[RATSKAMMER] Filme in der Ronald Reagan Ära

Könnte Jean-Claude van Damme einen Roundhouse Kick von Chuck Norris überleben? Schafft es Steven Seagal noch einmal ins Kino? Welcher Actionheld verbucht den besten Oneliner für sich? Verlinkt hier eure Podcasts.
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Sir Jay
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[RATSKAMMER] Filme in der Ronald Reagan Ära

Beitrag von Sir Jay » 08.10.2021, 15:52

Seit einiger Zeit treibt mich der Gedanke um, hierzu eine Podcast Episode aufzunehmen.

Die Fragen, die ich mir stelle:

Warum wird Ronald Raegan mehr als jeder andere US-Präsident erwähnt, um eine Filmepoche zu umschreiben?
Vergleichsweise list man selten von Filmen aus der "Clinton-" oder "Obama"-Ära

Welchen Einfluss hatte Raegan konkret auf das Mainstreamkino und gabs es nicht evtl auch eine gewisse Wechselwirkung?

Bin gespannt, was sich hier zusammentragen lässt, um ein aufschlussreiches Gespräch zu produzieren!

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kami
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Re: [RATSKAMMER] Filme in der Ronald Reagan Ära

Beitrag von kami » 08.10.2021, 19:21

Ich bin mal so frei und poste ganz faul einen Abschnitt aus einem Text zu Sylvester Stallone, den ich für ein Magazin schrieb und der vielleicht recht gut zum Thema passt, wenn auch natürlich genau zur bekanntesten und offensichtlichsten Facette desselben. Es geht nämlich um Rambo und der Abschnitt war betitelt mit "Die Reagan-Jahre".
Die Achtziger Jahre waren ein Jahrzehnt enormen Wandels in der amerikanischen Gesellschaft. Untrennbar verknüpft mit diesem Wandel ist die Präsidentschaft des republikanischen Ex-Hollywood-Stars Ronald Reagan, der im Spätherbst 1980 die Wahl gegen den demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter gewann und das Amt des Präsidenten Anfang 1981 antrat. Waren die Siebziger Jahre eine Zeit der Krisen und Niederlagen, der Selbstbesinnung und der Selbstkritik gewesen, dürfen die Achtziger getrost als ein Jahrzehnt des Aufbruchs, des Größenwahns und der Maßlosigkeit bezeichnet werden. Hatte sich Amerika in den Carter-Jahren noch die Wunden geleckt, die der Vietnamkrieg gerissen hatte, schlug das „Land der Freien und Heimstatt der Tapferen“ (O-Ton US-Nationalhymne) nun zurück, um den verlorenen Kampf doch noch zu gewinnen. Und wenn das schon nicht auf dem Schlachtfeld möglich war, dann doch zumindest auf der Kinoleinwand.
Für Sylvester Stallone begannen die Achtziger Jahre eigentlich erst 1982, lässt sich der ein Jahr zuvor erschienene „Nachtfalken“ inszenatorisch und atmosphärisch doch noch ganz den aus heutiger Sicht geruhsam erscheinenden Terroristen-Thrillern der Siebziger (wie John Frankenheimers „Schwarzer Sonntag“) zuordnen. In „First Blood“ jedoch verkörperte er 1982 zum ersten Mal jene Rolle, die wie keine zweite symbolisch für das amerikanische Actionkino der Achtziger Jahre steht und als Synonym für „Kraftprotz“ und „brutaler männlicher Typ“ sogar Einzug in den Duden gefunden hat: Rambo.
Diese Vorstellung von Rambo als aufgepumpte Muskelmaschine wurde allerdings noch nicht vom Auftritt des gleichnamigen Vietnam-Veteranen im ersten „Rambo“ geprägt, vielmehr können dafür die beiden Nachfolger verantwortlich gemacht werden. Tatsächlich gilt der kurz nach „Rocky 3“ In die Kinos gekommene Actionthriller inzwischen sogar zurecht als veritabler Klassiker des Genres, der auf geschickte Weise die großmäulige Filmsprache des neuen, lauten Actionkinos der Reagan-Zeit mit der Melancholie, dem Zorn und der Selbstreflexion der vorangegangenen „New Hollywood“-Ära kombiniert. Diese Zweigleisigkeit ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Romanvorlage, auf der „First Blood“ (oder eben schlicht „Rambo“, wie der Film bei uns heißt) basiert, aus dem Jahr 1972 stammt. Aus dem selbstzerstörerischen, asozialen Antihelden von David Morrells Roman machten die Produzenten und Autoren des Filmes (darunter auch Hauptdarsteller Stallone) allerdings einen Underdog mit nachempfindbaren Gefühlen und Motivationen, dem das Publikum guten Gewissens die Daumen drücken kann, wenn er gegen einen tyrannischen Kleinstadt-Sheriff aufbegehrt. John Rambo ist ein vom Krieg geformter, vielleicht sogar traumatisierter Vietnam-Veteran, der bei seiner Rückkehr in die Heimat auf Undank, Misstrauen, ja, sogar Feindseligkeit stößt. Kein Wunder also, dass ihm der Kragen platzt, als der Sheriff nicht aufhört, ihn zu behelligen. Die eskalierende Situation führt dazu, dass Rambo sich in die Berge zurück zieht, aber selbst dorthin folgen ihm die Häscher. Während für diese die gefährliche Hatz allerdings eine Abkehr von der gewohnten Ruhe der Kleinstadt darstellt, bedeutet sie für Rambo wiederum eine Rückkehr dahin, wo er sich eigentlich zuhause fühlt: Den Krieg. Denn für den Krieg – das wird sehr deutlich gesagt im Film – wurde er geschaffen. Dominante Motive des ersten „Rambo“ wie das Kriegstrauma oder die Engstirnigkeit und Gewaltbereitschaft des ländlichen Amerika lassen leicht die Vermutung aufkommen, man habe es mit einem sozialkritischen, politisch tendenziell links zu verortenden Film zu tun, der eher noch als ein Relikt der Carter-Zeit als ein Produkt der Achtziger zu betrachten ist. Doch lassen besagte Motive auch alternative Interpretationen zu, welche diese Vermutung relativieren. So kann Sheriff Teasle (großartig gespielt von Brian Dennehy) natürlich als Exponent eines hinterwälderischen, gar faschistoiden Kleinstadt-Regimes gesehen werden, gegen das Rambo verständlicherweise aufbegehrt. Eine andere, konservative Deutung könnte in Teasle aber auch den Vertreter genau des übermächtigen und übergriffigen Staatsapparates sehen, der unter Reagan zum Feindbild erklärt worden war. Nach dieser Sichtweise rebelliert Rambo nicht gegen ein System, vielmehr beschützt er als streitbarer Vertreter amerikanischer Werte, als mutiger Maverick, das System vor gefährlichen Auswüchsen. Der Vietnamkrieg, die Politik, die zu ihm führte und ihn am Leben erhielt, und auch die Rolle Rambos selbst in diesem Krieg, werden nie hinterfragt, auch hier offenbart „First Blood“ ein konservatives Gesicht. Und zur Räson kann der im Kampfe unbesiegte Rambo natürlich nur durch das Militär gerufen werden, und zwar in Form seines ehemaligen Vorgesetzten und väterlichen Freundes Colonel Trautman (Richard Crenna). Das geschieht jedoch nicht, bevor Rambo mit seinem erbeuteten Maschinengewehr ein Kugel-Inferno über die Kleinstadt gebracht hat. Hier endlich deutet sich auch an, welche Richtung die späteren Fortsetzungen einschlagen würden. Zuvor nämlich setzt Rambo in seinem Kleinkrieg statt auf dicke Kaliber auf sein bewährtes Messer und improvisierte Waffen und Fallen. Ihm dabei zuzusehen, ist ausgesprochen spannend und bisweilen sogar regelrecht befriedigend, was „First Blood“ locker zum mitreißendsten Film der „Rambo“-Reihe macht.
Bekannter und prägender für das gesellschaftliche Bild der Figur „Rambo“ sind aber, wie schon erwähnt, die Fortsetzungen, die nach dem finanziellen Erfolg des ersten Filmes natürlich unvermeidbar waren. Insbesondere der 1985 erschienene Teil 2, in dem es Rambo wieder nach Vietnam verschlägt, formte die öffentliche Wahrnehmung des Titelhelden als eine schwer bewaffnete, muskelbepackte und einsilbige Kampfmaschine. Das ist zwar verständlich, wird aber dem Film und seiner Hauptfigur nicht gänzlich gerecht. Tatsächlich ist „Rambo 2“ ein hochexplosiver Actionfilm, der den Finger konstant am Abzug hat; das Drehbuch von „Terminator“-Schöpfer James Cameron legt seinem Helden aber einige bemerkenswerte Gedanken in den Kopf und Zeilen in den Mund. „You're not expendable.“, „Du bist nicht entbehrlich.“, bekommt Rambo von seiner weiblichen Begleiterin, einer vietnamesischen Kollaborateurin, auf seine selbstreflektierenden Gleichnisse hin ins Stammbuch geschrieben, vielleicht sogar schon eine Vorahnung auf die Actionfilm-Trilogie, die Jahrzehnte später Stallones Karriere reaktivieren sollte. Für die damalige politische Diskussion bedeutsam war die Rolle des Films als Sprachrohr all jener, die eine finstere Verschwörung zwischen der amerikanischen und vietnamesischen Regierung witterten. Insbesondere in konservativen Kreisen war die Ansicht populär, viele vermisste US-Soldaten würden noch immer von Vietnam als Gefangene (P.O.W.s) gehalten werden, und des lieben Friedens wegen würde die US-Regierung dazu schweigen und sogar Beweise unterdrücken. Ein Jahr vor „Rambo 2“ hatte schon Chuck Norris im B-Actioner „Missing In Action“ US-Kriegsgefangene aus vietnamesischen Dschungelcamps befreit, der deutlich teurere Stallone-Film verschaffte der P.O.W.-Legende noch einmal größere Aufmerksamkeit. Tatsächlich könnte „Rambo 2“ sogar direkt auf die US-Politik Einfluss genommen haben, bekannte doch ein begeisterter Ronald Reagan nach Sichtung des Filmes, ihn zum Leitfaden seines außenpolitischen Handelns zu machen. Heute, mehr als dreißig Jahre später, kann man darüber und über die naive politische Aussage des Filmes lachen und „Rambo 2“ als das genießen, was er ist: Ein teurer, dummer, gut gemachter Actionfilm, der die Blaupause für Dutzende, meist billige Dschungel-Kriegsactioner lieferte und der dem Jahrzehnt, in dem er entstand, eine Ikone schenkte.
Drei Jahre später, in denen Stallone die bösen Kommunisten auch im Boxring besiegt, als City Cobra finstere Anarcho-Verbrecher ausgemerzt und in „Over The Top“ dem amerikanischen Trucker ein lächerlich-kitschiges Denkmal gesetzt hatte, kehrte Rambo zurück auf die Leinwände, ausgestattet mit neuen, fetten Waffen und dem höchsten Budget der Kinogeschichte im Rücken. Den großen Erfolg des Vorgängers konnte „Rambo 3“ trotz ähnlicher Zutaten gleichwohl nicht wiederholen. Die Zeiten hatten sich geändert. 1988 zeichnete sich dank Gorbatschows Perestroika-Politik ein politischer Wandel in der Sowjetunion und dem Ostblock ab, der es unpopulärer machte, die Sowjets als eindimensionale Buh-Männer in einem schwarz-weiß-gemalten Ballerfilm über den Afghanistankrieg zu zeigen. Im Rückblick noch grotesker wirkt der Text im Schlussbild von „Rambo 3“, der den Film „dem tapferen Volk von Afghanistan“ widmet. Tja, Ironie der Geschichte!
Mit 108 Tötungen auf der Leinwand durfte sich „Rambo 3“ seinerzeit mit der zweifelhaften Ehre brüsten, der gewalttätigste Film aller Zeiten zu sein. Man darf davon ausgehen, dass, wer „Rambo 3“ mag, diesen Fakt tatsächlich zu schätzen weiß. Denn natürlich ist der Film, ganz wie der Vorgänger, ein kompetent gemachter, großangelegter und anspruchsloser Nonstop-Actionfilm mit fragwürdigem politischen Unterbau und militaristischer Botschaft, dem wir aber immerhin einen legendären Kurzdialog verdanken: „Was ist das?“ „Das ist blaues Licht“ „Und was macht es?“ „Es leuchtet blau.“ Kinogeschichte!

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kami
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Re: [RATSKAMMER] Filme in der Ronald Reagan Ära

Beitrag von kami » 08.10.2021, 19:38

Der Übersichtlichkeit wegen mache ich mal hier weiter: Wenn man sich die Reagan-Präsidentschaft anschaut (zu diesem Zwecke kann ich übrigens die vierteilige Showtime-Dokuserie The Reagans sehr empfehlen), dann wird man merken, dass die positivsten Aspekte dieser Ära wiedererlangte Zuversicht und Selbstvertrauen sind. In faktischer Hinsicht war die Reagan-Zeit eine ziemliche Katastrophe, das Sozialsystem wurde ausgehöhlt, christliche Fundamentalisten erlangten großen Einfluss in der Politik, verbrecherische außenpolitische Aktionen (Iran-Contra-Affäre) gefährdeten Frieden und Demokratie, rassistische Hetze gegen vorgebliche Schmarotzer (Welfare-Queens) wurde von Reagan selbst popularisiert, die Staatsverschuldung stieg, sogar einige Steuern stiegen, aber die Stimmung im Land war halt deutlich optimistischer als unter Carter, Ford und Nixon, auch deutlich optimistischer, als sie vielleicht anhand der Lage hätte sein sollen. Und für einen Großteil dieser fast schon grundlosen Zuversicht war der Swagger Reagans verantwortlich. Der konnte diesen "America, fuck yeah!"-Geist gut rüberbringen (Morgen in Amerika). Ich könnte mir vorstellen, dass es dem Showman-Charakter Reagans und seiner Vergangenheit als Hollywood-Star geschuldet ist, dass er stärker mit den Filmen seiner Präsidentschaft in Verbindung gebracht wird, als es z.B. mit Eisenhower und den 50ern passiert.

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Re: [RATSKAMMER] Filme in der Ronald Reagan Ära

Beitrag von McClane » 09.10.2021, 18:40

Reagan war ja auch gewissermaßen ein Filmpräsident. Sein Raketenabwehrprogramm nannte er ja "Star Wars" und als er dem Kongress mit seinem Veto drohte, sagte er "Go ahead, make my day". Insofern würde ich kami vom Swagger definitiv zustimmen: In Sachen Attitüde, Familienwerte und Glücksgefühl wirken die 80er eher wie ein Rücksturz in die 50er, zwischen den gesellschaftspolitisch unruhigen 60ern und 70ern und dem Generation-X-Feeling der 90er.
Für viele Amis, die in verarmten Gegenden sitzen, ist Reagan ja immer noch der große Hero, obwohl es ja gerade sein Konzept der Trickle-Down-Economy war, das viele von ihnen auf lange Sicht in die Scheiße ritt.

Die Lesart des Mainstream- und vor allem Actionkinos als "Reaganite Cinema" wurde durch Bücher wie Susan Jeffords' "Hard Bodies" voran getrieben und sicher hat das Kino manche Stimmungen bedient, aber ob wirklich jeder Genrefilm der Zeit auch ins Reagan-Programm passt, wie Jeffords oder auch Andrew Britton es behaupten, oder ob es da nicht mehr Zwischentöne gibt, ist sicher diskutabel. Man denke an "RoboCop", der sich ja mit Entwicklungen wie der Privatisierung oder dem Dauerfernsehprogramm satirisch beschäftigt - und das kann man sicherlich nicht alles auf den europäischen Regisseur zurückführen.
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