Filmtagebuch: Vince

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Vince
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Beitrag von Vince » 29.12.2017, 06:14

Fedora
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Als sich David Fincher mit „Zodiac“ zum zweiten Mal dem Serienkillerfilm zuwandte, diesmal aber eine völlig andere Perspektive gegenüber „Sieben“ wählte, nahm er sich vielleicht auch ein Beispiel an Billy Wilders „Fedora“. Mit seinem Spätwerk um den gleichnamigen Filmstar (Hildegard Knef) kehrt dieser thematisch zu seinem Klassiker „Sunset Boulevard“ zurück, überzieht ihn aber durchweg mit einer ungewohnt satirischen, gegenüber dem Establishment fast schon zynischen Note. Fedora steht nicht, anders als Norma Desmond aus „Sunset Boulevard“, im Mittelpunkt der Handlung, sondern ist ein Rädchen im verwinkelten Getriebe des auf Schein erbauten New Hollywood. Diesem hechtet William Holden als unabhängiger Produzent spürbar hinterher, während er in „Sunset Boulevard“ als Stimme aus dem Off noch die Würde des Noir verströmen durfte, selbst als Swimming-Pool-Leiche, die er darstellte.

Bei weitem ist dieser vorletzte Film von einem der bedeutendsten Grenzgänger zwischen Drama und Komödie nicht mehr mit der Klasse seiner wichtigsten Arbeiten zu vergleichen, auch weil er sich mit Finten und Schlenkern gegen den Grundsatz des Regisseurs richtet, nüchternes, ablenkungsfreies Kino zum Eintauchen zu bieten. Andererseits zeigt Wilder, dass er durchaus dazu in der Lage ist, mit der Zeit zu gehen; und über das seltene Talent verfügt, sich bei der Betrachtung eines Objekts in eine völlig neue Perspektive zu versetzen.
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The Bye Bye Man
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Hochglanz-Horror für ein trendbewusstes, junges Publikum. Die schreiend dämlich als „Bye Bye Man“ referenzierte Titelfigur wird erwartungsgemäß in einen mythologischen Hintergrund gewickelt, der sie aber weder unheimlich noch anderweitig interessant erscheinen lässt. Von der „Bloody Mary“ über den „Candy“- und „Boogeyman“ bis zum stumpfsinnigen Hackebeilschwinger aus einem Meta-Slasher werden unzählige Referenzen in den Sack geworfen, nur ängstigen möchten sie nicht. Innerhalb der gelackten Inszenierung möchte nicht einmal mehr der Schatten des aufgehängten Mantels an der gegenüberliegenden Wand im dunklen Schlafzimmer Gänsehaut verursachen, geschweige denn ein hautloser Hund aus dem Computer. Dabei hätten die in ansprechendem Weitwinkel eingefangenen Räume nach „Psycho“-Vorgabe durchaus Raum geboten für ungewöhnlich konzipierte Horror-Sequenzen.

Irrationales Verhalten vertrauter Personen soll die aus dem Alltag gerissene Hauptfigur ebenso verunsichern wie das bekannte Pavlov-Spiel mit Klang (Münze, Zug) und verknüpftem Effekt, doch das ständige Aufbrechen der vermeintlichen Realität ermüdet mit der Zeit, zumal die Darsteller nicht willens oder in der Lage sind, wie echte Menschen zu wirken; vielmehr entsprechen sie dem papiernen Abbild junger Erwachsener aus einem typischen Genre-Film. Der immerhin auch schon 32-jährige Douglas Smith sieht dabei wesentlich jünger aus als er ist – in diesem Fall nicht zwangsläufig ein positives Merkmal.

Wenn Euch der Trailer den Eindruck von Massenware für den schnellen Jump-Scare vermittelt: Traut Euren Augen und übt Verzicht. Nur eine weitere amerikanische Legende, schlecht zusammengeklaut aus anderen amerikanischen Legenden.
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Live By Night
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Ben Affleck ist wieder voll dabei. Als Drehbuchautor und Regisseur hat er sich so einen guten Namen erarbeitet, dass man ihn plötzlich auch als Schauspieler wieder für voll nimmt, ja selbst seinen Batman hat man ihm nach gesunder Skepsis letztlich abgenommen. Es hat lange gedauert, aber nun scheint er endgültig etabliert.

Da muss eine von Affleck geschriebene und inszenierte Mafia-Ballade inklusive Hauptrolle doch wie von selbst laufen. Schauplätze voller historischer Details, ein mit allerfeinstem Zwirn versehener Kostümschrank, eine Farbpalette mit kräftigen Orange-, Türkis- und Violetttönen wie frisch aus dem Sonnenuntergang gelöffelt, die Vorlage eines Autoren, den Affleck mit „Gone, Baby, Gone“ schon einmal verfilmt hatte... alles scheint wie gemacht für einen edlen Gangsterfilm, modern gefilmt, aber in Tradition der gemächlichen, ausholenden Epen der 80er und 90er Jahre.

Doch als „Live By Night“ dann endlich auf dem Bildschirm ist, läuft er einfach nur gehetzt durch, hakt Stationen ab, bewegt sich routiniert durch Zeitsprünge, inszeniert Verhandlungen unter Gangstern ebenso träge wie Schusswechsel mit verrutschten Hüten und zerknitterten Nadelstreifenanzügen. Optisch erfüllt der Film alle Erwartungen, aber Affleck wirkt in seiner Dreifach-Funktion zwischen zwei Auftritten als geflügelter Rächer, als sei er nicht ganz bei der Sache, als plagten ihn größere Verpflichtungen.

Und tatsächlich macht die geistige Abwesenheit, die er nach außen vermittelt, das potenzielle Epos kleiner als es sein könnte. „Live By Night“ erreicht nie die Niederungen eines Groschenromans so wie etwa „Gangster Squad“, gerade deswegen setzt man aber größere Erwartungen in ihn, die großflächig enttäuscht werden. Eine Erfahrung, die man vor ein paar Jahren auf ähnliche Weise mit der Hunter-S-Thompson-Verfilmung „Rum Diary“ machen musste; schade, dass sie sich in ähnlicher Manier wiederholen muss.
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Get Out
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Afroamerikanischer Mann aus New York steht ein Kennenlernen der Eltern seiner weißen Freundin bevor. Und dann?

Das Schöne an „Get Out“ ist ja, dass er keinen Genre-Bausatz liefert, mit dem man sich schon im Voraus die komplette Handlung inklusive Auflösung selbst zusammenreimen kann. Möglicherweise würde sich die Prämisse noch für eine Komödie eignen (wahlweise aus der Kevin-Hart- oder Spike-Lee-Ecke), wohl kaum aber für einen Horrorfilm, als welcher die Blumhouse-Produktion deklariert ist. Das bedeutet also, man kann dem Grundgedanken des Kinos frönen: Sich überraschen, irritieren, überwältigen lassen. Ein dieser Tage fast ausgestorbenes und deswegen ungemein kostbares Privileg.

In Zeiten, da sich die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums verkürzt zu haben scheint, da Trailer bereits als Mini-Zusammenfassungen gelten und allen Ernstes schon immer öfter ihre eigenen Mini-Trailer als Sekunden-Montage vorangestellt bekommen, ist der eigentliche Filmbesuch fast schon überflüssig geworden; man kennt ja schließlich schon alles, und wenn man mal nicht schon im Voraus weiß, wie der Hase läuft, muss man sich für sein Unwissen fast schon rechtfertigen.

Wie „Get Out“ hat seit „Cloverfield“ aus 2008 aber kein Film mehr funktioniert. Man ist im Körper dieses jungen Kerls, steht unmittelbar vor einer unangenehmen, aber harmlos wirkenden Situation, hat aber noch die verzweifelte Fratze des Entsetzens vom Cover im Hinterkopf und versucht, sich fieberhaft auszumalen, welche Ereignisse wohl auf diesen extremen Pfad führen mögen.

Dass dies nicht gelingt, ist mehr als begrüßenswert und natürlich einerseits dem diskreten Marketing zu verdanken, andererseits aber auch dem geschickten Umgang Jordan Peeles mit dem Element des Suspense in der ersten Hälfte. Der Horror, den er erzeugt, ist ein schleichender. Er nähert sich über gewöhnliche Situationen und überrumpelt schließlich mit Darstellungen tief liegender Urängste vor dem irrationalen Verhalten von Individuen, schließlich der organisierten Irrationalität einer ganzen Gruppe, die das bis dato als normal Erscheinende zum Anormalen erklärt und umgekehrt. Ob nun der Gärtner nachts grundlos auf den rauchenden Gast zurennt wie ein Berserker oder das Hausmädchen Georgina mit falschem Grinsen künstliche Freude zur Schau stellt (Betty Gabriel gelingt hier ein bizarres Mienenspiel von beinahe schon Lynch'schen Ausmaßen), es geht um die fehlende Fähigkeit der Hauptfigur, das Verhalten seiner Umwelt voraussehen zu können und angemessen darauf zu reagieren – so wie es im übertragenen Sinne so manchem Dunkelhäutigen in einer Runde weißer Kapitalisten ergehen dürfte.

So könnte man meinen, „Get Out“ sei vornehmlich ein Film für schwarze US-Amerikaner, da deren Ängste konkret thematisiert und in einen gesellschaftskritischen Horrorfilm kanalisiert werden. Doch möglicherweise funktioniert er bei einem weißen Publikum sogar noch besser. Ein solches wird nämlich zusätzlich mit einer völlig neuen Perspektive konfrontiert und steht letztlich dem obskuren Gehabe der Armitages und ihrer Freunde ebenso ratlos gegenüber wie alle anderen.
Zwar kann sich das satirisch aufgeladene Possenspiel nicht über die Zeit retten, ohne sich doch noch vor der ein oder anderen Konvention verbeugt zu haben; auch wird der Umgang mit den aufgedeckten Karten zwar raffinierter, auch in Sachen Visualität und Montage angeregter gelöst als vergleichbare Filmhandlungen, statt einer völligen Begeisterung bleibt für die Pointe am Ende allenfalls wohlwollendes Abnicken übrig. Aber es ist ja auch die Skurrilität des Vorangegangenen und das brillant überzeichnete Spiel aller Beteiligten, womit dieser Film überrumpelte und überrascht aufhicksende Rezensenten zurückgelassen hat. Nicht ohne Grund.
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Ein Dorf sieht schwarz
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Schade um die wirklich interessante Geschichte des zairischen Arztes, der auszog, um in einem kleinen französischen Dorf eine Praxis zu eröffnen. Man hätte es sicher verziehen, wenn der lehrreiche Beitrag zur Geschichte der französischen Integrationskultur einfach nur mit dem dicken Strich einer Comic-Satire überdeckt worden wäre; immerhin warnt ja bereits das Cover in den gelben Comic-Sans-Lettern einer typischen Verständigungskomödie der Marke Dany Boon. Sogar den merkwürdigen Rap-Song im Abspann verzeiht man, stammt er doch vom echten Sohn der Titelfigur.

Wo das Verzeihen jedoch schwer fällt, ist der Verbrüderungskitsch, auf den alles ausgerichtet ist. Wenn sämtliche Konflikte aufgelöst sind und selbst härteste Kartoffelbauern, die vermutlich sogar ihre eigenen Frauen mit Misstrauen strafen, zu den besten Freunden der exotischen Familie mutieren, verwandelt sich echte Empathie in falsche Rührseligkeit, eine Komödie mit dramatischem Kern zu einem emotionalen Schmierentheater.

„Ein Dorf sieht schwarz“ funktioniert daher fast nur in der ersten Hälfte, wenn die kulturellen Vorbehalte auf beiden Seiten noch frisch sind. Eine dunkelhäutige Familie, die in den 70er Jahren mitten auf einem französischen Feldweg im Regen steht, umgeben von Ackern und mit Aussicht auf einen langen Fußmarsch, da treffen zwei Welten aufeinander und klare Aussagen werden getroffen über die unterschiedlichen Annahmen, denen die jeweiligen Kulturen zugrunde liegen. Der fehlende Kontakt scheint hauptsächlich die Angst vor dem Unbekannten zur Grundlage zu haben; es ist spannend zu beobachten, wie die Einheimischen absurde Umstände in Kauf nehmen, um bloß nicht mit dem Farbigen in Kontakt zu geraten.

In der zweiten Hälfte erweisen sich aber nur noch die Besuche der Großfamilie aus Zaire als wertvoll; ihr lebensbejahendes, gegenüber den lokalen Gepflogenheiten allerdings auch respektloses Verhalten ist natürlich allerfeinster Nährboden für klassische Culture-Clash-Comedy nach Prinz-von-Zamunda-Art. Leider hat das Drehbuch zu diesem Zeitpunkt bereits längst zu zerbröckeln begonnen. Deutsche Schweig(höf)er-Komödien lassen grüßen, wenn mit für Familie Zantoko mit reichlich Naivität (oder aber Verklärung) sämtliche Drähte zum Dorfpöbel gekittet werden, bis der Ringelpiez getanzt wird und einem ganz schwindlig wird vor lauter Menschlichkeit.
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Lady Dracula
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Die einfachen Genre-Mittel, derer sich Jean Rollin bei weitem nicht zum ersten Mal bedient, erfahren in „La Morte Vivante“ keine höhere Wertschätzung. Sie scheinen zügig ausgeführtes Mittel zum Zweck zu sein, sowohl in ihrer Ausführung als auch in ihrer Konzeption. Dies mag eine paradox wirkende Feststellung sein angesichts des Umstandes, dass drastische Spezialeffekte in diesem Fall zur Beschlagnahmung des Werkes geführt haben, eine Ehre, die nicht jedem Werk des Regisseurs zuteil wurde, auch wenn er sich zeit seines Lebens in einer schmuddeligen Grenzwelt des Films aufgehalten hat, die ihn für alles Verbotene pauschal als Verdächtigen in Betracht zieht.

Handwerklich jedoch sind die Effekte auf besserem Amateurniveau anzusiedeln. Verätzte Gesichter, durchbohrte Köpfe und zerfetzte Hälse trennen den Make-Up-Teil deutlich von den pulsierenden Körpern der Präparierten, die still stehen müssen, um eine Illusion erzeugen zu können, die im Grunde keine ist; wenn der Puls noch sichtbar schlägt bei den Toten, wird die Improvisation offenbar.

Mehr noch als das reine Handwerk verrät jedoch dessen Planung, wie wenig Rollin in dieser Produktion am kunstfertigen Umgang mit den Regularien des Horror- und Untotenfilms gelegen haben muss. Radioaktive Fässer, deren Dämpfe die Toten aus ihren Gräbern erwachen lassen, wurden nur drei Jahre später zum Aufhänger einer amerikanischen Zombie-Comedy namens „Return Of The Living Dead“, die es mit der Zeit zu einem hohen Kult- und Bekanntheitsgrad gebracht hat. Mit ihnen eine tragische Geschichte über Ewigkeit, Menschlichkeit und Freundschaft initiieren zu wollen, grenzt an Faulheit, wenn nicht Ignoranz.
Oder sie führt bewusst auf die falsche Fährte, denn um so eindringlichere Wirkung erzeugt der Regisseur mit der Art und Weise, wie er seine Hauptdarstellerinnen Marina Pierro und Françoise Blanchard im Zusammenspiel inszeniert. Als ehemals Unzertrennliche, die vom Schicksal getrennt wurden, arbeitet er eine proportionale Umkehrung ihrer Entwicklungen vom Menschlichen ins Entmenschlichte oder umgekehrt heraus. Überhaupt arbeiten die Mechanismen in Rollins Fantasy-Welten meist über den Dualismus zweier weiblicher Pole, die mal identisch sein können, mal völlig gegensätzlich. Diesbezüglich liefert „La Morte Vivante“ eine der besten Vorstellungen im Œuvre des Franzosen; nicht zwangsläufig nur auf die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerinnen bezogen, sondern viel mehr in der Gesamtkomposition. Der Kampf gegen die Leere des Vampirdaseins wird mit kraftvollen Schlüsselbildern unterstrichen; ob die auferstandene Catherine nun in ihrem weißen Totenkleid wie paralysiert über eine grüne Wiese streift oder nackt am Klavier sitzt und die Erinnerung mit einzelnen Tastenanschlägen zu beschwören versucht, während hinter ihr auf dem Boden blutige Leichen verstreut sind, dieses Horrordrama ist reich an tiefen Eindrücken und strebt mit der komplexen Interpretation des Vampirthemas weit ins Poetische hinein.

Aus dieser Perspektive betrachtet ist es verständlich, dass dem reinen Genre-Handwerk gegenüber so wenig Sorgfalt zuteil wird. In gewisser Weise funktioniert „La Morte Vivante“ als grober Reißer dennoch; Blutige Effekte und Nacktheit hat er immerhin zu bieten, dazu gewohnt schaurige Setpieces, die oft erst durch die Kombination unwirklich erscheinen (die zierliche Marina Pierro als augenscheinlich einzige Hausherrin eines riesigen Schloss-Anwesens). Wahre Höhen erreicht er aber erst durch das komplexe Verhältnis zwischen der Vampirin und ihrer Dienerin, samt ihres bedeutungsvollen Bandes aus Jugendtagen.
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Mamba
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Mit nur zwei Nebendarstellern – einer davon verabschiedet sich bereits nach dem Prolog – und einer Hauptdarstellerin dürfte sich die italienische Genre-Produktion selbst dann ein Kammerspiel nennen, wenn nicht gerade Frau und Schlange hinter von außen abgesperrter Haustür einen gemeinsamen Abend verbringen würden. Dass Mario Orfini dabei so schnell zu diesem Punkt kommt, gehört zweifellos zu den Vorzügen des Films, der noch nicht einmal die 80-Minuten-Marke knackt, bevor dem Reptil das Gift ausgeht.

Abservierte Ehefrau gegen Mamba auf eingegrenztem Raum also. Das klingt jetzt nicht unbedingt nach garantierter Hochspannung, weil man sich vielleicht ein Hausmütterchen in karg eingerichteter Zweizimmerwohnung vorstellt, das quiekend auf einem Stuhl von einem Bein zum anderen hüpft. Doch da hat man die Rechnung ohne Trudie Styler gemacht. Die damalige Lebensgefährtin und spätere Ehefrau von Sting hüpft langbeinig in Unterwäsche und Hemd von einem Raum zum nächsten, absolviert in der Phase der Arglosigkeit eine Badeszene und holt selbst in der offenen Konfrontation noch so manches Mal ihre Schenkel aus der schützenden Vermummung – und doch spielt sie kein geistloses Final Babe („Final“ wäre angesichts der Konstellation auch recht witzlos), sondern bietet überraschend ein durchaus wertvolles Portrait aufkeimenden Feminismus in Reaktion auf den 80er-Jahre-Wall-Street-Machismus, der von Gregg Henry mal wieder vortrefflich ausgedünstet wird. Was Styler zeigt, ist oft albern, manchmal stark und selbstbewusst, dann aber auch wieder dumm und naiv – weit weg also von den realitätsfernen Powerfrauen der 90er Jahre.

Obwohl die Schlangenattacken als solche insgesamt wenig bedrohlich ausfallen und überhaupt sehr spärlich ausfallen (es sei denn, man möchte die inflationär eingesetzte Monster Vision mit ständiger Wiederholung eines Gänsehaut-Streicher-Motivs hinzuzählen), sorgt die Hauptdarstellerin für die halbe Miete, damit es beim Kampf auf Leben und Tod nicht langweilig wird. Der Rest wird von der Location beigesteuert, die mit weitläufigen Räumen, verschachtelten Treppen und Fluren und einem fast schon surrealen Design inklusive schräg verlegter Fenster und schiefer Wände durchaus ungewöhnlich ist.

Mit biblischer Symbolik mag man es ein bisschen übertrieben haben; nicht nur heißt die Dame „Eva“, auf einem Beobachtungsmonitor ihres Mannes mit Atari-Grafik wird sie außerdem als Apfel dargestellt, der von der Schlange verfolgt wird. Wenn Eva nun in der finalen Phase des offenen Kampfes im Eiltempo von einer Etage zur nächsten hetzt, ist es um die Logik endgültig geschehen; anders als ihr Mann würde man die Überlebenschancen der Frau unter normalen Umständen etwas höher sehen als 1 zu 1.000.000, aber mit einer Mamba, die Blitzteleportation beherrscht, mag diese Schätzung wohl hinkommen. Das Ende ist entsprechend des emanzipatorischen Subtextes vorhersehbar, hat aber dennoch zumindest einen kleinen Twist zu bieten und ist ebenso kurz angebunden wie der Rest; selbst der Abspann muss nur drei Schauspieler auflisten und ist in Windeseile abgehakt.
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Sherlock Holmes: Die Frau in Grün
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Bei Osiris und Apis, schau mich an. Schau mich ganz fest an! Du bist jetzt ein Vogel! Jaa, ein Vogel, bei Osiris und Apis! Ein Vogel!

Wie schon die „scharlachrote Kralle“ aus 1944 bringt die „Frau in Grün“ Farbe in das schwarzweiße Holmes-Universum und bedient sich per Dialog der Farbcodierung, was durchaus gut zur psychedelischen Welt der Hypnose passt, in die Holmes und Watson diesmal hineingeraten – auch wenn die zirkulierende Hypnosescheibe auch in Schwarzweiß ihren Dienst erfüllt. Das Ermittlerduo erinnert im Umfeld geistig manipulierter Opfer an Asterix und Obelix in der Magier-Episode aus „Asterix erobert Rom“, insbesondere dahingehend, dass sich Beide dem Budenzauber gegenüber als immun wähnen, was selbstverständlich nur auf Holmes zutrifft, nicht auf Watson, der weggetreten ist, noch bevor er seinen Monolog über die Manipulation kleiner Geister beendet hat. Natürlich tappt auch Holmes trotz seiner Erhabenheit über den Mummenschanz in die Falle und wandelt im wahrsten Sinne des Wortes am Abgrund entlang; inwiefern dieser Kniff nach nunmehr elf Episoden noch überraschen kann, sei mal dahingestellt.

„Die Frau in Grün“ ist mit einer klassischen Reihe von Morden, Detektiven nach klassischem Strich und einem neuen Milieu als Verkleidung somit ein routinierter, bisweilen prächtig unterhaltender, aber auch leicht auszurechnender Eintrag in die Reihe, der genau nach Maß liefert.
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2 Lava 2 Lantula
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Nein, also ohne Mike Mendez am Ruder macht es einfach keinen Spaß mehr. Die Asylum-Untiefen, über die sich „Lavalantula“ dank eines bestens aufgelegten Police-Academy-Casts und augenzwinkernden Humors noch erheben konnte, werden im schnell nachgereichten Sequel von Nick Simon nun selbst betreten, obwohl auch er auf Steve Guttenberg, Michael Winslow und Marion Ramsey zurückgreifen kann. Guttenbergs erster Auftritt am Set eines Polizeifilms ist aber schon so verkrampft, dass er Rückschlüsse auf mangelnde Schauspielführung zulässt. Man schämt sich regelrecht für den Star aus Kindheitstagen, wo man ihn im ersten Teil wegen des gelungenen selbstironischen Ansatzes noch anfeuern konnte – kaum zu glauben, dass er hier ein und dieselbe Rolle noch einmal spielt.

Und die Erinnerung mag täuschen, aber auch wenn die Animationen beim ersten Auftritt der Feuerspinnen bestimmt nicht von Meisterhand geschaffen wurden... waren sie nicht dennoch um einiges ansehnlicher als in der Fortsetzung? Die harmonische Einbettung der Achtbeiner ins Bild scheint nun endgültig keine Relevanz mehr zu genießen, achtlos gleiten sie über jede Art von Materie, ohne Notiz von deren Beschaffenheit zu nehmen. Ihr Schattenwurf gleicht dem eines betrunkenen Lucky Luke, mal zu schnell, mal zu langsam, mal einfach gar nicht da. Bei Lavalantula Mamalantula Gargantula, dem Über-Vieh fürs Stadion-Finale, sind vor lauter Megalomanie sogar Copy-and-Paste-Fehler zu bestaunen. Dass man sich in einer Szene über schlechte CGI-Effekte lustig macht und diese offensichtlich auch auf sich selbst bezieht, macht das Elend nur geringfügig besser. Besonders auffällig ist auch der armselige Schnitt. Mendez hatte diesen noch selbst angefertigt und damit sicherlich der ein oder anderen Szene zu mehr Tempo verholfen, hier wird eine krude Hetzjagd nur noch kruder.

Das inzwischen in Florida spielende Arachnidenspektakel zeigt sich bisweilen sehr zitierwütig und fertigt „Scarface“, „Miami Vice“, „Jurassic Park“, „Independence Day“ und Artverwandte im Dutzend ab. Wie Fremdkörper ragen sie aus der Handlung, die sich hauptsächlich über die klassische Sequel-Mischung aus Variation und Fortführung bekannter Bestandteile ergibt, Eiskanonen beispielsweise oder... ja, das war's auch schon. Als ein Crocodile-Dundee-Verschnitt eingeführt und schnell wieder herausgeschrieben wird, ist das bezeichnend dafür, wie die Gags am Fließband ohne Pointe absaufen.

Also, bitte, lasst es nicht mit Fortsetzungen wie „Lavalantula: Volcano Drift“ oder „Lavalantula: New Model. Original Legs.“ ausarten und beendet die Reihe, bevor sie irgendwann im Weltraum landet.
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Hell Or High Water
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Man täte dieser schnörkellosen Ballade über zwei kriminelle Brüder Unrecht, würde man sie an fehlender Originalität festnageln oder daran, dass es Geschichten wie diese schon so lange gibt wie das Kino. Denn es ist gerade eben die Pointe von „Hell Or High Water“, dass er in der heutigen Zeit spielt, sich aber schon zu einer Zeit ereignet haben könnte, als der Westen noch nicht gebändigt war.

Obwohl er mit dem von Ben Foster nach eigenem Typ gespielten Tanner Howard ein potenzielles Störfeuer im Plot integriert hat, lässt sich Regisseur David Mackenzie nicht beirren auf seiner geraden Linie von Punkt A zu Punkt B. Es sind letztlich die von Chris Pine und Jeff Bridges ebenfalls nach eigenem Typ gespielten Figuren, die den Fortgang der Geschichte mit ihrem kalkulierten, bisweilen sogar vorprogrammierten und schicksalhaften Handeln bestimmen.

Spannung lässt sich damit schwerlich erzeugen, wohl aber Nachdenklichkeit, die sich im Straßenstaub kleiner US-Gemeinden verteilt, welche in der Zeit stehen geblieben zu sein scheinen – ein Fingerzeig an politische Entscheidungsträger und den ausbleibenden Fortschritt im Umgang mit Einzelschicksalen. Die Inszenierung der Banküberfälle geht dabei mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit einher, die dem Warten vor der verschlossenen Tür des Bäckers am frühen Morgen gleicht; den Sonnenaufgang noch orangerot im Genick, den Hahnenschrei im Ohr, das Sandkorn im verschlafenen Auge. Ohne Frage, den Gesetzesbrechern wird ein gewisses Maß an Verständnis für ihr Handeln zuteil.

Überraschungen gibt es also weder in der Auflösung des Dilemmas noch im angeknüpften Epilog. Sie wären an dieser Stelle auch nicht angemessen. Es ist wertvoll zu wissen, dass die Dinge manchmal einfach so sind, wie sie sind.
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A Cure For Wellness
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„Shutter Island“ im Kur-Ambiente von „Ewige Jugend“... dass die Rückkehr von Gore Verbinski ins Mystery-Horror-Fach ein visueller Augenschmaus werden würde, war vorprogrammiert. Bilder von kristallklarer Anmutung und bläulichem Schein lassen New York und die Schweizer Alpen beiderseits wie ein unwirkliches Spiegellabyrinth wirken. Dementsprechend gelingt der Übergang von der toten Darstellung der gläsernen Großstadtfassaden hin zur idyllischen Abgeschiedenheit mühelos. Eine brillant gefilmte Transit-Außenaufnahme reflektiert beide Perspektiven gegeneinander und findet ihr Ende im Schwarz des Tunnels. Nein, Verbinski lässt keinen Zweifel an der deutlichen Genre-Einordnung seines Werkes und versucht nicht einmal, sie zu verschleiern.

Ist die Erzählform jedoch durch Konventionen bereits vorbestimmt, drängt sich die Geschichte in den Vordergrund. Das Drehbuch bleibt hier vage, was der ersten Hälfte wesentlich mehr nützt als der zweiten. Solange die unerklärlichen Vorgänge im Sanatorium nämlich nur abstrakte Striche sind, solange sich aus ihnen noch keine interpretierbaren Zeichen entwickelt haben, funktioniert dieser Ansatz ganz hervorragend. Man mag sich kaum sattsehen an den glatten Spiegelflächen der Seen, der Unerreichbarkeit der Berge und den Mosaiken im Inneren des Sanatoriums. Die Zeichen, seien es Halluzinationen von nicht vorhandenen Durchgängen oder mikroskopischen Lebewesen im verabreichten Wasser oder harte Fakten wie ein Wildunfall, man nimmt sie, wie sie kommen, bereitwillig, sich auf das Rätselspiel einzulassen, und nimmt dafür sogar Klischees von verrückten Anstaltsexperimenten und einem mies gelaunten Pöbel aus dem Dorf im Tal in Kauf.

Nur kommt irgendwann immer der Punkt, an dem man die Karten offen legen muss. Hier offenbart die von Regisseur Verbinski und Drehbuchautor Justin Haythe gemeinsam erdachte Geschichte ihre Lücken, insbesondere bezüglich der Richtung, die man einschlagen möchte: Soll „A Cure For Wellness“ nun vor den Krankheiten der modernen Gesellschaft warnen oder schlägt es doch eher einen märchenhaften Weg ein, indem es das Garstige zum Bösen erklärt, das weit oben auf dem Berg hockt und in seinem Kessel voller Geheimnisse rührt?

Vielleicht dachte man, beides ginge gleichzeitig, es würde womöglich sogar den Mystery-Faktor in die Höhe schrauben. Der Plan geht leider nicht auf; trotz des naturalistischen Bilderrauschs bleibt das rationale Denken noch so weit aktiv, dass man das Dilemma des Films, sich für die mythologische oder die kontemporäre Auslegung entscheiden zu müssen und sich nicht entscheiden zu können, störend wahrnimmt. Schade um das verlorene Potenzial, aber aus Verbinski-Perspektive bietet „A Cure For Wellness“ dennoch willkommene Abwechslung nach einigen Jahren gefüllt mit Actionkomödie und Melodram.
:liquid6:


Hidden Figures
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Große Leistungen ohne Anerkennung sind das Thema dieser biografischen Verfilmung um drei afroamerikanische NASA-Mathematikerinnen zu Zeiten von John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. Ein Extrembeispiel für Diskriminierung steht auf dem Plan; Hautfarben- und Genderthemen werden miteinander verknüpft und in ein berufliches Umfeld gelegt, das für Außenstehende bis heute als Synonym für Willenskraft und Traumerfüllung steht. So erzeugt die Inhaltsangabe nicht wie bei vielen anderen Rassismus-Dramen ein Gefühl von „unglaublich, dass so etwas zu dieser Zeit noch passiert ist“; ein Ausdruck, mit dem man sich selbst auch immer ein wenig rein wäscht. Vielmehr empfindet man Verwunderung darüber, dass überhaupt in den 60er Jahren dunkelhäutige Mathematikerinnen bei der NASA angestellt waren. Man ist dazu versucht, schon dies als fortschrittlich zu bewerten. Darauf aufbauend, ist es das Ziel dieses Films, zu beweisen, dass der Schein trügt.

So ist der metaphorische Gehalt dieser historischen Erzählung nicht zu unterschätzen. Kleine Bildnisse ziehen sich durch die gesamte Handlung, wenn die Protagonistinnen ihr Umfeld davon überzeugen wollen, dass es notwendig ist, Grenzen zu überschreiten, oder, wie es ihr Boss (Kevin Costner) mit ganz anderer Intention im Hinterkopf ausdrückt, „über die Zahlen hinaus zu denken“. Weiße in hohen Positionen werden daran erinnert, dass auch sie Grenzen durchbrechen mussten, um ihren Status zu bekommen; der erste Mann im All wird zum Symbol für das Avantgardistische, dem es auf anderen Positionen nachzustreben gilt.

Am besten ist „Hidden Figures“ im Grunde, wenn er die Nebenfiguren zu spontanen Reaktionen verleitet, die ein von gesellschaftlichen Umständen verblendetes Denken unter Beweis stellen. Dies gelingt oft in kleinen Gesprächen mit den unterschiedlichsten Menschenschlägen, die sich alle im gleichen Maße von dem Diktat ihrer Umwelt beeinflusst sehen; ob weiße Frauen (Kirsten Dunst), schwarze Männer (Mahershala Ali), schwarze Frauen (jede der drei Hauptdarstellerinnen) oder weiße Männer (Jim Parsons). Gerade dies macht Kevin Costners Rolle so besonders: Costner ist hervorragend darin, eine Immunität, aber auch Blindheit gegenüber rassistischen Themen auszustrahlen. Sein völliges Desinteresse an allem Privaten lässt ihn im Sinne von Arbeitsschutzgesetzen fragwürdig erscheinen (ein Thema für einen anderen Film vielleicht), im Kontext dieses Films jedoch hat er eine beneidenswert neutrale Ausstrahlung. Ihm dabei zuzusehen, wie er aus reiner Pragmatik heraus das Schild einer Toilette für Schwarze zertrümmert und dem gleichberechtigten Stuhlgang die Pforten öffnet, im Endeffekt nur, um die Effizienz der Arbeit seiner Angestellten zu erhöhen, ist eine Freude, denn sie drückt vor allem eines aus: Die Unlogik der Rassentrennung.

Leider ist „Hidden Figures“ in vielerlei anderer Hinsicht kaum mehr als durchschaubare Oscar Bait. Ansetzen kann man schon beim Filmtitel, der sich allenfalls darauf bezieht, dass die Lebensgeschichte der Frauen erst durch diesen Film für die breite Öffentlichkeit bekannt gemacht wird, da sie am Ende der Handlung gemäß eines etablierten Happy-End-Anspruchs sehr wohl Anerkennung erfahren und Fortschritt erzwungen haben. Doch wie viele andere NASA-Mitarbeiter, egal ob schwarz oder weiß, mag das breite Publikum wohl beim Namen nennen können? Wo sind die weißen Frauen mit Intellekt, wo werden Armut und Herkunft thematisiert? Theodore Melfi verwendet einen doch sehr beengten Blickwinkel auf den Arbeitsmarkt, und nicht einmal auf diesen im Generellen, sondern nur auf die Beschäftigungsverhältnisse im Langley Research Centre. Es wird suggeriert, dass es nur diese schwarzen Frauen gab, die für ihr Recht kämpften, in das selbsterklärte Revier weißer Männer einzudringen.

Die Narration ist völlig auf den Arbeitsalltag eingeschossen, der mit Lösungsansätzen der Marke „A Beautiful Mind“ oder „The Imitation Game“ hübsch ausgeschmückt wird, um eine fachliche Brillanz anzudeuten, mit welcher der zur Schau gestellte Mad-Men-Chauvinismus neutralisiert werden soll. Das geht sogar so weit, dass die familiären Umstände völlig vernachlässigt werden. Wenn Katherine nach einem 16-Stunden-Tag von der Arbeit zu ihren drei Kindern zurückkehrt, wirkt es doch sehr unglaubwürdig, dass sie immer noch dazu in der Lage ist, perfekt geschminkt bei ihnen zu sitzen und eine „gute Mutter“ zu sein.

Eigene Pioniersleistungen in Sachen Minderheitendrama verbaut sich „Hidden Figures“ damit wieder, denn am Ende des Tages bleibt seine Oscarnominierung leider nicht die einzige Vorhersehbarkeit.
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Ich – einfach unverbesserlich 3
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Wenn die Fantasie verdunstet ist, wird eben der Zwillingsbruder ausgepackt. Und weil sich in „Despicable Me“ bereits mehr als genug Eierköpfe tummeln, verfügt der Neuzugang über eine Tolle wallenden, blonden Haars als Unterscheidungsmerkmal von Gru und seinen Minions.
In dieser Doppelkonstellation geht es also ein weiteres Mal auf Superverbrecherjagd, natürlich nicht ohne Frau und drei Kinder im Schlepptau. Gegner ist diesmal ein fieser Ex-Kinderstar mit Schnurrbart und Vokuhila samt einsetzendem Kahlschlag, der von Trey Parker mit hörbarem Randy-Marsh-Einschlag gesprochen wird. Als Michael Jackson und Nena hörendes Kind der 80er mit seltsamen Vorlieben für Aerobic und Pop Art liegt eine solche Figur natürlich voll im Trend, wie fast alle anderen Charaktere im Illumination-Universum muss sie auch zum tanzenden Hampelmann gemacht werden, so dass sich die Figuren stets vom Beat gestochen fortbewegen, denn nicht-tänzelnde Bewegungen sind nicht witzig genug.

Derweil man den Minions mit einem Gefängnisaufenthalt mehr oder weniger erfolgreich eine neue Nische für ihre seltsamen Marotten gefunden hat, ähnelt die Gesamtkonstellation schon immer mehr der tief gesunkenen „Ice Age“-Reihe. Die Unterschiede zwischen einem Säbelzahnhörnchen im Weltall und einem Minion im Knast sind bei genauer Betrachtung nur marginal, während Gru, über dessen Grantigkeit immer noch Witze am Fließband gemacht werden, eigentlich längst nicht mehr grantig ist – was man ebenso über Säbelzahntiger Diego oder Mammut Manny sagen könnte.

Kurzum findet eine hektische Kompensation der nach dem ersten Teil verlorenen Dynamik durch oberflächliche visuelle Gags statt, mit denen einfach nur noch die körperlichen Deformationen des mit verschobenen Proportionen spielenden Animationsstils für die Pointe sorgen sollen. Wenn aber nur noch ein Blähbauch auf Stelzenbeinen zum Lachen anregen soll, ist das schlicht und ergreifend mangelhaft.
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Weitere Sichtungen:
Security – It's Going To Be A Long Night
Waxwork 2
Ghost In The Shell
Wild Card
Spider-Man: Homecoming
Star Wars: The Last Jedi
Justice League

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Beitrag von Vince » 06.01.2018, 09:57

Slow West
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John Maclean haushaltet klug mit der geringen Menge an Ressourcen, die ihm zur Realisierung seiner Westernerzählung „Slow West“ zur Verfügung stehen. Obwohl er nicht einmal 90 Minuten hat, um sie zu Ende zu führen, kümmert er sich liebevoll um das kleine Repertoire an Nebenfiguren. Es beeindruckt schon, mit welcher Seelenruhe und Wortkargheit die Hauptdarsteller Michael Fassbender und Kodi Smit-McPhee ihre Figuren mit Leben füllen dürfen; erst recht bemerkenswert ist aber der Umgang mit den restlichen Charakteren, die über Kurzauftritte meist nicht hinauskommen und trotzdem stets vollständig erfasst scheinen; oft auch durch Erzählungen oder Schlussfolgerungen aus der Situation, in der sie sich befinden.

Dazu ist ein tiefes Bewusstsein für Western-Relikte fast ebenso sehr notwendig wie die Fähigkeit, die Geschichte in eine Form mit klar geführtem Strich zu bannen. Beides kombiniert Maclean meist souverän und stilsicher. Der durch den Road-Movie-Aspekt stets in Bewegung befindliche Western zeigt einige der schönsten Seiten des Genres in stillen, jedoch markanten Landschaftswechseln und einer prägnanten Farbcodierung, durchbrochen von kleinen Momenten der Überraschung, die man versteckt zwischen vereinzelten Klischees so vermutlich noch nie oder nur in abgewandelter Form gesehen hat; eine Wäscheleine zwischen zwei Pferden hätte man beispielsweise allenfalls noch einem Western mit Spencer und Hill zugetraut.

Diese kleinen Momente pragmatischen Handelns untermauern den geübten Umgang mit dem Szenario. Pragmatisch ist dann auch die Auflösung der Geschichte, die im Kern ein Liebesdrama über Grenzen hinweg zu sein scheint, darüber hinaus aber noch etwas Tieferes über zwischenmenschliche Beziehungen zu sagen hat... und somit auch über die Sehnsüchte, die in den Weiten des Westens verborgen lagen, seit es Geschichten darüber gibt.
:liquid7:

CHiPs
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Ob „Starsky & Hutch“ oder „21 Jump Street“, mit den ausrangierten TV-Vorlagen von anno dazumal haben ihre Action-Comedy-Neuauflagen nur noch die Cameos gemein. Das Humorverständnis ist ein völlig neues, es nährt sich aus einem Sensationstourismus, der vor allem daran interessiert ist, wie man Veraltetes möglichst spektakulär bloßstellen kann.

Dax Shepard fällt auch Jahre später in seiner Funktion als Regisseur, Autor und Hauptdarsteller für die Aufhübschung der alten Copserie „ChiPs“ nichts anderes ein als enge Uniformen und peinliche Situationen auf dem Motorrad. Einmal mehr rechtfertigt die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit den Griff in die tiefsten Untiefen des ranzigsten Humors, der sich vom Bodensatz abkratzen lässt, ohne die Kelle abzubrechen. Michael Peña wird niemals von den Gaucho-Klischees abkommen, wenn er weiterhin Rollen wie diese annimmt und zu enthusiastischen Vorträgen über die gesellschaftliche Akzeptanz von Ass-To-Mouth-Praktiken genötigt wird.

Überhaupt gerät das Buddy Movie ebenso zur verbalen wie grafischen Verkrassung der biederen Vorlage, die nicht nur Respekt vermissen lässt, sondern in ihrer Motivation, besonders anzüglich zu sein, selbst erschreckend bieder wirkt. Wo Jonah Hill und Channing Tatum als Hich-School-Duo wenigstens noch einen gewissen Charme versprühten und Stiller/Wilson zumindest als professionelle Komödianten ihre Momente habenähnelt die Chemie zwischen Peña und Shepard einer khakifarbenen Masse, die sich in einer Petrischale zitternd aufbäumt und röchelnd wieder zusammensackt.

Läuft schon jetzt völlig zurecht unter „ferner liefen“.
:liquid3:

Die drei Gesichter der Furcht
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Episodenfilme zerfallen bekanntlich gerne in ihre Bestandteile und sind selten von durchgehend exquisitem Bouquet, selbst wenn einzelne Beiträge eine besondere Klasse erreichen. Bavas Kurzgeschichtensammlung von 1963 hatte gute Chancen, die berühmte Ausnahme von der Regel zu werden, bedenkt man die markante Bildsprache des Regisseurs und den Umstand, dass er alle drei Episoden selbst inszenierte, was heftige Stilbrüche wie beim Beispiel „Außergewöhnliche Geschichten“ (mit Fellini, Malle und Vardim) von vornherein unwahrscheinlicher macht.

Die erste Geschichte, „Das Telefon“ verhindert aber bereits eine Erfahrung „ wie aus einem Guss“. Die bekannten Stärken des Italieners deuten sich zwar an, reichen aber bei weitem nicht in die fiebrige Bildsprache hinein, die man von ihm gewohnt ist. Was sich in der Wohnung einer von Telefonterror geplagten Dame mit offenbar nicht ganz koscherem Hintergrund abspielt, kennt man in dieser Art von diversen Gialli, die sich der Drastik von Altmeistern wie Argento verwehren und eher dem biederen Thrill typischer Poliziottesci gesonnen sind – einer Ausdrucksform, die Bava, dem Meister der Farben und Beleuchtung, nicht besonders gut steht, auch wenn er mit unausgesprochenen Subtexten und dem Suspense einer uneingeweihten Protagonistin ein gewisses Maß an Spannung erzeugen kann. Dabei weist schmückendes Dekor unter den hohen Decken des ungewöhnlichen Altbaus durchaus auf den Regisseur hin, auch das in den Teufelsfarben schwarz und rot aus dem Bild stechende Telefon sorgt für Akzente und eine übergreifende Verknüpfung. Allerdings bleibt dieses erste „Gesicht der Furcht“ ein abstraktes; es steht noch nicht für die unaussprechliche Sage aus dem Reich des Übernatürlichen, die der schrill ausgeleuchtete Karloff als Moderator im Prolog mit Augenzwinkern ankündigt.

Ganz anders sieht es mit den anderen beiden Episoden aus. „Der Wurdalak“ geht schon aufgrund seiner Laufzeit und der ausholenden Narration als Herzstück durch und erhebt sich als Mittelstück zum besten Beitrag des Dreiteilers. Bava zieht nun endlich alle Register und macht die russische Fauna zum geisterhaften Ödland mit einer verzerrt ausgeleuchteten Hütte in ihrem Zentrum, die wie der Vorhof zu einer Hölle der Untoten erscheint. Moderator Karloff wird hier zum Hauptdarsteller transformiert und tauscht seinen ironisch-flapsigen Unterton gegen die wahrhaft beängstigende Darstellung einer Schauergestalt, bei der die vertrauten Züge eines Großvaters in etwas Monströses verzerrt werden. Mit Karloffs wirrem Haar, seinen tiefen Falten und dem leeren Ausdruck in seinen Augen stellt Bava Dinge an, die sich so schnell nicht mehr aus dem Kopf vertreiben lassen; die Einstellung, in der er mit dem Enkel in die Nacht hinausreitet und nur sein tot grinsendes Gesicht beleuchtet ist, brennt sich unauslöschlich ins Gedächtnis ein, ebenso wie viele der malerischen Kulissen, die ebenso unheimliche Schatten werfen.

Die Abschlussepisode „Der Wassertropfen“ kommt weiterhin der im gleichen Jahr abgedrehten Schuld-und-Sühne-Erzählung „La Frusta E Il Corpo“ in Sachen Thematik und Stimmung noch am nächsten und ist an verstörender Wirkung selbst dem „Wurdalak“ noch überlegen, weil die Bedrohung aus dem Schattenreich direkt in die bodenständige Realität eingreift, die mit dem Diebstahl eines Ringes das Profane zum Aufhänger macht, derweil „Der Wurdalak“ noch bis zum Schopf in Mythologie versunken ist. Sie funktioniert hauptsächlich über die Präsentation einer grässlich entstellten und ebenso effektiv ausgeleuchteten Totenfratze, diesmal derjenigen einer verstorbenen alten Frau. Damit strebt „Drei Gesichter der Furcht“ am Ende doch noch zur Geschlossenheit und bindet zumindest die letzten beiden Teile unmittelbar, den ersten Teil nur indirekt. Inhaltlich erscheint das Triptychon ausbalanciert, inszenatorisch überrumpelt es mit einem irritierenden, im besten Fall aufreizenden Bruch. Hätte man „Das Telefon“ mit ähnlicher Ausrichtung umgesetzt, böte das Gesamtwerk zwar eine geringere stilistische Bandbreite, dafür aber eine beispiellose Homogenität.

Am Ende kehrt Karloff, derweil er immer noch in eingangs beschriebener Reiterfratze posiert, in die Rolle des Moderators zurück, derweil ein Zoom Out alles als Possenspiel entlarvt. Noch ein gewagter Bruch, diesmal durch die Vierte Wand, der den somit zum Spiel erklärten Inhalten jedoch nichts von ihrem Grusel nimmt.
:liquid8:


Nocturnal Animals
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„Nocturnal Animals“ von Modedesigner Tom Ford ist wie schon sein Regiedebüt „A Single Man“ Outsiderkunst und als solche von einem besonders klaren Blick auf die Mechanismen des Mediums Film geprägt. Man muss relativ viele Sichtungen zurückgehen, um auf einen Thriller zu stoßen, der sich ähnlich lustvoll und vogelfrei in seinem Regelwerk bewegt; vielleicht bis zu den ersten Arbeiten des neuen Regie-Wunderkinds Denis Villeneuve („Enemy“).

Tom Ford benötigt für die nervenaufreibende Demontage einer gescheiterten Beziehung zunächst einmal nichts als eine Frau, die ein Buch liest. Austin Wrights Romanvorlage „Tony and Susan“ wird dadurch fast beiläufig zum Teil seiner eigenen Verfilmung, das gängige Prinzip der Adaption somit zum surrealistischen Stilmittel nach Charlie-Kaufman-Art. Die Tatsache, dass der Inhalt des gelesenen Romans „Nocturnal Animals“, zugleich Titel des Films, die fiktional übersteigerte Beschreibung eines real erlebten Beziehungsdramas ist, stellt zugleich einen Meta-Kommentar zum Wirken filmischer und literarischer Medien dar – je schmerzhafter die Erfahrungen in der realen Welt, desto brutaler, radikaler, zuletzt bedeutungsvoller deren psychologische Verarbeitung.

Ford überlässt bei der Vernetzung der drei Ebenen des Plots – die gegenwärtige Realität, die vergangene Realität und die Fiktion, die beide Realitäten in symbolischer Wirkung miteinander verknüpft – rein gar nichts dem Zufall. Der Bart, den Gyllenhaals Romanfigur trägt, die wilde Wüstenumgebung. Die großen Fenster im Apartment Susans, die Bilder und Ausstellungsobjekte in ihrer Galerie. Gesten, Dialoge, getroffene Entscheidungen. Was auch immer man in diesem Film sieht und hört, es stellt jeweils eine Spiegelung auf die Parallelwelt dar. Die Montage dieser Welten wird so brillant in klassische Genre-Funktionalitäten eingebettet, dass die Symbolträchtigkeit des Gezeigten manchmal bis zur Unsichtbarkeit im puren Thrill verborgen liegt, obgleich Ford den Holzhammer mitunter schwunghaft, fast schon ekstatisch einsetzt, etwa wenn er im Flur der Galerie ein Bild einfängt, das in Pop-Art-Buchstaben den Begriff
RE
VEN
GE
ausstößt wie einen anklagenden Schrei, gefolgt von einem einzelnen Jump-Scare-Moment, der sich nicht wiederholen wird. Bestimmend bleibt vielmehr das grummelnde Gefühl des Unwohlseins, das man verspürt, wenn etwas Irreversibles schiefgelaufen ist.

„Nocturnal Animals“ funktioniert als Genrewerk schon besser als viele Thriller und Dramen, die nur dies sein wollen; seine kunstvolle Architektur führt ihn darüber hinaus aber auch noch zu einem auf den Punkt formulierten medientheoretischen Kommentar, verpackt in die Anatomie einer zerbrochenen Beziehung.
:liquid9:


Weitere Sichtungen:
Pirates Of The Caribbean – Salazar's Rache
Runaway Train
Split
Demon Hunter
Baby Driver
47 Meters Down
Westworld - Season 1

STATISTIK 2017
Gesehene Filme: 279 (2016: 247, 2015: 227, 2014: 297)
- Davon aus 2017: 68
Gesehene Serienstaffeln: 41 (2016: 47, 2015: 47, 2014: 47)
Kinobesuche: 10 (2016: 7, 2015: 9)

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Beitrag von StS » 06.01.2018, 10:05

Jip, "Nocturnal Animals" ist ein starker, fein anzusehender Film. :26

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Beitrag von McClane » 06.01.2018, 10:20

In meinen Augen unglaublich schönes, aber auch irgendwie leeres Kino, das eher durchdesignt als inszeniert ist. Immerhin: So ästhetisch wie bei "Nocturnal Animals" hat man getötete Vergewaltigungsopfer noch nie in Szene gesetzt, aber ob das wirklich ein Gewinn für die Filmwelt ist... Immerhin interessant, dass im "gehobenen" Kino inzwischen fast mehr Exploitation- und Schmuddelversatzstücke aufgegriffen werden als im Mainstream.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]

Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]

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Beitrag von Vince » 06.01.2018, 13:12

@StS: Hätte mich auch schwer gewundert, wenn der dir nicht ähnlich gut gefallen hätte. ;)
Immerhin interessant, dass im "gehobenen" Kino inzwischen fast mehr Exploitation- und Schmuddelversatzstücke aufgegriffen werden als im Mainstream.
Was in meinen Augen dafür spricht, dass diese Art von Kino immer noch was zu sagen hat und bereit ist, Grenzen zu überschreiten. In diesem Zusammenhang bin auch seeehr gespannt auf "mother!", den ich im Kino leider verpasst habe. Das Mainstreamkino versteht es im Vergleich momentan unglaublich gut, auf einem hohen Niveau sättigende Unterhaltung zu bieten, fordert aber nur in Ausnahmefällen wirklich heraus. Ist natürlich die Frage, ob das jemals anders war.

Leer empfinde ich bei "Nocturnal Animals" eigentlich nur die Form (in einem durchaus gewollten Sinn), nicht aber das, was unter der Oberfläche hervorkommt. Es ist ja auch immer die Frage, welche Emotionen der Film beim Betrachter hervorruft. Mich lässt der Film auf jeden Fall weniger kalt als Vollblutdramen, die dem Pathos freien Lauf lassen.

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Beitrag von StS » 06.01.2018, 14:04

Vince hat geschrieben:Was in meinen Augen dafür spricht, dass diese Art von Kino immer noch was zu sagen hat und bereit ist, Grenzen zu überschreiten. In diesem Zusammenhang bin auch seeehr gespannt auf "mother!", den ich im Kino leider verpasst habe.
Ohja, viel Spaß bei/mit dem. Freu mich schon auf ne Zweitsichtung. :D

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Beitrag von SFI » 06.01.2018, 14:27

Die Anzahl der Filmsichtungen ... wow! :shock:
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Beitrag von McClane » 06.01.2018, 14:43

Vince hat geschrieben:
Immerhin interessant, dass im "gehobenen" Kino inzwischen fast mehr Exploitation- und Schmuddelversatzstücke aufgegriffen werden als im Mainstream.
Was in meinen Augen dafür spricht, dass diese Art von Kino immer noch was zu sagen hat und bereit ist, Grenzen zu überschreiten. In diesem Zusammenhang bin auch seeehr gespannt auf "mother!", den ich im Kino leider verpasst habe. Das Mainstreamkino versteht es im Vergleich momentan unglaublich gut, auf einem hohen Niveau sättigende Unterhaltung zu bieten, fordert aber nur in Ausnahmefällen wirklich heraus. Ist natürlich die Frage, ob das jemals anders war.
Es ist natürlich immer die Frage was wann Mainstream wird. Publikumsträchtige Sparten wie Science Fiction oder Horror waren früher B-Genres und Serienkillerfilme sind spätestens seit "Das Schweigen der Lämmer" salonfähig, der ja oscargekrönt daherkam, obwohl es um einen kannibalistischen Serienmörder ging.
Hatte nur "The Accountant" mit seiner totalen Pulp-Prämisse vom Elitekämpfer-Autisten-Buchprüfer und "Nocturnal Animals" relativ kurz hintereinander gesehen und mich gefragt, ob eben solche Filme (meist aus dem Mid-Budget-Bereich) sich da eher dran versuchen (natürlich ist "The Accountant" weniger "gehoben" als die Nachttiere, aber auch nicht der dicke Mainstream).
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Beitrag von Vince » 04.02.2018, 03:50

Amok Train
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Jugoslawien, das klingt fast so off-road wie Transsylvanien – und gibt in „Amok Train“ tatsächlich eine stimmungsvolle Kulisse ab. Eine Zugfahrt, die ist gar nicht so lustig, wenn es mit unbestimmtem Ziel durch graue Nebelschwaden geht und dir Hexen, Teufel und anderes Ungeziefer im Nacken sitzen... so ergeht es jedenfalls den Studenten, die ihre behüteten Nester in Amerika verließen, um das Fürchten zu lernen.

Jeff Kwitny liefert krudes Stückwerk ab, dem der Titel „Beyond The Door III“ ohne jeden Bezug zu einem ersten oder zweiten Teil gerade recht geschieht; er hält aber mit fiesen Spezialeffekten, hässlichen Statisten und vor allem einer schmutzig-grauen Schmuddelatmosphäre bei Laune, die man wohl so tatsächlich nur im Ostblock einfangen konnte. Als die jungen Amerikaner sich durch ein Zugabteil voller stummer Osteuropäer zwängen, entfaltet sich sogar der Surrealismus eines Films wie „Der Rattengott“.

Der diabolisierte Zug wird dabei äquivalent zum Actionthriller „Runaway Train“ zur Irrfahrt in die Verdammnis, die im Dienste des Horror-Genres diesmal die Urangst vor dem unausweichlichen, vorbestimmten Schicksal und der damit verbundenen Machtlosigkeit anfeuert. Angeführt vom stellenweise schmierig agierenden Bo Svenson leitet die Handlung (nach einer fragwürdig geschriebenen Verabschiedungsszene zwischen Mutter und Tochter) sehr schnell in das sumpfige Ausflugsgebiet über und lässt die Lunte leuchten, noch bevor der Zug überhaupt bestiegen wird, Hexenweiber und Suppenkessel inklusive.

Nachfolgend dominieren punktuelle Splattereffekte, meist verursacht durch kühne Hampeleien außerhalb des Zuges; mit dämonischen Erscheinungen und merkwürdigen Visionen befeuert Kwitny allerdings zeitgleich auch die übernatürlichen bzw. okkulten Elemente, die auf ein ebensolches Finale zusteuern.

Handwerklich grobschlächtig, gibt sich die Arbeit an den Effekten jederzeit transparent. Der permanente Wechsel zwischen Zug und Modell-Nachstellung fällt nicht nur bei der Irrfahrt durch sumpfiges Moor stechend ins Auge und sorgt regelmäßig für Belustigung. Ein Making Of würde seinen Zweck verfehlen; es ist schließlich bereits in den Hauptfilm integriert.

Die Unberechenbarkeit, mit der sich Effekte, Stunts und hirnrissige Dialoge abwechseln, sorgt also dafür, dass einem der Spaß nicht verloren geht. Neben dem sonderbaren Ostblock-Flair der wahrscheinlich einzige Grund dafür, sich „Amok Train“ an einem Abend voller schlechter Filme gemeinsam mit ein paar Bier zu geben.
:liquid5:

Landhaus der toten Seelen
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Jeder Horrorfilm, der ein besessenes Haus präsentiert, steht und fällt mit der Fassade des Gebäudes, von dem er handelt - die Vorderansicht der Villa aus dem drei Jahre später entstandenen „Amityville Horror“ ist heute noch berüchtigt und unter Hunderten wiederzuerkennen. Für den Hauptdarsteller aus „Burnt Offerings“, eine im neoklassizistischen Stil gehaltene Villa, gilt diese Binnenweisheit ganz besonders; denn Regisseur Dan Curtis setzt zunächst kaum auf echte Schocks, sondern lieber auf zahlreiche Einstellungen aus dem Inneren wie auch aus dem großzügigen Gartenbereich. Lange Zeit geschieht eigentlich gar nicht so viel, außer dass der Schauplatz in schweren Zügen zu atmen beginnt... unbemerkt von der dreiköpfigen Familie, die sich einen Sommer lang hier niederlassen will und dabei so arglos in die Falle tappt, wie es sich für diese Filmsorte eben gehört.

Eine alte Frau, die in einem der Zimmer lebt, über den gesamten Film aber nicht zu sehen sein wird, bildet das notwendige Suspense-Element, das die vermeintliche Idylle durchschneidet. Vom Familienvater (Oliver Reed) wird sie vorausschauend als „Catch“ beschrieben, als Haken. Für den Regisseur bedeutet diese unbekannte Komponente ein Riss im Gefüge des „American Family Dream“, der genretypisch normalerweise vom Familienvater herbeigeführt wird (so auch in „Amityville Horror“), diesmal aber von der Frau ausgeht (Karen Black).

Der exzessiv verwendete Weichzeichner lässt den Film optisch gewöhnungsbedürftig wirken, er wirft allerdings eine Aura trügerischer Romantik auf das Haus, das sich in einigen dezenten Einsätzen praktischer Spezialeffekte selbst renoviert, während es offenbar von den Kräften seiner Bewohner zehrt. So ist es das Verhalten der eigenen Familienmitglieder, das für Schauer sorgt – wenn der Vater beispielsweise in einem Anflug geistiger Abwesenheit seinen eigenen Sohn (Lee Montgomery) zu ertränken droht oder wenn die Großtante (Bette Davis) in einem schleichenden Prozess immer schwächer wird.

Ungeduldige Naturen mögen auf die langsame Entwicklung des immerhin fast zweistündigen Films mit Verständnislosigkeit reagieren, da weder Jump Scares noch sonstige Mittel zu vordergründigem Grusel animieren. Gibt man der Handlung jedoch den nötigen Raum zur Entfaltung, wird man stimmungsvoll auf eine unheilschwangere Atmosphäre eingeschworen, die im enthüllenden Finale dann tatsächlich auch abliefert, und zwar in einer Radikalität, die man aufgrund des bis dahin gefahrenen weichen Kurses nicht mehr erwartet hätte und folglich wie ein Schlag ind ie Magengrube wird.

Anthony James sorgt mit seinen Auftritten als gruselig grinsender Chauffeur allerdings dafür, dass es auch zwischendurch nicht langweilig wird... und Oliver Reed reagiert auf ihn mit jenem schwitzenden, vor Angst zitternden Overacting, das sich speziell in Filmen wie diesen immer wieder als wertvoll erwiesen hat. Vielleicht kein Meisterwerk, aber voller verborgener Qualitäten, die nur in reifem Boden zur Blüte kommen.
:liquid7:

Stadt der Toten
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Dieser schrille Okkultreißer scheint die Hälfte seines Budgets für Nebelmaschinen ausgegeben zu haben, so sehr dampfen die Kessel im fiktiven Örtchen Whitewood, Massachusetts. John Moxey produziert damit atmosphärische Außenaufnahmen, die das Schwarzweiß beinahe schon einer horizontalen Teilung aussetzen (unten Nebel, oben endlose Nacht; am Tage jedenfalls spielt kaum eine Szene) und den Blick auf den Asphalt kaum zulassen. Sehr wirkungsvoll geraten insbesondere die Einstellungen von Dorfbewohnern, die wie angewurzelt einfach bewegungslos dastehen und gen Kamera starren; das hat schon den Charme von „Invasion Of The Body Snatchers“ (1956) und „Village Of The Damned“ aus dem gleichen Jahr. Ebenfalls im gleichen Jahr entstand Hitchcocks „Psycho“, und es fällt schwer, davon auszugehen, dass die dramaturgischen Ähnlichkeiten beider Filme reiner Zufall sind, zumal ein altes Hotel einer der Hauptschauplätze darstellt, gewissermaßen die Kommandozentrale der abenteuerlustigen Studentin in der (vermeintlichen) Hauptrolle.

Trotz der teilweise frappierenden Parallelen sind Bezüge zu den ungleich bekannteren Referenzen mit Vorsicht zu genießen. Die übertrieben eingesetzten Ingredienzien weisen nämlich klar darauf hin, dass man die Chose um verbrannte Hexen, verborgene Kulte und verwunschene Ortschaften besser nicht zu ernst nehmen sollte. Saftige Jump Cuts (etwa eine Erdolchung auf einem Altar, die in den Anschnitt einer Torte übergeht) und ein einsamer Tankstellenwart, der in einem Running Gag immer mehr Städtern den Weg nach Whitewood weisen muss, unterstreichen nochmals dick, dass man sich mit einer gesunden Portion ironischer Distanz auf das Theater einlassen muss, um es bestmöglich genießen zu können. Auch Christopher Lee steigt angemessen theatralisch ein, indem er seinen Studenten voller Inbrunst das Thema seiner Vorlesung demonstriert, was wiederum in einem Match Cut gelöst wird, der vom Kostüm-Prolog in die Gegenwart überleitet.

„City Of The Dead“ bleibt aber durchgehend voller Spannung, weil er es blendend versteht, mit einfachen visuellen Mitteln ein Gefühl omnipräsenter Bedrohung zu erzeugen und weil einige der Trickeffekte und Bildmontagen trotz ihrer Durchschaubarkeit selbst heute noch erstaunlich gut funktionieren. Der Aktionismus sämtlicher Figuren sorgt für ein insgesamt hohes Tempo. Hinzu kommt ein Finale, das zwar logische Fragen aufwirft (warum hetzt man für die letzte Opferung ausgerechnet auf den Friedhof, wenn Kreuze offenbar eine solche Bedrohung darstellen?), allerdings mit reichlich Schauwerten zu Ende geht und dann auch recht bald zum Abspann führt. Eine kleine Perle, die hoffentlich nicht vollständig in Vergessenheit gerät.
:liquid7:

Bad Moms
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Nach Lehrern („Bad Teacher“), Großvätern („Bad Grandpa“) und Weihnachtsmännern („Bad Santa“) nun also eine weitere Minderheitengruppe, die aus ihrem Rollenbild ausbrechen darf. Diesmal wird wohl die breiteste Zielgruppe angesprochen, denn Mutter, das kann Jede sein, ob nun Karrieristin oder Hausfrau.

Anders als bei den anderen Baddies liegt die Badness jedoch nicht schon in den Genen der Hauptfiguren (außer vielleicht bei Kathryn Hahn). Sie muss erlernt werden, sie ist das eigentliche Ziel der Komödie – und nährt damit die Hoffnung, dass das Unangepasste endlich einmal nicht dem unabwendbaren Schicksal in die Augen sieht, in die Zwangsjacke der Normalität gezwängt zu werden.

In der Tat gehört es zu den größten Stärken von „Bad Moms“, dass er nicht einfach nur für Mütter kämpft oder für Frauenrechte im Allgemeinen, sondern Position einnimmt gegen eine Leistungsgesellschaft, die unrealistische Forderungen an das Individuum stellt. In der Art und Weise, wie sie dies jedoch macht, unterscheidet sie sich keinen Deut von ebenso hirnrissigen Bromedies wie „Alles erlaubt“. Damit sich möglichst viele Mütter ihren Frust von der Seele feiern können, übt sich die Klamotte mit einer Männerdarstellung, so zweidimensional wie Papier, in Konter-Sexismus, der immerhin unverhohlen ausgespielt wird, aber nur allzu selten ironisch gebrochen (etwa in der Frauenversion von „Gravity“, in welcher sich ein Mann im Weltraum den Anzug zerreißt und sein Sixpack zum Vorschein bringt... Humor so doof, aber treffsicher wie Aldi-Werbung). Vor allem Jay Hernandez wird wie eine Marionette gesteuert und lässt Latino-Träume verheirateter weißer Frauen wahr werden.

Inkonsequenterweise sieht aber auch Mila Kunis aus wie aus dem Ei gepellt, damit die Männer im Publikum auch was zu gucken haben.
Sieht man von der Top-Erscheinung der Hauptdarstellerin und ihrer Wing Women einmal ab, darf man immerhin ein wirkungsvolles Zusammenspiel des Dreigespanns feststellen, wobei die zum Running Gag ausgearbeitete Kristen-Bell-Kommentarfunktion ebenso gut funktioniert wie Kathryn Hahns Lehrmeister-Obszönitäten. Diverse peinliche Amokläufe, meist in Zeitlupe zum Auskosten, eignen sich hervorragend zum Abfeiern, werden aber letztlich immer notdürftig eingebaut, wenn das Skript mal wieder auf ganzer Linie versagt – was regelmäßig passiert, weil die um Genre-Spezialistin Christina Applegate und Handlangerin Jada Pinkett Smith (endlich eine Rolle, die ihren Leistungen angemessen ist) gebaute Elterngruppen-Storyline so abwegig in den Alltag der Mütter eingreift, dass es schwer fällt, ihre Konstruiertheit zu ignorieren.

Männer winken ohnehin ab, aber auch unter den Frauen wird es viele geben, denen „Bad Moms“ zu durchschaubar ist. Auch wenn man sich seiner Botschaft unter dem Strich wahrscheinlich von beiderlei Geschlecht aus anschließen wird.
:liquid4:


Die Taschendiebin
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Mit drei ausschweifenden Akten, einer stolzen Laufzeit von fast drei Stunden und durchweg pompösen Schauwerten in Form von Ausstattung, Kostümen, Sets, Kamera und Musik nimmt Park Chan-wooks „Die Taschendiebin“ die äußere Gestalt eines Geschichtsepos an, das es sich zum Ziel setzt, mit Feingefühl die Stellung weiblicher Bediensteter im von Japan besetzten Korea der 30er Jahre nachzuzeichnen. Dabei ist ein solcher Fokus in diesem einfühlsamen Zeitportrait kaum vorgesehen, und wenn, dann nicht vordergründig. Hauptsächlich geht es um die Befreiung der Frau bezogen auf ihren gesellschaftlichen Stand und ihre Sexualität. Das eng damit verbundene Netz gesellschaftlicher Strukturen dabei trotz der ausführlichen Erzählung nur am Rande zu skizzieren und die politische Ebene völlig auszulassen, gehört dabei zum Konzept der Befreiung, das der Regisseur mit dem Auge eines Avantgardisten zur vollen Blüte entwickelt.

Nun eignet sich speziell der Einbau zweier lesbischer Sexszenen dazu, einen Vorwurf der Bigotterie anzubringen, möge der Film sich aufgrund der progressiv gezeichneten weiblichen Figuren doch als feministisch ausgeben und dennoch niedere Männerfantasien bedienen. Gleichwohl ästhetisch gefilmt, bringen diese Sequenzen etwas Voyeuristisches mit, wenn Kamerafahrten über die verschlungenen Körper nicht enden wollen und gar unterschiedliche Stellungen in einer Montage präsentieren. Eine der Szenen ist überdies auch noch ans direkte Ende des Films gesetzt, so dass man nicht einmal mehr argumentieren kann, sie habe eine Bedeutung für folgende Ereignisse. Tatsächlich besitzt gerade diese letzte Szene eine gewisse Anmutung von gehobener Exploitation, insbesondere, wenn man über die gesamte Laufzeit verteilt die Nadelstiche schwarzen Humors bemerkt hat, mit denen selbst ein Hals in einem Galgen für einen unerwarteten Lacher gut sein kann.

Doch man stelle sich einmal vor, welche Wirkung diese Geschichte gehabt hätte, wäre man bei den erotischen Andeutungen in subtilen Blicken oder beiläufigen Bewegungen verblieben; das Gefängnis, das von Männern wie dem Grafen (Ha Jung-woo) oder dem Onkel (Cho Jin-woong) auf unterschiedlichen Ebenen errichtet wurde, durch die gesellschaftliche Position oder durch die Kultur (in Form einer Büchersammlung), wäre niemals völlig durchbrochen worden. Ja, „Die Taschendiebin“ ist auch Erotik rein der Lust wegen, sinnlich vorbereitet durch kleine Gesten und dann befriedigend ausgespielt; und findet gerade darin auch seine emanzipatorische Erfüllung.

Über die visuelle Ästhetik, die geheimnisvolle Montage, die intensiven Schauspielerleistungen, eben alle handwerklichen Aspekte dürfte weitgehend Einigkeit bestehen; hier schließt Park Chan-wook zu den edelsten und schönsten Filmproduktionen der letzten Jahre auf. Streiten kann man darüber, inwiefern die Dramaturgie gelungen ist. Mit zwei überlangen Hauptakten, einem Handlungstwist in der Mitte und einem kurzen Finalakt ist sie zumindest ungewöhnlich geraten. Weil sich der erste Akt hauptsächlich mit der Perspektive der Taschendiebin befasst und der zweite Akt in die Perspektive der Erbin wechselt, ist die Gleichbehandlung in gewisser Weise legitim; da der zweite Akt sich auf einer anderen Ebene aber auch mit der Präsentation des Twists befasst und zu diesem Zweck viele Szenen noch einmal in veränderter Perspektive neu verhandelt, ohne sich dabei auf die Schlüsselmomente zu beschränken, könnte man die andauernde Wiederholung des Erlebten unter Umständen aber auch als störend empfinden; wenigstens dann, wenn man nach der Enthüllung nicht weiter daran interessiert ist, zusätzliche Erkenntnisse aus den Augen Hidekos zu sammeln.

Nein, „Die Taschendiebin“ ist trotz der malerischen Inszenierung japanisch-englischer Haus- und Gartenarchitektur, zarter Andeutungen aufwühlender Emotionen und geschmackvoller, subtiler Erotik nicht nur feingeistiges Arthaus-Klischee, sondern besitzt auch den Deut einer Groschenheft-Aufmachung; gerade so, wie die stilvoll präsentierte Buchsammlung des Onkels Unmengen schmutziger Illustrationen beinhaltet, die der Buchdeckel noch nicht preisgibt. Grobschlächtige Symbolik gehört eben auch zum Repertoire des Regisseurs, der wie schon in „Oldboy“ die verschlungene, sich windende Erscheinung eines Oktopus als drastisches Bild verwendet. Ein Werk, das in der sicheren Erwartung von vorherbestimmten Ereignissen erstarrt, um immer dort Paukenschläge zu setzen, wo die Figuren uns lehren, dass man sie völlig falsch eingeschätzt hat.
:liquid8:

Detention
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„Breakfast Club“ mit Hyperaktivitätsstörung, „Clueless“ mit stärkstem Waschgang in der Zeitmaschine geschleudert, Teenager-Soundtracks in einer Schleife von den 80ern bis heute ihres eigentlichen Zwecks beraubt, der Untermalung des Moments... so geht Nachsitzen im Jahr 2011.

Joseph Kahn scheut sich nicht davor, auf herkömmliche Erzählbögen zu pfeifen und liefert einen Film wie eine völlig mit Kaugummi zugeklebte Graffiti-Wand aus Beton: Knallhart, bunt und überladen. Stößt vor den Kopf, blendet die Augen und überfordert das Gehirn. Insbesondere betrifft das die maßlose Vielfalt an grellen Stilmitteln. „Detention“ ist eine Clipmontage, die durch abenteuerliche thematische Brücken notdürftig zusammengehalten wird. Kein Wunder eigentlich bei einem Musikvideo-Regisseur, obwohl Musikvideos sich zumindest in den meisten Fällen um ein Thema oder wenigstens ein Motiv drehen. Kahn nutzt High-School-Klischees hingegen wie leere Behältnisse, um sie für Zeitreisen als Transportmittel oder für Übernatürliches als Menschenverkleidung zu missbrauchen.

Das sorgt dafür, dass man erst einmal eine gute Viertelstunde braucht, um die Rezeptoren an den zappeligen Groove des Films anzupassen, der mit alienesken Cheerleadern, Footballspielern, Nerds und Autoritätspersonen regelrecht vollgestopft ist. Gags versanden, bevor man sie auf seinem eigenen Körper überhaupt auftreffen spürt. Ein gigantischer Munitionsverbrauch für eine vergleichsweise kleine Zielscheibe.

Wem es aber gelingt, die Einschläge vorauszuahnen, der entdeckt sicher bald auch die Wellenlänge, auf der Kahn Funksprüche sendet – und genießt die reine Explosion von ungezügelter Kreativität wie ein warmes Bad aus Sternschnuppen. „Detention“ muss man nicht verstehen, kann man aber.
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Caltiki – The Immortal Monster
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Dass diese nach „I, Vampiri“ bereits zweite Regie-Kollaboration von Riccardo Freda und Mario Bava sich anfühlt wie eine alternative Fassung des amerikanischen „Blob“, ist mit Blick auf die Produktionsdaten beider Filme nicht allzu überraschend. Auch Parallelen zum britischen SciFi-Thriller „The Quatermass Experiment“ sind in wissenschaftlicher Neugier und militärischer Angriffslust schnell gezogen, die italienische Filmszene im Spannungsverhältnis zwischen Hollywood und britischer B-Horror-Dominanz somit bereits eingeordnet.

Heute ist „Caltiki, The Immortal Monster“ vor allem der Film, mit dem Bava seinen Fuß in die Tür bekommen hat, um sie bereits ein Jahr später mit dem Gothic-Klassiker „Black Sunday“ weit aufzureißen. Für sich genommen liefert er noch nichts ab, das sich retrospektiv zu einem Teil seiner Identität ausgeformt hätte; die primitive Geschichte um einen bakteriellen Klumpen aus einem Maya-Tempel, der seine Opfer eher assimiliert als frisst, kann kaum mehr sein als ein Spielplatz zum Austesten von Spezialeffekten.

Wenn man Bava in diesem frühen Status eines aber doch zusprechen kann, so ist es die scheinbar mühelose Verknüpfung mythologischer Komponenten mit SciFi-Futurismus. Bereits in den ersten Minuten wird man von waghalsigen Bildkompositionen übermannt, die kulturelle Relikte, ausbrechende Vulkane und die Unendlichkeit des Himmels zeitgleich einfangen, so als wolle man dem Betrachter andeuten, dass im Grunde alle Unterarten des phantastischen Films dem gleichen Urschlamm angehören. Obwohl schwarzweiß, kann man die Farbkontraste regelrecht spüren, die man von Bavas späteren Arbeiten gewohnt ist: Das saftige Grün des Dschungels, das tiefe Blau des Himmels, loderndes Orangegelb vom Feuer und zinnoberrote Bauwerke von Menschenhand.

Welche Bedrohungen von dem Geschöpf ausgehen (eine Art Lumpensack, dem teilweise mit Überblenden, meist aber mit On-Action-Tricks eine organische Anmutung gegeben wird und der von Handtaschen- bis Häusergröße in vielerlei Maßen präsentiert wird) und wie der Mensch auf sie reagiert, das sind Fragen, die mit Genre-Vorgaben wenig aufregend beantwortet werden. Seinen Reiz bezieht „Caltiki“ heute hauptsächlich daraus, wie die ungewöhnlichen Sets mit den naiven Spezialeffekten harmonieren und scheinbar problemlos Mythologie mit Futurismus paaren Für einen Klassiker reicht das längst nicht, wohl aber für eine sehenswerte Obskurität.
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Sieben Minuten nach Mitternacht
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Ein Märchen zwar, aber keines, das die Realität verdrängt; Fantasie, die sich jedoch nicht überbordend verhält, sondern stets den Kontakt zum Boden behält. Obwohl die einfachen Strukturen einer klassischen Kindergeschichte mit moralischer Wendung nah an den Ufern der Hollywood-Konventionen gebaut sind und ein ums andere Mal in den reißenden Fluss der Klischees zu stürzen drohen, behält sich „Sieben Minuten nach Mitternacht“ unter dem Strich seinen Anspruch, eine handfeste Herausforderung für ein reiferes Kinderpublikum zu bewahren, welches dazu in der Lage ist, auch komplexere Emotionen im Umgang mit schwierigen Themen wie Tod und Verlust zu verarbeiten.

Würde man das computeranimierte Baummonster mit anderen Giganten des Mainstreamkinos bequem in die gleiche Schublade stecken (ob darin nun die Transformers hausen, die Ents aus dem „Herrn der Ringe“ oder Steven Spielbergs großer freundlicher Riese) und somit auf sein Wirken als trampelnder Spezialeffekt reduzieren, täte man ihm sicherlich Unrecht. Als Manifestation der Gefühlswelt des verängstigten Jungen, der seine Mutter an den Krebs zu verlieren droht, ist seine Funktionalität einfach durchschaut, was auch die simple Strukturierung des Films über vier Geschichten auf dem Weg zur „Wahrheit“ (oder_ Katharsis) untermauert. Was der vermeintlich simple Aufbau jedoch an Emotionen nicht nur bei jüngeren Zuschauern auslöst, geht weit über gewöhnliche Kinderfilme hinaus. In wilden Wechseln aus Bildern des effektgeladenen Fantasy-Kinos und des realistischen Familiendramas wühlt Juan Antonio Bayona von der ersten Minute an auf, packt schwere Themen mit bemerkenswertem psychologischen Verständnis an und vermittelt sie mit einem schulterzuckenden „es ist, wie es ist“. Der Regisseur hat nicht unerheblichen Anteil daran, dass sein Film als visuell anregende Mischung unterschiedlichster Stile ebenso gut funktioniert wie als unaufdringliches Lehrstück über das Leben, das sich den erhobenen Zeigefinger konsequent spart.

Anders als ein „Big Fish“ ist „Sieben Minuten nach Mitternacht“ nicht vollständig im Jenseits verwurzelt und könnte daher bei falschen Erwartungen (an einen leichten Filmabend ohne intellektuelle oder emotionale Herausforderung) sogar enttäuschen oder gar verärgern; dies zeigt allerdings bloß, dass die Nadelstiche, die er setzt, ihre Wirkung nicht verfehlen. Auch wenn oft nur Nuancen fehlen, um den Baum ins Grenzgebiet dick aufgetragener Jugendpädagogik kippen zu lassen.
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Unfall im Weltraum
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Diese britische SciFi-Produktion aus der Hochzeit des Science-Fiction-Genres bemüht sich nach Leibeskräften, den hohen Standard zu halten, von dem er umgeben ist. Herausgehoben werden in der Kritik gerne die Spezialeffekte, die tatsächlich insbesondere bei der Verwendung von Miniatur-Sets (mit niedlichen Bonzais in der Rolle ausgewachsener Bäume) als gelungen zu bezeichnen sind und zusätzlich über Matte Paintings und Beleuchtungseffekte die Illusion einer bereits stattfindenden Zukunft erzeugen. Da bettet sich dann auch der Retro-Futurismus ein, mit dem progressive Technologie und 70er-Mode bei der Inneneinrichtung privater und öffentlicher Gebäude eine Fusion eingehen, die heute besonders interessant anzusehen ist.

Übergangen wird bei der Fokussierung auf das reine Effekte-Handwerk oft der wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Erklärungsaufwand, mit dem eine kostspielige Weltraummission wie der Flug auf die andere Seite der Sonne in der ersten halben Stunde begründet wird. An den Dialogen wurde offenbar sorgfältig gefeilt, um sie möglichst plausibel klingen zu lassen. Robert Parrish schiebt das Spektakel zurück, um Zeit freizulegen für eine ausgiebige Theoretisierung mit dem Ziel, den Zuschauer davon zu überzeugen, dass Reisen in den Weltraum keine Mythen sind, sondern in erster Linie ein Geschäft. Kontinuität schreibt der Regisseur in dieser Phase groß, ebenso wie die innere Logik des Drehbuchs.

Bevor das actionarme, dialogreiche Treiben jedoch Desinteresse zu erzeugen beginnt, muss das Drehbuch den Sprung in die nächste Ebene wagen – und verliert mit der frühzeitigen Enthüllung der Grundidee jegliche Glaubwürdigkeit. Der Aufwand, der betrieben wurde, um eine Vision wissenschaftlich zu erden, die einer kindlichen Vorstellung entsprungen sein könnte, steht plötzlich in keinem Verhältnis mehr. Bereits im Mittelteil steht „Unfall im Weltraum“ vor dem Problem, seine physikalische Naivität stilvoll vermitteln zu müssen, denn angemessenere B-Movie-Ansprüche hat es sich zu diesem Zeitpunkt längst verbaut.

Weil dann auch für den letzten Akt kein großer Überraschungsknall mehr zurückgehalten wurde, verpufft der eigene Anspruch in den Feuerbällen hübsch explodierender Raketen. Dabei hätte man alles noch retten können, indem man einfach eine psychologische Komponente ins Spiel gebracht hätte – wie Jahrzehnte später der gelungene „Another Earth“ mit dem gleichen Thema bewies.
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Super Dark Times
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Weil Coming-Of-Age-Geschichten aus den 80er Jahren dank "Stranger Things" und "ES" momentan ein großes Ding sind, surfen Filmemacher, aber auch Kreative aus ganz anderen Medien (siehe Videospiel "Life Is Strange" oder in der Musik der aufblühende Zweig der "Retro-Synth-Wave") jetzt erwartungsgemäß auf dem Kamm einer Welle, die aktuell noch im Aufbäumen begriffen ist, bevor sie naturgemäß irgendwann in sich zusammenstürzt. Kevin Philips will aber kein reiner Mitsurfer sein, sondern selbst Pioniersleistungen vollbringen; also lässt er uns am eigenen Leib spüren, wie alt wir geworden sind, indem er als einer der Ersten die Dekade der 90er nostalgisch verklärt (nimmt man Frühstarter "Donnie Darko" aus den 00er Jahren einmal aus).

Zumindest aus der Perspektive heutiger Mitt- bis Enddreißiger ist das womöglich sogar die ergiebigere Perspektive, waren sie doch damals im gleichen Alter wie die Teenagergruppe, die in "Super Dark Times" vom Schicksal geohrfeigt wird. An der Rezeptur geändert hat sich natürlich nichts, allenfalls an den Zutaten; Mode, Jugendslang und Popkultur werden mit diskreter Hand um 20 Jahre zurückgedreht anstatt um 30, aber auch Philips vertraut dabei auf diffuse Symbolik, neblige Atmosphäre und einen dramatischen Point-Of-No-Return, dessen Irreversibilität das Kapitel "Kindheit" mit einem harten Nackenschlag beendet.

Wie die großen Klassiker des Coming-of-Age funktionieren, hat Philips jedenfalls mit wachsamem Auge studiert. Aus seinen suburbanen Locations holt er ein Maximum an Schauwerten heraus und beschwört eine Epoche, die zur Gegenwart tatsächlich signifikante Unterschiede aufweist, wenn man genau hinsieht. "I Am Not A Serial Killer" arbeitete mit einer ähnlichen Optik, grau, trüb, in sich selbst versunken, obgleich dieser nicht explizit an die 90er appellierte. Zarte Anleihen beim Surrealismus lassen die Treffen der Jugendlichen, insbesondere die eigentliche Wendung der Ereignisse, unwirklich erscheinen. Diesen Eindruck untermauert der Regisseur noch, indem er mit originellen Schnitttechniken die Alpträume seiner Hauptfigur illustriert und das Geschehene aus ihrer Perspektive somit verarbeitet.

Bevor das Finale anhand von Suspense-fördernden Stilmitteln (vor allem einer exzessiv genutzten Parallelmontage) jedoch drastisch aufzeigt, dass der Schmerz des Erwachsenwerdens nicht immer einen natürlichen Weg geht, bannt Philips sein Universum in einen merkwürdigen Status Quo, dessen Verzicht auf plottreibende Elemente man als durchaus gewolltes "Auge des Sturms" bezeichnen kann, der allerdings auch händeringend nach einem Ausweg aus der filmischen Lethargie sucht. Hier versäumt man es, der Stille eine signifikante Bedeutung aufzuerlegen. Die Leere, die man empfindet, bereitet nicht zwangsläufig den Ausbruch vor, der im letzten Akt wartet.

So ist "Super Dark Times" aufgrund seiner ästhetischen Qualitäten (neben der geisterhaften Optik auch der verzerrte Soundtrack) und der starken Darsteller ein sehenswerter Film, der allerdings im Mittelteil erzählerische Defizite aufweist - die vielleicht sogar zu vernachlässigen wären, gäbe es in der filmischen Aufbereitung vergangener Dekaden momentan nicht so viel Konkurrenz.
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mother!
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Der Mut zur maßlosen Übersteigerung der Filmrealität, zur Aushebelung des Glaubwürdigen, oder einfach gesagt, zu den Wurzeln des Trash-Kinos ist manchmal notwendig, um Grenzen zu durchbrechen, die Kritik zu spalten und Relevanz zu erzeugen. Genau dies geschah, als Darren Aronofsky "mother!" ins Kino bachte, einen Psychothriller, der angelehnt an "Passenger" vom Januar des gleichen Jahres vermutlich ein Mainstreampublikum anlockte (Jennifer Lawrence zum zweiten Mal mit einem namhaften Co-Star in trauter Zweisamkeit... muss das nicht in Romantik enden?), nur um es gnadenlos auflaufen zu lassen mit einem widerspenstigen First-Person-Erlebnis, das konsequent nach Alptraumlogik konstruiert ist. Es verliert spätestens dann einen Großteil seiner Zuschauer, als es die bis dahin noch nachvollziehbaren ersten Schritte des Aufbaus einer typischen Home-Invasion-Dramaturgie für hemmungslosen Exzess opfert. Niemand, so versucht das Gehirn die absurden Vorgänge auf der Leinwand zu verarbeiten, würde sich je so rücksichtslos verhalten wie die unverschämt ins Innere des großen Landhauses stürmenden Gäste des Paars. Das kann so gar nicht passieren, redet es sich ein, um das Gesehene rational einzuordnen. Und verliert somit den emotionalen Bezug zu einer unangenehmen bis lebensbedrohlichen Entwicklung der Ereignisse, die zwar konsequent aus Perspektive der Hauptdarstellerin ablaufen. Ihr Leid wird somit direkt auf den Zuschauer übertragen. Allerdings ergeben sich daraus eben Situationen, die vom Surrealismus dermaßen durchzogen sind, dass man sie  nicht real nachempfinden kann.

Dabei gelingt Aronofsky in den radikalsten Momenten seiner Arbeit erst recht der so dringend benötigte Durchbruch der Mauer, die den Horrorfilm 2017 bis auf wenige Ausnahmen umzäunt und in seiner Wirkung gedrosselt hat - denn selbst die nennenswerten Genrewerke des Jahres, wie "Get Out", "A Cure For Wellness" oder "Split", wagten den allerletzten Schlag nicht zu platzieren. Für einen Regisseur, dessen letzte Arbeit ein effekthascherisches Bibel-Epos für die großen Kinos war, ist das schon ziemlich bemerkenswert, insbesondere, da seine eigene Filmografie längst nicht den linearen Glättungsprozess vieler anderer Ex-Wunderkinder durchläuft. Bei Aronofsky weiß man eben nie, was man bekommt.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass "mother!" für einen Teil der Zuschauer abstoßender wird, je hysterischer er sich seinen Weg zur elliptischen Auflösung bahnt; für den anderen Teil wird er nur faszinierender mit jeder Minute. Die allgegenwärtige religiöse Symbolik kann man höchstens ob ihrer unverschlüsselten, einfach zu durchschauenden Anwendung kritisieren. Lynch'sche Momente völliger logischer Abstinenz werden nicht erschaffen (auch wenn zumindest Javier Bardems hypnotisierter Blick auf den Kristall mit jeder Faser den Symbolismus von "Mulholland Drive" atmet), denn grundsätzlich sind alle Personen und Gegenstände 1:1 abbildende Funktionen für die Schöpfungsgeschichte, von Kain und Abel über Adam und Eva bis zu Gott und Mutter Erde. Die Einfachheit der symbolischen Verknüpfungen rüttelt an ihrer Faszination allerdings kaum. Zum einen, weil "mother!", ein wenig Abstraktionsvermögen vorausgesetzt, als Horrorthriller auch ohne die religiöse Ebene einen beachtlichen Klammergriff entwickelt, zum anderen, weil mit Hilfe der religiösen Motive an nach wie vor zeitgemäße Phänomene von Wertverfall gemahnt wird: Narzissmus, Egoismus, Zerstörung von Privatsphäre. 

Also, man kann ja von "mother!" halten, was man will, aber: Einen Trip wie diesen gab es 2017 kein zweites Mal.
:liquid8: ,5

Baron Blood
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"Baron Blood" ist als schludrige Rückkehr in den Kernbereich des gotischen Horrors für Mario Bava eine eher unverbindliche Angelegenheit. In vielen Disziplinen genügt sie nicht den hohen Ansprüchen, die zu stellen man sich bei ihm längst gewöhnt hat. Denkt man an den unheimlichen Maskenball zurück, aus dem sich etwa die Fratzen in "Drei Gesichter der Furcht" schöpfen, ist das an Italo-Horror der Marke Fulci erinnernde Antlitz des Blutbarons eine mittelschwere Enttäuschung. Und wo die meisten seiner hauptsächlich aus Form und Farbe bestehenden Bewegtgemälde durch verwinkelte Handlungsbögen überhaupt erst ihren Sog erzeugen konnten, tummeln sich nun Szenen inhaltlicher Belanglosigkeit, die lediglich dazu taugen, alberne Experimente mit Cuts und Zooms zu führen.

Immerhin, im Schloss XY in Wien hat Bava einmal mehr ein überaus stimmungsvolles Set gefunden, das mit seiner Vielseitigkeit und seinem Detailreichtum alleine schon so sehr bei Laune hält, dass man das Theaterspiel im Vordergrund eigentlich kaum bräuchte. An den verzierten Interieurs, den Holzkonstrukten und Treppen, die auf immer neue Ebenen führen, kann man sich kaum satt sehen, auch wenn man sich fragt, wie der an den Rollstuhl gebundene Käufer des Schlosses es wohl schaffen sollte, sich über die Etagen zu bewegen. Der stete Wechsel aus Tag und Nacht sorgt für zusätzliche Eindrücke, die der Regisseur nach wie vor mit sicherer Hand einzufangen weiß.

Wer neu ist im Oeuvre des Meisters, sollte sich allerdings erst tiefer in den Fundus graben, bevor er sich auf diesen Film einlässt. Einerseits ist das eine Regel, die sich auf das gesamte Spätwerk anwenden lässt, andererseits gilt sie in diesem Fall im besonderen Maße, liest sich "Baron Blood" doch vor allem wie ein Fest aus Selbstzitaten; vom Gesichtslocher aus "Black Sunday" bis zum springenden Ball aus "Operazione Paura" lässt Bava sein auf den Gothic-Horror bezogenes Schaffen noch einmal Revue passieren, und das, wo er gerade erst die Blaupause für spätere Slasher-Filme erschaffen hat.

Definitiv eines der schwächeren Werke Bavas, das aufgrund seiner ungezwungenen Machart und der wunderschönen Location allerdings immer noch einen gewissen Charme versprüht.
:liquid5:

House Of Cards – Season 4
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Man könnte meinen, durch die Ernennung von Donald Trump zum Präsidenten habe sich die Realität der Filmfiktion angenähert; nichts mehr ist schließlich völlig unmöglich im Weißen Haus. Dabei entfernt sich zumindest "House Of Cards" immer weiter von Amerikas politischer Realität, je deutlicher es die hocheffizienten, perfekt gesetzten Schachzüge seiner Hauptfigur Francis Underwood betont. Vizepräsident Donald Blythe (Reed Birney) verkörpert mit seinem planlosen, unsicheren Auftreten noch am ehesten zumindest einen Teilaspekt des derzeitigen US-Regierungsoberhauptes, die wahren Richtungsgeber der Serie hingegen bewegen sich mit beängstigender Stromlinienförmigkeit durch das Haifischbecken und schrecken dabei auch nicht vor Kannibalismus zurück.

Dieser äußert sich in der vierten Staffel vor allem im Duell zwischen dem Präsidenten und der First Lady, einem Konflikt, den das Finale der dritten Staffel bereits in Aussicht stellte. Nachdem das Band der Einheit getrennt wurde, versucht sich Claire Underwood von ihrem Mann zu emanzipieren, indem sie eigene Ambitionen erkennen lässt - und stellt damit um so mehr unter Beweis, wie sehr sich die Protagonisten ähneln... ob nun im Umgang mit der sterbenden Mutter, deren Krebserkrankung für den Wahlkampf instrumentalisiert wird, oder mit dem ehemaligen Biografen der Underwoods, dessen ungewöhnliche Stellung zum Präsidentenpaar zu einer pervertierten Situation am morgendlichen Frühstückstisch führt. 
Der Mangel an sympathischen Figuren, den die Serie schon immer als Feature verkauft hat, ist damit nur noch drastischer geworden; die letzten guten Seelen verlieren ihren Job, ihre Würde oder Schlimmeres, bis nach dem Gesetz der natürlichen Selektion nur noch die ehrgeizigsten Exemplare übrig bleiben, unter denen sich mit Präsidentschaftskandidat Will Conway, gespielt von Joel Kinnaman, ein besonders glattes Exemplar neu eingliedert, das den Grabenkampf zwischen Francis und Claire zusätzlich aufpeppt.

Das zunehmend strategischer werdende Spiel mit Wahrscheinlichkeiten sortiert die zwischenmenschlichen Karten also konsequent aus und lässt ein geschmiertes Konstrukt zurück, das mit der chaotischen Realität vermutlich wenig gemein hat. Die falschen Masken unserer Agierenden auf weltpolitischer Ebene bilden sie allerdings präzise nach. Kein Wunder, sind doch hier Schauspieler am Werk, die Schauspieler spielen.
:liquid7:

American Horror Story - Roanoke
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Sich an Found-Footage-Stoffe zu wagen, gehörte zuletzt nicht immer zu den klügsten kreativen Entscheidungen von Filmemachern, auch wenn sich diese kosteneffiziente Art der Filmproduktion wohl nach wie vor rentiert. Der ruhelosen, stets nach neuen Impulsen suchenden Anthologieserie "American Horror Story" verhilft sie in ihrer sechsten Staffel jedoch unerwartet zu neuem Drive; und das, obwohl das "Murder
House" aus der ersten Staffel im Grunde bloß ein erweitertes Remake erfährt.

Vielleicht liegt der frische Wind auch darin begründet, dass in diesem Fall nicht unbedingt Kosteneinsparungen Hauptmotivation waren, mit der HD-Kamera auf Geisterjagd zu gehen, sondern tatsächlich kreative Beweggründe zu erkennen sind - zumal nach wie vor wertige Kameraeinstellungen zum Zuge kommen, die erlesene Perspektiven auf geschlossene Räume wie offene Ebenen bieten. Zur "Hotel"-Vorgängerstaffel, die in der Ausstattung vor Opulenz zu platzen drohte, ergibt das reduzierte, lichtarme Setting außerdem einen spannenden Kontrast, der über ein ungewöhnliches Gebäude mit viel Charakter trotzdem noch eine Parallele aufweist.

Die erste Folge der zehnteiligen Staffel beginnt extrem stimmungsvoll und verspricht exquisiten Haunted-House-Grusel der klassischen, eher blutleeren Variante (zu diesem Zeitpunkt ahnt man noch nicht, welche Gewaltexzesse im weiteren Verlauf warten) - doch Versprechungen, die waren schon immer ein Problem dieser Serie, denn selten konnte eine Staffel ihren roten Faden bis zum Ende halten.

Diesem bekannten Problem wirkt man nun entgegen, indem man einfach zwei geschlossene Handlungen hintereinander erzählt, die durch Meta-Bezüge miteinander verknüpft werden. Dass dabei auch die anfangs scharf getrennten Ebenen der Fiktion und der Realität miteinander verwoben werden, gehört überhaupt zu den Hauptanliegen der Drehbuchautoren, die all ihre Mühen darauf ausrichten, Mythen zu tatsächlichen Geschehnissen umzuformen, Transzendentales in Fleisch zu manifestieren. Überhaupt ist "Roanoke" wohl DIE Meta-Staffel der Serie, kommentiert sie ihren eigenen Stand als Illusionen erzeugendes visuelles Medium doch wie nie zuvor, unter anderem, indem sie hinter den Vorhang der vierten Ebene blickt und seine Stammschauspieler nicht ausschließlich neue Rollen spielen lässt, sondern durch das Mockumentary-Konzept in vielen Fällen eine Identität mit zwei Darstellern besetzt. Einer der Darsteller darf sogar wieder seine Rolle aus einer alten Staffel aufgreifen, was den medialen Vorhang endgültig transparent macht.

Wie die Autoren nun im Detail die Schauspieler mit den von ihnen abgebildeten Personen kombinieren, wie sie die Serie-in-der-Serie inszenieren und wie sie dadurch im Endeffekt Stellung zu sich selbst beziehen, gehört zu den ganz großen Momenten aus sechs Jahren "American Horror Story". Es gab in der Vergangenheit größere Schauspielerleistungen, bessere Einzelepisoden und denkwürdigere Locations, aber wohl kein raffinierteres Gesamtkonzept. Was man vorher nur anzudeuten vermochte, gelingt jetzt fast vollumfänglich: Eine Reflektion amerikanischer Ängste im historischen Kontext, erzählt aus
zeitgemäßer Perspektive.
:liquid8:

Weitere Sichtungen:
Das Kommando der Frauen
Colossal

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Beitrag von freeman » 04.02.2018, 15:11

Bei Sieben Minuten, der Taschendiebin und Detention bin ich ziemlich bei dir. Mother! reiztr mich nach wie vor noch nicht so wirklich. Zumindest nicht, solange er vollpreisig ausliegt. Zumindest machen deine Erfahrungen etwas mehr Lust...

Aber Bad Moms haste voll falsch verstanden. Wie konnte denn sonst eine Fortsetzung möglich werden? ;-) :lol:

In diesem Sinne:
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Beitrag von StS » 04.02.2018, 15:16

"mother!" war für mich der reizvollste Film 2017: Ein echt feines Werk. "Detention" finde ich köstlich - weshalb ich mich schon auf den neuen Joseph Kahn Flick freue - "Colossal" sehe ich so wie Du und "Super Dark Times" ein wenig besser. Auf "Roanoke" bin ich durch Deine Zeilen nun wieder etwas neugieriger...

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Beitrag von McClane » 05.02.2018, 12:36

Weitestgehende Zustimmung zu den sieben Minuten und "Super Dark Times", wobei ich die erzählerischen Schwächen bei letzterem nicht nur im Mittelteil, sondern auch im reichlich versiebten Ende sehe.

Aber hierzu:
Vince hat geschrieben:mother!

einen Psychothriller, der angelehnt an "Passenger" vom Januar des gleichen Jahres vermutlich ein Mainstreampublikum anlockte (Jennifer Lawrence zum zweiten Mal mit einem namhaften Co-Star in trauter Zweisamkeit... muss das nicht in Romantik enden?)
Glaubst du wirklich, dass das irgendwer geglaubt hat? Kann ich mir kaum vorstellen, dass Leute so uninformiert ins Kino gehen. Hab "mother!" bisher noch nicht gesehen und ich kann mir vorstellen, dass manche da einen konventionellen Home-Invasion-Flick erwartet haben, aber Romantik Marke "Passengers", das kann ich mir jetzt schwer als Erwartungshaltung vorstellen.
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Beitrag von StS » 05.02.2018, 12:42

Ich glaub auch, die meisten haben "Horror von der Stange" erwartet

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Beitrag von Vince » 07.02.2018, 08:58

Ok, war ein bisschen blöd formuliert. Ich wollte gar nicht auf die Romantiknummer hinaus, sondern darauf, dass hier wie dort die Lawrence mit männlichem Co-Star in ein Genre-Regelwerk gesteckt wird und dass eben aufgrund von Filmen wie "Passenger" eine gewisse Erwartungshaltung erzeugt wurde, dass alles schön easy und mainstreamkompatibel bleibt, selbst wenn man sich im Trailer vielleicht etwas artsy verkauft.

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Beitrag von Vince » 18.02.2018, 07:10

Colors
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"Colors", das klingt im Kontext des Gang- und Polizeifilms zunächst einmal nach Konflikten zwischen Schwarz und Weiß, beschreibt in Dennis Hoppers Bandendrama jedoch eher Rot und Blau, die Farben rivalisierender Gruppen im Los Angeles der 80er Jahre. Es geht also um selbst gewählte Farben, nicht um einen Rassismus, der auf angeborenen Merkmalen basiert; und somit um die Illusion der freien Entscheidung innerhalb eines Ghettos, das seine Bewohner früher oder später sowieso auf offener Straße in den Tod geschickt hätte; wenn nicht als Gangmitglied, dann als Opfer von Hassverbrechen.

Die damit verbundene Frage, weshalb sich viele junge Amerikaner speziell in den Ballungsvierteln von Großstädten wie LA Gangs anschließen, ist somit Kernthema des Films, der ganz bewusst keiner ausgeprägten Filmdramaturgie folgt, sondern eine semidokumentarische Perspektive einnimmt. Nur stellenweise arbeitet Hopper mit klassischen Spannungselementen, etwa wenn er Gangmitglieder (darunter Don Cheadle und Damon Wayans) dabei beobachtet, wie sie sich auf ein Drive-By-Shooting vorbereiten. Meistens jedoch werden Zufallsbegegnungen auf der Straße inszeniert, die eskalieren könnten, es aber selten tun. Dass echte Gangmitglieder als Berater eingesetzt wurden, unterstreicht den Wunsch nach Authentizität, mit dem die Produktion vielleicht sogar weniger den Respekt der Zuschauer sucht als vielmehr den des Milieus.

Noch heute machen der erfahrene Duvall und der junge Heißsporn Penn den Eindruck einer Idealbesetzung, auch wenn sie für einen Film mit der Linse so nah am Asphalt vielleicht etwas zu viel Starpower verströmen. Sieht man davon ab, dass "alter Cop, junger Cop" nach "Training Day" zur Masche wurde, ist "Colors" verhältnismäßig stilvoll gereift. Gerade dort, wo die von außen betrachtet schwer nachvollziehbare Bandenphilosophie mit kurzen Sätzen und klaren Worten umrissen wird, entfaltet er immer noch seinen Wert, auch wenn Disziplinen wie Spannung und Unterhaltung in artverwandten Werken wie "187" später besser zur Geltung kamen.
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Jungle
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Sympathisch wirken sie nicht unbedingt, die halsbrecherischen Abenteurer, denen dieser Film gewidmet ist; zumindest nicht auf die mutmaßliche Couchkartoffel, die sich "Jungle" vom sicheren Sofa aus anschaut und vermutlich nie selbst einen Fuß in den Dschungel gesetzt hat. Müssen sie aber auch nicht, denn aus den euphorisierten Zuneigungsbekundungen Gleichgesinnter irgendwo im grünen Nirgendwo von Bolivien wird in Windeseile Darwin'scher Psychoterror - zunächst im Rahmen einer Vier-Personen-Gruppendynamik jenseits zivilisatorischer Schutzpfeiler, dann als nackter Überlebenskampf eines Einzelnen gegen die Natur.

Greg McLean benötigt kaum Spezialeffekte oder andere Katalysatoren, um die Bedrohung greifbar zu machen. Es reicht schon zu verstehen, dass die Unwirtlichkeit der Wälder alleine den Tod bedeuten kann. Daniel Radcliffe, der bereits mit "Swiss Army Man" Erfahrungen in der Wildnis machen konnte, meistert sein schauspielerisches Survival-Programm mühelos und reißt in allen Facetten seiner Darstellung mit - zuerst als naiver Träumer, dann als übermütiger Entdecker (mit einer gewissen Arroganz gegenüber jenen, die mit seinen Trieben nicht mithalten können), schließlich als Überlebenskünstler wider Willen. Traumsequenzen direkt aus dem Gehirn des übermüdeten und delirierenden Backpackers treiben die Immersion weiter voran, dabei hätte es dieser visuellen Reize nicht einmal unbedingt gebraucht; schon durch den situationsbedingten Wandel in der Denkweise der Hauptfigur erreicht der Film eine hohe Intensität, durch die grundverschiedenen Ansätze in jedem der drei Akte zudem einen hohen Grad an Abwechslung.

"Jungle" ist am Ende nicht unbedingt ein Portrait menschlichen Überlebenswillens, sondern eher eine Würdigung seiner besonderen sozialen Ausprägungen. Er bewundert die Selbstlosigkeit, mit der sich ein Mensch für das Leben eines anderen Menschen einsetzen kann, nicht aber ohne auch einen Blick auf die Abgründe der menschlichen Natur zu werfen. Und die Texteinblendung vor einem Abspann, normalerweise das lästige Anhängsel einer jeden "True Story", hat einen Film rückblickend noch nie so sehr in einem anderen Licht erscheinen lassen. Auf der sicheren Couch bleibt so immerhin ein mulmiges Gefühl zurück.
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Kedi
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Katzen sind omnipräsent. Selbst wenn man sich nicht zu ihren Besitzern zählt, wird man doch permanent mit ihrer Anwesenheit konfrontiert: Ob auf einem Blechdach hockend oder hinter einer Fensterscheibe nach draußen stierend; in der Werbung als verwöhnte Schmusetiger inszeniert oder in Clips gängiger Videoportale zu Pausenclowns erklärt. Ihr Dasein ist mit dem unseren bereits so eng verknüpft, dass es zum integralen Bestandteil unseres Alltags geworden ist und wir über ihre Gegenwart kaum noch bewusst nachdenken.

Insofern kann ein Dokumentarfilm wie "Kedi" nur einen Blick auf die kleinen, selbstverständlichen Dinge im Leben liefern, beweist allerdings zugleich, dass sich ein solcher Blick durchaus lohnen kann. Denn so sehr wir die pelzigen Vierbeiner auch zu kennen glauben, am Ende stellt sich immer heraus, dass die Zahl ihrer Persönlichkeiten unendlich ist und ihr Wesen unerschöpflich. Richten wir den Blick auf die Katze mit dem Anspruch, etwas von ihr zu lernen, so treten wir auch nach Jahren der Erfahrung im Umgang mit ihnen nicht ohne Gewinn aus der Betrachtung.

Natürlich ist "Kedi" ebenso sehr ein Portrait Istanbuls wie eines der Katzen, die in der türkischen Metropole leben. Die charakteristischen Hafenpanoramen, Märkte und gepflasterten Straßen bedingen sich mit der Lebensweise der Katzen gegenseitig. Istanbul wird als "Stadt der Katzen" inszeniert, weil das Straßenbild so sehr von ihnen geprägt sei wie in kaum woanders; so jedenfalls wird für ihr Außenbild geworben. Die soziale Verbindung der Tiere zu den Bewohnern Istanbuls nimmt insbesondere in den Aufnahmen der belebten Innenstadt faszinierende Formen an, die alltäglich wirkenden und doch so besonderen Aufnahmen suggerieren ein trautes Zusammensein von Mensch und Katze.

Zwar darf der dokumentarische Wert von "Kedi" aufgrund der Romantisierung (nicht zuletzt durch religiös gefärbte Erlebnisberichte über besondere Begegnungen mit Katzen) in Zweifel gezogen werden, durch seine fabelartige Struktur erhebt er allerdings auch nicht den Anspruch, ein Informationsprogramm zu sein. Er bietet lediglich einen alternativen Blick auf das Naheliegende. Dass er dabei dem gebeutelten Türkei-Tourismus noch einmal Starthilfe leistet, ist nicht verwerflich.
:liquid7:

Brain Damage
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Männer und ihre dunklen Geheimnisse. Kaum einer kennt sich damit besser aus als Frank Henenlotter, der selbst als Freak verschrien ist, weil er sich kaum mit etwas anderem als Freaks beschäftigt. New York ist von seinen tragischen Gestalten derart überlaufen, dass sie sich in der U-Bahn sogar gegenübersitzen; der eine mit Korb auf dem Schoß, der andere mit Schalk im Nacken. Dabei ist "Brain Damage" als Nachfolgewerk des bekannteren "Basket Case" vermutlich Henenlotters schrägste Arbeit; diejenige mit der höchsten visuellen Kreativität, aber zugleich auch die mit den nachdenklichsten Zwischentönen. An diesem Film reizt in besonderem Maße, wie billige Special-Effects-Basteleien aus der Heimwerkstatt tief in psychologische Abgründe führen, wie sich Trash und Kunstanspruch zum Ultra-Trash steigern.

Dazu der immerzu debile Gesichtsausdruck von Hauptdarsteller Rick Hearst, generell ein Markenzeichen der Schauspieler unter Henenlotter, die immer schon mit der Tragikomik des klassischen Narren haderten. Die Kappe, die ihnen der Regisseur aufsetzt, ist stets auf Neue von besonders hässlicher Anmutung, doch mit Titelmonster Elmer hat er sich übertroffen: Ein "Mr. Hankey" aus der realen Welt, mit einem Maul wie ein PEZ-Spender, gefüllt mit kleinen Zähnchen, Infusionsnadeln und Kuriositäten wie kleinen Zuckerstangen; selbst unter Typen, die ihre deformierten Zwillingsbrüder in Körben spazieren tragen, ist das ein grotesker Anblick.

Natürlich ist "Brain Damage" unmissverständlich ein Bildnis für Drogenkonsum, dessen Auswirkungen direkt an der Quelle einem Realitätscheck unterzogen werden, mit einem wiederholt aufgegriffenen Brain Shot, dem Close Up auf eine rosa zuckende Masse, von blauem Saft stimuliert und elektrischen Impulsen in Zuckungen versetzt, die ebenso widerlich anzusehen sind wie die Kopplung zwischen Elmer und seinem Wirt von außen. Die Abhängigkeit spiegelt sich in den verlebten Zombiegesichtern eines älteren Ehepaars, das vor dem Protagonisten der Geschichte mit dem hässlichen Klumpen eine Symbiose einging und warnend vorausschickt: Dies ist Junksploitation in Reinkultur, mit der Nase direkt im Straßendreck. Henenlotter hat es mal wieder geschafft. What a freak.
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Evil Ed
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Schweden, das ist Ingmar Bergman, das ist Schwermut in weitläufiger Natur und der nüchterne Blick auf Stillleben und Gesellschaft.

Es sei denn, man hat es mit "Evil Ed" zu tun. Dann findet Schweden in schmuddeligen Küchen statt, gefilmt in Nachtsicht mit durchdringendem Blaustich; oder gleich in chaotischen Arbeitsräumen, die vom fluoreszierenden Licht eines Röhrenfernsehers durchtränkt und vom Rascheln ausgeleierter Tapes erfüllt sind. Terror verbreitet sich über die Soundkulisse, die aus Geschrei, Schmatzeffekten und permanenter Wiederholung besteht. Damit löst sich der schwedische Film mal aus der reinen Beschäftigung mit sich selbst und öffnet sich ungewohnt den Einflüssen des amerikanischen Genrefilms: Hackebeile werden geschwungen, Blut wirft übertrieben weit ausholende Muster. Nicht einmal der Realismus, der objektive Blick auf die echte Welt ist mehr heilig; es sind hauptsächlich Einflüsse aus dem phantastischen Film, die Einzug in die Welt des Cutters Ed finden. Eine Art Gremlin bewohnt den Kühlschrank, der penetrante Boss erscheint als Teufelsgestalt, der Serienkiller aus dem Film-im-Film "Loose Limbs" manifestiert sich wie bei "Mächte des Wahnsinns" in der Realität und Dämonenfratzen und stürmische Kamerafahrten entstammen offensichtlich dem "Evil Dead"-Erbe, das offenbar einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

Es ist also durchaus erfrischend zu sehen, wie sich eine Filmnation für einen kurzen Moment gegen das eigene Erbe stemmt und wider die Zensur in den Kampf zieht, auch wenn das zunächst einmal bedeutet, dass man es nur mit einer Zitatesammlung zu tun hat anstatt mit einem Werk, das eigenständig Maßstäbe setzt. Obwohl man glauben könnte, "Evil Ed" in Filmen wie "Berberian Sound Studio" weiterleben zu sehen. Dem Differenzprinzip ist zu verdanken, dass er sich trotz seiner im internationalen Vergleich wenig originellen Einzelteile in gewisser Weise seine Relevanz erhalten hat. Denn ein Ventil, das braucht jedes Produktionsland, auch wenn es in der Regel noch so viel Selbstbeherrschung an den Tag legt.
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X-Tro
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Das Fremde unter der Maske des Vertrauten als subtile Unterart des Invasionshorrors zu inszenieren, hat ein Gummimasken-B-Heuler wie "X-Tro" mit Sicherheit nicht erfunden; er greift lediglich auf das Grundwissen eines ganzen Subgenres mit dieser Thematik zu. Allerdings gelingt ihm mit geringsten Mitteln durchaus eine Variation, die trotz ihrer durchschaubaren Billigkeit auf beinahe unerklärliche Weise Beklemmung auslöst, weil er weiß, welche Knöpfchen er zu drücken hat.

Ausschlaggebend ist dabei sicherlich die gewählte Perspektive, die sich nicht wie üblich auf die verunsicherte Ehefrau des Rückkehrers aus dem Nichts konzentriert, sondern immer wieder auf den Sohn verlagert. Die als "normal" erachtete Erwachsenenwelt bleibt somit fast ein noch größeres Mysterium als der unbekannte Ort, von dem der einst in einem Lichtstrahl verschwundene Vater zurück in die Sicherheit seiner Familie findet.
Indem schon früh ein grässlich verrenktes Monster in einem Waldstück gezeigt wird, schürt das Drehbuch zwar schnell Unbehagen und Skepsis beim Anblick des Vaters, setzt aber zugleich darauf, dass Fantasy- und Horrorelemente beim Zuschauer wie auch beim Kind Vertrautheit und fast schon etwas Tröstliches auslösen, wohingegen das skeptische Verhalten der Mutter objektiv betrachtet zwar nachvollziehbar ist, innerhalb der Genre-Reglements allerdings durchaus fremdartig anmutet.

Ergreift der Sohn also vertrauensselig die Monsterklaue seines Vaters, den wir im Laufe des Films immer wieder in grotesken Verwandlungsstadien und bei der Tötung beobachten, so zwingt uns der Film, Verständnis für dieses Verhalten aufzubringen und vielmehr skeptisch auf die "reale“ Welt zu blicken. "E.T." als Horrorfilm sozusagen; ein Kniff mit effektiver Wirkung, den "X-Tro" mit kleinem Aufwand zu erzeugen weiß.
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Sherlock Holmes: Gefährliche Mission
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Dass die Holmes-Reihe zu diesem Zeitpunkt längst nur noch spielerische Routine ist, verrät bereits der Prolog. In diesem hangeln sich Holmes und Watson durch eine völlig hanebüchene Schnitzeljagd, bei der sich durch obskure Andeutungen eine Adresse zusammensetzt. Dahinter verbirgt sich ein Premierminister mit einem Auftrag, den Kronprinzen seines Landes in die Heimat zu geleiten nämlich. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man sagen, dass die Spurenlesefähigkeiten des Meisterdetektivs mit diesem Possenspiel bloßgestellt werden sollen. Doch Holmes quittiert die merkwürdigen Avancen der Stichwortgeber auf den Straßen Londons mit ausgestellter Gelassenheit, und so ist es nur wieder Watson, der völlig an der Nase herumgeführt wird und sich in einer abgerockten Fish-n-Chips-Spelunke sichtbar unwohl fühlt.

Schließlich begibt sich die Handlung auf ein Schiff und wird darauf auch ihre gesamte Stunde Laufzeit verbringen. Nicht zum ersten Mal wird Holmes temporär aus dem Spiel genommen und Watson zum zwischenzeitlichen Hauptdarsteller erklärt; erwarten kann man von ihm aber auch nach all den Jahren kaum mehr, als dass er sich vor den anderen Bordgästen mit alten Abenteuergeschichten brüstet.

Die Kniffe und Wendungen, die das Drehbuch anschließend bemüht, sind längst zu müden Standards geworden; insbesondere die Nachricht vom vermeintlichen Tod Holmes' nimmt allenfalls noch sein langjähriger Kollege beim Wort (auch wenn sich sein Gesichtsausdruck beim Vernehmen der Nachricht kaum verändert). Aus dem Whodunit wird kurzum ein wildes Ratespiel gemacht, das den zähen Mittelteil nur unzureichend füllen kann, gerade auch, weil Holmes es am Ende ja ohnehin schon alles vorher wusste.

Einer der schwächsten Beiträge der Reihe. Dann lieber noch einmal Mr. Moto bei seiner Shanghai-Überfahrt beiwohnen.
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Mad Men – Season 5
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Mit ihrer Tanzaufführung gleich in der ersten Folge macht Jessica Paré schon früh klar, auf wen die Blicke in dieser fünften Staffel hauptsächlich gerichtet sein werden. Die neue Frau im Leben Don Drapers sorgt dafür, dass in der Welt von Sterling Cooper Draper Pryce der Gesprächsstoff zwischen Heinz Beans und Jaguar nicht ausgeht.

Völlig in den Hintergrund gerückt wird hingegen January Jones, deren Betty sich nur kurzzeitig wieder in den Vordergrund schieben und dort wichtig machen darf; dabei drückt die auch im fünften Jahr fließend geschriebene Serie unmissverständlich aus, dass sie auch ohne alte Eheeskapaden ihren Weg findet.

Während sich die 60er langsam auf ihr Ende zubewegen, teilt sich die Handlung zunehmend in Einzelschicksale auf. Während Don mit Megan völlig andere Probleme durchzustehen hat als in den ersten Staffeln mit Betty, haben auch seine Arbeitskollegen ihre eigenen Päckchen zu tragen, die in einigen Fällen zu getrennten Wegen oder gar Sackgassen führen. Wie üblich hält sich der Impact selbst dramatischster Entwicklungen auf das von der Serie transportierte Lebensgefühl jedoch in Grenzen. Einige Figuren verlassen die Serie mit Paukenschläge, nicht minder schillernde Exemplare wachsen dafür nach; und an den Manierismen ändert sich derweil nicht das Geringste, auch wenn die Zeit langsam gegen den allmorgendlichen Drink im Büro zu laufen beginnt.
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Weitere Sichtungen:
Stung
Die Croods
Der 27. Tag

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Beitrag von StS » 18.02.2018, 07:16

"Jungle" Review ist ebenfalls vorhanden :wink:

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Beitrag von Vince » 18.02.2018, 07:24

Ja, so war mir auch, aber ich find's irgendwie nicht... hast du mal nen Link?

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Beitrag von StS » 18.02.2018, 07:33


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Beitrag von Vince » 18.02.2018, 07:39

Danke!

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Beitrag von Vince » 04.03.2018, 11:44

Die Erfindung der Wahrheit
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"Die Erfindung der Wahrheit" wird mancherorts schon als Meisterstück des Politthrillers gehandelt; ihn im Ganzen allerdings derart mit Lorbeeren zu beschmeißen, wäre bei weitem zu viel der Ehre.

Zugegebenermaßen hat er einen unwiderstehlichen Joker im Repertoire, der jegliche Urteilsfähigkeit zeitweise vernebeln kann: Jessica Chastain. Dass der Originaltitel klipp und klar mit dem Nachnamen ihrer Rolle wirbt, rechtfertigt sie mit einer Bombenleistung, vermutlich der besten, die sie je gezeigt hat. Miss Sloane ist einerseits ein typischer Hollywood-Karrierehai, sie basiert auf einer Karikatur, die in unzähligen Anwalttsserien in allen Formen bereits als Abziehbild verarbeitet wurde. Doch gerade weil es Chastain gelingt, Klischee um Klischee wegzuwischen, ohne sich dazu auch nur einmal umdrehen zu müssen, erschafft sie ein ungemein reizvolles Portrait einer Frau, deren wahre Gestalt man eigentlich so gut wie nie zu sehen bekommt. Ihr dabei zuzusehen, wie sie unzählige soziale Rollenbilder strategisch als Maske auflegt, um aus der jeweiligen Situation den größtmöglichen Profit zu schlagen, das ist der spektakulärste Spezialeffekt des Films.

Kommt man hingegen auf die anderen Qualitäten zu sprechen, so trifft man auf viel Schein und wenig Sein. Das extrem hohe Erzähltempo erhöht die Dynamik, wirkt zielstrebig, selbstbewusst und aussagekräftig. Allerdings verbirgt es relativ simple Interessenkonflikte, die mit Hilfe von Stereotypen effekthascherisch an den Mann gebracht werden. Dazu gehören die aus "House Of Cards" sattsam bekannten Kausalketten aus Medienmanipulation und Stärkung der eigenen Position, ebenso wie die emotionale Ungebundenheit gegenüber bestimmten Positionen innerhalb einer Debatte, selbst wenn es sich dabei um jene über die amerikanischen Waffengesetze handelt. So läuft die Protagonistin in einer Schlüsselszene scheinbar mühelos von einem Lager ins andere über, ohne dass man ihr deswegen einen Persönlichkeitswandel beziehungsweise ein Umdenken unterstellen könnte: Ihre Loyalität gehört ganz alleine ihrer Karriere.
Dann wiederum ist es aber auch einer jener Filme, die sich gegen Ende mit Wendungen regelrecht überschlagen. Man ist sich nicht einmal zu schade, Rückblenden zu aktivieren, um das Geschehene in neuem Licht erscheinen zu lassen. Derartige Mittel zeugen im Jahr 2017 nicht mehr unbedingt von einem ausgewählten Stil; das Aha-und-Oho-Publikum wird es aber freuen, dass ihnen ein Ventil zum Luftdruckausgleich geboten wird.

Trotz allem ist "Die Erfindung der Wahrheit" natürlich für einen Thriller direkt aus der Hölle unsympathischer Karrieremenschen und verachtenswerter Lobbyisten ein schwer unterhaltsames Stück Abendunterhaltung, sofern man mit dem vorgegebenen Tempo mithalten kann (manch einer wird sich zum Abspann vielleicht immer noch mit der Palmöl-Mafia beschäftigen, die zur Einführung diskutiert wird). Im besten Fall trägt es vielleicht sogar seinen Teil zu einem Umdenken bezüglich der US-Waffengesetze bei, deren Absurdität immerhin noch einmal deutlich zur Geltung kommt. Vergleicht man allerdings mit einem echten Genre-Klassiker wie "The Insider", so werden die Qualitätsunterschiede doch schnell deutlich.
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Dunkirk
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Einen kühlen Architekten nannte man Christopher Nolan schon lange vor "Dunkirk", insofern sollte seine unkonventionelle Herangehensweise an das schwierige Thema Krieg kaum noch überraschen. Herkömmliche Filme des Genres fokussieren sich je nach Ausrichtung auf die Erzeugung von Empathie gegenüber den Soldaten auf dem Schlachtfeld oder auch auf Kriegsstrategien im Sinne einer Geschichtsanalyse. Selten jedoch lösen sie das bebilderte Ereignis komplett von politischen und emotionalen Kontexten und gestalten es als geometrisches Kunstwerk. In diesem Zusammenhang verbietet es wohl in Teilen die Ethik, die Beteiligten des Krieges zu rein funktionalen Aktionsobjekten zu reduzieren. Denn genau das macht Nolan: Er gibt vor, seinen Protagonisten am Land, zu Wasser und in der Luft beizustehen und untermauert dies mit Plansequenzen, in denen er ihnen minutenlang nicht von der Seite weicht. Über ihren Ausstoß von impulsgetriebener Energie erzeugt er aber in Wahrheit lediglich ein abstraktes Triptychon der Elemente, verknüpft durch die besonders abstrakte Dimension der Zeit. Die Einzelschicksale sind weniger relevant als das große Ganze - ein diametral umgekehrter Ansatz zum Gros aller selbsterklärten Antikriegsfilme, die meist das Individuum herausstellen. "Der Soldat James Ryan" bildet hier immer noch die Referenz.

Uhrenticken begleitet fast den gesamten Film und erzeugt oberflächlich Spannung, weil man intuitiv versteht, dass jede Bewegung nun in einem zeitlich abgesteckten Rahmen stattfindet und ihre Ausführung über Leben und Tod entscheiden kann. Die Geschehnisse von Dünkirchen werden zum Ballett der Zufälle, und wenn dem Film vorgeworfen wird, dass er keine historisch korrekte Abbildung liefere, so mag das auch an der Dramaturgie liegen, die höhere Priorität genießt als Authentizität. Splatter und Gore spielen dabei im Gegensatz zu Gibsons "Hacksaw Ridge" ebenfalls keine Rolle, es geht vielmehr um Perspektive, Schnitt und Sounddesign.

Verstehen kann man das nur, wenn man bereit ist, sich von dem Gedanken zu lösen, dass Antikriegsfilme etwas Humanitäres ausstrahlen müssen, um eine wertvolle Aussage treffen zu können. Dabei funktioniert der Blick auf das Nolan'sche Glaskugel-Konstrukt wie expressionistische Kunst, nicht wie ultrarealistische: Man muss das Abstrakte zuerst sortieren, bevor man es interpretieren kann. Das muss man nicht mögen, aber "Dunkirk" bildet dadurch einen sehr wichtigen Beitrag, indem er das Genre des (Anti-) Kriegsfilms um viele Facetten erweitert; auch wenn man das von diesem speziellen Genre vielleicht gar nicht erwartet.
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The Dentist
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Der endlose Blick in Münder voller Zahnfäule soll schon so manchen Zahnarzt in den Wahnsinn getrieben haben. In "The Dentist" präsentiert Brian Yuzna ein besonders gezeichnetes Opfer seines Berufs, das sich nicht zu schade ist, seine Gedankenmonologe über den Zusammenhang von faulen Zähnen und einer verdorbenen Gesellschaft permanent mit dem Zuschauer zu teilen und seine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen. 
Als unermüdliche Metaphernschleuder ist Doctor XY unzweifelhaft eine Schöpfung aus dem Oeuvre des Regisseurs, der dafür bekannt ist, gerne einen großzügigen Schlag Sozialkritik in seine Horrorformeln zu geben. Selten bekommt man dabei allerdings wirklich ausgereifte Konzepte präsentiert; selbst sein diesbezügliches Vorzeigewerk "Society" ist zunächst einmal eine Groteske, die ebenso aggressiv wie ordinär mit dem Holzhammer auf die Gesellschaft einschlägt.

Unser Zahnarzt indes, stets gekleidet in Zartrosa oder Blütenweiß, fuchtelt in Gedanken mit der Ausdrucksweise eines jungen Autoren, der mit Feuereifer seinen ersten Roman schreibt, dabei aber nicht immer die richtigen Vokabeln findet, so dass ihm die tiefsten Subtexte, die er eigentlich anstrebt, verwehrt bleiben. Die "perfekte Ehe" ist solch ein frühes Schlagwort, das Yuzna mit einem klinisch sauberen Yuppie-Apartment samt Swimmingpool unterfüttert, garniert mit penetrantem Weichzeichner und einer XY, die aussieht wie aus dem Ei gepellt. Als der Doc schließlich auf den Wandel des Perfekten ins Faulige zu sprechen kommt, wird prompt ein ölverschmierter Mechaniker serviert, der sich nicht nur den Pool, sondern in einem gleich mal die Ehefrau vornimmt.
Ob die Hauptfigur diese von Monologen über Unordnung und Zerfall begleiteten Ereignisse nun träumt oder tatsächlich erlebt, bleibt zunächst unausgesprochen. In vielerlei Hinsicht handelt es sich also um einen Vorläufer von "American Psycho"; Patrick Bateman irrte zwar durch ein anderes Milieu und war mit den Social Events um ihn herum enger verknüpft als der Zahnarzt, dieser jedoch teilt die gleiche Abscheu gegenüber dem Nichtperfekten.

Genretechnisch richtet sich "The Dentist" derweil natürlich vor allem an ein Publikum, das gerne mit den Spuren eigener Dentalphobien spielt und liefert vor allem Folterspiele aus dem Zahnarztstuhl. Close Ups vom Innenleben der Patientenmünder bereiten die Bühne für herzhafte Zerstörungsorgien; da wird in Zahnfleisch gespritzt, in Zungen gestochen und Zähne werden bis zum blanken Nerv abgeschleift. 

Dieser Gewaltspitzen zum Trotz hat Yuzna mit gewissen Tempo- und Spannungsproblemen zu kämpfen. Im Gegenzug serviert er innerhalb der Arztpraxis so etwas wie eine bizarre Sitcom, mit denen die Eskapaden des Doktors zu düsteren Pointen transformiert werden. Die schmucken Behandlungszimmer werden zur wiederkehrenden Bühne wie Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer einer amerikanischen Vorzeigefamilie; nicht nur die Angestellten, auch einige Patienten hocken als Running Gag durchgehend im Wartezimmer und warten auf ihre Behandlung wie die Kneipenbrüder aus "Cheers" auf ihr Bier (mit dabei: ein noch sehr junger Mark Ruffalo). Wo "The Dentist" als Horrorfilm also seine Defizite hat, gleicht er sie mit der schwarzhumorigen Neuinterpretation vorabendlicher Prime-Familienunterhaltung wieder aus.

Weil die Sozialkritik mit dem Duktus eines Marktschreiers an den Mann gebracht wird, möchte man nun deswegen nicht gleich in Jubelstürme verfallen; interessanter als unreflektierte, stumpfe Slasher-Ware ist das aber allemal.
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Die Pinguine aus Madagascar
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Immerhin: Man muss die besinnungslose "Move It"-Fete aus der "Madagascar"-Trilogie nicht gemocht haben, um deren Spin-Off etwas abgewinnen zu können. Abgesehen von den vier Protagonisten sowie dem typischen Kubismus-Artdesign einiger Nebenfiguren erinnert nur noch wenig an das "Zoo Pack" auf Weltreise. Hilfreicher ist es da schon, wenn man nicht mit "Despicable Me" auf Kriegsfuß steht, denn die Pinguine stürzen sich in ein vergleichbares Abenteuer voller Bond-Gadgets und Größenwahnsinn, mit einem Villain, der mit seinem geometrisch runden Oberkörper und den dünnen Beinchen überdeutlich an Gru angelehnt ist (oder weitergedacht an klassische Jump-n-Run-Villains wie Dr. Eggman aus der "Sonic"-Reihe).

Auch das Quartett im Mittelpunkt erfindet das Rad nicht gerade neu. Schießwütig wie die Daltons feuern sie Gag um Gag ab, kabbeln sich untereinander und beziehen aus Abweichungen bei ihren Äußerlichkeiten (soviel zum Meta-Gag bei einem Film über Pinguine) bequeme Steilvorlagen. Alle paar Meter gelingt es ihnen, dem Zuschauer ein Schmunzeln zu entlocken (etwa bei der getarnten Fortbewegung über einen Zebrastreifen). Es ist allerdings auch viel Ausschussware dabei, was vor allem auf den Irrglauben zurückzuführen ist, dass man mit Hyperaktivität neue Comedy-Höhen erreichen kann. Stattdessen hetzt man dem Schatten größerer Animationsfilme hinterher (wie könnte auch ein Spin-Off über Sidekick-Figuren selbst Größe erzeugen) und strandet regelmäßig bei vorhersehbaren Supervillain-Schachzügen mitsamt entsprechender Konter der trotteligen, aber liebenswerten Heldenversammlung.

Pädagogisch wertvoll ist daran folglich auch nur wenig. Die Geschichte des fiesen Oktopus verkehrt alles ins Gegenteil, was sich für einen Seitenhieb gegen das Konzept "Zoo" empfohlen hätte, und als am Ende "Es kommt nicht auf das Äußere an, sondern auf die Taten" als schmucke Botschaft verpackt wird, wirkt das schon arg ironisch angesichts dessen, was zum Finale im Großstadtpark geschieht.

Vielleicht ist das Soloabenteuer der Pinguine trotz allem sogar sehenswerter als die dümmliche Wildtierparty, der es entstiegen ist, ein Must See sieht aber dann doch anders aus.
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Bullyparade – Der Film
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"Der Schuh des Manitu" hat Fußabdrücke Größe 50 in der deutschen Filmlandschaft hinterlassen, die auch heute noch sichtbar sind. Dass man nicht damals schon die komplette "Bullyparade" auf die Leinwand brachte, sondern sich gezielt eine Sketch-Reihe aus der Show aussuchte, war eine bewusste Entscheidung im Umgang mit dem Transfer von einem Medium ins andere. Es ist eine Breitwand-Westernparodie geworden, deren ursprünglicher TV-Rahmen bis zur Unsichtbarkeit zurückgedrängt wurde. Alleine schon visuell kokettierte man leidenschaftlich mit US-Filmproduktionen und entfernte sich dadurch so weit wie möglich vom bundesdeutschen TV-Zapping, nicht zuletzt, um einen humoristischen Kontrast zwischen international konkurrenzfähigen Produktionswerten und der urigen Zelebration regionaler Dialekte zu erzeugen. Knautschige Visagen, die sich mit Bayrisch und Sächsisch einen abknödeln, versetzt in die künstliche Welt des Films, darin liegt vermutlich das Geheimnis des Schuhs.

Mit "(T)Raumschiff" (den vollen Titel möchte niemand mehr aussprechen und bestimmt auch niemand mehr hören) strebte man zumindest bezüglich der cineastischen Maßstäbe Vergleichbares an, hinterließ aber nur eine infantile Fußnote. Der Genre-Spagat zwischen Western (der als Geheimzutat sozusagen die "Surprise" darstellte) und Science Fiction als Verbeugung vor dem Format der "Bullyparade" wollte damals schon nicht so recht gelingen und nun sauert das kurzlebige Astronauten-Abenteuer im Kellerregal irgendwo neben "7 Zwerge - Männer allein im Wald" vor sich hin und wird die Mülltonne wohl mit höherer Wahrscheinlichkeit von innen sehen als noch einmal den DVD-Player.

Tja, und jetzt also doch noch "Bullyparade - Der Film". Die vollständige Bekenntnis zum Episodenformat muss nicht grundsätzlich etwas Schlechtes sein; immerhin hat der Sketch-Film dank Monty Python und Zucker-Abraham-Zucker eine traditionelle Basis, auf welche Bully allerdings kaum bis gar nicht eingeht. Nimmt man den vielversprechenden Prolog um "Zurück in die Zukunft"-Zitate, den Mauerfall und die Verhinderung von David Hasselhoffs Mauernsprenger "Looking For Freedom" mal aus, liefert die Verfilmung der TV-Show eine gerade Linie von A nach B, hangelt sich also fein säuberlich von Abahachi über Sissi Richtung Spucki und Captain Kork. Und ja, das ist so öde wie es klingt.

Der gemäß Zeitstrahl eröffnende "Manitu"-Abschnitt ist in vielerlei Hinsicht gar nicht so weit vom Original entfernt und hätte sich für dessen Fans auf Filmlänge gestreckt möglicherweise sogar als brauchbares Sequel entpuppt. Es zitiert erwartungsgemäß (und wenig originell) jüngere Western-Filmgeschichte ("Django Unchained") und sich selbst (die allseits bekannte "Gesamtsituation", dargeboten als selbstreferenzieller Sketch - hat man da möglicherweise beim Theaterstück von "Thor 3" abgeguckt?), bietet alte Bekannte (Sky Du Mont) und dicke BMX-Stunts (!?) auf und lässt die Künstlichkeit der Sets in grellen Farbkontrasten strahlen.

Als der Off-Kommentator dann den ersten Jump Cut anmoderiert und zu Sissi beim Umdekorieren ihres neuen Erwerbs überleitet, ist der Film immer noch nicht so hundertprozentig verloren; doch je weiter er voranschreitet, desto gleichförmiger und weniger originell erscheinen die Verbindungen. Nicht einmal die drei Avantgardisten mit Sonnenbrille, quacksalbernd in ein Fischauge, können mit ihren Nonsens-Cameos die Ordnung durcheinanderbringen, die irgendwann unumgänglich in die von Lens Flares zum Strahlen gebrachte Zukunft führen würde, wo das Hauptdarsteller-Trio dann einmal mehr seine Paradefiguren aus der Mottenkiste holen darf, tuckig und albern wie eh und je.

Mag man die "Bullyparade", wird man sicherlich recht passabel bei Laune gehalten, aber selbst dann ist spürbar, dass Herbig, Tramitz und Kavanian ihren alten Rollen im Grunde längst entwachsen sind. Mag man sie nicht, erlebt man gar eine Zeitreise in die Hölle: Je tiefer man in die Zukunft vorstößt, desto qualvoller das Leid.
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The Burning
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Entstanden in der Hochphase des Slasherfilms irgendwo zwischen den ersten beiden Auftritten von Jason Voorhees, wurde "The Burning" schnell begraben und hatte gar nicht erst die Gelegenheit, sich wie "Freitag, der 13." oder "Halloween" zu einer Marke zu entwickeln. In der damaligen Wahrnehmung handelte es sich um eine stumpfe Kopie des Genreklassikers von Sean Cunningham. Und auch wenn das Skript in Wahrheit bereits existierte, bevor die Welt von Camp Crystal Lake erfuhr, so kann man es niemandem verdenken, bei einem irren Killer in einem "Camp Blackfoot" ein schamloses Rip Off zu vermuten.

Auch heute zeigt sich auf den ersten Blick wenig, was ausgerechnet diesen Vertreter aus der Masse seiner Artgenossen herausragen ließe, die sich zu jener Zeit in den Wäldern und Vorstädten Amerikas gegenseitig auf die Füße traten. Weder versucht er sich an einer frühen Metabetrachtung des nach klaren Regeln strukturierten Genres (wie "Der Umleger"), noch hat er ein besonders ungewöhnliches Setting zu bieten. Stattdessen gibt es Lagerfeuergeschichten, Bullies und Außenseiter, giggelnde Mädchengruppen und Nacktbaden im See. Alles eingebettet in das von der Verschwiegenheit des Waldes umringte Sommercamp-Setting und vorangetrieben von den (zumindest bis "Scream") ungeschriebenen Gesetzen des Slasherfilms: Gib nicht deinen jugendlichen Trieben nach, sonst stirbst du.

Allerdings beschreiben derlei Klischees lediglich ein gemeinsames Verständnis, mit dem eine einvernehmliche Basis geschaffen wird. Davon ausgehend hat sich "The Burning" nicht ohne Grund zu einem Geheimtipp entwickelt. Blickt man nämlich durch das Dickicht der eingangs beschriebenen, allseits bekannten Abläufe hindurch, so stößt man auf eine recht ungewöhnliche Dramaturgie, die bereits mit der praktisch nicht vorhandenen Charakterisierung des personifizierten Bösen beginnt: Wo das wesentlich berühmtere Verbrennungsopfer Freddy Krueger durch einen märchenartigen Prolog in "Nightmare On Elm Street" regelrecht dämonisiert wird, liegt dieses bloß schlafend im Bett, bevor es in den maskierten Schlächter transformiert wird (maskiert durch die Narben der Verbrennung). Weshalb die Jugendlichen ihm den verhängnisvollen Streich spielen, der ihn zum Monster werden lässt, und ob er das Leid verdient hat, das ihm widerfährt, muss man sich aus dem Kontext zusammenreimen.

Abgewichen wird auch vom bewährten Prinzip der One-by-One-Dezimation, das sich einen Vorrat an Teenagern wie eingezäunte Schafe hält, um sie nach und nach zur Schlachtbank zu führen. Der Cast ist stattdessen vergleichsweise groß (u.a. mit Holly Hunter, Jason Alexander und Fisher Stevens) und führt abgesehen von einer unzählbaren Menge anonymer Kinder (die lediglich dekorativen Zweck erfüllen und nicht in das Spiel einbezogen werden) auch Dutzende Teenager auf, wobei erstaunlich viele von ihnen so sorgfältig charakterisiert werden (wenn auch im abgesteckten Rahmen stereotyper Figurenbildung), dass kurze Momente entstehen, die beinahe ein Gefühl von "Coming Of Age" erzeugen.

Die große Spielwiese sorgt insbesondere in den Szenen ohne den Killer für eine ungewöhnliche Gruppendynamik, die sich angenehm von den überschaubaren Quartetten, Quintetten, Sextetten, Septetten und Oktetten abhebt, die normalerweise in solchen Filmen auf den Tisch gelegt werden. Massenszenen von Sportveranstaltungen oder aus Kantinen werden mit intimen Zwiegesprächen kontrastiert, männliche und weibliche Campbesucher ebenso wie Freundschafts- und Konkurrenzverbindungen reizvoll gegeneinander ausgespielt.

Das hat dann letztlich auch Auswirkungen auf das Auftreten des Villains, der sich vor einem ganz anders gedeckten Buffet wiederfindet als ein Jason, Michael oder Freddy. Das Highlight, und hier kommt wieder die Gruppendynamik ins Spiel, bildet eine furios geschnittene Attacke aus einem Kanu heraus, bei der gleich ein ganzes Boot voller Jugendlicher massakriert wird. Gnade wird dabei auch nicht jenen Figuren zuteil, um die sich das Drehbuch zuvor sehr bemühte. Aufsparen muss sich der Scherenschwinger schließlich nichts, denn Gelegenheit für klassischer angelegte Bodycounts bieten sich ihm dennoch zuhauf - so muss Carrick Glenn etwa nackt und verwirrt am Ufer einer Spur folgen, die aus ihrer eigenen Kleidung gelegt ist - logisch, dass am Ende der Spur nicht der Weihnachtsmann mit einem Bademantel wartet. Mit seiner riesigen Gartenschere entwickelt der Killer dabei durchaus einen kreativen, erinnerungswürdigen Stil, der Jasons Machete im Nachhinein ironischerweise besonders primitiv wirken lässt - verständlich, dass Tom Savini "The Burning" Vorzug gegeben hat vor dem "Freitag"-Sequel. Der renommierte Effektekünstler ist jedenfalls voll bei der Sache und garniert die ungeschnittene Fassung mit überaus brutalen, gleichwohl sehenswerten Effekten.

Im Finale wird mit einem "Final Boy" dann bestätigt, dass "The Burning" vielleicht nicht ganz so klassisch ist, wie es in mancher Hinsicht den Schein hat. Auch dass ein Rick Wakeman ("Yes") den Soundtrack beisteuert, ist nun nicht gerade als Standard zu bezeichnen und vor allem den Beziehungen Weinsteins zu verdanken. Was natürlich nichts daran ändert, dass der brennende Mann seinem unvermeidlichen Schicksal am Ende genauso ins Auge blicken muss wie die Antagonisten in jedem anderen Slasher-Film (oder letztlich Weinstein im realen Leben selbst). Nur zur Auferstehung in einem Sequel hat es diesmal nicht gereicht...
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The Howling II
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Zwar beginnt "The Howling II" dort, wo das Original endete, doch manchmal ist direkte Bezugnahme nicht gleichbedeutend mit Vorlagentreue. Ein echtes Sequel hätte sich womöglich gar nicht mehr mit Werwolf-Reporterin Karen befasst, sondern losgelöst von den Figuren versucht, die Essenz des Werwolffilms von Joe Dante zu konservieren, der immerhin neben "American Werewolf in London" zu einem der wichtigsten Klassiker des Subgenres gereift ist.

Dass bei den Fortsetzungsbemühungen schließlich derart schamlose Exploitation zur Anwendung kam, ist irgendwie schon so ein eigener kleiner Klassiker für sich. Zwischen Synth-Punk, Retro-Gothic, Christopher Lee und Sybil Dannings Brüsten wird die unstete Linie deutlich, mit der hier wilde Manöver durchgeführt werden, um sämtliche Geschmäcker zu bedienen - und schon sehr früh nicht mehr das Geringste mit dem ersten Teil oder dessen Anspruch auf Subtilität zu tun zu haben. Lee wurde aufgrund seiner langen Horrorfilmkarriere sicher nicht zum ersten Mal als grimmige Genre-Eminenz mit Metafunktion ausgestattet, musste aber noch selten einen solchen Stuss kommentieren wie hier. Danning reißt sich nur einmal die Klamotten vom Leib, doch der Schnitt hält es für nötig, die Szene mindestens ein Dutzend Mal zu wiederholen (einen Großteil davon zum Musikvideo verschnitten im Abspann). Und der Rest ist ein Tiefschlag-Ausdauerkampf zwischen Klassik und Moderne.

Als "modern" wurden damals allerdings Fönfrisuren, Sonnenbrillen und abgeranzte Rockschuppen verstanden. So werden also Bilder eines vom Efeu der Wälder zurückeroberten Friedhofs, einer grundsätzlich sehr stimmungsvollen Kulisse, von einem Babel-Konzert abgelöst, eines schmissigen Neo-Wave-Popsongs, der über die gesamte Laufzeit dermaßen oft wiederholt wird, dass er einem neue Rillen ins Hirn fräst. Werwölfe treten hier als Underground-Präsenzen in Menschenform auf, verräterisch die Zähne blitzend; dann wieder schlägt der Fantasy-Kostümkitsch mit altertümlichen Pflasterstraßen und Schlosskulissen zurück, als würden Barbarenfilm, Mittelalterfilm und Gothic-Horror in einem Topf vermischt. Als dann auf dem Weg noch zwei deutsche Rucksacktouristen verputzt werden und breit grinsend die Pointe "Schnitzel" in die Kamera gehaucht wird, ahnte Lee vielleicht so langsam, worauf er sich eingelassen hat.

Man mag sich vielleicht um ein würdiges Sequel betrogen fühlen, das nie entstanden ist, aber erstens benötigt das in sich geschlossene Original ein solches gar nicht; zweitens haben wir es bei diesem zweiten Teil noch mit einem akuten Fall von "so schlecht, dass er gut ist" zu tun, mit ganz eigenen (und eigenartigen) cineastischen Werten. Es gibt also keinen wirklichen Grund, böse zu sein mit "The Howling II".
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I Remember You
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Alte Fotos mit durchgestrichenen Gesichtern, rätselhafte Todesfälle von Menschen, die nur durch eine alte Vergangenheit miteinander verknüpft sind und Geistererscheinungen ruheloser Kinderseelen sind Motive, auf die man im übernatürlichen Horrorfilm immer wieder trifft, selten allerdings findet man sie eingebettet in isländische Folklore. In "I Remember You" gibt eindeutig das Setting den Ton an: Die kalte, menschenleere Umgebung hat mit den urbanen Horrorgeschichten, zu denen sich zumindest der Hollywood-Geisterfilm in den letzten Jahren hingezogen fühlt, nur wenig zu tun. Ein, zwei Großstadt-Ausblicke durch das Panoramafenster eines Büros leistet man sich, ansonsten dominieren Aufnahmen kleiner Hütten umrundet von Wasser und Berghängen, Bilder nordischer Natur, die irritierenderweise eine beengende Wirkung verströmen. Als letztes Relikt einer modernen Gesellschaft erfüllt ein Smartphone in dieser abgeschiedenen Gegend bezeichnenderweise kaum einen Zweck beziehungsweise verfehlt den seinen in einer entscheidenden Situation; ansonsten dominiert ohnehin die Sorge um essentielle Dinge, wie fließendes Wasser und der Zustand der eigenen vier Wände.

Originalität möchte man der isländischen Produktion also nicht unbedingt zugestehen, sie passt allerdings Allgemeinplätze recht geschickt an die eigenen Verhältnisse an. Wenn sich der Plot mit einer Dreiergruppe befasst, greift er alte Motive wie Eifersucht und Neid auf, bläst diese aber nicht zu einem amerikanischen Possentheater auf und erklärt sie auch nicht zum alleinigen Handlungszentrum. Übernatürliche Elemente werden organisch in diese Konstellation integriert und meist über moderat eingesetzte, natürlich wirkende Jump Scares transportiert. Óskar Thór Axelsson setzt sie sparsam ein und stellt somit das Drama in den Vordergrund, ähnlich, wie es viele spanische Vetreter dieser Art zu tun pflegen.

Im Grunde also nur eine Geistergeschichte wie jede andere. Vertritt man allerdings die Auffassung, dass sich jedes Land durch seine lokalen Eigenarten eine klassische Gesichte auf besondere Art zu eigen machen kann, ist "I Remember You" doch wieder eine Besonderheit, denn so viele Geisterfilme strömen aus Island nicht zu uns...
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The Limehouse Golem
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Die formlose, unvoreingenommene Definition des Golem aus der jüdischen Mythologie steht in „The Limehouse Golem“ sinnbildlich für das Whodunit, das passionierte Knobler seit den jungen Jahren Sherlock Holmes' beschäftigt und hier bis aufs Letzte ausgekostet wird. Der Aspekt des Rätselratens, wer zu den brutalen Taten imstande sein könnte, genießt eindeutig Priorität vor allem anderen, denn für den Lustgewinn an diesem Spiel werden viele Dinge in Bewegung gesetzt. So wird die unbestimmte Gestalt per Rückblende beispielsweise immer wieder in Person unterschiedlichster Verdächtiger dargestellt, was angesichts der antiquierten Alternative, einen flüchtigen Schatten am Werk zu zeigen, eine erfrischende Entscheidung darstellt.

Inszenatorisch ist dieser historische Krimi-Horrorthriller ebenso klassisch und gelassen wie spannend geraten. Man könnte ihm natürlich vorwerfen, einfach nur die aquarellgrüne Variante des feuerroten „From Hell“ (2001) zu sein, doch wie viele Filme dieser Machart gibt es denn schon, dass man einen solchen Vorwurf gelten lassen müsste?

An Bill Nighy (der ursprünglich geplante Alan Rickman hätte sicherlich auch wunderbar gepasst) lässt sich schön ablesen, was an „The Limehouse Golem“ gut funktioniert: Sein Inspektor ist eine Figur mit tradierter Anlage, die vom Lauf der Ereignisse ebenso durchgeschüttelt wird wie der Zuschauer und der man wegen ihrer emotionalen Investition in den Fall viel Empathie entgegenbringt. Dass er in der ein oder anderen Weise scheitern muss, ist ihm bereits bei seinem ersten Auftritt in die Stirn eingraviert. Dem Zuschauer wird also Althergebrachtes geboten, das sich mit der elegant fotografierten viktorianischen Kulisse ergänzt, was es erlaubt, schnell und tief in die Atmosphäre einzutauchen.

Altbacken wirkt die Erzählung dennoch nicht, weil Drehbuchautorin Jane Goldman mit reizvollen Schauplatzwechseln arbeitet und Regisseur Juan Carlos Medina diese zu tempo- und kontrastreichen Abläufen modelliert. Die selbst als verzweifelte Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft noch quirlige Olivia Cooke („Bates Motel“) erweist sich für diese Bemühungen als idealer Host und harmoniert mit dem gefasst bis introvertiert spielenden Nighy überdies ausgesprochen gut. Von Legenden und Mythen abgesehen werden außerdem gesellschaftliche Missstände aufgegriffen und feinmaschig in die Genre-Gewerke eingebunden. Kurzum, über weite Strecken ist „The Limehouse Golem“ eine sehr runde Angelegenheit.

Läge eben nicht der Schatten der unvermeidlichen Auflösung über dem gesamten Plot. Das gezielte Hinarbeiten auf eine Wendung setzt den Überraschungseffekt auf den Spiel. Nicht, dass dieser einen allzu hohen Stellenwert zugesprochen bekommen sollte, aber er geht einher mit konstruierten Elementen des Plots, die sich aus der radikalen Betonung von Unwahrscheinlichkeiten ergeben. Die Anerkennung, die sich der Film durch seine austarierte Erzählkunst über zwei Drittel hinweg verdient, büßt er schlussendlich zum Teil wieder ein. Der „Golem“ als Bildnis für die stumpfe Gewalt als ungelöstes Mysterium bleibt aber ein reizvolles Konzept, das in dieser klassisch, aber schwungvoll erzählten Geschichte über weite Strecken gut zur Geltung kommt.
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Shameless – Season 6
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Der Erfolg von Unterschichten-TV wird gerne dadurch erklärt, dass sich die Zuschauer bei dessen Konsum geistig und sozial überlegen fühlen (und nebenbei nach einem langen Arbeitstag nicht mehr geistig anstrengen wollen). Bei "Shameless" liegt die Sachlage anders: Die Serie bietet seit jeher einen Ausweg aus der Klammer des sozialen Gefängnisses, hinter dessen Gitterstäben man sich als Teil der "normalen" Gesellschaft wiederfindet. Was die Gallaghers anstellen, würde man selbst im Traum nicht in Erwägung ziehen; und doch schlängeln sie sich aus den Konsequenzen ihres haarsträubenden Handelns, das praktisch nur aus falschen Entscheidungen zu bestehen scheint, jedes Mal aufs Neue heraus - und leben somit ein trotz aller Probleme in gewisser Weise ungezwungenes Leben.

Die sechste Staffel rückt keinen Millimeter von diesem Erfolgsgeheimnis ab und fährt weiterhin gut damit. Weil die Figuren erwachsener werden, teilen sich die Handlungsstränge möglicherweise ein wenig mehr in Einzelabschnitte auf als früher, am Ende fließt jedoch alles zurück in das von Fiona (Emmy Rossum) zusammengehaltene Familienkonstrukt. Die Suche nach Stabilität bleibt für den im Herzen vernünftigen Teil der Gallaghers (Fiona, Lip, Ian, mit Abstrichen Debbie) stets spielbestimmend, doch ihre eigenen Charaktereigenschaften oder auch äußere Umstände (begünstigt allerdings durch das Milieu, in dem sie sich aufhalten) setzen sie immer wieder vor die Trümmer ihrer Anstrengungen.

Vielleicht ist das sechste Jahr bislang das ereignisreichste und vor allem jenes, das beim Zuschauer die meisten Aggressionen wegen dummer Entscheidungen der Figuren auslöst. Debbie wird dank ihrer unglaublichen Sturköpfigkeit beim Austragen einer Schwangerschaft somit regelrecht zur Hassfigur; auch Lip lebt mit seinem Good-Will-Hunting-Syndrom eine Phase durch, in der man ihm am liebsten links und rechts eine scheuern möchte. Und das sind nur zwei Beispiele einer Unmenge an völlig absurden Ereignisketten, zu denen unter anderem auch Hausversteigerungen, Knarrenverkäufe, brennende Nachbarn, eine Dreiecksbeziehung, ein Mordauftrag und das Leben in einer autonomen Hippie-Kommune (mit Gaststar XY) gehören; nicht zuletzt das Staffelfinale, das die Regeln typischer Heile-Welt-Sitcoms wie "How I Met Your Mother" aufgreift und ins Gegenteil verkehrt.

In anderen Serien ist die Anhäufung derart extremer Handlungsstränge stets ein Zeichen für schwindende Kreativität. Hier vielleicht auch, aber irgendwie funktioniert es trotzdem noch fast so gut wie in den ersten Staffeln. Schwer zu sagen warum.
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Boardwalk Empire - Season 5
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Der Abschied ist in der fünften Staffel von der ersten Minute an spürbar. Nicht nur, weil sie es mit ihren acht Episoden kurz und schmerzlos macht; vor allem, weil sie strukturiert ist wie ein langer Epilog.

De Autoren ziehen mit ihren Bleistiften inzwischen nur noch Kreise und suggerieren damit das Ende einer Ära. Anstatt die kurze Zeit zu nutzen, um die vielen Handlungsstränge zu einem sauberen Ende zu führen, ist jede der acht Folgen durchzogen von Flashbacks in die Kindheit und ins junge Erwachsenenalter von Nucky Thompson; so als hätten die vorangegangenen Jahre nicht längst gezeigt, wo die von Steve Buscemi zwischen Gebrechlichkeit, Intelligenz und Dominanz verortete Hauptfigur der Serie ihre Wurzeln hat. Im Grunde führen die Ausflüge in die Vergangenheit also zu wenig bis nichts; begeistert sein kann man allenfalls von Marc Pickering in der Rolle des jungen Nucky, der Buscemi dank kosmetischer Nachhilfe (die Zähne müssen Prothesen sein) verblüffend ähnlich sieht, viele seiner Manierismen perfekt nachstellt und doch seine eigene Interpretation der Rolle durchsetzt.

Die Gegenwart ist derweil davon geprägt, eine Stimmung des leisen Untergangs zu erzeugen, während die Prohibition auf ihr Ende zuläuft und der Alkohol niemanden mehr zu interessieren scheint. Die Clubs erscheinen verglichen mit den Anfangsjahren leer, die kleinen Fische im Haifischbecken sind längst nur noch Skelette auf dem Grund und die Großen beginnen sich gegenseitig aufzufressen. Einerseits hat das leise Abtreten großer Persönlichkeiten seinen Reiz, andererseits erscheinen die Wege dorthin ein wenig schreibfaul. Viele wichtige Figuren lassen die Autoren einfach blind in Sackgassen rennen und stumpfsinnig vor dem Lauf einer Pistole enden, die Geschichten anderer wichtiger Figuren wiederum werden bewusst nicht zu Ende erzählt. Zwei Episoden vor Schluss deutet sich so etwas wie eine große Aufräumaktion an, übrig bleibt aber nur ein Haufen Elend. Möglicherweise ein gerechtes Ende für eine Gangsterballade, allerdings eine solche, die mit wenig Gespür für Poesie zu Ende geführt wird.
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Weitere Sichtungen:
Doll-Man: Der Space-Cop
Vendetta
Dog Eat Dog
Atomic Blonde

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Beitrag von McClane » 05.03.2018, 07:26

Vince hat geschrieben:"Die Erfindung der Wahrheit" wird mancherorts schon als Meisterstück des Politthrillers gehandelt; ihn im Ganzen allerdings derart mit Lorbeeren zu beschmeißen, wäre bei weitem zu viel der Ehre.
Danke, ging mir ähnlich. Würd den zwar mit guten 7/10 bewerten und der hat teilweise nen netten Sorkin-Vibe (ohne dass Sorkin etwas mir dem Film zu tun hätte), aber warum der teilweise wie die Neuerfindung des Rads gefeiert wurde, hat sich mir auch nicht erschlossen.
Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]

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Beitrag von Vince » 03.04.2018, 09:45

The Eyes Of My Mother
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In einem Regiedebüt, das nicht einmal 80 Minuten andauert, überwindet Nicolas Pesce immense Perioden von Zeit. Anhand permanenter Verwendung von Transmissionen folgt eine Situation kausal auf die andere, irrelevante Zwischenereignisse sind kein Teil dieser Erzählung. Sie umfasst Schlüsselereignisse in einer Umgebung tröstlicher Stille; gesprochen wird kaum und die artifizielle Schwarzweiß-Architektur erzeugt eine tröstliche Neutralität (eine Indie- und Kunstfilm-Attitüde wird dem jungen Filmemacher somit unweigerlich unterstellt und vielleicht auch zum Vorwurf gemacht werden). Der Ort ist nicht völlig unbestimmt, weil er auf einen Landstrich in den USA eingeschränkt werden kann, er ist aber nur einer von vielen; ebenso ziert sich die Dimension der Zeit, ihren exakten Standpunkt zu präzisieren. Man nimmt sie überhaupt nur deswegen wahr, weil man sieht, wie die Hauptfigur vom unschuldigen Kind zum Monster heranwächst; einem solchen, das die Definition von Gut und Böse allerdings nicht kennt und somit nicht mit bösartiger Intention handelt, sondern einfach, weil bestimmte Kindheitserlebnisse sie auf ein solches Handeln konditioniert haben. Im ersten Akt erscheint es angesichts der verstörenden Ereignisse oftmals unlogisch, surreal bisweilen; im weiteren Verlauf gewinnen sie allerdings eine verstörende Schlüssigkeit.

Pesce öffnet damit thematische Fässer irgendwo zwischen Mnemonik und Epigenetik; inwiefern wird das Handeln durch vergangene Erlebnisse beeinflusst, welche Rolle spielt die Erinnerung als Transportmedium in diesem Zusammenhang, und mit Blick auf die in den Titel eingebrannte Metapher des Auges: Inwiefern können sich die Anlagen der Eltern auf das Erbgut der Kinder auswirken?

Die inhaltliche und auch ästhetische Marschrichtung führt schnell zu Vergleichen mit „Frankenstein“. Pesces Verdienst liegt darin, dessen Diskurse aus der Phantastik zu lösen und auf die menschliche Psychologie anzuwenden. Obgleich sein Film eher ein düsteres Drama ist als ein Horrorfilm, hat der Regisseur dessen Schwungkräfte durchaus verinnerlicht; so ergeben Bild und Ton nicht immer zwangsläufig eine stimmige Einheit, sondern behaupten mitunter Gegenteiliges. Die Kamera schöpft Suspense aus der Statik, sie verharrt nicht selten an einer Stelle, oftmals sogar aus weiter Distanz, um ein Gefühl der Machtlosigkeit zu erzeugen, wenn sich das Unvermeidliche zuträgt. Gerade weil man stets ahnt, was als nächstes geschieht, beobachtet man jeden Zug in einem gefesselten Zustand. „The Eyes Of My Mother“ kehrt die Passivität des Mediums Film heraus und instrumentalisiert sie geschickt zur Spannungserzeugung.

Seinen im Schlussakt konventionellen Ablauf kann man ihm daher auch kaum zum Vorwurf machen. Eher schon seine sperrige Art, die aus der Abstinenz von zwischenmenschlicher Wärme resultiert (hier verstört vor allem die abweisende Art des Vaters sowie die fehlgeschlagene Annäherung zwischen der Hauptfigur und einer japanischen Studentin); allerdings sorgt Pesce gerade mit ihr dafür, dass niemand seinen Film verlässt, ohne ihm in Gedanken noch nachzuhängen.
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El Perdido
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Mit "El Perdido" schuf Robert Aldrich einen Western mit zwei Gesichtern. Das eine führt einen charismatischen Kirk Douglas in der Hauptrolle, einen schelmisch grinsenden Draufgänger, den nicht einmal das unvorteilhafteste Kostüm entstellen kann. Mit ihm am Steuer kann das Road Movie durch die Weiten Amerikas jederzeit eine neue Wendung nehmen; für einen Drehbuchautoren wie Dalton Trumbo bieten sich dadurch grenzenlose Möglichkeiten. Speziell im Schlussakkord werden brisante Themen angeschnitten, die man in einem US-Western jener Zeit keineswegs erwarten würde. Hier wird der episch angelegten Linie eines vermeintlichen Edelwesterns sogar der Wagemut räudiger B-Western eingeflößt. Auch Aldrich trägt seinen Teil zu den Stärken des Films bei, er erfasst auf der Reise einige wunderschöne Landschaften, die in ihrer eigenen Getragenheit erst richtig aufblühen, kümmert sich aber auch intensiv um die Charakterzeichnung, indem er ein komplexes Geflecht einer über Generationen verteilten Liebesgeschichte mit dem Alltag und Überleben auf dem Land verknüpft. Für Abwechslung in dieser recht dialoglastigen Angelegenheit sorgt zudem eine rasant geschnittene Actionsequenz inmitten eines Sandsturms.

Dann ist da aber eben auch Rock Hudson, der sicherlich gerade als Kontrast zum abenteuerlustigen Douglas engagiert wurde, jedoch eher auftritt wie dessen blasser Schatten. Immerhin reicht es zu einem passiv angelegten Paragraphenreiter, der nicht nur den Umgang mit seinem Gefangenen, sondern auch die Liebe zu einer Sache des Besitz- und Verwaltungsanspruchs macht. Regelrecht als Erholung mag man sein stocknüchternes Schauspiel allerdings empfinden, wenn man gerade mal wieder Zeuge einer Szene voller Liebesgeturtel von Douglas Richtung Dorothy Malone wurde. Der sonst so unabhängig auftretende Antiheld wird in diesen Momenten regelrecht domestiziert. Herzschmerzpoesie zwingt man seinen Lippen seitens Dialogregie auf, törichte Offenbarungen seines Innersten - hätte es damals bereits rosarote Brillen gegeben, eine wäre immer griffbereit im Halfter gewesen.

Besser wird der Kitsch weder durch drei mexikanische Gitarristen, die den Treck als wandelndes Radio begleiten, noch durch die künstlichen Studiobauten, mit denen die beeindruckenden Außenpanoramen unschön durchbrochen werden (auch wenn sie heute einen nostalgischen Charme versprühen mögen). Dabei ist es ja gar nicht so, dass die Substanz unter den pomadigen Versen der Liebe eindampfen würde. Das Dreieck Douglas - Hudson - Malone hat eben auch durchaus interessante Subtexte zu bieten und klagt mit leisen Gesten sogar den Machismus klassischer Revolverhelden an. Komplexer wird das Geflecht sogar durch den Einbezug der Nebendarsteller Carol Lynley und Joseph Cotten. Damit könnte man fast schon bei den ganz großen Genre-Klassikern anknüpfen - würden sich diese starken Momente eben nicht die Spielzeit mit den aufgedunsenen Ausflügen in die Ultraromantik teilen, was "El Perdido" im Rückblick zu einem äußerst ambivalenten Erlebnis werden lässt.
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Prakti.com
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Prakti.sch, dass Shawn Levy über zwei sympathische Schluffis wie Owen Wilson und Vince Vaughn verfügen kann, denn anderweitig wäre der Unsympathen-Faktor seiner Google-Commercial in Spielfilmlänge wohl so unerträglich, dass sich Bing und Yahoo demnächst über massive Zuläufe freuen dürften.

Um solche Bewegungen freizusetzen, fehlt einer Baukasten-Klamotte wie „Prakti.com“ aber selbstverständlich die Relevanz. Mit zwei arbeitslosen Trotteln, unzufriedenen Ehefrauen, tyrannischen Tutoren und freakigen Unternehmensgründern lassen sich die Schwächen oberflächlicher US-Comedy eher entlarven als Business-Mechanismen, ein simples Gemüt eher demonstrieren als Querdenkerei. Wilson und Vaughn bei der Logfile-Analyse über die Bedeutung des Wortes „Bug“ zu „Die Fliege“ und David Goldblum zu führen ist nicht halb so witzig wie geplant; einen glatzköpfigen Rollstuhlfahrer als Professor Charles Xavier zu entlarven ebensowenig. Bunte Google-Mützen mit Windrädchen sehen auf den Altherrenköpfen sicherlich noch bekloppter auf als auf jungen Erfindergeistern, haben deswegen aber noch längst nichts mit Humor zu tun. Und wenn Praktikant Wilson einer Karrierefrau aus dem Konzern schöne Augen macht und diese sich ziert, ödet die Vorhersehbarkeit des Ausgangs an wie eine alte Leier, die man jeden Tag zu hören bekommt; gleiches gilt für das Zusammenraufen der Außenseitergruppe und den Sieg des Unangepassten gegenüber Stromlinienförmigkeit und Effizienz. Dass die Marke Google im Film eben für jene Vielseitigkeit steht, lässt es als modernes, hippes Unternehmen dastehen, das sich ganz Amerika als Arbeitgeber wünscht. „Prakti.com“ wird somit zur Stellenausschreibung, das sich die Mechanismen der seichten Komödie zu eigen macht, um potenzielle Mitarbeiter zu rekrutieren. Ob das noch Film ist oder schon Werbung, ist schwer zu sagen. Sagen kann man aber: Besonders amüsant ist das nicht.
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Sherlock Holmes: Juwelenraub
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Tatort Zugabteil. Ob man nun mit dem maritimen Setting des direkten Vorgängers so zufrieden war, dass man wieder unbedingt auf abgegrenztem Raum drehen musste, oder ob man mit der Zugfahrt einfach Murder-Mystery-Konventionen einhalten wollte, lässt sich schwer sagen; zumindest hat sich die „Gefährliche Mission“ auf hoher See nicht gerade als hochwertige Schablone für den „Juwelenraub“ auf Eisenbahnschienen empfohlen. Dennoch verschlägt es das routinierte Duo Rathbone / Bruce erneut auf engen Raum, den es mit Mordopfern, einem wertvollen Objekt der Begierde und unzähligen Verdächtigen zu teilen gilt.

Für klassische Railway-Krimis der Marke „Eine Dame verschwindet“ im Grunde ebenso typisch wie für die Sherlock-Holmes-Reihe an sich, wird „Juwelenraub“ nur durch sein einstündiges Format, die starke Präsenz des ermittelnden Duos und deren bewährte Logik der Deduktion an einer freieren Entfaltung gehindert. Denn die Mittel sind grundsätzlich alle vorhanden: In jedem Abteil sitzt ein mysteriöser Verdächtiger und Außenansichten des fahrenden Zugs vermitteln ein Countdown-Gefühl, das Wendungen im Sekundentakt verspricht. Gegenüber der trägen Seefahrt ist das zumindest schon mal ein Vorteil in Sachen Beschleunigung, auch wenn Nigel Bruce seinen Watson wieder slapstickhaft durch Drehbuchellipsen lenkt, die ihn letztlich wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren lassen, ohne mehr aus dem Exkurs mitzunehmen als einen billigen Lacher.

Der sorgfältigen Modellierung der unzähligen Nebenfiguren allerdings schadet das Gehetze, ebenso wie dem stolzen Genie des Meisterdetektivs. Holmes hat kaum Zeit, überhaupt seinen finalen Coup in aller Ausführlichkeit darzulegen, wie soll er dann im Mittelteil sichtbar für den Zuschauer irgendwelche Schlüsse ziehen?

Mit der fehlenden Darlegung der Schlussfolgerungen werden aber ohnehin nur selbstzweckhafte Wendungen kaschiert, die den Zuschauer günstig an der Nase herumführen. Hohes Tempo entschädigt eben nicht angemessen für schwungvolles Erzählen, das galt damals ebenso wie heute...
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Sherlock Holmes: Jagd auf Spieldosen
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Zum vierzehnten und letzten Mal also schlüpfen Basil Rathbone und Nigel Bruce in ihre angestammten Rollen des Detektivs Sherlock Holmes und seines Partners Dr. John Watson und es scheint so, als habe das Ende der Serie während der Dreharbeiten bereits festgestanden oder sich zumindest angekündigt. Roy William Neil, der alle Teile seit „Die Geheimwaffe“ (Teil 4, 1943) inszenierte, starb noch im gleichen Jahr; zugleich strebte Rathbone nach anderen Projekten, um zu verhindern, dass man seinen Namen nur noch als Synonym für jenen Holmes' sehen würde.

Und so beginnt Watson bereits, Vorbereitungen zu treffen, um seine Memoiren und die seines alten Freundes in abenteuerliche Geschichten zu fassen, als doch noch ein letzter Fall in ihr Büro getragen wird. Dieser bedeutet gegenüber den fragwürdigen letzten Fällen des ermittelnden Duos immerhin eine Steigerung, auch wenn zu diesem Zeitpunkt keine spektakulären Veränderungen mehr zu erwarten sind. Die im deutschen Titel referenzierten Spieldosen stellen einen klassischen McGuffin dar, der Holmes' ableitende Logik auf ideale Weise in Szene setzt. Anstatt sie wie zuletzt wie ein ausgeleiertes Gimmick in luftleeren Raum zu platzieren, wird sie geschickterweise auf die akustische Ebene angewandt: Holmes, der sich in mehreren Gelegenheiten als musikalisch äußerst geschickt entpuppt, kommt der Lösung des Falls diesmal durch die Analyse von Tonleitern näher, was nicht nur den Hauptdarsteller mit einem neuen Gebiet konfrontiert, sondern auch die Reihe ein wenig von dem Generalverdacht befreit, jedes Mal aufs Neue nur den gleichen Trott zu bieten.

Zur besonderen Qualität des Drehbuchs von Frank Gruber und Leonard Lee gehört es, dass die Fakten in der Ausgangssituation sehr simpel wirken, jedoch bald in einen Fall münden, der sich verschachtelter zeigt als gedacht – ohne dass das Publikum dabei den Faden verlöre. Watson bleibt zwar auch im letzten Auftritt nur ein Stichwortgeber, trägt aber diesmal wenigstens wieder indirekt zur Auflösung des Rätsels bei, was verglichen mit seiner jüngsten Fettnäpfchentreterei einen echten Fortschritt darstellt.

Damit erreicht man zwar längst nicht die Großtaten der Reihe, die vermehrt in der mittleren Phase zu finden sind, ein versöhnlicher Abschluss ist aber gegeben für eine Reihe, die das Bild der klassischen Arthur-Conan-Doyle-Figur vielleicht mehr geprägt hat als jede spätere ihrer Inkarnationen.
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Psycho Raman
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Auch wenn "Psycho Raman" nicht ganz das ist, was er sich zu sein erhofft, so erweist sich der indische Thriller doch als ein hochgradig spannendes Untersuchungsobjekt im Spannungsfeld zwischen dem amerikanischen und indischen Kino. Letzteres wird im Westen breitflächig nur als Katalysator zum Ausleben positiver Gefühle über das klassische „Bollywood“ wahrgenommen. Niemand, so heißt es, feiert das Leben so sehr wie die Inder mit ihren bunten Kleidern und dem schwungvollen Tanz zu orientalischer Folklore. Drängt nun also stattdessen das Portrait eines Psychopathen auf den internationalen Markt, steht die Annahme im Raum, die Artenvielfalt des indischen Kinos solle unter Beweis gestellt werden. 2.0, das bezieht sich inhaltlich auf den Umstand, dass "Psycho Raman" nicht die wahre Geschichte eines Serienkillers im Bombay der 60er Jahre erzählt, sondern die fiktionale Geschichte eines Nachahmers in der Gegenwart. Es steht aber auch für die angepeilte Neuwahrnehmung einer Branche, die ihre alten Markenzeichen nun mit modernen Zutaten anreichert, um sein Publikum zu vergrößern.

Anstatt schwereloser Paarungstänze gibt es ergo zum Einstieg Hard Trance in einer Disco auf die Nuss, und man fühlt sich sogleich an überstilisierte amerikanische Milieustreifen von "Scarface" bis "Collateral" erinnert. Die audiovisuellen Eindrücke nehmen unter Anurag Kashyaps Regie einen großen Raum ein; speziell der Soundtrack pendelt zwischen den Extremen und versucht sich an einer neuen (digitalen) Interpretation des Begriffs "Weltmusik"; auch optisch werden die überladenen Handels- und Wohnstraßen der Großstadt nicht in dem erdig-lehmigen Ton präsentiert, den man aus Dokumentationen über das Land kennt, sondern mit den harten Farbkontrasten und dem Grit des Neo(n)-Noir. Die Kapitelstrukturierung mit comicartiger Typografie tut ihr Übriges, um dem internationalen Markt zu gefallen.

Doch auch die Charakterzeichnung gesellt sich zu dieser nach Offenheit strebenden Ausrichtung, erinnert bei der Annäherung der beiden Hauptfiguren, die auf entgegengesetzten Seiten stehen und sich doch so ähnlich sind, frappierend an "Heat". Ohne blutrünstig zu sein, wird mit Gewaltdarstellungen oder deren Andeutungen nicht gegeizt. Gerade Nawazuddin Siddiqui spielt sich als empathieloser Killer in einen regelrechten Rausch der Emotionslosigkeit, ähnelt tatsächlich zunehmend eher einem Monster als einem Menschen. Doch auch auf der anderen Seite mit Vicky Kaushal häufen sich tragische Entwicklungen, mit jenen des Monsters verknüpft durch das unsichtbare Band der Parallelmontage, die beide Entwicklungen in eine direkte Abhängigkeit zueinander setzt.

Zwischen den Zeilen erzählt "Psycho Raman", oft womöglich unterbewusst, von seinem Land und der Gesellschaft. Eine gegenüber westlichen Gesellschaften immer noch passivere Rolle der Frau ist nach wie vor erkennbar; thematisiert wird sie kaum oder jedenfalls unzureichend direkt. Gleiches ließe sich über die illustrierte Armut behaupten. Der auf Hochglanz polierten Oberfläche treiben diese unbehandelten Zustände Risse in den Lack. Sie lassen den Style-Over-Substance-Thriller vordergründig betrachtet unvollkommen erscheinen. In Wirklichkeit machen sie ihn erst gerade interessant.
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Raising Cain
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Kaum hat man die Szenerie von "Raising Cain" betreten, fühlt sich bereits alles irreal und beklemmend an. Es ist nur ein harmloser Laden, den man mit der Hauptdarstellerin und ihrem Ehemann betritt, aber die Stimme aus einem Fernseher dringt verschwommen wie in einem Traum ans Ohr, Weichzeichner lassen die Konturen einer Hochglanz-Marmortheke in einer Ansammlung schillernder Prismen verschwinden und die Gesichter zweier Darsteller in einem ohnehin bereits unangenehmen Dialog werden in penetranten Close-Ups studiert, so unerträglich lange, dass man selbst die Position von einem der beiden Gesprächspartner einzunehmen scheint, immer noch betäubt davon, wie falsch und inszeniert alles wirkt.

Auch "Raising Cain" ist also wieder ein typischer Psychothriller der Marke De Palma, der versucht, mit effekthascherischen Stilmitteln unter die Hirnrinde zu kriechen und dabei nicht im Traum daran denkt, jemals wieder daraus hervorzukommen. Nicht nur die omnipräsente Hitchcock-Affinität, die man ihm stets unterstellt, auch die Beharrlichkeit in seinem Vorgehen lässt ihn zum Besessenen werden, der Bild und Ton mit Drastik einsetzt, um Dinge zu unterstreichen und vor allem bestimmte Situationen permanent im Unterbewusstsein zu verankern.

So arrangiert er den Blick auf einen Kinderspielplatz wie ein Karussell, das sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht und nur noch schemenhafte Umrisse der Umwelt abbildet, in der sich zeitgleich Dinge ereignen, die für den Plot von zentraler Bedeutung sind. De Palma frönt ungehemmt seiner Vorliebe für Trugbilder, nutzt das im Grunde bereits durch Cronenberg & Co. abgetragene Motiv des Zwillings mit einem Enthusiasmus, den man anfangs vermutlich eher nicht teilt, der aber ansteckt wie eine gähnende Person. Schlüsselorte werden mehrfach besucht, immer aus einer anderen Blickwinkel; keiner von ihnen kann so etwas wie dokumentarische Objektivität für sich beanspruchen. Je stärker John Lithgow in einer seiner vielen Rollen involviert ist, desto verrückter werden die Perspektiven; von Schrägoben bis Extrem-Aufsicht ist alles dabei, beinahe schon könnte man sagen, Lithgow tänzelt mitten in die wunderbare Welt des Terry Gilliam, ohne dass De Palma ganz dessen Exzess in Sachen Ausstattung erreichen würde. Wo Lolita Davidovich involviert ist, wird es wiederum auf eine andere Art paranoid; Schemen im Hintergrund, verräterische, schnelle Bewegungen wie in einem klassischen Thriller der bodenständigen Art nahezu, würde Lithgow mit seinen tausend Gesichtern vom perfekten Familienvater über die coole Socke mit Sonnenbrille bis zum Mad Scientist und Transvestiten nicht immer wieder eine herrliche Farce machen aus dem eigentlich doch eher dem Horror als der Komödie zugehörigen Gefühl des Verfolgungswahns.

So ganz bei Trost ist aber ohnehin der gesamte Film nicht. De Palma intoniert derart grell, dass man die Virtuosität brillanter Einzelmomente wie mit dickem Neonmarker umkreist empfindet, der Unzulänglichkeiten verbergen soll und das finale Werk folglich wie eine große Scharade dastehen lässt, ein Schattenspiel vielleicht, das "Psycho" und "Wenn die Gondeln Trauer tragen" zu einer einzigen verkrüppelten Kreatur deformiert. "Raising Cain" ist dadurch aber nicht einfach nur der misslungene Versuch des Regisseurs einer an sich selbst vorgenommenen Therapiesitzung (beziehungsweise einer Selbstanalyse seiner cineastischen Obsessionen), sondern eben auch ein fabelhaftes Guilty Pleasure, das ungefragt seine Abdrücke in der Erinnerung lässt. Denn von De Palmas Psychothrillern bewahrt man am besten nur die kunst- wie lustvoll gesteigerten Klimaxe auf. Das Drumherum gilt als Verpackung und wird nicht mitgegessen.
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Witchtrap
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Eine nicht ganz zu Unrecht fast vergessene 80er-Videotheken-Version von "Insidious", ausgestattet mit den Hupen von Linnea Quigley, einem verhexten Anwesen, gleich zwei Medien (oder auch: Geisterjäger), den Hupen von Linnea Quigley, Panik, Blut und den Hupen von Linnea Quigley. Für mehr Erwähnenswertes reicht es nicht, richtet sich die vom Geist eines Hexers terrorisierte Gruppe doch so stromlinienförmig nach den Regeln des Genres wie der Steuerprüfer nach dem Formular. Dabei steigt der Prolog doch tollkühn gerade da ein, wo ein Haunted-House-Klassiker wie "Burnt Offerings" schon endete, verrät aber mit Dilettanten-Schnitt zur Verschleierung billiger Spezialeffekte bereits vorab, was man vom Hauptakt erwarten kann. Zwar werden ein paar platzende Köpfe und andere Spezialitäten für die Blutgeier aufgefahren, nichts aber, das man nicht als billige Kopie der Großmeister ansehen müsste. Und so lebt "Witchtrap" heute ausschließlich von seinem spröden VHS-Flair, das sich insbesondere in den langen Action-Pausen ausbreitet wie lästiger Gilb. Schade um die Hupen von Linnea Quigley.
:liquid4:

Dealer
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Nur 75 Minuten Laufzeit, aber gequatscht wird mehr als in jedem Drei-Stunden-Gangster-Epos gefüllt mit gestikulierenden Mafiosi. Noch während die Hauptfigur im Off-Kommentar ohne Punkt und Komma ihre obszöne Straßenphilosophie abfeuert, quatscht sie sich selbst live im Bild dazwischen, wird von ebenso geselligen Quarktaschen unterbrochen, kontert wieder und animiert den Off-Kommentar dazu, das Ganze folglich wieder zu kommentieren. Die Maximen des Kommunikationswissenschaftlers Grice werden regelrecht mit Füßen getreten, hoch lebe das Zeitalter ungefilterter Informationsflut. Es findet offenbar nicht nur im Internet statt, sondern auch in den dreckigen Seitenstraßen von Paris.

Abgeleitet ist all das natürlich von Referenzen wie "Lock, Stock & Two Smoking Barrels" oder "Pusher". Einen so einfachen Plot wie das Wiederbeschaffen eines fünfstelligen Geldbetrags dermaßen zu zerreden, mit epileptischen Schnitten zu segmentieren und pulsierendem Krach zu betäuben, wird gerne mal als Kunst für sich missverstanden, so auch hier.
Wenn allerdings sogar die eingeblendeten Handy-Displays aus dem vergangenen Jahrzehnt stammen, wird deutlich, wie irrelevant und abgedroschen die Instrumente sind, derer sich Jean-Luc Herbulot bedient. Gangsterbosse blumige Metaphern schwingen zu lassen, hat per se schon etwas Nachäffendes an sich, dann aber auch noch mit der Konsistenz eines französischen Gebäckstücks anzukommen, lässt sogar ganz konkret darauf schließen, dass man sich zur Vorbereitung für das Drehbuch die Cremeteilchen-Szene aus "Inglourious Basterds" angesehen hat.

Folgerichtig versucht "Dealer" dann auch mehr durch explizite Grausamkeiten zu punkten, setzt harte, schnelle Folter- und Geiselszenen ein, um Verzweiflung und Entschlossenheit innerhalb des Milieus darzustellen, verwendet Sex und Gewalt nicht zuletzt auch selbstzweckhaft, um zu beeindrucken. Hauptdarsteller XY kämpft sich wie ein Chev Chelios mit tickender Armbanduhr durch diesen Dschungel aus Waffen, Koks und Geld, dauerhaft betäubt vom inhaltslosen Gequassel seiner Interaktionspartner und von sich selbst. Welche Wege er nun genau im Rennen gegen die Zeit nimmt, lässt sich wegen der ruhelosen Wackelkamera schwer sagen; fest steht nur, der Weg wurde bereits oft gerannt. Und selten kam etwas Vernünftiges dabei heraus.
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The Visitor
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Wenn uns der Prolog durch ein Dimensionstor auf eine andere Bewusstseinsebene führt, wissen wir normalerweise, wir haben es mit reinstem Eskapismus in Form von Fantasy oder Science Fiction zu tun. Das Bild teilt sich für die Eröffnung von "The Visitor" horizontal in grelles Orange und Azurblau; eine Kugel, augenscheinlich eine Sonne (nicht zwangsläufig unsere), taucht auf und zerteilt die Linie in der Mitte. Der Kamera den Rücken zugewandt steht die Silhouette eines Kuttenträgers im Bild, der beinahe ein Jedi sein könnte. Ein zweites Wesen nähert sich ihm, das Gesicht ebenfalls von einer Kutte verdeckt, bis diese vom Wind weggeweht wird und eine bröckelige Fratze mit funkelnden Augen entblößt. Ein heftiger Schneesturm zieht auf, die Gestalt verschwindet wieder.

Man würde nun Weltraumkitsch der Marke "Flash Gordon" erwarten oder auch Fantasy-Barbarentrash nach Luigi-Cozzi-Machart, doch Giulio Paradisi hat seine ganz eigenen, für Außenstehende wahrlich unlesbaren Pläne. Was folgt, ist nämlich eine krude Mischung aus "Der Exorzist II", "Omen II" und "Teufelskreis Alpha", die sich, man ahnt es anhand der Zusammenstellung der Referenzen, um das kindliche Erwachen dunkler Mächte dreht.

Man möchte "The Visitor" aufgrund seiner Anlage am ehesten ins Fahrwasser der Exorzismus-Welle verweisen, zumal die junge Hauptdarstellerin mit ihren glasig funkelnden Augen und ihrem unschuldigen Lächeln der diabolischen Ausstrahlung von Linda Blair in "Der Exorzist" und dessen Fortsetzung recht nahe kommt. Eher ungewöhnlich ist es für ein Rip-Off allerdings, beim Kopiervorgang derart unfokussiert zu Werke zu gehen. Immer wieder wird von der Vorlage abgelassen und anderen Inspirationen nachgejagt, so als sei ein Exorzist alleine eben nicht genug. Überambitioniert zeigt sich der Horrorthriller vor allem in Sachen Set- und Sounddesign: Mit Vorliebe arrangiert Paradisi aufwändige Katastrophensequenzen, die sich auch gerne am hellichten Tag in der Öffentlichkeit ereignen. So explodiert schon nach wenigen Filmminuten in einer prall gefüllten Basketballarena ein Korb und ein Ermittler wird von einem Raubvogel im Auto von der Straße gedrängt und in einer ferngesteuerten Kausalabfolge von Unglücken zum Tode durch Feuer verurteilt. Der harte Schnitt leiht sich so manches bei Hitchcock, anderes wiederum beim Giallo, während Komponist Franco Micalizzi das Treiben intoniert wie einen Weltuntergang, begleitet vom ohrenbetäubenden Zirpen der Vögel, die der Regisseur wiederum wie fliegende Symbole immer wieder in seine furios dirigierten Ereignisketten einbaut. Selbst die Ruhephasen sind nicht minder absurd, von Lance Henriksen als Teil einer dunklen Verschwörung bis Franco Nero als Jesus tragen sie entschieden zur Verwirrung bei.

Die Unfähigkeit, sich auf eine rote Linie einzulassen und auf eine Vision zu beschränken, lässt "The Visitor" letztlich auch nach B-Movie-Maßstäben scheitern. Sie sorgt für energisches Kopfschütteln bei jedem, der Spuren einer konsistenten Geschichte sucht. Gerade dadurch entsteht allerdings auch für ein einmaliger Zusammenschnitt von Szenen, die man in dieser Form normalerweise niemals in einem einzelnen Film sehen würde. Auch wenn die Stilmittel in Sachen Montage und Soundtrack manches Mal zu schrill ausfallen, so manch spektakuläre Sequenz kann man "The Visitor" nicht in Abrede stellen.
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Teufelskreis Alpha (The Fury)
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Wer ohne mit der Wimper zu zucken Elemente eines paranoiden Agentenkrimis mit jenen eines übernatürlichen Psychothrillers in einer Parallelhandlung verknüpft, der beweist zweierlei: Dass ihm eine große Fallhöhe nicht viel auszumachen scheint. Und dass die Neugier nach merkwürdigen Genre-Cocktails höher ist als die Furcht vor dem Scheitern.

Und wie so viele von De Palmas interessantesten Werken ist eben auch „The Fury“ eines seiner gescheiterten. Als Kirk Douglas im Prolog seinen sehnigen, von unzähligen Abenteuern gezeichneten Körper aus dem Meer zieht, betritt er ein Set wie aus einem Bond-Film. Ein völlig ungewöhnliches Szenario für den Regisseur, der aber nicht lange damit fackelt, es sich zu eigen zu machen. Die kurz gezeichnete Vater-Sohn-Idylle wird schon bald mit bewährten Trümpfen des Unterhaltungskinos in Form von Feuerbällen und Schussgefechten zerstört. Dass diese zugleich auch als Ablenkungsmanöver bzw. Taschenspielertricks taugen, macht er sich für seine Zwecke zu eigen und stellt bereits innerhalb der actiongeladenen, jedoch nach Grundsätzen des New-Hollywood-Kinos noch bodenständigen Einführung klar, wo seine Interessen tatsächlich verteilt sind.

Den höchsten Preis für den offenen Umgang mit vermeintlich unvereinbaren Inhalten zahlt De Palma im Mittelteil, solange sich die Wege von Douglas und seiner Co-Darstellerin Amy Irving noch nicht gekreuzt haben. In diesem Zeitraum fühlt sich die Sichtung von „The Fury“ schizophren an, so, als sei ein imaginärer Sitznachbar Herr über die Fernbedienung und könne sich nicht entscheiden, ob er nun lieber auf einen paranoiden 70er-Thriller von Alan Pakula schalten soll oder ob ihn nicht doch eher der paranormale Coming-Of-Age-Streifen interessiert, der auf dem anderen Programm läuft. Die Grundlagen sind in beiden Fällen in De Palmas DNA verankert. Einen Grundstein hatte er erst zwei Jahre zuvor mit „Carrie“ gelegt, die andere Spur würde er in den 80ern vor allem mit „Scarface“ und „Untouchables“ noch weiter verfolgen.

Das Erzählerische gelangt jedenfalls über lange Zeit nicht zu einem gemeinsamen Nenner; also wird die leere Fläche mit filmischen Experimenten gefüllt. Obgleich sich die Form diesmal nicht mit allerletzter Konsequenz vor den Inhalt drängt, ist „The Fury“ doch reich an extravaganten Schnittfolgen, Perspektiven und Bildschichtungen, das Highlight vielleicht eine Rückprojektion, bei der die Hauptdarstellerin, während sie auf einer unsichtbaren Drehplattform synchron zum Schwenk der Kamera zum gescannten 3D-Modell objektifiziert wird, selbst zur Zuschauerin wird, während sich der Bildhintergrund in eine überdimensionale Leinwand verwandelt, auf der verborgene Geheimnisse gelüftet werden – all das ausgelöst durch eine zarte Handberührung, die eine regelrechte Explosion von Sinneseindrücken nach sich zieht und ein kleines Puzzleteil der Handlung mit krachendem Klick-Geräusch einfügt. Kino, wie es schriller, aber eben auch sinnlicher kaum sein könnte.

So wie die Handlungsebenen sich schließlich verbinden, wird dem Hauptdarsteller-Duo dann auch endlich etwas Zusammenspiel gewährt. Aus emotionaler Perspektive ein notwendiger Schritt, der spät, aber gerade noch rechtzeitig auf das furiose Finale vorbereitet, in dem Unschuld mit Terror besudelt wird, die Gesetze der Physik mit telekinetischen Phänomenen und ein in weiße Stoffe getauchtes Erholungszimmer mit einem letzten Knalleffekt aus der Effektekiste. Eine finale Metapher für die vielen kleinen Bomben, die De Palma stets aufs Neue zündet, ohne zu wissen, ob sie ihm schaden oder nutzen.
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Dampfnudelblues
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Anders als bei diversen Ottfried-Fischer-TV-Krimis wäre es durchaus denkbar, dass sich ein „Dampfnudelblues“ auch an ein ausländisches Publikum vermitteln ließe. Obwohl dem Genre nach ins Gebiet der klassischen Regionalkrimis zu verorten, werden die Eigenarten bavarischer Gemeindekultur in Ed Herzogs erster Verfilmung eines Romans aus Rita Falks Eberhofer-Serie weniger als Lebensgefühl gefeiert als vielmehr exponiert. Erscheint beispielsweise der karge Ortseingang der fiktiven München-Landshut-Zwischenhölle „Niederkaltenkirchen“ im Bild, so wird damit kein Heimatgefühl freigesetzt, sondern etwas Urdeutsches liebevoll demontiert. Leere Straßen und Plätze bestimmen das Landschaftsbild, in Form gehalten durch Recht und Ordnung, so dass jede Spur von Anarchie gellend ins Auge fällt. Ein „Stirb du Sau“-Graffiti wäre in dreckigen Berliner Bahnhofsvierteln oder im westdeutschen Kohlenpott nur eine Schmiererei von vielen, am Haus eines bayerischen Schulrektors ist es eine blinkende Reklametafel.

Dass der reflektierende Blick auf die Provinz von innen heraus kommt, wird jedoch anhand der Hauptfigur sichtbar. Sebastian Bezzel macht nicht nur einen großartigen Job dabei, den tumben Dorfpolizisten zu mimen, der ebenso wie Fleischer, Kommissar oder Hendl-Verkäuferin eindeutig Produkt seiner Umwelt ist. Gleichzeitig gelingt es ihm doch mit glasigem Blick zu erkennen, zu welch obskuren Auswüchsen die völkische Provinzkultur fähig ist, von der er umgeben ist – wissend, dass er ihr nicht entrinnen kann.

Als Resultat dieser Einstellung nimmt „Dampfnudelblues“ einen herrlich resignativen Charakter an, der die Relevanz jedweder Art des Handelns in Frage stellt und seine Hauptfigur wie im Tagtraum durch einen Kriminalfall stolpern lässt, der nicht nur einen Mord beinhaltet, sondern auch betrunkene Fußballer, italienische Liebhaber und Hanfanbau im elterlichen Vorgarten. Eine besondere Stellung nimmt, wie der Titel schon verrät, die deutsche Küche ein. Im Ausland (und städtisch geprägten Inland) wird ihr als schwere Hausmannskost zutiefst misstraut, also werden Franz Eberhofer und sein Sidekick Simon Schwarz mit allerhand bunten Speisen versorgt, die den Vorwurf der schweren Küche zwar nicht widerlegen können, ihn aber mit einer nicht für möglich gehaltenen Vielfalt schmücken, die mutmaßlich in den Fortsetzungen noch ausgebaut werden dürfte.

All das macht „Dampfnudelblues“ zu einer mächtig unterhaltsamen Kriminalkomödie, die sich auch wunderbar außerhalb von Bayern goutieren lässt. Ed Herzogs biedere Regie bildet in diesem Fall keinen Makel an sich, unterstützt er doch die bizarren Impressionen eines Ortes im Niemandsland, der mit einem sehr oft ins Bild gerückten Kreisverkehr bestens umschrieben ist. Nur in wenigen Fällen wird zu sehr über die Stränge geschlagen und der beschauliche Ton verfehlt – noch nicht oft genug, um sich störend auszuwirken. Bleibt zu hoffen, dass sich dieser Anteil in den Fortsetzungen nicht erhöht, nur um das Publikum bei Laune zu halten.
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Demonic Toys
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Wer sagt denn da noch, dass nur Kinder gerne spielen? Hat ein Erwachsener die Wahl zwischen einem Lagerhallen-dtv-Feature ohne mörderisches Spielzeug und einem Lagerhallen-dtv-Feature mit mörderischem Spielzeug, so steht die Chance recht gut, dass er sich für letztere Variante entscheidet. Der für den Videomarkt gedachten Full-Moon-Produktion „Demonic Toys“ verleiht die „Augsbluter Puppenkiste“ jedenfalls kräftig Farbe, denn ohne die abgefuckte Suicide Squad im Miniaturformat stünde die ganze Chose um einen missglückten Waffendeal ganz schön nackt da.

Dank eines Springteufel-Clowns, eines Laser-Roboters, einer Oopsy-Daisy-Puppe und eines Wer-Bärs stellt sich die Frage aber nicht. Die Referenzen lesen sich leicht: Nr. 1 vereint das Beste der Welten aus „ES“ (1990) und „Killer Klowns From Outer Space“ (1988), Nr. 2 wäre auch für einen Wachgang in Jim Wynorskis „Chopping Mall“ (1986) geeignet, Nr. 3 verzieht die Gesichtszüge so hässlich wie „Chucky“ (1988) und ein Verwandter von Nr. 4 hat schon in Stuart Gordons „Dolls“ (1987) gewütet. Dazu gibt’s den 11-jährigen Daniel Cerny als ultrafiesen Strippenzieher mit dem äußeren Erscheinungsbild eines Kindes, aber der Stimme und Mimik eines Erwachsenen. Er materialisiert sich aus dem Nichts und verformt die Welt nach eigenem Gutdünken wie Freddy aus „Nightmare on Elm Street“ (1984) und macht die 80er-Parade damit perfekt.

Das Spiel mit Größenverhältnissen konnte die Charles-Band-Company ein Jahr zuvor bereits mit der „Dollman“-Verfilmung austesten, hier kommen einige Effektverfahren deutlich sichtbar wieder zum Zuge, wenn beispielsweise eine der Figuren von dem Kinderdämon in ein Puppenhaus gezogen wird. Hinzu gesellen sich denkbar schrille On-Set-Effekte, die im Grunde den gesamten Spaß ausmachen. Was die besessenen Fabrikpuppen mit ihren Gästen anstellen, ist ähnlich schwarzhumorig, aber beinahe noch einen Tacken hinterhältiger als Chucky, Freddy und Konsorten; Kristine Rose sorgt dann in einem Sekunden-Auftritt als „Miss July“ noch für die zwei Kirschen auf der Sahne.

Man ist aufgrund dieser unterhaltsamen Zutaten zweifellos geneigt, von einem der besseren Full-Moon-Produkte zu sprechen. Der Rest vom Fest entspricht aber dann doch dem mäßig aufregenden Standard der Produktionsfirma. Graue Lagerhallen voller Kisten sind eben nicht besonders sexy und die verfügbare Bandbreite an Monsterpuppen aus der zweiten Garde wird spürbar mit Handantrieb und anderen billigen Tricks gestreckt. Das Konzept einer Gruppe verhältnismäßig harter Typen, die sich auf begrenztem Raum gegen einen übernatürlichen Gegner wehren müssen, würde man zwei Jahre später mit „Lurking Fear“ weiter ausleuchten, hier spielt die Konstellation eine eher geringe Rolle, solange der Zwergenstaat reichlich zu beißen hat.

Insgesamt wegen des „Who is Who“ aus dem Sandkasten vom Kinderspielplatz um die Ecke schwer unterhaltsam. Man darf eben nur nicht über die Trickeffekte hinaus denken, denn sonst wird’s recht öde.
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Versunkene Welt
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Hier werden keine Mühen gescheut, die zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alte Erstverfilmung in jeder Beziehung alt aussehen zu lassen: Knallige Farben, wohin das Auge sieht, exotische Pflanzen, spektakuläre Höhlenbauten, halbnackte Eingeborenen-Schönheiten und ein Expeditionsteam, so schrill und angriffslustig, dass zwangsläufig alle fünf Minuten Zoff auf dem Plan steht.

Alles Augenwischerei im Endeffekt, die nicht einmal besonders schwer zu durchschauen ist. Das Original von 1925 ist heute, fast 100 Jahre später ein immer noch ganz erstaunlicher Vertreter des Abenteuerfilms, nicht zuletzt wegen der fantastischen Trickeffekte von Willis O'Brien, die nach wie vor für offene Münder sorgen, nicht weniger als O'Briens anschließende Arbeit für „King Kong und die weiße Frau“. Gerade in diesem so wichtigen Punkt enttäuscht das Remake nicht nur mit Dino-Armut, sondern praktisch deren Abwesenheit. Die Verwendung der sogenannten „Slurpasaur“-Technik, bei welcher echte Tiere per Rückprojektion zu Filmmonstern umfunktioniert werden, verhindert das Wiedersehen mit den Urzeitkreaturen, die man sich von einem solchen Film erhofft. Klammert man mal den Tierschutzaspekt aus, mag eine aufgeblasene Eidechse, Spinne oder Ameise vielleicht einem Monsterfilm der Kategorie Mad Science oder Atomenergie dienlich sein, wohl kaum aber einem Stoff, der behauptet, ein Abenteuer auf einer Insel voller ausgestorbener Kreaturen bieten zu wollen. Zwar gelingt die Montage der Darsteller mit den Tieren in den meisten Fällen überraschend gut und die natürlichen Bewegungen der verwendeten Echsen und Krokodile stellen natürlich einen Vorteil gegenüber der stets mit dem Uncanney-Valley-Effekt kämpfenden Stop-Motion-Technik dar. Hinzu gesellt sich das relativ gelungene Sounddesign, das bei der Erfindung der Kampfschreie der Ungetüme reichlich Kreativität walten lässt. Durch die Vertrautheit mit dem Anblick der Tiere entsteht allerdings im Umkehrschluss eine ganz andere Variante des Uncanney Valley, die letztlich schon damals einen Hauch von Karnevalsmaskerade in die Kinosäle gebracht haben muss. Abgesehen von einer spektakulär gefilmten, ethisch aber fragwürdigen Kampfszene zwischen zwei Monstern hat „Die Versunkene Welt“ darüber hinaus kaum Bemerkenswertes zu bieten. Eine Riesenspinne ist in ihrem kurzen Auftritt anders als ihre schuppigen Kollegen sehr schlecht ins Bild einkopiert (ein Effekt, der durch die unnatürlich aggressive Kolorierung noch verstärkt wird) und sonst sieht's mau aus mit den Hauptattraktionen. Denkt man an die reiche Palette von Dinosauriern (und Primaten) zurück, die O'Brien Jahrzehnte zuvor in seiner Werkstatt zimmerte, ist das relativ enttäuschend.

Dass die Crew rund um Claude Raines so lautstark die Welle macht, hat also auch ein wenig mit Ablenkung zu tun. Um den Monster-Mangel zu kompensieren, werden ein paar fleischfressende Pflanzen ausgelegt und ein Kannibalenstamm zum Gegner erklärt. Aber auch in diesen Punkten bleibt das Abenteuer hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die Eingeborenen werden mit allen verfügbaren Klischees belegt und das Frauenbild gegenüber dem um Jahrzehnte älteren ersten Teil in gewisser Weise sogar verschlimmbessert. Wenigstens über die Kulissen lässt sich nichts Schlechtes sagen. Wenn zum Finale der Vulkan aufmuckt, gelingen durchaus hübsche Bilder bei einer abenteuerlichen Kletterei an einem Steilhang. Hier und da kann man Statisten im Off des Bildes erahnen, die Laubwerk und Schlingarme zum Rascheln bringen, doch das kommt bloß dem nicht gerade im Übermaß vorhandenen Charme des Handgemachten zugute.

Größer, weiter, besser, echter, witziger: Nicht umsonst werden Remakes dieser Sorte heute kritisch beäugt. „Die Versunkene Welt“ zeigt sich dahingehend ausbeuterisch und ist überdies nicht besonders gut gealtert. Die altehrwürdige Stop-Motion-Technik hätte auch dieses Saurier-Abenteuer besser vor dem Zahn der Zeit schützen können.
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Lifeforce
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„Lifeforce“ zu sehen bedeutet, einen Staffellauf zu verfolgen: Was die Ziellinie überschreitet, hat längst nichts mehr zu tun mit dem Startschuss, und wenn man auch keinem Läufer die volle Strecke zutrauen mag, so findet doch jeder von ihnen irgendwie zur Übergabe.

Was sich in den ersten Filmminuten im Weltall abspielt, ist ein häufiges Phänomen seiner Zeit: Vom Design der Kulissen bis zum Spannungsaufbau, inklusive spärlicher Musikuntermalung, bahnt sich ein astreines „Alien“-Rip-Off an, visuell eines der interessanteren. Unzulänglichkeiten der verwendeten Tricktechnik werden durch gelungene Außenaufnahmen eines regenschirmförmigen, halb organisch wirkenden Raumschiffs völlig egalisiert und im Inneren gelingen Hooper entzückende Bildkompositionen frei schwebender Weltraum-Vampire.

Der Schnitt auf das allzu irdische London kommt hart und unerwartet, wohl auch, weil „Alien“ ebenso wie die meisten seiner Epigone keinen Fuß auf die Erde gesetzt hat. Er steht stellvertretend für Hoopers weitere Vorgehensweise im Umgang mit dem Stoff, der von Natur aus nicht allzu viel Substanz verspricht. Mit der Logik eines Virenausbruchs, personifiziert durch die Nachbildung einer jungen Frau (Mathilda May), die den gesamten Film mehr oder weniger nackt durch die Gegend stolziert, hangelt sich das Skript von einer Drehbuchseite zur nächsten, verknüpft sie aber nicht auf direktem Wege mit Krankheit und Tod, sondern nimmt den Umweg über die Erotik in Form einer psychosexuellen Einordnung des Mannes. Um die hiermit bereits gewählte Lesart des Vampirismus visuell angemessen zu untermauern, erfüllt ein permanentes ektoplasmisches Knistern die Luft. Gummimonster werden mit umständlichen Digitaleffekten in einem Tanz der Lichter vereint und sorgen für ein Festival leicht durchschaubarer und doch schwer unterhaltsamer Tricks, die sich so reichhaltig über den Film verteilen, dass man beinahe schon von Überfluss sprechen könnte.

Hervorzuheben ist dabei vor allem ihre verblüffende Vielseitigkeit. Wo pneumatisch zum Leben erweckte Klappergerüste mit Schrumpelhaut und klimpernden Augen das befremdliche Gefühl reproduzieren, das man beim Anblick der Spezialeffekte aus „The Thing“ (1982) empfand, würde jeder, der einen kurzen Blick auf das apokalyptische Finale wirft, einen astreinen Zombiefilm vermuten. Eine Traumsequenz ist verdächtig nah an der berüchtigten Blowjob-Szene aus „Ghostbusters“, der ohnehin über gleißende Lichtsäulen und das Miteinander aus Handmade-Effekten und nachträglicher Bildmanipulation präsent ist. Die hakelig, aber doch irgendwie faszinierend getrickste Bildung einer Blutskulptur im Inneren eines Helikopters nimmt in gewisser Weise bereits eine Erfahrung aus „Terminator 2“ (1992) vorweg und ein kreischender Patrick Stewart, dessen Antlitz mit jenem von Mathilda May im Sekundentakt die Plätze tauscht, ist ohnehin eine Erfahrung für sich.

Man könnte nun einwenden, dass die satte Vollbelegung mit Trickeffekten Drehbuchschwächen kaschiert, dass sie Längen verschleiert, die sich ohne das Spektakel auf dem Bildschirm zwangsläufig ergeben würde. Aber warum sollte man das tun?
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Madman
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Mad statt bad. Verrückt, irrational, unzurechnungsfähig; nicht etwa intentional bösartig. Filme über irre Hack- und Schneidwaffenschwinger lehren uns die Quintessenz, dass ihren Monstern mit Logik und Diplomatie nicht beizukommen ist, dass man vielmehr alle Sinne beisammen haben muss, etwas Grips im Kopf und etwas Training in den Waden haben sollte, um dem Dezimierungsprozess lebendig zu entkommen. Viele ihrer Vertreter beginnen mit einem Lagerfeuer im Sommercamp (so auch das fast zeitgleich abgedrehte Konkurrenzprodukt „The Burning“), doch kaum einer ist so sehr als lebendig gewordene Lagerfeuergeschichte zu betrachten wie „Madman“. Von beachtlicher Genügsamkeit ist der Entwurf der Legende um einen Waldschrat im Holzfäller-Look, der seine Familie umgebracht und vom Dorfpöbel per Strick gerichtet worden sein soll. Es geht eigentlich auch gar nicht um die Geschichte, sondern um den Erzähler und sein Publikum: Gelingt es, die Konturen des Wahnsinnigen sichtbar zu machen?

Entsprechend ist „Madman“ vor allem an leuchtenden Silhouetten interessiert, die am Waldrand in bedrohlicher Pose verharren und vom flackernden Licht des Feuers in Bewegung versetzt werden. Im ständigen plötzlichen Auftauchen des Titelcharakters, der sich lange Zeit nur schemenhaft als zotteliger Artverwandter des Yeti zu erkennen gibt, hat das unverkennbare „Friday“-Rip-Off seine stärksten Momente. Lange bevor die hohlköpfigen Opfer von ihm Notiz nehmen, kann der Zuschauer ihn bereits sich nähern sehen und seine nächsten Züge vorausahnen. Schattenwurf und Ego- oder Schulterperspektiven lassen ihn weiter mysteriös erscheinen, während sich manch originell konzipierte, wenn auch oft mäßig umgesetzte Tötungsszene an einem Campbesucher nach dem anderen vollzieht. Die fehlende Kreativität beim fröhlichen Morden wird durch herzhaft doofe Abläufe wettgemacht: So gelingt es einem Opfer, sich wortwörtlich aus der Schlinge zu ziehen, um schließlich doch mit einem Ruck in den Ursprungszustand zurückversetzt zu werden, während ein anderes dämlich kreischend in Panik einen Kühlschrank ausräumt, um sich darin zu verstecken – während sich der Killer bei dieser lautstarken Aktion bereits im gleichen Raum befindet.

Trotz dieser zum Teil herrlich dämlichen Augenblicke kriecht die Monotonie wie dicker Nebel zwischen den Baumstämmen hervor. Anders als der Gartenscherenkiller aus „The Burning“ holt sich unser Axtmann seine Beute Stück für Stück, so wie man es eben gewohnt ist. Wenigen gelungenen Perspektiven steht das öde Schwarz einer langen Nacht in einem austauschbaren Wald mit Blockhütten entgegen. So manch einer wird auch eine zünftige Nacktszene vermissen. Die einzige Szene, die in eine solche Richtung geht, ist verseucht mit Weichzeichner, einfallslosem First-Person-Voyeurismus und irritierendem Gedudel direkt aus der Hölle. Der Cast setzt sich zudem aus etwas älteren Semestern zusammen; er ist überdies auch nicht besonders attraktiv anzusehen. Erhofft man sich nun zum Ausgleich wenigstens erwachsenes Verhalten, wird man wieder enttäuscht, denn auch hier gilt: Wenn die Schlächter in ihrem brutalen Verhalten auch wahnsinnig erscheinen mögen, so möchten sie doch vielleicht einfach nur die Welt vor Dummheit bewahren.

Und dann ist das Gemetzel irgendwann vorbei. Ohne Überraschungen, ohne großes Tamtam (hätte sich nicht wenigstens der Geschichtenerzähler als die wahre Identität des Madman entpuppen können... oder so?). Eine Ziertafel fasst das Gesehene noch in einen Rahmen. Beinahe wie in einem Märchen. Die meisten lebten nicht glücklich bis an ihr Lebensende, aber so ist das eben, wenn man den Madman aufsucht. Man bekommt, wofür man bezahlt. Und am Ende bezahlt man wieder. Wenn auch nur mit eineinhalb Stunden seiner Zeit.
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Der Würgeengel
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Das Ausbleiben der Befriedigung von Bedürfnissen zieht sich wie ein roter Faden durch Luis Buñuels Gesamtwerk. Der menschlichen Natur unterstellt es eine Umtriebigkeit bei der ewigen Suche nach Glück, die nicht zwangsläufig zur Erfüllung, sondern oft auch ins Verderben führt. Für „Der Würgeengel“ gießt der Regisseur diese Formel in einen Plot, der den Surrealismus, der von ihm stets so virtuos gemeistert wird, an seine Grenzen führt: Eine feine Gesellschaft trifft sich nach dem Opernbesuch für ein Bankett unter Gleichgesinnten im Anwesen eines Mitglieds und sieht sich am späten Abend trotz frei zugänglicher Ausgänge unfähig, den Speisesaal wieder zu verlassen.

Was nach heutigen Maßstäben den Zügen eines Terrorfilms gleicht, bei dem ein Wahnsinniger (oder der Rächer der Enterbten) alle Türen verriegelt und den versammelten Adel im eigenen Safte schmoren lassen will, folgt bei Buñuel natürlich weniger profanen Maßstäben. Die während des Banketts geltende Normalität rund um das Dinner, den Alkohol und den Klatsch, besiegelt durch eine gesellschaftliche Etikette, die sich unter den Oberen Zehntausend irgendwann implizit ergeben hat, transferiert schon bald ins Unwirkliche. Buñuel beginnt damit, eine unsichtbare Wand zu spinnen und lässt seinen Surrealismus unterschwellig wirken. In diesem Abschnitt sind sich die Gäste ihrer Situation noch nicht direkt gewahr, sie finden zunächst Ausreden, um doch noch die eine oder andere Minute unter den Anderen zu verweilen. Ein gemeinschaftlicher Konsens entsteht aufgrund der ungewöhnlichen Situation und fördert ein soziologisch ungemein interessantes Phänomen zutage: Die Menge verstößt, wiederum implizit, gegen die eigene Etikette und entschließt sich zur gemeinsamen Übernachtung.

Diese Art der subtilen Abweichung vom Normalen über Filmlänge aufrecht zu erhalten, hätte bedeutet, die Figuren weiterhin einfach nicht auf die Möglichkeit der Benutzung des Ausgangs hinzuweisen, sie trotz aller Widrigkeiten also weiterhin in ihrem wortlos beschlossenen Konsens brüten zu lassen. Buñuel jedoch verzichtet auf diesen Schritt, der einen weiteren Zugewinn von Surrealismus bedeutet hätte, und lässt die Figuren ihre Lage reflektieren: Im Morgengrauen entdecken sie ihre Unfähigkeit, den Raum, geschweige denn das Haus zu verlassen, sprechen diese Erkenntnis dann auch aus und überführen sie somit in den Diskurs, machen sie also für das Kollektiv transparent. Die unsichtbare Wand, die Buñuel im Diffusen errichtet hat, wird damit sichtbar, die psychische Blockade bekommt eine physikalische Dimension. An diesem Punkt erreicht der Surrealismus die Grenze zur Science Fiction: Wenn die Figuren wissen, dass sie nur den Ausgang nehmen müssen, dies aber offenbar nicht können, ist die Bedrohung nicht mehr länger eine Kopfgeburt, sondern eine ganz reale, wenn sie auch offenbar in direkter Nähe zum Phantastischen geboren wurde.

Und doch bleibt die Behauptung im Raum, das nichts Greifbares die Gäste am Verlassen des Hauses hindert – oder eben Polizei und restliche Bevölkerung am Eindringen, was ebenso unmöglich erscheint. Diese werden nicht ohne Grund durch etliche Wechsel in die Außenperspektive gezeigt, setzt der Regisseur doch offenbar ein Spiel in die Gänge, das eine perfide Wechselwirkung zwischen beiden Seiten jenseits der Blockade zu erzeugen beginnt. Damit bewahrt sich Buñuel nicht nur den surrealistischen Kern seines Werkes, sondern auch dessen Offenheit bezüglich einer Interpretation. Obgleich es schwierig ist, eine Gruppe von Lämmern nicht symbolisch zu deuten, wenn sie aus dem Nichts erscheint und treudoof mitten in den Speisesaal trabt, der inzwischen von Aristokraten besetzt ist, die zu Raubtieren degradiert wurden.

Hervorzuheben ist weiterhin, wie frisch und modern „Der Würgeengel“ mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung im technischen wie erzählerischen Sinne geblieben ist. Wo die Kostüme mit Frack, Zylinder und Rüschenkleidern ebenso wie die Architektur der Villa von vergangenen Zeiten erzählen, brechen die Wagnisse schon in der brodelnden Gerüchteküche beim Essen bahn. Es wird über die Jungfräulichkeit anderer Gäste gemunkelt, ein saftiger Kuss wird aufgedrückt, Sex in der Öffentlichkeit angedeutet. Dass Buñuel von der Tugendhaftigkeit der High Society nicht viel hält, macht er also schon deutlich, bevor er sie tief fallen lässt. Mit der Fieberwahn-Sequenz um eine sich verselbstständigende Hand zieht er zudem in Sachen Schnitt alle Register. Und das Finale nach dem eigentlichen Finale sorgt für eine „Fin“-Einblendung, die Mark und Bein erschüttern kann. Weiterhin für die These, dass der kirchliche Prunk möglicherweise nicht viel besser abschneidet als der weltliche Elfenbeinturm auf dem gegenüberliegenden Pol.

Die größte Unzugänglichkeit des Films ist im Grunde eine Blockade im Inneren des Zuschauers. Sie liegt darin zu akzeptieren, dass die deklarierten Regeln dieser ungewöhnlichen Handlung so gelten, wie sie geschrieben stehen. Nicht dazu überzugehen, zu hinterfragen, weshalb die Gäste trotz ihres offensichtlichen Leidens nicht einfach die Schwelle überschreiten, ist der Zugangsschlüssel. Bei erfolgreicher Benutzung offenbart er nicht nur einen ungemein packenden Überlebenskampf, sondern ein hochinteressantes Abbild gesellschaftlicher Zustände, die teilweise auch viele Jahrzehnte später noch Gültigkeit besitzen.
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The Walking Dead – Season 6
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Etablierte Charaktere verschwinden längst genauso erbarmungslos wie unzählige Minirollen, neue fädeln sich ganz nahtlos in die Gruppe oder eben auch in die Gegnerscharen ein. "The Walking Dead" ist zum niemals stoppenden Karussell geworden, welches die Figuren im fliegenden Wechsel betreten und verlassen. Je mehr der Handlungsablauf diesem Bild gleicht, desto geschlossener scheint sich das Publikum abzuwenden. Es sieht sich in der Erwartung getäuscht, jede Geschichte müsse sich auf ein Ziel, eine Pointe zubewegen. Dass sich die Serie auch nach sechs Staffeln dagegen verwehrt, eine über Jahrzehnte konditionierte Vorstellung zu bedienen, Dramaserien müssten bedingungslos einem linearen Erzählakt folgen, lässt sie mit jedem Gezeitenwechsel aus "Stellung halten" und "Angriff einleiten" nur stabiler werden - eine Stabilität, der nur noch die Sendeanstalten etwas anhaben können.

Die sechste Staffel beschäftigt sich inzwischen vornehmlich mit der Frage danach, ob die Handlungen Ricks und seiner Gefolgschaft überhaupt noch dem Guten und Aufrichtigen entsprechen, das man ihnen im Laufe der Jahre einfach unterstellt hat, oder ob man inzwischen nicht mindestens ebenso gnadenlos vorgeht wie der Feind, wenn nicht gar noch gnadenloser. An den Jagd- und Überlebensfähigkeiten der Kerngruppe zweifelt inzwischen niemand mehr. Damit gelangt die Dominanz ins Spiel, mit welcher die Gruppe auch neuen Bekanntschaften gegenübertritt. In vielen Momenten kommt gerade seitens des Anführers eine gewisse Überheblichkeit durch angesichts der vielen Erfolge bei der Verteidigung gegen die wandelnden Toten wie auch gegen menschliche Opponenten. In ihrer Anhäufung machen die vielen Kämpfe gegen Herden oder einzelne Zombies mürbe, sie führen zu teils irrationalen Entscheidungen, schwächen aber niemals die Motivation zu überleben.

In der ersten Hälfte folgt vieles den bisherigen Mustern: Die vermeintliche Sicherheit Alexandrias steht auf dem Spiel und muss in einer großen Schlacht verteidigt werden. Phasen des Chaos und Affekts werden von Phasen der Ruhe und Reflektion abgelöst, letztere erneut angetrieben von einer ausgekoppelten Charakter-Episode, in der psychologische Grundsteine für die weitere Entwicklung einer Figur gelegt werden, die wiederum einen großen Einfluss auf die gesamte Gruppe ausübt.
Was in der zweiten Hälfte geschieht, ist dagegen relativ neu. Die Konflikte verschieben sich mehr noch als in der Vergangenheit auf rivalisierende Menschengruppen, die Zombies werden zunehmend zum Hintergrund-Spezialeffekt. "Negan", ein Name, der im Diskurs längst seine Echos zieht, wird auch innerhalb der Serie unheilvoll angeteasert, aus dem Kleinen aufgebaut. Mit viel Suspense baut man Ricks Selbstüberzeugung auf kleinen Erfolgen weiter auf, nur um in kleinen Schritten die Machtverhältnisse zu verlagern - mit einem finalen Fünf-Minuten-Auftritt von Jeffrey Dean Morgan, der so viel Spielfreude an den Tag legt, dass selbst unverbesserliche Meckerer kurzzeitig wieder ein Leuchten in den Augen hatten.

Dass die siebte Staffel wohl trotz des brillanten Spannungsaufbaus und der fortlaufenden Opferung liebgewonnener Charaktere wieder in ihre alte Form zurückspringen wird, daran besteht aber wohl kein Zweifel; und genauso muss eine Serie über wandelnde Tote funktionieren.
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South Park – Season 20
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Immer wenn man denkt, den "South Park"-Machern müssen doch langsam die Ideen ausgehen, liefert die gesellschaftliche, politische oder soziale Wirklichkeit neue Inspiration. Und dann ist niemand früher zur Stelle als Trey Parker und Matt Stone. Zum runden Geburtstag gönnt man sich einmal mehr einen Rundumschlag gegen Online-Medien mit Fokus auf den gläsernen Bürger, dazu werden Trump-Ismen gereicht - nicht frontal mit Handkantenschlag, wie man es von der Serie vielleicht erwarten würde, sondern schön subtil durch die Instrumentalisierung eines altbekannten Charakters (Mr. Garrison), dessen äußere Merkmale, schließlich auch sein Verhalten, sich langsam demjenigen des amtierenden US-Präsidenten anpassen. Dass die Staffeln bei "South Park" inzwischen die Form eines langen Spielfilms annehmen, kommt dem gemächlichen Aufbau der politischen Satire entgegen, die es sich nun erlauben kann, über mehrere Folgen ihre volle Entfaltung zu entwickeln.

Die extreme Bissigkeit der frühen und mittleren Staffeln wird auf diese Weise allerdings nicht mehr erreicht. Die "Member-Berries" beispielsweise belegen einen kompletten Subplot, ihr subversives Potenzial wird aber durch den hohen Abstraktionsgrad verschluckt (sprechende Beeren!?), ein Problem, mit dem schon einige absurde Charaktere aus früheren Staffeln (wie "Towelie") zu kämpfen hatten.
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Rick & Morty – Season 2
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Eine Serie wie "Rick & Morty" müsste eigentlich episodenweise rezensiert werden, damit man den farbenfrohen Produkten intensiven Out-Of-The-Box-Brainstormings annähernd gerecht werden kann. Denn in diesem liegt die eigentliche Stärke der Serie. Sie geht von den gleichen Reliefs aus wie andere Adult Cartoons, legt aber schon die Gesetze von Ursache und Wirkung so flexibel an, dass irdische Physik kaum mehr eine Rolle zu spielen scheint. Klone sind längst keine Gäste mehr, sondern regelmäßiger Bestandteil der Handlung; Planeten und fremde Dimensionen werden mit einer Selbstverständlichkeit besucht, wie "Futurama" sie einst für den Flug zum Mond behauptete, der 1000 Jahre nach unserer Zeit zum langweiligen Retro-Vergnügungspark mutiert war. Natürlich ist bei "Rick & Morty" grundsätzlich alles möglich, was denkbar ist, und das Vorstellungsvermögen der Autoren deckt ein Vielfaches der wissenschaftstheoretischen Andeutungen ab, die ein "Big Bang Theory" beispielsweise lediglich als Vorwand für RomCom-Themen aufbauscht.

So spielt eine der völlig abgefahrenen Episoden mit parallelen Zeitlinien, die sich auf dem Zeitstrahl in Details voneinander zu unterscheiden beginnen, was erlebbare Auswirkungen auf das Sounddesign hat (Doppel-Tonspuren, bei denen zarte Abweichungen zu Vibrationen führen), derweil sich der Bildschirm zu Hause in einer regelrechten Zellmitose zu teilen beginnt. Parodien wie jene auf "The Purge" werden ganz offensiv und direkt vorgetragen; rar gesäte emotionale Augenblicke wie die Hochzeit von "Bird Person" schnell in einen Nonsens-Crime-Plot umgewandelt. Aber auch stumpfsinnige visuelle Gags bekommen ihre Chance, wie die Sonnenwesen in der brillant-dämlichen Band-Contest-Episode mit ihren dummen Visagen unter Beweis stellen.

Natürlich hat der "Alles geht"-Grundsatz seinen Preis. Sämtliche Figuren, Rick und Morty inbegriffen, bleiben wenig greifbare Karikaturen, denen man nicht trauen kann und auch nicht soll. Die Sitcom-Normalität, die im Heim der Familie Smith herrscht, erscheint durch all die Wurmlöcher und sich verschiebenden Dimensionswände erst recht wie eine falsche Kulisse, hinter der alles lauert, nur nicht die Realität. Insofern ist "Rick & Morty" aufgrund seiner hohen Dichte an raffiniert um die Ecke gedachten Gags aus kreativer Perspektive bewundernswert. Zum Liebhaben ist das aber eher ungeeignet.
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Black Sails – Season 2
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Man möchte zwar immer noch Schirmchendrinks bestellen und die Piraten mit Wattebäuschen bewerfen, auf dass sie ihren aufgeschminkten Schmutz abwischen können, so dass ihre Haut ebenso sehr strahlt wie ihre Zähne. Optisch bleibt die zweite Staffel "Black Sails" trotz hübscher Kostüme und Bauten nah an einer Rollenspielaufführung und ließe weiterhin Platz für ein wahrhaft grimmiges, schmutziges Konkurrenzprodukt (sofern das Publikum gleich zwei Piratenserien zu verdauen imstande wäre). Immerhin aber kommt die Storyline nun endlich in die Gänge. Nachdem man die Hauptfiguren rund um Flint, Vane, Rackham, Silver & Co. in der ersten Staffel recht planlos umherstolpern ließ, gewinnen sie nun doch noch an Kontur, Präsenz und vor allem an Charakter. Fast ausnahmslos profitieren sie von der Verdichtung der einzelnen Handlungsstränge und bauen sich gegenseitig auf, schön zu sehen am Verhältnis zwischen Flint und Vane, das im Verlauf der zehn Folgen mehrere Wendungen erfährt, ohne dass die Darsteller allzu viele Szenen miteinander abzuleisten hätten.

Auffällig ist es, dass völlig auf diese etablierten Figuren vertraut wird und manch neue Figur trotz großer Einführung schon nach kurzer Zeit keine Rolle mehr spielt. Man könnte argumentieren, dass dem reiselustigen Piratenvolk mit dieser Strategie keine Gerechtigkeit widerfährt, das Drehbuch hält jedoch mit interessanten Kniffen dagegen und gestaltet die Auseinandersetzungen zwischen Seeräubern und Kompanie wie ein Schachspiel auf hoher See, dessen Spannung darin besteht, dass sich die Bauern gegenseitig bekriegen und nicht merken, wie der König bereits Pläne schmiedet, sie allesamt über die Klinge springen zu lassen. Zugleich nehmen die Annäherungen an den Verlauf von "Die Schatzinsel" langsam Form an und münden in ein Finale, das zwar wenig spektakulär im Sinne maritimer Action ausfällt, stattdessen aber echten Abenteuergeist aufflammen lässt. Und damit gelingt der zweiten Staffel, was der ersten noch verwehrt blieb: Lust zu machen auf das, was noch kommt.
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Weitere Sichtungen:
Black Butterfly
Cult Of Chucky
Maschinenland
Kung Fu Yoga
Southbound – Highway To Hell

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Beitrag von Vince » 22.04.2018, 09:09

Uzumaki – Out Of This World
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Es ist die Hochphase der „Ringu“-Welle, als Higuchinsky sein Regiedebüt mit der Verfilmung des Mangas „Uzumaki“ abliefert. Anders als die Konkurrenz, die stets auf das verstörende Bild eine verrenkten Kreatur mit unnatürlichem Bewegungsablauf setzt, verbannt der Film ebenso wie seine Vorlage jede Silhouette des Bösen in Abwesenheit und setzt stattdessen auf eine tiefer sitzende, abstraktere Unruhe, die sich in einer einfachen geometrischen Figur absetzt, der Spirale.

Was klingt wie ein Job für einen Spezialisten des Subtilen, der viel andeutet und wenig zeigt, verkehrt sich unter Higuchinskys Regie völlig ins Absurde. Das verschlungene Muster bildet sich nicht bloß schüchtern als zufällige Anordnung im Hintergrund ab, es drängt sich über Bild und Wort regelrecht ins Zentrum. Mit der typisch japanischen Gestikulation kreiselt es, dass selbst Alice im Kaninchenbau schwindlig werden würde. Nicht nur die Charaktere, auch „Uzumaki“ selbst ist regelrecht besessen von den Kreiseln, die in jeder erdenklichen Situation ins Bild gerückt werden: Beim Töpfern und Zubereiten der Suppeneinlage, aber auch mit den für die frühen 00er Jahre typisch plastischen Spezialeffekten, die zunächst Sturmwirbel am Himmel nachstellen und sich in groteskere Bereiche vorarbeiten, so dass am Ende gar menschliche Schnecken am Schulgebäude hochkriechen. Haarwirbel kräuseln sich nicht etwa in natürlicher Anmutung zusammen, sondern sehen aus wie Extensions aus dünnem Metall, die sich schließlich meterhoch in die Luft erheben. Ein Zimmer ist gefüllt mit Sammelgegenständen in Spiralform; eine Demonstration des Spiralförmigen lässt den Hauptbesessenen auf absurde Weise mit den Augen rollen. Mit dem Zoom auf Fingerkuppen wird sogar ein Mikrokosmos betreten, der verrät, wie essentiell das Objekt der Begierde auf jeder Ebene des Lebens ist. Ganz nebenbei zirkulieren kleine Wirbel wahllos in einer Ecke des Bildes, wenn in die Totalen gewechselt wird. Und nicht zuletzt sind es die Dialoge, die das Spiralförmige von der körperlosen Form einer Idee trennen und ausstellen wie ein dreidimensionales Objekt. Eine Spirale sein wollen die Besessenen. Und will der Film.

Dieser offensive Ansatz mag gerade einem westlichen Publikum mehr als befremdlich erscheinen und die Möglichkeit nahelegen, man habe es mit einer selbstzweckhaften Ausschlachtung des Surrealismus zu tun, der im Grunde nichts sagt, weil er mit leeren Symbolen gespickt ist, die keinerlei Semiotik besitzen. Der Eindruck wird dadurch verstärkt, dass „Uzumaki“ als Horrorfilm in vielerlei Hinsicht versagt: Je absurder das Gezeigte wird, desto weniger „Horror“ im Wortsinne erzeugt es. Trotz einiger Schreckgestalten, die sich auf Metallflächen spiegeln oder im Dunkeln harren, kann das drohende Angstgefühl der „Ring“- und „Grudge“-Filme kaum reproduziert werden. Die Hauptdarstellerin kann sich nie aus ihrem Zustand der Irritation befreien und ist ein wenig verlässlicher Anker; noch mehr ihr Freund, der einer toten Salzsäule näher kommt als einem Anker in dieser Geistersee.

Allerdings leistet der Film Starkes in Sachen Atmosphäre. Die graugrünen Farbfilter vergraben die japanische Kleinstadt unter einer Plasma-Kuppel. Schaukeln wippen verlassen in der Brandung des Sonnenuntergangs. Das diffuse Zwielicht lässt sich zu keinem Zeitpunkt abschütteln, selbst mitten an einem Schultag stehen die Wolken grau am Himmel.

Was die Spiralen bezwecken, wird dann auch am ehesten in der Konzentration auf die Umgebung deutlich. Das Muster hängt als Phantombild über der Stadt und beschreibt letztlich die Angst vor einem elliptischen, sich selbst erneuernden Kreislauf, der keinen Ausweg erlaubt, außer jenen, wieder von neuem zu beginnen. „Uzumaki“ ist kein sinnloser Film; er muss aber so erscheinen, weil er seine Bedeutung auf jede Art von Existenz verteilt.
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Winterkartoffelknödel
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Ein Verkehrsstau vor den Toren von Niederkaltenkirchen, ein vom Himmel fallender Schuttcontainer und ein riesiger Matschfleck auf dem Asphalt – schon darf's weitergehen im süddeutschen Mikrokosmos aus der Feder von Rita Falk. Und die hat noch jede Menge bayerische Spezialitäten im Füller.

Was dem Dänen sein Carl Mørck, das wird nun jedenfalls des Deutschen Franz Eberhofer. Auch wenn sich die Romanreihen von Jussi Adler-Olsen und Falk tonal stark unterscheiden, ihre Verfilmungen gingen im gleichen Jahr in Serie und sind beide jeweils noch in Produktion. Nikolaj Lie Kaas frönt als Spezialermittler Mørck ebenso wie Sebastian Bezzel als Polizist Eberhofer der Skepsis gegenüber seinen Mitmenschen, und beide haben einen Partner an ihrer Seite, der sie immer wieder aus der Scheiße reitet. Auch würden sie ihre jeweilige Provinz als ihr Haupteinsatzgebiet bezeichnen. Wo Mørck sich aber durchgestylte Edelthriller zu kämpfen hat und meist gegen die Zeit kämpft, da macht sich Eberhofer erst mal ein Leberkäsbrötchen mit Senf.

Die Identität der deutschen Reihe bildet sich über eine abwechslungsreiche deutsche Küche aus Omas Rezeptbuch (still und heimlich ausgetauscht: Enzi Fuchs ersetzt Ilse Neubauer als „Oma“), über idyllische Ansichten der leeren Straßen des Kaffs und über die skurrilen Gestalten, die Eberhofer seine Bekannten nennt. Wird ein neuer Fall der Woche in den toten Ort gejagt, dann nur des Vergnügens wegen, sie alle wie einen aufgescheuchten Hühnerhaufen in die Luft springen zu sehen.

Es ist aber die Routine, die den Genuss dieser ersten Fortsetzung namens „Winterkartoffelknödel“ ausmacht, nicht etwa die neuen Zutaten. Im Gegenteil; Jeanette Hain spielt die Femme Fatale öde und überraschungslos, wie etwas, das man in einer Bully-Herbig-Klamotte besetzen würde. Und nicht nur das, eine Figur wie Flötzinger (Daniel Christensen) versetzt sie genug in Wallung, dass es zu einer jener peinlichen Szenen kommt, die man nach entsprechenden Andeutungen im ersten Teil befürchtet hat, aber hoffte, sie erspart zu bekommen: Eine schräge Gesangseinlage im Alkoholdunst, die vielleicht ein breiteres, dafür aber weniger erlesenes Publikum abzuholen vermag – was wohl auch auf einen Hund zutreffen muss, der im Auto mit CGI-Unterstützung zum Radio im Takt nickt. Mit einem Zwischenstopp auf Teneriffa wird früher als gedacht schon die Karte ausgespielt, den Provinzmief einmal auszulüften und Abwechslung einzubringen. Eigentlich handelt man sich damit aber nur einen Verlust der urigen Stimmung ein.

Gut, dass wir bei all dem neuen Kram den Eberhofer noch haben. Selbst wenn er sich von Hain laut Drehbuch verführen lassen muss, spielt Sebastian Bezzel seinen Stiefel so unbeeindruckt runter, als fülle er ein Formular aus. Aus seiner Lethargie heraus funktionieren sogar spontane Anwandlungen von totaler Abgeklärtheit, die selbst einen ausgebufften Kriminellen mit Springmesser auf dem falschen Fuß erwischt. Simon Schwarz bekommt als Sidekick Rudi erwartungsgemäß mehr Screentime, die er standesgemäß nutzt, und das Verhältnis zu Ex-Freundin Susi (Lisa Maria Potthoff) wird nochmals verkompliziert, denn so sind's halt, die Frau'n.

Ja, die Eberhofer-Krimis taugen zur Serie, nicht zuletzt dank des famosen Hauptdarstellers. Ed Herzog sollte allerdings Acht geben, dass er die Andeutungen von Ballermann-Humor im Zaum hält und sich weiter auf das urige Treiben im Nirgendwo konzentriert. Da ist dann auch mal ein bisschen Purismus erlaubt.
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Schweinskopf Al Dente
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Wenn die These stimmt, dass die Qualität eines Films mit seinem Villain steht und fällt, dann profitiert „Schweinskopf Al Dente“ besonders von ihr. Jeanette Hain hat das Niveau von „Winterkartoffelknödel“ mit ihrer berechenbaren Interpretation einer Kopfverdreherin nicht gerade angehoben; im Umkehrschluss ist Gregor Bloéb der bisher beste Bösewicht in der Eberhofer-Reihe, hinterlässt er als träge dauerlächelnder Psychopath mit Rachegelüsten doch eher unorthodoxe Fußabdrücke und sorgt in regelmäßigen Abständen für gepflegte Thriller-Spitzen.

Dabei entfällt vergleichsweise wenig Laufzeit auf den Kriminalfall. Eröffnet wird mit einem „klärenden“ Gespräch zwischen dem Eberhofer und seiner Susi, in dem die fehlende Kommunikationsfähigkeit des Dorfpolizisten vor der versammelten Mannschaft (die an der Tür lauscht) einmal mehr entblößt wird. Die Marschrichtung ist damit gegeben, denn ob Franz und Susi wieder ein Paar werden, ist in diesem Kleinuniversum eine Frage, die mehr Menschen beschäftigt als ein im Bett des Polizeikommisars platziertes Der-Pate-Zitat.

Ob man nun unbedingt einen Ausflug nach Italien einbauen und den bis dato gesichtslosen italienischen Freund der Susi vorstellen musste, sei mal dahingestellt, die fünf Autostunden an den Gardasee betten sich aber wesentlich organischer in den Plot ein als die Teneriffa-Episode im Vorgänger. Herzog nutzt den schnellen Tapetenwechsel für ein paar Kalauer am Strand und kehrt dann fast nahtlos in die Landshuter Peripherie zurück, um Franz und seinen Partner Rudi im bis dato spannendsten Finale an ihre Grenzen zu führen.

Relativ wenig Platz nimmt diesmal der kulinarische Subtext ein. Möglicherweise liegt der Schweinskopf zu Beginn so schwer im Magen, dass anschließend nur noch Platz für ein, zwei Tiramisu und ein paar Knödel mit Braten übrig ist. Der hohe Fleischkässemmelverbrauch Eberhofers setzt sich allerdings eindrucksvoll fort. Auch sonst ist Einsatz Nr. 3 gespickt mit herrlich bekloppten Blödel-Gags. Vor allem aber leistet er sich keinen totalen Aussetzer wie die „Sexualverkehr“-Nummer von Flötzinger im Vorgänger; das zum Abspann einsetzende „Ça Plane Pour Moi“ hat sogar einen gewissen Charme.
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Logan Lucky
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Wenn Regisseure ihre vergangenen Hits noch einmal neu angehen und von hinten aufrollen, kann das eine spannende Sache werden. Ein „Logan Lucky“ mit seinen gesammelten Südstaaten-Comicfiguren ist allemal interessanter als ein möglicher „Ocean's Fourteen“. Auch das anstehende Female-Spin-Off „Ocean's 8“ von Gary Ross“ verspricht nicht gerade eine elegantere Variation des Casino-Knacker-Erfolgs von 2001 zu werden. Dann doch lieber den amtierenden 007 mit blondiertem Haar, Boxervisage und schwarzweiß geringeltem Gefängnisaufzug beim Safeknacken beobachten, Adam Driver als einarmigen Schluffi beim Mischen von Cocktails und einen hinkenden Channing Tatum als George Clooneys Hillybilly-Version beim Pläneschmieden.

Schauplatz, Garderobe und Handwerkszeug unterscheiden sich eklatant von jenem der Ocean's-Gruppe und es ist diese Variation, an welcher Steven Soderbergh sich besonders erfreuen kann. Klischees dreht er mit Vorliebe auf links, was ihn oftmals zu recht eigenwilligen Pointen führt, mit denen auf denkbar unterhaltsame Art eine Kette von aufeinander aufbauenden Ereignissen gebildet wird.

So gesehen ist „Logan Lucky“ von der „Ocean's“-Serie allerdings nicht besonders weit entfernt. Die episodische, sehr lineare Erzählform haben sie ebenso gemein wie den Robin-Hood-Gestus, vertreten von charmanten Gaunern, die dem maroden System lediglich die Strafe zuführen, die es verdient – ohne echte Opfer zu hinterlassen. Optik und Milieu haben die Coens schon beackert, bevor Soderbergh überhaupt zum Dreh von „Ocean's Eleven“ gekommen war („O Brother, Where Art Thou?“, 2000) und auch in der aktuellen Kinolandschaft steht man nicht allein auf weiter Flur, sondern teilt sich den Raum mit Filmen, die konzeptionell wesentlich frischer wirken, wie „Baby Driver“.

Diese Punkte tragen zu dem Gefühl bei, dass man das alles doch irgendwie schon mal gesehen hat, was den Genuss schon ein wenig trocken legt. Und doch kann man nicht oft genug betonen, dass es viel öfter Logan-Premieren und viel seltener Ocean-Fortsetzungen geben sollte in Hollywood.
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Cars 3
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Abbremsen auf 0 und back to the roots: Nachdem „Cars 2“ in mehrfacher Hinsicht irritierte (erst einmal dadurch, dass er bei der mit Ausnahme von „Toy Story“ geltenden No-Sequel-Regel überhaupt gemacht wurde, dann durch seinen konfusen Plot), übt sich „Cars 3“ erst einmal mächtig in Demut. Im Universum von Pixar sind seit „Cars“ im Jahr 2006 Äonen von Zeit vergangen. Damalige Fans sind ihrem Rennfahrer-Bett und ihrer Champion-Kuscheldecke längst entwachsen und Lightning McQueen ist längst zum Oldie mutiert. Da ist es nicht der dümmste Schachzug, das Kinderspielzeug in die Ecke zu werfen und zu einer zeitlosen Underdog-Geschichte zu greifen.

Als „Rocky Balboa“ der Animationsfilme trainiert McQueen nun zwar nicht mit halben Schweinehälften, zieht sich aber doch erst einmal aus den großen Arenen zurück und zehrt nur noch von seinem ehemaligen Ruhm dank eines Sponsors, der mit dem Namen des roten Rennautos immer noch Merchandise verkaufen kann. Wie Rocky wird aber auch McQueen von den Herausforderungen des Lebens an der Ehre gepackt, also zieht er mit seiner Personal Trainerin in die Welt hinaus und dreht seine Dirt-n-Grit-Runden am Sandstrand oder auf unbekannten Schlammstrecken im Duell mit enthusiastischen Dorfkarren. Man kann sich also wieder halbwegs mit der Hauptfigur identifizieren (so weit dies eben bei einem Auto möglich ist); gegenüber Teil 2 schon mal ein Fortschritt.

Dass der Weg über kurz oder lang natürlich wieder auf die Strecke führen wird, wo die Lehren der Altmeister gegen einen unsympathischen neuen Star zum Erfolg verhelfen, versteht sich von selbst. Der Weg dorthin überrascht aber trotz des abgekauten Humors von Mater & Co. mit viel Gefühl und bedeutet eine Rückkehr zur Hochform der Reihe, die leider nach wie vor nicht gleichbedeutend ist mit der Hochform von Pixar.
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Der Ritt nach Alamo
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Knallgelbe Halstücher und andere Farbpigmente, Studiobauten und Matte Paintings, so etwas hat man von einem Mario-Bava-Western durchaus erwarten können. Die Kolorierung und Beleuchtung gibt zumindest verräterische Hinweise auf den Regisseur, der normalerweise völlig andere Genres seine Heimat nennt.

Nicht jedoch hätte man erwartet, ein klassisches Road Movie früher amerikanischer Prägung zu sehen. Ein experimenteller Gothic-Western, vielleicht eine waghalsige Mischung aus Western und Horror, wäre die naheliegende Erwartung gewesen, vielleicht aber auch einen Schritt zu weit gegangen, wenn der Genrewechsel als solcher bereits zu Genüge ein Experiment darstellt. Seinem Sohn und Regieassistenten Lamberto Bava zufolge pflegte sein Vater kein besonderes Faible für den Spaghettiwestern, sondern wusste der amerikanischen Variante mehr abzugewinnen. Da erschließt sich der Wunsch, diesen möglichst authentisch nachzubilden, anstatt seine Reinheit mit einem merkwürdigen Zwitter aufs Spiel zu setzen.

Die Liebe zu der Filmgattung wird in seinem „Ritt nach Alamo“ allerdings nicht deutlich. Zu zäh, ja regelrecht ledrig zieht sich die Handlung dahin, zu unterkühlt bleibt die Inszenierung. Sieht man mal von der recht unterhaltsamen, wenn auch mit Aberdutzenden Klischees bestückten Konfrontation in einem Saloon ab. Inneneinrichtungen sind eben Bavas Ding und selbst in einer staubigen Kneipe schafft er es irgendwie noch, farbliche Signale zu setzen, und wenn er dazu auch mit einem Close-Up auf ein rotes Ass schwenken muss. Ein pennender Barkeeper, ein kantiger Strahlemann von Hauptdarsteller, der mal eben sieben Eier bestellt und ein Tisch, an dem drei Gäste pokern, da ist die Lunte denkbar kurz.
Einmal auf Reisen, versucht Bava, mit gemalten (malerischen) Hintergründen, Eingeborenen-Relikten und anderen Tricks (aufgereihte Indianer-Actionfiguren an einem Berghang beispielsweise) eine spezielle Ästhetik zu bewahren, ohne das klassische US-Westernkino der Marke „Unionstruppen vs. Banditen vs. Indianer“ zu hintergehen. Doch die schmucken Kulissen können kein Ersatz für inhaltliche Spannung sein. Als größter Mangel ist die schwache Charakterisierung der Figuren schnell ausgemacht. Der amerikanische Hauptdarsteller Ken Clark punktet zwar mit markantem Profil, weniger hingegen als Identifikationsfigur. Ebenso wie seine Mitstreiter ist er zur zweidimensionalen Silhouette verdammt. Von den Indianern, die lediglich hin und wieder in Kampfmontur aus dem Gebüsch hüpfen dürfen, ganz zu schweigen.

Das lässt den Geldtransfer trotz allen Verrats, aller Übergriffe und der knochentrocken in Szene gesetzten Liebesgeschichte recht uninteressant wirken. Schade um das vergeudete Potenzial einerseits, für den Regisseur andererseits dürfte „Der Ritt nach Alamo“ eine wichtige Erfahrung gewesen sein.
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The LEGO Batman Movie
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Nun, da das Konzept „Klötzchen-Film“ anhand der Legoverpackungspanoramaverfilmung „LEGO – The Movie“ umfassend vorgestellt ist, kann man in die einzelnen Themenbereiche eindringen. Zum Auftakt wurde - wenig überraschend - die in orangeroten Sonnenuntergang getunkte Endzeitmetropole Gotham City gewählt. Ein logischer Schritt, bedenkt man, dass Batman im Original-Legofilm Publikumsliebling war und dass er auch in seiner Realfilm-Variante stets ein beliebter Spezi ist (naja... zumindest in allem, was nach George Clooney kam).

Das „LEGO Batman Movie“ nimmt sich nun vor allem des Images vom einsamen Rächer an und führt es in einer brillanten ersten halben Stunde komplett vor. Chris McKay („Robot Chicken“) beweist eindrucksvoll, dass er den von Lord/Miller initiierten Humor vollständig reproduzieren kann. Irrsinnig schnelle Actionszenen halten zunächst das Pacing verdammt hoch und man darf schon keine Probleme mit Einstellungen haben, die sich um die eigene Achse drehen oder in denen unentwegt bunte Lichter aufblitzen. Die Millionärsfledermaus bewegt sich mit spielender Leichtigkeit durch dieses Feuerwerk aus Legosteinen. Jeder Legostein rastet so ein, wie es sein muss. Man wähnt beinahe eines dieser „satisfying videos“ vor sich, in denen jede Summe aufgeht, jede geometrische Achse ineinander einrastet. Und das in einem Mordstempo. Batman, so die bereits hier mit selbstverliebten Heldenposen köstlich übersteigerte Aussage, braucht keine Hilfe. Von niemandem.

Richtig gut wird das Ganze nach Rückkehr in die Bat-Höhle. Batman, wie er sich wortlos sein Essen in der Mikrowelle aufwärmt und das Licht des rotierenden Tellers sein ausdrucksloses Gesicht beleuchtet. Wie er alleine in einem riesigen Heimkino „Jerry Maguire“ schaut, nur um sich über den Kitsch darin lustig zu machen. Wie die Winzigkeit seines Körpers gegen die wahnwitzige Größe seiner Behausung ausgespielt wird.

Der Haken an der Sache: Natürlich wird die Einsamkeit als Problem verstanden und mit der Dampfkraft typischer Computeranimationsfilme der Marke „Ich, Unverbesserlich“ auszubügeln versucht. Die Fehde zwischen ihm und Erzfeind Joker eignet sich zwar für dieses Vorhaben gut (wenn davon die Rede ist, dass sich beide gegenseitig bedingen, bezieht man sich damit natürlich auf „The Dark Knight“), doch je mehr Verbündete Batman um sich schart – von Dick Grayson über Barbara Gordon bis zu einer endlosen Menge von kostümierten Helden – desto zahnloser wird der Humor. Bevor er leider schon wieder dem Tanz in den Abspann verfällt, jener Animationsfilmkrankheit, die leider auch einen Mann befällt, der seine Freizeit normalerweise alleine in Tropfsteinhöhlen verbringt.

Irgendwas findet man aber immer zu lachen, sei es nun die gewitzt aufbereitete Filmgeschichte Batmans oder die schlichte Tatsache, dass die kitschigen Momente in „Jerry Maguire“ auch in trauter Gesellschaft noch hämisch ausgelacht werden können. Und die vor Kreativität platzende Animation holt die letzten Kohlen aus dem Feuer.
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Cosmo (Bad Channels)
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Mal außen vor gelassen, dass „Bad Channels“ mit einem richtigen Film beinahe weniger zu tun hat als mit einem fahrig abgedrehten Musikvideo... diese obskure Alieninvasions-Nummer mit Rock'n'Roll-Faible eignet sich heute immerhin als Zeitdokument für die frühen 90er Jahre, als MTV noch das Zepter in der Hand hielt.

Alleine die Grundidee wäre bestes Futter für ein Beavis-und-Butthead-Abenteuer gewesen: Zwei Außerirdische kapern eine Radiostation im amerikanischen Nirgendwo und zwingen den ausgeflippten DJ, auf Sendung zu bleiben. Denn über die Radiofrequenz sollen bevorzugt weibliche Zuhörerinnen in kleine Phiolen gebeamt werden... hä?

Die kuriose Grundidee ist letztlich ein billiger Vorwand, um eine Reihe von Musikclips zu inszenieren. Darin tanzen sich die auserwählten Damen besinnungslos in einen Rausch, bis es Plopp macht und sich sich auf Zwergengröße geschrumpft im Studio unter einer Glaskuppel wiederfinden. Abgegrast wird alles, was auf den hiesigen Musikkanälen angesagt war, von Hard Rock über Grunge bis Heavy Metal – Hauptsache es rockt den Polka-Schmalz vom Einstieg rückstandsfrei aus den Ohren. Blue Öyster Cult zeigen hier mit ihrem Soundtrack die ganze Bandbreite eines Jahrzehnts.

Die Aliens, einer mit klumpigem Pfropfen als Kopf inklusive Fenstervisage, einer ein Roboter wie aus einem Z-Movie-Star-Wars-Rip-Off, könnten einem Invasionsfilm der 50er Jahre entstiegen sein, sieht man mal davon ab, dass sie die Radiozentrale mit allerlei bunten Farben versorgen. Das lässt die Produktion im Vergleich mit den lose verknüpften Vorgänger-Produktionen „Doll Man“ (Tim Thomerson hat einen Cameo nach dem Abspann) und „Demonic Toys“ (dessen Nachtwächter während seiner Schicht den Polka-Sender hörte) noch einmal eine Spur schlampiger aussehen und die Prämisse abstruser – Hauptsache, man kommt mit etwas Geschrumpftem aus der Gleichung und hat eine gemeinsame Basis für die große Zusammenführung „Dollman vs. Demonic Toys“.

Einen gewissen Unterhaltungswert hat das ja, aber professionell gearbeitet wurde am Set vermutlich nur wenig...
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Howard The Duck
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Inzwischen zu einem der Urväter heutiger Marvel-Filme erklärt und zu entsprechenden Werbezwecken instrumentalisiert, orientiert sich die George-Lucas-Produktion "Howard The Duck" deutlich an den Abenteuer-Klassikern seiner Zeit. Die Spielberg-Schule ist nicht zu übersehen. Insbesondere "Zurück in die Zukunft" nahm man sich zur gefiederten Brust, vom generellen Konzeptdesign über die Teilbesetzung bis zum unmittelbaren Zitat. Bei aller Zukunftsmusik, die angestimmt wird, verraten sich die 80er Jahre spätestens mit dem Glam-Rock-Soundtrack (und dem Subplot rund um das Management einer aufstrebenden Girlband; Geschäftsstrukturen, die in der hier vorgebrachten Form längst vergangenen Zeiten angehören). Regisseur Willard Huyck erweist sich als gekonnter Imitator Spielbergs, wenn er in der ersten Hälfte in den detailliert zum Leben erweckten Underground-Sets schwelgt, um in der zweiten Hälfte das Tempo mit Fantasy- und Action-Elementen zu erhöhen. Die Imitation bleibt allerdings vordergründig sichtbar: Von der Leichtigkeit der Originale kann das Enten-Abenteuer nicht in jeder Phase zehren.

Seinen Reiz bezieht ein Film um eine lebensgroße Ente natürlich aus seiner lebensgroßen Ente, und die fällt dadurch aus der Rolle, dass ihr niedliches Äußeres nicht ihrem Charakter entspricht, der je nach Situation zwischen Agonie und Angriffslustigkeit pendelt. Man ist ja auf die Disney-Schule konditioniert und denkt beim Anblick eines Schnabels automatisch an Donald oder Dagobert, dabei mischt Marvels Howard Film-Noir-Zynismus und flippigen Anarcho-Humor in nicht immer ganz jugendfreier Manier. Im mainstreamigen Kontext dieser Produktion führt das zu interessanten Ecken und Kanten, die zwar nicht völlig aus der Art schlagen, eine stromlinienförmige Charakterzeichnung aber zumindest beim Titelhelden verhindern - mit dem Höhepunkt einer Bettszene zwischen Enterich und Frau, die Knuddelfaktor und Sexualität auf bizarre Weise miteinander kombiniert.

Bezeichnend allerdings, dass die Nebendarsteller mehr Comicfigur sind als Howard selbst. Während die Ente noch ein höheres Spektrum an mimischem Ausdrucksvermögen hätte vertragen können (um ein Gegenbeispiel zu nennen, die Jim-Henson-Puppen aus der TV-Serie "Die Dinos" verfügen über wesentlich mehr mimische Ausdrucksmöglichkeiten), grimassieren Tim Robbins, Lea Thompson und Jeffrey Jones um die Wette. Da ist es nur konsequent, dass am Ende Atome gespalten, Blitze geschleudert und eklige Hummermonster zum Leben erweckt werden. Letztere verweisen übrigens trotz durchschaubarer Tricktechnik fast jedes computergenerierte Filmmonster der letzten Jahre in Sachen Kreativität in die Schranken.

Im Zweifelsfall holt man natürlich trotzdem erstmal die wahren Klassiker dieser Epoche nach. In der zweiten Garde macht sich der Purzel aus dem Weltall aber gar nicht so schlecht. Ihn jetzt im Rahmen der "Guardians Of The Galaxy"-Reihe mal auf Rocket stoßen zu lassen, hätte durchaus Zündstoff-Potenzial, das über Cameo-Einsätze hinausginge.
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Schieß oder stirb
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Noch kein selbstbewusster, voll ausgeprägter Antiwestern, aber klar auf dem Weg dorthin befindet sich "Schieß oder stirb", der drei Brüder, ein gemeinsames Schicksal und den unterschiedlichen Umgang damit als Modell für eine pazifistische Aussage verwendet. Dass sich der Angriff am Ende doch als beste Verteidigung herausstellt, lässt ihn scheitern, doch bis zu diesem Punkt wagt das Familiendrama mit der vorübergehenden Demontage des Machos mit locker sitzendem Revolver so einiges.

Inszenatorisch zwar nicht allzu aufregend mit all den flachen Impressionen aus dem Alltag einer Ranch, sorgt die interessante Figurenkonstellation aber doch für Lebendigkeit. Wer einen heißblütigen Jungspund seinem betont passiven älteren Bruder gegenüber stellt und den Ältesten von den Dreien (inklusive Liebesdrama) als Zünglein an der Waage einsetzt, läuft Gefahr, seine Figuren zu holzschnittartig anzulegen, zumal der Muttersöhnchen-Komplex gerade im ersten Akt eine Spur zu offensiv ausgespielt wird. Den drei Hauptdarstellern ist zu verdanken, dass das nicht passiert. Gerade bei Jeffrey Hunter liegt die Verantwortung, eine im klassischen Western nicht etablierte Position überzeugend zu verteidigen. Das gelingt ihm, weil man seine Figur weder belächelt noch bemitleidet, sondern vielmehr seine völlig plausible Position verteidigen möchte gegen das kurzsichtige, bisweilen dumme und völlig ignorante Verhalten, das in seinem Umfeld herrscht.

Das erschüttert zwar nicht nachhaltig das amerikanisch geprägte Bild des heldenhaften Duellisten, sorgt aber immerhin für einen kurzen Moment der Andächtigkeit, bevor man seinem Nebenmann am Tresen das nächste Mal ein Bierglas an den Kopf schlägt.
:liquid5: ,5

Trainspotting 2
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Wenn schon eine Fortsetzung von "Trainspotting", dann sicherlich mit ein paar Jahrzehnten Pause dazwischen. Das jedenfalls hat Danny Boyle richtig erkannt. Hätte man die Geschichte, mit Robert Carlyles Filmografie gesprochen, "28 Months Later" angesetzt, so wäre man bloß auf eine reine Fortführung des von Drogen benebelten Bewusstseinsstroms gestoßen; die Junkies immer noch dieselben, der Plot eine Variation des ersten Plots. Eine Zeitspanne vom Kaliber "28 Years Later" (tatsächlich sind's zumindest 22) passt da schon eher; auch wenn unvollendete Dinge Geschichten ihre Vorzüge haben und in vielen Fällen der Fortführung einer Erzählung vorzuziehen sind, so liegt doch ein gewisser Reiz darin, zu erfahren, was die Zukunft für die einst Zukunftslosen bereitgestellt hat, als sie langsam und unerbittlich zur Gegenwart wurde.

Dass sich sowohl Story als auch Charakterzeichnung trotzdem beinahe anfühlen wie bei einer direkten Fortsetzung, ist als Abgesang auf die Figuren zu verstehen, die in all der Zeit nichts aus dem Leben gelernt zu haben scheinen. Es wird immer noch bei jeder Gelegenheit geschnupft und gespritzt, und Franco (Carlyle) reagiert auf die Nachricht der Rückkehr von Rent Boy (Ewan McGregor) mit einem Zorn, so frisch, als sei er erst gestern um sein Geld betrogen worden.

Den völligen Stillstand bei der Entwicklung der Charaktere setzt Boyle auf geschickte Weise in einen Anachronismus zu den Bildern, die er erschafft. Anstatt mit Variationen von Toilettentauchgängen oder Babygekrabbel selbst auf der Stelle zu treten, macht er transparent, wie unbarmherzig die Zeit das Schotten-Quartett überholt hat. Auf die Evolution des Stadtbilds von Edinburgh legt er einen besonderen Wert; es ist nicht mehr der Ort aus den Mittneunzigern, sondern einer, der wie (fast) alles andere den Wolken gleich weitergezogen ist. Zeitweise aufblitzende Déjà-Vus (McGregor, wie er seine Hände auf die Motorhaube schlägt und den Fahrer angrinst) verstärken diesen Eindruck nur noch. Die Panoramen der schottischen Landschaft nehmen die Figuren in ihrer Verzweiflung kaum wahr; ihr Versuch, in Nostalgie einzutauchen, wird immer wieder von vordergründigen Konflikten verdrängt. Die Verdrecktheit des Originals ist einem Chaos aus Spiegeln gewichen - neue Oberflächenreize, alte Desorientierung.

Damit reproduziert man nicht die Intensität des Originals. Aber man ruft es wieder in Erinnerung, ohne es stupide zu kopieren, und erweitert sogar seinen Bedeutungsspielraum. "Trainspotting" mag ja eine undankbare Vorlage für ein Sequel sein, aber was "T2" daraus macht, reicht zur Legitimation seiner Existenz völlig aus.
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The Night Child
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Ein opulentes Gemälde dient diesem italienischen Besessenheits-Horrorthriller als Portal ins Okkulte, und wie ein Gemälde verhält sich auch der Film. Gesamtheitlich betrachtet ein träges Stillleben, informationshaltig, aber ereignislos, beginnt "The Night Child" in seinen Details zu leben. In den Hetzjagden durch barocke italienische Altstädte, die mit ihren Pflastersteinen und ihrem Halbdunkel an Bavas "Lisa und der Teufel", an seinen "Baron Blood" oder auch an Roegs "Wenn die Gondeln Trauer tragen" erinnern. In der Halle voller verhangener Kunstwerke und Statuen, die Dassimo Dallamano mit einem Blick für stimmungsvolle Unheimlichkeit einfängt. In Flashbacks mit angedeuteter Ich-Perspektive, die sich den mythologischen Unterbau von Friedkins "Der Exorzist" borgen. Oder in Giallo-esken Schreckmomenten, die den Täter mit hektischen Close-Ups auf das Mordwerkzeug verbergen, nicht aber seine Tat. 

Kombiniert man die unterschiedlichen Referenzen mit der Feststellung, dass der Soundtracks ein einzelnes Motiv immer und immer wieder einfach nur variiert und nimmt dann noch eine sichtbar unerfahrene Kinderdarstellerin dazu, die mit höchster Anstrengung Grimassen der Furcht und der Boshaftigkeit kombiniert, so ist das "B" vor dem "Movie" schnell identifiziert; eine englische Synchronisation über englisch geformten Mundbewegungen tut ihr Übriges, um an der Einordnung der Klasse keinen Zweifel zu haben.

Daraus resultiert, dass man in "The Night Child" zweierlei sehen kann: Entweder einen Langweiler erster Güte, der voller sich wiederholender Elemente steckt, oder aber ein Mosaik cineastischer Kostbarkeiten, nicht immer fachgerecht zusammengesetzt, aber gerade in dieser Anordnung ausgesprochen reizvoll.
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Weitere Sichtungen:
Ready Player One
Ein ferpektes Verbrechen
Killer's Bodyguard

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Beitrag von Vince » 29.04.2018, 12:11

The Entity
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Anders als der zeitgleich erschienene und daher gerne zum Vergleich herangezogene "Poltergeist" lebt "The Entity" nicht von der Faszination für phantasmagorische Manifestationen mit Geisterfratzen, Dampf und Ektoplasma, sondern vom reinen Terror. Der industriell gefärbte Soundtrack und die dezenten, aber äußerst bizarren Spezialeffekte machen sich zu Komplizen einer gesichtslosen Entität, deren harte Physis im krassen Gegensatz zu ihrer Unsichtbarkeit steht. Wo sich Tobe Hooper und Steven Spielberg also noch zum Phantastischen Film bekennen, da siedelt sich Sidney Furie in dessen Grenzbereich auf der Schwelle zum Psychothriller an und spielt das Psychologische permanent gegen die Möglichkeit des Übernatürlichen aus.

Was man hierin als Unentschlossenheit auffassen könnte, verleiht dem mit zwei Stunden recht lang geratenen Film tatsächlich zu seiner dringend benötigten Dynamik, ohne die er viele Längen zu überbrücken hätte. Das (vielleicht etwas zu euphorisch betriebene) Tauziehen eines Psychologen und eines Wissenschaftlers um ihre Patientin, teils durch persönliche Gefühle motiviert, teils durch berufliche Neugier, lässt die Hauptfigur fortwährend in einem neuen Licht dastehen. Denn während sie zum Untersuchungsgegenstand zweier gegensätzlicher Wissenschaftsfelder gemacht wird, zweifelt der Film einmal an ihrem Geisteszustand, um dann doch eher unsere Fähigkeit in Frage zu stellen, übernatürliche Phänomene zu akzeptieren.

Je nach Szene sieht man tatsächlich nur eine verzweifelte Frau, die um Aufmerksamkeit schreit (das Drehbuch streut für diese Interpretation ausreichend Motive in die Handlung, ihren Mann beispielsweise, der stets auf Dienstreise ist), dann wieder, wenn Dinge durch die Luft wirbeln und sich physische Fingerabdrücke auf der nackten Haut bilden, scheint das Unvorstellbare doch unwiderlegbar. Eine Leistung, die ohne Frage zu großen Teilen Barbara Hershey zuzuschreiben ist, die diesen oft sprunghaften Perspektivwechsel mit ihrer von Panik und Entsetzen getriebenen Darbietung überhaupt ermöglicht.

Schockierender als die tatsächlich inszenierten Attacken, die ihre Beklemmung eigentlich eher aus ihrer grundsätzlichen Situation beziehen als aus der mitunter etwas zu steifen Regie, ist letztlich das Filmende, von dem man nicht einmal sagen kann, ob es eines der positiven oder negativen Sorte ist; nur, dass es sich der Revenge-and-Justice-Formel erwehrt, die Hollywood bei schwierigen Themen wie diesen normalerweise aus Reflex anwendet, um bei allem Schrecken zu vermitteln, dass das Böse am Ende immer Vergeltung für seine Taten erfährt.
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Der Himmel über Berlin
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Engel, die auf eine Stadt hinabblicken, zur Körper- und Tatenlosigkeit verdammt. Einer, der sein Engeldasein aufgibt, um als irdisches Wesen Dinge ertasten und die Erwiderung von Liebe erfahren zu können. Nicht einmal dem jungen Wim Wenders gelingt es, die Esoterik aus diesem Stoff zu prügeln, auch wenn er sie mit technischer Brillanz zu überdecken weiß. Gemeinhin gilt die Annahme, das US-Remake "Stadt der Engel" habe den Kern der Vorlage für eine kitschige Hollywood-Romanze geopfert. Vielleicht hat es ihn aber einfach nur freigelegt.

Dennoch ist "Der Himmel über Berlin" aus einer rein cineastischen Wahrnehmung heraus ein Ausnahmewerk, reich an Facetten, mit dem Alter nur wertvoller geworden. Es zeigt ein Berlin, das so heute nicht mehr existiert. Eine Erkenntnis, die sich weit über den Fall der Mauer erstreckt. Abgesehen vom Stadtbild, dem sich das aus dem Off gesteuerte Blickfeld meist aus der Vogelperspektive nähert, lässt Wenders direkt auf die Straßen und in die Wohnungen zoomen. Eine Stadt als Definition nicht nur über seine Gebäude, sondern vor allem über den Charakter seiner Bewohner und Besucher, vom Mieter einer Baracke über den Passanten am Fenster, vom Zirkusnomaden über den Schauspieler am Set bis zum Musiker auf der Bühne. Das Gemurmel Einzelner wird gefiltert und in einen konsensuellen Bewusstseinsstrom geladen, der sich wie ein Fluss seinen Weg durch die Häuserreihen bahnt. Kinder auf der Straße und Alte in der Bahn; ein Unfallopfer, dem niemand hilft, ein Selbstmörder, dem niemand mehr helfen kann.

Henri Alekans Kamera ist immer nah an den Geschehnissen, zieht aber meist virtuos in der Luft ihre Bahnen. Sie könnte auch von einem Naturfilmer geführt worden sein, der sich von einem Berghang aus einer Jagdszene nähert und im Bemühen um eine einzigartige Perspektive darauf bedacht sein muss, selbst unsichtbar zu bleiben, um nicht in die Natur einzugreifen. Die Kinematografie alleine ist den ganzen Aufwand wert.

Die zusätzliche Farbcodierung (Schwarzweiß aus Perspektive der Engel, sonst in Farben getaucht wie aus Nachkriegsruß zusammengemischt) mag die visuelle Komponente artifiziell wirken lassen, beflügelt aber auch die Bereitschaft, sich in Andere hineinzuversetzen und unterstützt somit eines der Hauptanliegen des Films. Bruno Ganz setzt das in der Hauptrolle erfreulich nüchtern, untheatralisch und bisweilen sogar mit einem Schuss trockenen Humors um. Der dichterische Singsang, mit dem er den Film eröffnet, mutet als Mischung aus melodischen und narrativen Passagen an wie erste Flugversuche eines Vogeljungen, oder, aus Perspektive der Himmelsbewohner, erste Versuche, mit den Füßen den Boden zu erreichen.

Während also das traurige Auge des sakralen Beobachters auf der monochromen Stadt ruht und sich das Chiaroscuro in seiner Pupille spiegelt, ist die Melancholie fortwährend spürbar und gerät in diesem Fall zum Pfad ins Prätentiöse. Dem entgegen steht aber eine einzigartige Momentaufnahme einer Großstadt, die seither längst ihr Gesicht verändert hat.
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Sweet Home
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Horrorfilme aus dem Bereich Home Invasion zeichnen sich normalerweise dadurch aus, dass sie den Terror ins eigene Heim bringen und somit in die private Zone. Auf Reisen durch das Land muss das Opfer vielleicht damit rechnen, Psychopathen zu begegnen, die eigenen vier Wände jedoch werden als letzte Bastion der Sicherheit verstanden. Die Außenwelt spielt bei deren Infiltration keine Rolle mehr, sie wird sogar regelrecht aus dem Szenario geschnitten.

"Sweet Home" hingegen variiert die recht eng gesteckten Regeln dieses Subgenres und verfolgt damit höhere Ziele. Schon der Prolog macht deutlich, dass wir es nicht mit einem gewöhnlichen Genre-Werk zu tun haben: Anstatt einer 20-Jährigen steht hier eine alte Frau unter der Dusche. Nichts fürs Auge, aber sehr wohl dienlich für eine rabiat formulierte Kritik an der Gesellschaftspolitik. Denn der initiale Mord wird nicht von einem Geisteskranken mit Mutterkomplexen begangen, sondern vom gesichtslosen Mitarbeiter einer Agentur, mit dem Ziel, Wohnungsräume zu schaffen.

Eine wahrhafte Holzhammer-Attacke auf den Mietpreiswahnsinn in spanischen Großstädten also, die Rafa Martínez uns hier auftischt, auch wenn die Verpackung primitivere Gelüste zu befriedigen verspricht. Der eigentlich so einfache Kniff führt im weiteren Verlauf zu raffinierten Abwandlungen des Bekannten, nicht zuletzt dahingehend, dass es in diesem Fall nicht das eigene Heim ist, das einer Invasion durch einen Axtschwinger ausgesetzt ist, sondern das eines alten Mannes, den die Hauptfigur in ihrer Funktion als Immobilienmaklerin kurz vorher besucht. "Sweet Home" wird also zum Kampf nicht etwa um den persönlichen Grundbesitz, sondern um ein Grundsatzrecht, das stellvertretend von einem jungen Einzelkämpferpaar ausgefochten wird.

Barcelona spielt als Schauplatz dabei wieder seinen ganzen Charakter aus. Speziell im Treppenhaus des abgehalfterten Altbaus stattet uns "[REC]" per Déjà-Vu einen Besuch ab, auch außerhalb des Wohnbereichs dominierten chemische Farbtöne im Spektrum zwischen Rostrot und Fiebergelb.

Der begrenzte Vorrat von nur zwei potenziellen Opfern, der Maklerin und ihrem Freund, wird durch geschickte Nutzung der Raumverbindungen optimal ausgenutzt, so dass gar nicht allzu viel Mord und Totschlag notwendig ist, um das Terrorlevel hoch zu halten; wenn aber die Fetzen fliegen, dann so richtig. So subversiv der Unterbau, so stumpf dessen gewaltsame Untermauerung. Irritationen können davon ausgehen, dass zu Beginn ein nicht allzu geschickt vorgehendes Trio vorgeschickt wird, um die Wohnungen zu räumen. Als sich jedoch herausstellt, dass sie nur die Vorhut für den eigentlichen Gegner sind, darf der Genre-Freund sein zufriedenes Grinsen wieder auftragen - fortan geht es entschlossener, zielgerichteter und wortkarger zur Sache.

Eine runde Stunde dauert das intensive Versteckspiel, bevor das an die Physis von Rape-and-Revenge-Filmen der Marke "I Spit On Your Grave" angelehnte Finale nach strammen 80 Minuten einen eher konventionellen Deckel drauf macht. Ein typischer Home-Invasion-Vertreter ist "Sweet Home" aber nur dem Ablauf nach; seine Subtexte bezeugen ein Denken über das Eigenheim hinaus.
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Weitere Sichtungen:
Pay The Ghost
Enemies - Welcome To The Punch
Avengers - Infinity War
Das Gesetz bin ich

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Vince
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Beitrag von Vince » 22.05.2018, 07:43

El Bar - Frühstück mit Leiche
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Wohl nur ein Alex de la Iglesias traut sich eine derart tollkühne Genre-Mischung zu. "El Bar" ist ein soziales Experiment nach Art von Buñuels "Der Würgeengel" oder Hitchcocks "Das Rettungsboot", angesiedelt in einem Madrider Café, umgeben vom Nebel der Mystery und infiltriert vom Horror des Feindes aus der Mitte. Der Glaube an das Gute im Menschen wird überlagert von seiner Unberechenbarkeit; gerade Jaime Ordóñez spielt eine tickende Zeitbombe, die auch einem "Witching & Bitching" als Halloween-Dekoration gut gestanden hätte.

Und irgendwie hält der Kleber bei diesem Mix aus Mystery-Thriller, Komödie, Bürger-Scharade, Terror- und Invasionsfilm tatsächlich alles beisammen. Um sich nicht in Sackgassen zu manövrieren, erfindet das Drehbuch ständig neue Wege, um die Situation noch weiter eskalieren zu lassen. Das mag nicht immer mit Logik gesegnet sein, was aber von den Ereignissen außerhalb des Cafés abgedämpft wird, denn die wirken ohnehin völlig surreal. Horror-Elemente schmuggeln sich durch verzerrte Fratzen und plötzliche Wendungen ein, werden aber stets mit einem ordentlichen Schuss Humor versehen, so dass keine Gefahr besteht, dass die Handlung sich zu ernst nimmt (nicht, dass diese Gefahr bei einem solchen Regisseur jemals bestanden hätte).

Einigen Exemplaren aus dem Ensemble möchte man links und rechts eine scheuern, weil sie wahlweise so dämlich, selbstmitleidig, egoistisch oder rücksichtslos agieren. Wenn man sich die letzten Minuten des Films ansieht, dann trifft das wohl ebenso auf die Menschen außerhalb des Cafés zu - einmal mehr kein positives Fazit, sondern eine betont schwarzhumorige Sicht der Dinge bahnt sich ihren Weg. Die mikroskopischen Aufnahmen von Bakterien und Viren aus dem Vorspann beziehen sich eben nicht nur auf die thematisierte Angst vor Ansteckungsgefahr, die mit einer Hatz durch die Kanalisation noch potenziert wird, sondern auch auf die um sich schlagende Selbstbezogenheit städtischer Mitbürger. Auch wenn sich de la Iglesias vielleicht ein wenig zu wiederholen beginnt - an emotionaler Wirkung lassen es seine Filme weiterhin nicht mangeln.
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The Asphyx
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Obwohl im Ganzen mit britisch-vornehmer Zurückhaltung inszeniert, angeführt vom respektierten Theaterdarsteller Robert Stephens, ist "The Asphyx" am Ende doch als moderne Unterhaltung gedacht, die streckenweise sogar ins Reißerische zu gleiten droht. In barocke Bildkompositionen, schwer atmend durch die dunkle, reichhaltige Ausstattung und ausgestellte Kostümierung, nehmen die Spielzüge einer klassischen Tragödie ihren Lauf. Ausgeleuchtet wird die fatalistische Dreiecksgeschichte um einen Vater, seine Tochter und deren Liebelein aber schon mit surrealistischen Grün- und Rottönen, die mitunter über Hammer-Referenzen hinaus in den Wirkungsbereich eines Mario Bava eindringen.

Wenn man so will, hat man es auch mit einem Vorläufer der "Ghostbusters" zu tun, weisen doch zumindest die visuellen Tricks um das Fixieren und Einfangen der Seele frappierende Ähnlichkeiten mit der Kombination aus Protonenstrahlern und Geisterfalle auf. Auffällig ist es dabei, wie sehr die Tricksequenzen zum Höhepunkt ausstaffiert werden. Die Situation und damit das weitere Vorgehen im Drehbuch verändert sich nach jedem der von flackernden Blitzen begleiteten Experimente nämlich frappierend. Aus einer anfänglichen Euphorie wegen ein paar Flecken auf einer Fotografie, die dem Enthusiasmus missverstandener Wissenschaftler aus Abenteuerfilmen der Marke "The Lost World" (1922) gleicht, wachsen regelrechte 3D-Effekte. Die klagenden Seelen springen teilweise aus dem Bild, richten sich direkt an den Zuschauer und geben dazu jede Neutralität auf, das geschmackvoll ausgestattete, klassische Drama entpuppt sich als B-Reißer, der auch vor rabiateren Methoden wie der Nutzung eines elektrischen Stuhls nicht halt macht. Bemerkenswert dabei ist es, welche Faszination der Film für Fotografie und Belichtung aufbringt. Anders als bei "Das Omen" (1976), der ebenfalls mit verdächtigen Gebilden auf Fotos arbeitete, spielt bei "The Asphyx" auch ein gewisses Interesse für den technischen Aspekt des Fotografierens eine Rolle.

Der im modernen London spielende Rahmen nimmt dem historischen Mittelteil leider bereits einen Großteil der Spannung. Wohin die Reise führt, ist nämlich keineswegs ein Geheimnis; noch dazu spielt Logik in den Überlegungen keine besonders gewichtige Rolle. Verständlich, dass einmal über ein Remake nachgedacht wurde. Darin hätte man Drehbuchschwächen verbessern, technische Aspekte neu interpretieren und die reizvollen Kontraste aus klassischen und modernen Einflüssen konservieren können.
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Hounds Of Love
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Die Zeit scheint beinahe still zu stehen, als die Kamera während der Titeleinblendungen durch das Viertel fährt. Es ist ein Haus dabei, hinter dessen verschlossenen Türen sich bald ein Entführungs- und Missbrauchsdrama abspielen wird. Eine stilisierte Zeitlupe lässt Waden beim Volleyballspiel tanzen, Wasser aus dem Gartenschlauch perlen und Gartenzäune nur zentimeterweise passieren. Schon jetzt ist klar: Es ist kein Polizeiaufgebot zu erwarten, das hollywood-like einmarschiert und die Geisel in dramatischen Minuten frei schießen wird. Wenn alles normal läuft, wird sie niemals gefunden.

Ben Young ist gerade audiovisuell ein auffälliges Debüt gelungen. Farbwahl, Bildkomposition, altbackene Ausstattung und ebenso alte Musik - schon ohne die Handlung als solche ins Spiel bringen zu müssen, entwirft er eine suburbane Hölle ohne Aussicht auf Wiederkehr. Entsprechend minimalistisch ist das Drehbuch gehalten - eine schlichte Meinungsverschiedenheit zwischen Mutter und Teenager-Tochter, eine Ausreißer-Aktion, charmante Überredungskünste aus dem Auto heraus und schon ist ein Horror-Szenario hergestellt, das die Entführte vor allem mit einem quält: Dem Vorenthalten des "Warum".

Da die Entführer keinen langfristigen Plan zu verfolgen scheinen (obwohl sie in der spärlichen Kommunikation mit ihrem Opfer Gegenteiliges andeuten), entscheidet Situatives über den weiteren Verlauf. Die schlichte Konstellation gewährt Aussicht auf eine erfolgreiche Flucht; alleine die Erfahrung des Publikums mit Terrorfilmen wirkt diesem Optimismus entgegen.

Es ist trotz eines beachtlichen Einsatzes von Ashley Cummings ausnahmsweise mal nicht die Entführte, die schauspielerisch herausragt, sondern Emma Booth, die ebenso sehr als Opfer wie als Täterin gezeichnet wird. Sie macht mit einer facettenreichen Darstellung deutlich, wie sehr psychische Gewalt in einer Partnerschaft das individuelle Denken einschränken kann. Damit wird sie zum Spannungskatalysator, wird der Ausgang der Geschichte doch von ihrem inneren Zwiespalt abhängig gemacht. Stephen Curry hat es mit der Darstellung eines brutalen Ekels da deutlich einfacher, befindet sich perfiderweise aber selbst in einer ähnlichen Situation, da Schuldner ihm eine ähnliche Last aufdrücken wie er seiner Frau.

Den Mittelteil hätte man straffen müssen, denn hier nimmt einfaches Trial & Error seinen Lauf, das keine der Figuren weiterbringt. Man könnte meinen, dass Booth die längere Laufzeit zur Entwicklung ihres Charakters benötigt, allerdings ist davon auszugehen, dass ihr straffe 80 Minuten ebenso ausgereicht hätten, da sie bereits früh auf ihren Zwiespalt aufmerksam macht. Davon abgesehen erreicht "Hounds Of Love" sein Ziel, mit einem flauen Gefühl im Magen in den Abspann zu gehen, ebenso effektiv wie ein "Eden Lake" oder "Menschenfeind".
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Annabelle 2
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David Sandberg wird künftig wohl kaum auf der Wunschliste der Produzenten stehen, wenn es darum geht, dem Horrorfilm neue Impulse zu verleihen oder neue Wege einzuschlagen. Er hat in seiner noch jungen Karriere als Regisseur zumindest noch nichts vorgelegt, was man als innovativ bezeichnen könnte. Mit "Annabelle 2" allerdings mutiert er zum Superstar der Marken-Instandhaltung. Was er nämlich aus diesem völlig toten Zweig des einst von James Wan gepflanzten Kinos der "neuen amerikanischen Welle paranormaler Geisterfilme" noch herausholt, ist ziemlich bemerkenswert.

"Annabelle" war eine Fehlentwicklung im Wan-Kosmos, der sonst auch sieben Jahre nach "Insidious" noch einen starken Puls aufweist. "Insidious: The Last Key" überzeugte in diesem Jahr zwar nicht unbedingt die Kritiker, sehr wohl aber das Publikum an den Kinokassen (insbesondere gemessen am Startmonat Januar). Diverse Helferlein des Bösen, die ihre Einführung in "The Conjuring 2" feierten, warten bereits auf ihre eigenen Spin-Offs ("Crooked Man", "The Nun"). Die hässliche Puppe mit dem weißen Kleid hingegen mag als gruselige Hintergrunddekoration im ersten "Conjuring" ihren Zweck erfüllt haben, wirkte solo aber wenig einschüchternd. Dass man überhaupt noch eine Fortsetzung in Auftrag gab, dürfte mit der schnellen Verfügbarkeit der Figur und einem eher geringen finanziellen Risiko zu erklären sein.

Die Rolle, die Sandberg nun in dieser kreativ gesehen völlig hoffnungslosen Ausgangskonstellation spielt, würde man im Fußball wohl als "Feuerwehrmann" bezeichnen: Er rettet, was eigentlich nicht zu retten ist. Prequels sind ja an und für sich schon Giftschrankmaterial, erst recht, wenn sie auch noch auf einem Spin-Off basieren, das eigentlich schon niemand haben wollte.

Eine Sackgasse. Was macht man also mit einer Sackgasse als aufstrebender Youngster? Man bohrt sich einfach ein paar Ausgänge. Schon die zeitliche Einordnung mehrere Jahrzehnte in die Vergangenheit ist als Befreiungsschlag zu verstehen; der gewählte Schauplatz erst recht. Der stickige Dunst amerikanischer Vorstadt-Nachbarschaft, der ja durch das latente Vorbild "Poltergeist" ohnehin schon nicht mehr ganz taufrisch war, wird einfach mit einer einsamen Landhausvilla und reichlich Country-Charme weggefegt. "The Devil's Backbone", "The Others", "The Amityville Horror" oder "Landhaus der toten Seelen" liegen nun bereits näher als das eigentliche Original.

Das lässt "Annabelle 2" schon bei der visuellen Ausgestaltung um ein Vielfaches größer und freier erscheinen im Vergleich mit dem direkten Vorgänger. Auf einmal ergeben sich grenzenlose Möglichkeiten in der Konzeption der Horror-Szenarien, selbst wenn die helle, offene Umgebung auf den ersten Blick nicht sehr stimmungsvoll erscheint. Sandberg verzichtet aber nicht auf dunkle Ecken und enge Räume, sondern setzt sie spielerisch überall ein, wo der Kontrast zur offenen Welt besonders schön zur Geltung kommt. Bei der Präsentation des Bösen denkt er weit über die Puppe hinaus und stellt mit fantasievollen Transformationsszenen, die unheimlicherweise stets im Verborgenen geschehen und nicht etwa direkt vor der Kamera, den Unterschied zwischen der Kreatur und seiner körperlichen Erscheinung heraus. Sich drehende Puppenköpfe und unerklärliche Positionsveränderungen nehmen glücklicherweise nur einen geringen Teil des gesamten Spektrums ein.

Besonders gelungen ist der Einsatz der Schauspieler, gerade was die Aufteilung der Aufgaben angeht, die normalerweise an eine einzelne Hauptrolle gebunden sind. Eine solche gibt es im klassischen Sinne diesmal nämlich nicht, vielmehr stehen mit Talitha Bateman und Lulu Wilson mindestens zwei Protagonistinnen im Mittelpunkt. Seine Empathie muss der Zuschauer also zwangsläufig auf mehrere Identifikationsfiguren aufteilen, was zu einer Verunsicherung führt, die Sandberg raffiniert für sich zu nutzen weiß, zumal die Kamera keineswegs an Bateman und Wilson kleben bleibt, sondern ebenso oft um diverse Nebendarsteller rotiert, die allesamt ihre eigenen Erfahrungen mit dem dämonischen Inkubus machen.

Das führt zu einer hohen Varietät bei der Konzeption der Horrorsequenzen, die erfreulich selten auf Jump Scares setzen (und die wenigen "falschen" Jump Scares dankbarerweise nicht mit Fanfaren und Trompeten auflösen, sondern stumm), sondern stets alternative Wege finden, die Spannung zu lösen. Gleichwohl macht sich Sandberg gerade in dieser Disziplin angreifbar, weil man ihm vorwerfen kann, er setze voll auf die Mechanismen, die sich in den "Insidious"- und "Conjuring"-Franchises bewährt haben, anstatt sie auf ein neues Level zu heben. Seine Franchise-Komptibilität hat er aber schon mit "Lights Out" nachgewiesen. Überhaupt ist zu fragen: Braucht es bei einem solchen Projekt wirklich einen Visionär oder nicht doch jemanden, der einfach nur sein Handwerk versteht?

Natürlich macht auch ein Sandberg aus einem "Annabelle 2" kein Oscarmaterial. Die Idee, für eine solche Fortsetzung überhaupt grünes Licht zu geben, ist und bleibt ziemlich fragwürdig. Den schlaffen Vorgänger übertrifft er trotzdem mühelos - und empfiehlt sich so für Projekte, die vielleicht etwas mehr Substanz zu bieten haben.
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Horror Express
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Wenn Christopher Lee und Peter Cushing gemeinsam Zug fahren, liegt doch bestimmt irgendwo etwas Altes in einer Kiste herum, das unter höchster Gefahr für Leib und Leben von A nach B transportiert werden soll. Und in der Tat funkelt da ein diabolisches Auge aus einem Guckloch, bereit, einen Ausbruch in Angriff zu nehmen und die komplette Zuggesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen. Dass dabei ausnahmsweise mal keine Fangzähne zum Einsatz kommen, ist nur eine der unzähligen Erfrischungen, die dieses durchschaubare, aber schwer unterhaltsame B-Movie zu bieten hat.

Das beginnt schon mit den Klischee-Gestalten aller möglichen Nationen aus dem asiatischen Raum, die am Bahnsteig herumlungern. Chinesen mit Kegelhut und gefalteten Händen unter weiten Ärmeln sieht man normalerweise in Lucky-Luke-Comics, hier verrichten sie in Live-Action ihr neugieriges Werk. Hinzu gesellen sich Kosaken und lustige Bosniaks, die alles, was die Chinesen mit mythologischem Zauberstaub versehen, mit russischem Pragmatismus weglachen. Klar, dass sich ein Telly Savalas in der Rolle des Anführers einer solchen Truppe vollkommen wohl fühlt. Nicht zu vergessen, ein allwissender Rasputin-Verschnitt (Alberto de Mendoza), der respektvoll-ehrfürchtig mit Lees ominösen Koffern umgeht und sich nicht ganz unerwartet im weiteren Verlauf opportunistisch zeigt - ein Überlebenskünstler alter Schule eben, der Mann mit dem zotteligen Kinnbart.

Es dauert nicht lange, da beginnt auch schon der fröhliche Einsatz schriller Make-Up-Effekte. Die Tricks sind simpel und verraten ihre Machart, haben aber zweifellos ihren Charme. Verzerrte Gesichter mit weißen Augen deuten auf das Wirken einer ominösen Kreatur hin, die Sezierung eines Gehirns, dessen Falten allesamt geglättet wurden, vermittelt ein herrlich naives Wissenschaftsbild. Die Kreatur selbst ist zunächst ein halb aufgetauter Ötzi, der zunächst in Form von Close Ups eines vermoderten Gesichts und behaarter Armprothesen in Erscheinung tritt, wobei das Skript diesbezüglich noch eine faustdicke Überraschung zu bieten hat, mit einer Wendung, die das Einfangen des Entflohenen wesentlich erschwert - und den Spaßfaktor erhöht.

Auch wegen der fahrenden Kulisse mitsamt schwerer, wertiger Ausstattung wird "Horror Express" dadurch zu einer launigen Variation des bekannten "Whodunit", sofern man willens ist, einen gehörigen Schlag Story-Trash zu schlucken, ohne seine Glaubwürdigkeit zu hinterfragen. Wem konventionelle Detektivfilme und Krimis aus jener Zeit zu altbacken sind, der könnte hier mal einen Blick riskieren.
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Barry Seal
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An der Person im Mittelpunkt ist Doug Limans abenteuerliche Nicht-Biografie weniger interessiert. Vielmehr werden die Eckdaten aus dem Leben des realen Barry Seal dazu verwendet, um eine klassische Querschläger-Story zu erzählen. Ein einzelner Mann, der mit seinen Alleingängen die Brüchigkeit des Systems offenlegt und unterschiedlichste Zuständigkeiten miteinander kollidieren lässt, so etwas sieht das amerikanische Publikum gerne. Denn es stärkt die Hoffnung, dass das Individuum bei der Gestaltung seines Weges immer noch ein paar Zügel in der Hand hält.

Es ist davon auszugehen, dass Tom Cruise mit dem 150-Kilo-Original in Sachen Optik und Auftreten nicht viel gemein haben dürfte. Aber wen interessiert das hier noch. Cruise navigiert mit luftig-leichter Hans-im-Wind-Note durch das Skript und macht seine Sache auch deswegen gut, weil er nicht nur ein tollkühnes Flieger-Ass gibt, sondern auch eine ziemliche Niete, wenn es darum geht, wie man sich beim Abschluss illegaler Geschäfte zu verhalten hat. Zur Unterstreichung eröffnet Doug Liman allerhand Nebenschauplätze und fantasiert zusätzliche Ereignisse zusammen, um im Gesamten den Adventure-Touch zu bewahren. Dazu gehören riskante Geld- und Warenübergaben, Harakiri-Landemanöver in einer Wohnsiedlung und auch familiäre Komplikationen, die aller Wahrscheinlichkeit nach so nie stattgefunden haben. Nichts aber fasst die Kernaussage des Films besser zusammen als der Moment, in dem die unterschiedlichsten Zuständigkeiten, von der Polizei über die DEA und die CIA bis zum Platzhirsch FBI, zur gleichen Zeit am gleichen Ort eintreffen.

Ästhetisch wagt Liman einiges, setzt er doch auf eine von Unschärfen geprägte, in rotes Dämmerlicht getauchte Früh-80er-Nostalgiefärbung, die mit den eigenwilligen Linien der damaligen Fahrzeuge eine Einheit ergeben. Im eigentlichen Sinne schön ist das nicht (HD-tauglich ebenfalls nicht, wie Technikfetischisten wohl enttäuscht feststellen werden), aber es hebt sich wohltuend ab vom standardisierten Blockbuster-Kino, das meist nur rasiermesserschafe, symmetrisch austarierte Bildfülle kennt.

Ganz eigenständig ist "Barry Seal" deswegen natürlich nicht; schließlich folgt er offensichtlich den Pfaden von "Blow" oder "Catch Me If You Can". Alle paar Jahre kommt einem so ein Possenspiel aber gerade recht.
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Die Autos, die Paris auffrassen
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Die Konzeption des sich selbst verschlingenden Kleindorfs, in Peter Weirs "Die Autos, die Paris auffraßen" trifft sie auf eine wahrhaft bizarre allegorische Verkleidung. So bildhaft wie der Titel ist die Handlung nicht; weder geht es um menschenfressende Auto-Mutanten noch findet die Handlung in einer französischen Großstadt statt. Ganz im Gegenteil, hier sind äußerst irdische Kräfte am Werk und sie walten irgendwo im australischen Nirgendwo auf einem Punkt der Landkarte, den Menschen wahrscheinlich nur zufällig passieren. Dabei ist gerade der Titel in seiner Monstrosität genial gewählt. Die aus ihm entstehende Suggestion führt soweit, dass man ein parkendes Auto in einer schlichten ersten Einstellung daraufhin zu prüfen beginnt, ob es eine eigenwillige Persönlichkeit besitzt: Steht da am Wegesrand womöglich eine böse Variante von "Herbie", die im Inbegriff ist, Amok zu laufen?

Natürlich trügt uns der Instinkt. Stattdessen werden nachfolgend zunächst einmal Dorfbewohner gezeigt, die wie besessen ihre Autos pflegen, sie ungewöhnlich bemalen und mit Features versehen, die sie glatt für ein "Death Race 2000" wie im gleichnamigen Film von 1975 tauglich machen würden. Ein rundum mit Spikes versehener Käfer wäre sogar in der Welt von "Mad Max" ein ziemlicher Hingucker. Die Vermenschlichung der Autos geht also von ihren Besitzern aus. Einer von ihnen schreit wie am Spieß, als sein Fahrzeug in den Flammen zerstört wird, beinahe so, als handle es sich um Lebewesen. Weir spielt auch mit Elementen des Backwood-Horrorfilms, als er auf degeneriert dreinschauende Darsteller setzt. Er kombiniert diese Figuren mit sektenartigen Anführern, die sich hauptsächlich im reichlich merkwürdigen Verhalten des Mayors (John Meillon) spiegeln.

Wie die meisten Geschichten dieser Art folgt auch diese dem Prinzip der Eskalation. Was im ersten Akt noch unter der Oberfläche brodelt, stößt naturgemäß während eines mehr als unheimlichen Dorffestes an die Oberfläche, im Takt mit den Entdeckungen, die Terry Camilleri als Maulwurf des Zuschauers macht. Als habe Weir gerade darauf abgezielt, zelebriert er chaotische Auto-Stunts in einem Kontext, der weniger von Action als von Horror geprägt ist, pfeift auf jede Form einer ausdefinierten Choreografie. Und so klassisch die Dramaturgie ist, so ungewöhnlich die Mittel, mit der sie erreicht wird. Auch wenn man noch so viele "Weird Village Tales" gesehen hat - "Die Autos, die Paris auffraßen" ist merkwürdig in fast jeder Hinsicht.
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Malastrana (Short Night Of Glass Dolls)
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Der klangvolle Originaltitel „La Corta notte delle bambole di vetro“, übersetzt "Short Night Of Glass Dolls", sucht einen bildhaften Zugang zum Inhalt des mit Giallo-Elementen gespickten Thrillers, den er beschreibt, doch ein schlichtes "Malastrana" wie aus dem deutschen Titel reicht im Grunde vollkommen. Es ist schließlich das gleichnamige Prager Viertel, das der „kurzen Nacht“ ihre Form verleiht. Meist auf Höhe von Sträuchern und Hydranten gefilmt, mit freiem Blick in den Himmel, wird die Perspektive eines vermeintlichen Toten eingenommen, der durchaus noch etwas Wichtiges zu erzählen hat - begleitet von den Seufzern weiblicher Stimmen, die einen unheimlichen Soundtrack bilden, der die Sinneseindrücke aus dem Wachkoma heraus in einen unwirklichen Kontext setzt.

Wenn "Malastrana" streckenweise langatmig wirkt, so mag das mit der somnambulen Wirkung zusammenhängen, die er aus jeder Pore verströmt. Sie verfolgt ein anderes Ziel als schnöde Unterhaltung, setzt nämlich nach und nach ein Mosaik aus Steinen mit diffus verlaufenden Kanten zusammen, um in einem infernalisch-orgiastischen Höhepunkt zu enden, wie ihn in der neueren Geschichte des Horrorfilms eigentlich nur "Martyrs" zu erzeugen wusste. Gesellschaftliches, Kriminalistisches, Wissenschaftliches und Medizinisches trifft die eigentlich durchweg irreale, weil stark subjektivierte Narration in der Manier eines Kometeneinschlags, obwohl all jene Themenfelder der Story im Grunde bereits die Basis liefern. Doch die Wahrnehmung diktiert in diesem Film die Realität. Bei den Vorbildern herrscht Einigkeit etwa mit einem "The Night Child": Roegs "Wenn die Gondeln Trauer tragen" lässt sich in Häuserreihen zwischen Pflastersteinen ablesen, die okkulten Märchenwelten diverser Bava-Werke ebenfalls. Und am Ende der Freeze Frame einer schreienden Frau, der symbolisch für die Erkenntnis steht, dass Film immer auch Traum ist, bei dem das schmerzhafte Erwachen sich womöglich bloß als Portal in den nächsten Traum entpuppt.
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Weitere Sichtungen:
Railroad Tigers
Dollman vs. Demonic Toys
Baywatch
American Assassin
Suburbicon
Beyond Skyline
Jumanji
10 To Midnight
Der Boxer und der Tod
The Devil's Backbone

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