The Artist
Verfasst: 04.02.2012, 21:45
The Artist
Originaltitel: The Artist
Herstellungsland: Belgien / Frankreich
Erscheinungsjahr: 2011
Regie: Michel Hazanavicius
Darsteller: Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Missi Pyle, Beth Grant, Ed Lauter, Joel Murray, Bitsie Tulloch, Ken Davitian, Malcolm McDowell
Einen Stummfilm über die Stummfilmzeit zu machen, ist zunächst mal ein Wagnis. Nicht nur deswegen, weil man verdammt gut im Marketing sein muss, um dem heutigen Publikum so etwas Absonderliches schmackhaft zu machen; sondern auch und vor allem, weil die Arthaus-Klientel einem solchen Experiment Selbstzweck und Gimmicklastigkeit anlasten könnte. Wozu das Getue in Schwarzweiß, mit originalgetreuem 1.37:1 und Bildflackern, warum selbst die Gestalt annehmen, die man beschreiben möchte? Das ist die Kernfrage, die darüber entscheiden lässt, ob man in „The Artist“ Blenderei erkennt oder einfach die Liebe zum Medium Film.
Denn Michel Hazanavicius sucht die stilistische Authentizität. Das beginnt bei Jean Dujardin, der dem Clark-Gable-Typus wie aus dem Gesicht geschnitten ist und in Frack gekleidet und schwarzweiß abgefilmt einen Entertainer der späten 20er Jahre ebenso urtümlich spielt wie den Geheimagenten der 60er und 70er Jahre in den „OSS“-Verfilmungen. Es endet bei der unglaublichen Konsequenz, mit der das Programm durchgezogen wird – ein Stummfilm liegt hier fürwahr vor, lediglich unterbrochen für eine poststrukturelle Unterbrechung mit plötzlichen Toneffekten: In einem Alptraum erwacht die akustische Welt um Dujardins Figur George Valentin zum Leben, während er selbst voller Entsetzen feststellen muss, dass er stumm bleibt.
In nur dieser einen Szene werden direkt mehrere Zitate eingesponnen, ohne dafür banale Post-Tarantino-Reflexe in Anspruch nehmen zu müssen: Während Idee und Arrangement des Tagtraums stark an die Traumszene aus Ingmar Bergmans „Wilde Erdbeeren“ erinnert, fühlt man sich bei der Art und Weise, wie die Tonspur als Effekt eingesetzt wird, auf „Blackmail“ gestoßen, Alfred Hitchcocks ersten Tonfilm. Dieser beginnt als Stummfilm, bis mit einem Knall eine neue Ära noch innerhalb eines Filmes Einzug findet. Auf „Blackmail“ wird darüber hinaus später noch einmal in einem Satz angespielt, wenn Peppy Miller (Bérénice Bejo) ihrem Produzenten Al Zimmer (John Goodman) beteuert: „Don’t you understand? I am blackmailing you!“.
„The Artist“ fokussiert sich also auf die große Umbruchsphase Hollywoods zu dessen Glanzzeiten und inszeniert die Traumfabrik postkartengleich als Hort des Glückes und der Tragödie – so, wie sich Hollywood eben auch selbst gerne sieht, weshalb die Oscarnominierungen rückblickend logisch erscheinen. Den Protagonisten geschehen schreckliche Dinge, doch inszeniert sind sie als Filmhandlung, bei denen der Zuschauer zwar kräftig mitfiebern kann, immer jedoch die Distanz der Leinwand zu überbrücken hat. An Einzelschicksalen ist „The Artist“ im Gegensatz zu den thematisch und stilistisch verwandten „Sunset Boulevard“ und „Ed Wood“ nur insofern interessiert, als dass sie der Handlung Dynamik verleihen sollen. Entsprechend unterhaltsam und von erstaunlicher Leichtigkeit geprägt ist das Resultat geworden. Dujardin stellt „nur“ ein wie mit Tusche gezeichnetes Profil zur Verfügung, das der betont einfachen, ja geradezu konservativen Geschichte bzw. ihrem vorgeschriebenen Schicksal folgt wie eine Daumenkinofigur dem Schreibblock – ein Grinsen vom Kinoplakat, ein skeptischer Blick auf die Vorführung eines ersten Tonfilms, dann eine verregnete Nacht im Ohrensessel mit einem Glas Whisky, während sich die Regentropfen auf der blassen Haut des von Veränderungen bedrohten Mannes abzeichnen. Alles Szenenbilder, gemacht wie für einen Kinoaushang (einmal steht Valentin mit hängendem Kopf gar vor einem Kino, dessen Reklame den Titel „Lonely Star“ ankündigt – mehr Screenshotmotiv geht nicht), die in kunstvoller Verkleidung die alte Geschichte von Aufstieg und Fall erzählen sollen.
Wer in diesem Zusammenhang jedoch eine klischeehafte, unoriginelle Geschichte bemängelt oder dem Film vorwirft, er schlachte die Stummfilmästhetik für niedere Zwecke (den Oscar etwa) aus, dem entgeht vielleicht sein besonderer Kniff. Der liegt in der Herausforderung „21. Jahrhundert“ begraben: Setzt man einem Publikum, dem von der Computertechnologie inzwischen fast grenzenlose Freiheit geschenkt wurde, ein Dogma wie den Stummfilm vor - wird es die Möglichkeiten begreifen, die sich hier exklusiv bieten?
Entsprechend ernsthaft behandelt Hazanavicius sein Sujet. Obwohl Ironie (alleine durch Dujardins unvergleichliche Gesichts- und Körpermimik) und das Spiel mit dem Zuschauerwissen stets beibehalten werden, liest sich „The Artist“ parallel durchaus als klassischer und nahtloser Beitrag, der nicht viel anders gedreht ist als ein 90 Jahre alter Film. Das gelingt, indem das Tempo nie heutigen Sehgewohnheiten zuliebe plötzlich abgeändert wird, nur um den Rezipienten mit der Nase auf ein Zitat zu stoßen. Sämtliche Dinge, die es zu erkunden gibt (und das sind genug, um den Film auch noch ein zweites oder drittes Mal zu sehen und immer wieder Neues zu entdecken), werden ganz seiner Interpretation überlassen. So ist es seine Entscheidung, ob er hier mal Fred Astaire, dort William Powell, Errol Flynn oder Douglas Fairbanks entdeckt oder ob er einfach nur mit Spannung (der Spannung des Erwarteten) der Geschichte folgt.
Warum also an neun Jahrzehnte alte Filmgeschichte anknüpfen? Nicht etwa, weil früher alles besser war; vielmehr, weil es früher andere Möglichkeiten gab, sich auszudrücken. Oder wie sollte man den Schlussgag mit der „Peng“-Schrifttafel in einem modernen Film umsetzen? „The Artist“ umarmt letztlich die Vielfalt der Kunstformen und leistet dadurch, dass er sich selbst als Stummfilm präsentiert, seinen Beitrag für das aktuelle Jahrzehnt. Der meisterhafte „Sunset Boulevard“ bleibt selbstverständlich unerreicht, wenn es darum geht, die Tragik und auch den wirtschaftlichen Umschwung begreiflich zu machen, der Hollywood Anfang der 30er umwehte. Hier bleibt Hazanavicius’ Film holzschnittartig. Aber auch nur, um seine Scheinwerfer auf ein ganz anderes Anliegen zu richten. Somit muss die Frage nicht lauten „Warum ein Stummfilm?“, sondern vielmehr: „Warum denn nicht?“
(knapp)
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C4rter steht auch net mehr auf Action:
Hollywood im Jahr 1927: George Valentin (Jean Dujardin) ist Stummfilmschauspieler und ein gefeierter, charismatischer Star seiner zunft in der Traumfabrik und auch auf der ganzen Welt. Durch seinen Charme und sein Selbstvertrauen liegen ihm auch die Frauen reihenweise zu Füßen. Eine Tatsache, die George Valentin verständlicherweise überaus genießt.
Als er sich bei einem öffentlichen Auftritt im Glanze seines Ruhmes sonnt, entdeckt er die junge Peppy Miller (Bérénice Bejo), die kurz darauf als Statistin in einem seiner Filme auftritt. Der Charmeur George sieht jedoch mehr in der jungen Frau als nur eine Statistin und beginnt, ihr Talent zu fördern.
Doch das glamouröse Leben des George Valentin ändert sich radikal, als der Tonfilm in Hollywood Einzug hält. Plötzlich ist sein Talent keinen Cent mehr Wert. Als sein Stern zu verblassen droht, geht der von Peppy gerade erst auf. George ist zu verbohrt sich dem Tonfilm hinzugeben und dreht auf eigene Kosten weitere Stummfilme. Peppy hingegen zieht an ihm vorbei und wird ein großer Star. Das treibt George in eine tiefe Depression aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.
Hollywood ist wieder an dem Punkt angekommen, an dem der Zuschauer mit lautem Krawall und viel fürs Auge davon abgelenkt werden soll, dass das was da auf der Leinwand passiert entweder nochmal aufgegossener Kaffee ist (Remake) oder einfach ein hirnloser Brei ohne Sinn und Verstand. Und ausschließen müssen sich diese zwei Attribute zweifellos auch nicht.
Wer hätte da gedacht, dass in dieser Zeit die Macher der witzigen Komödien rund um den französischen Spion „OSS-117“ hingehen und einen schwarz weißen Stummfilm in die Kinos bringen? Ganz ehrlich, wohl nicht einmal die Macher selbst.
„The Artist“ stellt sich als Hommage und Verehrung des Stummfilms heraus, also dieser frühen Filme ohne Sprache sondern lediglich mit Musik, zumeist Live im Kinosaal durch ein Orchester eingespielt, unterlegt. Allein diese Idee durchzuplanen und umzusetzen gebührt höchsten Respekt.
Die Story als solches reißt, im Gegensatz zur Umsetzung der Grundidee, allerdings keine Bäume aus. Die Charaktere sind rudimentär und verfügen nicht über besonders viel Tiefe. Wie die Story ausgeht ist von Beginn an ungefähr klar und die Entwicklung der Figuren, soweit es denn eine gibt, ist ebenfalls recht geläufig und oftmals gesehen. Auch die eine oder andere Länge schleicht sich ein, denn wirklich viel passiert in dem knapp 100 Minuten langen Film dann doch nicht.
Doch als Filmfan muss man „The Artist“ trotzdem einfach mögen. Das Kunststück das schwer zugängliche Genre der Stummfilme heutzutage einem Mainstreampublikum zugänglich zu machen ist schlicht phänomenal gut gelungen, auch wenn einige Briten nach dem Kinobesuch ihr Geld wiederhaben wollten, da sie nicht wussten, dass in „The Artist“ niemand redet.
Der Zugänglichkeit am ehesten förderlich ist zweifelsohne der erneut herrlich chargierende Jean Dujardin. Der wandlungsfähige Schauspieler passt allein schon mit seinem Aussehen und seiner ganzen Art perfekt in diese Zeit und dieses Genre.
Doch „The Artist“ ist generell gut besetzt. In Nebenrollen trifft man auf John Goodman, James Cromwell und Malcolm McDowell (der wirklich nur ganz kurz zu sehen ist) und als Love-Interest überzeugt eine bis dato eher unbekannte Bérénice Bejo.
Ebenso wichtig wie die Schauspieler ist in einem Stummfilm natürlich der Soundtrack, schließlich läuft dieser während des Films praktisch ununterbrochen. Der Wiedererkennungswert der Musik hält sich dabei naturgemäß in Grenzen und dudelt meist unentwegt nebenbei, doch in wichtigen emotionalen Szenen wurde stets der richtige Ton getroffen. Allerdings bewiesen die Macher scheinbar selbst nicht viel Vertrauen in ihren Komponisten und unterlegten fast das gesamte Finale mit Musik aus Hitchcocks Film „Vertigo“ von Komponist Bernard Herrmanns. Das hört sich natürlich sehr gut an, wirklich passen tut das Ganze zum Film aber dann doch irgendwie nicht.
Woraus die Macher zudem bestimmt mehr hätten machen können, sind die Szenen bei denen man dem Film anmerkt, dass es sich nicht um einen reinen Stummfilm handelt. Da gibt es eine Passage, einen Alptraum des Hauptdarstellern, indem er durch die Welt irrt und plötzlich macht alles Geräusche, sogar andere Personen, nur er selbst bekommt keinen Ton raus. Eine beeindruckende und faszinierende Szene.
Doch abgesehen vom Ende des Films, ist das die einzige Szene, in der mit dem was kreiert wurde liebevoll und geschickt gespielt wird. Das mag so beabsichtigt sein, fährt den Film aber hier und da etwas fest.
Aber wenn „The Artist“ jenseits seiner Idee und seines Vorhabends hier und da doch eher altbekannt und sogar austauschbar wirkt, merkt man wieder einmal das vor allem der gute Wille zählt. Die sattsam bekannte Story bekommt durch die tollen Darsteller eine enorme Aufwertung zu spüren und man wundert sich als Zuschauer selbst, wie schnell man akzeptiert hat, dass man das meiste was die Darsteller von sich geben nicht hören kann. Abgesehen von einigen Texttafeln für wirklich entscheidende Dialoge, schafft es „The Artist“ seine Geschichte wunderbar vorzutragen und gibt so einen eindrucksvollen Blick auf eine längst vergessene Epoche.
Originaltitel: The Artist
Herstellungsland: Belgien / Frankreich
Erscheinungsjahr: 2011
Regie: Michel Hazanavicius
Darsteller: Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Missi Pyle, Beth Grant, Ed Lauter, Joel Murray, Bitsie Tulloch, Ken Davitian, Malcolm McDowell
Einen Stummfilm über die Stummfilmzeit zu machen, ist zunächst mal ein Wagnis. Nicht nur deswegen, weil man verdammt gut im Marketing sein muss, um dem heutigen Publikum so etwas Absonderliches schmackhaft zu machen; sondern auch und vor allem, weil die Arthaus-Klientel einem solchen Experiment Selbstzweck und Gimmicklastigkeit anlasten könnte. Wozu das Getue in Schwarzweiß, mit originalgetreuem 1.37:1 und Bildflackern, warum selbst die Gestalt annehmen, die man beschreiben möchte? Das ist die Kernfrage, die darüber entscheiden lässt, ob man in „The Artist“ Blenderei erkennt oder einfach die Liebe zum Medium Film.
Denn Michel Hazanavicius sucht die stilistische Authentizität. Das beginnt bei Jean Dujardin, der dem Clark-Gable-Typus wie aus dem Gesicht geschnitten ist und in Frack gekleidet und schwarzweiß abgefilmt einen Entertainer der späten 20er Jahre ebenso urtümlich spielt wie den Geheimagenten der 60er und 70er Jahre in den „OSS“-Verfilmungen. Es endet bei der unglaublichen Konsequenz, mit der das Programm durchgezogen wird – ein Stummfilm liegt hier fürwahr vor, lediglich unterbrochen für eine poststrukturelle Unterbrechung mit plötzlichen Toneffekten: In einem Alptraum erwacht die akustische Welt um Dujardins Figur George Valentin zum Leben, während er selbst voller Entsetzen feststellen muss, dass er stumm bleibt.
In nur dieser einen Szene werden direkt mehrere Zitate eingesponnen, ohne dafür banale Post-Tarantino-Reflexe in Anspruch nehmen zu müssen: Während Idee und Arrangement des Tagtraums stark an die Traumszene aus Ingmar Bergmans „Wilde Erdbeeren“ erinnert, fühlt man sich bei der Art und Weise, wie die Tonspur als Effekt eingesetzt wird, auf „Blackmail“ gestoßen, Alfred Hitchcocks ersten Tonfilm. Dieser beginnt als Stummfilm, bis mit einem Knall eine neue Ära noch innerhalb eines Filmes Einzug findet. Auf „Blackmail“ wird darüber hinaus später noch einmal in einem Satz angespielt, wenn Peppy Miller (Bérénice Bejo) ihrem Produzenten Al Zimmer (John Goodman) beteuert: „Don’t you understand? I am blackmailing you!“.
„The Artist“ fokussiert sich also auf die große Umbruchsphase Hollywoods zu dessen Glanzzeiten und inszeniert die Traumfabrik postkartengleich als Hort des Glückes und der Tragödie – so, wie sich Hollywood eben auch selbst gerne sieht, weshalb die Oscarnominierungen rückblickend logisch erscheinen. Den Protagonisten geschehen schreckliche Dinge, doch inszeniert sind sie als Filmhandlung, bei denen der Zuschauer zwar kräftig mitfiebern kann, immer jedoch die Distanz der Leinwand zu überbrücken hat. An Einzelschicksalen ist „The Artist“ im Gegensatz zu den thematisch und stilistisch verwandten „Sunset Boulevard“ und „Ed Wood“ nur insofern interessiert, als dass sie der Handlung Dynamik verleihen sollen. Entsprechend unterhaltsam und von erstaunlicher Leichtigkeit geprägt ist das Resultat geworden. Dujardin stellt „nur“ ein wie mit Tusche gezeichnetes Profil zur Verfügung, das der betont einfachen, ja geradezu konservativen Geschichte bzw. ihrem vorgeschriebenen Schicksal folgt wie eine Daumenkinofigur dem Schreibblock – ein Grinsen vom Kinoplakat, ein skeptischer Blick auf die Vorführung eines ersten Tonfilms, dann eine verregnete Nacht im Ohrensessel mit einem Glas Whisky, während sich die Regentropfen auf der blassen Haut des von Veränderungen bedrohten Mannes abzeichnen. Alles Szenenbilder, gemacht wie für einen Kinoaushang (einmal steht Valentin mit hängendem Kopf gar vor einem Kino, dessen Reklame den Titel „Lonely Star“ ankündigt – mehr Screenshotmotiv geht nicht), die in kunstvoller Verkleidung die alte Geschichte von Aufstieg und Fall erzählen sollen.
Wer in diesem Zusammenhang jedoch eine klischeehafte, unoriginelle Geschichte bemängelt oder dem Film vorwirft, er schlachte die Stummfilmästhetik für niedere Zwecke (den Oscar etwa) aus, dem entgeht vielleicht sein besonderer Kniff. Der liegt in der Herausforderung „21. Jahrhundert“ begraben: Setzt man einem Publikum, dem von der Computertechnologie inzwischen fast grenzenlose Freiheit geschenkt wurde, ein Dogma wie den Stummfilm vor - wird es die Möglichkeiten begreifen, die sich hier exklusiv bieten?
Entsprechend ernsthaft behandelt Hazanavicius sein Sujet. Obwohl Ironie (alleine durch Dujardins unvergleichliche Gesichts- und Körpermimik) und das Spiel mit dem Zuschauerwissen stets beibehalten werden, liest sich „The Artist“ parallel durchaus als klassischer und nahtloser Beitrag, der nicht viel anders gedreht ist als ein 90 Jahre alter Film. Das gelingt, indem das Tempo nie heutigen Sehgewohnheiten zuliebe plötzlich abgeändert wird, nur um den Rezipienten mit der Nase auf ein Zitat zu stoßen. Sämtliche Dinge, die es zu erkunden gibt (und das sind genug, um den Film auch noch ein zweites oder drittes Mal zu sehen und immer wieder Neues zu entdecken), werden ganz seiner Interpretation überlassen. So ist es seine Entscheidung, ob er hier mal Fred Astaire, dort William Powell, Errol Flynn oder Douglas Fairbanks entdeckt oder ob er einfach nur mit Spannung (der Spannung des Erwarteten) der Geschichte folgt.
Warum also an neun Jahrzehnte alte Filmgeschichte anknüpfen? Nicht etwa, weil früher alles besser war; vielmehr, weil es früher andere Möglichkeiten gab, sich auszudrücken. Oder wie sollte man den Schlussgag mit der „Peng“-Schrifttafel in einem modernen Film umsetzen? „The Artist“ umarmt letztlich die Vielfalt der Kunstformen und leistet dadurch, dass er sich selbst als Stummfilm präsentiert, seinen Beitrag für das aktuelle Jahrzehnt. Der meisterhafte „Sunset Boulevard“ bleibt selbstverständlich unerreicht, wenn es darum geht, die Tragik und auch den wirtschaftlichen Umschwung begreiflich zu machen, der Hollywood Anfang der 30er umwehte. Hier bleibt Hazanavicius’ Film holzschnittartig. Aber auch nur, um seine Scheinwerfer auf ein ganz anderes Anliegen zu richten. Somit muss die Frage nicht lauten „Warum ein Stummfilm?“, sondern vielmehr: „Warum denn nicht?“
(knapp)
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C4rter steht auch net mehr auf Action:
Hollywood im Jahr 1927: George Valentin (Jean Dujardin) ist Stummfilmschauspieler und ein gefeierter, charismatischer Star seiner zunft in der Traumfabrik und auch auf der ganzen Welt. Durch seinen Charme und sein Selbstvertrauen liegen ihm auch die Frauen reihenweise zu Füßen. Eine Tatsache, die George Valentin verständlicherweise überaus genießt.
Als er sich bei einem öffentlichen Auftritt im Glanze seines Ruhmes sonnt, entdeckt er die junge Peppy Miller (Bérénice Bejo), die kurz darauf als Statistin in einem seiner Filme auftritt. Der Charmeur George sieht jedoch mehr in der jungen Frau als nur eine Statistin und beginnt, ihr Talent zu fördern.
Doch das glamouröse Leben des George Valentin ändert sich radikal, als der Tonfilm in Hollywood Einzug hält. Plötzlich ist sein Talent keinen Cent mehr Wert. Als sein Stern zu verblassen droht, geht der von Peppy gerade erst auf. George ist zu verbohrt sich dem Tonfilm hinzugeben und dreht auf eigene Kosten weitere Stummfilme. Peppy hingegen zieht an ihm vorbei und wird ein großer Star. Das treibt George in eine tiefe Depression aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.
Hollywood ist wieder an dem Punkt angekommen, an dem der Zuschauer mit lautem Krawall und viel fürs Auge davon abgelenkt werden soll, dass das was da auf der Leinwand passiert entweder nochmal aufgegossener Kaffee ist (Remake) oder einfach ein hirnloser Brei ohne Sinn und Verstand. Und ausschließen müssen sich diese zwei Attribute zweifellos auch nicht.
Wer hätte da gedacht, dass in dieser Zeit die Macher der witzigen Komödien rund um den französischen Spion „OSS-117“ hingehen und einen schwarz weißen Stummfilm in die Kinos bringen? Ganz ehrlich, wohl nicht einmal die Macher selbst.
„The Artist“ stellt sich als Hommage und Verehrung des Stummfilms heraus, also dieser frühen Filme ohne Sprache sondern lediglich mit Musik, zumeist Live im Kinosaal durch ein Orchester eingespielt, unterlegt. Allein diese Idee durchzuplanen und umzusetzen gebührt höchsten Respekt.
Die Story als solches reißt, im Gegensatz zur Umsetzung der Grundidee, allerdings keine Bäume aus. Die Charaktere sind rudimentär und verfügen nicht über besonders viel Tiefe. Wie die Story ausgeht ist von Beginn an ungefähr klar und die Entwicklung der Figuren, soweit es denn eine gibt, ist ebenfalls recht geläufig und oftmals gesehen. Auch die eine oder andere Länge schleicht sich ein, denn wirklich viel passiert in dem knapp 100 Minuten langen Film dann doch nicht.
Doch als Filmfan muss man „The Artist“ trotzdem einfach mögen. Das Kunststück das schwer zugängliche Genre der Stummfilme heutzutage einem Mainstreampublikum zugänglich zu machen ist schlicht phänomenal gut gelungen, auch wenn einige Briten nach dem Kinobesuch ihr Geld wiederhaben wollten, da sie nicht wussten, dass in „The Artist“ niemand redet.
Der Zugänglichkeit am ehesten förderlich ist zweifelsohne der erneut herrlich chargierende Jean Dujardin. Der wandlungsfähige Schauspieler passt allein schon mit seinem Aussehen und seiner ganzen Art perfekt in diese Zeit und dieses Genre.
Doch „The Artist“ ist generell gut besetzt. In Nebenrollen trifft man auf John Goodman, James Cromwell und Malcolm McDowell (der wirklich nur ganz kurz zu sehen ist) und als Love-Interest überzeugt eine bis dato eher unbekannte Bérénice Bejo.
Ebenso wichtig wie die Schauspieler ist in einem Stummfilm natürlich der Soundtrack, schließlich läuft dieser während des Films praktisch ununterbrochen. Der Wiedererkennungswert der Musik hält sich dabei naturgemäß in Grenzen und dudelt meist unentwegt nebenbei, doch in wichtigen emotionalen Szenen wurde stets der richtige Ton getroffen. Allerdings bewiesen die Macher scheinbar selbst nicht viel Vertrauen in ihren Komponisten und unterlegten fast das gesamte Finale mit Musik aus Hitchcocks Film „Vertigo“ von Komponist Bernard Herrmanns. Das hört sich natürlich sehr gut an, wirklich passen tut das Ganze zum Film aber dann doch irgendwie nicht.
Woraus die Macher zudem bestimmt mehr hätten machen können, sind die Szenen bei denen man dem Film anmerkt, dass es sich nicht um einen reinen Stummfilm handelt. Da gibt es eine Passage, einen Alptraum des Hauptdarstellern, indem er durch die Welt irrt und plötzlich macht alles Geräusche, sogar andere Personen, nur er selbst bekommt keinen Ton raus. Eine beeindruckende und faszinierende Szene.
Doch abgesehen vom Ende des Films, ist das die einzige Szene, in der mit dem was kreiert wurde liebevoll und geschickt gespielt wird. Das mag so beabsichtigt sein, fährt den Film aber hier und da etwas fest.
Aber wenn „The Artist“ jenseits seiner Idee und seines Vorhabends hier und da doch eher altbekannt und sogar austauschbar wirkt, merkt man wieder einmal das vor allem der gute Wille zählt. Die sattsam bekannte Story bekommt durch die tollen Darsteller eine enorme Aufwertung zu spüren und man wundert sich als Zuschauer selbst, wie schnell man akzeptiert hat, dass man das meiste was die Darsteller von sich geben nicht hören kann. Abgesehen von einigen Texttafeln für wirklich entscheidende Dialoge, schafft es „The Artist“ seine Geschichte wunderbar vorzutragen und gibt so einen eindrucksvollen Blick auf eine längst vergessene Epoche.