Saw
Originaltitel: Saw
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2004
Regie: James Wan
Darsteller: Cary Elwes, Leigh Whannell, Danny Glover, Monica Potter, Michael Emerson, Tobin Bell, Ken Leung, Makenzie Vega, Shawnee Smith, Dina Meyer, Benito Martinez u.a.
Nach Jahren des durch Wes Cravens 90er-Hit „Scream“ losgetretenen Teenieslasherbooms hat sich in den internationalen Lichtspielhäusern mittlerweile ein neues Horrorsubgenre als Goldesel etabliert: Sadistische Survivalschocker, die mit immer brutaleren Splatter-Exzessen Tabus zu brechen und die Gorehoundfraktion unter den Horrorfreaks zu unterhalten versuchen. Als prominentestes Beispiel lässt sich hier sicherlich Eli Roths 2006 in Deutschland gestarteter Folterreißer „Hostel“ anführen. Der Film, der diese Welle lostrat beziehungsweise dem durch die Renaissance härterer Splattergangart im Horrorgenre begünstigten Trend den entscheidenden Schub verpasste, ist der fiese Psychothriller „Saw“ aus dem Jahr 2004, den man aber gar nicht unbedingt auf eine Stufe mit der Filmflut stellen sollte, die er hinter sich herzog. Viel weniger als Gore und Gewalt regieren im Hitthriller von James Wan nämlich Spannung, Atmosphäre und ein kreatives Angstszenario.
„Saw“ basiert auf einem gleichnamigen Kurzfilm, den Regisseur Wan und Drehbuchautor und Hauptdarsteller Leigh Whannell 2003 drehten, um Geldgeber für ihr Wunschprojekt zu finden. Das gemeine, einfallsreiche Szenario des gelungenen, bereits äußerst professionell inszenierten Short Movies barg genug Potential für einen erfolgreichen Kinohit und so dauerte es nicht lange, bis das Duo seinen Stoff in Spielfilmlänge noch einmal verfilmen durfte. Die Rollenverteilung ist die gleiche geblieben: Wan saß auf dem Regiestuhl, Whannell schrieb das Drehbuch und agierte als Haupdtarsteller. Das Konzept ging auf: „Saw“ avancierte zum stilbildenden Megahit, zog in zwei Jahren zwei Sequels nach sich und ist drauf und dran, sich zu einer Endlosreihe in der Tradition von Horrorfranchises wie „Halloween“ und „Friday the 13th“ auszuwachsen. Während die Gewaltschraube in den Fortsetzungen freilich immer höher gedreht wurde, funktioniert „Saw 1“ haupsächlich als raffiniert konzipierter, spannender Psychothriller, der in Rückblenden ein wendungsreiches Krimipuzzle präsentiert und mit einer intelligenten Story sowie kreativen Schreckensszenarien überzeugt.
Arzt Dr. Gordon (Cary Elwes) und Adam (Leigh Whannell), zwei Männer, die sich noch nie im Leben gesehen haben, erwachen angekettet in gegenüberliegenden Ecken eines schmutzigen Waschraums, in dessen Mitte eine blutüberströmte Leiche liegt, die einen Revolver und einen Pocket-Kassettenabspieler in den Händen hält. Die beiden können sich weder erinnern wie sie hierhergekommen sind noch haben sie eine Idee, warum. Durch zwei Audiokassetten, die sie in ihren Hosentaschen finden, müssen Adam und Gordon bald herausfinden, dass sie dem irren „Jigsaw-Killer“ in die Hände gefallen sind. Seine Forderung: Dr. Gordon muss seinen Schicksalsgenossen bis 6 Uhr töten, sonst ermordet Jigsaw die entführte Familie des Chirurgen…
Mehr soll an dieser Stelle auch schon gar nicht mehr verraten werden, denn seine Story ist das, wovon „Saw“ zu großen Teilen lebt. Die Drehbuchautoren Wan und Whannell erzählen ihre perfide Handlung raffiniert auf drei Ebenen: Zum einen wäre da das Kammerspiel von Adam und Gordon, die gemeinsam versuchen, einen Weg aus der Misere zu finden und von Jigsaw auf immer neue möglicherweise hilfreiche, versteckte Utensilien gestoßen werden: Sägen, die nicht stark genug sind, um die Ketten durchzuschneiden, wohl aber den eigenen Fuß, Photos, Zigaretten und Botschaften… Der minimalistische, perfekte Psychothriller wird nun immer wieder durch Rückblenden unterbrochen, die einerseits Familienleben und Vorgeschichte der beiden Protagonisten schildern und andererseits die Jagd der Polizei auf den nicht zum ersten Mal agierenden Jigsaw-Killer portraitieren. Als Detective Roger Murtaugh, äh, David Tapp feiert hier ein nach dem letzten „Lethal Weapon“-Abenteuer „Zwei Profis räumen auf“ etwas in der Versenkung verschwundener Danny Glover („Predator 2“, „Shooter“) sein Comeback und überzeugt als verbissener Cop, der fast schon obsessiv Dr. Gordon hinterherspioniert, den er verdächtigt, der Killer zu sein. Der Cop-Handlungsstrang sorgt auch immer wieder für eine gehörige Portion Action und bezieht seinen Reiz aus der spektakulären und teils bleihaltigen Hatz und Auseinandersetzung mit dem mysteriösen Täter. Wie Wan und Whannell nun nach und nach ihr wendungsreiches, zeitlich verschacheltes Krimipuzzle auflösen und so einige Falsche Fährten legen, geht diebisch unterhaltsam vonstatten und lädt zum Mitraten ein. Teilweise könnte man „Saw“ freilich den Vorwurf der Überkonstruiertheit machen, angesichts der packenden Geschichte kann man das aber vernachlässigen.
Wovon „Saw“ nun zum zweiten elementar lebt, sind die perfiden Szenarien, die sich der Jigsaw-Killer bzw. das Autorenduo für seine Opfer ausdachte: Um zu überleben, müssen sie stets andere Menschen töten oder den eigenen Körper verstümmeln, beispielsweise muss ein nackter Mann innerhalb einer bestimmten Zeitspanne durch ein Stacheldrahtlabyrinth zu einer Luke, die sich bald schließen wird oder eine andere Gefangene muss einen rettenden Schlüssel aus dem Magen eines lebenden Menschen herausholen. Letztgenannte Episode ist auch die Story des originalen Kurzfilms (der komplett ohne grafische Gewalt auskommt) und wurde nur minimal abgeändert für die Kinovariante übernommen. Ähnlich wie bei den Autoren der populären „Final Destination“-Reihe gebührt auch Wan und Whannell Anerkennung für ihre äußerst kreative, aber offenbar auch etwas kranke Fantasie, sich möglichst vielfältige sadistische Survival-Szenarien auszudenken.
Damit verbunden ist nun freilich ein gewisser Grad grafischer Gewalt, doch weder splattert „Saw“ im Übermaß noch zelebriert er Gore (zumindest im ersten Teil) zum reinen Selbstzweck und lässt auch vieles im Off und auf psychischer Ebene geschehen. Höchst interessant ist die Motivation des Jigsaw-Killers, warum er welche Opfer durch seine sadistischen Fallenparcours hetzt. Er wählt nach einer Art Schuld-und-Sühne-Prinzip Menschen aus, die ihr eigenes glückliches Leben – beispielsweise durch Suizid – zu zerstören versuchen, da er unfreiwillig vom Krebs befallen ist, um den Opfern, wenn sie seine „Spiele“ überleben, wieder ein Gespür für den Wer des Lebens zu vermitteln, das stets als so selbstverständlich hingenommen wird.
Optisch verpackt Wan seinen raffinierten Thrillerhit in rasante MTV-Ästhetik und kreiert mit Fastmotion, Farbfiltern und irren Kamerafahrten und –perspektiven einen hippen Look, der auch der ohnehin starken, packenden Atmosphäre zugute kommt. Dazu gibt es schnell geschnittene, stylishe Flashbacks und einen treibenden Industrial / Heavy Metal – Score, komponiert von Nine Inch Nails – Member Charlie Clouser.
Mit einer wahrlich genialen Schlusspointe wissen Wan und Whannell am Ende ihres Schockers aufzuwarten, schließen grandios böse und machen Lust auf die Fortsetzung (zumindest auf die erste von den wer-weiß-wie-vielen, die uns in den nächsten Jahren noch ins Haus stehen werden).
Der fiese Schocker „Saw“ avancierte nicht umsonst zu einem der erfolgreichsten Horrorhits der letzten Jahre. Das Machergespann Jame Wan / Leigh Whannell adaptierte seinen eigenen, potentialbehafteten Kurzfilm als spannenden, atmosphärischen und ultragemeinen Psychothriller, der seinen Reiz aus dem wendungsreichen, auf verschiedenen Zeitebenen erzählten Krimipuzzle und kreativ-sadistischen Bestrafungsszenarien des mit interessanter Motivation ausgestatteten Jigsaw-Killers bezieht und mit einer wahrhaft grandiosen Schlusspointe schließt.
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"Saw" liegt von Kinowelt als FSK-16-Schnippelfassung, KJ-Version und ebenfalls KJ-geprüfter Director's Cut auf DVD vor.