
Originaltitel: WALL•E
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2008
Regie: Andrew Stanton
Sprecher: Ben Burtt, Elissa Knight, Jeff Garlin, Fred Willard, John Ratzenberger, Kathy Najimy, Sigourney Weaver
Presto

Hinter der Bühne eines Theaters sitzt ein kleines Kaninchen in seinem Käfig und versucht an eine nicht weit entfernt liegende Möhre heranzukommen. Da poltert sein Besitzer in den Raum herein. Er ist ein Zauberer und will das Kaninchen für den nächsten Auftritt abholen. Dabei begeht er einen folgenschweren Fehler, denn NIEMAND stellt sich zwischen ein Kaninchen und seine Möhre ...

Die Folge ist grandios animierter Slapstickirrsinn vom Allerfeinsten in der Tradition alter Warner Cartoons. Wie in diesen altehrwürdigen Vorbildern wird die Grundidee ganz besonnen und ruhig installiert und wird der Kniff vorgestellt, der die folgenden vier Minuten antreiben wird. Kaum ist das geschehen, geht Presto in die Vollen und entzündet ein Feuerwerk an genialen Gags, die aufzeigen, wofür so ein Zauberhut alles genutzt werden kann und dass es eben immer noch am witzigsten ist, wenn eine Zeichentrickfigur eine ganze Leiter ins Gemächt geknallt bekommt. Auf diese urwitzige Tour de Force des Lachens folgt ein echtes Meisterwerk von einem Animationsfilm. Darf ich vorstellen ...
Wall-E
Die kleine Waste Allocation Load Lifter Earthclass Einheit, kurz: Wall-E, fristet ein einsames Dasein auf der Erde. Tagein, tagaus geht er seinem Tagwerk nach und presst Unmengen von Schrott und Abfall zu kleinen handlichen Würfeln, die er bevorzugt zu architektonischen Wunderwerken aufschichtet. Dass er niemals arbeitslos werden wird, dafür sorgten vor Hunderten von Jahren die Menschen, die eines Tages kurzerhand vor den Müllbergen ins All flüchteten und fortan auf einem gigantischen Raumschiff namens Axiom darauf warteten, dass die Wall-E und Wall-R Einheiten den blauen Planeten wieder lebenswert machen würden. Doch die meisten Roboter sind den apokalyptischen Zuständen auf dem unwirtlichen Planeten nicht gewachsen und gehen den Weg alles Irdischen. Außer die Eingans erwähnte kleine Wall-E Einheit. Doch auch sie entwickelte einen kleinen Defekt, wir würden ihn wohl Persönlichkeit nennen. Und so sammelt der kleine Roboter ihm interessant erscheinende Gegenstände, die er in einer Art Schrein aufbewahrt, ohne wirklich zu wissen, wofür diese Gegenstände einst genutzt wurden. Sein liebster Gegenstand ist allerdings ein I-Pod, auf dem er sich immer und immer wieder ein Musical anschaut, welches ihm schmerzhaft bewusst macht, wie allein er doch letztendlich ist.

Da landet eines Tages mit riesigem Getöse ein Raumschiff auf „seiner“ Erde und lässt eine Drohne namens Eve von Bord, deren Aufgabe es ist, Spuren von Leben auf der Erde zu entdecken. Wall-E ist sofort hin und weg, als er Eve erblickt und folgt ihr fortan auf Schritt und Tritt. Als er ihr ein Geschenk machen will, ahnt er nicht, was er damit heraufbeschwört. Denn als er Eve einen kleinen Setzling einer Pflanze überreicht, schaltet diese komplett ab und wird wieder von dem Raumschiff abgeholt. Wall-E denkt allerdings gar nicht daran, seine neue Freundin so einfach aufzugeben und begibt sich auf eine Reise voller Abenteuer ...
Wall-E beginnt mit einem apokalyptischen Zukunftsszenario, gegen das selbst die Bilder aus I am Legend geradezu paradiesisch anmuten. Die Wüste hat sich die ganze Welt Untertan gemacht, die gigantischen Hochhäuser der Riesenmetropolen stehen leer und sind in einem katastrophalen Zustand. Direkt daneben erheben sich wie Spiegelbilder ebenso hohe „Gebäude“, errichtet aus in Passform gepressten Müllwürfeln. Erdiges Braun beherrscht die ganze Szenerie, Sandwolken fliegen umher und über allem schwebt ... ein Song aus dem heiter beschwingten Musical Hello Dolly. Ein Musikstück, das zu den gezeigten Bildern in keinem krasseren Gegensatz stehen könnte. Zunächst wirkt es fast schon als sarkastischer Bruch zu den düsteren Endzeitbildern, doch dann sehen wir, dass es dem wohl sympathischsten und absolut liebenswürdigsten Trickfilmcharakter seit der Existenz des Genres den Arbeitsalltag versüßt. Denn „Put on your Sunday Clothes“ dient einem kleinen Roboter zur Ablenkung von der eintönigen Arbeit des Müllverdichtens und pumpt genau das in die Szenerie, was diese dringend braucht: Optimismus. Denn da ist einer, der wird die Erde schon wieder herrichten!
Was nun folgt sind 40 Minuten pure Genialität. Die Pixarmacher reduzieren das Medium Film auf seinen wichtigsten Grundbestandteil: Bewegte Bilder und die davon ausgehende Magie. Dabei koppelt man den Film ab von einer unnötig komplizierten Story und sinnlosem Ballast wie Dialogen. Aufgrund der in dieser Filmhälfte auf den Kern beschränkten Grundstory (Wall-E entdeckt den verwüsteten Planeten und die Überreste unserer Zivilisation aus Robotersicht) und fehlender Dialoge wirkt Wall-E fast wie ein Stummfilm oder wie eine liebevolle Hommage an diese Art Filme. Nach diesem tollen Einstieg und Einblick in Wall-E’s Alltag kommt Eve auf der Erde an und wir erleben einen liebenswert unbeholfenen Roboter beim Liebeswerben, was ein wirklich witziges Slapstickfeuerwerk einleitet, ohne in lauten oder hysterischen Humor umzuschlagen. Denn obwohl in diesen Minuten die Leinwand vor Gags und Ideen förmlich zerspringt, ist der lancierte Humor eher ein ruhiger und teils sehr nachdenklicher, der zumindest in meiner Vorstellung das ganz junge Publikum hörbar überforderte.

Ist diese 40 Minuten währende Ode an den Film vorbei, geht es ab ins Weltall und verliert Wall-E kurz an Zauber. Der Zuschauer wird mit zu vielen neuen Charakteren bombardiert, der Status Quo der Handlung verschiebt sich komplett in Richtung Wiederbesiedlung der Erde und Wall-E wird leider in die Rolle einer Slapstickfigur gedrängt, die dem kleinen Roboter nicht wirklich steht. Glücklicherweise fängt sich Wall-E dank grandioser Momente recht schnell, kann aber nicht verschleiern, dass der Film in diesen Momenten an Magie und Kraft verliert. Spätestens auf der Axiom mutiert Wall-E zu reiner Science Fiction und wird die Handlung vor allem für ein junges Publikum recht unübersichtlich. Gerade die angedeutete „Verschwörung“ im Filmverlauf wird so subtil eingewoben, dass man selbst als Erwachsener die Andeutungen nicht hundertprozentig begreift oder weiterdenkt.
Nach dem sehr ruhigen und melancholisch witzigen Einstieg wird Wall-E also auch im hektischeren Endabschnitt nicht wirklich kinderfreundlicher. Auch die eingewobenen Botschaften gehen deutlich weg vom Üblichen „Bleib wie du bist“ Trallala sonstiger Trickfilme. Eher gibt es immer wieder subtil eingewobene Gesellschaftskritik, sind die Botschaften eher „Grüner“ Art und wird unsere allmählich immer fetter und bequemer werdende Gesellschaft hart angegangen. Kurzum: Wall-E dürfte die Allerkleinsten mühelos überfordern und erweist sich als gelungener Versuch der Pixarmacher ein eher erwachsenes Publikum anzusprechen und einzubeziehen. Und diese sollten Wall-E nun nicht wegen dem üblichen „Trickfilm ist doch nur Kinderkram“ Gelaber meiden, denn wenn sie sich auf Wall-E einlassen, bekommen sie neben den fraglos wertvollen Botschaften auch noch eine der schönsten und berührendsten Liebesgeschichten geboten, die feinfühliger kaum sein könnte und mit der „Tanzszene“ im All eine mehrminütige Gänsehautsequenz sondergleichen kredenzt. Alleine, was der geniale Score von Thomas Newman hier mit dem Zuschauer anstellt, ist ganz großes Kino und krönt eine erneut geniale Arbeit des in letzter Zeit selten aktiven Soundtrackgenies.
Mag die Geschichte also offensichtlich in zwei recht verschiedene Hälften zerfallen, so wirkt vor allem die grandiose erste Hälfte lange nach und bekommt Wall-E auch im schwächeren zweiten Abschnitt recht schnell die Kurve und punktet vor allem im mit einem ziemlichen Schock eingeleiteten „Showdown“ der Gefühle noch einmal ordentlich. Dies ist natürlich vor allem dem Genius der Pixarmacher zu verdanken, die mit Wall-E wirklich den genialsten Trickfilmcharakter überhaupt entworfen haben und nach Cars endlich beweisen konnten, dass man Gegenständen eben doch verdammt viel Seele einhauchen kann. Dazu wird der kleine Roboter zwar extrem vermenschlicht, aber anders hätte man die unglaubliche Wirkung Wall-Es auch nie erreichen können. Schon die Szene, in der Wall-E schlaftrunken aufsteht und gegen Wände fährt oder sich in seine „Schlappen“ quält, ist einfach pure Kinomagie. Auch die an einen I-Pod gemahnende Eve weiß zugefallen, hat es aber im Vergleich zum Sympathiewürfel Wall-E wie alle anderen Figuren verdammt schwer zu bestehen.

Richtig problematisch wird es bei den Menschen. Diese werden zunächst in Werbespots und Nachrichtensendungen oder Wall-E’s Lieblingsmusical in Form real abgefilmter Menschen eingebunden, was dem Streifen aufgrund seiner animierten Perfektion einen vollends fotorealistischen Anspruch verleiht. Einzig die extreme Beweglichkeit und Detailverliebtheit von Wall-E erdet diesen Ansatz in ihrer Verspieltheit ein wenig, ansonsten hat man aber immer das Gefühl einem Dark Future Realfilm zuzuschauen. Auch und vor allem eben aufgrund der echten Menschen. Doch auf der Axiom nutzte Regisseur Andrew Stanton dann auf einmal animierte Menschen. Obendrein stark verfremdet, so dass sie eher Comicfiguren und weniger Menschen ähneln. Dies wirkt im Zusammenhang verdammt befremdlich, obendrein, wenn diese Comicmenschen dann auch realen Menschen im TV oder auf Leinwänden zuschauen. So hat man das Gefühl, diese Menschen seien eher eine Art andere Spezies und beschleicht einen das Gefühl, dass Pixar hier einen echten Fehler machte, indem es den Menschen nicht einen einheitlichen Look verpasste. Sinnigerweise also immer comicesk angehauchte Figuren. Obendrein gefiel mir persönlich das Figurendesign der animierten Menschen überhaupt nicht! Zum Glück spielen sie aber keine allzu große Rolle, weshalb auch in der zweiten Filmhälfte nicht wirklich viel geredet wird. Ein etwas schaler Nachgeschmack aber bleibt.
Ansonsten ist Wall-E technisch vom Allerfeinsten und ist absolut state of the animationart, bzw. derzeit absoluter Klassenprimus. Die genialen Bilder der kaputten Welt kann man in diesem Zusammenhang gar nicht genug geloben. Und innerhalb dieser Szenarien brennen die Pixarleute ein Feuerwerk an Special Effects ab. Seien es grandiose Partikeleffekte in Sandstürmen und Staubwolken, Spielereien mit Licht und Schatten, gigantische Explosionen, wenn Eve zu wirken beginnt, die fotorealistische Umsetzung aller Schauplätze und und und. Wall-E ist schlichtweg in jeder Szene absolut perfekt. Auch auf der Axiom bleibt die Qualität der Bilder unerreicht und kommen noch grandios animierte Massenszenen hinzu. Was aber am stärksten auffällt, ist, wie stark die Pixarleute diesmal auf die Möglichkeiten einer frei im Raum positionierbaren virtuellen Kamera verzichteten. Wall-E verfügt demzufolge nicht über wilde Kamerafahrten oder ausgefallene Kameraperspektiven. Viel mehr wirkt Wall-E, als sei er unter realen Bedingungen an realen Schauplätzen mit realen Kameras gedreht wurden!
Dementsprechend wurde der Kameramann Roger Deakins (O Brother, Where Art Thou, Fargo) von den Wall-E Animatoren nach Strich und Faden ausgehorcht, wie er denn in seinen Realfilmen Szenen ausleuchte und aufnehme, welche Kameraperspektiven glaubwürdig erscheinen würden und welche Kamerafahrten im Realleben mit den schweren Kameras möglich seien. Auch das Special Effects Genie Dennis Murren (Star Wars, E.T.) musste sich den Fragen der Animatoren stellen und gab bereitwillig Auskunft. Das Ergebnis sind atemberaubende, fotorealistische Bilder und ein Wunderwerk von einem Animationsfilm. Dazu kommen noch die absolut geschmeidigen, unglaublich schnellen und detailverliebten Animationen des kleinen Hauptdarstellers, die Wall-E zur Creme de la Creme der aktuellen Animationskunst machen.

Einen weiteren wichtigen Anteil am Gelingen der Mission Wall-E hat der Sounddesigner Ben Burtt, dessen Arbeiten für Star Wars und E.T. wohl am bleibendsten in Erinnerung geblieben sein sollten und der nun mit Wall-E sein absolutes Meisterwerk abgeliefert hat. Jedem Charakter des Streifens (und das werden spätestens auf der Axiom Hunderte!) verpasste er eigene, charakteristische Töne und eben Interaktionsmöglichkeiten. Und spätestens, wenn sich Wall-E seiner Eve mit diesem irrwitzigen Mix aus schrägen Tönen vorstellt, sollte jedem Misanthropen das Herz aufgehen.
Und das ist die größte Stärke von Wall-E. Wall-E ist ein einzigartiger Film mit einer riesigen Portion Herz und wahrhaftigen Emotionen, der dank seines herzigen Hauptdarstellers allen verlogenen und immer gleichen Rom Coms dieser Welt eine lange Nase dreht und es einem schlichtweg unmöglich macht, ihn nicht zu mögen! Dabei bewahrt sich der Streifen eine rührende Unschuldigkeit, die es leicht macht, sich auf die Figuren und ihre kleinen Probleme einzulassen. Dazu lanciert der technisch absolut perfekte Film mit seinem Glauben an die echte Liebe und seinen Kommentaren zu unserer heutigen Überflussgesellschaft einige wirklich wichtige Botschaften, die wir uns ruhig alle zu Herzen nehmen sollten. Zwar ist der zweite Teil der Wall-E Handlung etwas schwächer als der grandiose Einstieg, doch die ersten 40 Minuten versprühen pure Kinomagie und sind eine Ode an das Medium Film. Schlussendlich macht Wall-E das Händchenhalten endlich wieder salonfähig. Und wer will schon Knutschen, wenn er die Hand der holden Angebeteten halten darf? Also ich nicht!

In diesem Sinne:
freeman