Seit Streaming-Anbieter an der Macht sind, ist es die Rezeptur der Stunde: Locke den Kunden mit visueller Opulenz beim Marketing, zeige aber im fertigen Produkt nur wenig davon, um die Kosten nicht explodieren zu lassen. Dann halte das Interesse mit einer geschmackvollen Optik und ein paar ehemaligen Stars aufrecht. Mache ganz dezente Andeutungen von Anspruch, bleibe aber zugänglich. Kurz vor Ende kannst du dann zur Entschädigung mal ein bisschen die Sau rauslassen. Lass eine der Figuren am besten noch einen Kommentar zu den Effekten absondern wie „cool, oder?“. Hoffen wir abschließend, dass das ausreicht für eine Fortsetzung mit noch mehr Alien-Wummen und Einschusskratern. Wir wollen ja schließlich in Serie gehen. Auch bei einem Film.
Mit anderen Worten: Drehe einen kleinen Film und mache Glauben, es sei einer von den Großen, um noch mehr von ihnen machen zu können. Diese Strategie ist legitim, aber auch nur, solange sie einem höheren Zweck dient (zum Beispiel einer tollen Idee, die jemand mit Herzblut verteidigt und die es einfach verdient hat, verfilmt zu werden) und nicht zum Selbstzweck wird. Obwohl „Kin“ keine Netflix-Produktion ist, würde sie nahtlos ins Raster von deren Eigenproduktionen passen. Den durchaus soliden Produktionswerten steht ein Baukastensatz gegenüber, der sich Drehbuch schimpft und mit seinen kleinen Gesten (Familienprobleme, Road-Movie-Melancholie) womöglich auch noch auf die Zuneigung der Indie-Zielgruppe aus ist. Dabei hört man in den stillen Momenten noch das Rattern der Kalkulationstabellen.
Ein kleiner Junge gelangt also irgendwie an eine futuristische Waffe, die wir getrost auch „MacGuffin“ nennen können, denn um sie geht es nicht. Es könnte sich auch um einen Koffer mit ominösem Inhalt handeln, einen Diamanten, ein Saxophon aus einer anderen Dimension oder ein Waffeleisen mit Superkräften. Es geht nur darum, dass fortan eine Menge übler Typen auf der Suche nach dem Jungen sind. Und letztlich um das Abenteuer, das der Junge auf Reisen erlebt. Kommt bekannt vor? Kein Wunder; die Rezeptur wurde vor allem in den 80er Jahren regelrecht geplündert.
Die Baker-Brüder können für all das zunächst einmal wenig, sie nehmen einfach die Gelegenheit wahr, ihren Kurzfilm „Bag Man“ (2014) auf Spielfilmformat aufzublasen. Ihnen fällt allerdings auch nicht viel ein, die für sich genommen toten Bausteine zum Leben zu erwecken. James Franco zieht wieder seine Zirkusnummer vom soziopathischen Gangster ab (wie unter anderem in „Homefront“ oder zuletzt in „Future World“), Dennis Quaid ist ohnehin nur kurz dabei, um Hallo zu sagen. Bleibt noch das grundsätzlich nicht uninteressante Verhältnis zwischen den beiden Hauptdarstellern Jack Reynor und Myles Truitt, das davon lebt, dass der Ältere der Beiden der Unreifere ist. Mit Zoë Kravitz zum Dreieck erweitert, wird aber auch wieder bloß so eine öde Standardkonstellation draus.
„Kin“ ist kein richtig schlechter Film. Er hat durchaus seine Momente, auch wegen des noch sehr jungen, aber sehr überzeugenden Myles Truitt. Und natürlich wegen des tollen Soundtracks von Mogwai, der unheimlich viel Atmosphäre erzeugt. Aber was so viele vorgefertigte Module verwendet, kann eben auch nicht wirklich gut sein. Der thematisch sehr ähnliche „Midnight Special“ von Jeff Nichols war auch kein besonders herausragender Film, aber hier war zumindest eine echte künstlerische Vision zu erkennen.