecht sichtbar wird.

The Harder They Fall
Substanz kann man woanders auftanken. Manchmal braucht der Filmfreund einfach auch mal eine fette Stylebombe.

The Mitchells vs. The Machines
Womit wieder bewiesen wäre: Animationsfilme machen am meisten Spaß, wenn die Anarchie sie vom Pfad der singenden Chöre und Dreamworks Faces abweichen lässt.

Born a Champion
Ruhig aufgezogenes Kampfsport-Drama, das man für seine klischeehaften Wendungen rügen könnte... wäre da nicht die stilsichere Regie und vor allem die überragende physische Leistung von Sean Patrick Flanery, den man in dieser Form längst nicht mehr auf der Rechnung hatte.

:liquid6:
Tom Clancys Gnadenlos
Könnten Steine Rache empfinden, hätte man Michael Jordan mit einem solchen ersetzen können und das gleiche Resultat bekommen. Und das ist nicht einmal negativ gemeint: Bei allen Einzelkämpferklischees erzeugt schon die physische Präsenz des Hauptdarstellers genug Druck, um das Ding nach Hause zu schaukeln.

No Time To Die
Mit einem Rucksack voller schwerer Steine auf dem Weg zum Gipfel, schauen wir nun erfüllt, aber erschöpft auf eine hoffentlich wieder etwas leichtere Zukunft.

A Quiet Place: Part II
Krasinski weiß einfach, wie man Spannung erzeugt: Man lässt Parallelmontagen wie riesige Zangen zuschnappen und nichts entkommen, was sich innerhalb der Zange bewegt. Dumm nur, dass „A Quiet Place: Part II“ abgesehen von zwei starken Parallelmontagen nicht mehr viel vorzuweisen hat.

Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings
Knallbunte Asiasploitation aus dem Hause Marvel mit allen zugehörigen Wägbarkeiten.

Free Guy
Ein hübsch-bunter Kompromissfilm, bei dem möglichst alle Zielgruppen erreicht werden wollen: Der Fortnite-Spieler, der nicht merkt, wie sein Spielverhalten auf den Arm genommen wird (weil die Keule viel zu weich geschwungen wird), der Nicht-Spieler, der wissen will, was NPC für ein Unsinn ist, die Freundin, die sich in die Love Story hineinversetzen kann und der Event-Gänger, der gehört hat, dass Ryan Reynolds mitspielt.

News of the World
Helena Zengels steiler Aufstieg zeigt fast besser als der Film, wie gut sich laute Schlagzeilen verbreiten. Man muss nur schreien können.

Godzilla vs. Kong
Der vorläufige dramaturgische Höhepunkt des Monsterverse verlangt dem Zuschauer eine Menge ab, wenn es darum geht, den im Drehbuch verzapften Unfug zu tolerieren. Hat man die Kröte einmal geschluckt, bekommt man immerhin reichlich Gegenwert für das Eintrittsgeld in Form polierter Riesen-Kauleisten.

Blood Red Sky
Vampires on a Plane. Ein kruder Genre-Mix, der im Schnitt und in der umständlichen Erzählweise nicht immer ganz schlüssig gerät, aber stets für eine Überraschung gut ist.

A Classic Horror Story
Da hat sich zumindest mal jemand getraut, außerhalb der Box zu denken, auch wenn einem das „Post“-Präfix in der Auflösung mit dem Arsch ins Gesicht springt.

Oxygen
Verwunderlich, dass dieser Tage nicht mehr solcher Einpersonenstücke gedreht wurden. Dieser hier nutzt den engen Raum ganz ordentlich, allerdings hat Alexandre Aja auch schon interessantere Filme gedreht.

:liquid5:
Love and Monsters
Die Liebe gibt’s bei Netflix nicht nur im Bundle mit Tod und Robotern, sondern auf Wunsch auch mit Monstern. Enthalten ist eine schick gestaltete Postapokalypse mit originellen Mutationen des Tierreichs, eingefasst in einen leider etwas überraschungsarmen Erzählrahmen.

Kate
Immer noch stromlinienförmige Konfektionsware nach der Schablone „Girl on the Rampage“, dank der quirligen Mary Elizabeth Winstead aber immerhin der beste seiner Art in 2021.

Boss Level
Die krampfige B-Version von „Free Guy“. Schon wegen der hässlichen Farbfilter dem Premium-Produkt eher nicht vorzuziehen.

The Swarm
Eher stilles Psychodrama statt Horror. Solide gemacht, aber kein Grund, ins Schwärmen zu geraten.

The Conjuring – The Devil Made Me Do It
Ein mutiges neues Konzept für die Franchise, zu Lasten des Grusels allerdings, mit dem das immer noch sympathische Pärchen Vera Farmiga und Patrick Wilson nur noch in gedämpfter Form konfrontiert wird.

Willy's Wonderland
Stinkt nicht mal ansatzweise gegen Wally World oder Itchy & Scratchy Land an. Die stoische Ruhe, mit der Nicolas Cage das Wunderland wieder auf Vordermann bringt, während ihm hässliche Puppen auf den Nerv gehen, hat allerdings einen Oscar aus der Mülltonne verdient.

Raya and the Last Dragon
Ach, würde doch im Hause Disney auf die Drehbuchkunst so viel Wert gelegt werden wie auf das Art Design und das Animationshandwerk...

Zack Snyder's Justice League
Nur weil man den Helden in Stramplern mehr Zeit zum Strampeln gibt, wird noch lange kein Ballett draus.

Fear Street: 1994
Hätte man geahnt, dass die an „Scream“ angelegte Eröffnungssequenz im Kaufhaus die beste der gesamten Trilogie bleiben wird, hätte man womöglich frühzeitig den Stecker gezogen.

Space Sweepers
Hübsche Bilder, schnell vergessen.

Black Widow
Hätte trotz Prequel-Handicap die Anlagen gehabt, um Marvels Comic-Bombast mit den Grundlagen eines Agenten-Thrillers zu einem spannenden Gemisch zu verrühren. Geworden ist es stattdessen eine routinierte Belanglosigkeit ohne jeden Thrill.

The Reckoning
Verquaster Medieval-Quatsch mit Teufelsgestalten, Folter und viel Schminke, gleichwohl nicht ganz ohne einen primitiven Unterhaltungswert.

Black Friday
Der Cast verspricht mehr als er hält, das Kaufhaus-Massaker gerät eher zum Massakerchen. Der Kommentar zum Konsumwahn bleibt brav und überraschungsarm, Schauwerte sind trotz der putzigen Zombies kaum gegeben. Taugt aber genug, dass man am Black Friday mal anderthalb Stunden dem Einkaufswagen vom großen A fern bleibt.

:liquid4:
Matrix Resurrections
Man stelle sich vor, Gott hat Millionen von Fans unter den Aliens, weil er die Erde erschaffen hat, einen der coolsten Planeten im System. Die Alien Brothers fragen Gott, ob er Erde 4 erschaffen kann, obwohl Erde 2 und Erde 3 wegen heißer Luft explodiert waren. Gott akzeptiert, ohne zu wissen, wie die weiße Kugel Papier eigentlich gefüllt werden soll. Also nutzt Gott die leere Papierkugel von Erde 4 als Leinwand und projiziert Erde 1 auf Erde 4. Nur mit neuer Grafik-Engine. Und neuen Skins. Und neuen Bugs. Und leider auch ohne den ganzen Spielspaß von Erde 1. Dann lieber nochmal Erde 1 spielen. Fühlt sich einfach besser an.

Halloween Kills
Ach, macht euch doch nix vor. Das Böse stirbt nie!

Mortal Kombat
Ein paar gute Einzelsequenzen und nett getroffene Charaktere werden zu einem Flickenteppich vernäht, der sich nicht entscheiden kann, welche Richtung er eigentlich einschlagen will. Und sich bei einem Turnierfilm das Turnier für einen zweiten Teil aufzuheben, ist auch nicht gerade der brillanteste Einfall unter der Sonne.

The Tomorrow War
Starship Aliens aus einer anderen Welt vs. Raptoren-Dompteur, sponsored by Fifa World Cup 2022. Kann man machen, muss man aber nicht.

Monster Hunter
Wenn mal wieder ein Monsterfilm seiner Spielevorlage intellektuell nicht das Wasser reichen kann, steckt mit Sicherheit Paul W. S. Anderson dahinter.

Army of the Dead
Wenn Matthias Schweighöfer der beste Mann am Set ist, dann weißt du: Du solltest die Zusammenstellung deiner Crew noch einmal überdenken.

Space Jam – A New Legacy
Die hässlichsten Looney Tunes, die es je gab, hüpfen ohne Sinn und Verstand durch einen Zitatesalat, der sich liest wie eine wirre Abfolge von Internet-Memes, die jemand aus dem Kontext gerissen hat. Darüber hinaus liest sich „LeBron James“ gegenüber „Michael Jordan“ nun mal eben leider wie ein 2nd Draft Pick.

Jungle Cruise
Genauso gut könnte man King Kong eine Liane in die Hand drücken und ihm auftragen, alberne Mätzchen aufzuführen. Als Belohnung winkt eine blonde Prinzessin.

Red Notice
Der Blitzdings-Razzie 2021 für geht an diesen Film da... den mit Hobbs, Deadpool und Wonder Woman... und der Coladose... äh, worum ging es nochmal gleich?

Army of Thieves
Ein Spin-Off, das so wenig zu sagen hat, dass man die daraus resultierende Stille in dem deutschen Örtchen beinahe schon wieder genießen kann. Würde doch bloß Dieter auch mal die Sabbel halten.

Jolt
Fallen dir als Autor keine organischen Situationen mehr ein, um die Emotionen der Hauptfigur zu stimulieren, dann setz sie doch einfach per Knopfdruck unter Strom. Blöd nur, dass der Zuschauer am längeren Hebel sitzt und jederzeit die Fernbedienung betätigen kann.

Bad Hair
Solche Tage haben wir alle mal. Aber haben wir darüber dann etwa einen Film gemacht? Nein, wir haben unsere Frisur gerichtet und sind raus ins Unbekannte, verdammt!

Fear Street: 1666
Der Abschluss der vielleicht schnellsten Trilogie der Filmgeschichte entzieht sich schon durch die Jahreszahl den unvorteilhaften Direktvergleichen mit den Slasher Classics, was zunächst einmal nicht schlecht ist. Aber Mittelalter hin, Zeitsprünge her; machen wir drei Kreuze, dass die Nummer endlich durch ist.

Fear Street: 1978
Wenn man schon Camp Crystal Lake nachbaut und die Vorfreude auf eine Reise zur Aufstiegszeit des Slasher-Genres zu entfachen, wie zum Teufel schafft man es dann, im fertigen Film nichts davon auch nur ansatzweise abzuliefern?

Cruella
Wer auch immer Disney den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass das Publikum gerne sehen würde, wie die hauseigenen Villains per Küchenpsychologie völlig demontiert werden, der sollte diesen Irrtum langsam mal richtig stellen, bevor es auch noch Ursula und Medusa an den Kragen geht.

:liquid3:
Coming 2 America
Dieses späte Sequel unterstreicht durch sein krachendes Scheitern eine Erkenntnis: Zamunda wird durch computeranimierte Wildtiere nicht gerade attraktiver und das charismatische New York der 80er Jahre, das uns so viele Filmklassiker beschert hat, ist unwiederbringlich verloren.

Infinite
War in einem früheren Leben vielleicht mal ein Blockbuster. In den hintersten Regalreihen des Amazon-Prime-Backkatalogs versteckt ist er in dieser Inkarnation aber eigentlich ziemlich gut aufgehoben.

Great White
Bei der langweiligen Versammlung im Schlauchboot hat nicht mal der Hai so richtig Lust, sich am Büffet zu bedienen. Einfach keine gute Auswahl. Man kann es ihm nicht verdenken.



Die gesehenen Serienstaffeln, die 2021 erschienen sind, waren überschaubar, alles in allem aber qualitativ sehr solide. Lediglich "Love Death & Robots" entpuppte sich nach der starken ersten Staffel in der zweiten als mittlere Enttäuschung:

Squid Game – Season 1 (7.5/10)
Them – Season 1 (7/10)
Midnight Mass – Season 1 (7/10)
Brand New Cherry Flavor – Season 1 (7/10)
Disenchantment – Season 3 (6.5/10)
Love Death & Robots – Season 2 (5/10)

Verpasste Filme chronologisch nach Interesse sortiert (ohne Garantie auf Vollständigkeit):

Benedetta
Malignant
Last Night in Soho
Ghostbusters
Der Rausch
The Green Knight
The Father
The Suicide Squad
The French Dispatch
Spider-Man: No Way Home
Candyman
Old
Cash Truck
Nobody
Resident Evil: Welcome to Raccoon City
Antlers
Nomadland
Venom 2
Don't Breathe 2
Kaiserschmarrndrama
Killer's Bodyguard 2
Fast & Furious 9
Cry Macho
Saw: Spiral
The Forever Purge
Eternals

Statistik:

FILME
gesehene Filme: 456 (2020: 324, 2019: 253, 2018: 306, 2017: 279, 2016: 247, 2015: 227, 2014: 297)
- davon keine Erstsichtung: 86
- davon Filme aus 2020: 53 (basierend auf deutscher Erstveröffentlichung, d.h. entweder Kinostart oder Heimkinorelease)
Kinobesuche: 5 (2020: 1, 2019: 8, 2018: 8, 2017: 10, 2016: 7, 2015: 9)
prozentuale Verteilung UHD / Blu-ray / DVD / VOD / Kino: 0,88% / 63,16 % / 7,68% / 27,19 % / 1,10% (2020: 0% / 64 % / 4% / 32 % / 0,31%)
prozentuale Verteilung amazon Prime / Netflix / Disney: 56,45 % / 31,45 % / 12,10 %

SERIEN
gesehe Serienstaffeln: 33 (2020: 52, 2019: 47, 2018: 37, 2017: 41, 2016: 47, 2015: 47, 2014: 47)
prozentuale Verteilung Blu-ray / DVD / VOD: 30,30 % / 24,24 % / 45,45 % (2020: 17,3 % / 42,3% / 40,3 %, 2019: 36 % / 26% / 38 %)
prozentuale Verteilung amazon Prime / Netflix / Disney: 26,67 % / 45,45 % / 13,33 %

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Cinefreak » 04.01.2022, 20:13

Hola, die Waldfee...ihr mit euren Listen und Statistiken..ich bin schon froh, wenn ich mich zu ner Kritik oder alle hundert Jahre mal zu nem Review motivieren kann :shock: :wink:
Unser neuestes Projekt: https://open.spotify.com/show/35s3iDdkQ12ikEFT9hOoTP - Talk rund um Filme und Serien

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 04.01.2022, 20:24

geht mir eigentlich auch so, ich quäl mich manchmal auch zur Rezensionen... aber der Jahresüberblick muss sein, wenn ich schon nicht mehr wie früher zu allem eine Kurzkritik schreibe. Und das Jahresende fällt zum Glück immer in meinen Urlaub, da ist dann etwas Zeit für so was. Außerdem liebe ich Statistiken.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Cinefreak » 04.01.2022, 20:35

hab ich auch mal geliebt...war früher voll der Hitparaden-Verfolger :cool: :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von SFI » 05.01.2022, 05:42

Das ist mit Statistiken wie im Leben: Wenn man sein Kaffeepad gleich in die Biotonne wirft und nicht über der Biotonne im Spülbecken sammelt, dann ergibt sich daraus kein Mehraufwand. :lol:

Facettenreiche Statistik Vince! Ich glaube dieses Jahr unterscheide ich bei der prozentualen Verteilung der Streaming Anbieter auch noch zusätzlich zwischen Film und Serie. :cool:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 05.01.2022, 08:25

Ist auf jeden Fall ergiebig, da es ja schon massive Unterschiede geben kann, wie man Filme und Serien schaut. Bei meiner Statistik kommt jedenfalls ziemlich deutlich raus, dass ich mich offenbar mehr für das Filmprogramm von Amazon und mehr für das Serienprogramm von Netflix interessiere...

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von deBohli » 07.01.2022, 10:16

Eine Wahnsinnsarbeit hast du dir mit diesem Post geleistet, wow. Da deckt sich natürlich vieles mit meinen Kritiken.
Bei mir stellt sich allerdings die Frage, wieviele Stunden Film / Serien du pro Tag konsumierst. :wink:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 07.01.2022, 10:49

Keine Ahnung, ich will es gar nicht wissen. ;) Sicherlich zu viel, aber es ist halt meine absolute Leidenschaft und darüber hinaus bestens geeignet, um nach einem Arbeitstag runterzukommen.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von deBohli » 07.01.2022, 11:35

Ist es zu viel, wenn es die grosse Leidenschaft im Leben bedeutet?
Mein Konsum hat sich in den letzten Jahren stark erhöht - was im Moment der Selbstreflektion Fragen aufwerfen kann und den Vergleich mit anderen Verrückten sucht. :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von LivingDead » 07.01.2022, 12:22

Ich finde auch, das sind schon stolze Zahlen bei euch. Letztes Jahr habe ich bei mir kaum Buch geführt, zudem waren sehr viele Mehrfachsichtungen dabei, die ich nicht mitzähle. Aber für mich war es definitiv ein Serien-Jahr. Insgesamt habe ich 45 Staffeln geschaut. Demgegenüber stehen etwa 150 Filme (was wie gesagt auch durch einige Mehrfachsichtungen verwässert wird).
Mit freundlichem Gruß
LivingDead

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 08.01.2022, 14:01

deBohli hat geschrieben:
07.01.2022, 11:35
Ist es zu viel, wenn es die grosse Leidenschaft im Leben bedeutet?
Ich denke, es wird dann zu viel, wenn man nur noch konsumiert. Ist bei mir aber (noch) nicht der Fall, auch wenn durch das Wegfallen der Kurzkritiken bei den meisten Filmen ein Teil der Reflektion weggefallen ist, mache ich mir trotzdem immer noch Gedanken über jeden Film. Und sei es nur, dass man sich mit den Mitzuschauern anschließend (oder je nach Film auch schon währenddessen) über das Gesehene unterhält.

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 12.01.2022, 17:35

Hab zwar keinen pro-Account, letterboxd hat aber trotzdem ne Mail zumindest mit ein paar sehr groben Statistiken geschickt. Demnach waren meine Spitzenreiter:

Meistgesehener Regisseur: Norman Foster (kein Wunder, da ich die Mr.-Moto-Reihe komplett durchgezogen habe und er fast alle Teile inszeniert hat)
Meistgesehener Darsteller: Christopher Lee (hatte ich zwar nicht auf dem Schirm, ein großes Wunder ist es aber auch nicht).

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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von deBohli » 13.01.2022, 07:25

Dann scheinen sie diesen kleinen Überblick an alle zu versenden, cool.
Den Top-Platz 2021 mussten sich bei mir 10 Regisseur:innen teilen. Alle mit jeweils vier Filmen. Für 2022 ist bereits klar: Es wird ein Werner-Herzog-Jahr. :lol:
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Re: Filmtagebuch: Vince

Beitrag von Vince » 17.10.2022, 12:12

Old People
Länder aller Welt kommen zusammen und feiern den Blödsinn als das, was er ist. Nur der Deutsche sitzt grimmig da und sucht nach einem tieferen Sinn im Blödsinn. So steht es im großen Buch der Nationenklischees geschrieben. Die Bestätigung folgt umgehend dann, wenn einem Filmregisseur mit einer deutschen Produktion ausnahmsweise mal wieder der Sprung in den Genre-Teich gestattet wird.

Die Alten der Gesellschaft zu einer neuen Monster-Kategorie des Horrorkinos zu erklären, ist gerade vor dem Hintergrund des starken demografischen Wandels, den wir aktuell erleben, im Grunde sogar eine hervorragende und vor allem zeitgemäße Idee. Verdorrtes Fleisch, das frische Impulse in ein altgedientes Genre aussendet... warum nicht? Aber wenn man einen ernsten Horrorfilm daraus machen will, dann nenne man das Ding doch bitte nicht „Old People“ und schüre Erwartungen an eine launige Sause in feucht-fröhlicher Bierseligkeit. Geliefert werden zwar Grampa- und Grannie-Horden on the Rampage, die sich Sauerstoffflaschen schwingend auf alles stürzen, was noch keine drei Falten im Gesicht hat, verpackt wird die Farce aber in eine unangemessen humorlose Prä-Apokalypse, inklusive peinlichem Off-Kommentar-Pathos zur Eröffnung und zum Ausklang, dass die Schwarte nur so kracht.

Nicht, dass man aus der Prämisse nicht auch einen formidablen Endzeitschocker hätte basteln können, aber dazu hätte es wohl einer handfesteren Schreibe bedurft. Andy Fetscher konzentriert sich darauf, in der ungestörten Ostsee-Idylle (gedreht wohl zumindest teilweise in Polen) Bruchstellen in das althergebrachte Mutter-Vater-Kind-Familienmodell zu zu meißeln, um es als das eigentliche Opfer der Alten zu markieren. Er investiert so viel in dieses Konstrukt, dass er es letztlich mit Symbolismus überlädt. Infolgedessen wirken die Attacken nicht mehr unheimlich, sondern eher wie von einer moralischen Hand geführt, deren Züge man immer vorhersehen kann. Mitunter geraten die Charaktere sogar derart unsympathisch, dass man dem Team Graue Panther viel Gesundheit und Kraft beim Ausholen wünscht.

Inszenatorisch lassen sich dabei gar nicht mal so viele Vorwürfe machen; „Old People“ zieht sehr viel von seinen ungewöhnlichen, unverbrauchten Landschaften, die das künstlich wirkende Figurennetz zumindest teilweise mit erfrischendem Naturalismus zu überwuchern verstehen. Gerade im Kontrast zum Plattenbau aus dem Prolog kommen die hübschen Wald- und Strandlandschaften schön zur Geltung und werden auch fachkundig abgefilmt. Der Horror allerdings sieht sich durchwachsen inszeniert. Fletscher ist sichtbar darum bemüht, eine eigene Ästhetik des Alte-Leute-Horrors zu erschaffen, kämpft aber gegen eine Filmhistorie voller garstiger Gruselopas und -Omas an, von der Dame in 237 aus Kubricks „Shining“ bis jüngst zu Shyamalans Runzelpärchen aus „The Visit“. Gerade ist auch wieder eine Zeit, da der klassische Zombie alterniert und mit menschlichen Faktoren vermischt werden soll, wie zuletzt noch in „The Sadness“. Eine schlüssige Mythologie lässt sich aber nicht einfach mit einem Nebensatz im Prolog etablieren. Und so liefert Fetscher isolierte Schlüsselbilder am laufenden Band, ohne mit ihnen viel zu erreichen: Die Altenheimbewohner im dunklen Aufenthaltsraum, die am Fenster neidvoll (?) den Abendschein der Hochzeitsgesellschaft verfolgen. Die alte Hexe im Schaukelstuhl. Der verwirrte alte Mann im Feld, so verloren wie ein nicht abgeholtes Bällebad-Kind. Letztlich weiß man nicht einmal so recht, ob man es mit einem Slasher- oder Zombie-Streifen zu tun hat.

Man kann hier einfach kaum anders, als einer vergebenen Chance nachzutrauern. Denn die Prämisse ist gut genug, dass man sich glatt nach einem Remake sehnt, kaum dass „Old People“ erschienen ist. Und diesmal gerne mit etwas mehr Substanz oder wahlweise mit etwas mehr Humor.
:liquid4:

Mr. Harrigan's Phone
Kaum eine Verfilmung dürfte den späten, gut gereiften, etwas langweiligen Stephen King wohl bisher präziser abgebildet haben als diese Adaption einer Kurzgeschichte, die erstmals 2020 in der Sammlung „Blutige Nachrichten“ veröffentlicht wurde. Auch wenn „Stand By Your Man“ von Tammy Wynette als Klingelton aus dem kalten Grab entweicht und sämtliche Trigger des Handy-Horror-Subgenres der 00er Jahre aktiviert, echten King'schen Horror gibt es in „Mr. Harrigan's Phone“ (fast) keinen zu erleben.

So viel sollte man vielleicht wissen, um sich nicht mit falschen Erwartungen eine durchaus vorhandene Qualität dieses Films zu verderben: die Möglichkeit des gemütlichen Eintauchens in die Atmosphäre einer versunkenen Kleinstadt des amerikanischen Nordostens. Wie ein Großteil von Kings Spätwerk lebt auch dieses von den gesetzten Erinnerungen an vergangene Coming-of-Age-Zeiten, erzählt mit einer ruhigen Stimme, die es längst nicht mehr darauf anlegt, vordergründig zu schocken. Sie ist zufrieden, wenn man im Geiste ein paarmal über die Inhalte der frisch verhallten Worte nachdenkt und sich erst als Resultat dessen eine leichte Gänsehaut einstellt.

Jaeden Martell, der mit seinen 19 Jahren nun bereits zum dritten Mal im Castle-Rock-Universum zu Besuch ist, sieht sich als Hauptdarsteller dem Traum einer erfüllten Jugendzeit ausgesetzt, in dem die Charaktere selten den dunklen Mächten in ihrem Inneren folgen. Erziehungsberechtigte, Lehrer und einsame alte Menschen zeigen in derartigen Konstellationen sonst gerne ihre hässliche Fratze, sie verbieten, maßregeln und klammern, im Extremfall entwickeln sie sich zu Monstern. Der Hauptfigur dieser Geschichte jedoch widerfährt von seinen Bezugspersonen nichts als reine Harmonie. Wenn gewisse Nebenfiguren (zunächst ein Bully in der Schule, später weitere Figuren, die keine Rücksicht auf ihre Umwelt nehmen) dann doch mal für Konflikte sorgen, so dient das lediglich dem Antrieb der übernatürlichen Handlung, weniger dazu, Monströses zu erschaffen.

Die fehlenden Ecken und Kanten in der dargestellten Welt des Teenagers wirken so realitätsfremd wie ein gut gepolsterter Wohlfühltraum... und bisweilen ebenso schonend für den Puls. Eine gewisse Langeweile breitet sich aus, es ist allerdings ob der warmen Dialoge eine solche, in der man gerne verweilt. Keine, für die man brennen würde oder in die man sich wissentlich begeben würde, aber von ihr fortzugehen ist schwierig, wenn man einmal da ist. Vielleicht liegt es an der unwirklichen Stimmung dieses Films, vielleicht auch einfach an der guten Chemie zwischen Jaeden Martell und Donald Sutherland, denen man Stunden dabei zusehen könnte, wie sie über die Handy-Technologie und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft diskutieren. Denn kaum ist Sutherland aus der Handlung genommen, zerfällt auch das Traumkonstrukt ein Stück weit. Es übernimmt ein Alptraum, der aber nie richtig durchstartet. Kein Horror, kein Grusel, lediglich wieder diese Sehnsucht nach Vergangenem.

In seiner Unscheinbarkeit versteckt „Mr. Harrigan's Phone“ also immerhin etwas, das Gefühle auszulösen weiß, auch wenn man sich durch die konstruierte Welt der Hauptfigur dabei hochgradig manipuliert vorkommt. Man kann aber wohl zumindest sagen, dass es keiner 106 Minuten bedurft hätte, um die Kurzgeschichte zu adaptieren... ein Kurzfilm oder eine Anthologie-Episode hätte genügt.
:liquid5:

Das Grauen schleicht durch Tokio
Bild
Nicht nur der Polizeikommissar stutzt bei der abenteuerlichen Erklärung des Wissenschaftlers, ein Drogenschmuggler sei bei der Flucht von radioaktivem Regen aufgelöst worden. Was soll man schon erwidern, wenn der Experte bierernst auf seinem Stuhl sitzt und derartige Theorien in den Äther bläst, ohne sie konkret belegen zu können? Ja, der „Flüssigmensch“, wie er in wörtlicher Übersetzung im japanischen Originaltitel bezeichnet wird, ist schon schwerer zu greifen als Riesenlurch Godzilla. Während unsere Lieblingsechse nämlich als unübersehbare Allegorie auf die Atombombenwürfe meterhoch durch Hochhausschluchten wankt und kaum zu übersehen (somit also auch kaum zu leugnen) ist, wird die Suspension of Disbelief im wesentlich subtileren Horror-Krimi „Das Grauen schleicht durch Tokio“ schon stärker strapaziert. Denn nun geht es nicht mehr um die Explosion als solche, sondern ihre Nachwirkung in Form von atomarer Strahlung, die sich wahrhaft schleichend im Land verbreitet.

Im gleichen Jahr also, als die Amerikaner mit „Blob – Schrecken ohne Namen“ ihre Furcht vor einer Infiltration durch den Kommunismus verarbeiteten, fanden die Japaner ganz ähnliche Wege, mit ihren eigenen Ängsten umzugehen, was auf eine globale Verbindung dieser Ängste hinweist. Für Godzilla-Vater Ishirō Honda bedeutet die Hinwendung zum diffusen Glühen undefinierter Substanzen inszenatorisch neue Herausforderungen unter Beibehaltung vergleichbarer Subtexte. Seine Stärken und Schwächen bleiben in etwa dieselben: Zu sehr hält er sich mit Erklärungen der Phänomene auf, die ob ihrer kindlichen Imagination keinen inhaltlichen Nährwert bieten, zu lange bleibt er im oberflächlichen Nachtleben der Stadt kleben, obgleich er es einigermaßen stilsicher einfängt.

Gerne hätte man noch mehr Effektszenen gesehen, denn gerade die Einstellungen grün leuchtender Silhouetten auf einem nächtlichen Geisterschiff sind genau die Art Bilder, die man sich von einem solchen Film erhofft. Einige Trickaufnahmen überzeugen sogar nach heutigen Maßstäben noch (aufwärts aus dem Wasser fließender Schleim bei Regenfall, in sich zusammenfallende Kleidungsstücke der geschmolzenen Opfer etc.), trotz ihrer Durchschaubarkeit sind sie in Würde gealtert, wenn die meist in Naheinstellungen gedrehten Effekte auch gegen die monumentalen Poster-Shots des amerikanischen Blobs nicht viel zu melden haben.

Aber gerade das macht das Grauen aus Tokio ja so schleichend: Zähflüssige Substanzen, die sich wie Saugnäpfe am Bein festklammern oder wie eine ölige Decke auf Schultern tropfen. Hast du es registriert, ist es schon zu spät.
:liquid6:

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