Fear Of a Blank Planet

Technische Daten
Vertrieb: Roadrunner Records
Laufzeit: 50:48 Min.
Anzahl der Tracks: 6
Extras: Keine
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Jewel Case
Tracklist
01. Fear Of a Blank Planet – 7:28
02. My Ashes – 5:07
03. Anesthetize – 17:42
04. Sentimental – 5 : 26
05. Way Out of Here – 7:37
06. Sleep Together – 7:28
Kritik
Bei dem VÖ-Rhythmus von Workaholic Steven Wilson muss man langsam schon anfangen, die Qualität des Outputs in Frage zu stellen. Das letzte Studioalbum “Deadwing” ist zwei Jahre alt - das wäre nun für den Nachfolger “Fear Of a Blank Planet” eine relativ schnelle, aber noch gewöhnliche Zwischenzeit. Nur: Es folgten zwischendrin ja auch noch die erste Band-DVD “Arriving Somewhere...”, die Neuauflage von “Stupid Dream” inkl. 5.1-Mix und nicht zu vergessen das zweite “Blackfield”-Sideproject mit Aviv Geffen.
Das 6 Stücke umfassende “Fear Of a Blank Planet” schrieb Wilson offenbar immer nebenbei im Flugzeug auf den Reisen zwischen England und Israel, während er an “Blackfield II” arbeitete - anders ist nicht zu erklären, wie der Mann das alles unter einen Hut bekommen hat.
Aber es ist kein Traum, jetzt existiert es; ich halte es in meinen Händen und kann sagen, es ist beileibe kein 3-Minuten-Mikrowellenburger geworden, wie der Zeitplan vermuten lassen könnte, sondern die absolut folgerichtige Weiterentwicklung des Fortbestands der Band. In dieser Hinsicht perfect as perfect possibly can be.
Wer sich bei anderen Bands nach Jahren hin und wieder fragt, wohin des Weges es gehen soll, der kennt die Situation: Entweder entfremdet sie sich so stark von den eigenen Wurzeln, dass es den Fan schmerzt - da fallen mir Silverchair ein, die ebenfalls gerade mit “Young Modern” ihre Discographie erweitert haben - oder man tritt auf der Stelle und betreibt permanente Retrospektive. Doch was Porcupine Tree seit “Signify” machen, ist unvergleichbar: eine kontinuierliche Entwicklung ist zu erkennen, ohne dass jemals ein Stilbruch provoziert worden wäre. Das neue Album zeigt der Welt besser denn je, wie man wachsen muss. So gehört es sich. Es ist eine meisterhafte Linienführung zur Reife.
“Fear Of a Blank Planet”, eine gewisse Ähnlichkeit zum Public Enemy-Albumtitel “Fear Of a Black Planet” ist unverkennbar, führt die halluzinogenen Dystopien des Steven Wilson von einer leeren Welt fort. Schon “The Sound Of Muzak” beklagte das Abhandenkommen der Musik als Kunstform, eingetauscht gegen rhythmischen Unitarismus. Die sinnentleerte Zukunft ist Thema des neuen Silberlings, auf dem Wilson über Sex und Spiel als Zweckmäßigkeiten singt, die Spaß machen würden, aber nur ein Weg von vielen seien, die Zeit zu zerstören. Das Cover mit den kühlblauen Farben und einem Jungen mit leeren, eine endlose Leere wiederspiegelnden Pupillen knüpft an das Design von “In Absentia” an und entwirft ein leeres, kaltes Szenario mit düsterer Melancholie als roten Faden, nachdem mit “Deadwing” noch so etwas wie trügerischer Optimismus aufgekommen war.
Von seiner Titelanordnung hat das Album eine planetarische Struktur: Fünf Songs kreisen wie Monde um einen gigantischen Jupiter, der da lautet “Anesthetize” und stolze 17:42 Minuten auf dem Buckel hat. Er ist in jeder Hinsicht der gigantische Höhepunkt des 50-Minuten-Traumes, den Wilson scheinbar schlafwandlerisch mit einer Hand gemeistert hat, die offenbar unfähig ist, mit der Quantität die Qualität zu zerstören.
Und “Anesthetize” ist Gott. Die einstmals von Opeth geerbte Heavy Metal-DNA umwölbt das Album, ja die Band wie die Alien-Substanz Venom den Superhelden Spider-Man, nimmt ihm die harmlos-weiche, zum Teil gar ironische Seite und verwandelt ihn in ein schwarzglänzendes Ungetüm. Die Riffs auf dem Albenzentrum, unterstützt von einem Gitarrensolo des Gastmusikers Alex Lifeson, wirken in der Porcupine Tree-Welt authentisch wie nie, rigoros wie nie, ausdrucksstark wie nie. “In Absentia” und “Deadwing” behielten sich noch eine Restabneigung gegen härtere Töne, die dadurch ansatzweise Fremdkörper waren, wenn auch mit einem nicht zu leugnenden Reiz. Hier wird ein bis in die Spitzen brillanter Gegenentwurf geboten, der den ähnlichen “Arriving Somewhere But Not Here” noch übertrumpft, ohne zwangsläufig dessen Härte in der Mittelpassage zu erreichen. Doch es ist schlichtweg atemberaubend, wie man 18 Minuten Musik derart mit Leben füllen kann, nicht eine Sekunde langweilig erscheinen lässt. Auch dank des auftrumpfenden Richard Barbieri gelingt es Wilson, mit den hellsten Stern an seinem Kosmos zu zaubern. Längst ist er über da simple Schema vom Laut-Leise-Zusammenspiel von Metalriffs und Akustikgitarren mit Synthwelten hinweg, dieses Album hat eine eigene Biomechanik entwickelt.
Nach dem Herzstück ist das Album endgültig warmgelaufen und “Sentimental” bietet eine der schönsten, traurigsten Melodien überhaupt, die sich mit “Trains” oder “Collapse Light Into Earth” mühelos messen kann. Die Intensität raubt an manchen Punkten beinahe den Verstand.
Wenn man dem Album irgendwelche Schwachpunkte ankreiden will, dann ist es allenfalls der etwas schwerfällige Start über die ersten beiden Songs, die ihrerseits auch stark sind, ohne aber an den Rest anknüpfen zu können. Doch im Gesamten verdünstet “Fear Of a Blank Planet” dunkelblaue, flüssige Aura in Reinform. Am stärksten noch vergleichbar mit “In Absentia”, streut das neue Werk die wenigen Schwachpunkte von “Deadwing” allesamt beiseite und erreicht wiederum mühelos eine Weiterentwicklung. Eine neue Insel, die über Sicherheitshaken an die alten Planeten gekoppelt ist, die Porcupine Tree bereits besucht haben: Deadwing, In Absentia, Lightbulb Sun, Stupid Dream. Wenn das die Zukunft ist, muss man um eine leergefegte Welt keine Angst haben... sie wird voller Bedeutung sein.

Extras
Keine. Allerdings gibt es auch ein 2-Disc-Set mit einer zusätzlichen Scheibe, auf der das komplette Album als dts-Mix enthalten ist.

Artdesign
Sehr schlichtes, aber ausdrucksstarkes Cover voller Tiefenbedeutung. Das Gesicht, oder vielmehr die Augenpartie eines Jungen, der für die zukünftige Generation steht, die unseren Planeten bevölkern wird. Die Pupillen sind glasig, spiegeln eine Art Wüstenebene wieder, die das Nichts bzw. die Leere verkörpert. Ganz in künstliches, blaues Neonlicht getaucht, wird die Illusion einer bedeutungslosen Zukunft perfekt. Das Innenleben des 12-seitigen Booklets hat ähnliche Motive zu bieten - immer mit ausdruckslosen Gesichtern in kalten Farben vor pessimistischen bis nostalgischen Hintergründen, in denen die Vergangenheit als bröckelndes Fundament gezeigt wird. Songtexte sind enthalten. Die Disc selbst ist fast komplett unbedruckt.

Fazit
Ganz, ganz starkes Studioalbum von Porcupine Tree, die von kleinen Schwankungen abgesehen scheinbar immer besser werden, weil sie wissen, wie sie sich entwickeln sollen. Höhepunkt ist zweifellos der 18-Minüter "Anesthetize", danach , davor und dazwischen geht es ähnlich wie auf "In Absentia" zur Sache, ohne dass die Scheibe auch nur ansatzweise nach Selbstwiederholung riechen würde.
Testequipment
AIWA NSX-SZ315
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