Ich finde es immer lustig: Sobald sich ein Film mal von den üblichen Comicformeln abwendet, wird das gefeiert wie die Neuerfindung geschnittenen Brotes, selbst wenn er dafür Formeln anderer Genres kopiert (siehe "Logan"). In diesem Falle steckt unter der Clownsschminke ein Film, der irgendwo zwischen Scorsese-Hommage und -Plagiat schwankt: Gerade an "Taxi Driver" und "King of Comedy" wanzt sich "Joker" ja dermaßen ran, dass Scorsese fast Klage einreichen könnte, hätte er das Teil nicht selbst produziert.
Ich will aber nicht zu viel unken, denn "Joker" ist schon ein ziemlich starkes Psychogramm eines psychisch geschädigten Mannes, der immer weiter in seine Abgründe hinabsteigt. Manchmal übertreibt der Film es zwar mit seiner x-ten Szene, in der man die Rippen des halbnackten Phoenix nachzählen darf (das erinnert an das oft belächelte "Gebt mir nen Oscar!"-Spiel von DiCaprio), man kann seinen Method-Acting-Ansatz auch kritisch sehen, aber ich fand ihn Bombe in der Rolle. Tatsächlich lebt "Joker" über weite Strecken von seinem Spiel, da war ich drin. Ebenso schön ist das Einfangen der Atmosphäre jener New-York-Filme der 1970er und 1980er, an denen sich Todd Phillips zweifellos orientiert - neben Scorseses Werk fallen mir da William Friedkin ("French Connection"), Sidney Lumet ("Dog Day Afternoon") und Brian de Palma ("Dressed to Kill") ein. Dass von letzterem "Blow Out" in einem Kino läuft, dürfte kein Zufall sein.
Natürlich schafft diese Verortung in einer vergangen Epoche unter Umständen eine Distanz zur gesellschaftskritischen Attitüde des Films, die ich wegen seines Zitatcharakters aber nicht überbewerten möchte. Dass Leute, die alles verlieren, die (Narren-)Freiheit haben zum Amokläufer oder Verbrecher zu werden, ist jetzt keine revolutionär neue Erkenntnis. In der Clownsmaskenbewegung kann man natürlich Spuren der Occupy-Bewegung erkennen (was ja schon "The Dark Knight Rises" beackerte), wobei mancher Kritiker das ja kritisch sah, denn die Keimzelle der Revolution für mehr Gleichheit ist letzten Endes ein Mord, egal wie arschig die Yuppies gewesen sein mögen. Aber auch das will ich nicht überbewerten, so wie ich auch jene wenig wohlwollende Interpretation fraglich finde, dass die jugendlichen Schläger in der ersten Sequenz auf die Central Park Five anspielen könnten. "Joker" ist da vielseitig interpretierbar, etwas unkonkret - konkret ist dagegen die Beschreibung einer Gesellschaft am Rande des Kollaps, in der jeder vielleicht auch dadurch gleichgültig, dass er sich um seine eigenen, substantiellen Probleme kümmern muss. Man merkt das ja im letzten Gespräch mit der Therapeutin:
Unterschwellig denkt sie ja viel mehr daran, dass die Kürzungen auch sie den Job kosten können (oder schon gekostet haben?), weshalb sie Fleck nicht groß helfen kann.
Eine Sache war mir relativ schnell klar:
Als Fleck im Club seinen großen Auftritt hat, hatte ich fest damit gerechnet, dass das nicht wahr sein kann. Hatte angenommen, dass er sich die Nachbarin komplett eingebildet hat, weil sie ja nie mit wem außer ihm agiert. Aber die Pointe der Missinterpretation einer freundlichen Geste war dann doch smarter, das fand ich sehr schön.
Unterm Strich muss ich sagen: Echte Revolutionen sehen anders aus, aber ein stark gespieltes Charakterdrama mit viel Flair, welches das (IMO eh schon vorhandende) Spektrum der Spielarten der Comicverfilmung bereichert.

bis
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Jimmy Dix: "Du glaubst wohl nicht an die Liebe?" - Joe Hallenbeck: "Doch ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an Krebs." [Last Boy Scout]
Perry Van Shrike: "Look up 'idiot' in the dictionary. You know what you'll find?" - Harry Lockhart: "A picture of me?" - Perry Van Shrike: "No! The definition of the word idiot, cause that is what you fucking are!" [Kiss Kiss, Bang Bang]