Texas Story

Filme abseits des Actiongenres mit Actionhelden (irgendwie so in der Art).
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Vince
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Texas Story

Beitrag von Vince » 28.01.2006, 18:44

Texas Story

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Originaltitel: Texas Funeral
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 1999
Regie: William Blake Herron
Darsteller: Robert Patrick, Jane Adams, Quinton Jones, Chris Noth, Martin Sheen, Isaiah Washington, Joanne Whalley, Grace Zabriskie, Olivia d'Abo u.a.

Texas in den 60er Jahren und eine Beerdigung als Vorwand für das temporäre Zusammenkommen einer Familie, in dessen Verlauf sich Abgründe und total verrückte Geheimnisse auftun. Eine ganz normale, altmodische Familiengeschichte - betrachtet aus der Brille von jemandem, der gerade auf einem Trip ist...
Der deutsche Zusatz zu “Texas Story”, im Original “Texas Funeral”, verkündet: “Warum Frauen Männern die Ohren abschneiden”; ein aus dem Zusammenhang gerissener, durchgeknallter Satz, von dem nun versprochen wird, dass er anhand von Konventionen erklärt wird in den folgenden eineinhalb Stunden.

“Texas Story” ist im Prinzip eine US-Variante des ein Jahr zuvor erschienenen Dogma-Films “Festen” von Thomas Vinterberg und konzentriert sich auf die Erzählung eines klassischen Familiendramas, zu dessen Zweck viele unterschiedliche Charaktere, die alle einer Familie entstammen, in ein Beziehungsnetz gesetzt werden, um in all ihrer Unterschiedlichkeit eine Gemeinsamkeit zu finden, nämlich die traditionelle Verbundenheit.

Entsprechend wichtig ist die Figurenzeichnung und die Art und Weise, wie diese Figuren miteinander in einen Kontext gesetzt werden. Im Mittelpunkt steht eine Kleinfamilie, bestehend aus dem Ehepaar Mary Joan (Jane Adams), Zach (Robert Patrick) und deren sechsjährigen Sohn Sparta (Quinton Jones). Anlass des Zusammentreffens dieser Familie mit den Verwandten ist der Tod von Spartas Großvater (Martin Sheen). Bei der Totenwache beobachtet Sparta durch einen Türspalt, wie die Witwe (Grace Zabriskie) ihrem verstorbenen Gatten im Sarg ein Ohr abschneidet und es mitnimmt. Der sensible Junge, von seinem Vater ohnehin schon gegen seinen Willen darauf getrimmt, sich wie ein harter Mann zu verhalten, verfällt in vollkommenes Schweigen. Als bei der Testamentsverlesung eine unfassbare Tat des Großvaters zu Tage kommt, brechen alle Dämme und unterdrückte Gefühle brechen ans Tageslicht: Erstmals wird diese kleine Familiengemeinschaft mit der vollen Wahrheit konfrontiert und lässt einiges in ganz neuem Licht erscheinen...

Es ist die Skurrilität im Ordinären, die in diesem kleinen Independentstreifen beschworen werden soll. Deswegen einen Vergleich mit David Lynch zu stemmen, so wie es die “Cinema” tat, wäre allerdings wohl einen Schritt zu weit; vielmehr ist der Film von William Blake Herron mit Artverwandten wie “Interstate 60" zu vergleichen, die sich dem unbehafteten Zuschauer auch im Kleinen annähern und ihn, der vollkommen ohne Erwartungen dasteht, streckenweise verblüfft zurücklässt.

So entstehen während dieses kleinen Zusammentreffens einige bizarre Situationen, die überwiegend schon in der Charakterzeichnung begründet liegen. Zachs Schwester erhält beispielsweise für die Familienangelegenheit extra Urlaub aus ihrer Irrenanstalt, der kleine Sparta verfällt ins Schweigen und sein Großvater ist in jungen Jahren ein exzentrischer Wahnsinniger, fest davon überzeugt, die Kamelzucht sei in der texanischen Einöde die Zukunft und werde schon bald die Pferde von den Weiden verdrängen. Und so ergibt sich eines aus dem anderen, die Figuren treffen mit ihrer in gegenseitiger Dynamik entstandenen Vergangenheit aufeinander, so dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich der Knoten löst.

In der Charakterzeichnung hebt sich die Geschichte aber nie ins Fantastische ab, und hier ist der Grund zu finden, weshalb ein Vergleich mit dem speziell in der Spätphase viel abstrakteren Lynch nicht zu ziehen ist: Die Bodenständigkeit der Erzählung bleibt allgegenwärtig, und so absurd so manche Situation - und damit verbunden so manche Bildkomposition, denn wenn ein Kamel mitten in der Einöde neben einem Cadillac steht oder eine verzweifelte Frau ekstatisch am abgeschnittenen Ohr ihres verstorbenen Mannes lutscht, dann ist das isoliert ein mehr als psychedelischer Anblick - so absurd also die Situation und die Bildkompositionen auch sein mögen, in der Narration der Geschichte werden sie stets nachvollziehbar gemacht. Ansätze einer fantastischen Erzählung à la “Big Fish” machen sich immer wieder breit, setzen sich aber nicht durch, weil alles so konstruiert ist, dass es tatsächlich passieren könnte. Ganz deutlich fantastische Elemente wie das Erscheinen des Großvaters für den kleinen Sparta werden grundsätzlich als Gedankenspiel des kleinen Jungen etikettiert, mal abgesehen von der Schlussszene.

Die Bezüge zur Epoche sind dezent, aber sie sind da. Isaiah Washington spielt den Sohn eines schwarzen Arbeiters, der einst von einem Weißen ermordet wurde und dafür nie eine Bestrafung bekam. Bei Tisch fällt der heutzutage allseits umstrittene Begriff “Neger” in beiläufiger Selbstverständlichkeit - zumindest die von Olivia d’Abo gespielte Charlotte fragt Washingtons Walter ohne Hintergedanken über die Malcolm X-Bewegung und die “Neger-Sünde” aus... “Du weißt schon. Die Dschungel-Lust.” Walter selbst, durch den Krieg mit dem Verlust seiner Hand konfrontiert, lässt diese Unterhaltung alleine im Badezimmer vor dem Spiegel nochmals passé laufen, seine Verständnislosigkeit für die Worte von Charlotte kommen hier zum Vorschein, im Gespräch verbieten es ihm jedoch die Benimmregeln.
Auch in den Rückblenden kommen historische Bezüge zur Geltung; auf dem Dachboden unterhält sich der kleine Sparta mit seinen verstorbenen Urahnen, erfährt von Bruchstücken aus ihrem Leben, hört sich ihre Sünden an wie Märchen, sprich in einer Erzählweise, die nicht unbedingt verdeutlicht, dass es schlimme Taten gewesen sind, die sein Großvater und dessen Vater und dessen Vater zu verantworten hatten. Es ist halt so.

In diesem Zusammenhang wird die Familiengemeinde in ihren sich überschneidenden Generationen zum Betrachtungsgegenstand. Die Zahl 3, Charlotte zufolge eine biblische Zahl (der Vater, der Sohn und der heilige Geist), sei das allgegenwärtige Muster, das immer wieder auftaucht; jedes Ereignis wiederhole sich gleich zweifach. Die 3 verbildlicht auch das Übergreifen der Generationen, die sich in aller Regel zu Lebzeiten begegnen und Einfluss aufeinander nehmen: Großvater, Vater, Sohn. Und so wächst am Ende alles zusammen, was die eigentliche Qualität dieses Films ausmacht. Es gibt keinen schockierenden Plottwist, statt dessen fügt sich alles in gänzlicher Stille zusammen, ganz ohne Trara. Der schwarze Hilfsarbeiter hat etwas mit der Insassin aus der Irrenanstalt gemein (Verlust), der Großvater mit dem Hilfsarbeiter (Mord), der Großvater mit dem Vater (Ohr), der Sohn mit dem Großvater (Dromedar) und so weiter.

Die Dezentheit des Puzzles, das sich langsam zusammensetzt, mag unter Umständen langweilen. Tatsächlich zeigen sich speziell zur Filmmitte einige Hänger - rein aus dramaturgischer Sicht, denn was die Story betrifft, gibt es eine stetige Weiterentwicklung. So könnte es als Film sicherlich noch das ein oder andere Highlight geben, doch am Ende dominiert das Gefühl der Nachdenklichkeit über die fein konstruierte Geschichte, die fast vollkommen ohne Klischees auskommt und immer wieder die Muße hat, den Zuschauer zu überraschen.

Nicht zu übergehen sind auch die schauspielerischen Leistungen. Eine ganze Garde hochklassiger Schauspieler der zweiten Instanz hat sich hier zusammengefunden, wodurch das Konzept, unterschiedliche Individuen aufeinander loszulassen, überhaupt erst funktioniert. Klar herauszuheben ist neben dem vor allem in den Rückblenden tollen Martin Sheen Joanne Whalley, die Darstellerin der schizophrenen Miranda, deren emotionaler Zwiespalt hervorragend von ihr eingefangen wird. Gesichter wie die von Robert Patrick, dem man neben Quinton Jones (Sparta) wohl die Hauptrolle zuordnen würde (sofern das hier möglich ist), und Chris Noth (“Sex and the City”) fügen sich perfekt in das Ambiente und geben den Eindruck, das bis ins kleinste Detail alles passt. Auch Washington darf sein Können zeigen und hat seinen Teil daran, dass der konventionalistisch kaschierte Rassismus so befreit von Klischees daherkommt.

So ist “Texas Story” mehr oder weniger genau das, was er vorgibt zu sein: eine kleine, feine Familiengeschichte mit einigen Ausflügen ins Skurrile und so mancher Überraschung. Tolle Darsteller und eine angenehm weiche Auflösung machen diesen Gewinner des Publikumspreises bei den Independent Film Festivals von L.A. trotz einiger Spannungslöcher zu einem sehenswerten Erlebnis, das durchaus zum Nachdenken anregt.
:liquid7:

Die DVD kommt von Kinowelt / Arthaus, bietet neben noch ausreichender technischer Qualität ein paar Interviews, Behind the Scenes und den Kinotrailer.

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Hmm... heute gibt's lecker Kamelhöcker.
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Die lustigen Urahnen vom Dachboden
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Long live the NRA
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So jung und schon ein Herzensbrecher...
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Holy Shit!
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Ein echtes Männergespräch
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Typisch Frau... sich in Blumen wälzen und kichern
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L.A. Crash, oder wie...?

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Beitrag von freeman » 31.01.2006, 18:53

"Texas Story" ist im Prinzip eine US-Variante des ein Jahr zuvor erschienenen Dogma-Films "Festen"
vielmehr ist der Film von William Blake Herron mit Artverwandten wie "Interstate 60" zu vergleichen
Aha ... hm, Das Fest ist imo der einzige Beitrag des Dogmamülls, der mir gefallen hat und Interstate sowieso, das weißte ja. Vielleicht sollte ich mir den echt mal anschauen, der schwirrt seit nem knappen Jahr als Prämere Aufzeichnung in meinem Zimmer rum ... Das Review macht jedenfalls Lust zu gucken, leider passt meine Stimmung derzeit net so ... Schwer ... ;-)

In diesem Sinne:
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Beitrag von Vince » 31.01.2006, 23:01

Joh, also wenn du ihn eh irgendwo rumfliegen hast, schau ihn dir ruhig mal an. So gut wie Interstate isser nicht, aber trotzdem ein sehr schönes, angenehmes, schön gespieltes Familiendrama mit surrealen Elementen.

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