Free Rainer – Dein Fernseher lügt
Originaltitel: Free Rainer
Produktionsland: Deutschland/ Österreich
Jahr: 2007
Regie: Hans Weingartner
Cast: Moritz Bleibtreu, Elsa Sophie Gambard, Milan
Peschel und andere
Rainer ist – verzeiht den Ausdruck – ein Riesen-Arschloch. Nur drauf aus, seinem Sender und damit auch sich selbst die Taschen zu füllen, interessiert es ihn einen Dreck, wie es anderen Menschen geht. Er rast wie ein Irrer durch die Stadt, betrinkt sich dabei und kifft – also ein echtes „Vorbild“ für die Bevölkerung. Doch eines Tages knallt es – im wahrsten Sinne des Wortes, und er fängt an, über sein bisheriges „Leben“ nachzudenken und einiges, was er vorher getan und unterstützt hat, in Frage zu stellen und genauer zu untersuchen...
(Achtung, dieser Text enthält leichte Spoiler...)
Mehr sollte man über die Handlung dieser gut recherchierten Sozial-Satire (so man sie denn so nennen möchte) nicht verraten. Und die Genialität dieses von mir innerhalb von nicht einmal sechs Monaten bereits zweimal gesichteten Werkes in Worte zu fassen, stellt sich mir als gar nicht mal so leicht da.
Weingartner („Die fetten Jahre sind vorbei“) beweist ein unwahrscheinlich gutes Gespür dafür, wie man ein brisantes Thema packend, witzig und trotzdem seriös anpacken kann. Der Hauptprotagonist (M. Bleibtreu) wird als so ziemlich der rücksichtsloseste Mensch eingeführt, den man sich vorstellen kann, doch als sich die lange aufgestaute Wut der hübschen Pegah auf einmal entlädt und beide danach blutüberströmt in ihren Autos sitzen, scheint er zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt zu verstehen, was er anderen Menschen angetan hat und beginnt, das System, das ihm seinen gesamten Luxus ermöglicht hat, in Frage zu stellen.
Die Inszenierung mag mit über zwei Stunden vielleicht für manche ungeduldige Zeitgenossen etwas lang geraten sein, aber Weingartner hat unglaublich gute Regieeinfälle. So sind z. B. die ersten Minuten unglaublich actiongeladen, und wie Bleibtreu (oder besser sein Stuntman ;) da durch die Stadt rast, das hätte manchem Actionfilm wohl absolut zur Ehre gereicht. Schon in den ersten Filmszenen kann er zudem sein gesamtes Schauspieltalent einsetzen, unglaubliche Wut und Frustentladungen zeigen, um später dann am Bett eines schwerverletzten Mädchens zu stehen und ihr wahrscheinlich das ehrlichste Geständnis seines Lebens zu machen: „Du kannst mich unmöglich so sehr hassen, wie ich mich selbst hasse!“ (ich gebs gerne zu, bei der Erstsichtung sind mir bei der Szene vor Rührung die Tränen gekommen.)
„Free Rainer“ schlägt in Zeiten von Verblödungs-TV a la Dschungelcamp, DSDS und Co. genau in die richtige Kerbe und wirft auch die richtigen Fragen auf: Sind die Quoten vielleicht manipuliert? Sind die Menschen draußen wirklich so anspruchslos, dass sie nur noch Niveaulos-Tv sehen wollen?! Vermutlich, um mögliche Konflikte mit den betreffenden Sender zu vermeiden, wird hier aus RTL, auf den hier vermutlich sogar sehr gezielt angespielt wird, der Sender TTS, der für gute Quoten selbst bereit ist, mehr oder minder buchstäblich über Leichen zu gehen.
Und gerade die Thematik Quotenermittlung wird hier wunderbar unter Beschuss genommen: Wenn ein einziges Gerät für 15000 Menschen in Deutschland steht, wie seriös sind dann diese Quoten wirklich? Inwiefern haben sie Einfluss auf unser Leben? Und welche weiteren Folgen hat das ganze für die Wirtschaft, für den Einfluss der Medien auf den Menschen usw.
Das große Plus des Films ist die absolut gelungene Mischung. Guter Soundtrack, manchmal fast belanglos nur die Handlung bzw. die Emotionen, die der Film gerade bewirken soll, sachte unterstützend, manchmal mit richtig rockender Musik loslegend. Dabei Protagonisten in bester Spiellaune, die sichtlich Spaß an dem Thema hatten. Elsa Sophie Gambard beweist sich hier als interessante Neuentdeckung, die mehr als nur optisches Reizmittel darstellt, die dem eigentlichen Star des Films, nämlich „Rainer“, zumindest ebenbürtig ist. Und so ist insbesondere das Spiel zwischen den beiden einfach nur klasse anzusehen und unwahrscheinlich intensiv und ein genüssliches Spiel mit den Emotionen.
„Kennst du jemanden, der so ne Box zuhause stehen hat? Ich kenne noch nicht mal jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der so n Ding bei sich zuhause hat!“ - Und was, wenn die Quoten von den Verantwortlichen manipuliert worden sind?!
Die Rekrutierung der „Mitarbeiter“, die die idealistischen Pläne von Rainer und Pegah und später auch dem ehemaligem IMA-Mitarbeiter Phillip unterstützen sollen durch ihre Arbeit, ist irgendwo zwischen witzig und dramatisch, da auch die Thematik Arbeitslosigkeit allgemein, Alkoholismus und ähnliches zumindest thematisiert wird.
Und auch wenn das Ensemble aus rund zehn Leuten besteht, die Bühne gehört zu 90% Pegah und Rainer und auf der Seite des Antagonisten dessen ehemaliger Chef Maiwald, der, auch das sollte nicht unerwähnt bleiben, hier ebenfalls eine glänzende Vorstellung als „gemeine Natter“ abliefert und der bereit ist, alles zu tun, um sich seinen Lebensstandard zu erhalten.
Es mag sein, dass der Film nicht frei von Klischees ist und an mancher Stelle überzogen wirkt, das Gesamtkonzept jedenfalls passt wie angegossen. Und ganz interessant fand ich, dass bei der Zweitsichtung der längere Tiefgang, die Melancholie zwischen den einzelnen Handlungssträngen, sich als Stärken herausstellen, die dem Film das gewisse Etwas geben, das vielen weniger emotionalen Filmen einfach fehlt.
Schlussfazit:
Kurzum, „Free Rainer“ ist der Beweis dafür, dass der deutsche Film längst nicht tot ist und auch weit mehr zu bieten hat als Komödien. In punkto Actionkino können wir nicht mitstinken mit den Amis, aber was das Thema anspruchsvoller Unterhaltungsfilm angeht, gibt es unglaublich gute Werke und Filmemacher, die idealistisch genug sind, ihre Vorstellungen auch umzusetzen. Und wenn dabei so etwas Faszinierendes herauskommt wie „Free Rainer“, dann immer her mit dem guten Zeug.
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Free Rainer - Dein Fernseher lügt!
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